CHRISTLICHER GLAUBE (Basislexikon: kompetent-kritisch-konstruktiv)

Der CHRISTLICHE GLAUBE (CHRISTLICHER GLAUBE, CHRISTENTUM) ist eigentlich "nur" der Versuch einer Reformierung des degenerierten jüdischen Glaubens seiner Zeit durch Jesus, doch wurde daraus schließlich die zweite der drei großen Religionen mit dem Glauben an einen einzigen Gott (siehe Monotheismus, der Islam bezeichnet sich selbst als die dritte). Von diesem Ansatz her ist folglich auch das Gottesbild im christlichen Glauben ein völlig anderes als in den typischen übrigen Religionen, ja, der christliche Glaube ist eigentlich gar keine typische Religion, sondern eine Lebenseinstellung, deren Ziel eine bessere Welt hier und jetzt ist. Ansatzpunkt ist das Verhalten jedes einzelnen Menschen. Und so wie viele kleine und relativ schwache Magnete einen großen und starken Magneten ergeben, so ist auch Idee des christlichen Glaubens, daß es durch die Veränderung der vielen einzelnen Menschen schließlich zur Änderung der gesamten menschlichen Gemeinschaft hin zum Besseren kommt.

Dieses Konzept einer Utopie oder noch mehr noch des Paradieses hier und jetzt und die Hoffnung auf ein menschlicheres Zusammenleben aller Menschen motivierte in der Geschichte der Urkirche zunächst einmal die Verachteten und die Ausgebeuteten - und das waren damals vor allem die Sklaven und die Frauen.

Diese benachteiligten Menschen sahen in der christlichen Botschaft die Chance, hier und jetzt zu einem erfüllten und würdevollen Leben zu kommen oder dieses lebenswertere Leben wenigstens ihren Kindern und Kindeskindern zu ermöglichen, während die herrschenden Religionen im Grunde immer nur die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zementierten (siehe Religionskritik).

Leider erfüllte sich diese Erwartung nicht so schnell, wie es der Begeisterung der ersten Christen entsprach, denn dazu hätte auch eine Änderung der gesellschaftlichen Strukturen gehört, und bestehende gesellschaftliche Strukturen lassen sich nun einmal nicht ohne weiteres von heute auf morgen ändern - möglicherweise hatten auch die ersten Verkünder der Botschaft etwas voreilig jedem alles versprochen.

Und so mischte sich in Ahnlehnung an die bekannten Priesterreligionen in die diesseitige Erwartung unter dem Einfluß von Gedanken, die der Botschaft Jesu im Grunde fremd waren (siehe Gnosis und Vielgöttereien), sehr bald die Hoffnung auf die entscheidende Erneuerung der Menschen erst nach ihrem Tod. Das Leben hier auf Erden wurde damit lediglich zur Vorbereitung und zum Prüfinstrument auf und für das eigentliche zukünftige Leben und war damit nicht mehr Sinn und Zweck der Botschaft Jesu an sich. Und aus dem Jesus, der hier und jetzt etwas ändern wollte, wurde der Christus, also der erste Priester, der sich vor allem um das irrationale Leben nach dem Tod sorgte.

Damit wurde auch die Vorstellung von einer Erfüllung unseres Menschseins in einer Liebe der Einheit von Leib und Seele, so wie sie eigentlich nur verstanden werden kann, wenn sich Jesus als Junggeselle beispielsweise mit Prostituierten unterhalten hatte, in eine Ausübung von Nächstenliebe umgedeutet.

Gleichzeitig verloren so auch viele andere Bestandteile der christlichen Botschaft ihren Sinn und wurden unverständlich. Sie bekamen schließlich nur noch eine dogmatische oder kultische Bedeutung, wie wir sie heute kennen (siehe Dogmatik, Symbol).

Im einzelnen scheinen vor allem fünf Gründe für die Dekadenz (den Verfall) unseres Glaubens verantwortlich zu sein:

1.   Die Verständnislosigkeit und (allerdings) auch Hartherzigkeit der meisten Menschen vor zweitausend Jahren wie auch heute für die Möglichkeit und Großartigkeit einer diesseitigen Einheit von Leib und Seele, die sich ja letztlich in der vollen Harmonie einer Gemeinschaft von Mann und Frau erweist. Für Menschen, die diese Harmonie im eigenen Leben verpaßt haben, besteht sehr oft so etwas wie eine innere Verweigerung zu einem Zugang (siehe Mauern in den Köpfen). Sie können einfach nicht erkennen, daß es hier noch etwas gibt, was für sie nicht mehr möglich ist. Nicht umsonst hielt Jesus die Möglichkeiten der Verwirklichung dieser Harmonie, also das Reich Gottes, eigentlich nur für Kinder möglich, also für Menschen, die alle wichtigen Entscheidungen des Lebens noch vor sich haben. Prostituierte und andere verachtete Menschen, mit denen Jesus sprach, mögen sein Anliegen dennoch begriffen haben, vor allem, weil sie wohl diejenigen Menschen waren, die sich nun wirklich nichts mehr vorzumachen brauchten und von daher absolut nüchtern und klar sehen konnten. Dagegen hatten Menschen des Establishments, die sich sehr religiös fühlten, hier eher unüberwindliche Schwierigkeiten.

2.   In den ersten Jahrhunderten wurden die Christen sehr oft verfolgt. Sie waren also dazu verurteilt, Kraft für ihren Alltag bei Zusammenkünften im Geheimen zu schöpfen. Das war am ehesten dort, wo sie von den damaligen Gesetzen her geschützt waren, also bei den Begräbnisstätten der Toten, in den Katakomben. Der nahe Kontakt mit den Toten - und da vor allem auch mit denjenigen, die wegen ihrer christlichen Idee von einer besseren Welt hingerichtet worden waren - brachte es fast schon automatisch mit sich, daß aus christlicher Diesseitshoffnung immer mehr eine Jenseitserwartung wurde.

3.   Um den christlichen Glauben attraktiver zu machen, kamen recht bald nach Jesu Tod Legenden über Jesus auf und wurden bereitwillig angenommen, die das Ziel hatten, ihn im Bewußtsein der damaligen Menschen aufzuwerten (siehe Kerygma und Jungfrauengeburt, Auferstehung, Himmelfahrt, Wunder). Diese Legenden verfälschten schließlich die Idee Jesu völlig.

4.   Gerade im vorderorientalischen Bereich, wo der christliche Glaube zunächst im großen Stil Fuß faßte (Syrien, Ägypten), verzweifelten manche der frühen Christen, weil sich die christliche Botschaft in der Gemeinschaft doch nicht so recht verwirklichte. Ihre Mitmenschen wurden zwar nach außen hin christlich, blieben jedoch in ihrem Innersten und in ihrer Lebenspraxis ziemlich genauso machistisch strukturiert, wie sie früher waren. Nur zu oft gaben sie da auf und suchten die Einsamkeit der Wüsten auf, um das einzige ihnen noch möglich Erscheinende zu machen, nämlich unter eigener Entsagung für die Verwirklichung des Anliegens Jesu zu beten. Dabei blieb es nicht aus, daß sie aus ihrer Entsagungssituation heraus die Botschaft Jesu sozusagen neu prägten. Damit leisteten sie leider ihren Beitrag zu einer immer weltfremder werdenden Theologie, nach der nicht mehr Bewältigung des Lebens mit Leib und Seele, sondern Verachtung des Lebens und Einsamkeit, Erkenntnis und Gemeinschaft mit Gott zu den höchsten christlichen Idealen wurden. Solches Verhalten können wir gewiß mit Verdrängung bezeichnen.

Und da von diesen frühen Mönchen auch die Gestaltung der christlichen Erziehung überhaupt geprägt wurde, wurden bei der Erziehung der nachfolgenden jungen Menschen diese jetzt nicht mehr zu einer Bewältigung des Lebens in der Einheit von Leib und Seele geführt, sondern man versuchte aus dem Mönchsideal heraus sie eher zu kleinen Mönchen und Nonnen zu machen. Da das in der Praxis nicht gelang und die jungen Menschen - ohne brauchbare Anleitung für ihr Leben - erst recht wieder in die vorchristlichen Fehler (Sünden) verfielen, wurden Vergebung dieser Fehler und Vertröstung auf ein Paradies in einem Leben nach dem Tod immer mehr zum letzten Sinn der christlichen Botschaft.

5.   Da vieles in dem sich immer mehr verzerrenden Christentum so ähnlich klang wie das, was von den Lehren der zeitgenössischen Gnosis mit ihrem Dualismus bekannt war, driftete die Botschaft noch mehr in diese Richtung "übliche Priesterreligion". Damit machten sich auch im Christentum wieder die für die nichtmonotheistischen Religionen oder Vielgöttereien typischen irrationalen (also nicht verstandesmäßigen) Klischees breit: Wunderglaube, Jenseitsglaube, Diskussionen von angeblichen Glaubenswahrheiten (siehe Dogmatik, Wahrheit), Feste und Gedenktage im Zusammenhang mit der Verehrung und zur Beeinflussung der Gottheit, Verfolgung Abtrünniger. Diese irrationalen Klischees haben jedoch nichts mit wirklich christlichem Glauben zu tun und stehen im Widerspruch zu wirklicher Nachfolge Jesu, die wir Christen anstreben sollten. An uns liegt es, daß wir die irrationalen Verfälschungen unseres Glaubens überwinden und wieder zu den rationalen Anliegen der Botschaft Jesu von der Einheit von Leib und Seele hier und jetzt zurückfinden.

Ob eine Rückkehr zum wirklichen christlichen Glauben möglich ist, also dem, was der wirkliche (oder der historische) Jesus wollte?

Warum nicht? Wir haben heute sehr gute Möglichkeiten, sein ursprüngliches Anliegen herauszubekommen - und wir haben eigentlich auch das erste Mal die Chancen, das alles umzusetzen, nicht zuletzt haben auch die Kirchen nicht mehr die Macht, alles zu unterdrücken, was ihnen nicht paßt. Eine Reformation im Sinne Jesu ist in greifbare Nähe gerückt! Doch dürfte es sich dabei nicht mehr um eine Priesterreligion handeln, und Jesus ist damit auch nicht mehr der Christus. Die Bezeichnung "Christen" für die Anhänger des Jesus dürfte dann auch nicht mehr passen. Wir müssen immer bedenken, dass Jesus Jude war - und nur vor dem jüdischen Hintergrund richtig verstanden werden kann! Siehe unter Jüdischer Jesus.

HEFT 1 gibt es auch auf Englisch: To the happiness of the high love!