12. Zwei klassische Kriminalfälle: 1. Die keusche Susanna und 2. der “Fall Jesus”

Beatrix: Und um so etwas soll sich Jesus gekümmert haben? Das habe ich noch nie gehört! Das ist doch lachhaft!

Felix: Dazu erst einmal eine kleine Gegenfrage: Ist “das alles” nun eine belanglose und nebensächliche oder eine wichtige Sache?

Beatrix: Na ja, für die Betroffenen ist das schon wichtig, sehr wichtig sogar...

Felix:  Und für die anderen?

Beatrix: Die würden das am liebsten unter den Teppich kehren, ich kann mir schon vorstellen, daß das denen nicht paßt, wenn so etwas alles an die große Glocke gehängt wird. Die hätten wohl schon lieber, wenn es bei dem Allen-wohl-und-niemand-weh-Jesus bliebe, den wir so kennen..

Felix: Na, siehst du! Das ist es ja gerade, der hat sich genau in etwas eingemischt, das sonst allen egal war. Und weil ihn vor allem das von anderen großen Männern der Geschichte unterscheidet, daß “normale” Frauen und sogar Prostituierte zu seinem Freundeskreis gehörten, die er auch gegen die damalige Männergesellschaft bei jeder nur möglichen Gelegenheit in Schutz genommen hat, ist es doch naheliegend, daß Jesus auch über so etwas nachgedacht und vermutlich auch mit anderen darüber geredet hatte.

Beatrix: Das mag ja alles ganz plausibel klingen – doch gibt es da Beweise?

Felix: Beweise sind immer ein Problem – wofür gibt´s eigentlich Beweise, und gerade wenn etwas schon lange her ist? Die Menschen denken doch am liebsten in ihren eingefahrenen Schemen – und gerade für die gibt´s bei näherem Hinsehen oft die wenigsten Beweise.

Immerhin gibt es eindeutige Bibelstellen, daß damals zumindest die Lage so war, und wenn es solche Mißstände gab, dann ist es dann kein großer Schritt anzunehmen, daß es auch Leute gab, die diese Mißstände ändern wollten.

Doch zuerst zu den Mißständen. Bekannt ist vor allem die Geschichte von der “keuschen Susanna”, wo diese Mißstände zur Sprache kommen. Ganz nebenbei ist diese Geschichte auch noch eine berühmte “Kriminalgeschichte”.

Beatrix: Kann doch bloß langweilig sein, eine alte Kriminalgeschichte, und dann aus der Bibel...

Felix: Laß dich überraschen, lies mal und du wirst verstehen, warum heute bei denen, die das Sagen haben, nicht viel Interesse besteht, diese Geschichte angemessen gerade auch für junge Leute aufzuarbeiten. Eigentlich gehört diese Geschichte ja auch zur Allgemeinbildung. Immerhin hängen darüber Gemälde von den größten Malern wie Rembrandt und Rubens auch in den bedeutendsten Museen der Welt.

In der Geschichte geht es darum, wie zwei “geile” alte Richter die schöne und keusche Susanna erpressen, daß sie mit ihnen schläft. Und dafür mißbrauchen sie die damals geltenden strengen Moralgesetze, nach denen jemand, der beim außerehelichen Sex auf frischer Tat von zwei Zeugen ertappt wird, zum Tode verurteilt werden muß. Um an die Frau heranzukommen, drohen sie ihr einfach, daß sie vor Gericht bezeugen würden, wie sie sie mit einem jungen Mann erwischt hätten - falls sie nicht mit ihnen schläft. Und obwohl sie nach dem Gesetz dieselbe Strafe selbst bekommen würden, die für die Frau vorgesehen war, falls sich deren Unschuld herausstellt, schien die Sache doch für die beiden “falschen Zeugen” ziemlich risikolos zu sein. (Anmerkung: “Keusch” meint nicht unbedingt “jungfräulich”, sondern auch “in der reinen Liebe zu einem einzigen Partner.”)

Am besten, du liest die Geschichte einmal selbst (Daniel 13). Es darf dich nicht stören, wenn sie orientalisch-lang und ausführlich ist. Vermutlich wird alles so genau beschrieben, damit auch alle, die die Geschichte hören, eine Lehre aus ihr ziehen können. Wenn so eine Sache nicht bis in alle Einzelheiten dargelegt wird, dann verpufft ja alles schließlich doch wirkungslos.

Beatrix: Ach die verpufft auch so, schließlich habe ich bisher noch nichts davon gehört.

Felix: Dann wird´s aber Zeit, diese alte Kriminalerzählung gehört schließlich sozusagen zur Allgemeinbildung...

 

In Babylon wohnte ein Mann mit Namen Jojakim. Er hatte Susanna, die Tochter Hiljikas, zur Frau; sie war sehr schön und gottesfürchtig. Auch ihre Eltern waren gerecht und hatten ihre Tochter nach dem Gesetz des Mose erzogen. Jojakim war sehr reich; er besaß einen Garten nahe bei seinem Haus. Die Juden pflegten bei ihm zusammenzukommen, weil er der Angesehenste von allen war. Als Richter amtierten in jenem Jahr zwei Älteste aus dem Volk, von denen galt, was der Herr gesagt hat: Ungerechtigkeit ging von Babylon aus, von den Ältesten, von den Richtern, die als Leiter des Volkes galten. Sie hielten sich regelmäßig im Haus Jojakims auf, und alle, die eine Rechtssache hatten, kamen zu ihnen. Hatten sich nun die Leute um die Mittagszeit wieder entfernt, dann kam Susanna und ging im Garten ihres Mannes spazieren. Die beiden Ältesten sahen sie täglich kommen und umhergehen; da regte sich in ihnen die Begierde nach ihr. Ihre Gedanken gerieten auf Abwege, und ihre Augen gingen in die Irre; sie sahen weder zum Himmel auf, noch dachten sie an die gerechten Strafen Gottes. Beide hatten wegen Susanna Liebeskummer; doch keiner sagte dem anderen etwas von seinem Schmerz. Denn sie schämten sich darüber, daß sie so begierig waren, mit ihr zusammenzusein. Ungeduldig warteten sie jeden Tag darauf, sie zu sehen. Eines Tages sagte der eine zum anderen: Gehen wir nach Hause, es ist Zeit zum Essen. Sie trennten sich also und gingen weg. Dann kehrte jeder um, und sie trafen wieder zusammen. Sie fragten einander nach der Ursache und gestanden sich ihre Leidenschaft. Daraufhin verabredeten sie eine Zeit, zu der es ihnen möglich sein sollte, Susanna allein anzutreffen.

Während sie auf einen günstigen Tag warteten, kam Susanna eines Tages wie gewöhnlich in den Garten, nur von zwei Mädchen begleitet, und wollte baden; denn es war heiß. Niemand war dort außer den beiden Ältesten, die sich versteckt hatten und ihr auflauerten. Sie sagte zu den Mädchen: Holt mir Öl und Salben und verriegelt das Gartentor, damit ich baden kann. Die Mädchen taten, wie ihnen befohlen war. Sie verriegelten das Tor und verließen den Garten durch die Seitenpforte, um zu holen, was ihnen aufgetragen war. Von den Ältesten bemerkten sie nichts, denn diese hatten sich versteckt. Als die Mädchen weg waren, standen die beiden Ältesten auf, liefen zu Susanna hin und sagten: Das Gartentor ist verschlossen, und niemand sieht uns; wir brennen vor Verlangen nach dir: Sei uns zu Willen und gib dich uns hin! Weigerst du dich, dann bezeugen wir gegen dich, daß ein junger Mann bei dir war und daß du deshalb die Mädchen weggeschickt hast. Da seufzte Susanna und sagte: Ich bin bedrängt von allen Seiten: Wenn ich es tue, so droht mir der Tod; tue ich es aber nicht, so werde ich euch nicht entrinnen. Es ist besser für mich, es nicht zu tun und euch in die Hände zu fallen, als gegen den Herrn zu sündigen. Dann schrie Susanna, so laut sie konnte. Aber zugleich mit ihr schrien auch die beiden Ältesten, und einer von ihnen lief zum Gartentor und öffnete es. Als die Leute das Geschrei im Garten hörten, eilten sie durch die Seitentür herbei, um zu sehen, was ihr zugestoßen sei. Als die Ältesten ihre Erklärung gaben, schämten sich die Diener sehr; denn noch nie war so etwas über Susanna gesagt worden.

Als am nächsten Tag das Volk bei Jojakim, ihrem Mann, zusammenkam, erschienen auch die beiden Ältesten. Sie kamen mit der verbrecherischen Absicht, gegen Susanna die Todesstrafe zu erwirken. Sie sagten vor dem Volk: Schickt nach Susanna, der Tochter Hiljikas! Man schickte nach ihr. Sie kam, begleitet von ihren Eltern, ihren Kindern und allen Verwandten. Susanna war anmutig und sehr schön. Sie war aber verschleiert. Um sich an ihrer Schönheit zu weiden, befahlen die Gewissenlosen, sie zu entschleiern. Da weinten ihre Angehörigen, und alle, die sie sahen, begannen ebenfalls zu weinen. Vor dem ganzen Haus standen nun die beiden Ältesten auf und legten die Hände auf den Kopf Susannas. Sie aber blickte weinend zum Himmel auf; denn ihr Herz vertraute dem Herrn. Die Ältesten sagten: Während wir allein im Garten spazieren gingen, kam diese Frau mit zwei Mägden herein. Sie ließ das Gartentor verriegeln und schickte die Mägde fort. Dann kam ein junger Mann zu ihr, der sich versteckt hatte, und legte sich zu ihr. Wir waren gerade in einer abgelegenen Ecke des Gartens; als wir aber die Sünde sahen, eilten wir zu ihnen hin und sahen, wie sie zusammen waren. Den Mann konnten wir nicht festhalten, denn er war stärker als wir; er öffnete das Tor und entkam. Aber diese da hielten wir fest und fragten sie, wer der junge Mann war. Sie wollte es uns aber nicht verraten. Das alles können wir bezeugen. Die versammelte Gemeinde glaubte ihnen, weil sie Älteste des Volkes und Richter waren, und verurteilte Susanna zum Tod. Da rief sie laut: Ewiger Gott, du kennst auch das Verborgene; du weißt alles, noch bevor es geschieht. Du weißt auch, daß sie eine falsche Aussage gegen mich gemacht haben. Darum muß ich jetzt sterben, obwohl ich nichts von dem getan habe, was diese Menschen mir vorwerfen.

Der Herr erhörte ihr Rufen. Als man sie zur Hinrichtung führte, erweckte Gott den heiligen Geist in einem jungen Mann namens Daniel. Dieser rief laut: Ich bin unschuldig am Tod dieser Frau. Da wandten sich alle Leute nach ihm um und fragten ihn: Was soll das heißen, was du da gesagt hast? Er trat mitten unter sie und sagte: Seid ihr so töricht, ihr Söhne Israels? Ohne Verhör und ohne Prüfung der Beweise habt ihr eine Tochter Israels verurteilt. Kehrt zurück zum Ort des Gerichts! Denn diese Ältesten haben eine falsche Aussage gegen Susanna gemacht. Eilig kehrten alle Leute wieder um, und die Ältesten sagten zu Daniel: Setz dich hier mitten unter uns, und sag uns, was du zu sagen hast. Denn dir hat Gott den Vorsitz verliehen. Daniel sagte zu ihnen: Trennt diese beiden Männer, bringt sie weit auseinander! Ich will sie verhören. Als man sie voneinander getrennt hatte, rief er den einen von ihnen her und sagte zu ihm: In Schlechtigkeit bist du alt geworden; doch jetzt kommt die Strafe für die Sünden, die du bisher begangen hast. Ungerechte Urteile hast du gefällt, Schuldlose verurteilt, aber Schuldige freigesprochen; und doch hat der Herr gesagt: Einen Schuldlosen und Gerechten sollst du nicht töten. Wenn du also diese Frau wirklich gesehen hast, dann sag uns: Was für ein Baum war das, unter dem du die beiden gesehen hast? Er antwortete: Unter einer Zeder. Das sagte Daniel: Mit deiner Lüge hast du dein eigenes Haupt getroffen: Der Engel Gottes wird dich zerspalten, schon hat er von Gott den Befehl dazu erhalten. Dann ließ er ihn wegbringen und befahl, den anderen vorzuführen. Zu ihm sage er: Du Sohn Kanaans, nicht Judas, dich hat die Schönheit verführt, die Leidenschaft hat dein Herz verdorben. So konntet ihr an den Töchtern Israels handeln, sie fürchteten sich und waren euch zu Willen. Aber die Tochter Judas hat eure Gemeinheit nicht geduldet. Nun sag mir: Was für ein Baum war das, unter dem du die beiden ertappt hast? Er antwortete: Unter einer Eiche. Da sagte Daniel zu ihm: Mit deiner Lüge hast auch du dein eigenes Haupt getroffen. Der Engel Gottes wartet schon mit dem Schwert in der Hand, um dich mitten entzweizuhauen. So wird er euch beide vernichten.

Da schrie die ganze Gemeinde laut auf und pries Gott, der alle rettet, die auf ihn hoffen. Dann erhoben sie sich gegen die beiden Ältesten, die Daniel durch ihre eigenen Worte als falsche Zeugen entlarvt hatte. Das Böse, das sie ihrem Nächsten hatten antun wollen, tat man nach dem Gesetz des Mose ihnen an: Man tötete sie. So wurde an jenem Tag unschuldiges Blut gerettet. Hiljika und seine Frau priesen Gott wegen ihrer Tochter Susanna, ebenso ihr Mann Jojakim und alle Verwandten, weil sich zeigte, daß sie nichts Schändliches getan hatte. Daniel aber gewann seit jenem Tag und auch weiterhin beim Volk großes Ansehen.

 

Felix: Da hat wenigstens einer mal richtig gedacht. Interessant ist, daß bei “heiliger Geist” das Wort “heilig” klein geschrieben ist, es geht also hier nicht um eine göttliche Person, sondern um “bessere Vernunft”. Etwas ungewöhnlich am Schluß diese Vorverurteilungen, doch sonst ist ja manches heute bei der Aufklärung von Verbrechen noch genauso, wenn ich zum Beispiel an das getrennte Verhör denke.

Beatrix: Für mich geht diese Geschichte einfach zu glatt für die Seite des Guten aus. Da kommt so ein junger Typ, den wählen die betroffenen Ältesten oder zumindest die meisten von denen auch gleich noch zum Vorsitzenden und der hat auch gleich mit seiner schönen Gerechtigkeit vollen Erfolg.

Felix: Du hast recht, eine so ausgebuffte Männergesellschaft läßt sich sicher nicht so schnell von irgendeinem dahergelaufenen “jungen Mann” in die Karten gucken und schon gar nicht die Schau stehlen.

Diese Geschichte ist allerdings vermutlich auch gar nicht wirklich passiert, sie wurde einfach geschrieben, um anzuprangern, was damals so lief und wie mit den Frauen umgegangen wurde. Insofern ist sie zumindest ein Sittenbild aus der damaligen Zeit. Man muß sich einmal so richtig vor Augen halten, was damals los war.

Beatrix: Dann heißt das ja auch, daß eine schöne und attraktive Frau, auf die es solche Typen abgesehen hatten, den Männern total ausgeliefert war. Und daß es eigentlich nur notwendig war, daß sich zweie einig waren und durchhielten, dann konnten die jede Frau rumkriegen.

Felix: Und zwar nicht nur so gerade schnell zum Rein-Raus-Sex wie bei einer Vergewaltigung, sondern mit der Methode konnten die auch noch Ansprüche stellen... Wenn ich mir das so recht vorstelle, das muß da ja wohl so gewesen sein, daß gerade ein schönes Mädchen aus einfachen oder gar armen Kreisen, vielleicht auch die Tochter einer Prostituierten, die ihr Leben in die Hand nehmen wollte, um aus diesem Kreislauf von Armut und Prostitution herauszukommen, vermutlich überhaupt keine Chance hatte. Die armen Leute und erst recht die armen Frauen sind ja nie wichtig, die werden einfach “gebraucht”, wie und solange es paßt, daher wird über deren Schicksal natürlich auch normalerweise nichts berichtet. Die ganzen Sauereien fielen allenfalls auf, als diese Typen die Dreistigkeit auf die Spitze trieben und sich auch an Frauen aus besseren Kreisen vergriffen.

Beatrix: Komisch, daß man davon üblicherweise nichts hört.

Felix: Ich habe es dir ja gesagt. Genau das ist der springende Punkt. Warum wohl nicht? Das ist doch heute bei dieser Thematik noch genauso. Du kannst dich ja einmal fragen, welchen Effekt das hat und wer einen Vorteil davon hat, daß insbesondere junge Leute von so etwas keine Ahnung haben.

Beatrix: Der einzige Sinn kann eigentlich nur sein, damit die nicht rechtzeitig durchblicken, sich daher auch nicht zweckmäßig verhalten können und folglich erst einmal auf die Nase fallen. Wer nichts weiß oder etwas auch nicht richtig weiß, der ist eben eher auch demjenigen ausgeliefert, der ihm nichts Gutes will. Und wenn das erst einmal “passiert” ist, dann wird der irgendwann auch einer von denen...

Felix: Ich finde das einfach unglaublich, wie Menschen hier immer wieder verblödet werden.

Beatrix: Und für das Schweigen gibt es ja auch schon immer wunderschöne Gründe von wegen der Rücksichtnahme auf die Sensibilität und den Anstand von uns Frauen oder daß sonst unsere Neugier entfacht würde und wir damit erst recht scharf würden und so weiter.

Felix: Kann man das eigentlich auch anders sehen, wenn jungen Menschen etwas, das für sie eigentlich absolut wichtig ist, nicht richtig klar gemacht wird?

Beatrix: Ich frage mich aber eins: Die waren doch damals alle so religiös, die haben da wohl auch entsprechende Predigten ganz allgemein und für die jungen Leute entsprechende Tempelschule gemacht, wie man damals vielleicht den Religionsunterricht nannte. Was mögen die wohl denen da erzählt haben?

Felix: Überlege doch einmal, was würdest du denn erzählen, wenn du so ein verkommener Typ wärest und gleichzeitig mit der Moralerziehung von jungen Leuten und vor allem von Mädchen beauftragt wärest?

Beatrix: Ich schätze mal alles mögliche fromme oder zumindest fromm klingende religiöse Geschwafel, damit die Leute den Eindruck bekommen, daß ich besonders ehrenhaft bin, und vor allem auch heute nicht wissen was los ist und mich am Ende doch noch durchschauen. Man kann ja gerade auch junge Leute durch Verschweigen und Verbieten so scharf machen, daß sie nach dem Motto, daß das Verbotene um so mehr reizt, von sich aus den Sex wollen, und manchmal eben auch so, daß diese angeblich so frommen Typen noch etwas davon haben.

Felix: Das hast du gesagt! Doch es gibt und gab eben auch immer die berühmten Ausnahmen – und die Susannageschichte schildert so eine Ausnahme. Daß diese Geschichte im Buch “Daniel” des Alten Testaments steht und auch diesem Propheten  gleichen Namens zugeschrieben wird, ist allerdings wohl reine Konstruktion irgend welcher alter Bibelschriftsteller, das wissen wir heute. Daher stimmt dann auch die zeitliche Zuordnung etwa 500 v. Chr. nicht, die Geschichte ist viel jünger. Sie entstand vermutlich um 200 v. Chr., weil genau diese “Problematik” zu dieser Zeit wohl höchst aktuell war, und sozusagen zur Tarnung wurde sie dann “rückdatiert” und diesem Prophetenbuch angehängt. Damit hängt dann auch zusammen, daß sie in evangelischen Bibeln nicht enthalten ist.

Beatrix: Es hätte mich auch wirklich gewundert, daß ein junger Mann mit seinem Einsatz für eine verurteilte Frau da durchkommt, näher liegend wäre doch gewesen, daß sie den aus irgendeinem Grund noch gleich mit umgebracht hätten, sie hätten ihm ja vielleicht sogar anhängen können, daß er der Typ war, mit dem die Frau da angeblich geschlafen hatte.

Felix: Für mich wäre so etwas auch wahrscheinlicher. Diese Geschichte ist also vermutlich nur deswegen für die Frau und für diesen Daniel so gut ausgegangen, weil sie gar nicht stimmt. Wenigstens hatte sich aber mal einer getraut, sie aufzuschreiben. In einem anderen uns bekannteren Fall ist diese Geschichte aber ungefähr so gelaufen, wie du das vermutest, und da waren die gar nicht zimperlich. Der Betreffende hat sich mit seinem Engagement nicht nur in die Finger geschnitten, sondern sogar um Kopf und Kragen gebracht. Wir kennen diese Geschichte alle, da wurde der Systemveränderer schließlich sogar gekreuzigt.

Beatrix: Du meinst Jesus? Ich denke, der wurde gekreuzigt, weil er uns von unseren Sünden erlösen wollte und weil er sich für Gottes Sohn hielt, der sich hier um die armen Leute gekümmert hat?

Felix: Erst einmal: Jesus hat vermutlich nie von sich gesagt, daß er Gottes Sohn ist, das haben die Verfasser der Bibel dazu erfunden, und außerdem wäre das weder nach damaligem jüdischen noch nach damaligem römischen Recht ein Grund für irgendeine Bestrafung und schon gar nicht für eine Kreuzigung gewesen. Jeder männliche Jude konnte sich ohnehin als Sohn Gottes fühlen und die Römer waren viel zu aufgeklärt, als daß so etwas für die überhaupt ein krimineller Tatbestand sein konnte. Das “Für-unsere-Sünden-gestorben” stimmt da schon eher, man muß es nur anders lesen als wir es gewöhnt sind. Wenn einer gegen solche skandalösen “sündigen” Zustände ankämpft, wie sie da in der Susannaerzählung geschildert werden, und unter denen besonders die Armen zu leiden hatten, und deswegen dann selbst umgebracht wird, dann wäre das ja auch “für unsere Sünden gestorben”.

Beatrix: Das wäre dann immerhin realistischer und konkreter als das, was uns da immer in der Kirche von der Erlösung von der Erbsünde erzählt wird.

Felix: Und daher also auch wahrscheinlicher. Und es ist anzunehmen, daß sich dieser Jesus vermutlich nicht nur einmal, sondern dauernd in “so etwas” eingemischt hatte. Wir wissen ja heute auch, daß die Situation der Frauen und vor allem der Frauen der Armen auch zur Zeit Jesu ziemlich katastrophal war, Frauen wurden weitgehend nur als Arbeitstier und als mehr oder weniger verführerisches "Lusttier" angesehen, von dem Gefährtesein oder gar von wirklicher Liebe, was lange vorher einmal als das Ideal der jüdischen Mann-Frau-Beziehung galt, war so gut wie nichts mehr übrig geblieben. Und es besteht ja auch überhaupt kein Grund zu der Annahme, daß etwa mit dieser Daniel-Susanna-Geschichte die Moral ausgebrochen war, schließlich wird ja auch gesagt, daß die Männer das damals schon immer so “getrieben” haben, und die Frauen “mit ihnen aus Angst intim waren”, wie ich in einer englischen Bibelausgabe drastischer übersetzt gelesen habe. Warum also soll es zur Zeit Jesu etwa 200 Jahre später nicht noch dieselben Verhältnisse gegeben haben?

Beatrix: Immerhin gehörten ja auch Frauen und Prostituierte zu seinem Freundeskreis. Ich kann mir schon vorstellen, daß die dann diesem Jesus von genau solchen Erfahrungen erzählt hatten...

Felix: Wenn das kein Beweis ist!

Beatrix: Das wäre eine Lösung. Mir war bisher nie so recht klar, was Jesus eigentlich für die Armen getan haben soll, dabei wird ja gerade davon so viel Aufhebens gemacht. Selbst wenn die Wunder wie etwa das der Brotvermehrung stimmen, dann war das ja nur für ein einmaliges Essen; und die Kranken, die er angeblich geheilt und die Toten, die er angeblich auferweckt hat, sind ja alle irgendwann sowieso gestorben. Hier hätte das mit den “Armen und Sündern”, denen er helfen wollte, einen Sinn.

Felix: Wenn bei den Armen stabile und wirklich gute Partnerbeziehungen gelängen, wenn sie lernten, wirkliche Verantwortung füreinander zu fühlen und auch zu leben, wenn sie Ehre und Selbstachtung hätten, dann wäre das schon eher eine Sache für Dauer. Das gäbe denen dann vermutlich auch die Kraft, sich selbst aus ihrem Dreck herauszuziehen, und dann würde sich wirklich etwas ändern.

Beatrix: Es muß eben eine Initialzündung angeleiert werden. Wenn dieser Jesus das damals so gesehen hätte, das wäre genial. Wirklich komisch, daß man von alledem sonst nie etwas hört.

Felix: Nicht komisch, verdächtig...

Beatrix: Doch ich frage mich die ganze Zeit, warum bist du so sicher, daß das alles so war?

Felix: Ganz einfach: Wenn etwas so Naheliegendes wie hier vertuscht oder auch nur so übersehen wird, daß es selbst in den ganzen Bibelerklärungen noch gar nicht einmal in Erwägung gezogen wird, dann wird es dafür schon die entsprechenden Gründe geben! Und der wahre Grund kann doch nur sein, daß hier die Wahrheit zu suchen ist. Oder kannst du dir einen anderen Grund vorstellen?

Beatrix: So schnell nicht.

Felix: Zu unserer Interpretation paßt auch noch, daß Jesus damals ausgiebig und leidenschaftlich auf die Heuchler seiner Zeit geschimpft hat. Im Matthäusevangelium (Anm.: siehe Matthäus 23) sind solche Schimpfereien über die heuchlerischen Priester und Theologen seiner Zeit sogar mehrere Seiten lang überliefert! Was steht da nicht alles von den schlechten Vorbildern, von der Schlangenbrut, davon, wie sie andere Menschen zu Söhnen der Hölle machen, von den “übertünchten Gräbern”, die außen schön aussehen, innen aber voller Verwesung und Totengebein sind! Selbst wenn der Verfasser dieses Evangeliums davon die Hälfte dazu erfunden hat, weil er selbst mit diesen Leuten etwas abzurechnen hatte, dann reicht das, was übrig bleibt, schon aus, daß diese Typen sich bei Gelegenheit an Jesus rächten – und ihn mit einem mehr als windigen Rechtsverfahren umgebracht hatten.

Beatrix: Wenn Jesus auf die Heuchler geschimpft hat, dann muß er aber nicht auch im Hinterkopf haben, daß es um Sex geht?

Felix: Doch wo sonst noch als in der Branche, in der es darum geht, wird auch heute noch dann jemand hin und wieder umgebracht, wenn er im System quersteht? Und in der Bibel gibt es ja sogar eine Stelle, wo Jesus im Zusammenhang mit einer Frau, die beim Sex auf frischer Tat ertappt wurde, die Männer, die sie steinigen wollen, als Heuchler entlarvt.

Beatrix: Du meinst die Sache mit der Ehebrecherin?

(Anmerkung: Johannes 8. Zur Information: Ehebrecherin, Sünderin und Prostituierte sind im Verständnis der Bibel dasselbe. Der Vollständigkeit halber sei hier die Episode Jesus und die Sünderin zitiert:)

“Am frühen Morgen begab er sich wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm. Er setzt sich und lehrte es. Da brachten die Schriftgelehrten und Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du? Mit dieser Frage wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn zu verklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie. Und er bückte er sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie seine Worte gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand. Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh, und sündige von jetzt an nicht mehr!”

Felix: Es ist ja auch interessant, daß alle Männer, die die Frau steinigen wollen, abhauen, als Jesus die, die “ohne Sünde” sind, auffordert, den ersten Stein zu werfen. Und heute wird das mit dem “ohne Sünde” so gedeutet, daß sich das auf dasselbe bezieht, was man der Frau anlastet.

Beatrix: Also waren das auch solche Typen wie diese Alten in der Susannageschichte.

Felix: Zumindest die Scharfmacher...

Beatrix: Und die Scheiß-Männer rächten sich dann dafür an ihm bei Gelegenheit, weil sie eben einflußreich genug waren.

Felix: Das wäre dann auch ein plausibler Grund für den Tod Jesu.

Beatrix: Jetzt wird mir auch klar, worin der Einsatz Jesu für die Frauen bestand und wie der mit seinem Tod zusammenhing. Es wird zwar immer behauptet, daß Jesus sich für die eingesetzt hatte, aber um was es ging, das blieb eigentlich immer offen.

Felix: Klar, daß das, was Jesus wirklich wollte, nicht so deutlich in der Bibel steht, denn die wurde ja vielleicht sogar erst hundert Jahre später aufgeschrieben.

Beatrix: Natürlich von Männern.

Felix: Ich finde es auch plausibel, daß der Tod Jesu gerade mit einem solchen Einsatz zur Bewußtmachung der Frauen zusammenhängt, denn das ist eine ganz heiße Problematik, weil die bisweilen auch in kriminelle Branchen hineinspielt. Und da ist der Mensch sowieso noch nie etwas wert gewesen, da kommt´s also auf einen Toten mehr oder weniger auch nicht an.

Beatrix: Da hängen wir in unserer religiösen Lehre bei irgendwelchen unglaubwürdigen Wunder- und Jenseitsgeschichten herum, die nun wirklich niemanden aufregen oder gar schaden, so daß einer etwas dagegen haben könnte, doch die plausiblen Sachen, von denen Ansätze zu einer Änderung kommen könnten, die werden gar nicht erst erwähnt.

Felix: Ja, man kann sich nur wundern, denn auch heute bei uns gibt es ja zumindest vom Endeffekt her durchaus vergleichbare Zustände. Doch gerade denen, die davon doch irgendwann betroffen sind, nämlich den Kindern und vor allem den jungen Mädchen, wird da immer noch nichts gesagt. Die Kinder malen in ihrem Religionsunterricht schöne Bildchen zu den Wundergeschichten und die Mädchen steckt man in weiße Kleidchen und über Moral lernen sie so etwas wie Scham und Sich-nicht-interessieren.

Beatrix: Davon wird man ganz bestimmt nicht schlau, daß man die Zustände durchschaut und sein Leben wirklich einmal anders gestalten kann. Aber heißt das, daß es denjenigen, die die Kinder so naiv erziehen, bewußt ist, daß sie etwas ganz Wichtiges auslassen?

Felix: Manchen vielleicht schon. Viele wollen es einfach auch nicht so genau wissen und es kommt ihnen gelegen, daß man darüber nicht so viel nachdenkt und redet. Aber ich glaube, die meisten sind einfach überfordert, wie sollte man sich auch durchsetzen, wenn es Tradition ist, daß man nichts sagt und daß es angeblich Kennzeichen gerade der Frommen und Vernünftigen ist, den Mund zu halten? Das ist dann wohl auch dieselbe Situation wie vor 2200 Jahren, als die Susannageschichte entstanden ist, oder vor 2000 Jahren bei Jesus. Das Mundhalten war ja am bequemsten. Und Jesus war eben mutiger, er verstand sich ja auch mit Kindern.

Beatrix: O.k., es könnte schon sehr gut sein, daß sich Jesus damals mit solchen Dingen auseinandergesetzt hatte. Aber das sagt noch längst nicht, daß er sich auch mit der Biologie der Frauen beschäftigt hat?

Felix: Vielleicht nicht mit der Biologie, um die geht es ja auch gar nicht, aber über die Veranlagung von Menschen muß jemand wohl nachdenken, der sich mit ihrer Moral beschäftigt. Sieh einmal, was da nicht üblicherweise immer behauptet wird oder zumindest unterschwellig geglaubt wird, wie Männer oder Frauen “von Natur aus” angeblich sind, und daß man gegen diese oder jene angebliche Naturveranlagung nun einmal nicht ankäme. Da muß sich einer, dem es um eine Änderung geht, doch auch damit auseinandersetzen? Und je besser der dann die Veranlagung auch der Frauen kennt, desto weniger kann er dann irgend eine Zwangsläufigkeit ihres Verhaltens und schon gar nicht eine Schlechtigkeit erkennen, schon gar nicht eine grundsätzliche und noch nicht einmal bei Prostituierten, sondern eben in erster Linie bei der heuchlerischen Männerwelt. 

Beatrix: Die Zusammenhänge sind zwar für mich ungewohnt - doch Gewohnheit oder Tradition sagt ja sowieso nichts darüber aus, ob etwas richtig ist.  

Üblicherweise kennen wir immer Gemälde in der Art Artemisia Gentileschis (1593 – 1652/3), das im Schloß Pommersfelden bei Bamberg hängt: Die beiden Ältesten sind gerade dabei, Susanna zu verführen. Völlig anders ist das Bild von Giorgione:

Giorgione (1478 - 1510): „Jesus und die Sünderin“.

Hier geht es um die Anklage einer Frau und ganz offensichtlich sieht der Künstler eine ähnliche Beziehung zwischen diesen beiden Erzählungen wie hier in dieser Website.

Das Original dieses Bildes hängt heute in Glasgow/Schottland. Es hat allerdings auch noch einen anderen Titel und offensichtlich streiten sich die Gelehrten, welcher der richtige ist:

 „Die keusche Susanna und der junge Daniel”.

In der einen “Erzählung” geht es um die Frau, die gesteinigt werden soll, weil sie auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt wurde nach Johannes 8, und die Jesus aus den Klauen ihrer Häscher rettet mit den Worten: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein!“. In der anderen Erzählung aus den Anhängen zum Buch Daniel (Daniel 13) wollen zwei „geile“ Alte die schöne Susanna mit Hilfe der damals üblichen Gesetze zum Sex erpressen. Wenn diese Erzählung hier dargestellt wird, ist zumindest das Motiv unüblich, denn üblicherweise wird die schöne Susanna immer nackt dargestellt, und die beiden Alten sind irgendwo in den Büschen versteckt. 

Ich halte es für möglich, daß Giorgione – so wie in dieser Website! - beide Berichte durchaus in einer inneren Beziehung zueinander gesehen hat. Schließlich hat dieser Maler ja auch sonst sehr hintergründig gemalt, so etwa das  Bild “Die drei Philosophen”, das in Wien im Kunsthisorischen Museum hängt. Und wie ich aus einem Buch über den “Verlorenen Sohn” von Rembrandt erfahre, scheint es früher durchaus normal gewesen zu sein, daß bisweilen bestimmte Stellen der Bibel in Weisen zusammengesehen wurden, die uns heute nicht mehr geläufig sind. Bei den beiden Geschichten hier geht es eben um das uralte und immer wieder selbe Problem, wie Frauen auf die Linie der Männer gebracht werden (sollen) bzw. wie Frauen, die dies nicht wollen, bestraft werden. Für mich ist es auch sehr plausibel, daß Künstler eher solche Zusammenhänge erkennen als etwa Theologen. Die ersteren sind schon eher mal systemkritisch, während letztere schon von Berufs wegen eher systemerhaltend sind (selbst wenn sie sich noch so “radikale und revolutionäre” Worte gebrauchen, um ihren Glauben zu erklären!) und daher auch nie etwas Verdächtiges erkennen vor allem nicht an der richtigen Stelle. Nun, ich fühle mit bei der ersten Sorte besser aufgehoben...

 

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