LANGEWEILE ist nicht einfach nur gerade so eine mißliche seelische Befindlichkeit ohne weitere Auswirkungen, sondern ist vermutlich eine der Hauptursachen schlimmsten menschlichen Fehlverhaltens (siehe das Böse). Dem Verfasser erzählte einmal eine sehr konservative Dame von der Entscheidung ihres Mannes, sich 1939 nicht vom Kriegsdienst freistellen zu lassen, obwohl es ihm als Eisenbahner durchaus möglich gewesen wäre, mit der Begründung: “Jetzt, wo´s los geht, will ich auch dabei sein...” Und beide Eheleute waren gewiß alles andere als typische Nazis. Eigentlich kann nur Langeweile der Grund dafür sein, selbst das Risiko der gefährlichen Teilnahme an einem Kriegsgeschehen auf sich zu nehmen: "Hier ist endlich einmal etwas los, hier muß ich dabei sein, koste es, was es wolle!". Und ist Langeweile nicht auch oft die einzige mögliche Erklärung für das merkwürdige Verhalten eines Mädchens oder einer biederen Hausfrau, die sich in ein Abenteuer mit einem rechten Tunichtgut stürzt, was für sie doch eigentlich offensichtlich war? Es ist eben wohl bisweilen kaum etwas schwieriger zu ertragen als eine öde Langeweile. Nicht umsonst sagt der Volksmund: “Wenn´s dem Esel zu wohl ist, geht er auf´s Eis tanzen” (d.h. er riskiert sogar, daß er durch die Eisdecke mit voller Absicht durchbricht....). Der Grund für dieses merkwürdige Verhalten liegt wie vieles andere in unserer menschheitsgeschichtlichen Vergangenheit. Denn in der Zeit, in der Mensch sich aus der Tierwelt entwickelt hat – und nicht nur da, sondern auch bis vor wenigen Jahrhunderten war extreme Aufregung und extremer Streß sozusagen an der Tagesordnung, war Bestandteil des Lebens. Entweder hatten unsere Vorfahren nichts zu essen oder wurde auch etwa bei einer Jagdunternehmung selbst von einem wilden Tier gejagt. Zur psychischen Überwindung dieser Situation pflegt nun der menschliche Organismus so genannte Endorphine zu bilden, Anti-Streß-Hormone, die im chemischen Aufbau und in der Wirkung die Eigenschaften von Drogen haben, der Mensch setzte sich sozusagen selbst unter Drogen. Wenn die oft genug lebensbedrohende Situationen dann wieder vorbei waren, war auch der Streß vergessen – und alle Streßhormone lösten sich in Wohlgefallen auf. Dieses extreme Wechselbad von Anspannung und Entspannung gehört von daher eigentlich zu unserem Leben, ja wir brauchen es sogar, doch das gibt es nun heute in unseren perfekten Versorgungsgesellschaften nicht mehr – es herrscht sozusagen Langeweile. Wenn wir nun heute nicht unter den bisweilen verheerenden Folgen solcher Langeweile leiden wollen, müssen wir uns schon selbst um eine Art Wechselbad von Anspannung und Entspannung kümmern. Die Möglichkeiten sind vielfältig, sei es bei sportlichen Wettkämpfen mit der Chance zu siegen oder zu verlieren, sei es bei anderen sportlichen Höchstleistungen mit Entbehrungen, sei es bei geistigen existentiellen Auseinandersetzungen, bei denen es vielleicht sogar um Beförderung oder den Verlust einer Arbeitsstelle geht, seien es irgendwelche andere extreme Erlebnisse und Erfahrungen. Wir müssen uns klar sein, wenn wir solche “natürlichen Auslastungen” nicht haben, dann brauchen wir vermutlich irgendwann andere. Aus eigener Erfahrung kann der Verfasser von einer Fahrt mit der 12jährigen Tochter von Freunden mit Bahn, Schiff, Zelt und Klapprad nach Sizilien mit Fahrt zur Vulkaninsel Stromboli und Besteigung des Berges berichten. Diese Fahrt war gewiß anstrengend und äußerst ungewohnt für das Mädchen, bisweilen war die Radfahrerei anstrengend, das Schlafen im Zelt nicht sonderlich bequem, die hygienischen Verhältnisse kaum zumutbar. Zweimal mußte auch das Mädchen morgens sehr früh aufstehen, um Zug oder Schiff zu erreichen, einmal wurde es auf dem Stromboli nach recht stürmischer Nacht unter freiem Himmel und - nur notdürftig durch einen Wall aus Lava geschützt - morgens unsanft vom Nieselregen geweckt. Trotzdem war das Mädchen offensichtlich irgendwie begeistert. Bei einer anderen erheblich komfortableren Fahrt mit dem Auto ohne alle die Improvisationen und Sondereinlagen zu Freunden nach Polen war das Mädchen dagegen unausstehlich.... Was wäre also, wenn junge Leute sich zusammentun und ähnliche Fahrten machen? Wenn sie alles ordentlich und sauber hinterlassen, können sie sogar in manchen Ländern ab und zu wild zelten. Manchmal können sie auch das Zelt am Tag allein stehen lassen und sich etwas ansehen. Eine Schülerin meinte, dann hätte sie Panik, ob das Zelt am Abend noch da sei. Da kann man nur antworten: "Ja, genau das könnte so ein schöner möglicher Streß sein, der zu den begehrten Adrenalinerlebnissen führt”. Was für ein Ärger, wenn das Zelt samt Inhalt weg ist (in manchen Ländern sehr unwahrscheinlich – und wenn schon, es wäre bei den heutigen Zeltpreisen usw. eh kein großer Verlust, oft wäre ein Hotel teurer), und was für eine Freude, wenn alles in Ordnung ist... Bedenken wir Erwachsenen doch einmal, daß etwas, was für uns selbst eine bisweilen unangenehme Störung ist, für junge Leute “Programmpunkt” ist – gerade davon reden sie noch lange... Gönnen wir den jungen Leute doch diese Programmpunkte! (Wenn Menschen über etwas reden, dann ist das ein Indiz dafür, daß sie das irgendwie gefesselt hat, daß da bei ihnen Adrenalin “herumkam”, daß hier “ihr” Ansatzpunkt gegen die Langeweile ist.) Ein anderes Feld ist das der sexuellen Erlebnisse: Langeweile im Bereich des Sexuellen signalisiert Inzest (s. Inzesttabu), brisante Abenteuer dagegen signalisieren “gesunde Nachkommenschaft”, selbst wenn in Wirklichkeit das alles in der konkreten Situation weder gegeben noch beabsichtigt ist. Daher sind wir von der Natur nun einmal auf Spannung angelegt! Wir Menschen haben in manchen Dingen dieselben Probleme wie die Tiere, so daß wir von unseren Beobachtungen da auch auf Gründe für unser eigenes Verhalten schließen können. Zum Beispiel geht es auch bei uns Menschen darum, daß die Frauen gesunden und starken und besonders überlebensfähigen Nachwuchs haben wollen. Und das wird ihnen durch gut aussehende und starke und junge Männer signalisiert. Übersehen wurde dabei in den wissenschaftlichen Untersuchungen bisher weitgehend, daß sie bei ihrer Wahl auch Inzucht unbedingt vermeiden wollen, weil die ja auch wieder für den Nachwuchs schädlich ist. Doch wie wird Inzucht signalisiert? Bei der Beobachtung einer Gruppe von 52 wildlebenden Schimpansen und der Untersuchung deren DNS, also deren Erbsubstanz, wurde festgestellt, daß von dreizehn Affenjungen sieben mit keinem der männlichen Glieder der Gruppe verwandt waren, und es war auch beobachtet worden, daß die betreffenden Mütter dieser Jungtiere ein bis zwei Tage die Gruppe verlassen hatten und zwar gerade in ihrer fruchtbaren Phase, offensichtlich um “fremdzugehen". Der Sinn dieses Fremdgehens kann nur sein, damit neue Erbsubstanz in die Gruppe kommt, was wiederum der Förderung von Gesundheit und Überlebensfähigkeit des Nachwuchses und der ganzen Gruppe dient (Welt am Sonntag, 8.6.97). Die Affen denken natürlich nicht über eine Auffrischung ihrer Erbsubstanz nach und gehen daher auch nicht bewußt fremd. Denn dieses Fremdgehen ist ja auch auch für sie selbst und für die dabei entstandenen Affenjungen ziemlich gefährlich. So etwa beißen auch Affenväter die Jungen ihrer Weibchen tot, wenn sie merken, daß sie nicht von ihnen sind. Die Schimpansenweibchen machen ihre Fremdgeherei natürlich aus einem unbewußten oder instinktiven Trieb. Und der Grund kann doch nur sein, weil es ihnen in der eigenen Gruppe zu langweilig ist und weil Sex mit einem ganz fremden Affen so interessant und spannend ist, daß sie unbedingt den wollen. Sexuelle Langeweile signalisiert eben auch den Affen Verwandtschaft und Inzucht - und Spannung signalisiert neue Gene und Gesundheit... (Siehe auch GESPRÄCH 23!) Und so dürfte es also auch bei uns Menschen sein: Und deswegen läßt uns da unsere Natur bei den Leuten, die immer um uns herum sind, weniger Appetit auf Sex haben. Und das ist auch der Grund, warum wir uns lieber fremde und spannende Partner suchen! Wer sich gegen solchen späteren unliebsamen Überraschungen seiner Gefühlswelt im Hinblick auf Langeweile schützen will, der sollte ganz bewußt alles dran setzen zu durchschauen, welcher Art die Beziehung ist, auf die er sich einläßt. Und schließlich kann eine richtig gelebte Enthaltsamkeit etwa á la Gandhi ja auch schon ganz schöne Adrenalinerlebnisse bringen, mit denen wir feststellen können, ob wir schließlich nicht doch nur eine Art Bruder und Schwester sind. Der Orgasmus, vor allem der eher zentralnervös ausgelöste, ist da ein typisches Indiz für Brisanz, schließlich kann man den auch “testen” mit der Einhaltung einer eher unproblematischen und unverbindlichen Reihenfolge – völlig in Übereinstimmung mit wirklichem christlichen Glauben. Vorbedingung für das alles ist natürlich auch eine sinnvolle Überwindung der Leibfeindlichkeit in unserem eigenen Leben und vor allem in dem junger Menschen! Denn wenn es zu der nicht rechtzeitig kommt, brennen insbesondere junge Mneschen geradezu auf eine Erlösung von ihr - und Tutti frutti wäre dann noch das Harmloseste (ansonsten siehe etwa oben)! Wir dürfen uns hier nicht von dem moralischen Getue junger Menschen blenden lassen, hier ist Handlungsbedarf! (Wörterbuch von basisreligion und basisdrama) |