Und so hat auch das Nichtannehmen der Sexualität keinesfalls etwas mit wirklicher Moral zu tun, wie manche Menschen vielleicht meinen mögen, sondern macht eher notgeil und führt also geradezu zur Unmoral, allerdings bisweilen zu heuchlerischer. Wir kennen den berühmten Nonneninternatseffekt: Wenn die Mädchen von allen Jungen und Männern ferngehalten werden, dann werden diese nur umso interessanter und "frau" wird für die auch zugänglicher. Es ist etwa so wie mit einem Dampfdruckkessel: Wenn bei diesem alle Ventile verstopft sind und es keine sinnvolle Methode gibt, den Dampf zu nutzen, kommt es zu einem unkontrollierbaren Überdruck und schließlich zu einer zerstörerischen Kesselexplosion (siehe auch Überrumpelung). So ist gewiss die
Unfähigkeit, über sexuelle Dinge sachlich zu reden, immer ein Zeichen,
dass man damit Probleme hat, also von Verklemmtheit und nie von
Moral. Und Ängste wie die (Sexual-)Scham, die uns drängen, dass wir die uns
angewachsenen Körperteile in jedem Fall vor anderen verbergen, weisen
auf eine gesellschaftlich verordnete Verklemmtheit hin. Das Gegenteil
von Verklemmtheit wäre ein bewusster Einbau von alledem in unser Leben
unter dem Gesichtspunkt eines sinnvollen Gebrauchs.
Dieses Bild von einem Nacktradeltag wurde mir
zugeschickt, sollte ich mit der Präsentation Rechte verletzt haben,
bitte ich um Nachricht. Ich wette, diese Frauen, die da ihre Kinder
nicht "hingucken" lassen, können mit ihnen nicht vernünftig reden und
schon gar nicht drüber lachen. Wo sind übrigens die Väter? Dazu gehört neben der Aufklärung junger Menschen über die rein biologische Seite vor allem die Information über die geistigseelischen Hintergründe. Nur wer hier ohne Behinderung durch sinnlose Tabus einen Überblick und mehr noch den Durchblick hat, kann die Ambivalenz und die Chancen und Risiken erkennen. Und diese Kenntnis ist Voraussetzung, dass er sich die eigenen Sehnsüchte vor sich selbst und wenn notwendig auch vor anderen eingestehen und aus verstandesmäßiger Furcht heraus eine Strategie im Hinblick auf ein Lebenskonzept entwickeln kann. Keinesfalls ist daher Großzügigkeit in der Bereitschaft zum Geschlechtsverkehr und schon gar nicht mit wechselnden Partnern Kennzeichen von Unverklemmtheit, selbst wenn das umgangssprachlich so bezeichnet wird. Denn solche Großzügigkeit ist eher ein Zeichen von Verdrängung der Einsicht in die verpasste Möglichkeit wirklicher Erfüllung der Harmonie bis hin zur innigsten Verschmelzung mit einem Gefährten, die mit dem Geschlechtsverkehr nun einmal möglich ist. Wer hätte das gedacht, auch die alten Römer waren verklemmt! Belege dafür, wie wenig Moral
und Verklemmtheit zusammen gehören, finden wir schon im alten Rom. Der Sittenverfall damals gerade auch in
sexuellen Dingen ist sprichwörtlich (als Beleg mag hier etwa die
Geschichte des Martyriums der "unbekannten Jungfrau" dienen, siehe
unter Märtyrer) - doch genau aus dieser
Zeit, in der alles "drunter und drüber" ging, also in der Spätantike,
gibt es die berühmten Bikinimädchen aus Piazza Armerina auf Sizilien:
Merkwürdig sind diese Bikinis
schon - ansonsten waren die Römer doch angeblich so frei! Foto:
Verfasser. Etwas Text hierzu findet sich unter http://www.aquaguide.com/cgi-bin/terrait/archives.cgi?category=1&view=3-02. Wenn das nicht ein Indiz dafür ist, dass Sittenverfall auch immer bedeutet, dass Menschen ihre Probleme mit ihrem Leben und eben vor allem mit ihrer Sexualität haben? Wie frei dagegen waren die frühen Christen, sie hatten nicht diese Probleme - sie wurden nackt getauft (siehe Taufe)! Dagegen dürfte das Relief über die Jonas-Legende auf einem christlichen Sarkophag aus dem 3. Jahrhundert in den Vatikanischen Museen (oder im Römisch-Germanischen Zentralmuseum im Kurfürstlichen Schloss in Mainz - dort eine Kopie) nicht unbedingt ein Indiz für die christliche Freiheit sein, schließlich scheint es eher in der Tradition vorchristlicher römischer Reliefkunst zu sein (siehe etwa das Relief zum Stichwort Himmelfahrt), wenn jetzt auch mit Figuren aus dem christlichen Denken. Doch immerhin, die Nacktheit des Propheten Jonas war kein Problem. Schauen Sie sich einmal an, wie Jonas nackt ins Meer geworfen wird und sich nach seinem Abenteuer im Bauch des Meeresungeheuers unter einem Baum ausruht! Heute wären solche Darstellungen jedenfalls unmöglich! Kennen wir nicht heute dieselbe Verklemmtheit aus Amerika? Und kommt nicht gerade von dort die ganze Pornowelle, schauen Sie doch einmal in Ihre Mailbox, wenn die nicht gerade durch einen Spamfilter von so etwas freigehalten wird... Hier eine besonders hübsche Zeitungsnotiz: Weibliche Galionsfigur verschreckt Schulklasse Gut ist natürlich nicht, was laut Meldung in der WELT vom 22. März 2007 ein Voyeur getan hat, ob das aber mit 8 Jahren Gefängnis zu bestrafen ist, das ist doch wohl schlichtweg ver-rückt. Ob es nicht auch eine Auflage des Gerichts zu einer (ambulanter) psychiatrischer Behandlung getan hätte? Ich zitiere: Voyeuer filmt heimlich mehr als 100 Frauen Ein US-Bürger muss acht Jahre ins Gefängnis, weil er mehr als 100 Frauen heimlich gefilmt hat. Der 40jährige William Rowley war von einem Gericht im US-Bundesstaat Kalifornien für schuldig befunden worden, sich entkleidende, schlafende oder duschende Frauen ohne ihr Wissen aufgenommen zu haben. Wenn ich mir vorstelle, dass zu den Richtern möglicherweise Typen gehörten, die in ihrer Jugend unschuldige Mädchen zum Sex bequatscht und damit wirklich etwas zerstört hatten, dann besteht doch hier überhaupt keine Verhältnismäßigkeit. Oder noch "so etwas" aus der WELT vom 7. September 2004: Männern mit nacktem Oberkörper droht in der philippinischen Hauptstadt Manila künftig ein Bußgeld von 500 Peso (etwa acht Euro). Der Chef der Behörde für Entwicklung in Manila, Bayani Fernando, sagte, der Anblick halb nackter Männer sei ein Zeichen für den "Verfall moralischer und kultureller Werte". Wenn etwa moslemische Frauen sich verschleiern (siehe Kopftuch), was wir nicht so tun, oder wenn bei Bildern oder Statuen von nackten Männern aus längst vergangenen Zeiten die Geschlechtsteile nachträglich durch Übermalung oder mit Feigenblättern aus Gips verhüllt wurden, dann wittern wir Verklemmtheit, ohne zu bedenken, wie wir selbst darin verstrickt sind. Und unsere Ängste zeigen sich nicht nur in unserer (Sexual-)Scham, sondern trotz all unserer angeblichen Modernheit auch sonst: Was ist es denn anderes als Verklemmtheit, wenn eine Mythologie, bei der es wie in der Adam-und-Eva-Erzählung um einen Angriff auf die kultische Prostitution (siehe Tempelprostitution) geht, so verfälscht wird, dass das niemand mehr erkennen kann und der heutige Zuhörer meint, es ginge um Gehorsam beziehungsweise um Ungehorsam und um das Essen eines (verbotenen) Apfels? Da sich oft jedoch alte Geschichten kaum so leicht unsexuell umdeuten lassen wie die Geschichte der angeblich ersten Menschen, wird gerade für den Schulgebrauch darauf geachtet, dass von vornherein nur unverfängliches anderes Material verwendet wird. In diesem darf dann vor allem nichts auf die Ambivalenz der Sexualität hinweisen. Bisweilen fällt das nicht ganz leicht, weil gerade sie weitgehende Thematik unserer Kulturproduktion ist. Und so bleiben etwa bei der pädagogischen (oder eher verklemmten) Auswahl von Opernstoffen für den Musikunterricht eigentlich nur zwei Werke übrig: Webers "Freischütz" und Mozarts "Zauberflöte", wobei die "Zauberflöte" als freimaurerisches Weihespiel mit Sicherheit nicht für den Musikunterricht an Nonnenschulen geschrieben wurde (wo sie so gerne eingesetzt wird)! Auch aus anderen Kulturbereichen wird üblicherweise alles aus der Öffentlichkeit verbannt, was auf Sexuelles hinweist. Der Direktor des Louvre-Museums in Paris meinte so vor einiger Zeit, dass er ein Drittel seines Bestandes deshalb gar nicht zeigen könne, "weil es zu obszön sei". Moralisch wirksam ist solche verklemmte Auswahl für junge Leute jedoch keineswegs, auch wenn ein moralischer Schein erweckt werden soll, denn das alles ist ja ein Indiz dafür, dass immer noch zumindest ergänzende Informationen für wirkliche Moral und jegliche sinnvolle Auseinandersetzung bei ihnen verhindert werden. Nicht nur das hartnäckige und irrationale Festhalten an der Scham ist im allgemeinen ein Kennzeichen von persönlicher und kollektiver Verklemmtheit, auch das Gegenteil davon, ein verkrampfter Umgang mit der Nacktheit kann es sein (etwa bei Exhibitionisten). Skeptisch sollten wir immer dann werden, wenn Menschen die Orte und Zeiten, wo Nacktheit eigentlich angebracht und unproblematisch (Bad in Sonne oder Wasser) oder nicht angebracht ist (etwa schon zu geringe Bekleidung beim Kirch- oder Theaterbesuch) durcheinander bringen. Ob wir da nicht alle (noch) mehr oder weniger verklemmt sind? Nicht zuletzt: Die ganze Verklemmtheit hält doch kein gesunder Mensch aus, da muss man geradezu ausbrechen! Wem nützt sie also? Ganz bestimmt nicht dem gutwilligen Menschen selbst! Gerade in verklemmten Gesellschaften und bei verklemmten Menschen haben die Don-Juan-Typen doch immer die größten Chancen und schaffen es, alles durcheinander zu bringen! Wir werden sozusagen offen für eine Befreiung, die ja auch eine Art Erlösung ist, nur dass sie uns nicht wirklich weiterbringt! Verklemmtheit ist also für wirkliche Moral immer äußerst kontraproduktiv! Und wie befreit man sich wirklich? Stellen wir uns vor, wir beginnen bei einer Bergwanderung in einem bewaldeten Tal und brauchen einen Gefährten, um die Möglichkeiten und die Schönheiten der Natur bei der Wanderung auch voll auszuschöpfen. Allerdings haben wir ja zunächst noch keine rechte Ahnung, was es so alles gibt, selbst wenn man uns weiß Gott was erzählt hat. Wenn wir uns nun gleich am Anfang auf einen Gefährten festlegen, dann kann es sein, dass der für uns der absolut falsche ist! Wer also wirklich Ansprüche hat, der wählt erst einmal einen und ihn testet seine Verlässlichkeit, seine Ausdauer, seinen Sinn für die Schönheiten der Natur, seine Geschicklichkeit, etwas durchzusetzen - und das beruht durchaus auch auf Gegenseitigkeit! Und wer es auf diese Checks nicht drauf ankommen lässt, der zeigt doch damit, dass er entweder keine Ahnung hat oder schlicht und ergreifend nicht fair ist? Und wenn man ohne vollendete Tatsachen den ersten Berg erreicht hat, dann weiß man vielleicht schon eher, was es so alles gibt und was man wirklich will! Ansonsten geht man nun wirklich das Risiko ein, aus dem Tal nie so recht herauszukommen und nie das zu verwirklichen, was in einem steckt! Schaut einmal in die Stichwörter Gandhi-Methode und Kybernetik oder in das GESPRAECH 9, was so alles an ersten Bergen möglich ist, um sich von sinnlosen Verklemmtheiten im Hinblick auf die Sexualität zu befreien und einen eigenen Geschmack zu bekommen, was es so alles gibt und welche Chancen die Überwindung der Verklemmtheit eröffnen. Leider überspringen fast alle Menschen (bisher) diese Phase der "Vorsichtig-Testens", siehe auch Phase der Ästhetik... (Wörterbuch von basisreligion und basisdrama) |