RATIONALITÄT (Basislexikon: kompetent-kritisch-konstruktiv)

RATIONALITÄT - RATIONALISIERUNG (von lat. Vernunft). Wir nennen einen Menschen rational, wenn er die Fähigkeit besitzt, sich ein zutreffendes Realitätsbewußtsein aufzubauen und dieses nach den Gesichtspunkten von Plausibilität und Wahrscheinlichkeitsrechnung in die Praxis umsetzt - und zwar vor allem auch im Hinblick auf seine eigene Zukunft. Ein rationaler Mensch - im Sinn von Rationalität - wird seine Chancen und Risiken abschätzen, dabei auch Unvorhergesehenes einplanen und sich bei seinen Entscheidungen nicht oder nur kontrolliert von Gefühlen und Vorurteilen leiten lassen (siehe auch Gefühl und Verstand). Das Wort Rationalisierung verwenden wir dagegen weniger für die vernünftige Gestaltung des Denkens oder einer Tätigkeit, sondern mit leicht spöttischem Unterton für eine ganz raffinierte Unsachlichkeit: Wenn jemand nämlich geschickt seiner von Gefühlen und Vorurteilen bestimmten Meinung (die letztlich von den Mauern in seinem Kopf oder von seiner rosaroten Brille verursacht ist) immer wieder neu den Schein der Sachlichkeit geben will, indem er die sozusagen hahnebüchendsten Argumente an den Haaren herbeizieht und sie dann noch in eine wissenschaftlich klingende Sprache kleidet. Ein typisches Beispiel habe ich einmal erlebt, als eine Frau einen Mann, dessen offensichtlich prinzipientreues Handeln sie zwar nicht in Zweifel zog, das sie jedoch dennoch nicht einordnen konnte (oder wollte), als jemanden einstufte, der im Grunde homosexuell sei, diese seine Veranlagung jedoch verdrängte und statt dessen sich um junge Mädchen kümmerte. Der betreffende Mann konnte machen, was er wollte, die Frau fand für ihre Unterstellungen immer irgendwelche Begründungen!

Kennzeichen für Rationalisierungen in Glaubens- und Moralfragen ist, wenn Leute, die sich ansonsten für fromm und gottesfürchtig halten, über Verstöße gegen die Zehn Gebote hinwegsehen und krampfhaft allen Versuchen aus dem Weg gehen, diese Gebote attraktiv zu machen und sie dadurch schließlich wieder durchzusetzen.

Typische Rationalisierungen in Dingen von Glauben und Moral finden sich etwa als Ausreden

  1. für das Belügen von Kindern (siehe Lüge). Denn aus - angeblich - pädagogischen Gründen darf man, ja muß man sogar ihnen zuerst einmal etwas von Schöpfung, von Wundern, vom Jenseits und von anderen Unwahrscheinlichkeiten erzählen, selbst wenn das nur zu oft kein Erwachsener mehr für wahr hält. Daß darunter dann die eigene Glaubwürdigkeit leidet, scheint überhaupt nicht zu interessieren.

  2. für die Ängste und Tabus, von denen man offensichtlich selbst nicht loskommt. Denken wir da nur an die Begründungen für die (Sexual-)Scham! Eigentlich haben wohl alle Erwachsenen die Nutzlosigkeit dieses Erziehungsfaktors in ihrem Leben am eigenen Leib erfahren. Trotz dem wird sie mit allen möglichen und unmöglichen Rationalisierungen immer wieder neu verteidigt: man friert sonst, man bekommt Sonnenbrand, ein Badeanzug sieht schöner aus, wer sich öffentlich nackt zeigt, hat Komplexe...

  3. als Ausrede, wenn angeblich ein moralischer Mißstand nicht zu ändern ist oder wenn man ihn gar nicht ändern will. Besonders Wissenschaftler aus den Bereichen Philosophie und Theologie haben seit jeher unzählige Rationalisierungen "auf Lager", wenn es um Begründungen geht, warum all ihre wissenschaftlichen Bemühungen um eine Verbesserung dieser Welt angeblich immer vergebens sein würden. Eine der ältesten Rationalisierung ist die mit der Erbsünde.                                                                                                                                                                    

Und wenn gar kein Argument mehr zieht, eine gefühlsmäßige Einstellung oder ein Vorurteil zu verteidigen, dann gibt es das berühmte "Aber trotzdem!", worauf aber immer noch keine Begründungen folgen und wenn es wenigstens die Zehn Gebote wären! Doch die sind es eben gerade nicht, denn die könnte man ja sachlich begründen! 

Zu einer guten Menschenkenntnis auch aus dem Bauchgefühl heraus gehört es, Menschen mit solchen rationalisierenden Denkstrukturen zu durchschauen und im Umgang mit ihnen vorsichtig zu sein, man läuft bei ihnen wie gegen eine Wand, sie haben ja für alles eine Ausrede. Am besten, man macht einen Bogen um sie herum. Denn diese Menschen pflegen auch in anderen Dingen sich selbst und anderen etwas vorzumachen. Eine enge Beziehung zu einem solchen Menschen geht selten gut aus, wir sagen, "daß man mit ihm - oder mit ihr - nicht klar kommt". Doch wichtig ist auch für uns selbst, daß wir nicht dieselben Fehler machen und uns bemühen, nur dort zu rationalisieren, wo es wirklich angebracht ist! So sind liebe Rationalisierungen, wenn wir etwa wie die Kinder mit ihren Doktorspielen etwas erfinden, um sinnlose Tabus zu durchbrechen. Voraussetzung dafür ist natürlich, daß wir mit höchster Rationalität vorher festgestellt haben, daß es dem anderen mit wirklicher Moral genauso ernst ist wie uns selbst.

Eine anderes Problem: Entscheidungen aus der Ratio (Vernunft) heraus treffen.

Das ist oft sehr unpraktisch und funktioniert auch gerade in persönlichen Fragen keinesfalls zuverlässig. Besser ist da ein sinnvolles Bauchgefühl, das man sich auch durchaus selbst aneignen kann.

(Wörterbuch von basisreligion und basisdrama)