Jesus und die Sünderin:
  ANMERKUNGEN zum DRAMA

 

Anmerkungen zur Einleitung – zurück zur Einleitung

(1) vgl. Leipoldt/Grundmann, Umwelt des Urchristentums, Berlin 1966, S. 177

(2) Siehe Daniel 13 (nur in katholischen oder gemeinschaftlichen Bibelausgaben). Es gibt zahlreiche Gemälde bedeutendster Maler zu diesem Thema - auch nichtkatholischer wie Rembrandt. Von Giorgione (1477/78 -  1510) befindet sich in Glasgow (Art Gallery and Museum) ein Gemälde, das im allgemeinen als "Jesus und die Sünderin" (siehe Anmerkung 3), von einigen Experten jedoch als "Susanna im Bade" interpretiert wird. Ich halte es durchaus für möglich, daß es vom Künstler bewußt in beiden Bedeutungen gemalt worden ist. Es wäre nicht neu, wenn also ein Künstler zwischen den beiden Erzählungen, der von "Susanna" im Bade und der von "Jesus und der Sünderin" schon eine Beziehung sieht. - Die Version "und sie waren intim mit euch vor lauter Angst..." "statt wie bei uns üblich "sie fürchteten sich und waren euch zu Willen" habe ich aus der amerikanischen "Revised Standard Version of the Bible" (seit 1946) übersetzt.

(3) Nach Auffassung meines früheren Professors Rupert Lay S.J. handelt es sich bei dieser Stelle tatsächlich um eine Begebenheit um Jesus, selbst wenn sie in den früheren (synoptischen) Evangelien nicht enthalten ist. Lay deutete auch an, daß hinter dieser "Stelle" mehr steckt als eine Vergebungsgeschichte und hat damit - zumindest indirekt - zur Entstehung dieses Stücks beigetragen.  

(4) vgl. Horst Herrmann, "Kirchenfürsten...", Hamburg 1992, S. 91

 

Anmerkungen zum 1. Akt – zurück zum 1.Akt

(5) Nach jüdischem Gesetz ist das Kennzeichen einer Ehe der Geschlechtsverkehr. Und Prostituierte fangen so eben immer wieder "neue Ehen" an und brechen sie wieder ab - sie sind daher "Ehebrecherinnen". Die Todesstrafe für Ehebrecher war einmal eingeführt worden zur Abwehr heidnischer Kultbräuche (siehe Anmerkung 20), wurde vermutlich inzwischen jedoch nur noch - wie in diesem Theaterstück geschildert - mißbraucht.

 

Anmerkungen zum 2. Akt – zurück zum 2. Akt

(6) Ich bin - offen gesagt - überfragt, was zur Zeit Jesu gerade so illegal war, irgend etwas Illegales wird es jedenfalls gegeben haben.

(7) Das Argument, daß man Vergewaltiger nicht "statt dessen" zu einer Prostituierten schicken kann, habe ich aus einer Sendung von "Biolek mit Prostituierten". Der Grund könnte - wenn wir einmal von den sehr seltenen Fällen möglicher Veranlagung absehen - in den jeweils speziellen Hormonen (oder Endorphinen) liegen, von denen es ja eine schier unendliche Vielfalt gibt, die je nach Gebrauch gebildet werden und die wie bei einer Droge immer wieder nach Nachschub verlangen, hier also nach "denselben" Erlebnissen. Ein Vergewaltiger "braucht" also "sein spezielles Hormon", das bei Vergewaltigungen gebildet wird, ein Kinderschänder sein Hormon, das bei Kinderschänderei gebildet wird und so weiter. Angefangen kann das durchaus einmal mit einer erlittenen Vergewaltigung oder Kinderschändung haben.

Die Theorie von den Hormonen, die gebildet werden, wie sie gebraucht werden, kann natürlich auch positiv eingesetzt werden: Wer Spaß an berauschender Enthaltsamkeit hat, wird sie auch immer wieder leben wollen - siehe hierzu die Gespräche über das Anti-Streß-Hormon in den "Vertraulichen Gesprächen".  

(8) Typische jüdische Eßvorschriften, die heute noch von den meisten Juden gehalten werden, selbst wenn sie nicht strenggläubig sind.

(9) Die hier dargestellten Einstiege in die Prostitution sind natürlich nicht die einzigen. Ich könnte mir vorstellen, daß vor zweitausend Jahren in der Umwelt Jesu sehr oft Erpressung und Vergewaltigung eine Rolle spielten.

       Vielleicht geschah der Einstieg damals auch so wie heute in Thailand (eine Schülerin berichtete mir von einer Fernsehsendung): In manchen Schulen in ländlichen Gebieten gaben um die 30 % der Mädchen an, daß sie nach Schulabschluß in Bangkok Prostituierte werden wollten. Auf die Rückfrage, was sie sich darunter vorstellten, meinten sie, daß sie ihre Hös'chen auszögen und den Männern verkauften, die sie ihnen dann abends wieder zurückgäben. Die Praxis sieht dann aber so aus, daß sie durch Massenvergewaltigungen durch die Zuhälter und ihre Freunde gefügig gemacht werden. Die Mädchen haben in ihrer kulturell verordneten Naivität eine harmlose (und etwa in der Adam-und-Eva-Erzählung durchaus tolerierte und sogar angeregte) Befreiung von Prüderie im Kopf, die jedoch von Erwachsenen als Trieb nach wirklicher "Un-Moral" interpretiert wird. Was mögen das nur für seelisch kranke und kaputte Erwachsene sein, die zwischen dem Hös'chenausziehen "vor" Männern und dem Geschlechtsverkehr "mit" Männern keinen Unterschied sehen können? Könnte man den Mädchen den Spaß, den sie sich vorstellen, nicht gönnen? Doch den Eltern und sonstigen Erwachsenen kommt die Uninformiertheit ihrer Kinder sehr gelegen, denn so "funktioniert" es "reibungsloser", wenn sie ihre Töchter sogenannten "Arbeitsvermittlern" "verleihen" und dafür etwa umgerechnet DM 1200 erhalten, mit denen sie sich ein Steinhaus bauen können. Dabei kommen sie sich vermutlich überhaupt nicht unmoralisch vor, denn sie halten ja die Verhinderung eines Überblicks für ihre Kinder und die Verteufelung der Nacktheit für Moral ("man könnte ja die Kinder sonst unnötig vorzeitig verstören" - mir kommt das so vor wie mit den Juden vor der Ermordung, denen man vormachte, es handle sich um Duschräume, in die sie da hineingetrieben wurden), in Wirklichkeit stecken sie bewußt oder unbewußt mit den Zuhältern unter einer Decke.

       Wir müssen uns wohl auch einmal näher damit beschäftigen, was in diesen Mädchen vor sich geht, wenn sie sich Männern zeigen und dabei auch ihre Hös'chen ausziehen wollen. Das muß - für sie selbst völlig unabhängig vom Trieb nach sexueller Befriedigung mit Geschlechtsverkehr - ein unheimlich starker Trieb sein, der sie blind und taub werden läßt gegen alle Argumente (außer denen, die von einem rechtzeitigen Überblick kämen), die ihnen ganz gewiß auch in Thailand - etwa in der Schule - nahe gebracht werden. Ob das Sichzeigenwollen der kleinen Mädchen nicht ein gesunder Naturtrieb im Zusammenhang mit unserer allgemeinmenschlichen Veranlagung zur Partnersuche ist und ob nicht erst die Unterdrückung dieses Triebs zu diesen verheerenden Folgen für die jungen Leute führt?

       Und so sollten wir hier in der westlichen Welt nicht diese armen Bauern verachten, die vielleicht tatsächlich einen "Töchterüberschuß" haben und den auf diese Weise wenigstens zum Nutzen der Familie "verwerten", und uns statt dessen lieber fragen, inwieweit wir nicht ohne Not ähnliche kaputte Moralvorstellungen wie sie haben, wenn wir auch unsere jungen Menschen hier durch Verschweigen und Tabuisieren an letztlich genau demselben Überblick hindern und sie so manipulieren. Ein Indiz mag unsere Einstellung zur Nacktheit und zur wirklichen Information der Kinder sein! (Ich bin im übrigen überzeugt, daß es auch für die thailändischen Mädchen bessere Wege aus dem eventuellen Töchterüberschuß gibt, wenn auch sie von einem Überblick her mitdenken und mitentscheiden dürften.)

       Man kann natürlich auch alle Gefühle für eine seelisch-geistige Liebe als kitschig und unrealistisch abtun und das Abstumpfen da als Emanzipation und Erziehungsziel hinstellen...

       Wie dann der Alltag der "dörflichen Prostitution" in Gesellschaften aussieht, die vergleichbar mit der Gesellschaft sind, mit der Jesus zu tun hatte, habe ich aus Indien erfahren. Es ist vor allem in ländlichen Gebieten selbstverständlich, daß die jungen Mädchen, die zu 99 % verheiratet werden, unbescholten in die Ehe gehen. Bei den Mädchen wird die Vorbereitung aufs Leben so wie in Thailand sein - und für die jungen Männer gibt es Prostituierte, die jeweils mehrere Dörfer "bedienen". Im Gegensatz zu Indien ist im Israel zur Zeit Jesu solche Prostitution allerdings streng verboten, der Unterschied wird also sein, daß es in Israel noch eine Instanz gab, die sozusagen "den schmierenden Puffer" bildete zwischen den sich strafbar machenden Frauen und dem Arm des Gesetzes - eben die Zuhälter.

       Doch noch etwas eher Allgemeines: Wenn wir einmal annehmen, daß das Gelingen der Veranlagung zur Fruchtbarkeit höchstes Ziel der Natur bei allen Lebewesen ist, so müssen wir das auch für den Menschen akzeptieren. Doch dann ist die Prostitution, bei der die Frauen ja nur als Objekt zur Abreaktion gesehen und ansonsten sich selbst überlassen werden, ganz gewiß nicht im Sinn der Natur. Denn eine "geordnete Aufzucht" von Nachwuchs ist dabei ja vor allem in den widrigen Verhältnissen, in denen sich die Menschheit in Urzeiten entwickelt hat, nicht möglich. Vermutlich hat also der Mensch sein außerordentlich großes Gehirn mitbekommen, damit er es vor allem im Sinn gelingender Fruchtbarkeit einsetzen kann, daß heißt, daß er einerseits damit zu "lügen und betrügen" weiß, wenn es sinnvoll ist, daß er allerdings auch dies "Lügen und Betrügen" durchschauen kann, wenn das eben sinnvoll ist. Es ist nun gewiß nicht die Aufgabe von Religionen, Anleitungen zum Lügen und Betrügen zu geben, doch es kann auch nicht Sinn von Religionen sein, dieses Erkennen von Lug und Trug unmöglich zu machen, indem Naivität und Tabus gefördert werden. Doch es sieht leider so aus, als ob immer und überall Religionen ihr Ziel genau hier sehen, weil nämlich dann die Menschen nicht zu ihrem Ziel der Fruchtbarkeit kommen (damit hängt ja auch das Hochgefühl eines gelingenden Gefährteseins von Mann und Frau zusammen) und auf die kostspieligen Ersatzziele "Gott/Vergebung/glücklicheres Leben nach dem Tod" "anspringen". Besteht also nicht nur im Israel zur Zeit Jesu oder heute in Thailand, sondern überall und zu jeder Zeit, wo es Religionen mit diesen typischen Zielen gibt, schon vom System her gar nicht ein Interesse am Gelingen des Menschseins? Nicht umsonst wird daher die Botschaft Jesu hier nicht im Sinn einer typischen Religion gesehen, sondern eher im Sinn eines Kampfes gegen die typischen Religionen (auch und gerade gegen das Christentum, wie es sich heute darstellt).

(10) Kann man diese Stelle um Matthäus 6,28 eigentlich anders deuten? Sie heißt im uns bekannten Wortlaut: "Deswegen sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, daß ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, daß ihr etwas anzuziehen habt. Ist nicht das Leben wichtiger als die Nahrung und der Leib wichtiger als die Kleidung? Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr als sie? Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern? Und was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien, die auf dem Feld wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Doch ich sage euch: Selbst Salomo war in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen. Wenn aber Gott schon das Gras so prächtig kleidet, das heute auf dem Feld steht und morgen ins Feuer geworfen wird, wieviel mehr dann euch, ihr Kleingläubigen? Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn um all das geht es den Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, daß ihr das alles braucht. Euch aber muß es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben..."

       Wenn wir nun bedenken, daß Jesus vor allem zu Armen und zu Kleinbauern geredet hat, die entweder wirklich nicht viel zu essen hatten und die sich auch um die Nahrung ihrer Familien sorgen mußten oder die auch für die nächste Aussaat eine Lagerung in ihren Scheunen brauchten, so klingen die Aussprüche um die Nahrung entweder wie ein Hohn oder weltfremd oder gar als Aufforderung zur Faulheit und schließlich zum Diebstahl. Es dürfte also das im Vorwort Gesagte gelten: Hier wurde für einen überlieferten völlig anders gemeinten wirklichen Ausspruch Jesu ein neuer Zusammenhang "gebastelt", weil der ursprüngliche Sinn zu sehr ins Schwarze traf und daher nicht angenehm war. So dürfte der hier gegebene Zusammenhang passender sein. Und die damalige Provokation wäre auch heute noch eine - und fügte sich sehr gut in die Tradition der übrigen Bibel ein.

       Ob Jesus überhaupt etwas zur Nacktheit - wie ihm in diesem Stück "angedichtet" wird - gesagt hat, wissen wir nicht, es ist uns nicht überliefert. Doch das sagt noch gar nichts. Daß wir nichts finden, kann genau daran liegen, daß eben "die ganze Thematik" - wie also auch Näheres über den Umgang Jesu mit den Prostituierten seiner Zeit einerseits und den Kindern andererseits - weitgehend gefiltert wurde, weil sie so "rauh und ungehobelt", wie sie ursprünglich offen lag, in einem entschärften und angepassten Glauben nicht mehr opportun war. Immerhin waren die frühen Christen auch lange nach Jesus längst nicht so prüde wie wir heute: Die Täuflinge stiegen zur Taufe nackt ins Taufbecken (immerhin habe ich heute noch in Bulgarien gesehen, wie ein kleines Mädchen splitternackt getauft wurde, siehe Kindertaufe) und hinterher gab's auch noch eine "Ganzkörpersalbung". Zwar dürfte das auf Dauer letztlich doch nicht zu dem erwarteten moralischen Effekt wie ein konkretes geistiges Konzept geführt haben, doch es könnte ein Argument dafür sein, daß auch Jesus die Nacktheit nicht von vornherein als verwerflich ansah und vielleicht doch so geredet hatte wie hier "gedichtet". Denn üblich war unbefangene Nacktheit zumindest zwischen den Geschlechtern damals keinesfalls.

(11) Rupert Lay (siehe Anmerkung 3) unterscheidet die Beeinflussung anderer Menschen nach "Manipulation" und "Erziehung". Dabei ist "Erziehung" diejenige Beeinflussung, die dem betreffenden Menschen hilft, und "Manipulation" diejenige, die dem hilft, der da manipuliert. Wir können also sagen, daß "Manipulation" "fremddienlich", "Erziehung" jedoch "eigendienlich" ist. Was Jesus hier kritisiert, sind Scheinwerte, die keinen praktischen Sinn haben, jedenfalls nicht für denjenigen, der da beeinflußt wird, die also "Manipulation" sind. Für den Gesamtzusammenhang haben wir heute auch das Wort "Dekadenz" (= Verfall).

(12) Frei nach Matthäus 24,43 - Gleichnis vom wachsamen Hausherrn. Ich vermute, daß dieses Zitat von Jesus in einem anderen Zusammenhang gesagt wurde - möglicherweise in diesem hier -, in dem es dann einen völlig anderen Sinn ergibt. Bei der Verfassung der Evangelien war dann - hier wie auch anderswo - der Zusammenhang in Vergessenheit geraten - und es blieben nur noch Sprüche übrig.

(13) Matthäus 12,33. Wir sind es gar nicht mehr gewohnt, dass wir das Schlechte in der Welt auch als Folge schlechter Ideologien - und durchaus auch religiöser und ethischer - erkennen können. Auch das, was nach dieser Stelle kommt, paßt in diesen Zusammenhang: "Ihr Schlangenbrut, wie könnt ihr Gutes reden (Anm.: oder "lehren"?), wenn ihr böse seid? Denn wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund. Ein guter Mensch bringt Gutes hervor, weil er Gutes in sich hat, und ein Böser Mensch bringt Böses hervor, weil er Böses in sich hat..."

(14) Nach Lukas 16,1-8: Gleichnis vom klugen Verwalter, der vor seinem "Rauswurf" schnell noch den Schuldnern seines Herrn jeweils einen Teil ihrer Schuld erließ, damit sie ihn in ihre Häuser aufnahmen.

Die Empfehlung Jesu zeugt auf alle Fälle davon, daß er sich sowohl in wirtschaftlichen Dingen als auch in kriminellen Gepflogenheiten seiner Zeit auskannte - ohne dabei gewiß selbst mitzumachen.

Wie Jesus zu seinen Kenntnissen kam? Vermutlich hatte er wie überall vor unserer heutigen arbeitsteiligen Wirtschaftsweise den Beruf seines Vaters erlernt und ausgeübt und dabei hatte ihm wohl auch "der Wind um die Nase geweht". Denn unsere Vorstellung, daß Jesus vor seiner Predigttätigkeit eher ein beschauliches Leben geführt hatte, indem er etwa mit seinem Vater in einer Werkstatt "hinten" Tische und Stühle und andere Möbel herstellte, die Maria dann "vorn" verkaufte, ist gewiß keineswegs richtig. Einerseits ist die Möbeltischlerei ohnehin nicht das Tätigkeitsfeld eines "Zimmermanns", wie sich bei uns heute der Beruf des Vaters Jesu eingeprägt hat, doch auch für eine "Zimmermannskunst" in unserem heutigen Sinn dürfte in dem Gebiet der flachgedeckten Lehmhäuser, in dem Jesus eben lebte und wirkte, kaum Bedarf gewesen sein. Außerdem wächst dort auch traditionell gar kein entsprechendes Bauholz, denn die üblichen Oliven- und Pinienbäume eignen sich nun einmal nicht zum Häuserbauen. Des Rätsels Lösung ist, dass Martin Luther, als er vor etwa 470 Jahren die Bibel ins Deutsche übersetzte, also in der Zeit, als bei uns Fachwerkhäuser üblich waren, das griechische Wort "tekton", das wir heute richtiger mit "Häuserbauer" übersetzen müßten, eben mit "Zimmermann" übersetzte. Damit meinte er ja - damals durchaus richtig - einen "Zimmerbauer" oder "Häuserbauer", doch ist es von daher zu der Vorstellung von einem geruhsamen "Holzbearbeiter" gekommen, und diese Vorstellung wurde dann in wohl alle weitere Übersetzungen - auch in andere als deutsche - übernommen. Und mit der Zeit entstand von daher der Eindruck von einem idyllischen Leben Jesu vor seiner Predigttätigkeit.

In Wirklichkeit hatten "Josef und Söhne und Verwandte", wie auch heute noch durchaus in jenen orientalischen Ländern üblich, wohl eher eine Art "Wanderbaugeschäft", waren also in kleinerem und größerem Umkreis ihres Heimatorts mit der Ausführung von Bauaufträgen beschäftigt. Natürlich geschah dies gegen Bezahlung, Auftraggeber dürften in der damaligen Zeit weitgehender Naturalwirtschaft daher eher wohlhabende Leute gewesen sein. Und dabei dürfte Jesus so seine Freunde kennengelernt haben, von denen die Bibel berichtet. Einerseits waren das nun Zolleintreiber (siehe Anmerkung 24), für die er vielleicht Häuser gebaut haben mag oder mit denen er sonstwie von seiner wirtschaftlichen Tätigkeit her zu tun hatte, denen er etwa Steuern bezahlte. Von daher kannte er sich also in wirtschaftlichen und gewiß auch kriminellen Praktiken der Wirtschaft aus. Andererseits war er bei seinem "Wandergewerbe" wohl auch mit Prostituierten in Kontakt gekommen, wie das so bei Wanderarbeitern oft üblich ist. Allerdings berichtet die Bibel mehrfach, daß Jesus "sündenfrei" war, daß er also im Umgang mit den Prostituierten lediglich ein guter Freund und kein "typischer Kunde" war. Und es ist durchaus normal, daß Frauen und eben auch Prostituierte in einem solchen freundschaftlichen Verhältnis nun einmal ihrem Herzen Luft machen, irgendwo müssen sie ja loswerden, was in ihnen vorgeht und wofür sich sonst niemand interessiert. Von daher kannte Jesus dann eben auch das "andere". Auf beide "Sachgebiete" wird in der Bibel immer wieder angespielt. Daß Jesus von den Dingen des Lebens wirkliche Ahnung hat, unterscheidet ihn von den üblichen Geisteswissenschaftlern seiner Zeit, den Schriftgelehrten und Priestern. Und auch das wird in der Bibel anerkennend bemerkt (Matth. 7,29): "Denn er lehrte sie wie einer, der göttliche Vollmacht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten." (Dieser Satz kommentiert Jesu Ausführungen über die Fundamente von Häusern.)

(15) Psychologen heute unterscheiden da "Angst" und "Furcht". Angst bezieht sich dabei eher auf etwas Irrationales, dessen Gefährlichkeit einem nur eingeredet wurde und das in Wirklichkeit - zumindest bei rechtem Gebrauch - gar nicht gefährlich ist. Der Hintergrund einer Furcht ist dagegen etwas wirklich Gefährliches. Es ist Kennzeichen der gelungenen Emanzipation eines Menschen, daß er das eine vom anderen unterscheiden kann, sich über sinnlose Ängste hinwegsetzt und bei sinnvoller Furcht geeignete Strategien entwickelt, um den damit gegebenen Gefahren wirksam zu begegnen.

(16) Ein konkretes Beispiel für äußerliche Wohlanständigkeit: In Indien werden jährlich etwa 5000 bis 10000 junge Mädchen im Alter von neun bis fünfzehn Jahren der Göttin Yellama "geweiht", was für sie schließlich "kultische Prostitution" bedeutet (FAZ vom 22.5.1989). Früher waren die Mädchen bei der Weihe nackt und nur mit Kränzen aus den Blättern des Neem-Baums bekleidet. Heute ist die Nacktheit - die nun wirklich harmlose Nebensache bei dem ganzen, die allerdings eher ins Auge fällt - offiziell verboten, ansonsten bleibt alles beim alten.

(17) Vor knapp hundert Jahren entwickelte Sigmund Freud die Theorie, daß etwa der Anblick der Genitalien des Vaters - oder anderer Männer - und insbesondere eines erigierten Glieds bei kleinen Mädchen seelische Schäden verursacht und daher unbedingt verhindert werden muß. Freud hatte angeblich bei seelisch gestörten Frauen solche Erlebnisse in der Kindheit festgestellt. Inzwischen wissen wir, daß es sich keinesfalls um den Anblick männlicher Genitalien handelte, unter denen da seine Patientinnen seit ihrer Kindheit litten, sondern daß hier handfeste inzestuöse Vergewaltigungen geschehen waren. Freud hatte schlicht und einfach die Wirklichkeit abgeändert, weil es in der dekadenten Wiener Gesellschaft um die Jahrhundertwende unmöglich gewesen wäre, die Wahrheit zu sagen. Vermutlich ist "der reine Anblick" sogar das Gegenteil von schädlich.

(18) Vgl. Matthäus 23, 13: "Weh euch, ihr Schriftgelehrten, ihr Heuchler! Ihr verschließt den Menschen das Himmelreich. Ihr selbst geht nicht hinein; aber ihr laßt auch die nicht hinein, die hineingehen wollen." Sobald diese Sätze nicht mehr jenseitig gedeutet werden, passen sie hervorragend in den Sinn dieses Stücks.

(19) Zwar ist nirgends von Jesus überliefert, daß er sich mit solchen barbarischen Gebräuchen, die nur wenige hundert Kilometer von seinem Wirkungsbereich üblich waren, auseinandergesetzt hat. Doch ich meine, daß solche Themen bei Gesprächen mit Prostituierten schon automatisch zur Sprache kommen, vor allem wenn es um die Möglichkeiten einer besseren Welt geht. Und wenn diese Themen in den Evangelien eben nicht vorkommen, dann kann das durchaus bedeuten, daß sie beim (damaligen) Leser als bekannt vorausgesetzt werden. Oder sie werden nicht angesprochen, weil derartige heiße Eisen für einen ersten Einstieg in die neue christliche Botschaft für nicht opportun gehalten werden. Wir müssen immer damit rechnen, daß selbst in freizügigsten Gesellschaften alle Themen, die auch nur entfernt mit Sexualität zu tun haben, vollkommen tabuisiert werden. Ich erinnere mich an eine Einladung in einer amerikanischen Familie: Als ich da "irgend etwas in dieser Richtung" im Zusammenhang mit einer meiner Reisen erzählte, wurde sofort auf ein anderes Thema ausgewichen.

(20) Wir dürfen bei der Erzählung von Adam und Eva nicht einfach die vom Dualismus (s.u.) beeinflußte Deutung des Kirchenvaters Augustinus (354 - 430) weiterinterpretieren, sondern müssen auf den ursprünglichen Sinn bei der Entstehung dieser Geschichte - vielleicht zweitausend Jahre früher - eingehen. Und nach meinen Recherchen geht es dabei um eine Geschichte für das Gefährtesein von Mann und Frau und gegen die damals übliche kultische Prostitution, die dieses Gefährtesein durch den Brauch des Geschlechtsverkehrs zwischen Nichtgefährten zerstört. Die Umsetzung in diesem Theaterstück und in dem Teil für Kinder (Näheres siehe dort) erachte ich für angemessen.

       Vieles weist übrigens darauf hin, daß die Adam-und-Eva-Erzählung von einer "antiken" Frau verfaßt wurde - sie ist also offensichtlich ein Hinweis, wie sich "denkende" und "unverklemmte" Frauen "ihr Paradies" vorstellen. Daß der Beginn des "Sündigens" einer Frau angelastet wird (als erste "biß" ja angeblich Eva "in den Apfel"), spricht nicht gegen diese These. Eine Frau, die so intelligent ist, eine solche Geschichte zu entwickeln, die versucht auch, von vornherein den sinnlosen und nie zu einem Ende führenden Streit zu vermeiden, "wer" angefangen hat, indem sie die Schuld von vornherein auf ihr Geschlecht nimmt. Männer werden bei so etwas vermutlich eher "prinzipiell", damit sich am Ende doch nichts ändert, Frauen eher "pragmatisch", Hauptsache, es ändert sich etwas!

       Der erwähnte Dualismus ist eine Weltanschauung aus der Antike, die von der Vorstellung von einem guten und einem bösen Prinzip ausgeht und bei der "alles", was wirklich oder nur in unseren Köpfen existiert, diesen beiden (daher von lat. "duo" = zwei) Prinzipien zugeordnet wird. So wird auch der Mensch aufgeteilt: Der Kopf als das Organ des Denkens gehört zum guten, der Körper als das Organ der Triebhaftigkeit (zumindest unterhalb der Gürtellinie, bei der Frau schon unterhalb des Halses) zum bösen Prinzip. Solches Denken ist gerade für Christen nie und nimmer haltbar: Nichts am Menschen ist "böse", es kommt allerdings auf die Art und Weise der Verwendung an. So unterscheiden wir heute eher nach "sinnvollem Gebrauch" und "Mißbrauch". In diesem Sinn  ist auch dieses Kriminalschauspiel geschrieben.

(21) Diese "neue Zeit" "wirklicher Liebe" kann man sogar als Zeit bezeichnen, in der die "kaputte alte Welt" untergegangen ist und so eine Art "Auferstehung" stattgefunden hat. Und von dieser Auferstehung gibt es auch einen direkten Bezug zu dem Tatbestand, von dem in der Paradiesgeschichte ("Erbsünde") die Rede ist (siehe Anm. 20). Doch ich meine, man sollte die alten Worte "Auferstehung" und "Erbsünde" lieber weglassen, sie sind einfach zu mißverständlich.

(22) Das mit dem Auflecken ist eine Idee von mir. Es darf auch eine andere Handlung sein. Mir ist da der gehetzte und bejammernswerte Gesichtsausdruck einer Frau auf einem Bild (oder in einem Dokumentarfilm?) aus der Nazizeit in Erinnerung, wie der Pöbel mit einer nackten jüdischen Frau, die man der Hurerei beschuldigte, seinen Mutwillen trieb.

(23) Nach Auffassung heutiger Bibelwissenschaftler beziehen sich die "Sünden", von denen der Jesus der Bibel im Originaltext hier spricht, auf dasselbe, was man hier der Frau anlastet.

 

Anmerkungen zum 3. Akt – zurück zum 3. Akt

(24) Die damaligen Steuereintreiber (oder "Zöllner") waren keine Staatsbeamten in unserem heutigen Sinn, sondern Privatleute, die die Steuer eines bestimmten Gebietes gepachtet hatten, das sie dann nach eigenem Gutdünken ausbeuteten so wie man heute etwa einen Fischteich pachtet und ausbeutet (und sinnvollerweise allerdings auch bisweilen durch entsprechende "Fördermaßnahmen" für einen höheren Ertrag sorgt). Vorzugsweise kamen als Pächter vermutlich solche Leute in Frage, die sich in den Besitz- und Einkommensverhältnissen der jeweiligen Einwohner auskannten und wußten, wo was zu holen war. Das waren möglicherweise sogenannte "verkrachte Existenzen des Dorfes", deren Beliebtheit durch ihre Steuereintreibetätigkeit für die ausländische (Besatzungs-)Macht gewiß keinesfalls zunahm.

(25) Wir müssen bedenken, daß sowohl die jüdische Gesellschaft wie auch Rom selbst in unserem heutigen Sinne "Rechtsstaaten" waren und daß es absolut unzulässig war, jemanden wegen der im Neuen Testament der Bibel erwähnten angeblichen Taten oder Reden oder gar aus einer "Vorverurteilung" heraus mit dem Tode zu bestrafen. Wenn also Jesus mit dem Tode bestraft wurde, dann muß da ganz gehörig "gemauschelt" worden sein.

(26) Kreuzigung war die Strafe für Systemveränderer und für entlaufene Sklaven, die in gewisser Weise ja auch Systemveränderer waren. Insofern traf sie in Jesus "gar nicht einmal den Falschen", denn ihm ging es ja auch um eine Systemveränderung.

(27) Bei den koptischen Christen in Ägypten werden die Frauen seit ihrer "Bekehrung" zum Christentum zusätzlich zur Beschneidung noch getauft. Als Ägypten dann weitgehend moslemisch wurde, änderte sich für die Frauen im Wesentlichen wieder nichts, die Moslems beschnitten weiter. Und irgendwann kam auch die Verschleierung - alles immer nur "zusätzlich".

 

Diese Seite gehört zum Kriminaldrama der Website basisreligion. Siehe auch www.michael-preuschoff.de

 

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