22. Spießer sollten die Bibel lieber nicht (genauer) lesen
Martina: Komisch, für die meisten Menschen ist doch Nacktheit und Geschlechtsverkehr dasselbe. Beatrix: Ja, ganz offensichtlich, dabei sind das nun wirklich zwei ganz verschiedene Stiefel, die ja nur deswegen etwas miteinander zu tun haben, weil man sich halt zumindest ein wenig ausziehen muß. Eher ist bei manchen Leuten wohl Dummheit und Geschlechtsverkehr dasselbe... Aber das wird natürlich verdrängt, wer möchte schon als dumm gelten, weil er sich da mit dem Partner vertan hat? Daher ist vor allem für solche Leute Nacktheit sogar noch schlimmer als Geschlechtsverkehr. Und das ist doch nun wirklich Unfug. Wenn das nämlich stimmte, dann wären ja alle Frauenärzte ganz schlimme Typen. Und dem ist ja nun wirklich nicht so, zumindest die meisten haben doch mit Geschlechtsverkehr mit ihren Patienten wirklich nichts zu tun und die denken vermutlich auch noch nicht einmal daran. Und wenn das beim Arzt kein Problem ist, warum soll man dann nicht am Strand auch so offen sein, wo das doch bestimmt mehr Spaß macht und zudem ganz gewiß noch viel ästhetischer ist als auf diesem komischen Folterstuhl beim Frauenarzt? Martina: Eigentlich logisch. Warum wird das bloß nicht so gesehen? Beatrix: Man will da einfach nicht sachlich sein. Martina: Vielleicht aus religiösen Gründen? Beatrix: Das ist wenigstens teilweise genauso Quatsch. Noch nicht einmal die Bibel sieht da einen zwangsläufigen Zusammenhang. Allerdings sind die meisten Religionen tatsächlich verklemmt, das stimmt. Martina: Aber ich habe immer gemeint, daß auch Nacktheit schon etwas Unmoralisches ist. Beatrix: Natürlich, manchmal kann doch alles unmoralisch sein! Wenn man aber genauer hinsieht, hat unser christlicher Glaube ursprünglich gar nichts gegen die Nacktheit! Diese Enge ist erst später wieder von anderen Religionen und Kulturen in unseren Glauben hineingerutscht. So ist etwa nach der Bibel die Scham bekanntermaßen Verfallsprodukt von nicht gelungener Moral: Schließlich ist die Scham ja nach unserer Religion bei Adam und Eva erst entstanden, als die beiden es nicht begriffen und Fehler gemacht hatten. Und so wie man aus morschem Holz oder durchgerosteten Eisen nichts Vernünftiges bauen kann, kann man auch aus der Scham keine vernünftige Moral machen. Ein Verfallsprodukt ist und bleibt eben ein Verfallsprodukt. Es wird zwar immer wieder versucht, auf der Scham Moral aufzubauen, doch sag mir einmal, wo das in der Welt je geklappt hat, daß die Menschen mit der Scham moralischer geworden sind – es sei denn, daß eben die Scham selbst als Moral angesehen wird? Martina: In Afrika sind sie früher alle nackt herum gelaufen und heute haben sie alle Kleidung und treiben´s damit trotzdem anscheinend so unkontrolliert, daß sie sich alle gegenseitig mit AIDS anstecken. Früher kann das nie und nimmer so arg gewesen sein, sonst hätten die sich ja dort alle längst ausgerottet. Beatrix: Nach heutigen Forschungen soll gerade die Adam-und-Eva-Geschichte von einer Frau oder von mehreren verfaßt worden sein. Martina: Ach hör´ mir doch mit dieser Geschichte auf, das gab´s doch alles gar nicht! Beatrix: Ich glaube, dir fehlt da der Hintergrund, damit du weißt, worum es da wirklich geht. Hast du schon einmal etwas vom Kamasutra gehört? Martina: Das ist doch so ein Buch aus Indien mit Anleitungen zum Sex. Beatrix: So ungefähr. Das Problematische daran ist, daß es kaum um den Sex mit der eigenen Frau geht, sondern daß das Buch sozusagen für Reiche und Mächtige geschrieben ist, wie sie mit ihren “Gespielinnen” sich immer wieder anders amüsieren können. Martina: Ich möchte jedenfalls keine von denen sein. Beatrix: Und genau da ist das Problem: Die Adam-und-Eva-Erzählung wurde genau für diese Sittenverfallpraktiken – anders kann man das ja nicht nennen - entwickelt und sie ist wohl auch nur aus dieser Situation heraus zu verstehen. Und so ist sie eine Art Predigt für eine Änderung weg von dieser Ausnutzerei von Menschen für einige wenige hin zu wirklicher Lebe für alle. Martina: Ich verstehe nicht, warum das dann nicht gleich so in der Bibel steht, warum braucht es dann so eine komische Geschichte von den ersten Menschen, wenn die gar nicht stimmt? Gerade wegen solcher Geschichten nimmt man die Bibel doch überhaupt nicht mehr ernst. Beatrix: Du mußt immer bedenken, daß die Menschen schon immer dieselben Probleme miteinander hatten, daß sie sich aber das Warum und das Woher und das Wozu dieser Probleme zu allen Zeiten anders erklärten. Und die Bibel gibt da eben das Denken vor mehr als dreitausend Jahren wieder. Das ist vielleicht wie bei einem Bild. Da geht es doch im allgemeinen auch überhaupt nicht um den Rahmen, sondern um das Bild, das in dem Rahmen steckt. Und den Rahmen kann man doch durchaus manchmal wechseln, damit das Bild in einer veränderten Zeit wieder besser zur Geltung kommt. Was glaubst du, was so ein neuer Rahmen bisweilen ausmacht! Die Geschichte von den ersten Menschen Adam und Eva ist da eben der Rahmen - und die Probleme von Mann und Frau sind der Inhalt. Es geht da einfach darum, daß die Menschen von ihrem falschen Menschenbild und damit auch von ihrem falschen Götterglauben loskommen, für den die Schlange steht und mit dem ja unter anderem diese ganze sexuelle Ausbeuterei begründet wurde, und sich einem neuen Gott unterstellen, der der Gott wirklicher Moral und wirklicher Liebe und wirklichen Gefährteseins zwischen Mann und Frau ist. Damit die Leute von damals das begreifen, da wurde dieses Anliegen eben in den Rahmen von damals hineingepackt. Das ist alles. Daß der Rahmen von damals nicht stimmt, wissen inzwischen wohl die meisten Menschen inzwischen, daher interessiert der mich auch nicht. Es kommt auf die Beendigung der Ausbeuterei an. Martina: Und warum hängen viele Menschen trotzdem immer noch an so einem alten Rahmen wie dem der Adam-und-Eva-Geschichte? Beatrix: Vermutlich weil er bequemer ist, denn der wirkliche Inhalt würde gerade denen, die da unsere Religion machen, sowohl gegen den Strich gehen als auch oft genug weh tun. Denk einmal, wie es dir ginge, wenn du irgendwann erkennen müßtest, daß du die entscheidenden Dinge im Leben falsch gemacht hast - und das, obwohl du es hättest besser wissen können. Oder wenn du mit dem Erzählen von all diesen Dingen auch noch dein Geld verdienst und arbeits- und einkommenslos wärst, wenn da niemand mehr daran glaubte. Martina: Dann verdrängt man wohl. Beatrix: Zumindest. Und dabei macht man dann das Nebensächliche und rein Äußerliche wichtig, selbst wenn es noch so blödsinnig ist - Hauptsache, es ist unproblematisch im Zusammenhang mit den eigenen Problemen und bringt auch noch Geld. Es gibt heute ja eine ausdrückliche Wiederbelebung dieser unsinnigen Deutungen etwa im Kreationismus und in den Spinnereien vom Intelligent Design. Martina: Und was ist nun der wirkliche Sinn dieser Geschichte? Beatrix: Ganz einfach und lebenspraktisch! Wir dürfen von allen Früchten essen, nur die in der Mitte sollen wir bleiben lassen, und das kann bei einem Gebot an ein nacktes Paar doch nur heißen, dass wir genau das machen dürfen, wovon ich dir hier vorgeschwärmt habe, nur den Sex sollen wir bleiben lassen – es sei, beide sind wirkliche Partner für immer. Hier wird genau dasselbe gesagt, was meine Mutter mir gesagt hatte vom “Gott vor Augen” und “zusammen die Beine”. Martina: Aber das war doch o.k., daß die “alles” gemacht haben, die waren doch ein Ehepaar. Beatrix: Dieser Eindruck wird bei uns heute erweckt, weil wir “Adam” und “Eva” für Eigennamen halten. In Wirklichkeit sind “Adam” und “Eva” eher “Gattungsbegriffe”, vielleicht so wie heute “Otto Normalverbraucher” und “Lieschen Müller”. Und damit waren die beiden auch im Sinn der Bibel gar kein Ehepaar, das war so ein Zufallspaar, wie auch heute viele. Und so paßten die auch gar nicht richtig zusammen, triebens´s aber doch miteinander – und damit haben sie sich ihr Paradies verdorben. Martina: Aber da gab´s doch sonst gar keine anderen Menschen! Beatrix: Du steckst immer noch in dem blöden Denken von den ersten Menschen, das dir mal beigebracht worden ist. Vergiß das doch endlich! Die Geschichte wurde geschrieben, als es schon längst Großstädte gab – und für die Menschen, die da lebten. Das mit den ersten Menschen ist nur genauso eine Rahmenhandlung wie bei den eingekleideten Matheaufgaben vom Fliesenleger Maier in unserer Schule heute. Da kommt doch auch keiner auf die Idee, zu fragen, ob´s den wirklich gibt. Die Geschichte von Adam und Eva ist schlicht und einfach eine Predigt, wie sich Menschen, die eben kein Ehepaar sind, verhalten sollen, damit sie sich nichts kaputt machen. Und wenn sich dann – ohne Verkehr! – die gefunden haben, die zueinander passen, und eine ganz bewußte Gemeinschaft “begründet” haben, dann ist das auch im Sinn der Bibel, wenn sie Spaß miteinander haben. Die Religion der Bibel ist sogar die einzige Religion, in der die Frau Spaß am Orgasmus haben darf! Aber eben nicht so aus einer Augenblickslaune heraus Sex machen, wie das die Unterhaltung mit der Schlange ausdrückt. Martina: Wir sind aber doch heute weiter. Heute ist das alles doch ganz anders... Beatrix: Auch so ein Vorurteil. Das kommt nur von diesen blöden Kindergeschichten, die uns über die Leute von früher erzählt werden. Die hatten in ihren persönlichen Dingen doch genau dieselben Probleme wie wir heute. Was soll sich da auch schon groß geändert haben? “Die Männer sind Schweine” wird nicht erst heute gesungen... Anmache, Liebeskummer, Verantwortungslosigkeit, Ausbeutung, Gewalt, Hass, aber auch wirkliche Liebe, Glück, Geborgenheit, Verläßlichkeit, Verantwortung füreinander sind in allen Kulturen und zu allen Zeiten dasselbe. Und darum dreht es sich in der Bibel. Natürlich, wenn man diese Menschheitsprobleme nicht wahrhaben will, dann kann man aus den biblischen Erzählungen nur noch Kindergeschichten machen. Martina: Ist das aber nicht weit hergeholt? Beatrix: Die Interpretation ist nur ungewohnt. Was soll damit denn sonst gesagt sein? Anmerkung: Sogar ein Heiliger, nämlich der Engländer Thomas Morus, der vor 460 Jahren immerhin wegen seiner Treue zur katholischen Kirche hingerichtet wurde, hat sich in seinem Buch “Utopia" von einer erfundenen idealen Welt über diese unsere Überspanntheit, die am Schluß doch nicht funktioniert, lustig gemacht. Er schreibt da über die Hochzeitssitten der “Utopier", also der Einwohner dieser erfundenen Welt (Reclam-TB 513, S. 107f): ”Ferner beobachten sie bei der Auswahl der Gatten ganz ernsthaft und mit Strenge einen Brauch, der uns höchst unschicklich, ja überaus komisch erschien. Eine würdige und ehrbare ältere Dame führt nämlich das zur Heirat begehrte Weib, sei es nun eine Witwe oder ein Mädchen, dem Freier nackend vor, und entsprechend stellt ein ehrenwerter Mann dem Mädchen den Frier nackend vor. Während wir nun diese Sitte als unschicklich lachend mißbilligten, wunderten sie sich im Gegenteil über die außerordentliche Torheit aller anderen Nationen, wo man beim Ankauf eines armseligen Pferdes, bei dem es sich doch nur um ein paar Goldstücke handelt, so vorsichtig ist, daß man den Ankauf verweigert, ehe nicht der Sattel abgenommen ist und alle Pferdedecken entfernt sind (obschon das Tier doch von Natur fast nackt ist), damit ja nicht unter diesen Verhüllungen irgendein Schaden versteckt bleiben kann; dagegen bei der Auswahl der Ehefrau, in einer Angelegenheit also, aus der Lust oder Ekel für das ganze Leben folgt, verfährt man so nachlässig, daß man das ganze Weib nach kaum einer Spanne seines Leibes beurteilt; denn nichts als das Gesicht betrachtet man, während der ganze übrige Körper von der Kleidung verhüllt ist; und danach verbindet man sich und läuft große Gefahr, daß die Ehe schlecht zusammenhält, wenn sich hinterher ein körperlicher Mangel herausstellt. Denn nicht alle Männer sind so verständig, daß sie bloß auf den Charakter sehen, und auch in den Ehen verständiger Männer bilden körperliche Reize eine nicht unwesentliche Zugabe zu den geistigen Vorzügen. Jedenfalls aber kann unter jenen Kleiderhüllen eine so abschreckende Häßlichkeit verborgen sein, daß sie das Gemüt eines Mannes seiner Frau ganz zu entfremden vermag, da einmal körperliche Trennung nicht mehr möglich ist. Wenn eine solche körperliche Entstellung erst nach der Trauung durch irgendeinen Unglücksfall eintritt, so muß freilich jeder sein Schicksal tragen; dagegen sollte man auf gesetzlichem Wege wenigstens vor der Trauung zu verhüten suchen, daß niemand in die Falle gerät. Die Utopier aber mußten um so eifriger solche Vorsorge treffen, weil sie das einzige unter den Völkern jener Himmelsstriche sind, bei dem man sich mit einer Gattin begnügt...." (Anmerkung: Ein Besucher der Website fand diese Stelle so faszinierend, daß er sie auf Englisch und Lateinisch herausgesucht und mir zugeschickt hat. Ich kopiere sie unter dem Stichwort Mittelalter!) Martina: Etwas witzig, wie die ihre Verklemmtheit zu überwinden suchten. Beatrix: Die Stelle belegt jedenfalls, daß es damals also auch Verklemmtheit gab und daß die von Menschen, die sich um eine “ewige" Dauer von Ehen Gedanken machten, als ein Problem gesehen wurde, das gelöst werden mußte. Wenn wir heute das Erlebnis einer Phase der Ästhetik anstreben, dann geht es ja genau darum, hoffentlich vielleicht etwas realistischer, so dass es auch gelebt werden kann! Auf alle Fälle muß es erst einmal eine Zwischenstufe geben, in der man sich so richtig pudelwohl fühlt in der Gegenwart des “anderen", wenn man sich so gibt, wie man ist. Das ist doch der tiefere und menschliche Sinn der Sehnsucht nach Nacktheit vor anderen. Wir haben dafür heute das Bild des Katalysators: Da wirkt etwas allein durch seine Anwesenheit und löst dabei einen Prozeß aus, zu dem es sonst nie käme. Dabei tut er im Grunde gar nichts und verändert sich auch gar nicht dabei. Und dieses “Manselbstseinkönnen" und sich auch noch dabei zu steigern durch die bloße Anwesenheit eines anderen, der gar nichts tut außer da zu sein, das ist doch der Knüller! Denke einmal daran, daß wir vermutlich viel mehr Power in uns haben, als irgend jemand vor allem mit sogenannten Befriedigungsversuchen aus uns herauslocken kann. Hinter den “Anweisungen” in der Bibel steckt bei näherem Hinsehen also genau die raffinierte und feine Psychologie, die heute wieder so nötig wäre: Menschen können sich vor endgültigen Bindungen ihre Partner genau und trotzdem unverbindlich ansehen und sie auch erleben. Das kann doch dann “in diesem Zustand" nur den Sinn haben, daß es nicht aufgrund oberflächlicher Spannungen zu Faszinationen kommt und zu Bindungen, die dann doch nicht halten. Martina: Das hieße dann ja auch, daß die Bibel eigentlich sehr realistisch ist, man darf sie nur nicht in primitiver Weise wörtlich nehmen. Beatrix: Das sage ich ja schon die ganze Zeit... (Website basisreligion mit basislexikon, basisdrama, basisgesprächen, basisreisen) |