JÜDISCHER
JESUS.
Jesus war nun einmal Jude - und er kann
nur vor dem jüdischen Hintergrund verstanden werden.
Hier dazu ein Text aus dem Heft 2 "Erst einmal Spaß mit
Paradieserlebnissen!"
Mitakteure
im Sinne des Messias Jesus
Der
jüdische Religionswissenschaftler David Flusser
(1917 – 2000, er
hat vor allem das Neue Testament aus jüdischer Sicht
erforscht)
sieht es als eine der verhängnisvollsten
Entwicklungen der
Christenheit, „dass die Christen sich nicht mehr –
wie am
Anfang – als Mitakteure des Messias Jesus“
verstehen, sondern sie
„haben die Bühne verlassen, lassen Jesus ein
Ein-Mann-Stück
spielen, setzen sich ins Parkett, glauben an ihn,
beten ihn an, aber
schauen ihm nur noch zu.“
Ich
nehme mir hier einmal die Freiheit, dieses Zitat als
Anregung zu
nehmen, zu fragen, wie es laufen müsste, dass wir
wieder blutvolle
Mitakteure im Heilsplan Jesu werden.
„Mitakteure“
bezieht sich nun auf ein Theaterstück, also auf ein
Drama, auf eine
Oper oder auf einen Kinofilm. Damit ist also wohl
kaum unser üblicher
religiöser Kult gemeint, dass also der Pfarrer vorne
etwas
zelebriert – und die Kultbesucher beteiligen sich
mehr oder weniger
andächtig. Oder geht es um Mitspieler in
Krippenspielen?
Wohl kaum. Oder um Mitspieler wie bei den
Passionsspielen von
Oberammergau? Auch wohl kaum, denn, selbst wenn
diese Geschichten
um Jesus wahr und dramatisch sein mögen, so sind es
doch einmalige
Geschehnisse aus längst vergangener Zeit, die in
ihrer Gesamtheit
nichts mit unserem Leben zu tun haben. Wir sind hier
letztlich immer
nur Zuschauer in einem Mysterienkultspiel – wie im
Grunde selbst
die Mitspieler.
Auch
sonstige Theaterstücke, selbst mit religiösem Thema,
ich denke
hier etwa an „Die letzte am Schafott“ von Gertrud
von Le Fort,
lassen uns – und erst recht junge Menschen – nur
Zuschauer sein,
selbst wenn wir angesprochen und betroffen sind und
auch noch
hinterher lebhaft drüber diskutieren. Ja, sind wir
nicht auch von
jedem gut gemachten Theaterstück oder Film
angesprochen?
(In dem Stück „Die letzte am Schafott“, das vor etwa
220 Jahren
in Frankreich zur Zeit der Französischen Revolution
spielt, geht es
darum, dass die einfache junge Nonne Blanche das
Kloster der
Karmelitinnen in Compiègne verlässt, weil sie Angst
hat. Als die
Nonnen nun zum Tode verurteilt werden, singen sie
auf dem Schafott
unerschütterlich ihre Gesänge. Dabei wird der Gesang
immer leiser,
weil es wegen des Fallbeils, man hört es sausen, nun
einmal immer
weniger Nonnen werden. Und als die letzte Nonne
verstummt
ist, singt inmitten der gaffenden Menge Blanche
weiter, bis auch
sie von dem Gesindel erschlagen wird.)
Ein
ergreifendes Stück, das auch betroffen macht – doch
es geht auch
hier um eine Ausnahmesituation, die letztlich so
wohl niemanden
von uns betrifft und daher letztlich auch an uns
abprallt. Auch hier
sind wir alle lediglich Zuschauer. So auch in den
sicher sehr
geistreichen Mysterienspielen etwa eines Calderon de
la Barca...
Ja
welches Theaterstück wäre wohl eines, das uns
anspricht?
Ich
möchte hier auf ein menschliches Drama aus dem Leben
kommen,
das auf den ersten Blick eher nichts mit Religion zu
tun hat, schon
gar nicht mit der von Jesus gelehrten – und das doch
mit
einer„Jesuszutat“ (oder mit einem „Jesusakzent“) so
sehr
hätte „gewürzt“ werden können, dass es hätte
völlig
anders laufen können.
Wir
kennen gewiss die Oper Rigoletto von Guiseppe Verdi.
Ja genau,
dieser Verdi hat auch die Musik dazu geschrieben,
wenn das nicht ein
Indiz ist, dass es sich um einen wirklich
dramatischen Stoff handelt,
der uns alle etwas angeht. Es geht um den Hofnarren
Rigoletto an
einem Fürstenhof im 18. Jahrhundert, der seine
Tochter Gilda
abgöttisch liebt und der Angst hat, dass sie dem
Herzog, dem
Herrscher des Fürstenhofes, begegnet, ihm verfällt
und dass dieser
auch sie als Sexgespielin missbraucht, so wie er
auch die Frauen der
anderen Höflinge missbraucht. Daher versteckt er
seine Tochter,
nur in die Kirche darf sie gehen. Und es kommt, wie
es kommen muss,
Gilda begegnet dort einem netten Studenten, der in
Wirklichkeit
der verkleidete Herzog ist, und das Schicksal nimmt
seinen Lauf...
Die Oper endet mit dem Tod der Gilda und mit der
Verzweiflung
des Vaters, dass er nicht nur seine Tochter nicht
bewahren
konnte, sondern dass er es auch noch war, der im
Grunde schuld
an ihrem Tod ist.
Es
ist eine Geschichte, vielleicht überzeichnet,
vielleicht auch nur
konsequent zu Ende gedacht, die viele Väter
betrifft: Sie sorgen
sich um ihre Töchter, damit „genau das“ nicht
passiert, und doch
passiert es...
Als
nun meinen Kollegen und mich etwas abseits des
Zentrums von Saigon
(Vietnam) vor zwanzig Jahren dieses 14-jährige
Mädchen ansprach,
von dem ich immer wieder erzähle, erinnerte ich mich
recht schnell
an die Story der Oper Rigoletto. Ich mag vielleicht
auch ein Narr
sein, doch, so dachte ich, wäre es nicht für einen
Religionslehrer die Aufgabe schlechthin,
einmal ein Mädchen so zu erziehen, dass genau das
nicht
passiert wie bei Rigoletto und Gilda? Nein, kein
typisches
christliches Stück mit üblicher christlicher
Gläubigkeit und
Gottesdienstbesucherei, nicht zuletzt war das
Mädchen
auch Buddhistin, sondern „ein Stück mit alltäglichem
Hintergrund, der in allen Kulturen derselbe ist
oder
derselbe sein könnte“. Und wie man hier einmal
wirklich
pädagogisch-sachgerecht vorgeht, damit das Ziel
einer
hohen Moral auch wirklich erreicht wird. Christlich
würde
allenfalls meine Motivation sein, konsequent bei
einer Suche
nach dem geeigneten Weg zu sein. Und ich hatte ja
schon lange über
bessere Spielregeln nachgedacht, mit denen das auch
funktioniert, selbst in extremen Fällen. Was lag
also näher,
als die Gelegenheit beim Schopf zu packen, um sie
einmal zu
erproben und am Ende auch noch zu neuen
Erkenntnissen zu kommen?
Ja,
wie sieht eine Erziehung „in diesem Bereich“ denn
heutzutage in
unserem christlichen Glauben und dann auch in den
sonstigen
Religionen üblicherweise aus? Kann man irgendwo
etwas lernen? Gehen
wir die uns bekannten Religionen doch einmal
durch:
-
Christentum:
Junge Menschen sollten am besten gar nichts von
der Sexualität erfahren, die ja nun wirklich
etwas mit der Liebe zwischen Mann und Frau zu
tun hat. Allenfalls sollten sie erfahren, dass
auch die „Dinge der Vermehrung“ von Gott
geschaffen und daher gut sind. Insbesondere den
Mädchen wird nun eingeschärft, schamhaft zu
sein, weil die Scham die Schutzmauer der
Keuschheit, also auch einer christlichen
Ehemoral, ist. Wissenschaftliche
Untersuchungen, ob das mit der Scham so
funktioniert, gibt es jedoch nicht. Und dann ist
auch noch der Glaube das Wichtigste, denn wer
den rechten Glauben hat, macht auch in der
Sexualmoral alles richtig, über die muss also
auch gar nicht mehr besonders geredet werden, es
gibt eben so eine Art Glaubensmagie. Früher
drohte man dann auch noch mit Teufel und Hölle
für diejenigen, die sich gegen die Normen der
Keuschheit verhielten, diese Drohungen sind
wenigstens im allgemeinen vorbei. Und wenn die
Menschen dann etwas falsch gemacht haben, dann
gibt es in der katholischen Kirche ja die
Beichte und in der evangelischen Kirche die
Zusicherung der Vergebung für diejenigen, die
den rechten Glauben an Jesus Christus haben. Wie
man von vornherein alles richtig macht,
Fehlanzeige beziehungsweise frommes Blabla.
Orgasmuserlebnisse – insbesondere auch für
die Frau? Wozu braucht die Frau die, die sind
nicht nur völlig unnötig, haben sie nicht auch
etwas mit Pornoerlebnissen zu tun? Sie sind
also irgendwie sündig, am besten, ist, wenn die
Menschen und insbesondere die jungen Menschen
gar nichts davon wissen, dann kommen sie auch
nicht auf „dumme Gedanken“. Leider lässt sich
das Nichtwissen heute nicht mehr so leicht
vermeiden, das wird als Ursache der Verderbnis
heute gesehen. Und zur Belohnung für die, die
alles richtig gemacht haben oder eben auch die
Vergebung Gottes gewonnen haben, falls doch
einmal etwas falsch gelaufen war, gibt es dann
nach dem Tod die ewige Seligkeit, also die ewige
Anschauung Gottes.
In solchem Glauben muss wohl auch
Rigoletto seine Tochter erzogen haben –
erfolglos. Daher kommt so ein Glaube für ein
erfolgreiches „Jesusakzentdrama“ gewiss nicht
infrage.
-
Islam:
Im Prinzip ist es dasselbe wie in unserem
Glauben, auch hier darf mit den jungen Menschen
über „die Thematik“ nicht geredet werden.
Allerdings muss man sich die Vergebung Gottes,
oder eben Allahs, noch viel intensiver
erkämpfen, dafür ist dann das Leben nach dem
Tod auch noch viel konkreter paradiesischer, so
dass insbesondere man sich so richtig
darauf freuen kann. Wer im Kampf um den Glauben
umkommt, dem winken etwa im Paradies die siebzig
Jungfrauen und die Flüsse voller Wein. Hier
auf der Erde sieht das allerdings noch düsterer
aus als im klassischen Christentum: Drohungen,
wenn man und insbesondere frau
etwas falsch macht bis hin zur Steinigung bei
Ehebruch und Ehrenmord, wenn ein Mädchen die
Ehre der Familie befleckt, weil sie eine
unehrenhafte Beziehung angefangen hat, was
auch immer das meint. Und Orgasmus für die
Frau? Völlig überflüssig, eine Freude an dem
wäre für die Frau vor allem ein Schritt zum
Ehebruch, also am besten weg mit den
Körperteilen, die dafür zuständig sind! Auf
diese Weise sind weltweit um die 135 Millionen
Frauen beschnitten, zum allergrößten Teil
moslemische. Der richtige Glaube richtet auch
hier ansonsten schon alles, es gibt also auch
so eine Glaubensmagie wie im traditionellen
Christentum. Gerade wie frau es richtig
machen soll, auch hier Fehlanzeige. Und wozu
Freiheit? Es ist gerade auch für die Frau gar
nicht nötig zu wissen, wie sie es richtig
machen könnte, denn ihre Ehe wird ohnehin von
den Eltern eingefädelt. Die finden schon den
passenden Partner. Ob die Frau den Partner
wirklich liebt, ist nicht wichtig, „der Appetit
<auch an der Sexualität> kommt schon mit
dem Essen“.
-
Hinduismus:
Die Frau hat zu machen, was die Religion und die
Gesellschaft sagen. Die Ehe wird sowieso von den
Eltern eingefädelt, die Eltern der Frau müssen
auch noch eine ordentliche Mitgift dazu
geben, die sich am Beruf und an den
Vermögensverhältnissen des Mannes orientiert.
Je mehr der Mann hat, desto höher die Mitgift.
Was die Sexualität betrifft, gilt auch hier: Der
Appetit kommt schon mit dem Essen. Orgasmus für
die Frau: Unwichtig. Wenn sie alles richtig
macht, hat sie die Chance, nach dem Tod auf
einer höheren Stufe wiedergeboren zu werden,
irgendwann vielleicht auch als Mann, der sowieso
über ihr steht. Und wenn sie es nicht richtig
macht, das heißt, keine gute Ehefrau ist, dann
eben auf einer niederen Stufe, die kann dann
auch schon mal das Dasein eines elenden Tieres
bedeuten. Daher darf man im Hinduismus auch die
Menschen, die auf einer niederen Stufe leben
(also in einer niederen Kaste), verachten, denn
dieses niedere Kastendasein ist ja die Strafe
für diejenigen, die in einem früheren Leben
schlicht und einfach zu schlecht waren. Und wenn
Frauen ganz großes Pech haben, dann werden sie
schon in ihrer Kindheit einer Göttin als
Prostituierte geopfert, die dann „fromme
Männer“ für gottesdienstlichen
Geschlechtsverkehr aufsuchen (s. einen Beitrag
in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom
22.5.1989 „Im Tempel geweiht, dann in die
Bordelle von Kalkutta“ von Erhard Haubold).
-
Buddhismus:
Auch hier ist die Frau zweitrangig. Ein Mädchen
gehört zunächst einmal den Eltern, die
allerdings hier etwas praktischer denken als
Eltern im Hinduismus: Das Geld, das von ihnen in
das Mädchen für die „Aufzucht“ und für die
Erziehung reingesteckt wurde, muss irgendwie
wieder heraus kommen. Entweder es findet sich
für das Mädchen ein Ehepartner, der ihnen ihre
„Auslagen“ erstattet – oder sie verkaufen es –
selbst an einen Zuhälter. Orgasmus und sonstige
Erfüllung für das Mädchen bzw. für die spätere
Frau und was es bzw. sie tun kann, um hier etwas
zu erleben: Unwichtig. Und das Mädchen
beziehungsweise die junge Frau muss machen, für
was sie von den Eltern bestimmt ist, für ihren
Gehorsam wird sie dann einmal in einem Leben
nach dem Tod belohnt werden. Und wenn sie von
den Eltern zur braven Ehefrau vorgesehen ist und
dieses ihr Schicksal nicht voll moralisch
erfüllt, weil sie einfach in der Liebe zu dem
zugeteilten Mann frustriert ist und „schon mal
anderweitige Erfüllung sucht“, dann drohen auch
ihr die entsprechenden Folterqualen in einer
Hölle nach dem Tod. Natürlich kann man
und vor allem auch frau sich hier und
jetzt durch entsprechende Spenden für die Mönche
der Pagoden, so die ostasiatische Bezeichnung
für Tempel, von solchen Höllenstrafen
freikaufen.
Das alles ist gewiss nicht
überall in den genannten Religionen so und auch
kaum die offizielle Lehre, es steckt auch viel
Volksglaube darin. Doch ich denke, dass
letztlich entscheidend ist, was die Menschen
glauben, und nicht, was die Theologen erzählen.
Und wenn die jeweiligen Theologen wirklich nicht
mit dem jeweiligen Volksglauben einverstanden
wären, dann würden sie ja etwas dagegen tun.
-
Es scheint sinnvoll, auch einmal
die alten Religionen ins Gespräch zu
bringen: Ja, was war im alten Griechenland, im
alten Ägypten, in Assyrien und in Anatolien so
los, wie ging es in diesen Ländern den Frauen,
worauf wurden junge Menschen erzogen? Wir
bedenken dies kaum, schließlich geht es in
unserem Geschichtsunterricht nie oder nur
selten um das Alltagsleben. Jedenfalls waren
damals die Frauen mehr oder weniger überall
Menschen zweiter Klasse, wenn sie denn überhaupt
als Menschen galten. Das Schlimme ist ja, wenn
erst einmal irgendwo der Wurm drin ist, dann
ist er auch so leicht nicht wieder heraus zu
holen. Wenn also die Frauen erst einmal als die
Bösen und Hinterlistigen gelten, die nur darauf
aus sind, wie sie die Männer bezirzen und
betrügen können, dann wird man in allem, was
sie tun, ein typisches böses Verhalten wittern,
und Frauen schließlich auch als minderwertig
verachten und sie so ohne Gewissensbisse
benutzen, wie man es eben braucht. Und
wenn Frauen merken, dass ihnen von männlicher
Seite vor allem Misstrauen entgegen gebracht
wird und sie schließlich von den Männern mehr
oder weniger nur benutzt werden, dann geschieht
hier eine Art selbsterfüllende Prophezeiung:
Die Frauen werden auch so, wie ihr Ruf ist. Und
sie werden natürlich auch den Männern
gegenüber mit Misstrauen reagieren und sie so
gut es geht ausbeuten. Ein Teufelskreis – und
wie soll man aus dem herauskommen?
Ganz krass lief es im alten
Assyrien mit der kultischen Prostitution, die
selbst dem griechischen Geschichtsschreiber und
Reiseschriftsteller Herodot als besonders
abscheulich auffiel. Er schreibt: „Die
hässlichste Sitte der Babylonier dagegen
ist folgende: Jede Babylonierin muss sich
einmal in ihrem Leben in den Tempel der
Aphrodite begeben, dort nieder sitzen und
sich einem Manne aus der Fremde
preisgeben. Viele Frauen, die sich nicht
unter die Menge mischen wollen, weil sie
reich und hochmütig sind, fahren in einem
verdeckten Wagen zum Tempel; zahlreiche
Dienerschaft begleitet sie. Die meisten
Frauen dagegen machen es folgendermaßen.
Sie sitzen in dem Heiligtum der Aphrodite
und haben eine aus Stricken geflochtene
Binde ums Haupt. Es sind viele zu gleicher
Zeit da; die einen kommen, die anderen
gehen. Geradlinige Gassen nach jeder
Richtung ziehen sich durch die harrenden
Frauen, und die fremden Männer schreiten
hindurch und wählen sich eine aus. Hat
sich eine Frau hier einmal niedergelassen,
so darf sie nicht eher nachhause
zurückkehren, als bis einer der Fremden
ihr Geld in den Schoß geworfen und sich
draußen außerhalb des Heiligtums mit ihr
vereinigt hat. Wenn er ihr das Geld
zuwirft, braucht er nur die Worte zu
sprechen. `Ich rufe dich zum Dienste der
Göttin Mylitta.´ Aphrodite heißt nämlich
bei den Assyrern Mylitta. Die Größe des
Geldstücks ist beliebig. Sie weist es
nicht zurück, weil sie es nicht darf; denn
es ist heiliges Geld. Dem ersten, der es
ihr zuwirft, folgt sie; keinen verwirft
sie. Ist es vorüber, so geht sie nachhause
und ist der Pflicht gegen die Göttin
ledig. Wenn du ihr nachher noch so viel
bietest, du kannst sie nicht noch einmal
gewinnen. Die Schönen und
Wohlgewachsenen sind sehr schnell
befreit; die Hässlichen müssen lange Zeit
warten und gelangen nicht dazu, dem Brauch
zu genügen. Drei, vier Jahre müssen
manche im Tempel weilen. Auch auf Zypern
herrscht hier und da eine ähnliche Sitte.“
Von einem solchen „Brauch“ wird im Übrigen
auch im Alten Testament der Bibel
berichtet, im Buch Baruch, es scheint also
wirklich so oder so ähnlich gewesen zu
sein, wie Herodot es schreibt. Jetzt also
Baruch: „Die Frauen aber sitzen, mit
Schnüren umwunden, an den Wegen und
lassen Kleie in Rauch aufgehen. Sobald
nun eine aus ihrer Mitte von einem
Vorübergehenden mitgenommen worden ist
und sich ihm hingegeben hat, schmäht sie
ihre Nachbarin, weil diese nicht gleich
ihr für würdig befunden und ihre Schnur
noch nicht zerrissen wurde. Was immer bei
diesen Göttern geschieht, ist Trug. Wie
kann einer da glauben oder behaupten, dass
sie wirklich Götter seien?“
Ich stelle
mir hier einmal meine Mutter vor, die sehr
religionsgläubig war – was ihre Kirche
lehrte. Wenn sie damals in Assyrien gelebt
hätte, wäre sie sicher in dem damaligen
assyrischen Glauben genauso fromm gewesen.
Also hätte sie auf ihre alten Tage auch die
damaligen Bräuche mitmachen müssen, weil sie
diese in ihrer Jugend verdrängt und verpasst
hatte. Denn die mussten ja angeblich
irgendwann sein, auch um Krankheit und anderes
Unglück von sich selbst und von ihrer Familie
abzuwenden – also lustig war das ganz gewiss
nicht ...
(Anmerkung
zur kultischen Prostitution: Die Geschichte,
die hier Herodot und Baruch erzählen, ist nur
eine Weise, wie so etwas läuft, eine andere
ist die, dass es richtige Tempeldirnen gibt,
die durchaus auch von frommen Eltern
„gestiftet“ wurden, und die das mit den
Pilgern sozusagen professionell machen.)
-
Jüdische
Religion: Sie muss vor allem als
Gegenentwurf zu den Religionen gesehen werden,
die es in der antiken Welt gab und die etwa
unserem heutigen Hinduismus und auch
Buddhismus sehr ähnlich sind. Doch es geht
nicht nur um Religion. Wir müssen ja bedenken,
dass die Juden die ehemaligen Sklaven der
Ägypter waren, die sich unter dem genialen
Führer Moses freigekämpft hatten. Von daher
hatten sie eine ganz besondere Beziehung zum
Nicht-Sklave-Sein und zur Ehre und Würde eines
freien Menschen. Daher ist – wenigstens
zunächst einmal – bei ihnen vieles anders als in
diesen anderen Religionen und Gesellschaften.
Jedenfalls müssen wir vor diesem Hintergrund
die rigiden Sexualge- und vor allem -verbote
der (alten) Juden sehen, etwa dass Sex nur in
der Ehe stattfinden darf. Denn ohne solche
Gebote würde doch schließlich etwa genau
dieselbe Gleichgültigkeit und
Verantwortungslosigkeit gegenüber der Frau
wieder einreißen, wie sie es in den
Vielgötterei- und Sklavereigesellschaften
gab.
Der Gott des Judentums – immer
wenigstens zunächst einmal – war nun eher ein
konstruierter Gott, der vor allem die Aufgabe
hatte, die anderen Götter zu entthronen, zu
deren Kult ja alle diese typischen religiös
bedingten Ängste und Zwänge gehörten. Es ist
müßig, nach der tatsächlichen Existenz dieses
Gottes zu fragen, wie gesagt, er war ja eher
konstruiert. Die jüdische Religion war hier
sehr lebenspraktisch: Gegen die Macht „kaputter
Götter“ konnte man nun einmal nur mit einem
größeren und vor allem mächtigeren Gott
ankommen. Die „Gebote“ für diesen Gott kennen
wir in den Zehn Geboten. Diese Gebote dürfen
jedenfalls nicht als Gesetze gegen unsere
menschliche Natur verstanden werden, sondern
eher als Spielregeln freier Menschen in einer
heilen Welt, oder auch als Spielregeln des
Paradieses – hier und jetzt, die jeder
vernünftige Mensch nur zu gerne befolgt. Er
muss allerdings den Sinn kennen und attraktive
Wege der Umsetzung in die Praxis. Nicht zuletzt
gibt es auch keine Strafandrohung in einem Leben
nach dem Tod für diejenigen, die diese Gesetze
nicht befolgen. Die Juden glaubten zwar auch an
eine Seele des Menschen, doch auch daran, dass
im Tod die Seele stirbt wie der Körper stirbt.
Vor allem die
Einstellung zur Sexualität und die Stellung der
Frau unterscheidet sich von der in den anderen
Religionen absolut: Die Frau ist nicht
Dienstmagd und Prostituierte des Mannes oder der
Männer, sondern gleichberechtigte Partnerin
eines Mannes. Die Sexualität hat nicht nur den
Zweck, Nachkommen zu zeugen, sondern auch das
Leben der Eheleute zu verschönern. Das heißt,
nicht nur der Mann darf den Orgasmus erleben,
sondern auch die Frau, ja, das Judentum ist die
einzige Religion (wenn man hier überhaupt von
Religion sprechen kann), in der auch die Frau
den Orgasmus nicht nur erleben darf, sondern
sogar erleben soll – auch dazu ist übrigens der
Sabbat da, der freie Tag in der Woche. Ich
denke, es ist sinnvoll, wenn ich mich
wiederhole: Es gilt bei den Juden gerade
deswegen die strenge Einehe, weil nur sie die
Lebensweise ist, die sich von den
ausbeuterischen und menschenverachtenden
Praktiken in den Vielgöttereien und
Sklavereigesellschaften wirklich
unterscheidet. Und wenn es andere Einstellungen
und Praktiken und Strafandrohungen im Judentum
gibt, dann sind das spätere Entwicklungen, die
beeinflusst sind von den anderen
Religionen, die es ja in der Umwelt des
jüdischen Volkes immer noch gab – und gegen
deren Einfluss man sich leider nicht immer
wehren konnte.
Verständlich,
dass Kinder nun zu diesem höheren Menschsein
erzogen werden. Aber eben wie?
Und
wie sähe also nun eine Erziehung aus, durch die das
Drama der Rigolettotochter Gilda einen anderen,
einen positiven Verlauf
genommen hätte?
Das
„Alles-laufen-Lassen“ und sich gar nicht in die
Angelegenheiten
junger Menschen einmischen, wie es der Ansatz der
modernen heutigen
Sexualerziehung ist, damit die jungen Leute wirklich
frei in ihren
Entscheidungen sind, kann es ja wohl nicht sein. Das
würde
einerseits in dieser Rigolettogeschichte doch
sowieso keine positive
Lösung bringen und andererseits: Wo sind wir hier
denn wirklich
frei? Es gibt doch immer noch den Druck der Umwelt
auf die jungen
Leute – und dieser Druck ist nur zu oft mehr als
primitiv und
manipulativ. Ich verweise hier auf die Einstellung
der
Abiturientin zu Beginn von Heft 1. Woher mag die
ihre völlig
unausgegorene Einstellung denn haben – aus sich
selbst doch
sicher nicht? Zudem darf man gar nicht alles einfach
so laufen
lassen, weil dann Minderjährigenschwangerschaften
und
Geschlechtskrankheiten vermutlich überhand nehmen
würden. Und „nur“
so eine entsprechende „tolerante“ Sexualerziehung,
um diese
negativen Folgen zu verhindern? Das kann es doch
auch nicht sein:
Einerseits wird durch die implizit gesagt, dass
alles in Ordnung ist,
was junge Leute auch immer treiben, und
andererseits ist die
sozusagen eine Kapitulation oder auch eine Art
Offenbarungseid! Ist
sie nicht das Eingeständnis, dass Pädagogen nicht
weiter
wissen und nun versuchen, Ihre Hilflosigkeit schön
zu reden,
also aus der Not eine Tugend zu machen? Wenn das
nicht der Verfall
der Sexualpädagogik schlechthin ist!
Und
wo bleibt die Möglichkeit einer ganz großen Liebe,
die doch in
jedem von uns steckt, oder zumindest in unserer
Jugend einmal
steckte?
Also
doch wieder eine traditionelle Erziehung?
Der
traditionelle christliche Weg mit seiner Erziehung
zu Glauben,
Bravheit und „Wahrung der Intimsphäre“ (wie man
die Scham heute
euphemisch umschreibt) bringt es nun einmal nicht,
daher „kein
Thema“. So auch der islamische, der hinduistische
oder der
buddhistische Weg – sie bringen allesamt nichts
für freie
Menschen oder sie funktionieren von vornherein gar
nicht. (Siehe
hierzu die Statistik in der Website
https://de.statista.com/statistik/daten/
studie/232298/umfrage/durchschnittliche-anzahl-der-sexualpartner-in-europaeischen-laendern/
:
die türkischen jungen Leute haben im Alter von 15
bis 20 Jahren im
Durchschnitt noch mehr Sexualpartner als die
deutschen jungen
Leute – trotz Kopftuch und häufigen
Teilnahmeverbot am
schulischen Schwimmunterricht. Man muss
allerdings nicht
immer auf die Mängel dieser Religionen hinweisen,
es reicht,
die Vorzüge einer Religion darzustellen, die es
wirklich bringt
oder wenigstens bringen könnte!)
Am
Brauchbarsten sieht hier vielleicht noch das aus,
was der jüdische
Glaube zu bieten hat. Es fehlt, zumindest im
ursprünglichen
jüdischen Glauben, die Fixiertheit auf die Scham wie
auf ein
unumstößliches Dogma als Bedingung für eine hohe
Moral –
also ist zumindest der ursprüngliche jüdische
Glaube offen für
Kreativität bei der Suche nach einem Weg, der zum
Ziel führt.
Insofern war auch Jesus ein typischer Jude – ihm
ging es ganz
gewiss um eine hohe Moral, doch dass er von der
Scham geredet
hat, ist nicht überliefert. (Das ist für viele ein
Beweis, dass er
gar nicht über irgendeine Sexualmoral geredet hat –
was nun
tief auf diese „vielen“ schließen lässt, was die
sich unter
Moral vorstellen.) Jesus ging es eben um eine echte
Moral und nicht
um eine Scheinmoral.
Ja,
Jesus war nun einmal Jude, und wenn wir ihn richtig
verstehen wollen,
dann müssen wir unbedingt vom jüdischen Denken
ausgehen. Der
flotteste Vergleich ist hier vielleicht der mit
irgendeinem Witz.
Witze leben ja davon, dass in ihnen etwas nicht
gesagt wird, was
eigentlich jeder weiß, dass also jeder den
Hintergrund kennt. Nur
vor diesem Hintergrund kann man einen Witz überhaupt
verstehen.
Eine andere „Geschichte“ ist die mit dem
„Bekenntnis“ eines
meiner Theologieprofessoren, der von sich angeblich
gesagt hatte,
dass er nicht „gläubig“ sei – für einen katholischen
Theologieprofessor eigentlich eine
Ungeheuerlichkeit. Doch
was hatte er denn wirklich gesagt? Tatsächlich hatte
er gesagt: „Ich
glaube nicht“ – doch das war nur der erste Teil
eines Satzes, der
zweite Teil lautete „dass morgen schönes Wetter
ist“... Es
kommt also immer auf den Zusammenhang an!
Und
wenn wir nun den Zusammenhang weglassen oder den
Hintergrund
verdrehen, kommt nur Unfug dabei heraus. Leider
haben wir, was Jesus
betrifft, nun seinen jüdischen Zusammenhang oder
Hintergrund
fast komplett verloren und ihn durch einen
griechischen, ägyptischen,
römischen, germanischen und überhaupt
allerweltreligiösen
Zusammenhang beziehungsweise Hintergrund ersetzt.
Damit kann
Jesus nun gar nicht richtig verstanden werden – und
damit kam auch
etwas völlig anderes heraus, als um was es ihm ging:
Nämlich um
eine Auffrischung des zu seiner Zeit ziemlich
verfallenen
jüdischen Glaubens. Die Folge nach David Flusser
war, dass die
Gläubigen nicht mehr „Mitwirkende im Drama Jesu“
waren und
sind, sondern sie wurden mehr und mehr nur zu
Zuschauern.
Wir
wissen nun nicht, wie die „frühjüdische“ Sexual-
oder besser
Liebesmoralerziehung aussah. Offensichtlich war sie
jedoch völlig
anders als bei den anderen Völkern bzw. Religionen,
weil die Idee
und das Ziel anders waren. Die Indizien sprechen für
eine
Gleichwertigkeit der Frau, für auch ihre Freude an
der
Sexualität, für eine hohe Moral, für keine
grundsätzliche
Verdammung der Nacktheit, damit auch für die
Möglichkeit der
Überwindung der Scheinmoral, für keine Herrschaft
des einen
Geschlechts über das andere. Alte Menschen kennen
noch das
geflügelte Wort, wenn es einmal in einer Klasse
oder in
einer anderen Gruppe junger Menschen laut zugeht:
„Hier ist´s ja
wie in einer Judenschule“ – was eher negativ
gemeint war.
Doch der Hintergrund ist eigentlich unbedingt etwas
Positives: Es
muss nicht brav nachgebetet werden, was „der da
vorne“ sagt,
sondern es darf auch bei jungen Menschen über alles
diskutiert
werden, und auch lebhaft! Juden sind offen!
Wie
eine konkrete Erziehung aussehen könnte, in der
entweder Gilda
„gewinnt“ oder eben im konkreten Fall zumindest
nicht verliert
oder wo es sogar zu einer Win-Win-Situation für
beide Seiten kommt,
das wäre eben die Version von Rigoletto mit echt
christlichem
Akzent, d. h. mit einem Akzent, der im Sinne Jesu
ist. Und wir hätten
ein Modell, wie auch wir Mitwirkende im Drama Jesu
sind. Die einen
als Mitspieler, andere als Autoren und wieder
andere als
Regisseure.
Ja,
„der Fall Rigoletto“ ist vielleicht eher etwas für
„Bildungsbürger“. Im Punkt „Pädagogische
Handreichung“
komme ich auf den Film „Kids“ zu sprechen. Der
dürfte eher die
„Nichtbildungsbürger“ ansprechen. Wichtig ist ja
nur, dass
sich alle dort treffen, wo es um eine hohe Moral
geht, die auch für
junge Menschen attraktiv ist und die ihnen Spaß
macht.
(Wörterbuch von
basisreligion und basisdrama)
Computer-Übersetzung des Buchs HONESTY AND FUN
WITH THE MORALITY ins Englische unter !
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