GNADE (Basislexikon: kompetent-kritisch-konstruktiv)

Mit GNADE wird von typischen Religionen, und somit auch von unseren christlichen Kirchen, das gnädige, huldreiche Verhalten Gottes (bzw. der Götter) zu uns Menschen bezeichnet und sie bezieht sich vor allem auf die Vergebung unserer Sünden gegen diese Gottheit, damit wir vor allem gut für ein Leben nach dem Tod vorbereitet sind. Eine solche Deutung setzt allerdings zunächst einmal die unter allen Umständen die sichere Existenz eines Gottes (oder von Göttern) und eines Lebens nach dem Tod voraus. Da eine solche Existenz jedoch keinesfalls gesichert ist, liegt der Verdacht nahe, daß es bei den Aussagen über die Gnade, die von jeweiligen Priestern verwaltet wird, doch immer letzten Endes um ein Geschäft geht, denn die Sündenvergebung ist natürlich nicht umsonst zu haben! In einen wirklichen christlichen Glauben paßt das dann jedoch keinesfalls mehr hinein, selbst wenn wir es wie so manches von - weiß Gott woher - übernommen haben!

Was auf menschlicher Seite Gebet ist, ist auf der Seite Gottes die GNADE.

Und wie es beim Gebet götzendienerisches (also etwa wenn wir Gott manipulieren wollen, etwas zu tun) und wirklich christliches gibt (also wenn wir uns selbst verändern wollen), so gilt das auch für die Gnade. Es kann also nicht sein, daß Gott uns etwas schenkt, daß von ihm oder von anderen etwas für uns getan wird, wodurch uns etwas erspart bleibt, sondern daß wir auf bessere Gedanken kommen, was wir tun können und dann auch Wege finden, das zu tun.

Unter diesem Gesichtspunkt ist die Idee der "Gnade" keinesfalls leeres Brimborium! Vergegenwärtigen wir uns doch einmal, welche Chancen und Risiken es für eine Erfüllung unseres Lebens gibt! Was ist da nicht alles vom Zufall abhängig? Von einigem sind wir schon von unserer Geburt her verschont geblieben, denn wir hätten ja genauso gut in den elenden Slums von Kalkutta geboren sein können und dort aufwachsen müssen... Doch damit ist unser Leben noch längst nicht automatisch geglückt, da gibt weitere Risiken für uns: Welcher Beruf ist für uns der erfüllendste, welcher Partner der geeignete? Erfahren wir je, worin die Erfüllung oder der Sinn des Lebens wirklich besteht und von wem? Erfahren wir je die geeigneten Strategien, diesen Sinn auch zu erreichen? Wird uns das alles dann auch so mit Intelligenz und Phantasie beigebracht, daß wir das alles wirklich begreifen? Oder stoßen wir da immer nur auf die berühmt-berüchtigten Tabus? Findet sich jemand, der diese vernünftig für uns durchbricht und seine Verantwortlichkeit für uns sieht?

Wer das Höchste vom Leben will, braucht nun einmal Gnade!

Oder konkreter: Unter den Stichworten Spieltheorie und Strategie wird beschrieben, daß unser Leben sehr passend mit einem strategischen Spiel verglichen werden kann. Und dies ist ganz besonders im Bereich der Sexualität von Bedeutung: Wer ist der passende Partner, wie finden wir heraus, ob der andere es ehrlich meint oder ob wir getäuscht werden sollen (um eines sexuellen Abenteuers à la Don Juan willen oder um an die Brieftasche des anderen zu gelangen und versorgt zu sein), wie erkennen wir, ob man selbst oder ob der andere eine rosarote Brille trägt, ob hier eine (Ersatz-)Bruder-Schwester-Beziehung vorliegt usw.? Aus der Spielsituation ergibt sich sozusagen eine mathematische Lücke: Wir müssen immer damit rechnen, daß es jemanden geben wird, der besser oder raffinierter zu spielen weiß als wir - und der damit alle Lebenskonzepte, die etwa auf Monogamie und der damit verbundenen Liebe in der Einheit von Leib und Seele aufbauen, zunichte macht. Es wird immer Situationen geben, die wir nicht durchschauen oder wo wir aus sonstigen Gründen unterlegen sind. Und das Problem der Sexualität betrifft ja gerade junge Leute ohne viel Lebenserfahrung und daher in einer schwachen Position, für die allerdings ein erfolgreiches "Spiel" (im Sinn von echter Moral) besonders wichtig ist, ist es nicht entscheidend für das ganze Leben?  

Es gehört zum System dekadenter Gesellschaften, daß junge Menschen den Einsatz der Gnade für das Spiel ihres Lebens nie richtig lernen.

Dekadente Gesellschaften akzeptieren dieses Verlieren nun mit der Rationalisierung, daß dies eben mit unserer schwachen menschlichen Natur zusammenhinge und konstruieren auch noch eine Religion oder modeln eine vorhandene - wie unser Christentum - so um, daß dieses Scheitern einen Sinn und sogar die eigentliche Erfüllung ergibt, weil man dann erst recht für die "Gnade Gottes" und die damit verbundene Transzendenz und schließlich für ein erfüllendes Leben nach dem Tod offen werde - siehe Dekadenz. Lebendiger wirklicher christlicher Glaube sieht hier allerdings die Aufgabe schlechthin: nämlich die Schwachen für das "Spiel des Lebens" so fit zu machen, daß sie es auch bestehen und die nur in einer wirklichen Monogamie möglichen Grenzerfahrungen auch für sich und andere im Leben hier und jetzt verwirklichen können.   

Und nicht nur das Spiel selbst, schon die Vorbereitung dieses Spiels, das ganz zwangsläufig auf jeden Menschen zukommt, hat viel mit Gnade zu tun! Woher erhalten wir die geeigneten Informationen, wie durchschauen wir, ob einer uns wirklich brauchbare Informationen gibt oder unbrauchbare, die uns letztlich doch nur spieluntüchtig machen und das Verlieren sozusagen vorprogrammieren? Treffen wir gar auf Menschen, die zwar sehr hilfreich tun und sogar von sich glauben, daß sie besonders hilfreich sind, die in Wirklichkeit jeoch uns nur mit ihrem Haß und ihren eigenen Verdrängungen anstecken und damit für ein Weiterrollen des Täter-Opfer-Rades sorgen? Erinnert sei hier, daß eine Erziehung mit (Sexual-)Scham zwar sehr moralisch und hilfreich aussieht, in Wirklichkeit jedoch viel mehr eine Manipulation ist und bei Gelegenheit eigentlich immer in einen "Holzweg" führt. Haben wir bei alledem ein zutreffendes Rearlitätsbewußtsein, die Grundbedingung für richtiges Handeln? Natürlich, wenn wir keine großen Ansprüche an unser Leben stellen, sind diese Überlegungen alle ziemlich nutzlos, aber wenn wir zur der für uns Menschen nun einmal mögliche wirkliche Liebe mit den intensivsten Grenzerfahrungen durchdringen wollen, dann haben wir doch etwas zu verlieren!

Stellen wir uns da einmal einen Kaufmann vor, der ein Geschäft neu gründen will. Wie kann der sich verspekulieren, ganz einfach, weil ihm manche Informationen fehlen oder weil er bestimmte Informationen, die er erhält, nicht richtig einschätzt? Oder weil er den falschen Freunden traut, die es vielleicht gar nicht einmal bewußt schlecht meinen? Sind wir nicht in einer vergleichbaren Lage wie dieser Geschäftsmann, und geht es bei uns im Grunde nicht sogar um mehr? Und wenn wir dann Fehler gegen unser Glück machen, sind wir dann im Grunde eigentlich noch nicht einmal so recht schuld, einfach, weil wir es nicht besser wußten? Doch ausbaden müssen wir es schließlich doch, was uns da eingebrockt ist.

Beim Erfolg eines Kaufmanns spricht man nicht von Gnade sondern eher von geschäftlichem Instinkt, doch wenn es um den Sinn unseres Lebens geht, dann ist genau da Gnade erforderlich! Und wenn sie im Grunde auch immer unverdientes Geschenk ist, so können wir nach unserem christlichen Glauben doch wenigstens etwas dafür tun: Werden wir uns bewußt, daß Arroganz und Eingebildetheit in uns diejenigen Mauern in den Köpfen wachsen lassen, die selbst ein Gott nicht durchbrechen könnte! Vielleicht gibt es sogar so etwas wie eine Offenbarung Gottes, doch wir müssen dafür auch zugänglich sein! Öffnen wir uns also erst einmal im Gebet um die Gnade im Hinblick auf rechte Informationen, um eine rechte Sicht der Dinge, um die rechte Furcht, um Klarheit und Standhaftigkeit! Solches Gebet hat nämlich schon einmal den Vorteil, daß wir ein Problembewußtsein haben und vor entscheidenden Situationen deren Kehrseiten erkennen und nicht völlig blind in sie hinein stolpern (siehe Ambivalenz). Und das Gebet gibt uns schließlich auch Mut und Ausdauer, nicht um jeden Preis wie aus einer Sklavenmoral heraus jede sich bietende Gelegenheit zur Erfüllung unseres Lebens auch gleich wahrnehmen zu müssen - etwa bei einer Partnerwahl "nur den oder keinen anderen" zu sehen, sondern sich besinnen zu können. Das ist die Gnade, die auch heute immer noch Bedeutung für uns hat - und erst recht bei einer rationalen und nüchternen Sehweise von Glauben und Leben! (Wörterbuch von basisreligion und basisdrama)