NATIONALSOZIALISMUS ALS RELIGION (Basislexikon: kompetent-kritisch-konstruktiv)


NATIONALSOZIALISMUS ALS RELIGION?

Der NATIONALSOZIALISMUS ist neben dem Kommunismus in diesem Jahrhundert der wohl brutalste Versuch gewesen, das Böse aus dieser Welt zu verbannen und ein Paradies auf Erden zu schaffen. Das ist nicht nur völlig misslungen, sondern wie beim Kommunismus wurde der Versuch für allzu viele Menschen sogar zur absoluten Hölle.

Mit dem Kommunismus hat der Nationalsozialismus die Auffassung gemeinsam, dass es konkrete Feinde dieses Paradieses gibt, die bis zur Ausrottung bekämpft werden müssen. Im Kommunismus (oder besser Marxismus) sind diese Gegner nach der Ideologie von der Schlüsselstellung der Arbeit die “Kapitalisten”, also diejenigen, die durch ihr Eigentum an der Arbeit anderer eine Art moderner Sklavenhalter sind. Der Nationalsozialismus geht nun noch einen Schritt weiter und macht als Schuldige nicht nur mehr eine bestimmte besitzende Gesellschaftsschicht, eben die Eigentümer an fremder Arbeit, verantwortlich, sondern gleich eine ganze angebliche Rasse, gleichgültig, ob die einzelnen Menschen dieser Rasse nun solche Eigentümer sind oder nicht. Dabei steigerten sich die Nationalsozialisten (die Nazis) so sehr in die Verteufelung der Juden hinein, denn sie sind nach ihrer Auffassung diese Rasse, dass sie sie schließlich nur noch nebenbei auch als wirtschaftliche Ausbeuter sahen.

Einen ersten Hinweis, dass der Nationalsozialismus nun eine Art Religion ist oder von manchen sogar ganz ausdrücklich als richtige Religion empfunden wurde, bekam ich von meinem Vater (siehe seine Biografie "Als Journalist im Dritten Reich"), er hatte mir dazu ein Erlebnis von seinem "Wehrdienst" beim Polenfeldzug 1939 erzählt. Und zwar hatte er, der ja Journalist war, bei der Divisionszeitung mitgearbeitet und dabei einen Artikel zur Ehre der deutschen Soldaten geschrieben. Es ging darum, dass er mitbekommen hatte, wie die deutschen Soldaten sich bisweilen als Eroberer und Besatzer doch sehr daneben benahmen, wie sie etwa eine Knopffabrik plünderten (um die erbeuteten Knöpfe nach Hause zu schicken, damit Mutti ausreichend Knöpfe hatte) oder wie sie mit den polnischen Frauen und Mädchen umgingen. Im Stil der Zeit (klar, wie denn sonst?) hatte er dabei an ihre Ehre als deutscher Soldat appelliert, sie sollten sich bewusst sein, wer sie sind und sich entsprechend verhalten. Der Beitrag muss wohl dem Kommandeur gefallen haben und so bestellte er meinen Vater zu sich. Nach einem Lob zu dem Beitrag kam er darauf, dass die Soldaten in den Schützengräben, wenn es brenzlig werde, wohl sehr oft an Gott dächten. Doch jetzt sei nun einmal eine neue Zeit angebrochen. Ob er nicht etwas schreiben könnte, dass sie jetzt also nicht mehr ein "Vater unser" beten, sondern stattdessen an den Führer denken könnten. Huch, das war nun so gar nicht nach dem Geschmack meines Vaters und er muss wohl etwas herumgestottert haben. Darauf der Kommandeur: "Gefreiter P., ich sehe, Sie sind anderer Meinung!" Und er: "Jawohl, Herr Oberst (oder was der Kommandeur sonst für einen Dienstgrad hatte)!" Und der dann wieder: "Sie können gehen, das Gespräch hat nie stattgefunden!" Und mein Vater ging - befreit, dass die Sache so glimpflich ausgegangen war - erzählt hat er aber nach dem Krieg mir von dem Gespräch. Ich meine, er nannte auch den Namen des Kommandeurs, doch den habe ich vergessen.

Krankhafter religiöser Erlösungswahn

In einer kaum glaublichen und geradezu abenteuerlichen Verknüpfung von hygienischer und rassischer mit moralischer Unreinheit wurde in Nazideutschland den Juden in einem krankhaften Reinheitswahn bzw. Erlösungswahn alle Ursachen des Verderbnisses dieser Welt und gerade auch im Moralischen angelastet. Auf Fotos von Großveranstaltungen aus der Zeit des Nationalsozialismus erkennen wir Spruchbänder: “Frauen und Mädchen die Juden sind euer Verderben” und "Die Juden sind unser Unglück".

Aufnahme von der NS-Großkundgebung im Berliner Sportpalast am 15. August 1935: Es ist schon merkwürdig, wie wenig wir heute darüber informiert werden, wie die Juden angeblich am Missbrauch der Sexualität schuld waren. Anmerkung: Suchen Sie einmal bei google unter "Frauen und Mädchen die Juden sind euer Verderben" und Sie werden staunen. Denn das hier ist doch nun wirklich ein wichtiger Hinweis, wie man damals über Juden dachte, oder nicht? Doch Sie werden feststellen, Sie können die Hinweise bei google fast an einer Hand abzählen, und drei davon sind die von basisreligion, offenbar das einzige Engagement, das sich um eine Aufarbeitung kümmert... Außer den Links des Projekts DGDB ("Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern") des Deutschen Historischen Instituts, Washington, DC., in dem das Bild ins Internet gestellt wurde (also in den U.S.A., immerhin mit Unterstützung aus Deutschland), gibt es dazu nur noch einen Link, nämlich auf die Biografie "Verlorene Kindheit" von Sonia Korn-Grimani (2004). Und hier wird um die Seite 31 herum aus der Sicht eines kleinen jüdischen Mädchens sehr anschaulich beschrieben, wie das damals in Wuppertal-Elberfeld ablief - mit fanatischen Rufen "Frauen und Mädchen die Juden sind euer Verderben" von allen Seiten, also wohl keine Lappalie. Und das wird ja wohl nicht nur in Wuppertal so gewesen sein... (Gerade ist Oktober 2010, und die Seite ist sicher schon seit zehn Jahren im Web - doch niemand sonst scheint sich um diesen Ansatz hier zu kümmern - nein nicht ganz, in den letzten Tagen ist noch ein Beitrag von Peter Hammerschmidt zum "Mahnmal Koblenz" hinzugekommen über "Antijüdische Stereotype in der Wochenzeitung `Der Stürmer´". Hier daraus die Titelseite der Ausgabe 52 vom Dezember 1925: "Entsetzliches Verbrechen in der Folterkammer der Bauerngase aufgedeckt - Auspeitschung und Schändung deutscher Frauen und Mädchen - Der Jude Schloß verhaftet". Ich hätte ja gerne einmal gewusst, ob an dieser "Aufdeckung" etwas dran war, doch bei Hammerschmidt ist darüber nichts zu lesen. )

Jeder Jude war nach Hitlers Auffassung mehr oder weniger an diesem Verderben beteiligt und so schreibt er in seinem Buch "Mein Kampf" (S. 357): "Der schwarzhaarige Judenjunge lauert stundenlang, satanische Freude in seinem Gesicht, auf das ahnungslose Mädchen, das er mit seinem Blute schändet und damit seinem, des Mädchens Volke, raubt." Nach Auffassung Hitlers ließen sich mit diesem angeblichen jüdischen Grundanliegen von der Schändung (= Vergewaltigung) auch ihre Aktivitäten in Zeitungen, in Theater, in Literatur (also in den Medien), in Kunst und schließlich sogar im Geldgeschäft erklären: Das alles hatte für die Juden nach Meinung Hitlers nur den einen Sinn, Macht und Einfluss zu gewinnen, um Sitte und Moral und Glück der Deutschen und aller ehrlichen Menschen auf der ganzen Welt überhaupt zu zerstören. Es spricht für die Spießigkeit Hitlers und derer, die ihm zugejubelt haben (siehe Spießer und Moralapostel), dass sie alle nicht auf die Idee kamen, dass hier im allgemeinen eine typische Täter-Opfer-Beziehung vorliegt, falls an der Anschuldigung des mädchenschändenden Judenjungen überhaupt etwas dran gewesen sein sollte. Dass Pädagogen durch Information etwas an der Naivität der Mädchen in Richtung Menschenkenntnis und Lebensklugheit ändern könnten, darauf kamen die gar nicht. Immerhin dürfte ja zutreffen, dass die Juden auch keine "Heiligen" waren und dass sie damit eben auch nicht dem Grundkonzept ihrer Religion entsprachen und zumindest kein Vorbild waren - siehe basistheologie.  Natürlich ließ sich das dann auch immer mehr intensivieren, etwa in dem natonalsozialistischen Hetzblatt "Der Stürmer", hier die Titelseite einer eher typischen Ausgabe. Ich habe in Rom (also im Ausland!) eine Ausstellung in den Räumen des Victor-Emmanuel-Denkmals über den Nationalsozialismus gesehen, es waren dort die Titelseiten vieler Stürmer-Ausgaben ausgestellt, ich weiß also, wovon ich rede. Ja, immer wieder wird auf diesen Titelseiten reißerisch darauf herumgehackt, wie jüdische Chefs ihre weiblichen arischen Angestellten sexuell missbrauchen. Leider werden ganz offensichtlich auch heute noch Untersuchungen verhindert, ob da wirklich etwas dran war. Es sollte vor einigen Jahren einmal eine kritisch kommentierte Ausgabe des Stürmers geben, sie war auch schon fertig, doch der Druck wurde von staatlichen Stellen nicht genehmigt (siehe auch Zensur).

Und wenn tatsächlich etwas dran sein sollte, wie jüdische Chefs ihre weiblichen Angestellten "vögeln", so muss das auch bedacht werden: Mir hat ein Freund erzählt, der von seinem Vater weiß, dass in den 50er und 60er Jahren, also nach dem Krieg, zumindest in einem deutschen Finanzamt der ("arische") Chef auch seine weiblichen Angestellten "missbrauchte" oder eben "durchvögelte" - und es wird gewiss nicht nur in diesem einen Finanzamt so gewesen sein, denn dann wäre man schon dagegen vorgegangen. Heute liegt in Deutschland die durchschnittliche Anzahl der Geschlechtspartner bei 5,8, und früher wird das gewiss nicht viel anders gewesen sein. Hitler hat also offensichtlich etwas aufgegriffen, was zumindest im Denken der Leute herumspukte, vielleicht auch nur als Vorurteil. Aber schön ist es ja immer, wenn man etwas offensichtlich nicht Richtiges und also etwas, was man lieber verdrängt, anderen in die Schuhe schieben kann nach der Devise "Haltet den Dieb!"
Mir hat in diesem Sinn eine Freundin meiner Mutter von einem Cafébesuch mit ihrem Vater in Breslau Mitte der Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erzählt. Der Vater, keinesfalls Nazi oder irgendwie "Sympathisant", sondern sogar ausgesprochen katholisch und dem Naziregime gegenüber kritisch eingestellt, hätte mit Blick auf ein junges Pärchen bemerkt: "Sitzt da schon wieder so ein Judenlümmel mit einem Christenmädel..." Wenn ich diese möglicherweise unsachlichen Bemerkungen wiedergebe, so dann vor allem deswegen, weil Gerüchte bisweilen mehr erklären als Fakten. Ich habe allerdings auch von einer anderen Frau gehört, dass die Juden als gute Ehemänner galten. Vielleicht gab es genau deswegen eben auch Trittbrettfahrer, die den guten Ruf der jüdischen Männer ausnutzten? Und zur Familie der Freundin meiner Mutter: Da waren mehrere Töchter und die Eltern waren bei der Erziehung ihrer Töchter, was die Sexualität betrifft und was ich so mitgehört habe, völlig hilflos. Sie erzogen nun wirklich nach einem einfach unstimmigen Moralmodell . Und klar, bei einem eingefahrenen Moralmodell, das man nicht hinterfragt, braucht man natürlich Schuldige...

Wenn wir heute in Filmaufnahmen Adolf Hitler reden hören und sehen, können wir im Grunde nicht mehr begreifen, warum dieser Mensch eine derartige Faszination auf seine Zeitgenossen ausgeübt hat, er wirkt mit seiner Schreierei für uns heute einfach lächerlich. Offensichtlich haben wir hier dasselbe Phänomen vor uns, wie wenn ein Mensch im Zustand der Nüchternheit einen Menschen beobachtet, der sich in einem Rausch befindet, er kann ihn auch nicht verstehen. Zumindest ein Teil der Lösung des Rätsels Adolf Hitler liegt also vermutlich in den selbsterzeugten Hormonen, die damals durch sein Auftreten ausgelöst wurden und die dann bei seinen Zuhörern eine Art Rauschzustand verursachten.

Mit der ausgeprägten Einteilung dieser Welt in die Kategorien gut und böse, wobei in diese Kategorien dann recht oberflächlich und fremdenfeindlich die verschiedenen menschlichen Rassen einsortiert wurden, ist der Nationalsozialismus eine typische dualistische Weltanschauung (siehe Dualismus). Gewiss war Hitler hier von unserem dualistisch-gnostisch verdorbenen Christentum, das auch einige Jahrhunderte vorher Ursache des Hexenwahns war, stärker geprägt, als wir es auch heute noch wahrhaben wollen. In dem Beitrag in der WELT vom 27. 09. 2010 schreibt einer der bedeutendsten jüdischen Schriftsteller, dass die Nazis die Juden als "Bazillen" betrachteten, siehe http://www.welt.de/die-welt/debatte/article9895249/Moerderischer-Wahnwitz.html. Wie sehr wir immer noch Schwierigkeiten haben, alle diese Hintergründe in den Ideen der Nationalsozialisten wahrzunehmen, können wir an der Reaktion auf die Rede des vormaligen Bundestagspräsidenten Jenninger zum 50. Jahrestag der sogenannten Reichskristallnacht (also der Novembernacht im Jahre 1938, in der alle Schaufensterscheiben jüdischer Geschäfte sinnlos zertrümmert wurden, heute auch Reichsprogromnacht genannt) ermessen. Er hatte auf die sexuelle Verklemmtheit Hitlers hingewiesen und damit auch alle diejenigen in dieser Richtung belastet, die ihn gewählt hatten - und musste sein Amt “freiwillig” zu Verfügung stellen.

Die unzählbaren Morde des nationalsozialistischen Systems, die ja auch von typischen Gutmenschen wie den Herren des Auswärtigen Amts mitgetragen wurden, können im Sinn götzendienerischer Religionen als Menschenopfer für ihr “Gottesreich” interpretiert werden. Siehe auch zur möglichen Beziehung zwischen den Verbrennungsöfen in den Konzentrationslageren und der Verbrennung von Hexen in den Märchen. Es gibt ohnehin die nicht ganz unbegründetete Meinung, dass man in vielleicht tausend Jahren die Verbrennung der Hexen und den Mord an den Juden als ein und dasselbe Phänomen ansehen wird.

Aussortierung an der Laderampe in Auschwitz: Juden als Menschenopfer für eine bessere Welt. Das Foto wurde offensichtlich verbotenerweise von einem Lokomotivführer gemacht, der es dem Internationalen Roten Kreuz in der Schweiz zukommen ließ. Siehe auch unter http://www.stern.de/politik/historie/506816.html?eid=535451&s=3&nv=ex_rt

Damit hat der Nationalsozialismus auch hier absolut nichts mehr mit einem Glauben an einen einzigen Gott im Sinn des Monotheismus zu tun, selbst wenn sich Hitler immer wieder auf die "Vorsehung" oder gar auf den “Herrgott” berief, denn zu solchem Glauben gehört unbedingt auch das fünfte der Zehn Gebote, nämlich nicht zu töten. Und gegen dieses Gebot hat ja Hitler gründlichst verstoßen.

Symbol der neuen Erlösungsreligion: Hakenkreuz als Monstranz. ("Tag der deutschen Kunst" 1937)

Und bedenken wir an den überall angeordneten Gruß "Heil Hitler" und die Hitlerbüsten und -bilder in jedem Haushalt und auch sonstwo - ja, Hitler sollte eben der neue Erlöser, der neue Gott bzw. der neue "Sohn Gottes" sein!

Zum Thema "Nationalsozialismus als Religion" siehe auch das Stichwort "Adolf-Hitler-Weihestätte" in Pluspedia.

In der WELT vom 17.12.2001 findet sich eine Besprechung über eine interessantes Buch von Yehuda Bauer, der den Judenmord der Nazis ebenfalls religiös interpretiert. Die Besprechung sei hier komplett wiedergegeben, die Hervorhebungen sind von basisreligion.

Promiskuität in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus

Und wer jetzt denkt, dass es damals in Deutschland auf einmal sehr "moralisch" zuging, nachdem die Juden keinen Einfluss mehr hatten, der irrt gewaltig! Nein, unmoralisch war nicht der freie Sex, unmoralisch waren nur "der böse Schatten" der Juden! Siehe den Beitrag unter http://www.kreuz.net/article.8877.html. Ja, wenn ich das lese, dann wundere ich mich schon: Ich war doch in den 50er Jahren in der Schule, und die Lehrer, die wir hatten, waren doch alle in dieser Zeit groß geworden. Doch davon hatte niemand geredet!

Interessant ist, dass die Kondome, die im Dritten Reich verwendet wurden, die "Fromms act", aus der Fabrik eines jüdischen Fabrikanten stammten. Ich kann mich noch an das Reklameschild "Hanseatische Fromms" über einer Drogerie erinnern, an der ich Ende der 50er Jahre in Köln auf dem Schulweg immer vorbei kam.

Und im Kommunismus war es nicht besser - genau dasselbe!

Insofern ist unsere heutige liberale Sexualerziehung nur eine Neuauflage!

Kommentar des Verfassers zu dieser Seite:

Ja, warum erfahren wir üblicherweise von dieser Sicht des Nationalsozialismus und von dieser Komponente des Antisemitismus nichts? Ist das so eine Belanglosigkeit, wenn 1935 bei einer Massenkundgebung die Menschen gröhlen: "Frauen und Mädchen, die Juden sind euer Verderben!". Warum wird das alles ansonsten verschwiegen? Warum wird das sonst nicht aufgearbeitet? Warum schweigen dazu auch die Kirchen?
Und gerade - im Januar 2012 - finden sich in der Zeitung "Die Welt" einige Beiträge aus Anlass des 70. Jahrestags der Wannseekonferenz. Es wird da gerätselt, was eigentlich das Verbrechen  der Juden war, dass die Mörder gar kein schlechtes Gewissen hatten, wenn sie sie umbrachten. Dabei ist von der angeblich sittlichen Verderbnis der Juden keine Rede. Oh Gott, was sind wir immer noch verklemmt!

Parallelen zum Misstrauen der Islamisten gegenüber den Christen (oder wie auch immer man die "Westler" bezeichnen mag).

Der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG Mathias Döpfner schreibt in einem zweiseitigen Zeitungsartikel in der WELT "Der Westen und das höhnische Lachen des Islamismus" vom 23. 11. 2010:

"Vor allem aber durch den weltweit rasant sich ausbreitenden Islamismus, dem westliches Freiheitsverständnis, freie Marktwirtschaft, freie Sexualität, Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau dekadent, degeneriert, gefährlich, verachtenswert, gottlos erscheinen – und um jeden Preis bekämpft werden müssen.

Auf dem jahrhundertlangen Weg zum Weltkalifat sind den fundamentalistischen Moslems alle Mittel recht, um zuerst Israel, dann Amerika und schließlich den gesamten libertären Westen von innen zu unterminieren und von außen zu zerstören – mit Parallelgesellschaften, Selbstmordattentaten und Atomwaffen."

Und wie "moralisch" man etwa im Iran ist, mag daraus hervorgehen, dass in den letzten Jahren rund 4000 Männer getötet wurden, die angeblich oder tatsächlich homosexuell waren. Und die Hartherzigkeit gegenüber Frauen in den islamischen Ländern bis hin zu ihrer Beschneidung läuft natürlich auch unter dem Gesichtspunkt (wir würden sagen Deckmantel) der Moral: Anders ist nach Auffassung in typischen Machogesellschaften die Moral eben nicht durchzusetzen oder: Wo gehobelt wird, da fallen nun einmal Späne... Dass die Aufmüpfigkeit der Frauen in diesen Machogesellschaften, wenn sie denn einmal da ist, nur die Widerspiegelung der männlichen Ignoranz ist, das sehen die Männer (und natürlich auch die angepassten Frauen) dort natürlich nichts. 

Jedenfalls sieht alles danach aus, dass wir hier im Westen für diese Islamisten dieselbe Rolle spielen, die die Juden damals für uns spielten, nämlich an dem Sittenverfall, und insbesondere auch an dem im Zusammenhang mit der Sexualität, in der Welt schuld zu sein. Und es ist ja auch noch so, dass für sie Christen und Juden da auch noch ganz gut zusammen passen - in ihren Augen "alles dieselbe dekadente Bagage". Ob es nun stimmt oder nicht, wie die islamischen Fundamentalisten, also die Islamisten, uns im Westen und sich selbst hier sehen, ist Nebensache. Auf alle Fälle ist es ein äußerst brisantes Weltverständnis. Jedenfalls fühlen sich viele der Islamisten völlig im Recht und auf der Seite Gottes, gegen uns Dekadente mit allen ihnen zu Verfügung stehenden Mitteln zu kämpfen. Allerdings ist es diesmal nicht so, dass die angeblich "Dekadenten" wehrlos sind.

Anmerkung: Schüler haben sich früher schon mal hin und wieder etwas verwundert geäußert, warum ich so häufig einen Zusammenhang mit der Sexualität sehe (und nicht nur beim Thema Nationalsozialismus und Islamismus - ich hatte damals, als ich noch Lehrer war, natürlich anderes Material als etwa den Beitrag von Mathias Döpfner) und warum diese Zusammenhänge andere nicht auch so sehen. Ich habe dann zurückgefragt, ob es denn nicht plausibel ist, was ich erzähle und ob sie denn den Eindruck haben, dass ich das Material, das ich ihnen vorlege, extra für meinen Unterricht selbst gebastelt hätte. Nein, nein, so ihre Meinung, das ist schon gut so, dass ich das so bringe. Na und dann gab ich zurück: "Wenn da nicht geforscht wird und wenn andere dazu zu verklemmt sind, das so zu sehen und zu sagen, ist das nun mein Problem oder deren Problem? Natürlich, wenn man das mit den Frauen und Mädchen, die Juden sind euer Verderben verdrängt, dann kann man auch nicht auf die Parallelen zum Islamismus kommen. Doch ich möchte jedenfalls einen vernünftigen Unterricht machen, der auf wichtigen Fakten basiert und der uns hilft, dass solche schlimmen Dinge wie mit dem Holocaust nie wieder passieren."                                               .

Quintessenz

Anliegen des Engagements basisreligion ist, das Problem der Sexualmoral auf eine sinnvolle und vor allem wirklich ethische Weise zu lösen - und das ist wohl der beste Weg, damit sittliches Fehlverhalten nicht mehr irgendwelchen "Anderen" in die Schuhe geschoben werden kann.

Warum die Juden? Warum die Deutschen? Der israelische Historiker Yehuda Bauer erklärt die Shoah

Von Hannes Stein

Der Holocaust ist unverständlich, und er kann mit nichts anderem verglichen werden. - Achtung! Grober Unfug! Solch tiefsinniger Flachsinn taugt höchstens für Politikergedenkreden. Wer nämlich Auschwitz gedankenlos für unvergleichlich erklärt, schiebt es wie mit einer Planierraupenschaufel aus unserer historischen Erfahrungswelt hinaus: So wird es zu einem mythischen Ort, einem finsteren Arkadien. Am Ende verhüllt ein dichter Ideologienebel die Opfer in ihren gestreiften Häftlingskleidern, die Täter in ihren schwarzen Uniformen. Der israelische Historiker Yehuda Bauer bläst diesen Nebel fort, er schreibt: "Der Massenmord wurde von Menschen begangen und aus Gründen, die in der Geschichte liegen, also rationaler Analyse zugänglich sind."

Der ehemalige Chef des Forschungszentrums von Yad Vashem hat ein weises und zorniges Buch vorgelegt, das vermutlich keine Furore machen wird. Schon wieder dieses blöde, peinliche und entsetzliche Thema! Hilft es, wenn ich sage, dass die Lektüre auch etwas Befreiendes hat? "Dies ist kein Buch zum Gedenken an die Shoah", konstatiert der Autor. "Es geht vielmehr der Frage nach, was aus welchen Gründen geschah." Dieses Menschheitsverbrechen ist nämlich in einer zentralen Frage noch ungeklärt, der Frage nach dem Motiv. Warum verwandelten sich die Deutschen, ein zivilisiertes, sentimentales Volk in der Mitte des christlichen Europa, binnen weniger Jahre in eine "Bande von Mördern und Komplizen"? Und wieso erkoren sie ausgerechnet die Juden zu ihren Hauptopfern?

Machen wir uns nichts vor: Die Geschichte hatte schon immer eine dunkle Seite, gemacht aus Krieg und Massenmord. Die Jungtürken brachten in den Jahren des Ersten Weltkriegs etwa eineinhalb Millionen Armenier um, ein kalter, bürokratisch geplanter Genozid. Doch dieses Verbrechen birgt kein Rätsel. Die meisten Armenier lebten in einem Teil Anatoliens - also im türkischen Kernland -, und sie wurden aus ganz pragmatischen Gründen als Feinde des Osmanischen Reiches angesehen. Jene Armenier, die nicht in Anatolien wohnten, blieben außerhalb des Sichtfelds der Täter.

Die Nazis dagegen planten, das jüdische Volk total auszumorden. Sie wollten nicht nur die Elite der Juden umbringen und den Rest versklaven oder vertreiben. Sie wollten jeden Menschen töten, der drei oder mehr jüdische Großeltern hat, und das auf der ganzen Welt; und anders als bei den feierlichen Judenverfolgungen der Vergangenheit konnte man sein Leben nicht mehr retten, indem man die Religion der Täter annahm. Außerdem wurden die Opfer in den Lagern vor ihrem Tod noch beispiellos gedemütigt. Yehuda Bauer nennt das nicht einzigartig, er findet das genauere Wort "präzedenzlos": Für so etwas gibt es in der Geschichte kein Vorbild. Da es aber einmal geschehen ist, kann es wieder geschehen.

Der liberale Humanist Bauer macht deutlich, dass er keine Hierarchie des Leidens oder der Opfer begründen will. Tot ist tot, und Mord ist Mord. Die Frage, ob es in Srebrenica, Workuta oder Auschwitz schlimmer war, kann nicht sinnvoll beantwortet werden. Tränen sind nicht bosnisch, russisch, jüdisch oder deutsch, sondern salzig. Warum dann aber überhaupt Unterschiede machen? "Um den Kampf gegen all diese Formen des Mordes zu erleichtern", antwortet Bauer. "So wie wir nicht Cholera, Typhus und Krebs mit denselben Medikamenten bekämpfen können, so muss auch der politisch motivierte Mord anders bekämpft werden als ein Völkermord oder eine Shoah."

Das lässt aber immer noch die Kernfrage offen: Wieso, warum, aus welchem Motiv versuchten die Nazis, jede jüdische Seele auf dem Erdball auszulöschen? Yehuda Bauer hält dazu eine schlüssige Theorie bereit. Der Nationalsozialismus, schreibt er, war die radikalste Revolution in der Geschichte der Menschheit (ihre Radikalität entspricht der Präzedenzlosigkeit ihrer Verbrechen). Diese Revolution richtete sich gegen alles, was bisher als menschlich galt, gegen Humanismus, Liberalismus, Demokratie, Sozialismus und Konservatismus, kurz: gegen die westliche Zivilisation selbst. Nun ruht diese Zivilisation auf zwei Säulen, dem Erbe Athens und Roms hier, dem Erbe Jerusalems dort. Die Griechen und Römer von heute sind freilich nicht mehr die Griechen und Römer von damals. Sie sprechen andere Sprachen, verehren andere Götter, haben andere Traditionen. "Die Juden aber gibt es noch"; wer die westliche Zivilisation im Innersten zerstören will, muss dieses alte Volk angreifen.

Yehuda Bauer ist ein Ungläubiger, ein säkularer Israeli. Seine Theorie deckt sich aber passgenau mit einer religiösen Interpretation. Als Gott den Juden am Sinai die Zehn Gebote gab, steht im Talmud, kam der Hass in die Welt. (Der Talmud spielt hier mit einer Ähnlichkeit zwischen dem Namen des Berges, "Sinai", und dem hebräischen Wort für Hass, "sin'a".) Denn nicht nur am Sinai war die Stimme Gottes zu hören, der die Zehn Gebote verkündete; sie hallte in allen Ecken der Welt wider; alle Nationen wussten seither, welche Forderung an sie gerichtet war, aber nur die Juden nahmen das Joch des Gesetzes auf sich. Diese ethische Überforderung hat man ihnen nie verziehen. "Das Gewissen ist eine jüdische Erfindung", soll Hitler in einer seiner Tischreden gewütet haben. "Die Tafeln vom Berge Sinai haben ihre Gültigkeit verloren."

Warum aber wurden just die Deutschen zu den radikalsten Judenmördern der Geschichte? Yehuda Bauer verwirft die These des Daniel Goldhagen, es habe eine spezifisch deutsche Variante des Antisemitismus gegeben, die besonders mörderisch gewesen sei. Vor 1933 waren die Deutschen nämlich nicht judenfeindlicher als ihre Nachbarn - eher etwas weniger. Niemand kann indes bestreiten, "dass 1940/41 die überwiegende Mehrheit zu potenziell willigen Judenmördern" geworden war. Das hat Goldhagen nicht erfunden. Das ist Forschungsstand. Wie kam es zu dieser schrecklichen Mutation? Es gab, meint Bauer, eine Gruppe von wenigen Hundert Pseudointellektuellen - mit Adolf Hitler an der Spitze -, die einen "Erlösungsantisemitismus" vertraten. Sie versprachen sich von der Ermordung der Juden die Heilung der Welt. Als sie an die Macht gelangt waren, gelang es ihnen, die Eliten auf ihre Seite zu ziehen: Wehrmachtsoffiziere, Beamte, Ärzte, Rechtsanwälte, Kirchenführer und vor allem Universitätsprofessoren. "Mit Hilfe dieser Eliten entstand ein gesellschaftlicher Konsens, der für die breite Bevölkerung die Grundlage dafür lieferte, am Völkermordprogramm teilzunehmen." Das klingt so einfach, dass es vermutlich wahr ist.

Ich habe am Schluss nur noch eine Bitte: Könnten wenigstens jene, die für die Politiker die Reden schreiben, rechtzeitig vor der nächsten offiziellen Gedenkveranstaltung Yehuda Bauers Buch lesen? Vielen Dank.

Yehuda Bauer: Die dunkle Seite der Geschichte. Die Shoah in historischer Sicht. Jüdischer Verlag, Frankfurt/M. 2001. 383 S., 58 Mark.

Oft wird der Nationalsozialismus mit dem Faschismus gleichgesetzt, obwohl beide Ideologien im Wesentlichen nichts miteinander zu tun haben. Ursache für diese Gleichsetzung ist vermutlich, um von der mit dem Namen angedeuteten inneren Verwandtschaft von National-Sozialismus und Sozialismus (siehe Marxismus) abzulenken, die tatsächlich eher gegeben ist.

Es scheint sinnvoll, die verquerte Meinung Hitlers über die Juden hier im Wortlaut wiederzugeben, wie sie in “Mein Kampf” ausgedruckt ist. Es gehört mit zum Anliegen dieser Website, ein pädagogisches Konzept zu entwerfen, das junge Mädchen sittlich so fit macht, dass sie gar nicht mehr “verführbar” sind und dass sich die Suche nach irgendwelchen Schuldigen daher auch von vornherein erübrigt... Nach der Vorstellung, dass das Böse immer dann entsteht, wenn mehrere Komponenten unglücklicherweise zusammenkommen, ist es durchaus möglich, dass künftig Ideen wie denen des Nationalsozialismus von vornherein der Boden entzogen ist – wenn das Anliegen dieser Website in die Praxis umgesetzt ist.

Und hier die Zitate aus “Meinem Kampf”:

“Überhaupt war die sittliche und sonstiger Reinlichkeit dieses Volkes ein Punkt für sich. Daß es sich hier um keine Wasserliebhaber handelte, konnte man ihnen ja schon am Äußeren ansehen, leider sehr oft sogar bei geschlossenem Auge. Mir wurde bei dem Geruche dieser Kaftanträger (1) später manchmal übel. Dazu kam noch die unsaubere Kleidung und die wenig heldische Erscheinung.

Dies alles konnte schon nicht sehr anziehend wirken; abgestoßen mußte man aber werden, wenn man über die körperliche Unsauberkeit hinaus plötzlich die moralischen Schmutzflecken des auserwählten Volkes entdeckte.

Nichts hatte mich in kurzer Zeit so nachdenklich gestimmt als die langsam aufsteigende Einsicht in die Art der Betätigung der Juden auf gewissen Gebieten.

Gab es denn da einen Unrat, eine Schamlosigkeit in irgendeiner Form, vor allem des kulturellen Lebens, an der nicht wenigstens ein Jude beteiligt gewesen wäre?

Sowie man nur vorsichtig in eine solche Geschwulst hineinschnitt, fand man, wie die Made im faulenden Leibe, oft ganz geblendet vom plötzlichen Lichte, ein Jüdlein.

Es war eine schwere Belastung, die das Judentum in meinen Augen erhielt, als ich seine Tätigkeit in der Presse, in Kunst, Literatur und Theater kennenlernte. Da konnten nun alle salbungsvollen Beteuerungen wenig oder nichts mehr nützen. Es genügte schon, eine der Anschlagsäulen zu betrachten, die Namen der geistigen Erzeuger (2) dieser gräßlichen Machwerke für Kino und Theater, die da angepriesen wurden, zu studieren, um auf längere Zeit hart zu werden. Das war Pestilenz, geistige Pestilenz, schlimmer als der schwarze Tod von einst, mit der man da das Volk infizierte. Und in welcher Menge dabei dieses Gift erzeugt und verbreitet wurde! Natürlich, je niedriger das geistige und sittliche Niveau eines solchen Kunstfabrikanten ist, um so unbegrenzter aber seine Fruchtbarkeit, bis so ein Bursche schon mehr wie eine Schleudermaschine seinen Unrat der anderen Menschheit ins Antlitz spritzt. Dabei bedenke man noch die Unbegrenztheit ihrer Zahl; man bedenke, daß auf einen Goethe die Natur immer noch leicht zehntausend solcher Schmierer der Mitwelt in den Pelz setzt, die nun als Bazillenträger schlimmster Art die Seelen vergiften.

Es war entsetzlich, aber nicht zu übersehen, daß gerade der Jude in überreichlicher Anzahl von der Natur zu dieser schmachvollen Bestimmung auserlesen schien.

Sollte seine Auserwähltheit darin zu suchen sein?

Ich begann damals sorgfältig die Namen all der Erzeuger dieser unsauberen Produkte des öffentlichen Kunstlebens zu prüfen. Das Ergebnis war ein immer böseres für meine bisherige Haltung den Juden gegenüber. Mochte sich da das Gefühl auch noch tausendmal sträuben, der Verstand mußte seine Schlüsse ziehen.

Die Tatsache, daß neun Zehntel alles literarischen Schmutzes, künstlerischen Kitsches und theatralischen Blödsinns (3) auf das Schuldkonto eines Volkes zu schreiben sind, das kaum ein Hundertstel aller Einwohner im Lande beträgt, ließ sich nicht einfach wegdiskutieren; es war eben so.

Auch meine liebe “Weltpresse” begann ich von solchen Gesichtspunkten aus zu prüfen.

Je gründlicher ich aber hier die Sonde anlegte, um so mehr schrumpfte der Gegenstand meiner einstigen Bewunderung zusammen. Der Stil ward immer unerträglicher, den Inhalt mußte ich als innerlich seicht und flach ablehnen, die Objektivität der Darstellung schien mir nun mehr Lüge zu sein als ehrliche Wahrheit; die Verfasser aber waren – Juden.

Tausend Dinge, die ich früher kaum gesehen, fielen mir nun als bemerkenswert auf, andere wieder, die mir schon einst zu denken gaben, lernte ich begreifen und verstehen.

Die liberale Gesinnung dieser Presse sah ich nun in einem anderen Lichte, ihr vornehmer Ton im Beantworten von Angriffen sowie das Totschweigen derselben enthüllte sich mir jetzt als ebenso kluger wie niederträchtiger Trick; ihre verklärt geschriebenen Theaterkritiken galten immer dem jüdischen Verfasser, und nie traf ihre Ablehnung jemand anderen als den Deutschen. Das leise Sticheln gegen Wilhelm II. ließ in der Beharrlichkeit die Methode erkennen, genauso wie das Empfehlen französischer Kultur und Zivilisation. Der kitschige Inhalt der Novelle wurde nur zur Unanständigkeit, und aus der Sprache vernahm ich Laute eines fremden Volkes; der Sinn des Ganzen aber war dem Deutschtum so ersichtlich abträglich, daß dieses nur gewollt sein konnte.

Wer aber besaß daran ein Interesse?

War dies alles nur Zufall?

So wurde ich langsam unsicher.

Beschleunigt wurde die Entwicklung aber durch Einblicke, die ich in einer Reihe anderer Vorgänge erhielt. Es war dies die allgemeine Auffassung von Sitte und Moral, wie man sie von einem großen Teil des Judentums ganz offen zur Schau getragen und betätigt sehen konnte.

Hier bot wieder die Straße einen manchmal wahrhaft bösen Anschauungsunterricht.

Das Verhältnis des Judentums zur Prostitution und mehr noch zum Mädchenhandel selber konnte man in Wien studieren wie wohl in einer sonstigen westeuropäischen Stadt, südfranzösische Hafenorte vielleicht ausgenommen. Wenn man so abends durch die Straßen und Gassen der Leopoldstadt (4) lief, wurde man auf Schritt und Tritt, ob man wollte oder nicht, Zeuge von Vorgängen, die dem deutschen Volke verborgen geblieben waren, bis der Krieg den Kämpfern an der Ostfront Gelegenheit gab, Ähnliches ansehen zu können, besser gesagt, ansehen zu müssen.

Als ich zum ersten Male den Juden in solcher Weise als den ebenso eisig kalten wie schamlos geschäftstüchtigen Dirigenten dieses empörenden Lasterbetriebes der Großstadt erkannte, lief mir ein leichtes Frösteln über den Rücken.

Dann aber flammte es auf.

Nun wich ich der Erörterung der Judenfrage nicht mehr aus, nein, nun wollte ich sie....(S.61ff)”

Und:

“Der schwarzhaarige Judenjunge lauert stundenlang, satanische Freude in seinem Gesicht, auf das ahnungslose Mädchen, das er mit seinem Blute schändet und damit seinem, des Mädchens Volke raubt. Mit allen Mitteln versucht er die rassischen Grundlagen des zu unterjochenden Volkes zu verderben. So wie er selber planmäßig Frauen und Mädchen verdirbt, so schreckt er auch nicht davor zurück, selbst in größerem Umfange die Blutschranken für andere einzureißen. Juden waren und sind es, die den Neger an den Rhein bringen, immer mit dem gleichen Hintergedanken und klaren Ziele, durch die dadurch zwangsläufig eintretende Bastardisierung die ihnen verhaßte weiße Rasse zu zerstören, von ihrer kulturellen und politischen Höhe zu stürzen und selbst zu ihren Herren aufzusteigen.... (S. 357)”

Anmerkungen: 

1. Kaftan = langes Obergewand, das früher insbesondere von den Juden in Polen und Rußland getragen wurde.

2. Es gibt tatsächlich typische jüdische Namen: die alten österreichischen Beamten gaben den jüdischen Untertanen in den Ostgebieten bisweilen bewußt herabsetzende Nachnamen, allerdings bestachen auch viele Juden diese Beamten, ihnen besonders schöne Namen zu geben, daher sind Bernstein, Rubinstein, Goldfarb, aber auch Blech typische jüdische Namen. Es ist natürlich vom Wissenschaftlichen her völlig indiskutabel, wie Hitler da “Judennamen” ausfindig macht und die unterschiedlichsten Kulturproduktionen in einen Topf wirft. Gewiß war manches von jüdischen Schriftstellern auch durchaus gesellschaftskritisch gewesen, doch ein typischer “Spiesser” neigt natürlich auch leicht dazu, Ursache und Wirkung zu verwechseln und mag in etwas Gesellschaftskritischem durchaus einen Angriff auf die Gesellschaft sehen.  

3. Daß die Juden in Kultur und Presse eine große Rolle spielten, liegt gewiß nicht daran, daß sie sich bewußt danach drängelten. Die Rolle der Juden hier rührt ganz einfach daher, daß sie früher oft nicht die normalen Berufe ausüben durften, mit denen die Kinder “normaler Leute” früh begannen. Daher mußten die Juden ihre Kinder länger zur Schule schicken – und wenn das in einer Gruppe über Generationen geschieht, dann führt das dann eben zu einem höheren intellektuellen Niveau in dieser Gruppe. Wenn dann in der neueren Zeit ein Bedarf nach intellektuellen Menschen aufkam – dann standen eben die Juden bereit. Dazu kommt noch, daß gerade in den Berufen, die mit dem Geld zu tun haben und die den Juden eher offen standen, auch mehr Geld verdient wird – und das kommt dann wieder der Bildung der jüdischen Kinder zugute. Und daß Mädchen jungen Männern mit Geld und flottem Auftreten hinterherlaufen und daß die “Judenjungen” da “mitmachen” und die Mädchen nicht “aus dem Bett schubsen”, mag Hitler nicht passen, aber das hat wohl wenig mit typisch jüdischer Verderbermentalität zu tun. Genauso könnten die Thailänder uns Europäern und Amerikanern (“Christen!”) auch eine besondere sexistische “Veranlagung” zuschreiben, weil unseren Sextouristen in diesem Land die schönen Mädchen hinterherlaufen. Daß Hitler in alledem ein System erkennt, ist offensichtlich komplex- oder eifersuchtsbedingt, dürfte aber nicht der Wirklichkeit entsprechen. Natürlich kommt er nicht auf die Idee, das Problem der Unmoral im Verfall unserer christlichen Religion zu sehen, dazu gehört ja auch eine gewisse theologische Bildung und es ist gewiß gar nicht einmal Hitler anzulasten, wenn er die nicht hat.

4. Leopoldstadt = Stadtteil von Wien.

Das Irrationale des Antisemitismus können wir sehr gut anhand der "Geschichte" (einer Art "moderner Großstadtsage") "Das Judenauto" von Franz Fühmann nachempfinden.

Diese Erzählung eignet sich auch gut zum Vorlesen in Klassen - nach meiner Erfahrung.

Scheuen Sie sich nicht, nach dieser Geschichte unter KONTAKT zu fragen!

(Wörterbuch von basisreligion und basisdrama) Computer-Übersetzung des Buchs HONESTY AND FUN WITH THE MORALITY ins Englische unter English !

Nachtrag: Ich bin schon einmal gefragt worden, ob Hitler homosexuell war. Nun, ich habe deswegen einmal einen alten Psychiatrieprofessor gefragt, der diese These vehement ablehnte. Nichtsdestotrotz möchte ich meinen Lesern zwei Beiträge aus der WELT zugänglich machen:

DIE WELT, 6.10.2001:

War Hitler homosexuell? Weitere Artikel

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Verräterische Inszenierung? Ein Porträt von 1927 wurde später von der NS-Publizistik unterdrückt
Foto: dpa

"Hitlers Geheimnis. Das Doppelleben eines Diktators" (Alexander Fest, Berlin. 464 S., 44,79 Mark) ist der Titel eines Buches, das zum Start der Frankfurter Buchmesse am 9. Oktober gleichzeitig in zwölf Ländern erscheint. Autor ist der Bremer Historiker Lothar Machtan. Mit ihm sprach Berthold Seewald.

DIE WELT: In Ihrem Buch lüften Sie "Hitlers Geheimnis". Welches?

Lothar Machtan: Man könnte es auf den Satz bringen: Adolf Hitler war Männern zugetan. Oder: Er war homosexuell veranlagt. Dies erscheint zunächst ziemlich belanglos. Doch ist es ein Detail, das uns hilft, seine Biografie aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen. Dann sehen wir Dinge, die wir vorher nicht gesehen haben.

DIE WELT: Wie ist das möglich? Über keine Person der Zeitgeschichte ist wohl mehr geschrieben worden als über Hitler. Wieso blieb sein Geheimnis bislang unentdeckt?

Machtan: Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Erstens ist Homosexualität für die Geschichtswissenschaft bis vor kurzem ein Tabu gewesen. Zweitens gibt es den Kardinalfehler in der Hitlerforschung, ihn als leere Hülse, als Mann ohne persönliche Eigenschaften zu sehen. Damit wurde sein Privatleben als wissenschaftlich irrelevant qualifiziert. Das hat etwas mit dem geschichtspolitischen Zeitgeist zu tun. Man scheute lange davor zurück, sich dieser Person zu nähern, um sie nicht zu vermenschlichen. Vermenschlichung galt bereits als erster Schritt zur Exkulpation. Hinzu kommt drittens, dass Hitler mit der Camouflierung seines Privatlebens nicht ganz erfolglos gewesen ist. Bei vielen Quellen muss man buchstäblich im Trüben fischen, um etwas zu finden. Davor schrecken viele zurück. Und viertens wollte man lange Zeit gewisse Dinge über Hitler nicht wissen, weil sie das moralische Versagen der Deutschen in einem noch schlechteren Licht hätten erscheinen lassen.

DIE WELT: Gerüchte über Hitlers homoerotische Veranlagung hat es immer gegeben. Haben Sie handfeste Beweise gefunden?

Machtan: Einen glasklaren, juristisch unanfechtbaren Beweis gibt es nicht. Solche Schlüsseldokumente kann der Historiker in den seltensten Fällen präsentieren, denken Sie nur an den Befehl Hitlers zum Holocaust, von dem als sicher gilt, dass es ihn gab, ohne dass er bislang gefunden wurde. Die Aufgabe des Historikers ist es daher, Fakten zu prüfen und in einen plausiblen Zusammenhang zu setzen. Heraus kam ein Indizienbeweis, dass Hitler sein Leben lang auf das eigene Geschlecht fixiert gewesen ist. Ein Irrtum ist dabei niemals ausgeschlossen.

DIE WELT: Was bedeutet die Aussage, Hitler sei homosexuell gewesen?

Machtan: Mit dem Begriff der homosexuellen Aktivität muss man sehr vorsichtig sein, weil wir nicht wissen, wie Hitler sie ausgelebt hat. Wir können sagen, dass Hitler bis in die späten 20-er Jahre eine Reihe von homoerotischen Freundschaftsbeziehungen hatte. Viele davon werden von Zeitgenossen als homosexuell charakterisiert. Der Wahrheitsgehalt dieser Aussagen ist im Übrigen keineswegs kleiner als der von Zeugnissen über andere Aspekte von Hitlers Leben. Der spätere Diktator lebte in München in einem Kreis von Männerfreundschaften mit völkischem oder bündischem Hintergrund, die durch eine starke homosoziale Ausrichtung gekennzeichnet sind.

DIE WELT: Führte Hitler auch als Spitzenpolitiker oder Staatsmann dieses Doppelleben?

Machtan: Seit 1930 fühlte sich Hitler durch diese Vergangenheit erpressbar. Seitdem hat er immer wieder entsprechende Versuche abwehren müssen. Mit äußerster Kaltblütigkeit - bis zur großen Abrechnung vom 30. Juni 1934, in der nicht nur der SA-Führer Ernst Röhm, der als Homosexueller ja auch dem Münchner Milieu angehört hatte, sondern zahlreiche weitere Mitwisser umgebracht wurden.

DIE WELT: Wieso war der allmächtige Diktator Hitler erpressbar?

Machtan: Es ist doch auffällig, dass Röhm geradezu als zweiter Mann in Staat und Partei erscheint, bis er in der Mordaktion gestürzt wird. Gleichzeitig werden zahlreiche Papiere beschlagnahmt. Hitler spricht vor dem Reichstag davon, dass er tagelang Tagebücher und Briefe gelesen habe und dabei auf erschütternde Dokumente gestoßen sei. Man kann sich also vorstellen, dass Röhm einiges gegen Hitler in der Hand gehabt hat. Vor diesem Hintergrund fand die eigentliche Machtergreifung erst im Juni 1934 statt.

DIE WELT: Es hat immer wieder den Versuch gegeben, den Holocaust mit Hitlers Sexualität zu begründen.

Machtan: Die Entscheidung zum Völkermord hat mit seiner Homosexualität überhaupt nichts zu tun. Es gibt aber durchaus Anzeichen dafür, dass die Lebensweise als Homosexueller in Wien für Hitler sein Zerrbild von "den Juden" geprägt hat. Und zwar so nachhaltig, dass diese Erfahrung den Bodensatz eines fanatischen Antisemitismus ausbilden konnte. Hitler hat einmal gesagt, er sei mit 18 Jahren auf die Judengefahr aufmerksam geworden. Damals, 1907, bewegte der Eulenburg-Skandal Europa, in dem der jüdische Publizist Maximilian Harden enge Freunde Wilhelms II. der Homosexualität bezichtigte. Diese doppelte "Ehrabschneidung" - die Verunglimpfung des deutschen Reiches durch einen Skandal, der zudem ein homosexueller war - stellt sich mir als traumatische Erfahrung für Hitler dar. Zwischen dem Eulenburg-Skandal und Auschwitz liegen allerdings die enorme Politisierung und Radikalisierung seiner Ideen.

DIE WELT: Hat Hitler als Homosexueller unter den Moralvorstellungen seiner Zeit gelitten?

Machtan: Homosexualität war vor 100 Jahren etwas völlig anderes als heute. Damals war sie gesetzlich verboten, gesellschaftlich geächtet, vom Mantel der Doppelmoral umhüllt. Hitler hat unter dieser Bedrängnis gelitten, hat aber auch Kapital daraus geschlagen.

DIE WELT: Auf welche Weise?

Machtan: Es könnte erklären, wie eine eher linkische Figur wie Hitler ein solches Charisma entwickeln konnte, das sogar intelligente Menschen beeindruckte. Das Anziehende an Hitlers skurriler Erscheinung war wohl die Präsenz einer unbestimmten, schillernden Erotik. Das hat er mit seinem größten Talent verquickt: der Kunst zu überreden. Diese Form von Selbstinszenierung war damals völlig neu. Es war existenzielle Schauspielerei. Sie wirkte im homosozialen Milieu der Männerbünde als Initiationsfaktor seiner Karriere. Und sie wirkte später auf der Bühne der großen Politik. Es wäre interessant zu sehen, wie sich diese Fähigkeit zur Suggestion aus Hitlers homoerotischem Potenzial speiste.

 

DIE WELT 29.10.2001


Hitler war keine leere Hülse

"Ein Paradigma, mit dem sich weiterarbeiten lässt": Der Historiker Lothar Machtan verteidigt seine These von der Homosexualität des Diktators

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Mit seinem neuen Buch "Hitlers Geheimnis. Das Doppelleben eines Diktators" (Fest, Berlin) führt der Bremer Historiker Lothar Machtan den "Indizienbeweis", dass Hitler homosexuell veranlagt gewesen sei. Viele Rezensenten mochten dem nicht folgen. Auf ihre Kritik antwortet der Autor.

Hitler war Männern zugetan, so lauteten, seit Jahren schon, etliche Gerüchte und Vermutungen, auch psychoanalytische Ferndiagnosen. Doch die eingehenden Untersuchungen, die ich im Licht neu erschlossener Quellen vor allem zur Frühgeschichte seines Privatlebens veröffentlicht habe, legen weitergehende Schlussfolgerungen nahe: Hitler hatte nicht nur homophile Neigungen und homoerotische Vorlieben, er war homosexuell; er hat diese Anlage zeitweilig auch gelebt - so lange, wie dies für ihn relativ ungefährlich war. Die Frage, in welchem Umfang dies geschah und in welchem Grade auch hier, wie bei jeder Sexualität, Sublimation und Kompensation im Spiel waren, ist demgegenüber sekundär.

Bleibt der Befund gleichwohl ein nur unerheblicher Teil in der Biografie des Diktators? Ganz sicher nicht. Wenn Hitler homosexuell war, wenn er sich dadurch in späteren Jahren erpressbar zeigte, dann ist das ein Faktor von beträchtlichem Gewicht. Er hilft uns, einige Gesichtspunkte in Hitlers Lebenslauf zu klären: seine dunkle, im Untergrund verbrachte Jugendzeit in Wien und seine Flucht in die Bohème; seinen wundersamen Einstieg in die Politik; seinen Verfolgungswahn; seine Homosexuellenpolitik in den dreißiger Jahren; schließlich auch seine stark von persönlichen Affekten, von Treue- und Verratsgefühlen bestimmte Personalpolitik. Die Männerwelt, die Hitler politisch um sich errichtete, jene Welt der Paladine und Freunde mit all ihren ausschweifenden emotionalen Erregtheiten und Abhängigkeiten, gewinnt dergestalt ein neues Gesicht. Kurz, es ergibt sich eine in mancher Hinsicht klarere Lesart dieser Biographie.

Von einer Eskamotierung der Politik aus meinem Untersuchungsansatz kann dabei keine Rede sein. Im Gegenteil. Es war mir wichtig, alle moralistischen oder voyeuristischen Betrachtungen, überhaupt jede isolierte Inspektion von Hitlers "Intimleben" aus meinem Buch herauszuhalten. Sein Untersuchungsgegenstand ist der Zusammenhang von Nichtöffentlichem und Politschem in Hitlers Weg bis 1933/34. Dabei galt es, eine faktengestützte Vorstellung davon zu bekommen, wer Hitler eigentlich privat war. Gerade dies ist aber nun ein veritables Klischee der Hitlerforschung: Hitler, so das allgemeine Verdikt, sei jenseits seiner politischen Aktivitäten nur eine "leere Hülse" gewesen, ein Mann ohne Eigenschaften, ein beziehungsunfähiger Egomane. Bei Hitler, schrieb Hans Mommsen kürzlich in einer Rezension von Hitlers Geheimnis in der "Zeit", "gibt es nichts Privates."

Solche Urteile lassen sich wohl nur aus einer geschichtspolitischen Strömung heraus verstehen, die die Historie mehrere Jahrzehnte lang bestimmt hat. Jede Annäherung an die Privatperson Hitler sah in dieser Perspektive wie eine Distanzlosigkeit, eine "Vermenschlichung" des Jahrhundertmonsters aus - und damit womöglich wie eine Exkulpation, gelenkt von der Tendenz, Hitlers Schandtaten zu verkleinern. So haben sich viele Zeithistoriker darauf beschränkt, die ungeheuren Verbrechen, die Hitler angestiftet hat und die Katastrophen, die er heraufbeschwor, zu untersuchen. Wir verdanken dieser Forschung zweifellos sehr viel. Aber sie hat ein Manko: Für sie existiert Hitler ohne jeden Zusammenhang mit den realen Gegebenheiten seines Lebens.

Das Verdikt vom Diktator ohne Eigenschaften entbehrt zudem einer wissenschaftlichen Begründung. Die Vorstellung ist, genau genommen, nicht einmal plausibel. Denn es ist ja unstrittig, dass bis in die zwanziger Jahre hinein jenes angeblich nicht existente, in Wahrheit bloß verborgene "Private" für Hitlers Karriere einen mindestens ebenso hohen Stellenwert wie jedes öffentliche Auftreten besaß.

Untersucht man die relevanten Fakten dieser Lebensgeschichte aus extremer Nahsicht, nimmt man tatsächlich noch Dinge wahr, die bislang nicht oder kaum analysiert wurden, für dieses Leben aber von erheblichem Belang waren. Dazu gehört, was ich Hitlers "Männergeschichten" genannt habe. Bei Männern, nicht bei Frauen, hat Hitler immer wieder eine Art Ankerplatz gefunden; sie haben die zentrale Rolle in allen seinen zwischenmenschlichen Beziehungen gespielt, ohne die auch ein Hitler nicht auskam. Mit Männerfreunden hat Hitler die Flucht zunächst in die ästhetische Existenz, dann in die Politik angetreten. Und erst zwei Initiationsfiguren, die er 1919 in München kennenlernte, haben ihn in der für sein späteres Wirken typischen, nämlich radikalen Weise politisiert: der verkrachte Bühnenschriftsteller Dietrich Eckart, dessen antisemitischen Rassismus er als politische Heilslehre übernahm, und der Hauptmann Ernst Röhm, der Hitler als virilen "Führer" des völkischen Rechtsradikalismus in Marsch setzte. Beides ausgesprochene Frauenfeinde. So verdankt Hitler seinen sensationellen Aufstieg in München nicht allein seinem rhethorischen Talent, sondern fraglos auch seinen homophilen Beziehungen und der Möglichkeit, aus einem gut abgeschirmten homosozialen Kontext heraus zu handeln.

Versucht man heute zu ergründen, was Hitler persönlich antrieb, um nach einer mehr oder weniger missglückten Vorgeschichte ausgerechnet in der Welt der Politik sein Heil zu suchen, wird man feststellen, wie sorgfältig er hier Spuren verwischt und Quellen entsorgt hat - einschließlich von Korrumpierung, Einschüchterung sowie Beseitigung unbequemer Mitwisser. Das gilt für die ganze Geschichte seiner ersten 30 Lebensjahre, die er dann später - vor allem in "Mein Kampf" - zur mehr oder weniger stringenten Vorgeschichte einer politischen Prädestination umgelogen hat.

Trotzdem kann man noch auf halb verschüttete Quellen stoßen. Es sind Wahrnehmungen von Zeitgenossen unterschiedlichster Provenienz, die sehr genau gewusst haben, was sie durch die Thematisierung von Hitlers Homosexualleben offenbarten. Nehmen wir, stellvertretend für ähnliche Zeugnisse, wie wir sie etwa von Eugen Dollmann, Erich Ebermayer, Ernst Hanfstaengl oder Kurt Lüdecke haben, die Verlautbarungen von Hitlers Kriegskameraden Hans Mend.

Im Dezember 1939 diktierte dieser einem Vertreter der deutschen Opposition ein Protokoll in die Feder. Er schilderte Hitlers Homosexualität in derben Worten, berührte außerdem dessen Hang zu Hochstapelei. Und noch etwas: Wie ungefestigt Hitlers politische Überzeugungen bis 1919 waren, wie sehr er sich jedem andiente, der sich seiner anzunehmen bereit war. Dabei erscheint Mend wegen seiner gerichtsnotorischen Gaunereien auf den ersten Blick zwar als der fragwürdige Zeuge, als den Ian Kershaw ihn in der WELT (v. 13. 10.) abtat. Wer aber genauer hinsieht, stellt fest, dass Mend für den Politiker Hitler eine gefährliche Macht war, weshalb dessen andauernde Beschäftigung mit ihm noch eine politische Seite hatte: Es ist Hitlers ganz persönliche Anteilnahme am „Fall Mend“, die der sich über Jahre hinziehenden Geschichte eine so aufschlussreiche Bedeutung gibt. Hitler wusste nur zu gut, dass dieser „Schimmelreiter“ aus eigener unmittelbarer Anschauung genauestens darüber im Bilde war, was er während seiner Soldatenzeit in Frankreich so alles getrieben hatte.

Schon 1923 begann er, den alten Kameraden durch Geldzuwendungen an sich zu binden. 1931 diente er ihm die Autorenschaft für eine Propagandaschrift an, die Hitler als Frontkämpfer heroisierte. Doch damit gab sich der begehrlich gewordene Mend nicht zufrieden. In den folgenden Jahren besaß er immer wieder die Unverfrorenheit, Hitler zu bedrängen und sein intimes Wissen mehr oder weniger ungeniert auszuplaudern.

Der Diktator konnte ihn dennoch nicht einfach beseitigen, da Mend seit seinem Buch in den Augen der Öffentlichkeit als Kronzeuge für Hitlers Frontheldentum stand. Erst am Ende, nach jahrelanger Einschüchterung und Drangsalierung, gelang es Hitler, Mend seiner Glaubwürdigkeit zu berauben. Sein Tod im Gefängnis war nur der Endpunkt dieser aufwendigen Demontage. Was Mend einem Widerstandskämpfer anvertraute, hatte er auch anderen nicht verhehlt. Man muss eben die ganze Geschichte untersuchen, um an einer Überlieferung wie dieser nicht achtlos vorbeizugehen. Und Mend ist nur ein Glied in einer langen Kette ähnlich gelagerter Indizien.

Einen glasklaren, juristisch unanfechtbaren Beweis wird man für Hitlers Homosexualität zwar nicht antreten können, ebenso wenig wie sich beweisen lässt, dass er selbst den Befehl zum Holocaust erteilt hat. Gleichwohl sind sich alle seriösen Historiker darüber einig, dass Hitler den Völkermord persönlich zu verantworten, ja angestiftet hat. Und gerade darin liegt ja eine der Eigentümlichkeiten der NS-Geschichte: dass sie sich vorzugsweise nicht anhand eindeutiger Akten oder mithilfe einer Theorie rekonstruieren und erklären lässt. Sie muss vielmehr als ein Bündel von unglaublichen Geschichten mit Hilfe von Theorien aus Zeugnissen, Fakten und Beobachtungen herauspräpariert werden.

Das trifft im besonderen Maße auf die Geschichte ihrer Hauptfigur zu, die das Menschenmögliche getan hat, um ihre Geheimnisse mit ins Grab zu nehmen. Aber nicht alle Quellen schweigen, nicht alle legen falsche Fährten. Wer sie beiseite schiebt, begibt sich deshalb einer Materie, ohne die niemand auskommt, der an die Spekulation von der „leeren Hülse“ nicht glauben will. Und wenn man Hitlers Täuschungen, seiner permanenten Selbstcamouflage nicht das letzte Wort belassen will, muss man in diesen trüben Quellen fischen.

Dass es die desolate Quellenlage hier nicht zu einer gleichsam rechtskräftigen Gewissheit bringt, entbindet den Historiker nicht von seiner Auskunftspflicht. Wenn man die diversen Überlieferungsstränge zu einzelnen Lebensgeschichten verarbeitet, so ergibt sich daraus in der Gesamtschau eine durchaus plausible Darstellung dessen, was Hitler neben seinem weltanschaulichen Fanatismus noch geprägt hat, nämlich: die Kräfte seines eigentümlichen Gefühlslebens. Das deutet eine neue Perspektive auf die Geschichte des deutschen Diktators an: Es ist ein Paradigma, mit dem sich weiterarbeiten lässt.

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