KETZER.
Ketzer
sind Menschen, die sich gegen die in einer Institution entwickelten Selbstverständlichkeiten
richten und so Welten verändern", schreibt Rupert Lay in seinem Buch
"Die Ketzer" (Berlin 1992).
Umgangssprachlich
haftet dem Begriff "Ketzer" eher etwas Negatives an, weil das eben
nach üblicher Auffassung eine Art Querulanten sind, die mitunter zwar ein
berechtigtes Anliegen haben mögen, jedoch im Grunde Spinner sind und im
Endeffekt nur Streit und Krieg bringen und daher alles nur noch schlimmer
machen.
Bei näherem Hinsehen müssen wir allerdings anerkennen, daß wir gerade Ketzern entscheidende Fortschritte in der Humanität zu verdanken haben,
so galten die ersten, die
gegen den Hexenwahn vorgingen, auch als
Ketzer (und starben dafür), und zur Abschaffung der
Sklaverei in Amerika mußten
leider viele Amerikaner ihr Leben lassen, während auf der anderen Seite zur
Verhinderung der Abschaffung der Sklaverei auch viele Amerikaner ihr Leben ließen,
die sich durchaus für
rechtgläubig hielten. An diesen beiden Beispielen
ist erkenntlich, daß es Ketzer geben muß, es muß einfach Menschen geben,
denen Unmenschlichkeiten auffallen und die sich erdreisten, diese zu ändern,
selbst wenn vielen gar nichts auffällt.
Daß Änderungen nicht einfach sind, ist klar, denn welche eingefahrene Gesellschaft
(siehe Establishment) ändert sich
schon gern, schließlich haben ja auch immer genügend Menschen ihre Vorteile von dem
"Wie-es-ist" und viele andere sehen sogar selbst in ihrem Leiden schließlich
ihren Sinn des Lebens? Doch wenn es
nicht Menschen gibt, die an irgendeiner Stelle "Halt - hier nicht
weiter!" rufen - wo würden wir schließlich landen?
Das
Problem dabei ist etwa das: Die meisten Menschen sind in irgendeiner Weise Diener und Angestellte von
Institutionen und als solche verpflichtet, im Sinne ihrer Institutionen tätig
zu sein nach dem Motto: Was wäre, wenn jemand als Verkäufer in einem
Unternehmen arbeitet und die Kunden aufklärt, daß die Produkte dieses
Unternehmens schlecht und teuer sind und sie sie daher nicht kaufen sollten?
Das
Beispiel zieht nur bedingt: Was ist allerdings, wenn die ursprüngliche Idee des
Unternehmens erstklassige Produkte sind, jedoch durch vordergründige
Gewinnsucht und Schlamperei irgendwelcher „Nachfolger“ längst von der
Unternehmensidee abgewichen wurde? Wenn also etwa der längst verstorbene Chef
hervorragende und haltbare Autos konstruiert hatte, jedoch seine Nachfolger bewußt
oder unbewußt fehlerhafte Autos auf den Markt werfen, weil sie von der Sucht
nach neuen Modellen der Kunden und von dem Reparaturgeschäft viel mehr
profitieren und schließlich auch mit den Ärzten paktieren, die natürlich erst
recht ihre Vorteile haben, wenn es möglichst viele Verletzte gibt?
Wenn
wir das Problem am Hexenwahn oder auch an der Sklaverei konkretisieren: Ein
Widerstand wäre zu der Zeit, als solches aktuell war, immer Ketzerei
gewesen. Was also wäre nun das Kennzeichen eines guten damaligen Theologen aus unserer heutigen
Sicht gewesen? Hätte der auf der Seite der „Rechtgläubigen“ oder
auf der Seite der Ketzer stehen müssen? Und dazu kommt noch: Es reicht ja nicht aus, daß man so gerade im Punkt „Hexenwahn“ oder „Sklaverei“ eine andere
Meinung hat, da das alles etwas mit dem ganzen System zu tun hat, wird ein
Ketzer zwangsläufig auch „in anderen Punkten“ andere Auffassungen
vertreten.
Im
Zusammenhang mit unserem christlichen Glauben muß das Problem schließlich leider so gesehen werden: Die
Botschaft des „wirklichen“ Jesus war mit
Sicherheit eine andere als die, die unsere heutigen Kirchen verkünden, denn wir
sind im Laufe der 2000jährigen Kirchengeschichte ein ausgesprochener
Synkretismus
geworden, bei dem von der ursprünglichen Idee vielleicht nur noch der Name und
einige Sprüche übrig geblieben sind.
Und
wer entscheidet nun, was richtig ist, also was nicht
Irrlehre ist? Im Grunde kann das nur die
Wissenschaft
sein in
Verbindung mit „Experimenten“ in der Praxis (siehe Theorie
und Praxis) - und immer wieder mit offenen Auseinandersetzung von allen
Beteiligten (keinesfalls mit dogmatischen Festsetzungen, denn mit Sicherheit
blockieren die jegliche Wahrheitsfindung von vornherein, siehe
Dogmatik)! Bei Zweifeln, was richtig ist, die Lehre der Kirche oder die des „wirklichen Jesus“ kann nur - analog zum alten Rechtsgrundsatz "Höheres Recht bricht niederes Recht“ - natürlich nur die Lehre Jesu gelten. Indiz für die Richtigkeit darf dabei weniger Glauben sein, denn da kann ja notfalls jeder alles behaupten und durchsetzen, wenn er auch noch die Macht hat, sondern nur etwas Konkretes, also etwa, daß in dem neuen System die Zehn Gebote besser gehalten werden, daß es also auch weniger Ehescheidungen, weniger Abtreibungen, weniger Ungerechtigkeiten gibt, und das alles natürlich ohne Zwänge und Ängste.
Es
bleibt also dabei: Nicht alle Ketzer bringen verfilzte und erstarrte
Institutionen weiter, doch die, die sie weiter bringen, sind irgendwo immer
Ketzer! Zum Entzug der Lehrerlaubnis des Verfassers siehe unter Missioentzug. Da war ja auch so ein Inquisitionsverfahren gegen einen "Ketzer"! (Wörterbuch von basisreligion und basisdrama) |