Erzählung von der Errettung der schönen Susanna - Basislexikon

 

Erzählung von der Errettung der schönen Susanna

(wohl die älteste Kriminalgeschichte der Weltliteratur - sie gehört unbedingt zur Allgemeinbildung)

aus dem Zusatz zum Buch Daniel der Bibel

 

Künstler waren schon immer schlauer als Theologen: Eine Beziehung zwischen beiden Erzählungen, also der Erzählung von der Sünderin, die gesteinigt werden soll, weil sie auf frischer Tat ertappt wurde, und der keuschen Susanna, die zwei Älteste zum Sex erpressen wollen, stellt offenbar auch der Maler Giorgione her in seinem Gemälde, das heute in Glasgow hängt. Das Bild wird bisweilen interpretiert als "Jesus und die Ehebrecherin" oder "Susanna und der junge Daniel".

Doch hier die Erzählung (nach Daniel 13, allerdings nur in katholischen Bibeln):

In Babylon wohnte ein Mann mit Namen Jojakim. Er hatte Susanna, die Tochter Hiljikas, zur Frau; sie war sehr schön und gottesfürchtig. Auch ihre Eltern waren gerecht und hatten ihre Tochter nach dem Gesetz des Mose erzogen. Jojakim war sehr reich; er besaß einen Garten nahe bei seinem Haus. Die Juden pflegten bei ihm zusammenzukommen, weil er der Angesehenste von allen war. Als Richter amtierten in jenem Jahr zwei Älteste aus dem Volk, von denen galt, was der Herr gesagt hat: Ungerechtigkeit ging von Babylon aus, von den Ältesten, von den Richtern, die als Leiter des Volkes galten. Sie hielten sich regelmäßig im Haus Jojakims auf, und alle, die eine Rechtssache hatten, kamen zu ihnen. Hatten sich nun die Leute um die Mittagszeit wieder entfernt, dann kam Susanna und ging im Garten ihres Mannes spazieren. Die beiden Ältesten sahen sie täglich kommen und umhergehen; da regte sich in ihnen die Begierde nach ihr. Ihre Gedanken gerieten auf Abwege, und ihre Augen gingen in die Irre; sie sahen weder zum Himmel auf, noch dachten sie an die gerechten Strafen Gottes. Beide hatten wegen Susanna Liebeskummer; doch keiner sagte dem anderen etwas von seinem Schmerz. Denn sie schämten sich darüber, daß sie so begierig waren, mit ihr zusammenzusein. Ungeduldig warteten sie jeden Tag darauf, sie zu sehen. Eines Tages sagte der eine zum anderen: Gehen wir nach Hause, es ist Zeit zum Essen. Sie trennten sich also und gingen weg. Dann kehrte jeder um, und sie trafen wieder zusammen. Sie fragten einander nach der Ursache und gestanden sich ihre Leidenschaft. Daraufhin verabredeten sie eine Zeit, zu der es ihnen möglich sein sollte, Susanna allein anzutreffen.

Während sie auf einen günstigen Tag warteten, kam Susanna eines Tages wie gewöhnlich in den Garten, nur von zwei Mädchen begleitet, und wollte baden; denn es war heiß. Niemand war dort außer den beiden Ältesten, die sich versteckt hatten und ihr auflauerten. Sie sagte zu den Mädchen: Holt mir Öl und Salben und verriegelt das Gartentor, damit ich baden kann. Die Mädchen taten, wie ihnen befohlen war. Sie verriegelten das Tor und verließen den Garten durch die Seitenpforte, um zu holen, was ihnen aufgetragen war. Von den Ältesten bemerkten sie nichts, denn diese hatten sich versteckt. Als die Mädchen weg waren, standen die beiden Ältesten auf, liefen zu Susanna hin und sagten: Das Gartentor ist verschlossen, und niemand sieht uns; wir brennen vor Verlangen nach dir: Sei uns zu Willen und gib dich uns hin! Weigerst du dich, dann bezeugen wir gegen dich, daß ein junger Mann bei dir war und daß du deshalb die Mädchen weggeschickt hast. Da seufzte Susanna und sagte: Ich bin bedrängt von allen Seiten: Wenn ich es tue, so droht mir der Tod; tue ich es aber nicht, so werde ich euch nicht entrinnen. Es ist besser für mich, es nicht zu tun und euch in die Hände zu fallen, als gegen den Herrn zu sündigen. Dann schrie Susanna, so laut sie konnte. Aber zugleich mit ihr schrien auch die beiden Ältesten, und einer von ihnen lief zum Gartentor und öffnete es. Als die Leute das Geschrei im Garten hörten, eilten sie durch die Seitentür herbei, um zu sehen, was ihr zugestoßen sei. Als die Ältesten ihre Erklärung gaben, schämten sich die Diener sehr; denn noch nie war so etwas über Susanna gesagt worden.

Als am nächsten Tag das Volk bei Jojakim, ihrem Mann, zusammenkam, erschienen auch die beiden Ältesten. Sie kamen mit der verbrecherischen Absicht, gegen Susanna die Todesstrafe zu erwirken. Sie sagten vor dem Volk: Schickt nach Susanna, der Tochter Hiljikas! Man schickte nach ihr. Sie kam, begleitet von ihren Eltern, ihren Kindern und allen Verwandten. Susanna war anmutig und sehr schön. Sie war aber verschleiert. Um sich an ihrer Schönheit zu weiden, befahlen die Gewissenlosen, sie zu entschleiern. Da weinten ihre Angehörigen, und alle, die sie sahen, begannen ebenfalls zu weinen. Vor dem ganzen Haus standen nun die beiden Ältesten auf und legten die Hände auf den Kopf Susannas. Sie aber blickte weinend zum Himmel auf; denn ihr Herz vertraute dem Herrn. Die Ältesten sagten: Während wir allein im Garten spazieren gingen, kam diese Frau mit zwei Mägden herein. Sie ließ das Gartentor verriegeln und schickte die Mägde fort. Dann kam ein junger Mann zu ihr, der sich versteckt hatte, und legte sich zu ihr. Wir waren gerade in einer abgelegenen Ecke des Gartens; als wir aber die Sünde sahen, eilten wir zu ihnen hin und sahen, wie sie zusammen waren. Den Mann konnten wir nicht festhalten, denn er war stärker als wir; er öffnete das Tor und entkam. Aber diese da hielten wir fest und fragten sie, wer der junge Mann war. Sie wollte es uns aber nicht verraten. Das alles können wir bezeugen. Die versammelte Gemeinde glaubte ihnen, weil sie Älteste des Volkes und Richter waren, und verurteilte Susanna zum Tod. Da rief sie laut: Ewiger Gott, du kennst auch das Verborgene; du weißt alles, noch bevor es geschieht. Du weißt auch, daß sie eine falsche Aussage gegen mich gemacht haben. Darum muß ich jetzt sterben, obwohl ich nichts von dem getan habe, was diese Menschen mir vorwerfen.

Der Herr erhörte ihr Rufen. Als man sie zur Hinrichtung führte, erweckte Gott den heiligen Geist in einem jungen Mann namens Daniel. Dieser rief laut: Ich bin unschuldig am Tod dieser Frau. Da wandten sich alle Leute nach ihm um und fragten ihn: Was soll das heißen, was du da gesagt hast? Er trat mitten unter sie und sagte: Seid ihr so töricht, ihr Söhne Israels? Ohne Verhör und ohne Prüfung der Beweise habt ihr eine Tochter Israels verurteilt. Kehrt zurück zum Ort des Gerichts! Denn diese Ältesten haben eine falsche Aussage gegen Susanna gemacht. Eilig kehrten alle Leute wieder um, und die Ältesten sagten zu Daniel: Setz dich hier mitten unter uns, und sag uns, was du zu sagen hast. Denn dir hat Gott den Vorsitz verliehen. Daniel sagte zu ihnen: Trennt diese beiden Männer, bringt sie weit auseinander! Ich will sie verhören. Als man sie voneinander getrennt hatte, rief er den einen von ihnen her und sagte zu ihm: In Schlechtigkeit bist du alt geworden; doch jetzt kommt die Strafe für die Sünden, die du bisher begangen hast. Ungerechte Urteile hast du gefällt, Schuldlose verurteilt, aber Schuldige freigesprochen; und doch hat der Herr gesagt: Einen Schuldlosen und Gerechten sollst du nicht töten. Wenn du also diese Frau wirklich gesehen hast, dann sag uns: Was für ein Baum war das, unter dem du die beiden gesehen hast? Er antwortete: Unter einer Zeder. Das sagte Daniel: Mit deiner Lüge hast du dein eigenes Haupt getroffen: Der Engel Gottes wird dich zerspalten, schon hat er von Gott den Befehl dazu erhalten. Dann ließ er ihn wegbringen und befahl, den anderen vorzuführen. Zu ihm sage er: Du Sohn Kanaans, nicht Judas, dich hat die Schönheit verführt, die Leidenschaft hat dein Herz verdorben. So konntet ihr an den Töchtern Israels handeln, sie fürchteten sich und waren euch zu Willen. Aber die Tochter Judas hat eure Gemeinheit nicht geduldet. Nun sag mir: Was für ein Baum war das, unter dem du die beiden ertappt hast? Er antwortete: Unter einer Eiche. Da sagte Daniel zu ihm: Mit deiner Lüge hast auch du dein eigenes Haupt getroffen. Der Engel Gottes wartet schon mit dem Schwert in der Hand, um dich mitten entzweizuhauen. So wird er euch beide vernichten.

Da schrie die ganze Gemeinde laut auf und pries Gott, der alle rettet, die auf ihn hoffen. Dann erhoben sie sich gegen die beiden Ältesten, die Daniel durch ihre eigenen Worte als falsche Zeugen entlarvt hatte. Das Böse, das sie ihrem Nächsten hatten antun wollen, tat man nach dem Gesetz des Mose ihnen an: Man tötete sie. So wurde an jenem Tag unschuldiges Blut gerettet. Hiljika und seine Frau priesen Gott wegen ihrer Tochter Susanna, ebenso ihr Mann Jojakim und alle Verwandten, weil sich zeigte, daß sie nichts Schändliches getan hatte. Daniel aber gewann seit jenem Tag und auch weiterhin beim Volk großes Ansehen.

Zur Deutung siehe Gespräche 12.