LEICHEN IM KELLER (Basislexikon: kompetent-kritisch-konstruktiv)

LEICHEN IM KELLER ist der umgangssprachliche Ausdruck für eine erhebliche seelische Belastung aus der Vergangenheit eines Menschen (Trauma in der Sprache der Psychologen). Im allgemeinen handelt es sich dabei um eigenes Fehlverhalten in wichtigen Dingen, die etwa eigene Lebensträume oder diejenigen anderer entscheidend störten oder sogar zerstörten, daß man etwa seitdem mit Lüge und Heuchelei leben muß. Doch ist das Tückische bei "Leichen im Keller", daß vielfach eigene Schuld überhaupt keine Rolle spielt, weil die Ursachen etwa bei tragischen Geschehnissen in der Kindheit liegen, zu denen man beim besten Willen selbst gar nichts konnte. Ein treffenderer Ausdruck ist daher oft vielleicht "alte Wunden" - die aufgerissen werden - das Problem siehe unter Dilemma. ("Dreck am Stecken" ist dagegen eher ein Ausdruck, wenn die seelischen Belastungen nicht so von Bedeutung sind - oder zumindest zu sein scheinen.)

An vorderster Stelle bei den eher schuldhaften Leichen im Keller - soweit man überhaupt von Schuld reden kann - stehen die Fehler im Zusammenhang mit Lebensirrtümern, also solche gegen das Glück des Lebens, und das ist im persönlichen Bereich nun einmal die Liebe in der Einheit von Leib und Seele.

Daß man gerade die verpaßt hat, zumindest zunächst einmal, daß man sogar reingefallen ist, daß man in seinem Leben nie etwas von der großen Liebe erfahren hat, die man doch eigentlich immer sehnlichst erträumt hatte, daß man sich mit der Wahl des Partners offensichtlich vertan hat, daß man genau da keine Menschenkenntnis bewiesen hat, mag sich so schnell niemand eingestehen.

Das Problem ist, daß derartige Leichen im Keller eines Menschen Ängste verursachen und insbesondere auch Sexualängste und sein Denken und Handeln lebenslang und entscheidend beeinflussen. Oft können wir uns die Mauern im Kopf eines Menschen oder in den Köpfen von Menschen gerade im Bereich des Sexualität nur mit derartigen Leichen erklären, in der Bibel wird sogar die (Sexual-)Scham, aus der heraus wir uns verhüllen, für die ganze Menschheit mit einem Versagen am Anfang in Zusammenhang gebracht.

Leichen im Keller kann man nur durch Verdrängungen ertragen, denn wer könnte schließlich in der vollen Erkenntnis seiner verpaßten und vertanen Lebenschancen überhaupt noch leben?

Und so gibt es je nach Charakter und Bildungsstand typische Verdrängungsmuster für eigene "Leichen", von denen hier einige aufgeführt seien:

  1. Die Fehler werden als normal und sogar lebensnotwendig hingestellt. Danach kann man Menschenkenntnis angeblich nicht mit der Vernunft lernen, sondern nur durch eigene Erfahrung erwerben, und wenn diese Erfahrung noch so schmerzlich ist.

  2. Selbsttröstung durch Verallgemeinerung: "Jeder muß angeblich durch diese Erfahrungen hindurch".

  3. Herunterspielen. Die Fehler betreffen angeblich nur Nebensachen, es gibt Wichtigeres im Leben. Was ist zum Beispiel schon die Liebe zu einem Partner, was ist die ganze Sexualität überhaupt, wichtiger sind angeblich doch die Liebe einer Frau zu ihrem Kind, wichtiger die Freude und der Erfolg in der Arbeit, wichtiger die Harmonie in der größeren Gemeinschaft wie vielleicht in einem Volk, in einer Kultur oder auch in einer Rasse (siehe Nationalsozialismus).

  4. Kultivieren der Folgen der Fehlentscheidungen. So wird die (Sexual-)Scham, die ja eigentlich ein Verfallsprodukt (siehe Dekadenz) einer verfehlten Moral ist, als Zeichen von Kultur und Zivilisation hingestellt und bei Mädchen und Frauen gar mit Charme gleichgesetzt.

  5. Die großen Lebensentwürfe werden als weltfremd hingestellt. Danach sind es die kleinen Alltagssachen, die das Lebensglück letztlich entscheiden, denn die großen Entwürfe lassen sich ja angeblich doch nicht in die Wirklichkeit des Lebens umsetzen - wenigstens nicht auf Dauer. Es wird bestritten, daß eine gelungene Harmonie in der Einheit von Leib und Seele die Alltagsprobleme ganz entscheidend verringern oder gar zu Belanglosigkeiten werden lassen könnte.

  6. Theorie und Praxis bei der Erfüllung von Lebensentwürfen sind angeblich nie so recht vereinbar. Das sagen allerdings immer nur Menschen, bei denen es selbst in ihrem eigenen Leben so ist oder zumindest so war. Doch durch ein solches Argument dürfen wir uns nicht bange machen lassen: Eine gute Theorie führt auch immer zu einer guten Praxis! Wer etwa den Unterschied von Liebe und Verleibtheit begriffen hat und sich von diesem Wissen in seinem eigenen Leben beeinflussen läßt, braucht keine Angst zu haben, daß die Wirklichkeit dann doch anders aussieht!

  7. Einseitige Sicht. Die Sehnsüchte nach Dingen, die man unwiederbringlich verpaßt hat, treibt man sich gewaltsam aus, indem man nur den Teilaspekt wahrnimmt, der vielleicht wirklich weniger Bedeutung hat. So verdrängt man, daß hinter dem Sexuellen doch noch etwas Seelisches steht, indem man das Körperliche um so mehr in den Vordergrund stellt. Ekelhafte Witze und verklemmter Umgang mit der körperlichen Seite der Sexualität sind Zeichen von Verdrängung (siehe Verklemmtheit).

  8. Vergessen. Die Flucht in sinnlosen Konsum soll dazu beitragen, daß man vergißt, was man eigentlich verpaßt hat. Hierzu gehört auch die Flucht in Ersatzbefriedigungen wie in den Drogen-Konsum, in die Arbeit, in Fernsehsucht, Reisesucht, Sauberkeitssucht usw. Ob bei einer solchen Sucht eine Verdrängung vorliegt, kann man daran erkennen, ob etwas sinnlos geschieht (ob etwa eine Hausfrau ihre Schränke oder Fenster putzt, obwohl sie eigentlich sauber sind, ob Hygiene betrieben wird, obwohl man selbst oder die Wäsche gar nicht schmutzig sind). Siehe Rationalisierung.

  9. Hochspielen irrationaler Dinge. Besonders die Religionen sind hier Meister und profitieren von der Phantasie der Menschen in ihren Verdrängungen. Da werden dann die Erfahrung mit Gott und Transzendenz und die Hoffnung auf ein besseres (Weiter-)Leben nach dem Tod als wichtigste Ziele des Menschen hingestellt - obwohl es für alles das überhaupt keine realistischen Anhaltspunkte gibt. Durch völlig selbstverständlich begangene Feste und Gedenktage und andere kultischen Traditionen wird der Eindruck erweckt, daß an den Zielen solcher Religionen immerhin etwas dran zu sein scheint.

  10. Verdrehung von Aussagen, die die Einheit von Leib und Seele betreffen, in unglaubliche Glaubenswahrheiten. Unsere christliche Dogmatik liefert hier mit der Um-Interpretation der Adam-und-Eva-Erzählung ein treffendes Beispiel: Aus einer Lehrgeschichte gegen die kultische Prostitution (siehe Tempelprostitution) wird die Lehre von einer Erbsünde.

  11. Hochspielen vermeintlich rationaler Dinge. Besonders in der Philosophie werden immer wieder neue Gebiete gefunden und bearbeitet, die angeblich höchste Bedeutung für den Menschen haben - nur die Einheit von Leib und Seele, von Mann und Frau, wird weitgehend ausgelassen.

  12. Verteufelung irgendwelcher angeblicher - durchaus auch irrationaler - Schuldiger. Wenn irrationale Mächte wie Teufel oder falsche Götter, aber auch bestimmte Klassen oder Rassen von Menschen, als Schuldige für das Böse herhalten müssen, liegt mit Sicherheit eine Verdrängung vor. Man sollte sich überlegen, ob die Fehler nicht auch geschehen wären, wenn es diese Mächte des Bösen nicht gäbe. Siehe Ideologie, Kommunismus, Nationalsozialismus, Hexenwahn.

  13. Ziemlich unkritische Verteufelung anderer, die angeblich noch schlechter sind, nach den Gesetzen einer Hackordnung "in Sachen Moral".

  14. Tabuisieren. Es wird gar nicht mehr darüber gesprochen, auch wird alles vermieden und sogar beseitigt, was irgendwie an die ganze Thematik erinnern könnte. Siehe Tabu.

Wir alle sollten uns daher gerade bei Auseinandersetzungen um moralische Fragen unsere eigenen Leichen bewußt machen und bedenken, daß wir unter Umständen nicht sachlich sind, weil wir es gar nicht sein können. Und bevor wir andere weiter belasten, sollten wir uns an das alte deutsche Sprichwort erinnern: "Wer selbst im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen."

Lassen wir uns allerdings auch nichts als Leiche einreden, was gar keine ist!

In einem Vortrag (anläßlich einer Tagung über AIDS) klärte einmal der Sexualforscher Helmut Kentler seine Zuhörer über seine homosexuellen Neigungen auf und meinte, daß wohl jeder Mann da seine "Leichen im Keller" habe, jeder habe doch ganz gewiß seine homosexuellen Erfahrungen und wenn es das Mitmachen bei den Weitpinkelwettbewerben in der Kindheit von Jungen war. Solch eine Ablenkung von den eigenen wirklichen Leichen ist gelinde gesagt eine Unverschämtheit - denn diese Wettbewerbe sind nichts mehr als ein harmloser Spaß. Und selbst wenn dabei Mädchen zugeschaut und Schiedsrichter gespielt hätten!

Bei den typischen Verdrängungen wirklicher Leichen geht es in keinem Fall um ehrliche tiefere Einsichten, die dann eine wirkliche Aufarbeitung zulassen.

Wenn allerdings doch etwas geschehen soll, damit sich die Verhältnisse zum Positiven ändern, dann müssen die ganzen Themen aufgegriffen werden, nur eben anders, jetzt nach den Gesichtspunkten von Gebrauch und Mißbrauch. Mit Verschweigen und Tabuisieren erreicht man auf alle Fälle keine Besserung!

Es stellt sich hier auch die Frage, ob es zumutbar ist, wenn unsere Gottesdienste sozusagen darauf angelegt sind, daß wir unsere Sünden beklagen und bereuen. Werden uns da nicht auch Leichen aufgeschwatzt - soll da von den wirklichen Leichen der Verfasser dieser Texte abgelenkt werden?

Der Begriff "Leiche im Keller" wird auch in einem noch umfassenderen Sinn gebraucht, wenn es um die Probleme in der Vergangenheit eines Volkes oder einer Ideologie geht, die nur zu gerne verschwiegen oder mehr oder weniger geschickt verdreht werden: Denken wir etwa an die Vernichtung der Juden im Nationalsozialismus oder an den Hexenwahn.

Das Problem: Es sind nicht einmal immer nur die eigenen Leichen!

Wer etwa im Krieg Vergewaltigungen miterlebt hat oder anderes Schreckliche, kann oft auch darüber nicht richtig reden - und vor allem nicht für Kinder eine entsprechende Pädagogik machen! Auch hier entwickelt sich durchaus eine typische Leibfeindlichkeit: Nein, man will Kinder davor bewahren, von so etwas überhaupt zu wissen, sie sollen nur von den Schönheiten der Liebe wissen... Ein hohes Ziel, aber... Und so kam ich über dieses Problem mit einer (eigentlich sehr engagierten Lehrerin) in Konflikt, als ich von der Fahrt nach Paris und dem Besuch der Ausstellung der japanischen Zeichnungen und Drucke zusammen mit einem 13jährigen Mädchen berichtete. Denn das "Hohe" haben die jungen Menschen sowieso in ihren Köpfen - und nur wenn sie wenigstens eine Ahnung von den Schattenseiten haben und die Problematik von Gebrauch und Mißbrauch kennen, können sie überhaupt motiviert werden, nach Strategien für sich selbst zu suchen, das alles richtig zu machen. Und wenn ich trotz aller Fehler der Kirchen hier immer so auf den Sinn des Glaubens verweise, und vor allem des christlichen (denn andere Religionen haben damit nichts zu tun), dann deswegen, damit die Kinder auch den rechten Optimismus dafür nicht verlieren! Doch ich zweifle oft an dem Optimismus der meisten Pädagogen im Hinblick auf unseren Glauben - damit scheint es eben doch so weit nicht her zu sein!

Unsachlichkeit ist eigentlich immer ein Indiz für Leichen im Keller.

Wir wundern uns oft, warum Menschen nicht sachlich sein können, und finden oft keine Erklärung. Warum etwa machen manche irgendeine Sache so und so, wo doch etwas anderes günstiger, einfacher, billiger, umweltschonender und schöner gewesen wäre - und warum reagieren diese Leute dann auch noch so aggressiv oder zumindest allergisch, wenn man versucht, ihr Handeln zu hinterfragen und ihnen etwas für sie Günstigeres nahe zu bringen. Die Lösung dürften im Allgemeinen nicht aufgearbeitete Leichen im Keller sein. Ob man aber diese Leute nicht damit in Ruhe lassen sollte? Das wäre eigentlich das einfachste, aber ob es auch das billigste und dauerhafteste und verantwortungsvollste ist? Eine Aufarbeitung geschieht ja damit nie oder wird zumindest immer schmerzhafter! Und wir müssen uns vergegenwärtigen, daß solche Leichen im Keller denselben Effekt haben wie Krankheitserreger, sie belasten einen Menschen und können dann auch noch oft auch für ihn sehr folgenschwer, also etwa teuer, sein.

Wir sollten uns also schon bisweilen engagieren, doch bitte sehr behutsam und liebevoll, denn diese Leichen sind ja für die Betreffenden im Allgemeinen längst zum Sinn des Lebens geworden!

Ein ganz großes Problem ist, dass Menschen mit den typischen Leichen im Keller schließlich auch noch ein typisches Helfersyndrom entwickeln, sie meinen, anderen helfen zu müssen und machen in Wirklichkeit alles nur noch schlimmer.

(Wörterbuch von basisreligion und basisdrama) Computer-Übersetzung des Buchs HONESTY AND FUN WITH THE MORALITY ins Englische unter English