MORALAPOSTEL (Basislexikon: kompetent-kritisch-konstruktiv)

MORALAPOSTEL haben von wirklicher Moral keine Ahnung!

MORALAPOSTEL nennen wir umgangssprachlich diejenigen Menschen, die nach außen hin für eine bessere Moral eintreten und die sich selbst in ihrem eigenen Leben allerdings nicht an diese Moral halten oder gehalten haben und die selbst auch noch genügend Leichen im Keller haben.

Als Schüler hatte ich da einmal in einem ganz konkreten weltlichen Bereich eine entsprechende Erfahrung - es handelt sich allerdings um etwas Moralneutrales: Und zwar hatte ich bei einer Biologieexkursion die Aufgabe, Gipsabdrücke von Hufabdrücken wildlebender Tiere zu machen. Und der Lehrer gab mir auch ein Blatt mit einer Anleitung, wie das zu machen sei. Nachdem man die Hufabdrücke mit flüssigem Gips ausgegossen hätte, so stand da, müsse man den Gips etwa 24 Stunden festwerden lassen, um den fertigen Abdruck mitnehmen zu können. Ich machte das also, als ich nach langem Suchen entsprechende Abdrücke gefunden hatte. Doch als ich einen Tag später wieder kam, war mein Gipsabdruck völlig vermatscht, der Gips hatte zuviel Feuchtigkeit in der feuchten Erde aufgesogen und war so verdorben worden. So ging es also ganz offensichtlich nicht! Durch eigenes Ausprobieren fand ich dann heraus, daß das mit der 24stündigen Wartezeit Unsinn war, daß man den Abdruck schon nach 20 Minuten abnehmen konnte und ihn zu Hause trocknen lassen mußte. Das, was auf dem Blatt stand, war also ganz offensichtlich von niemandem richtig ausprobiert worden, denn dann wäre mit Sicherheit aufgefallen, daß das so nicht funktionierte.

Bei der Aufgabe mit dem Gipsabdruck handelte es sich nun vergleichsweise um eine belanglose Sache, anders verhält es sich jedoch mit Sicherheit bei den entscheidenderen Dingen des Lebens, in die sich die typischen Moralapostel einzumischen pflegen.

 

Jesus sagte einmal, daß man die Menschen "an ihren Früchten" erkennt, und so erkennt man Moralapostel auch bei näherem Hinsehen daran, daß das, was sie predigen, in der Praxis eben  nicht funktioniert.

Denn wer schließlich doch ihren moralischen Empfehlungen folgt, der wird dann auch prompt scheitern, und damit sozusagen am eigenen Leib erfahren und erkennen, daß ein moralisches Leben so auch heute noch nicht möglich ist. Ganz offensichtlich predigen Moralapostel also etwas, das sie auf alle Fälle gar nicht richtig an sich selbst erprobt und schon gar nicht durchlebt haben. So erreichen sie mit ihrem Einsatz bei anderen Menschen letztlich dann auch wieder nur das Gegenteil von dem, was sie vorgeben zu wollen, also genau diejenige Scheinmoral, nach der sie schon selbst leben. Sie mögen zwar wissen, daß etwas in ihrem Leben falsch war, weil sie sich nicht so recht wohl fühlen und sie mögen auch ehrliche Absichten haben, anderen zu helfen, dieselben Fehler zu vermeiden. Doch deshalb wissen sie noch lange nicht, wie man es richtig macht, was wirkliche Moral ist, ob ihre Moralpredigt in der Praxis wirklich funktioniert, und sie können daher auch andere Menschen gar nicht zu wirklicher Moral führen.

Typische Kennzeichen von Moralaposteln sind etwa (siehe auch Menschenkenntnis):

  1. Moralapostel verwechseln immer gern die Beziehung von Ursache und Wirkung in Fragen der Moral! Für sie ist etwa heutzutage ganz klar, daß vor allem die Medien die Ursache von Unmoral sind, und wenn jemand da Bedenken anmeldet, werden sie entweder ausfallend oder allergisch-unsachlich.

  2. Sie predigen eine Scheinmoral im Sinn von Sitte und Anstand und tun so, als ob dies die Grundbedingung jeglicher Moral sei. Wissen sie wirklich nicht, daß es auf diese Weise immer nur zu einer Sklavenmoral und noch nie zu einer echten Moral gekommen ist? Daß eine Moral vor allem etwas mit Denken und Bewußtsein zu tun hat, mit Eigeninteresse (siehe Egoismus) und mit Lebenskonzept und gar mit einer Art niveauvollem Spaß, scheint Moralaposteln noch nicht aufgegangen zu sein. Und wenn sie tatsächlich daran denken, dann nur nach der Methode Dienst nach Vorschrift oder in Verbindung mit doppelt gemoppelt oder mit halben Sachen, klar das dabei nichts Vernünftiges herauskommen kann. Doch das sehen Moralapostel nicht - und man hat es ja versucht und bitteschön, es klappt nun mal nicht!

  3. Dabei leiden sie ganz offensichtlich unter der Moral und scheinen demnach von den Vorteilen wirklicher Moral hier und jetzt kaum überzeugt zu sein und ganz offensichtlich auch keinen Spaß dabei zu haben. So geben sie zu erkennen, daß sie mit Sicherheit nie den Rausch erfahren haben, den gerade eine wirkliche Moral bereiten kann, etwa den des Erlebnisses der Phase der Ästhetik mit einer bewußten Enthaltsamkeit, siehe etwa Gandhi-Methode oder  das Gespräch 9 zwischen Beatrix und Martina in den Vertraulichen Gesprächen. Daher sehen sie in der Moral eine Last, die immer nur mit Verboten und Zwängen, mit Ängsten und Tabus durchgesetzt werden kann. Ob das nun die Ankündigungen des Strafgerichts Gottes mit Hölle und Teufel oder mit den berühmten schlechten Zeiten sind, in denen sich die Menschen schon wieder zu Gott und zum Guten bekehren würden, ist letztlich gleichgültig. Wenn dies nicht so wäre, würden sie nicht dann ihre berauschenden und überzeugenden Erfahrungen mit der Moral geradezu in die Welt schreien und mit Phantasie immer wieder neue Möglichkeiten der Weitergabe finden? So deuten sie auch nie die Zehn Gebote als Spielregeln eines diesseitigen Paradieses, sondern immer nur als mehr oder weniger entsagungsvolle Vorbereitung auf ein späteres, jenseitiges Paradies.

  4. Wie wenig Moralapostel von der Wirksamkeit ihrer moralischen Modelle überzeugt sind, mag man ermessen, daß das Sündigwerden der Menschen für sie das Hauptproblem der Religionen ist mit der Problematik von Schuld, Vergebung und Erlösung. Sie können sich Religion gar nicht anders vorstellen. Doch das alles predigen sie mit Vorliebe anderen und anderer Leute Kinder; soweit sie eigene Kinder haben, sorgen sie sich jedoch zumeist geradezu fanatisch (jedoch nicht deshalb auch schon sachkundig) darum, daß diese erst gar nicht in die Nähe von typischen Gelegenheiten kommen, die ihrer Meinung nach aufs Sündigen hinauslaufen. Genau wie die Pharisäer zur Zeit Jesu, die sich genauso verhielten und obendrein ihre Töchter hinrichten ließen, wenn diese sich auf sexuelle Abenteuer einließen, bedenken sie nicht, daß moralische Verhaltensweisen immer von einer Art Gruppeneffekt oder gar Gruppenzwang abhängig sind und daß es darauf ankommt, daß sich die Mitmenschen nach den gleichen Regeln verhalten.

  5. So entdecken Moralapostel auch nie eine Verantwortlichkeit bei sich selbst, wenn es um die Möglichkeiten der Information und des rechten Zeitpunkts (siehe Kairos) gerade bei jungen, ungeprägten Menschen geht. Eine heute beliebte Ausrede, warum man nichts machen könne, ist, daß die entscheidenden Prägungen eines Menschen in seinem Unbewußtem in den ersten drei Lebensjahren stattfinden, also zu einer Zeit, da sie selbst keinen Zugriff zu den jungen Menschen hätten. Wenn sie dann selbst in ihrem Unterricht mit den jungen Menschen arbeiten können, dann sehen sie überhaupt nicht ihre Chancen und verschenken mit allen möglichen und unmöglichen Unglaubwürdigkeiten geradezu fahrlässig ihre Glaubwürdigkeit, weil sie einfach zu sehr auf diese frühe Prägung fixiert sind. Wer sich also als Priester und Lehrer von relativ ungeprägten jungen Menschen bei der Entschuldigung für seine seelsorgerische Erfolglosigkeit auf die Tiefenpsychologie beruft, entlarvt sich damit also selbst schon fast als Moralapostel.

  6. Und sie haben auch noch weitere Ausreden parat, warum ihre Moralerziehung nicht funktioniert. Beliebt ist die Entschuldigung, daß Theorie und Praxis verschiedene Dinge seien und daß eine mißlungene Praxis noch längst nicht darauf hinweise, daß auch die Theorie nicht in Ordnung sei. Dabei sind ihre Ansätze für eine Moral zumeist ausgesprochen dürftig und unlogisch. Zur Zeit Jesu waren das vor allem überflüssige Speisegebote, sinnwidrige Sabbatregeln, kleinliche Reinigungsvorschriften (siehe koscher und Kasuistik). Heute dürfte dem das Lamentieren über den mangelnden Glauben der an Gott, über den  Sittenverfall, über unsere moralwidrige zeitbedingte Atmosphäre, also über die Darstellungen von Gewalt und über die Pornografie und Oberflächlichkeit in Fernsehen, Video, Illustrierten und über die Anonymität in unserer modernen Industriegesellschaft entsprechen. Gegen die Macht der Medien kann man eben nichts machen... Und um etwas zu ändern, fällt ihnen bloß eine Art Zensur ein, also etwa das Verbot von bestimmten Filmen und Zeitungen bis hin zur Bekämpfung von Fotos von Pin-up-Girls oder Sendungen wie Tutti Frutti, oder sie warten auf Hilfe von höherer Warte, am Ende sogar auf das Eingreifen eines Gottes. Auf die Idee, eine von ihnen beeinflußbare Komponente im teuflischen Spiel des Bösen zu ändern, die beim gesunden Egoismus der ihnen anvertrauten Menschen ansetzt, kommen sie nicht. So scheinen sie auch nie darüber nachzudenken, daß die Moral auch schon zu Zeiten im Argen war, als es noch keine Illustrierten, kein Fernsehen, keine Videofilme und keine Pornografie einschließlich der Bilder von Pin-up-Girls gab. Und ihnen fällt auch nicht auf, warum wohl Christen etwa im alten Rom trotz widrigster Umstände in schlimmsten Situationen etwas ändern konnten. Kennzeichen von Moralaposteln ist also auch die Vergeßlichkeit, über dies alles nachzudenken.

  7. Kennzeichnend für Moralapostel ist schließlich auch ihre Leibfeindlichkeit und Verklemmtheit. Sie vermeiden nicht nur selbst jede tiefere Auseinandersetzung mit allem, was auch nur entfernt mit Sexualität zu tun hat, sondern verhindern durch ihre Methoden der Erziehung auch noch, daß junge Menschen von selbst zu einer Auseinandersetzung kommen. Ich erinnere mich da an eine Episode aus meinem schulischen Englischunterricht. Ich hatte mir bei der Lektüre von Shakespeares "Kaufmann von Venedig" nicht wie meine Mitschüler den Text aus einem deutschen Schulbuchverlag gekauft, sondern einen Text aus dem englischen Kulturinstitut entliehen. Und an einer Stelle stand da bei mir etwas anderes. "Ich weiß", meinte hier unser Studienrat, "wir haben eben die gereinigten Texte für die Lyzeen (Mädchenschulen)". Und was für eine Stelle war da so anstößig? "And some cannot contain their urine when the bagpipe sings its very noise" - "Einige können ihren Urin nicht halten, wenn der Dudelsack so schräg pfeift...". Über eine solche Kürzung könnte man sich vielleicht noch amüsieren, doch verbirgt sich dahinter die für jede wirkliche Moral zutiefst schädliche Auffassung, daß man Kinder am besten überhaupt nicht auf die Sexualität aufmerksam machen und schon gar nichts Deutliches über die Ambivalenz dabei erzählen dürfe. Denn die Kinder könnten ja dieses Wissen angeblich nicht verkraften und würden in der Unbeschwertheit ihrer Jugend beeinträchtigt. Auf welche negative eigene Erfahrungen der Moralapostel lassen solche Auffassungen schließen? Irgendwelche Vorstellungen von positiver Erfüllung, für die man Kinder begeistern könnte, scheinen da gewiß nicht vorzuliegen.

  8. Und so werden auch Vorgänge oder Denkmodelle, die zwar bei näherem Hinsehen Probleme der Sexualität behandeln und die jedoch wegen der zeitlichen Entfernung nicht mehr unmittelbar zugänglich sind, so uminterpretiert, daß das ursprüngliche Problem mit Sicherheit nicht mehr zu erkennen ist. So wird aus der Adam-und-Eva-Erzählung, bei der es um eine Absage an den Mißbrauch der Liebe geht, eine Dogamtik von einer Erbsünde und aus dem Anliegen Jesu, hier für eine Änderung zu sorgen, wofür er schließlich gestorben ist (siehe Jesus und die Sünderin und Leben-Jesu-Forschung), eine Erlösung von dieser Erbsünde, was nun alles wirklich nichts mehr mit dieser Liebe zu tun hat.

  9. Sie praktizieren typischen Dienst nach Vorschrift auch und gerade bei unserer christlichen Religion und pflegen für Außenstehende unbegreifliche sinnlose Riten und verlangen besonders von anderen sinnwidrige Opfer des Verstandes (siehe sacrificium intellectus).  

  10. Und wenn dann die Themen der Sexualität schließlich doch zur Sprache kommen, werden zumeist in Form von Gesetzen und Verboten übertriebene moralische Forderungen gestellt. Das Ergebnis dabei sind auf alle Fälle weitere Ängste und Tabus. Im Hinblick auf eine wirkliche Moral dürfte sich damit jedenfalls nichts ändern. Konnten sich nicht gerade Bräuche wie der des Rechts der ersten Nacht in Gesellschaften mit Tabus und Ängsten am leichtesten erhalten? Ein beliebtes Anliegen von Moralaposteln ist immer wieder, eine (Sexual-)Scham durchzusetzen. Das reicht von der Verschleierung der Frauen in den einen Ländern bis zu Vorschriften zur Badebekleidung in anderen Ländern. Damit werden - zumindest bei Frauen - allenfalls Wiederholungsfälle vermieden, die Anfänge sexuellen Fehlverhaltens (siehe reinfallen etwa à la Gespräch 2) jedoch mit Sicherheit nicht. Menschen, die jedoch trotzdem an der angeblichen Bewährtheit solcher Maßnahmen festhalten, wollen damit vor allem anderen ihre eigene Moral beweisen. Und wenn sie von der Sinnhaftigkeit der Sexualscham wirklich überzeugt sein sollten, dann sind sie wahrscheinlich vom Anfang ihres eigenen Fehlverhaltens schon so weit entfernt, daß sie vergessen haben, wie es bei ihnen selbst wirklich angefangen hatte.

  11. Und dann pflegen Moralapostel immer zu jammern, daß es keine Vorbilder mehr gibt. Damit geben sie selbst zu, daß sie selbst keine Vorbilder sind, daß sie also anders scheinen als sie wirklich sind.

  12. Beliebt bei Moralaposteln ist weiterhin, von sich selbst abzulenken und bestimmte Völker, Rassen oder Bevölkerungsgruppen für die Unmoral einer Zeit verantwortlich zu machen und diese deswegen bisweilen blutig zu verfolgen. Wahrscheinlich können wir die größten Tyrannen und Menschenschinder in der Menschheit am ehesten verstehen, wenn wir ihnen zunächst einmal zubilligen, daß sie tatsächlich an der Unmoral ihrer Zeit litten (oder eher an ihrer eigenen) und da etwas ändern wollten. So beschuldigte Hitler die Juden der Zerstörung der Menschen durch Unmoral (siehe Nationalsozialismus), Stalin die Kapitalisten (siehe Kommunismus) oder der iranische revolutionäre Ayatolla Khomeni die Amerikaner. Wie sehr Stalin Moralapostel war, mag aus seiner Beurteilung der Oper "Lady Macbeth von Minsk" von Schostakowitsch hervorgehen. In der Oper wurde das Schicksal einer gedemütigten und mißbrauchten Frau packend und mit drastischen Mitteln dargestellt und schließlich auch ihr Aufbegehren, indem sie alle Bande einer veräußerlichter Moral zerbrach (und dann auch daran selbst zerbrach). Der Diktator verbot nach seiner Begutachtung weitere Aufführungen dieser Oper. Fast schon klar ist, daß er selbst einen unwahrscheinlichen Verschleiß an jungen Mädchen (!) hatte*), wie wir nach und nach erfahren. Ja, es sieht so aus, daß ganz allgemein - wenn Moralapostel an die Macht kommen - es immer recht schnell zu typischen Gottesstaaten kommt, in denen die Moral letztlich dann doch immer nur dazu dient, daß ihnen selbst genügend willfährige (junge) Frauen zur Verfügung stehen, die "frisch und frei von Geschlechtskrankheiten" sind. In einem Beitrag der WELT "Billard um halb zehn" vom 28. Juni 2003 wird vom Leben unter dem Mullahregime im Iran berichtet: "Ficken und sich ficken zu lassen, ist alles, was uns geblieben ist, was sie nicht abstellen können..." (Url des Artikels: http://www.welt.de/data/2003/06/28/125397.html)

  13. Eine "lebendige Angelegenheit" kann nur funktionieren, wenn auch Ventile oder Sollbruchstellen eingebaut sind. Wenn hier alles verstopft wird, wenn also bei einer Moral immer nur verboten oder gewarnt oder auch nur mies gemacht wird, so daß "man gar nichts mehr tun kann", dann ist sie nie einzuhalten, zumindest nicht von gesunden jungen Menschen! Und so ist Kennzeichen von Moralaposteln eben auch, daß sie nie Ventile oder Sollbruchstellen vorsehen, zumindest nicht akzeptable (also solche, bei denen dann nicht doch wieder nur das passiert, was eigentlich nicht passieren sollte). In diesem Sinn wurden die Empfehlungen zur Nacktheit und zur aktiven Enthaltsamkeit bei basisreligion zunächst unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit von Ventilen gegeben. Doch schließlich entwickelten sich daraus die Ideen zur Phase der Ästhetik - etwas Sinnvolles und Vernünftiges sollte sich ja auch kultivieren lassen!

  14. Die Behauptung, daß sie alles besser gemacht hätten, wenn sie früher gelebt hätten, weist inzwischen zu offensichtlich auf Moralapostel hin, so daß sich kaum noch jemand traut, sie auszusprechen - siehe auch Besserwisser. Doch immer noch werden Feste und Gedenktage zu Ehren derjenigen berühmten Verstorbenen (oder Ermordeten) veranstaltet, in deren Nachfolge sie vorgeben zu wirken. Und wenn diese Toten sich zu ihren Lebzeiten um die Moral verdient gemacht hatten, sind solche Feste dann der Beitrag der Moralapostel zur Moral - und damit hat es sich dann auch.

  15. Und schließlich leben Moralapostel auch von einer Art Hackordnung - sie lassen immer ihre Verachtung für andere durchblicken, die noch schlechter als sie selbst sind...

Wer nun eines oder auch mehrere dieser Argumente für seine Begründung des Verfalls seiner Zeit anführt, dem darf man allerdings nicht gleich unterstellen, daß er ein verkappter Moralapostel ist. Vielleicht hat er dies nur eher gedankenlos daher gesagt, schließlich sind viele dieser Argumente ja allgemeine Auffassung (siehe zeitbedingte Atmosphäre). Wer kann schon immer alles hinterfragen, was so geredet wird?

Wie sich Moralapostel mit ihrer Moral ihr Leben auch noch schwer machen.

Wer buddhistische Tempel besucht, wird bemerken, daß das Essen, daß es entweder in einer Art Restaurant im Tempel oder bei Essensständen um die Tempel herum zu kaufen gibt, zwar vegetarisch ist, doch bisweilen kaum von nichtvegetarischem Essen zu unterscheiden ist. Zu gut ist "fleischliches Essen" in Geschmack und Konsistenz imitiert. Es ist, als ob der Verzicht auf Fleisch eine Last ist, die so leicht wie möglich gemacht werden soll, damit sie erträglich ist.

Dabei übersehen die Buddhisten, wie schön vegetarisches Essen an sich sein kann, welchen Spaß das machen kann und daß es überhaupt keine Last ist, nicht fleischlich zu essen! Denken wir nur an die bekannten "Reibekuchen" (oder woanders Kartoffelflinsen o.ä.) mit den unterschiedlichsten durchaus auch vegetarischen  Zutaten oder an manche der italienischen Pizzas!

Moralapostel gibt es also nicht nur, wenn es um unsere Sexualität geht, sondern auch in anderen Bereichen. Bei Bemühungen gegen das Rauchen werden zum Beispiel oft genug genau die Argumente gebracht, "die doch nichts bringen". Wir haben dann den Eindruck, daß derjenige, der uns vom Rauchen abbringen will, in Wirklichkeit ein Aktienpaket bei einem Tabakkonzern hat, und daß das der tiefere Grund für die Nutzlosigkeit seiner Argument ist... So wird vor allem auf den gesundheitlichen Risiken herumgehackt, die erfahrungsgemäß bei jungen Menschen überhaupt nicht ziehen. Viel weniger wird auf die eigentlichen Anlässe hingewiesen, aus denen junge Menschen mit dem Rauchen beginnen, nämlich auf mangelndes Selbstbewußtsein und auf fehlende Information über Möglichkeiten zu Erlebnissen mit im eigenen Organismus erzeugten Drogen (siehe Hormone). Vermutlich ist die Ursache für solches Verschweigen, weil die Pädagogen selbst ihre Schwierigkeiten mit dem Drogen haben. Siehe auch Aktionismus!

Auch der Einsatz gegen Kriegsspielzeug wirkt zwar nach außen hin sehr moralisch und engagiert, läßt jedoch Moralapostelhaftigkeit vermuten. Denn dieser Einsatz geht wohl an der Wirklichkeit vorbei, denn es kommt gewiß nicht zu Kriegen, weil Menschen in ihrer Kindheit mit Spielzeugpanzern gespielt haben, sondern vor allem aus Hass entsprechend der Gesetze des Kreislaufs von Täter und Opfer. Siehe das Stichwort Frieden.

Eigentlich können Moralapostel doch gar nicht so blind sein, daß sie nicht längst die völlige Unwirksamkeit ihrer Jammerei und ihrer Predigten über die fehlende Moral mitbekommen hätten. 

Daß sie trotzdem nicht damit aufhören und sich wirksamere Strategien einfallen lassen, kann nur bedeuten, daß sie gar nicht wollen. Ihnen scheint es gar nicht um eine Besserung zu gehen, sondern darum, daß sie mit ihrer Lamentiererei ihren Lebensunterhalt verdienen und daß genügend Menschen trotz ihrer Predigt (oder wegen ihrer Predigt?) genau die Fehler begehen, die eigentlich vermieden werden sollten, das aber mit schlechtem Gewissen. Denn das können sie nachher für ihre Zwecke ausnutzen (siehe Dummheit oder Böswilligkeit).

Ziel von Moralaposteln wäre somit nicht eine echte Moral, sondern die kontrollierte Unmoral. Davon profitieren sie schließlich dreifach: Denn Menschen, die sich schuldig fühlen, haben Ängste, damit erhalten sie Macht; sie werden bereit, sich freizukaufen, was Geld einbringt; und sie sind werden auch noch weiter erpressbar oder zumindest nicht prinzipientreu, was ihnen zumindest hin und wieder unverbindliches sexuelles Vergnügen beschert (siehe Jesus und die Sünderin). Noch mehr als die nützlichen Idioten sind Moralapostel uneinsichtig, sie lassen sich durch keine Argumente von der Vergeblichkeit und der Kontraproduktivität (daß sie also genau das Gegenteil erreichen von dem, was sie vorgeben zu wollen) ihrer moralischen Bemühungen überzeugen.

Und typische Rationalisierungen:

Ich zitiere aus dem Beitrag "Kein Untergang, nirgends"  in der WELT vom 20.03.2010: 

So neu ist die Erkenntnis schließlich nicht, dass in jedem Sittenrichter eine komische Figur steckt - vor allem dann, wenn er bei Verstößen gegen seine eigenen Gebote ertappt wird. Nicht jeder ist so souverän wie der Moralphilosoph Max Scheler (1874-1928), der, als ihn der Kölner Kardinal Schulte (1871-1941) wegen seines lockeren Lebenswandels zur Rede stellte, die kühle Antwort gab: "Haben Eminenz schon einmal einen Wegweiser gesehen, der den von ihm gewiesenen Weg selber ging?" Darauf kann man allerdings antworten: "Woher wissen Sie denn, dass der Weg, den Sie weisen, überhaupt begehbar ist und dann auch noch zum Ziel führt - wenn Sie ihn selbst gar nicht gehen (wollen)? Und so toll scheint der Weg ja offensichtlich nicht zu sein..."

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*) Anmerkung: Ich weiß nicht mehr, woher ich die Information habe zu Stalins "Mädchenverbrauch", ich hielt das Wissen darüber damals für Allgemeinwissen. Wenn jemand eine Quelle kennt, bitte ich um Information an KONTAKT. Alternativ kann ich Hinweise auf zwei Artikel in der WELT am SONNTAG vom 3. Aug 2003 geben: "Triebtäter und Verklemmte: Die Sexualität von Diktatoren und Tyrannen", unter der URL http://www.wams.de/data/2003/08/03/144660.html und "Im Bett mit Stalin - Er war einer der schlimmsten Tyrannen der Geschichte - und konnte doch so charmant sein. Der sowjetische Diktator liebte die Frauen, um sie zu zerstören" unter der URL http://www.wams.de/data/2003/08/03/144661.html. Und nicht nur einzelne Tyrannen pflegen typische Moralapostel zu sein, in typischen Gottesstaaten gehören zu dieser Kategorie Mensch vermutlich alle Wächter über die Moral, wirklich anständige Menschen geben sich für eine solche Wächteraufgabe gar nicht erst her... 

 

(Wörterbuch von basisreligion und basisdrama)