ZEITBEDINGTE ATMOSPHÄRE (Basislexikon: kompetent-kritisch-konstruktiv)

Zeitbedingte ATMOSPHÄRE (siehe auch Meinungsklima oder MAINSTREAM) sei einmal hier die nur schwer faßbare Grundstimmung einer Zeit oder auch einer Kultur genannt, die sich aus allen möglichen und unmöglichen, bewußten und unbewußten Auffassungen, Vorurteilen, Wissensinhalten und auch Torheiten und Blindheiten zusammensetzt. Sie werden von einer Generation an die nächste in Schule und Elternhaus, in der Kirche und auf der Straße, durch Medien und durch unmittelbare Beobachtung weitergegeben, selbst Märchen und Feste und Gedenktage haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluß. Zu dieser Atmosphäre gehören auch die Lebens- und Zielvorstellungen, die Glaubens- und Wertvorstellungen, die Vorstellungen von Moral und von Sitte und Anstand, von gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen (siehe Klassengesellschaft), die Ängste, Zwänge und Tabus, die Verklemmtheiten und Verdrängungen, die Lügen und Heucheleien, die Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, von Emanzipation und von Geschlechterkampf, von den jeweils typischen heiligen Kühen und von schicksalsmäßigen Abhängigkeiten und vieles andere mehr, ohne daß dies alles immer besonders hinterfragt und daher dem einzelnen bewußt wird. Wenn zum Beispiel über den Materialismus oder über den Egoismus, über den mangelnden Glauben der Menschen an gott oder über die Dekadenz, über das unkontrollierte Konsumverhalten oder über die Vergnügungssucht in einer Zeit geklagt wird, weil ohne Änderung da jede wirkliche Besserung von vornherein unmöglich sei, dann geht es um diese Atmosphäre.

Es gehört auch zu den typischen Auffassungen über eine zeitbedingte Atmosphäre, daß man ihr sozusagen machtlos ausgeliefert ist und daß es völlige Illusion sei, da etwas grundsätzlich zu ändern, da könne allenfalls eine große Not oder eine große Katastrophe oder irgendein göttliches Eingreifen die Menschen zur Umkehr bewegen.

Denjenigen, die sich selbst für gutwillig halten, blieben höchstens kleine Schritte etwa des Verständnisses füreinander übrig oder die Möglichkeit, den Kindern eine heile Welt in Familie, in der Kirche und in den Medien (daher die Zensur!) vorzuführen, bis dieser unschuldige Kinderfrieden ihnen dann schon von allein eben durch die rauhe Wirklichkeit in dieser Atmosphäre ausgetrieben werde. Und schließlich finde die eigentliche Erfüllung für uns ja ohnehin erst in dem Leben nach dem Tod statt.

Von wirklichem christlichen Glauben her können solche Auffassungen nur als eine unglaubliche Kapitulation vor dieser Welt angesehen werden, denn christlicher Glaube ist ja gerade diejenige Strategie oder sollte es wenigstens sein, mit der wir nicht hilflos einer feindseligen Atmosphäre ausgeliefert sind, sondern mit der das Paradies zu jeder Zeit möglich ist, wir müssen es nur wollen.

Jesus hält für einen Durchbruch hier allerdings eher Zöllner und Dirnen für fähig, er fand sich bei ihnen mit seinen Änderungsvorstellungen wohl besser verstanden als bei dem Establishment seiner Zeit. Und Kinder sind für ihn diejenigen, die auch konkret am Paradies teilhaben können, sobald ihnen auch wirklich sein Anliegen zugänglich gemacht wird und sie nicht noch davon weggedrängt werden. Für uns heute kann das nur bedeuten, daß wir in der Nachfolge Jesu Kindern gegenüber endlich denjenige heiligen Geist Wirklichkeit werden lassen, an den Jesus wahrscheinlich gedacht hat. Und dieser Geist bedeutet gewiß nicht, daß wir sie weiter mit allem möglichen Wissen über ihn selbst und über gott vollstopfen, was alles doch nicht so richtig auf seine Wahrheit überprüfbar ist und noch weniger richtig ankommt, sondern daß wir endlich damit beginnen, ihnen gegenüber diejenigen Informationen zugänglich zu machen, die ihre Phantasie und ihren Egoismus motivieren, wenn es um die gelingende Einheit von Leib und Seele für sie selbst und für andere geht. Einzelne können so beginnen, die Atmosphäre aufzubrechen, warum sollten es andere nicht nachmachen, zumal es auch im Interesse ihres Egoismus liegt? Und viele einzelne mit anderen Vorstellungen ergeben ein Gesamt mit anderen Vorstellungen. Und dann kommt es auch zu einer Änderung der Atmosphäre - ohne spektakuläres göttliches Eingreifen und ohne Katastrophen! Woher wissen wir, daß das nicht möglich sein sollte? Haben wir aus unserem Glauben her nicht die Hoffnung, daß es gelingt, wenn wir nur wollen? (Wörterbuch von basisreligion)