23. Der wahre Kick
Martina: Meine Mutter hat mir einmal gesagt, daß ich die Wahl hätte zwischen zwei Sorten von Männern, also zwischen denen, die ab und zu mal auch fremdgehen und denen, die langweilig sind. Beatrix: Ich glaube, daß man das schon herauskriegen kann, wenn man das mit dem Antistreßhormon testet. Aber man darf so schnell einem Freund kein Unrecht tun, wenn bei einer solchen Testerei, bei der beide durchaus nackt sind, keine Spannung aufkommt. Es kann ja auch schließlich sein, daß der andere eben ein Geschwistertyp ist, mit dem man nur so einfach guter Kamerad ist und bei dem sonst nicht mehr ist. Martina: Aber steigert das nicht die Spannung, wenn man nicht nackt ist? Beatrix: Hast du einmal überlegt, ob du durch diese Fixierung auf die Spannung von den äußerlichen Körperteilen her nicht die Basis für Oberflächlichkeit und von daher für späteres Fremdgehen legst oder daß Menschen sogar von sich aus eine Beziehung überhaupt aufgeben? Martina: Du bist doch bescheuert, da gibt's doch überhaupt keinen Zusammenhang. Beatrix: So einfach ist das nicht! Denn durch diese Spannung wird den rein äußerlichen Körperteilen eine Bedeutung beigemessen, die sie etwa von Natur aus mit Sicherheit gar nicht haben. Für eine kurze Zeit mag da sicher ein großer Reiz sein. Doch du mußt ja immer bedenken, daß unsere Vorfahren im warmen Afrika im Zustand der Nacktheit Menschen wurden, wo alles das, was du mit deiner Scham da so in den Vordergrund stellst, ziemlich nebensächlich war. Wenn nun eine nähere Beziehung auf etwas aufgebaut wird, was im Grunde nebensächlich und rein äußerlich ist, dann ist das wie mit dem berühmten Strohfeuer, das zwar am Anfang unheimlich stark brennt, jedoch bald völlig ausgeht. In unserem Fall mündet die anfängliche Hingerissenheit auf die Dauer in Langeweile. Das Anglotzen der gegenseitigen “Fettgewebe” und anderer Hautausformungen bringt´s eben nicht auf Dauer. Daher immer wieder Langeweile. Und eine Langeweile schreit ja geradezu nach einer neuen Spannung, na ja, und da hast du dann den wichtigsten Grund fürs Schlußmachen hier und fürs Fremdgehen dort. Martina: Eine ziemlich gewagte Theorie. Beatrix: Jedoch aus dem Tierreich übernommen. Wir Menschen haben ja in manchen Dingen dieselben Probleme wie die Tiere, so daß wir von unseren Beobachtungen da auch auf Gründe für unser Verhalten schließen können. Zum Beispiel geht es auch bei uns Menschen darum, daß die Frauen gesunden und starken und besonders überlebensfähigen Nachwuchs haben wollen. Und das wird ihnen durch gut aussehende und starke und junge Männer signalisiert. Übersehen wurde dabei in den wissenschaftlichen Untersuchungen bisher weitgehend, daß sie bei ihrer Wahl auch Inzucht unbedingt vermeiden wollen, weil die ja auch wieder für den Nachwuchs schädlich ist. Doch was signalisiert ihnen Inzucht? Bei der Beobachtung einer Gruppe von 52 wildlebenden Schimpansen und der Untersuchung deren DNS, also deren Erbsubstanz, wurde festgestellt, daß von dreizehn Affenjungen sieben mit keinem der männlichen Glieder der Gruppe verwandt waren, und es war auch beobachtet worden, daß die betreffenden Mütter dieser Jungtiere ein bis zwei Tage die Gruppe verlassen hatten und zwar gerade in ihrer fruchtbaren Phase, offensichtlich um “fremdzugehen". Der Sinn dieses Fremdgehens kann nur sein, damit neue Erbsubstanz in die Gruppe kommt, was wiederum der Förderung von Gesundheit und Überlebensfähigkeit des Nachwuchses und der ganzen Gruppe dient (Welt am Sonntag, 8.6.97). Martina: Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß die Affen über eine Auffrischung ihrer Erbsubstanz nachdenken und daher bewußt fremdgehen! Beatrix: Sicher nicht, zumal dieses Fremdgehen auch für sie selbst und für die dabei entstandenen Affenjungen ziemlich gefährlich ist. So etwa beißen auch Affenväter die Jungen ihrer Weibchen tot, wenn sie merken, daß sie nicht von ihnen sind. Die Schimpansenweibchen machen ihre Fremdgeherei natürlich aus einem unbewußten oder instinktiven Trieb. Und der Grund kann doch nur sein, weil es ihnen in der eigenen Gruppe zu langweilig ist und weil Sex mit einem ganz fremden Affen so interessant und spannend ist, daß sie unbedingt den wollen. Sexuelle Langeweile signalisiert eben auch den Affen Verwandtschaft und Inzucht - und Spannung signalisiert neue Gene und Gesundheit... Martina: Und du meinst, das ist bei uns Menschen genauso - Langeweile signalisiert irgendwie Verwandtschaft und deswegen läßt uns da unsere Natur bei den Leuten, die immer um uns herum sind, weniger Appetit auf Sex haben. Und das ist auch der Grund, warum wir uns lieber spannende Partner suchen? Beatrix: Ja natürlich, obwohl oft gar keine Verwandtschaft vorliegt, aber sag das einmal deinen Gefühlen. Martina: Und wie soll man es also richtig machen? Beatrix: Natürlich wird man nie vollständig ausschließen können, daß es nicht doch einmal zwischen Verwandten zu erotikbestimmten Spannungen kommt. Doch sollte man auf alle Fälle dafür sorgen, daß wenigstens von zweitrangigen und künstlichen Dingen her keine Spannungen aufgebaut werden können, weil die zwar zunächst die Liebe wahnsinnig interessant machen, jedoch irgendwann immer zur Langeweile führen und so weiter. Und so sollte vor allem die Nacktheit einfach so zur Selbstverständlichkeit werden, daß die allein überhaupt keine rechte Spannung und daher auch kein Strohfeuer mehr erzeugen kann. Martina: Dann hätten die Prostituierten ja vielleicht auch geringere Chancen, Liebespartner zu finden, denn sie werben ja wohl nur mit ihren Äußerlichkeiten, und die würden ja jetzt belanglos. Beatrix: So denke ich auch. Und wer von den Männern sich anmerken läßt, daß es ihm vor allem um die Äußerlichkeiten geht und daß ihn das andere, was man ist und was man sonst noch zu bieten hat, gar nicht richtig interessiert, der bewegt sich in jedem Fall auf einem untauglichen Niveau und der sollte eigentlich für einen schnellstmöglich weg vom Fenster sein. Martina: Und du meinst, solche Fehlentwicklung kann man an der Einstellung eines Menschen zur Nacktheit frühzeitig erkennen? Beatrix: Gewiß nicht nur, doch das ist schon einmal ein Indiz. Da kommt noch etwas anderes hinzu: In der ganzen Natur ist es doch so, daß sich die Lebewesen vermehren wollen. Der Trieb zur Fruchtbarkeit ist gewiß mindestens genauso stark wie der Trieb, leben zu wollen. Wenn wir Menschen nun alles das, was mit Fruchtbarkeit zu tun hat, verstecken und nicht ganz bewußt in unser Leben von Anfang an einbauen, dann empfindet das die Natur als Versuch, die Fruchtbarkeit überhaupt zu unterdrücken. Und weil das nun absolut wider die Natur ist, klappt das dann schon gar nicht, ja das kann überhaupt nicht klappen, weil die Natur das einfach nicht will und sich daher wehrt. Und so gerät dann der Trieb zur Fruchtbarkeit bei Gelegenheit völlig außer Kontrolle - und man hat gar keinen Einfluß mehr darauf, mit wem man etwas anfängt - oder eben auf wen man reinfällt. Das ist dann die Quittung für deine Idee, die Spannung mit Verklemmtheit und Leibfeindlichkeit zu steigern. Martina: Wenn wir also für etwas Ekel und Scham empfinden, was eigentlich natürlich ist, dann machen wir das im Endeffekt nur um so schlimmer? Beatrix: Genau - das kehrt sich dann in der Pubertät oder in der ersten Verliebtheit nämlich total ins Gegenteil um! Daraus wird dann etwas geradezu Anziehendes und Unwiderstehliches. Vermutlich pfuschen wir also mit unserer “Zwangsverhüllerei" der Natur nur ins Konzept. Wir Menschen meinen ja nicht nur hier, schlauer als die Natur zu sein. Doch die pflegt sich dann zu rächen, indem ganz einfach dann schon gar nicht funktioniert, was wir da machen. Martina: Ist es aber nicht verständlich, wenn man sich nur demjenigen nackt zeigen möchte, den man auch das ganze Leben lieben möchte? Beatrix: Du verwechselst hier immer noch Moral mit Überspanntheit. Und Überspanntheit hat nun leider mal nichts mit Moral zu tun, sondern eben eher mit Fremdgehen. Martina: Wenn also die Scham nur Nachteile hat, sollte man dann gerade die jungen Menschen nicht von vornherein zwingen, sich anders, eben ohne Scham, zu verhalten? Beatrix: Gott bewahre, nein, bloß das nicht! Das ist wie bei einer Religion, nie und nimmer irgendein Zwang! Im Grunde ist sogar ein Gruppenzwang Mist. Trotzdem: Ich überlege, was du da eben gesagt hast. Ist nicht allein die Vorstellung eigentlich absurd, daß wir zu einem Verhalten, wo wir “mehr Mensch" sind, schon gezwungen werden müssen oder zumindest eine behördliche Genehmigung brauchen? Und daß so etwas, wenn wir es ohne solche Genehmigung tun, sobald uns andere Menschen sehen können, fast überall als “Erregung öffentlichen Ärgernisses" gilt und man deswegen bestraft werden kann? Martina: Wirklich, komische Welt. Beatrix: Vielleicht ist es dennoch besser, wenn bei so etwas jeder von sich aus darauf kommen muß. Denn dann macht er es bewußter. Martina: Ob das der Grund ist, warum die Kinder von Leuten, die selbst mit der Nacktheit keine Probleme haben, ihrerseits wieder mit der Scham anfangen, wenn sie ins entsprechende Alter kommen? Beatrix: Das ist gut möglich, daß diese Freiheit die Natur nur dem gibt, der sie sich selbst erworben hat - zumindest in unserer (noch) nicht-heilen Welt. Doch damit Menschen zu dieser Freiheit kommen, da darf man natürlich argumentieren und überzeugen. Martina: So wie du das mit mir machst.
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