Jesus und die Sünderin:   Zweiter Akt

(überarbeitet  Juli bis September 2003)

 

1. Auftritt: Jesus und der Steuerpächter Zachäus sitzen rechts vorne auf der Bühne an einem Bistrotisch beim Tee. Es ist ruhig.

ZACHÄUS: Schön, daß wir endlich einmal wieder beisammen sitzen und ein wenig Zeit füreinander haben. Seit du das letzte Mal hier warst, ist einiges geschehen. Du fängst an, etwas positiv zu verändern. Stell dir vor, unsere Freundinnen aus dem "Gewerbe" lassen sich nicht mehr alles gefallen, und es gehen auch nicht mehr ganz so viel Männer zu denen wie früher.

Sogar die Einnahmen sind schon zurückgegangen! Und das beste ist, daß die Mädchen anfangen, mit ihren eigenen Kindern zu reden und ihnen klaren Wein einzuschenken, wie es nun wirklich bei ihnen angefangen hat und wie beschissen so ein Leben als Hure in Wirklichkeit ist und daß das alles nur nach außen hin so toll aussieht. Und ich bezahle auch das Schulgeld für ein paar Kinder, damit die zur Schule gehen und etwas Anständiges lernen können. Und unabhängig davon beginnen auch andere Eltern, mit ihren Kindern offen zu reden und ihnen Vorstellungen von vernünftiger Liebe zu geben, also da tut sich auch was, es wächst ein ganz anderes Vertrauensverhältnis in den Familien.

Und das kommt alles von deinen Ideen. Du, die neue Welt der wirklichen Liebe, von der du schwärmst, die wird!

JESUS: Und was sagen die vom Tempel?

ZACHÄUS: Das kannst du dir ja vorstellen, die tun nach außen hin scheißfreundlich, doch in Wirklichkeit behindern sie uns, wo sie nur können. An die Kinder etwa, soweit sie nicht unsere eigenen sind, kommen wir nicht heran, denen erzählen sie in ihrem Unterricht immer noch den alten Glaubenskitsch wie bisher. Die leben ja von den Sünden der Leute viel besser und je mehr die Leute sündigen, desto mehr haben diese ein schlechtes Gewissen, desto besser läuft das Vergebungsgeschäft der Priesterclique.

Doch sagen können sie ja nichts, denn sie merken ja auch, daß deine Reden positiv wirken und sich die Leute jetzt so ganz nebenbei viel mehr an die Gebote halten als früher.

JESUS: Ach ich fürchte, unsere Erfolge sind alle nur oberflächlich. So die Ruhe vor dem Sturm. Da treten jetzt einige etwas leiser, weil die Stimmung der Leute es einfach so fordert, doch bei passender Gelegenheit schlagen die nur umso härter zu. Ich mache mir da überhaupt keine Illusionen.

ZACHÄUS: Erfahrungsgemäß liegst du ja immer richtig mit deinen Ahnungen, vermutlich leider also auch hier. Eine Sache, die mir kürzlich passiert ist, würde in deine Vermutungen hineinpassen.

Ich hatte doch vor Jahren einmal zwei Dörfer weiter sozusagen als Alterssicherung einen Olivenhain gekauft. Den Olivenhain habe ich verpachtet, das alte Bauernhaus habe ich in Ordnung bringen lassen und vermietet. Und zwar günstigst. Eigentlich wollte ich nur drei Silberdenare monatlich dafür haben, doch da kam einer aus Jerusalem, der wollte das Haus unbedingt mieten und hat mir sechs Silberdenare geboten. Also habe ich natürlich den genommen, warum auch nicht. Und es ist mir ja auch egal, was meine Mieter machen, Hauptsache sie zahlen ihre Miete und lassen das Haus nicht verkommen. Und dagegen konnte ich auch nichts sagen. Auffällig waren nur die verhältnismäßig vielen Parties, die mein Mieter feierte, mindestens alle Monate eine. Ein Freund von mir, der ein kleines Restaurant hat, hat immer Wein und Essen hin geliefert, immer erste Wahl, Geld spielte keine Rolle. Und bei den Partys waren auch immer Leute vom Tempel und genügend Mädchen, die hatte mein Mieter besorgt. Da lief dann auch immer mit denen einiges, na ja, was soll's. Das sind ja auch Menschen mit ihren Bedürfnissen und diese ganze Verklemmtheit bei denen, die kann sowieso niemand so richtig leben. Doch dann stand da vor drei Wochen einer von der Tempelmiliz in meinem Haus und fragte mich nach meinem Mieter aus. So recht war mir nicht klar, was der wollte. Da bin ich halt zu dem Mieter gegangen und habe ihm davon erzählt, aber erst, nachdem der mir die noch ausstehende Miete bezahlt hatte. Hat er getan, und dann war der verschwunden.

Zufällig bekam ich einige Zeit später eine Anklageschrift gegen den in die Hände, also Hehlerei, Opiumschmuggel, Gewürzschmuggel, Edelsteinschmuggel, Grabräuberei, Sklavenschmuggel, Zuhälterei, Frauen- und Mädchenhandel und einiges mehr (6), da wurde mir einiges klar.

Und dann hörte ich vor einigen Tagen, daß er an der Grenze nach Assyrien wegen Gewürzschmuggel festgenommen wurde, und jetzt sitzt er dort irgendwo im Knast. So weit hatten seine Freunde also keinen Einfluß.

JESUS: Wie in Rom und in Babylon, du weißt, daß ich von den Mädchen vieles weiß, doch daß die Freunde von den Zuhältern in den höchsten Stellen sitzen und daß die zusammen sogar Partys machen, kaum zu glauben, geahnt habe ich's allerdings schon immer.

ZACHÄUS: Deswegen erzähle ich ja auch dir das. Das war doch noch nie anders.

 

Mizi und Muzi kommen ganz aufgeregt und außer Atem hinzu.

 

MIZI: Man hat uns gesagt, daß ihr hier seid. Es ist etwas ganz Schreckliches passiert. Eine “Freundin” ist auf frischer Tat erwischt worden sogar von mehr als zwei Zeugen und sitzt im Gefängnis. Sie soll hingerichtet werden: Steinigung wegen erwiesenen Ehebruchs.

MUZI: Den Macker haben sie leider nicht erwischt, der ist nackt durchs offene Fenster abgehauen. Und erkannt haben sie den auch nicht, weil's schon dämmrig war. Dem passiert natürlich wieder mal nichts

MIZI: Diese blöden alten Gesetze, an die sich sowieso niemand mehr hält. Wie die das auslegen, sind wir alles Ehebrecherinnen, dabei tun wir doch nur unseren Beruf. Wir werden doch gebraucht.

Im Grunde tun wir doch genau das Gegenteil von Ehebruch. Ich habe vielleicht schon manche Ehe gekittet, wenn die Freier sich bei mir ausgeheult haben und ich ihnen gesagt habe, wie sie vielleicht mit ihren Frauen anders umgehen und daß sie doch lieber zu denen zurückkehren sollten.

MUZI: Aber das interessiert jetzt alles nicht. Mensch, Zachäus, du kennst doch tausend Leute, du hast doch Beziehungen, kannst du da nichts machen?

ZACHÄUS: Auf frischer Tat ertappt..., was soll ich da noch machen, ihr wißt doch, wie ich mit diesen Typen stehe, ihr seid gut. (Zu Jesus:) Weißt du was, Jesus?

JESUS: Natürlich auch nicht. Da kann man nur noch beten... Ich hatte doch immer gewarnt vor dieser Bande, doch das sind jetzt alles Sprüche.

ZACHÄUS: Vielleicht sollte man aber doch einmal überlegen, erzählt also erst einmal, was ihr wißt.

MUZI: Zufällig hatte ich vor der Sache die Freundin getroffen und sie hatte mir erzählt, wie das angefangen hat. Du weißt, wir erzählen einander immer alles, damit wir uns gegenseitig helfen können, wenn einer mal etwas passiert. Das ist zwar oft illusorisch, ich weiß. Doch irgend etwas muß man ja tun.

Die Freundin hatte also auf dem Marktplatz einen ganz passablen Typen so um die fünfzig aufgerissen, der zufällig auch im "See Genezareth" abgestiegen wäre, wo sie ihr "Studio" hat. Und mit dem hatte sie dann abends einen "Termin".

Und dann hat uns abends der Portier des Hotels gesagt, daß sie erwischt wurde. Der ist ein guter Kumpel von uns und hält zu uns, fast wie ein Vater. Er sagt, da wären welche vom Tempel gewesen, die das Hotel kaufen wollten. Ein Hospital für Pilger soll draus werden. Er bekommt sonst eigentlich alles mit, doch von diesem Besuch hat er nichts gewußt, sonst hätte er ja Alarm gegeben. Und die wären recht flott durch alle Räume gegangen und dabei wäre es dann passiert mit der Freundin. Wer ihr Freier war, wußte er auch nicht, vermutlich ein Hotelgast, doch da sind ja an den Markttagen immer so viele da, das könnte ja jeder von denen sein. Selbst wenn er ihm jetzt wieder begegnen würde, er könnte nichts sagen.

ZACHÄUS: So wie du mir das erzählst, bekomme ich immer mehr den Eindruck, daß eure Freundin da geleimt wurde und daß das Ganze ein völlig abgekartetes Spiel ist.

JESUS: Das verstehe ich nicht.

ZACHÄUS: Seht einmal, da gab es längst genügend Gründe, ein Exempel zu statuieren und eine von euch zu bestrafen. Wie ihr so langsam aufmüpfig wurdet, das dulden eure Zuhälter auf Dauer nie und nimmer, das konntet ihr euch eigentlich denken.

MIZI (zu Jesus): Geahnt habe ich's schon immer, daß das nicht gut geht, wie wir alle mit dir so offen geredet und unser Herz ausgeschüttet haben und wie du uns Mut gemacht hast, daß das alles einmal anders wird.

Wir fanden das ja auch toll, wie du es ganz öffentlich den Spießern und Priestern gegeben hast, die da alle so fromm und brav tun, wie scheinheilig die sind und wie die alle unter einer Decke stecken und daß das alles nur frommes Getue ist, was sie so tun, wenn sie so gegen die Unmoral heute wettern und etwa für Schleier und für die Naivität der Frauen kämpfen.

JESUS: Ich weiß. Doch ich glaube, ich habe Fehler gemacht, ich war auch zu naiv.

ZACHÄUS: Tut mir leid, mein lieber Jesus, aber genau das wird's sein. Deine Unterhaltungen mit den Mädchen haben sie nicht nur mutig, sondern schon übermütig gemacht. Und jetzt kommt die kalte Dusche. Jetzt wird abgerechnet, bevor es für die ganze  Bagage zu spät ist. Du warst zwar vordergründig verantwortungslos, doch einer mußte endlich mal den Mund aufmachen!

Mich interessiert noch eines: Wen von euren Zuhältern kennt ihr eigentlich alles?

MUZI: Wieso, doch nur den Benjamin. Gibt es denn da noch andere?

ZACHÄUS: Jetzt seid ihr aber naiv. Na klar, in solchen Dingen gibt's immer ganze Organisationen, ob euer Gewerbe nun so wie bei uns eigentlich verboten ist oder nicht, denn da steckt ja auch immer wahnsinniges Geld dahinter. Und euer Benjamin ist doch nur ein ganz kleines Licht am unteren Ende einer solchen Bande. Der kassiert doch nur von euch und paßt auf, daß alles läuft. Und wenn's einmal nicht läuft, dann meldet der das nach oben in seiner Firma und dann kommen andere, die wieder Ordnung schaffen, oder eben das, was die so Ordnung nennen.

Und da arbeiten mit Sicherheit auch noch andere in unserer Gegend mit, die wir vielleicht als ganz ehrenwerte Bürger kennen und denen man das nie zutrauen würde.

Und hier ist jetzt eben eine solche Situation, daß etwas nicht mehr zu laufen beginnt.

MIZI: Und was hat das jetzt mit dem Erwischen von meiner Freundin zu tun? War das nicht reines Pech für die oder eben Zufall? Ich verstehe das nicht.

ZACHÄUS: Solches Pech und solche Zufälle gibt's einfach nicht! So eine gute Nutte wie die ist schließlich sozusagen Produktivkapital und die wird nicht umsonst erwischt und gesteinigt. Da steckt mehr dahinter als eine Anklage wegen Ehebruchs. Vermutlich wird die sozusagen geopfert, damit alles wieder so reibungslos wie früher läuft, damit ihr Mädels nämlich aufhört, nachzudenken und am Ende noch aufmüpfig werdet, und (zu Jesus:) dir, Jesus, gilt das auch, damit du in Zukunft deinen Mund hältst und dich nicht mehr in Dinge einmischst, die dich nach deren Meinung nichts angehen.

Normalerweise kriegt nun ein Mädel in einem solchen Fall eine Tracht Prügel oder die zerschneiden der das Gesicht, doch diese miesen Typen sehen hier wohl ihre Felle überhaupt wegschwimmen und greifen zur stärksten Maßnahme, hier muß eine sterben zur Strafe für ihre Aufmüpfigkeit und zur Warnung für euch und für die anderen in eurem Gewerbe, auch in den anderen Städten. Was glaubt ihr, wie sich das herumspricht!

MUZI: Hier passierte doch aber etwas ganz anderes, die wurde doch von einer Tempelkommission erwischt?

ZACHÄUS: Heiliger Prophet Elias, seid ihr schwer von Begriff! Das Problem ist doch, die können doch nicht ein Mädel von euch so einfach umbringen. Spätestens dann machen die sich doch selbst strafbar und müssen gesucht und vor Gericht gestellt werden. Und dann hängen die selbst, so weit reichen noch nicht einmal deren Beziehungen. Nach außen hin werden die Gesetze doch immer gehalten, auffallen wollen die jedenfalls nie. Außerdem müssen die Mädels einsehen, wie wichtig der Schutz durch ihre vermeintlichen Freunde ist und wie schlecht sie dastehen, wenn dieser Schutz einmal nicht funktioniert. Also machen die das mit dem Erwischen durch zwei oder mehr völlig unverdächtigen Zeugen. Da gibt's ja dieses Gesetz des Moses, daß jemand als einer Tat überführt gilt, wenn es zwei Zeugen dafür gibt. Na, ja, die drehen dieses Gesetz nun um und so haben die eben das bei eurer Freundin so eingefädelt.

Und es hat auch wunderbar geklappt. Eure Kameradin ist sozusagen voll in die Falle gelaufen. Der Typ, der es da gerade mit ihr getrieben hat, der gehört natürlich mit zu der Brut, der wußte also Bescheid und ist gleich abgehauen.

Und vermutlich gehört auch einer von denen dazu, die sie erwischt haben, doch das ist natürlich nicht zu beweisen. Sehr gut möglich ist auch, daß der sogar der größte Scharfmacher ist und die anderen derart bearbeitet, daß auch wirklich die Steinigung dabei herauskommt. So ist das also.

MUZI: Ja das würde alles passen, sagenhaft, was da läuft. Und man selbst spielt da mit, ohne die geringste Ahnung zu haben, was wirklich los ist.

JESUS: Dasselbe wie in der Susannageschichte aus dem Buch Daniel. Allerdings ging es da nicht um die Bestrafung einer Prostituierten, sondern um die Erpressung einer völlig unbeteiligten und absolut keuschen unschuldigen Frau.

Auch hier wurden ja die Vorschriften zur Durchführung der Gesetze mißbraucht und damit der Sinn der Gesetze genau ins Gegenteil verkehrt - genau wie in unserem Fall mit eurer Freundin.

ZACHÄUS: Unwahrscheinlich, wie diese Verbrecher immer wieder Wege finden, ihre Schweinereien zu treiben.

JESUS: Mit Gesetzen kann man sowieso nie Menschen ändern oder gar unsere Welt besser machen. Wer nicht will, der findet immer Lücken oder dreht schließlich die Gesetze sogar so herum, daß er es mit ihnen umso toller treiben kann. Gesetze helfen also im Grunde gar nichts, wenn es darum geht, wirklich etwas zu ändern. Man muß das Herz ändern!

Wenn ich bedenke, daß das alles bis heute immer noch so läuft. Das ist ja alles noch schlimmer, als ich je geahnt habe.

ZACHÄUS: Lieber Freund Jesus, du siehst, die Welt ist schlecht, die reden alle immer nur von einer besseren Welt, doch sie tun alles, damit die ja nicht kommt. Und die am meisten reden, sind die Schlechtesten. Letztlich wirst auch du daran nichts ändern können.

JESUS: Ich denke da immer noch anders! Ich glaube einfach an einen guten Vater im Himmel und ich kann schon von daher einfach nicht glauben, daß er unsere Welt so unvollkommen geschaffen hat. Wir müssen da irgend etwas ganz Grundlegendes falsch machen.

ZACHÄUS: Aber muß es nicht Prostituierte geben, damit manche Männer mit ihren überschüssigen Kräften irgendwo bleiben können und nicht immer wieder andere Frauen vergewaltigen oder Kinder mißbrauchen?

MUZI: Du meinst also, daß wir eine sogenannte sozialhygienische Funktion hätten? Schlag dir diese Vorstellung aus dem Kopf! Diese Theorie wird zwar oft dahergesagt, stimmt jedoch nicht. Es ist nun einmal leider nicht so, daß man Männern, die vergewaltigen oder Kinder mißbrauchen wollen, ein paar Denare in die Hand drücken und sie statt dessen zu uns Prostituierten schicken kann. Denn die erleben ja ihren Nervenkitzel und ihre Befriedigung gerade darin, indem sie vergewaltigen oder es mit Kindern treiben (7). Und diejenigen, die keine gelungenen Partnerschaften haben, werden durch den Umgang mit uns letztlich auch nicht besser. 

JESUS: Ja, mein lieber Zachäus, da bist auch du wieder einem dieser typischen Spießerargumente vom positiven Sinn der Prostitution aufgesessen.

ZACHÄUS: Aber wenigstens das stimmt doch, daß das Geld, das dabei zu verdienen ist, die Mädchen schon reizt?

JESUS: Tut mir leid, doch ich muß dir das sagen, auch das ist ein Spießerargument. Wir sind da alle wohl inzwischen etwas blind für das, was wirklich Sache ist. Doch ich kann das alles nicht mehr hören. Zuerst werdet ihr um die Liebe betrogen und dann werden positive Gründe gesucht und die Spießer neiden es euch auch noch, wenn ihr euch irgendwie arrangiert und versucht, das Beste draus zu machen und etwa Geld damit zu verdienen. Was sollt ihr denn sonst tun?

MUZI: Endlich einer, der uns versteht. Denn wer sagt, daß es uns in erster Linie ums Geld geht, der kann nicht viel mehr von der Liebe verstehen als wir und der schließt offensichtlich von sich auf andere. Vielleicht lebt der in seiner Ehe ja auch eine Art Einpartnerprostitution und fühlt sich am Ende noch mehr ausgebeutet als wir, weil er auch noch arbeiten und Kinder versorgen oder seinen ganzen Verdienst abliefern muß.

JESUS: So machen sich Spießer etwas vor, Spießer haben ja für jeden Mißstand eine gute Begründung, nur näher nachdenken tun die nie, denn da würden sie sehr schnell merken, wie ihre Begründungen wie Seifenblasen zerplatzen.

Leute, die wissen, was Liebe ist, streben diese auch an und brauchen keine Prostitution. Das Problem der Prostitution und der Vergewaltigungen in einer Gesellschaft ist vielleicht am ehesten mit einem kranken Körper bei einem einzelnen Menschen vergleichbar, da gibt es dann vielfältige Eiterbeulen. Und in der Gesellschaft ist eine davon eben die Prostitution, eine andere die Vergewaltigung, eine andere die Kinderschänderei - und auch, wenn es zwischen Mann und Frau kaum wirkliches Gefährtesein und Partnerschaft und Liebe gibt, wie das bei uns heute ja auch im allgemeinen der Fall ist. Das alles sind Zeichen, daß das ganze System eben nicht stimmt.

MUZI: Was für ein System soll da nicht stimmen? Ich habe da nichts gemerkt und ich habe doch immer gemacht, was ich wollte. Und auch was ich jetzt mache, habe ich doch allein mir zuzuschreiben. Irgendwie war das alles schon meine Schuld.

MIZI: So langsam dämmert´s bei mir, ich glaube, ich war gar nicht schuld... (zu Jesus) Du hast da vorhin von der Geschichte von der schönen Susanna geredet. Ich kenne die Geschichte kaum, eigentlich gar nicht, denn über die wird ja nie so richtig geredet. Kannst Du bitte die mal näher erzählen...

JESUS: Ob die Geschichte, die im Anhang des Buchs Daniel steht, nun wirklich stimmt, wissen wir noch so genau. Doch sie gibt sehr gut wieder, was so läuft. Und wie die Schlechten bestraft werden. Daher gehört sie wirklich in die Bibel!

Es geht in dieser Geschichte einfach darum, wie zwei geile alte Richter eine attraktive verheiratete junge Frau, nämlich die schöne Susanna, herumkriegen wollen, mit ihnen Sex zu haben. Und da sie schon ahnen, daß sich die Frau weigert, fädeln sie es ein, daß sie mal die Frau alleine antreffen. Und hier mißbrauchen auch sie das Gesetz des Moses, daß eine Frau als des Ehebruchs überführt gilt, wenn zwei Zeugen sie auf frischer Tat ertappen und gegen sie aussagen. Die beiden Alten stellen die schöne Susanna also vor die Wahl, sich entweder mit ihnen einzulassen oder daß sie anzuzeigen, daß sie sie erwischt hätten, wie sie mit einem jungen Liebhaber zusammen war.

MUZI: Eine ganz linke Erpressung also...

JESUS: Nicht nur link, sondern ausgesprochen kriminell. Wider Erwarten hat sich nun die Frau geweigert, mit ihnen zu schlafen, und fing bei dem folgenden Prozeß und bei ihrer Verurteilung zum Tode eine unheimliche Lamentiererei an, von wegen daß Gott wisse, daß sie unschuldig sei und daß er sie schon erretten werde.

Und auf dem Weg zur Hinrichtung fand sich doch tatsächlich ein junger Mann, der sich für einsetzte. Und der machte das so geschickt, daß nicht nur kein Verdacht auf ihn fiel, denn er hätte ja der Liebhaber sein können, sondern daß er sozusagen noch als höhere Instanz eingesetzt wurde. Na und der bekam nun durch Befragen der beiden Zeugen heraus, daß sie gelogen hatten. Wie der das gefunden hatte, ist in der Geschichte im Anhang des Buchs Daniel, übrigens wohl die älteste Kriminalgeschichte der Literatur, sehr schön beschrieben, ihr solltet das mal selbst lesen!

Jedenfalls bekamen nun die beiden Ankläger - wieder nach dem Gesetz des Mose - die Strafe, die die Frau sonst gekriegt hätte: Sie wurden hingerichtet!

MUZI: Klasse, geschieht ihnen recht!

JESUS: Doch leider sehr unwahrscheinlich, daß so eine Geschichte mal gut für eine Frau ausgeht. Vermutlich sind solche Typen nämlich so ausgebufft, daß die Guten einfach keine Chance haben!

MIZI: Genau! Mir fällt es nämlich wie Schuppen von den Augen, daß das nämlich fast genau meine Geschichte ist!

JESUS, MUZI, ZACHÄUS (durcheinander): Erzähl!

MIZI: Ich kann gar nicht so schnell, ich muß mich erst einmal fassen... So langsam werden mir die Zusammenhänge klar... O, und ich habe immer gemeint, daß sei alles nur bei mir so gewesen... Daß das alles eine uralte Masche war... Warum nur wird einem das alles nicht so richtig gesagt...

MUZI: Ich verstehe jetzt gar nichts!

MIZI: Also: Ihr müßt wissen, ich war wirklich ein ganz braves und frommes Mädchen. Meine Mutter war ja eine Prostituierte. Und die hat mir hin und wieder von ihrem Job erzählt und wie zum Kotzen das alles ist. Sie hat mich daher auch ganz streng erzogen, mit Schleier, ich durfte schon als Kind nicht auf die Straße zum Spielen, und immer in den Tempel. Und ich habe das ja auch alles mitgemacht, denn ich wollte ja nicht so werden wir meine Mutter.

Trotz allem hat es sich im Allgemeinen Hof im Tempel ergeben, daß ich mal auch mit Jungens kurz ein paar Worte gewechselt habe. Na ja, die waren manchmal auch ganz nett und ich habe den Schleier ein wenig beiseite geschoben und vielleicht auch gelächelt. Es war wirklich nichts.

Doch das müssen besonders zwei Typen von der Tempelpolizei gesehen haben. Und sie stellten mich zur Rede, daß ich hier die frommen Jungen anmachen würde, daß ich das Tempelgelände entweiht hätte, daß ich ein ganz verkommenes Flittchen sei und so weiter.

Oh, ich kann gar nicht mehr weiter erzählen, denn was dann kam, war so schrecklich! Sie sagten mir, daß auf dem, was sie da gesehen hätten, die Todesstrafe stünde. Und schließlich seien sie ja zwei Zeugen, sie könnten also auch noch mehr über mich erzählen und man würde ihnen glauben, ich hätte keine Chance. Mir würde man ja nie glauben...

Doch sie würden von einer Anzeige absehen und mich laufen lassen, wenn ich auch mit ihnen schliefe! Ich wußte damals ja noch gar nicht, was das war und was das bedeutete und ließ mich darauf ein... Es war fürchterlich, diese beiden geilen Typen waren einfach nur zum Kotzen. Und nichts stimmt eigentlich von alledem, was sie mir da andichteten. Doch was hätte ich machen sollen? Hätte ich mich denn lieber umbringen lassen sollen? Hätte ich das doch getan! Und ich konnte noch nicht einmal jemandem das alles erzählen - mir hätte doch sowieso wirklich niemand geglaubt! Vielleicht war ja auch wirklich Sünde, daß ich da mit den Jungen gequatscht hatte?

JESUS (nimmt sie ein wenig in den Arm): Geahnt habe ich es ja - daß das heute noch alles genauso läuft. Was du da erzählst, ist ja noch viel schlimmer, als was ich je gedacht habe! Einfach nur kriminell, verbrecherisch! Und wie werdet ihr oft verachtet mit eurem "Beruf"! Dabei hattet ihr ja gar keine wirklich reelle Chance. Ihr habt ja noch nicht einmal gewußt, um was es ging! Und so ist das also: Die die am lautesten tönen für Glauben und Moral und Reinheit und von wegen der zarten Mädchen, die entweder sowieso nichts verstehen und denen man auch gar nicht sagen dürfe, wie das alles so läuft, um sie nicht zu verwirren, sind in Wirklichkeit die Schlimmsten! Am Ende machen sie das vor allem, um sie blöde und naiv zu lassen und immer genügend Frischfleisch für ihre Schweinereien zu haben. Denn anders sehen die euch ja nicht...

ZACHÄUS: Jetzt weißt du endlich aus erster Quelle, was los ist und worüber ich dir schon immer erzählt habe. Du hast es mir ja nie glauben wollen.

JESUS: Das klang auch alles so unwahrscheinlich! Aber so langsam glaube ich es auch! Das kann ja gar nicht anders sein...

ZACHÄUS: Muß man da nichts machen? Aber was? Die machen das ja so durchtrieben, daß sie rein äußerlich das Gesetz auf ihrer Seite haben. Und wer gegen die was sagt, der sagt was gegen den Glauben - und darauf steht die Todesstrafe! Ein teuflisches Spiel!

JESUS: Aber man kann das doch nicht so laufen lassen, wenn man nichts macht, dann geht das immer so weiter!

ZACHÄUS: Wenn die Leute erst einmal wüßten, was da passiert, würden sie das mit der Unmoral solcher Mädchen wie euch anders sehen. Und gewiß würden sie manches gar nicht mehr mit sich machen lassen. Mensch Jesus, du bist gebildet, du kannst reden, du wärest genau der Richtige, da einmal den Mund aufzumachen! Einer muß es doch tun, das kann doch nicht so weiter gehen!

JESUS: Was sind das alles bloß für Menschen, all diese Priester und Schriftgelehrten, diese Pharisäer! Sicher sind ja nicht alle so, manche sind ja selbst ahnungslos und andere gucken weg und wollen einfach nicht sehen, was da läuft. Dummheit oder Böswilligkeit? Die tun immer so fromm und rein, kloppen im Tempel die frömmsten Sprüche, ja, von wegen der Reinheit, erfinden deswegen alle möglichen und unmöglichen Speisegesetze, essen nie mit Römern zusammen an einem Tisch und alles aus lauter Frömmigkeit. Doch wenn man hinter die Kulissen schaut, sind sie wie übertünchte Gräber, außen schön anzusehen und innen voller Unrat und Totengebein! Heuchler, kriminelles Pack, selbst kaputt und machen auch noch andere Menschen kaputt! Und jetzt geht mir auch langsam auf, warum die da oben nicht so recht mitmachen, etwas zu ändern, indem sie etwa den jungen Leuten eine Katechese à la Susannageschichte vermitteln, warum die immer neue Ausreden haben...

Ich muß einfach darüber öffentlich reden! Das ist vielleicht noch das einzige, was hilft! 

ZACHÄUS: Du bist dir doch klar, daß dich das Kopf und Kragen kosten kann?

JESUS: Aber man kann das wirklich doch nicht so laufen lassen! Und zudem: Unser Vater im Himmel wird mir gewiß helfen - wem er die Einsicht gibt, dem gibt er auch die Kraft!

ZACHÄUS: Und wem soll das denn helfen, bitteschön?

JESUS: Du hast recht, man müßte den Menschen noch den Weg zu einer richtigen besseren Welt weisen, wo das alles anders ist, weg von diesem Gottesstaat mit allen seinen blöden Gesetzen, die doch nichts bringen, weil sie die einen unfrei machen und von den anderen immer wieder mißbraucht werden. So ein richtiges Reich Gottes, das aus dem Herzen kommt und wo alles anders ist, wo nicht mehr diese kriminellen Strukturen gelten, wo die wirkliche Liebe Wirklichkeit wird, irgendwie eine totale Neuerung, das wäre doch etwas!

MUZI: Du bist wirklich ein weltfremder Idealist! Du glaubst an die Menschen, doch die Menschen, an die du glaubst, die gibt es nicht, die alle sind doch viel zu schwach!

JESUS: Ja, bei den Kindern müßte man damit anfangen!

MUZI: Ob das etwas hilft? Ich bin doch das beste Beispiel, daß das auch nicht geht! Wir sind hier mal ehrlich miteinander, da kann ich auch mal erzählen, wie alles bei mir angefangen hat. Es war alles ein wenig anders, doch das Ende ist ja so ähnlich. 

Eigentlich komme ich nämlich aus einem sogenannten guten Haus. Mein Vater stammt aus einer alteingesessenen Priesterfamilie und ist selbst Priester. Absoluter Patriarch. Wir Kinder durften nichts und wir wurden voll im Glauben erzogen, kein Schweinefleisch, kein Blut, nie Fleisch zusammen mit Milchprodukten, alle Fasttage streng beachtet, wir Mädchen durften nie raus, schon gar nicht alleine und wenn, dann nur mit Vollschleier und so weiter (8). Daher wurde auch über nichts geredet, was mein Vater sagte, das galt. Und gerade alles, was mit der Liebe zusammenhing, war absolut tabu.

Gegen diese ganze Duckmäuserei habe ich mich damals schon gewehrt, auch gegen alles, was mit Religion zusammenhängt, irgendwie war ich immer aufmüpfig. Ich muß wohl als schwieriges Kind gegolten haben. Vielleicht hatte ich ganz einfach zu deutlich mitbekommen, wie Theorie und Praxis in so einer Priesterfamilie aussehen: Nach außen die großen frommen Sprüche und alles nur, um uns umso raffinierter zu unterdrücken. Unsere Mutter und wir Mädchen waren der letzte Dreck. Vernünftiges Miteinanderreden gab es überhaupt nicht.

Für alles, was meinem Vater nicht in den Kram paßte, mußte die Liebe und der Gehorsam zu Gott herhalten. Manchmal habe ich Gott richtig gehaßt.

Und dann sollte ich auch noch mit so einem Typen verheiratet werden, den mein Vater irgendwann angeschleppt hatte. Da hatte ich erst recht Horror, mit einem solchen Menschen, den ich noch nicht einmal richtig kannte, das ganze Leben verbringen und alles mit mir machen lassen, das ging einfach nicht! Außerdem hatte ich mich längst auf dem Weg zum Tempel in einen jungen Studenten verliebt. Ach, es war gar nicht einmal die große Liebe, doch ich wollte raus aus dem ganzen Mief und der ganzen Enge und diesen Zwängen. Und der Typ war ja auch eigentlich ganz passabel.

Und wo ein Wille ist, ist ein Weg. Ich wollte es einfach und daher mußte es auch sein. So hat das eben bei mir angefangen. Leider stellte ich irgendwann fest, daß der doch nicht der richtige Typ war, der entpuppte sich nicht viel besser als mein Vater. Schwanger wurde ich bei der Sache zwar nicht, doch es wäre ja auch so bekannt geworden, was da gelaufen ist. Und als Priestertochter wäre ich dann nach dem Gesetz auf alle Fälle gesteinigt worden. Also zog ich vor abzuhauen und traf irgendwo eine Frau, die mich zu Benjamin geschickt hat. So bin ich schließlich hier gelandet.

Also, ich bin doch wohl wirklich selbst an allem schuld?

JESUS: Rein äußerlich - doch überlege mal: Hattest du überhaupt irgendeine realistische Chance, anders zu handeln? Mußtest du bei deiner Lebendigkeit einerseits und bei den ganzen Zwängen und der Enge, die bei euch in der Familie war, nicht einfach eines Tages ausbrechen? War das denn nicht alles sozusagen vorprogrammiert?

MUZI: Darüber habe ich noch nie nachgedacht - ich habe bisher immer nur meine eigene Schuld gesehen. Und dann muß man ja auch noch damit rechnen, daß einem noch so etwas passiert wie unserer Freundin.

JESUS: Vermutlich siehst du unter dem Eindruck der Schuldgefühle, die du heute hast bei dem, was du da machst, auch einfach nur die Sachen von früher?

MUZI: So wird´s wohl sein! Das ist jetzt hinterher schwer zu beurteilen, doch das kann schon stimmen. Vielleicht müßte man das einmal so erleben, was du dir da so denkst?

JESUS (zu Mizi und Muzi): Ganz genau! Daher mal jetzt wieder zu euch beiden: Habt ihr eigentlich einmal überlegt, wie das mit euch alles anders gelaufen wäre, wenn ihr von Kind an ganz anders gewußt hättet, was auf euch zukommt? Vielleicht hättet ihr dann auch überhaupt freier erzogen werden können, wenn ihr nur das Richtige gewußt hättet? Denn doof seid ihr doch auch nicht gewesen. Mit vollem Bewußtsein sucht man sich doch nicht so ein Schicksal wie eures!

MIZI: Weiß Gott nicht. Doch wie hätte das denn schon anders sein sollen?

JESUS: Überlegt doch einmal, was euch nun in eurer Erziehung geholfen hat und was nicht? Haben euch die ganzen Frömmigkeitsübungen, die du. Muzi, immer so brav mitgemacht hast oder die dir, Muzi eher aufgezwungen wurden, geholfen? Und eure - Verzeihung - dämlichen Schleier, haben die denn etwas gebracht? Die beiden, die dich, Mizi, angemacht haben, haben sich doch nicht im geringsten daran gestört, vielleicht hat die die Schleier sogar noch ermuntert? Und deine Erlebnisse, Muzi, haben doch wohl auch nichts damit zu tun. Was euch fehlte, war doch der Überblick und vor allem auch der Durchblick, also vor allem vernünftiger oder eben wirklicher heiliger Geist! Und wenn der da gewesen wäre, das wäre ein wirklicher Schleier gewesen, da hättet ihr sonst sogar nackt sein können! Denn wenn das normal wäre, dann würde man sich doch dran gewöhnen und da würde wenigstens deswegen gar nichts "passieren"!

MIZI: Nein, nie, so etwas käme für mich nie in Frage, das würde ich doch nie tun! Mich würden dann vielleicht auch andere nackt sehen, die sich dann an mir aufgeilen, nein nie! Das ist doch auch gegen die Religion und gegen die Ehre! Und außerdem sieht man doch viel besser aus, wenn man etwas Attraktives an hat.

JESUS: Mit dem Attraktivaussehen ist das so eine Sache. Ob die Natur sich nicht etwas dabei gedacht hat, wenn sie uns so gemacht hat, wie wir sind? Ob unsere Sorge um den Chic unserer Kleidung in dieser oft so heißen Gegend hier nicht etwas verrückt ist?

Haben nicht viele Leute sehr oft nur ihre mehr oder weniger modischen Fetzen im Kopf, mit denen sie doch nur ihre Verkommenheit und ihre Kaputtheit zu verstecken suchen, und die für jeden Denkenden ein Indiz dafür sind, daß sie vom Paradies überhaupt keine Ahnung haben? Seht euch einmal die Lilien des Feldes an, sie spinnen nicht und sie weben nicht, sondern sie sind schlicht und einfach so, wie sie sind, und selbst König Salomo in all seiner Pracht war nicht gekleidet wie eine von ihnen...(10).

Was sind das eigentlich für Vorstellungen von Religion und Ehre, denen ihr da aufgesessen seid? Sollte man das alles nicht daran messen, ob es auch im Endeffekt hilft? Und - hat es euch nun geholfen?

MIZI: Eigentlich nein.

MUZI: Nichts hat das alles geholfen! Die haben einem bloß sinnlosen Schiß eingeredet und so hat man sich sogar vor sich selbst geschämt, allein vom Nacktsein zu träumen, und dann bringt's einem auch noch nicht einmal etwas.

MIZI: Das ist doch auch nicht in Ordnung, wenn man über das alles zu viel nachdenkt. Dabei verliert man dann doch irgendwie auch die Unschuld.

JESUS: Was manche da unter Ehre und Unschuld verstehen, sind in Wirklichkeit doch Scheuklappen! Als ob es sein könnte, daß man so etwas Wichtiges im Leben wie die Liebe und eine glückliche Partnerschaft mit einem Mann nur mit Scheuklappen erreichen könnte! 

Und wenn ihr da von der Religion auch noch am Nachdenken gehindert wurdet, indem entweder diese Themen, bei denen es ja auch um menschliches Glück geht, gar nicht angesprochen werden und jegliches Nachdenken auch noch als Sünde angesehen wird, dann handelt es sich wohl eher um raffinierte Manipulation, die umso raffinierter wird, je mehr ihr euch auch noch selbst weigert, sie in Frage zu stellen (11)!

MIZI: Suchst du jetzt nicht vielleicht zu sehr bei unserer Religion die Schuld?

JESUS: Seht einmal: Eigentlich wäre ja dagegen, daß ihr euch immer in Kleider hüllt, überhaupt nichts einzuwenden, obwohl es bei der Hitze, die wir hier sehr oft haben, schon reichlich unbequem ist. Schließlich hat sich die Natur ja etwas dabei gedacht, wenn selbst der leiseste Luftzug auf nackter Haut angenehme Kühlung bringt. Doch da gibt es ein größeres Problem: Wenn wir vor etwas Angst haben, dann hängt das auch damit zusammen, daß wir vermuten, daß da irgendeine Gefahr lauert. Und so glauben wir dann etwa, daß wir geschützt sind, wenn wir das meiden, wovor wir Angst haben. Konkret in unserem Fall heißt das also, daß wir die Regeln der Scham einhalten. Und brav und gutwillig, wie ihr gewesen seid, habt ihr euch nach diesen Regeln gerichtet und seid damit einen Irrweg gegangen. So seid ihr dann bei passender Gelegenheit voll auf die Nase gefallen, und das führte dann zu dem, was ihr jetzt macht. Wer keinen rechten Überblick über etwas hat und daher an der falschen Stelle aufpaßt, der ist halt irgendwann immer leicht zu überrumpeln.

MIZI: Daher also kam irgendwie alles ganz anders, als ich es mir gedacht hatte.

JESUS: Das ist wohl so, wie wenn ein Hausherr darauf fixiert ist, daß ein Dieb zum Fenster hereinkommen müßte und er daher alle Fenster verrammelt. Und dann ist der Hausherr völlig überrumpelt und unfähig, sich zu wehren, weil der Dieb zur Tür hereinkommt und sich ganz anders verhält, als er es erwartet hatte (12).

ZACHÄUS: Den Vergleich kann man ja auch noch weiterspinnen. Der Hausherr konnte schließlich wegen der verrammelten Fenster gar nichts mehr richtig sehen und daher auch nicht mehr Freund und Feind richtig unterscheiden.

MIZI: Das konnte ich wohl auch nicht.

JESUS: Seht ihr, wie problematisch das ist, wenn einem etwas beigebracht wird, was nur gut scheint. Ob eine Theorie gut oder schlecht ist, kann man immer nur daran erkennen, was dabei herauskommt. Entweder: der Baum ist gut - dann sind auch seine Früchte gut. Oder: der Baum ist schlecht - dann sind auch seine Früchte schlecht. An den Früchten also erkennt man den Baum (13).

MUZI: Wenn ich mir dagegen überlege, was uns beispielsweise unsere Nacktheit geschadet hätte, selbst wenn sich jemand mal an uns aufgegeilt hätte. Ja Mizi, das, was wir jetzt machen, ist vermutlich gerade deswegen passiert, weil wir solche leeren "Phantomängste" im Kopf hatten, die absolut sinnlos waren.

JESUS: Da kommt noch etwas hinzu: Habt ihr schon einmal überlegt, was ein Bauer macht, der außer seinen Oliven und seinem Wein auch noch Weizen anbaut und merkt, daß er am Weizen immer weniger verdient, weil der jetzt so günstig aus Nordafrika und aus Spanien importiert wird?

ZACHÄUS: Der wird keinen Weizen mehr anbauen, sondern sich noch mehr auf den Wein- oder Olivenanbau verlegen. Alles andere wäre ja Blödsinn.

JESUS: Oder sogar Böswilligkeit, weil ihm vielleicht das Landgut nicht gehört und er es mit etwas nicht mehr Aktuellem herunterwirtschaften will, damit es ein Kumpel, mit dem er im Geheimen zusammenarbeitet, billig erwerben kann, um es schließlich auf diesem Weg selbst billig zu kriegen.

ZACHÄUS: Das könnte auch passen.

JESUS: Und ist es mit unserer Moral nicht auch wie beim Problem dieses Bauern. In unserer wenig moralischen Zeit heute schließen wir die jungen Mädchen immer mehr ein, bringen ihnen mehr frommes Getue bei, verweigern ihnen weiter vernünftige Informationen und verordnen ihnen immer mehr Schleier - und dabei wäre genau das Gegenteil richtig! Warum nur machen es die angeblich so frommen Leute nicht wie die Kinder dieser Welt und ändern ihr Konzept, wenn sie sehen, daß ihr bisheriges nichts mehr bringt? Dummheit oder Böswilligkeit (14)?

MIZI: Aber es wäre doch unmöglich gewesen, sich anders zu verhalten. Wenn ich mir vorstelle, wenn ich gemacht hätte, was du da als normal ansiehst. Da wäre ich doch gleich gesteinigt worden oder zumindest völlig in Verruf gekommen.

JESUS: Was aber wirklich gefährlich ist, hatte man Euch jedoch verheimlicht. Es liegt eben doch am System, daß ihr gar kein vernünftiges Konzept für euer Leben entwickeln konntet.

MUZI: Wenn ich mir so vorstelle, wie schlecht ich mir manchmal in meinen Phantasien vorkam und wie ich mich sogar wegen meinen eigenen Gedanken und Träumen geschämt habe. Und du sagst jetzt, daß die im Grunde doch völlig richtig und sogar wunderschön und natürlich und sinnvoll waren. Es stimmt, ich hätte ja auch gar nicht mehr gewollt, zumindest nicht das, was ich jetzt so immer mache. Wie hätte ich mein Leben anders und vernünftiger einfädeln können, wenn ich "damals" diese Gedanken und Träume in mir zugelassen hätte und schließlich jemanden bewußt gesucht hätte, mit dem ich das alles so richtig hätte bereden und in die Praxis umsetzen können. Was hätte das dann für ein Leben werden können!

JESUS: Und wenn ich bedenke, was da immer noch für Energie und Intensität aus dir strahlt. Was hättest du damit in deinem Leben Vernünftiges machen können, wenn du das alles hättest richtig einsetzen können. Du bist ja ein regelrechtes Schulbeispiel, wie gerade die Mutigsten und Aufmüpfigsten klein gemacht werden, weil sie schon einmal in den schönsten Dingen des Lebens gar nicht denken dürfen und dann natürlich auch gar keine Beziehungen zum Denken allgemein bekommen können. 

ZACHÄUS: Doch wenn sich gerade Mädchen solchen Gedanken zu sehr hingeben, wollen sie dann nicht irgendwann ganz automatisch mehr? Verführt man sie nicht geradezu zur Sünde, wenn man nicht versucht, sie schon bei ihren Träumen und Phantasien zu bremsen?

JESUS: Ich weiß, was du meinst. Es geht um die ewige alte Frage der Männer und auch der älteren Frauen, ob junge Mädchen wirklich enthaltsam und treu sein können, vor allem auch, wenn man sie machen läßt, was sie wollen.

Eigentlich ist schon die Frage unverschämt, trotzdem muß man wohl darüber reden. So wie ich sehe, hatten alle Mädchen, die ich so kenne und die "sündig" geworden sind, um es einmal so zu sagen, einerseits keinen richtigen Überblick, weil sie nicht richtig informiert waren, und andererseits konnten sie auch nie richtig frei wählen. Denk doch nur daran, welche Scheuklappen beispielsweise unsere beiden Mädchen hier hatten - und immer noch haben. Das sind doch geradezu die typischen Voraussetzungen, daß Mädchen gar nicht richtig handeln können, und das bezieht sich dann nicht nur auf Mädchen, sondern auf "Menschen" ganz allgemein. Ändern wir das einmal - und dann sollten wir deine These neu überlegen.

MIZI: Wenn ich denke, was ich einmal für eine Angst hatte, daß ich einmal das machen müßte, was ich jetzt mache.

JESUS (zu Mizi und Muzi): Ja, wir sollten einmal näher hinsehen, wie ihr beiden früher an der Scham gehangen habt und heute immer noch dran hängt. Dabei hat sie euch doch gar nichts geholfen, was auch abzusehen war. Warum wohl wurde und wird die Scham nun so geradezu zwanghaft von euch verteidigt? Kann es sein, daß die Scham sozusagen eine stellvertretende Moral ist, daß sich hinter der Scham eine Sehnsucht nach einer wirklichen Moral verbirgt, also einer höheren Ethik, von der eine tiefste Ahnung besteht, daß sie auch glücklich macht? Doch konkret wird diese Ahnung nie - und daher pflegen Menschen sozusagen als Ersatz die Scham zu wählen. Und die wird dann in einer Weise verteidigt, wie es eigentlich von der Natur her der richtigen Ethik zukommen müßte. Wenn gerade Frauen also wüßten, was wirklich los ist, würden sie damit verbundene wirkliche Moral auch leben und verteidigen. Nur - wer in unserer Gesellschaft hätte daran überhaupt ein Interesse?

MUZI: Genauso ist's!

ZACHÄUS: Doch verwirrt und verängstigt man mit der ganzen Offenheit nicht die Kinder und schadet ihnen letztlich dann damit (15)?

JESUS: Sagst'e was, bringt's Ängste, sagst'e nichts, bringt's auch Ängste. Wenn man aber nicht sagt, was richtig ist, was will man dann sagen, da bleibt doch dann nur wieder der alte Unfug übrig, der doch nichts bringt? Und zuerst das Falsche zu sagen, um es dann später zu korrigieren, das ist doch zumindest wenig ökonomisch.

MUZI: Aber das schafft Arbeitsplätze.

JESUS: Die aus Steuermitteln bezahlt werden, also von uns. Wir finanzieren so auch noch unsere eigene Verdummung.

Doch lieber Zachäus, wie kommst du überhaupt auf Ängste in diesem Zusammenhang? Hast du da welche? Schließt du von dir - vermutlich unzulässigerweise - auf andere? Das Problem ist doch nur das der falschen und der unvollständigen Information wie bei dem Hausherrn, der seine Fenster bewacht.

Nein, aus einem ganz anderen Grund ist es absolut notwendig, schon Kinder zu informieren: Auf Dauer gibt es nur eine einzige Chance, daß Menschen ihr wirkliches Glück anstreben können, wenn sie es schon so früh wie möglich auch selbst wollen. Wenn wir Menschen da uninformiert lassen, bedeutet das ja auch, daß wir ihr Glück in die Hände anderer Menschen legen. Was ist nun, wenn diese "anderen" Menschen ihre Verantwortung nicht wahrnehmen oder gar mißbrauchen, was ja gar nicht so weit hergeholt ist, wenn ich bedenke, welchen Reiz etwa hübsche und naive junge Mädchen ausüben? Daher müssen wir einfach alle fit machen, ihr Glück selbst in ihre Hände zu nehmen und nicht auf andere reinzufallen, das führt dann zu wahrer Freiheit und Emanzipation!

Lassen wir uns also nicht einreden, daß Information schädlich ist, denn es könnte sein, daß wir damit nur denjenigen verdorbenen Menschen aufsitzen, die genau wissen, wie schlecht sie gegen gut informierte Menschen ankommen, und die dann nicht mehr im Trüben fischen können...

ZACHÄUS: Aber ist es nicht Aufgabe der Eltern, mit ihren Kindern über das alles zu reden?  

JESUS: Stell dir einmal vor, was geschähe, wenn wir das nur den Eltern überließen. Dann würden wir es dem Zufall überlassen, welche Eltern mit ihren Kindern redeten und ihre Kinder fürs Leben fit machten. Das bedeutete dann, daß einige Eltern dann einsame Jungfrauen erziehen. Und das geht doch nie gut. Es bringt keinen Vorteil, wenn nur einige vernünftig denken und leben lernen.

Nein, nein, mit Kindern über Lebenskonzepte zu reden, die zu einer besseren Welt der Liebe führen sollen, muß zwar bei den Eltern beginnen, ist letztlich jedoch Gemeinschaftssache. Und wir brauchen eine Gemeinschaft, die sich das zum Anliegen macht. Meine Idee ist eben eine solche Gemeinschaft.

MIZI: Das klingt plausibel, was du da etwa über wirkliche Freiheit und Emanzipation und etwa über die Sinnlosigkeit der Scham dabei sagst. Doch warum sagt das alles keiner sonst so richtig?

JESUS: Ich überlege gerade, was wohl einfacher beizubringen ist, eine Moral, bei der etwa die Nacktheit als sündhaft gilt, oder eine Moral, aus der heraus Männer etwa genau das nicht mit euch machen, was ihr da mit ihnen erlebt habt, und euch statt dessen bei wirklicher Emanzipation behilflich sind.

MUZI: Die, bei der die Nacktheit verteufelt wird, ist zunächst die einfachere. Etwas von einem Schleier zu erzählen, das kann jeder, da braucht es nun wirklich keine Kunst.

JESUS: Und welche Moral ist einfacher zu leben, die mit Schleier oder die wirkliche?

MUZI: Na ja, auch die mit Schleier, dafür braucht es ja schließlich keine besondere Anstrengung, denn darunter kann sich auch der oder die Verkommenste verstecken.

MIZI: Damit ist es gewiß keine Kunst, vor anderen als moralisch zu gelten. Man braucht nur etwas zu machen, was im Endeffekt sowieso keine Anstrengung kostet.

MUZI: Da kann also auch der Kaputteste immer noch eine moralische Schau abziehen, egal was er hinter sich oder vor sich hat. 

JESUS: Genau, ihr kennt ja von eurem Job her eure Pappenheimer, die nach außen so fromm und moralisch tun und die jedoch von wirklicher Ethik und den wirklichen Geboten Gottes, die dazu führen sollen, gar nichts begriffen haben. Und so hacken sie fanatisch auf etwas herum, das zwar ganz billig zu machen ist und in den Augen der Leute nach Moral aussieht, obwohl es bei genauem Hinsehen überhaupt nichts hilft. Das ist dann eben das Getue mit Scham und Anstand (16). Man redet sich dann heraus, daß das wegen der Kinder notwendig ist - doch den Kindern ist das vermutlich völlig egal (17).

MUZI: Und wenn ein solches Getue schließlich von der Mehrheit praktiziert wird, dann gibt es schließlich schier unüberwindliche Sperren, über seinen Sinn überhaupt nachzudenken oder gar an seinem Sinn zu zweifeln. Und wer trotzdem nachdenkt oder gar zweifelt, der gilt als unmoralisch oder zumindest als verdächtig. Doch solange niemand nachdenkt, wird solche Scheinmoral ja auch nie in Frage gestellt. Ein verteufelter Kreislauf der Unmoral!

JESUS: Ist euch nie aufgegangen, daß das genau dieselbe Heuchelei ist, mit der man euch früher allen möglichen religiösen und moralischen Quatsch beigebracht und dabei gleichzeitig verschleiert hatte, wie ihr hättet vermeiden können reinzufallen und wirkliche Liebe hättet finden können?

MIZI: Ich glaube, du hast recht, eine verlogene und verheuchelte Gesellschaft. Die tun alles nur, damit man meint, sie seien moralisch. Und je mehr sie so moralisch tun, desto schlimmer sind sie.

MUZI: So habe ich das noch nie gesehen, Scheiß Heuchelei. Verdirbt einem das ganze Leben.

MIZI: Du meinst also, daß gerade unsere ganze brave und fromme Erziehung letztlich bei uns genau das Gegenteil erreicht hat?

JESUS: Genau! Und vielleicht auch erreichen sollte, meist ist ja das erreichte Ziel das beabsichtigte. So dumm kann doch eigentlich gar niemand sein, daß er nicht merkt, daß nicht hilft, was er da dauernd erzählt, und daß er damit immer nur das Gegenteil erreicht von dem, was er vorgibt, erreichen zu wollen.

MUZI: Man darf gar nicht darüber nachdenken, da wird man am Schluß noch verrückt.

MIZI: Glaubst du wirklich, daß alle, die uns so sittsames Verhalten beibringen, in Wirklichkeit Heuchler sind?

JESUS: Es muß wohl genügend Menschen geben, die im eigenen Leben das für sie mögliche Paradies verpaßt haben und die alles dran setzen, damit auch andere nicht in dieses Paradies gelangen. Leider gehören zu diesen Menschen oft genug gerade diejenigen, die für den Glauben und für die Erziehung junger Menschen zuständig sind (18).

MIZI: Also alle die, die uns da in den Tempel geschickt und dann auch noch eingetrichtert haben, was wir alles nicht essen dürfen, weil es angeblich unrein ist?

JESUS: Manche von denen haben gewiß auch tatsächlich eine ehrliche Sehnsucht nach einer besseren Welt. Doch weil sie nicht den Überblick haben, wie man dahin kommt, glauben sie an den Sinn aller solcher Frömmigkeits- und Moralübungen. Dabei geht es denen gewiß genauso wie euch, als ihr jung gewesen seid. Stellt euch einmal vor, da wäre jemand gekommen und hätte sich über all das lustig gemacht, was ihr da inzwischen als nutzlos und vielleicht sogar schädlich erkannt habt.

MUZI: Den hätten wir vermutlich gesteinigt.

JESUS: Genau...

MIZI: Und was sollen wir nun machen?

JESUS: Bei euch ist das ja nun alles leider weitgehend gelaufen, doch warum sollte sich das nicht für künftige Generationen ändern lassen?

ZACHÄUS: Du glaubst also nicht, daß die Menschen von Grund auf schlecht sind, daß sie gar nicht anders können, als böse zu sein?

JESUS: Nein, die Menschen sind nicht böse, sie wollen sogar etwas Gutes - nur wissen sie einfach nicht die richtigen Wege. Das ist doch schlimm, wenn ihnen etwas als schlecht eingeredet wird, was gar nicht schlecht ist.

Und damit hängt dann auch das Böse zusammen, das im Leben so auf einen zukommt. Habt ihr nie bedacht, daß die wirklichen Ursachen des Bösen sich dann aber auch wieder hinter etwas verbergen, das ganz normal zu sein scheint und daher gar nicht auffällt? Denn so schlecht sind wir doch gar nicht, daß wir zumindest auf Dauer etwas nicht änderten, was für uns eindeutig als böse erkennbar ist.

MUZI: Daß der Anfang des Bösen, unter dem wir leiden, bei etwas ganz Normalem liegen kann, daran muß ich mich noch gewöhnen.

MIZI: Dann wäre ja auch die Beschneidung der Mädchen, wie sie in einigen unserer Nachbarländern wie in Ägypten seit alters her praktiziert wird, damit die Frauen treu und moralisch bleiben, überflüssig?

JESUS: Du sagst es. Diese barbarische Verstümmelung der Frauen hat ja nur deswegen angefangen, weil da längst vorher deren geistige Verstümmelung eingerissen ist, weil nicht richtig mit ihnen geredet wird und weil da auch schließlich jegliche Tradition des Miteinanderredens überhaupt verloren gegangen war (19).

MIZI: Und du meinst, das alles könnte auch anders sein?

JESUS: Ja, natürlich - warum denn nicht? Man muß bloß wollen!

MUZI: Und wie bitte?

JESUS: Stellt euch einmal vor, es gibt eine Insel, auf der es keine Gesetze und auch nicht diese sinnlosen und sogar zerstörerischen Vorschriften gibt, die wir da eben festgestellt haben - außer den Zehn Geboten. Und an die halten sich alle Menschen freiwillig und nicht nur äußerlich, sondern auch dem Sinn nach, weil sie sie eingesehen haben. Und Besucher sind erlaubt, die dürfen da mitmachen, allerdings müssen auch die sich absolut konsequent an die Zehn Gebote halten, also auch daran, daß Ehe und Sex zusammengehören. Und wenn sie das nicht tun, dann werden sie sofort ergriffen und rausgeworfen und dürfen nie wieder hin.

MUZI: Wäre das nicht auch wieder langweilig?

JESUS: Dann habt ihr die Gebote immer noch nicht richtig begriffen, wahrscheinlich werden sie uns ja auch immer falsch und überspannt beigebracht. Und wenn sie so verkehrt dargestellt werden, dann ist das die sicherste Methode, daß sie recht bald als Gefängnis empfunden werden und daß sich die Menschen irgendwann umso gründlicher von ihnen befreien.

MUZI: Das kann sein.

JESUS: Zumindest hat niemand euch gelehrt, die Gebote von der Sicht als Spielregeln des Paradieses zumindest in einigen Konsequenzen zu durchdenken. Tun wir das also einmal: Stellt euch also vor, du Muzi oder du Mizi, ihr kommt als junge Mädchen jeder für sich mit einem Schiff auf der Insel an. Ihr kennt niemanden, ihr wißt kein Hotel, ihr habt nur wenig Geld.

MIZI: Da ist man doch absolut verloren.

JESUS: Nein, meine Lieben, auf dieser Insel nicht! Angequatscht werdet ihr sowieso, das ist normal, überall auf dieser Welt werden hübsche Mädchen angequatscht. Doch auf dieser Insel brauchtet ihr keine Angst zu haben, denn auf dieser Insel hält man sich doch an die Gebote! Das bedeutet, daß ihr mit jedem reden und mitgehen könnt, ihr könnt jedem jungen und natürlich auch jedem alten Mann, der euch anspricht oder den ihr ansprecht, vertrauen, ihr könnt mit jedem sogar nach Hause gehen und sogar dort wohnen, meinetwegen auch in dessen Zimmer, ihr braucht noch nicht einmal einen Schleier.

MUZI: Das geht doch nie gut!

JESUS: Warum nicht, auch die Jungen und Männer haben dort doch von Kind an gelernt, was wirkliche Liebe ist, und sie haben dafür ein Konzept mitbekommen. Daher wissen sie auch, daß zum Paradies nun einmal auch eine gehörige Portion Selbstkontrolle gehört, nicht weil etwas an uns schlecht ist, sondern weil es immer auf den größeren Zusammenhang ankommt. Schließlich ist es ja auch nicht gleichgültig, wo ein Feuer brennt, ob im Dachstuhl eines Hauses oder im Ofen.  

Daher ist es eben unbedingt sinnvoll, daß man sich absolut  zuverlässig an die Spielregel hält, daß es das Intimsein nur in der Ehe gibt.

MUZI: Das müßten wir Frauen dann allerdings auch akzeptieren.

MIZI: Warum nicht, ich fände das sogar ganz phantastisch.

JESUS: Und so könntet ihr euch miteinander über alles unterhalten, ihr könntet all eure üblichen Vorsichtsmaßnahmen gegenüber Männern weglassen so wie ich das vorhin angedeutet habe, und so könntet ihr sie und sie könnten euch viel besser kennenlernen. Dabei geht es natürlich weniger um irgendeine Spannerei, sondern darum, daß es einfach wunderbar ist, sich eben ohne die berühmten Mauern gegeneinander sicher vor jeglicher Ausnutzung zu fühlen, es geht um die Freiheit von Angst schlechthin.

MUZI: Kaum vorstellbar, wie man da aus sich herausgehen könnte, man könnte vielleicht sogar viel mehr seine ganze Weiblichkeit ausspielen, ohne Angst zu haben, daß einem das wieder nur falsch ausgelegt wird...

JESUS: Und die Männer könnten das dann auf ihre Weise genauso...

MIZI: Das wäre dann ja das Paradies, von dem du vorhin geredet hast, doch das gibt es nicht und das wird es auch nie geben.

JESUS: Wieso sollte es das nicht geben, wo steht das, daß das nicht möglich ist?

MIZI: Das Paradies ist doch seit Adam und Eva verloren.

JESUS: Eine völlig falsche Interpretation dieser biblischen Geschichte! Dabei geht es gar nicht um eine Geschichte, wie es am Anfang war, sondern die Geschichte ist eine Art Predigt, wie wir uns verhalten sollen, damit wir unser Paradies nicht verlieren! Wir alle sind entweder Adam oder Eva!

Und da ist doch die Rede davon, daß wir also von allen Früchten essen dürfen, und welche Früchte können da schon gemeint sein, wenn so etwas einem nackten Mann und einer nackten Frau gesagt wird, und nur vor den Früchten "in der Mitte" gewarnt wird (20)?

Soviel vernünftige Interpretationsmöglichkeiten gibt es doch da nun wirklich nicht. Das kann doch also nur heißen, daß wir alles tun dürfen, was zwei nackten Menschen so Spaß macht! Nur eine Ausnahme gibt es: Die Früchte in der Mitte sollen wir bleiben lassen, solange wir eben nur Freunde sind. Und dabei geht's (lächelnd) vermutlich genau um die Früchte, für die "ihr" eben so immer zuständig seid und die auch euch letztlich immer die Probleme bringen...

Doch wenn zwei Menschen wirkliche Gefährten sind, dann stehen ihnen auch diese Früchte zu, doch das mit dem Gefährtesein muß erst einmal feststehen mit allen Konsequenzen, die so eben zu einem lebenslangen Gefährtesein gehören. Klar, Fixpunkte muß es geben, sonst bleibt doch wieder letztlich alles beim Alten. Und wer das Paradies wirklich will, der akzeptiert auch solche Fixpunkte nur zu gerne, denn er weiß, was ihm das alles für Vorteile bringt.

Und wenn sich dann zwei Menschen auf diese Weise gefunden haben, kommt es schon automatisch zu der Liebe, die wirklich hält.

MUZI: Eigentlich eine tolle Idee, wenn ich mir das alles so bildlich vorstelle. Wäre schon gut, wenn das Wirklichkeit wäre. Doch da gibt es gewiß genügend Leute, die nicht wollen und immer wieder alles kaputt machen.

JESUS: Also, ich habe in meinem Leben nur Menschen getroffen, die in ihrem tiefsten Innern das wollen, denn alle hungern nach wirklicher Liebe, selbst die verheuchelten, von denen wir gerade geredet haben (21).

  

2. Auftritt: Man hört Lärm, herannahende Männer, die etwas rufen wie "Schlampe", "Flittchen", "macht unsere Moral kaputt", "wir sind doch hier nicht in Rom oder in Babylon", "Zeit, daß du mal erwischt worden bist", "versaut unsere Jugendlichen", "die anderen erwischen wir auch noch"...

ZACHÄUS: Da kommen sie mit eurer Freundin, um sie zu steinigen. Was ist, sollen wir abhauen?

JESUS: Ach, bleibt ruhig hier, was schadet es jetzt noch, wenn die uns hier zusammen sehen?

(Etwa 15 Männer kommen von links hinten auf die Bühne mit Steinen in beiden Händen, Jonathan scheint der Anführer zu sein, jedenfalls schreit er am lautesten. Dazwischen dann die “namenlose Prostituierte”, verheult, verängstigt und gehetzt, barfuß, Reste von Schminke, ansonsten aber unverletzt. Als der erste mitten auf der Bühne ist, entdeckt er die Gruppe am Bistrotisch. Er hält überrascht inne, die anderen nacheinander ebenfalls. Zufällig steht die namenlose Prostituierte zwischen den beiden Gruppen. Links vorne stehen Jonathan und der Ezechiel, der Tempelschatzmeister.)

1. STEINIGER (vorn Mitte, der Jesus zuerst erblickt hat, faßt sich schnell wieder und tut so, als beachtet er Jesus nicht, und faucht die “namenlose Prostituierte” an): Gottverdammte Schlampe, das wurde ja auch Zeit, daß du endlich deine gerechte Strafe bekommst!

2. STEINIGER: Unsere Stadt ist doch kein Bordell!

3. STEINIGER: Unsere Jugend muß geschützt werden.

4. STEINIGER: Es reicht schon, daß die Römer hier die Macht haben, wir brauchen nicht auch noch deren verkommene Sitten.

5. STEINIGER: Eigentlich ist das alles noch viel zu wenig!

(Er spuckt auf die Erde.) Da - leck auf, dreckige Nutte (22)!

(Die anderen spucken ebenso, die “unbekannte Prostituierte” kniet sich hin und leckt die Spucke auf - die Männer schreien: "Bravo", "sauberer", "schmeckt's gut?", "die Henkersmahlzeit", "guten Appetit", "wohl bekomm's"... Die Gruppe am Bistrotisch sitzt wie versteinert, die “unbekannte Prostituierte” sieht ab und zu von ihrer Leckerei hilfesuchend zu ihnen auf. Währenddessen fangen JONATHAN UND EZECHIEL nur für die Zuschauer hörbar an zu tuscheln:)

JONATHAN:  Klasse, daß wir die ganzen Möchtegernsystemveränderer auch hier noch treffen! Die sitzen ja hier wie gerufen! So kriegen die gleich anschaulich alles mit!

EZECHIEL: Das ist doch dieser Jesus, der diese aufmüpfigen Reden gegen unsere Religion führt und sich über uns lustig macht und der auch noch zu den Huren hält!

JONATHAN:  Und da sind sogar noch zwei von denen, stadtbekannte Nutten, seine Freundinnen, und auch noch dieser Steuerpächter Zachäus, Abschaum der Gesellschaft.

EZECHIEL: Eigentlich hätten die so eine Steinigung auch alle verdient, nur gegen die haben wir leider noch keine Beweise.

JONATHAN:  Schade - oder wart mal: Können wir nicht jetzt in diesem Moment Beweise schmieden?

EZECHIEL: Wieso - hast du eine Idee?

JONATHAN:  Genau die habe ich: Hier geht's doch darum, eine Hure zu steinigen. Das ist jüdisches Gesetz. Nach römischem Gesetz würde sie allerdings nicht gesteinigt werden, da ist die Hurerei bekanntlich erlaubt, dort müssen die Schlampen sogar noch Steuern zahlen. Eigentlich haben die Römer ja angeordnet, daß jetzt ihre Gesetze hier gelten, du weißt, wir sind mit der Steinigung also nicht ganz im Rahmen heutiger Gesetze. Doch wir haben ja Glück, daß die so etwas als Bagatelle betrachten und sich deswegen da im allgemeinen nicht einmischen.

Paß auf, ich frage den Jesus jetzt einfach, ob er für oder gegen die Steinigung ist. Ist er dafür, dann verstößt er gegen römische Gesetze. Wir blasen die Steinigung ab und sagen, wir hätten das ganze nur angefangen, um ihn zu überführen, und zeigen ihn bei den Römern an - und er ist fällig. Ist er aber gegen die Steinigung, dann hat er damit offen zugegeben, daß er ein Feind unseres Volkes ist - und er ist bei nächster Gelegenheit fällig!

EZECHIEL: Tolle Idee! Hätte ich dir nie zugetraut!

JONATHAN (tritt vor die Meute und macht eine Geste, damit Ruhe ist.

Auch die “namenlose Prostituierte” schaut auf):

Das trifft sich ja sehr gut, Sie hier zu treffen, Herr Jesus! Guten Tag! Jetzt können wir auch einmal Ihnen sagen, daß es schon phantastisch ist, wie Sie für unser einfaches Volk eintreten. Alle Achtung. Und für Sitte und Moral. Ja, das wurde auch langsam Zeit, daß da einer mal was unternimmt. Das konnte ja nicht so weitergehen.

(Die Männer von der Meute stehen sprachlos da, ein paar schütteln ihre Köpfe, einige tippen sich an die Stirn, Verwirrung. Jesus und die Gruppe schauen Jonathan und Ezechiel an.) Also, Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagen Sie?

(Jonathan blickt die Meute erfolgerheischend an, dort Beifallsgemurmel.)

JESUS (erhebt sich ganz langsam und geht einen Schritt auf Jonathan/Ezechiel zu, so daß er und die beiden und die “namenlose Prostituierte” ein Dreieck bilden. Er nimmt sich Zeit und blickt alle an, es ist absolute Stille. Dann blickt er Jonathan fest in die Augen und sagt laut und jedes einzelne Wort deutlich aussprechend):

Wie Sie, meine Herren, ja auch wissen, ist im Gesetz des Moses, also in den Zehn Geboten, auch vorgeschrieben, daß der einzige Ort für den Geschlechtsverkehr die Ehe ist. Wer also von Ihnen das, dessen Sie diese Frau beschuldigen, noch nie getan hat, oder, um ganz deutlich zu sein, wer also noch nie mit einem anderen als dem eigenen Ehepartner vor oder während seiner Ehe intim war, der werfe den ersten Stein (23)!

(Nach einem Moment der Stille wegen der Überraschung Gemurmel. Da sieht Jesus in die Meute, wieder Stille. Und dann blickt er einen nach dem anderen an, zuerst wieder Jonathan, und der jeweils Angeblickte verläßt die Bühne, fluchend, grinsend, gestikulierend, kopfschüttelnd, nickend usw. Schließlich stehen nur noch die “namenlose Prostituierte” und Jesus da <in vollen Scheinwerfern, die drei anderen sitzen im Dunkeln>.) 

JESUS (zu der namenlose Prostituierten): Hat dich niemand verurteilt?

NAMENLOSE PROSTITUIERTE (steht auf und schaut sich um): Nein Herr, niemand.

JESUS: Auch ich verurteile dich nicht.

Doch ich gebe dir einen freundschaftlichen Rat, hör damit auf, was du da tust, und hau irgendwohin ab, wo dich niemand kennt! Du siehst doch, gegen diese ausgebufften Typen kommst du sowieso nicht an.

 

Weiter zum 3. Akt  

 

ANMERKUNGEN    1.AKT    BASISDRAMA    HOME    BASISWÖRTERBUCH

 

Diese Site gehört zum DRAMA der Website basisreligion.

Siehe auch www.michael-preuschoff.de