ZÄRTLICHKEIT (Basislexikon: kompetent-kritisch-konstruktiv)

ZÄRTLICHKEIT ist eine Gefühlshaltung und -äußerung, z.B. eine Liebkosung durch Worte und Handlungen, die dem Partner das Empfinden von Zuwendung, Geborgenheit und Fürsorglichkeit gibt oder geben soll. Die unkomplizierteste und unverdächtigste Zärtlichkeit ist im allgemeinen die von Eltern gegenüber ihren kleinen Kindern, wie sonst auch sollen sich Menschen einander mitteilen, die eine nahe Beziehung zueinander haben, bei denen jedoch eine sprachliche Verständigung (noch) nicht möglich ist?

Die Zärtlichkeit zwischen allen übrigen Menschen hat leider - wie eigentlich alles, was mit der Sexualität zusammenhängt - durchaus etwas Ambivalentes (= "Doppelwertiges") an sich:

Denn sie kann nicht nur eine zwischenmenschliche Beziehung bereichern, sondern sie eignet sich auch ganz hervorragend zur Manipulation eines Menschen! Welcher Mensch findet nicht die Zärtlichkeiten von einem ihm sympathischen anderen Menschen angenehm und vergißt dabei, die wirkliche Qualität der Beziehung zu überdenken? Mit mehr oder weniger raffinierten Zärtlichkeiten im richtigen Moment kann man ja auch sehr gut ganz bewußt dafür sorgen, daß sich bei einem anderen Menschen eine typische rosarote Brille bildet und sich schließlich sozusagen dessen Gehirn ausschaltet und er zum Reinfallen weich gemacht wird. Zärtlichkeiten können also durchaus den Eindruck von einem anderen Menschen verfälschen! Und dann kann es dann genau zu den Entscheidungen kommen, die er mit nüchternem Verstand ganz gewiß nicht getroffen hätte. Wer sich also vorgenommen hat, daß das Allerletzte in einer Liebesbeziehung die vollendeten Tatsachen sein sollten, der sollte vorsichtshalber und kluger Weise auch alles das vermeiden, was unmittelbar darauf und überhaupt auf Befriedigung hinausläuft oder bei dem die Gefahr besteht, daß er dabei so aufgeheizt wird, daß ihm das Gesetz des Handelns aus den Händen entgleitet - und das sind leichtfertige und oberflächliche Zärtlichkeiten.

Die einfachste Regel für zärtlichen Umgang mit anderen Menschen ist, daß alle körperlichen oder seelischen Annäherungen eines Menschen, für den man irgendwie erotisch schwärmt, verstärkend oder gar elektrisierend wirken.

Dagegen lassen vor allem Mädchen durchaus dieselben Annäherungen von Seiten eines Menschen, für den sie nichts -  oder nur kameradschaftlich-geschwisterliche Sympathien - empfinden, wenigstens in der Anfangsphase ziemlich kalt, ja solche Annäherungen von einem ausgesprochen unsympathischen Menschen wirken sogar eher abstoßend. So hat auch ein Begrüßungs- oder Abschiedsküßchen oder das Bützchen für einen Polizisten beim Rosenmontagszug in Köln keine weitere Folgen für irgendwelche Gefühle.

Es ist also ein Zeichen von Klugheit und von guter Menschenkenntnis, Zärtlichkeiten so lange zu unterlassen, bis man sich wirklich sicher ist, ob ein Zärtlichkeitspartner ein wirklicher Gefährte ist oder wenigstens sein könnte oder ob es sich nicht doch nur um eine Laune aus einer Langeweile heraus oder gar um eine Anmache dreht.

Wo ist eigentlich der Unterschied zur Zärtlichkeit mit einer Prostituierten, wenn es da überhaupt keine geistigseelischen Gemeinsamkeiten gibt und wenn im Grunde von vornherein klar ist, daß auch nie eine wirkliche Gemeinschaft dabei herauskommen soll und kann? Daher sollten wir uns keinesfalls von einer sinnvollen Reihenfolge beim Umgang mit einem möglichen Partner abbringen lassen. So paradox es zunächst klingen mag: Unverfänglicher und für eine brauchbare Menschenkenntnis geeigneter ist statt der sogenannten Knutscherei oder gar Fummelei sogar völlige Nacktheit (siehe Enthaltsamkeit und Tantrismus), wenn sie nur in entsprechendem geeigneten, unverfänglichem Zusammenhang geschieht.

Wählen wir also spannendere Alternativen zur Zärtlichkeit!

Denn dazu gehört in jedem Fall Umsichtigkeit, Neugier und Mut, vielleicht sogar eine gewisse Keckheit, alles Kennzeichen von ausgesprochen positivem Selbstbewußtsein. Und damit vergeben wir uns gegenüber niemandem etwas.

Mit Zärtlichkeiten kann das dagegen ganz anders sein! Wie peinlich ist es im Grunde, wenn wir mit einem Menschen Zärtlichkeiten austauschen, bei dem wir irgendwann einmal feststellen, daß er uns im Grunde völlig verachtet und für den die Zärtlichkeiten lediglich die Einleitung zur Befriedigung seiner Triebe darstellten! Eine umsichtig eingefädelte Nacktheit und eine bewußte Enthaltsamkeit bringt - wenn überhaupt - eine Spannung zwischen den Geschlechtern, die eine Mischung aus Vertrauen, Selbstbewußtsein, Selbstsicherheit, Ehre, Mut, harmlosen Spaß und durchaus auch Stolz auf eigene Leistung sind, während Zärtlichkeiten in solchen Fällen Spannungen aufbauen, die ansonsten überhaupt keine wirklich positiven Gefühle auslösen. Wer echte Kameradschaftlichkeit auch zwischen den Geschlechtern will, der wird - so unverständlich und schmerzhaft das vielleicht zunächst klingen mag - auf Zärtlichkeiten, die auch nur irgendeinen auf Befriedigung hinauslaufenden Beigeschmack haben, völlig verzichten.

Warum sollten wir nicht einmal für unsere Zärtlichkeiten am Umgang mit unseren Haustieren orientieren?

Als Beispiel, wie unverfängliche Zärtlichkeiten aussehen können, sei etwa auf den Umgang von Kindern mit ihren Haustieren - und insbesondere Hunden - hingewiesen: Gibt es nicht dabei genau die behutsame Lockerheit und die richtigen Hemmungen für eine natürliche Offenheit und Ehrlichkeit? Achten wir dabei nicht instinktiv darauf, daß wir bei allem Spaß einem Tier nicht zu nahe treten und daß auch keine erotisch gefärbten Spielereien dabei herauskommen?

Das heißt dann allerdings auch wieder, daß gegen Berührungen, die einer natürlichen Herzlichkeit und einem erprobten Vertrauen entspringen, nichts einzuwenden ist. Im Umgang mit Menschen müssen jedoch unbedingt noch die Regeln der Äquidistanz beachtet und eingehalten werden, damit möglichst keine Eifersucht aufkommt.

Erotische Zärtlichkeiten gegen viel unverbindlichere und unverfänglichere Alternativen.

Warum nun unsere heutige Gesellschaft den Austausch von eher erotischen Zärtlichkeiten durchaus auch zwischen Unverheirateten akzeptiert, die viel unproblematischere öffentliche Nacktheit aber immer noch weitgehend tabuisiert ist, läßt sich nur damit erklären, daß wir in unserer modernen Konsumgesellschaft gar keine wirklich selbstsicheren, umsichtigen, neugierigen und mutigen Menschen (also mit gelungener Freiheit und Emanzipation) brauchen können. Was diese Gesellschaft will, sind manipulierbare, uninformierte und mit vordergründigen Befriedigungen zufriedenstellbare Konsumenten. An den jungen Menschen selbst liegt es, von vornherein keine Schritte auf den Weg zu dieser leicht zufriedenzustellenden Konsumgesellschaft zu tun und nur mit den Verhaltensweisen anzufangen, die ihnen auch wirklich auf Dauer etwas bringen! Eltern, die ihren Kindern ein brauchbares Gespür für Zärtlichkeiten fürs Leben mitgeben wollen, sollten ihnen gegenüber solche Berührungen bevorzugen, die eher den gesamten Körper einschließen und die eigentlichen sexuellen Körperteile bewußt ignorieren. Das Gefühl für Spannungen des gesamten Körpers kann so in einem jungen Menschen die Vorstellung von einer Bedingung, ohne die nichts geht, aufbauen, die zum Maßstab wird, wenn es zu einer erotischen Beziehung in dessen eigenem Leben kommen sollte. (Wörterbuch von basisreligion und basisdrama)