INQUISITION (Basislexikon: kompetent-kritisch-konstruktiv)

INQUISITION (von lat. inquirere - nachsuchen, nachforschen, Beweise sammeln). "Wohl zu keinem Aspekt der menschlichen Geschichte klaffen Wahrheit und Folklore so weit auseinander wie in Religions- und Glaubensdingen. Und wohl keine Epoche der Menschheitsgeschichte hat eine derart konzentrierte Falschberichterstattung angezogen wie das Mittelalter. Bei dem Stichwort `Inquisition´ treffen beide Fehlerquellen - das aufgeklärte Schablonendenken in allen Dingen, die Religion betreffen, und die moderne Geringschätzung des Mittelalters - aufeinander. Und sie produzieren eine geradezu groteske Fehleinschätzung. Denn anders als uns Hunderte von Büchern oder Filmen glauben machen wollen, waren die Inquisitoren des Mittelalters vergleichsweise warmherzige, ernsthaft um Gerechtigkeit und Recht bemühte Leute....; zumindest in den Anfangsjahren sahen sie ihre Hauptaufgabe eher darin, nicht die Menschen mit Gewalt zum Seelenheil zu zwingen, sondern die Menschen vor Gewalt zu schützen. 

Vor der Einsetzung der Inquisition durch Papst Innozenz III. regierte in Glaubensdingen das so genannte gesunde Volksempfinden; aufgebrachte Gläubige pflegten als Ketzer verdächtige Personen kurzerhand zu lynchen, an geordnete Verfahren war in solchen Fällen nicht zu denken... (Anmerkung: Von wegen "gesundes Volksempfinden"! Deswegen bin ich so allergisch, wenn etwas in dieser Richung als Argument gebracht wird, siehe etwa zum Schriftwechsel Schamrasur! Siehe auch gesunder Mesnchenverstand.)

Um dergleichen Übergriffe zu verhindern, verlangte Papst Innozenz III. Anfang des 13. Jahrhunderts vor jeder Verurteilung eine genaue Untersuchung (eben eine `Inquisition´). Mindestens zwei Zeugen waren beizubringen, die Beschuldigten waren zu hören und wurden, wenn sie bereuten, ohne großen Schaden wieder freigelassen - verglichen mit der Willkür und der Lynchjustiz davor ein großer Schritt in Richtung aufgeklärtes Rechtsverständnis. Todesurteile wurden nur sehr selten, vor allem gegen `Mehrfachtäter´ ausgesprochen: Von den insgesamt 930 Urteilen, die der bekannte Inquisitior Bernhard Gui zwischen 1308 und 1332 gegen Ketzer fällte, lauten 9 auf Wallfahrt, 22 auf Wüstung des Hauses, 69 auf Ausgrabung schon verstorbener Ketzer, 132 auf das Tragen von Bußgewändern, 143 auf Dienst im Heiligen Land, 307 auf Kerkerhaft und 132 auf Freispruch; nur in 42 Fällen erkannte Gui auf Verbrennen...

Selbst die vielgeschmähte spanische Inquisition hob sich in vielfacher Weise positiv von ihrem Umfeld ab; die meisten spanischen Inquisitoren, `unter ihnen feinsinnige, beredte, weltkluge Juristen´ widmeten sich der von der Krone gestellten Aufgabe, die Religion und auch die religiöse Praxis zu schützen, `mit dem gebührendem Ernst, auch mit dem dafür notwendigen Eifer, doch bekümmert darüber, dass ihre Tätigkeit dringend erforderlich sei´. Hexenprozesse, im `freien´ England oder Holland an der Tagesordnung, waren für die spanische Inquisition kein Thema...und auch die Zensur gefährlicher Schriften wurde von der Inquisition nur kurzfristig aus Angst vor protestantischen Einflüssen energisch betrieben. `Schon unter Phillip II. begnügte man sich mit harmlosen Eingriffen. Wer irrige Meinungen widerlegen mochte, musste sich mit ihnen vertraut machen können. Das war der aufgeklärte Standpunkt der <spanischen> Inquisition, den nur wenige in Europa teilten. Die Bibliothek des Escorial verfügte über eine stattliche Sammlung verbotener Schriften für den wissenschaftlichen Gebrauch. Höchst kontroverse Erörterungen, etwa über das Recht, sich die Neue Welt anzueignen, konnten damals nur in Spanien geführt werden.´ Im damaligen England hätte man solche Dissidenten einfach aufgeknüpft." (aus: Walter Krämer u.a.: "Das neue Lexikon der populären Irrtümer", München 2000)

Es soll sogar Leute gegeben haben, die dem Zivilgericht entfliehen wollten und sich deswegen selbst der Wahrsagerei usw. anklagten.

Ich zitiere dazu aus "Salz der Erde" von Joseph Kardinal Ratzinger, Ein Gespräch mit Peter Seewald (Heyne Sachbuch1996/1998, S. 110):

Die »Keller der Heiligen Inquisition« sind unser Archiv, um das 'auf den richtigen Namen zu bringen, andere Keller haben wir nicht. Ich muß gestehen, daß ich ein geringer Archiv-Benutzer bin, einfach weil ich keine Zeit dafür habe. Deswegen konnte ich auch auf keine besonderen Geheimnisse stoßen. Es ist so, daß Napoleon uns das Archiv weggenommen hat. Ein Teil der Bestände wurde dann zurückgegeben, aber eben nur ein Teil, so daß es keineswegs mehr vollständig ist. Und im allgemeinen ist es bei weitem nicht so interessant, wie es sich die Leute erwarten. Ein durchaus liberaler italienischer Professor hat vor kurzem einige Zeit an verschiedenen Prozessen gearbeitet und festgestellt, daß er doch sehr enttäuscht sei. Statt des Kampfes zwischen Gewissen und Macht, auf den er zu stoßen hoffte, sei er auf ganz gewöhnliche Kriminalität gestoßen. Das lag daran, daß die römische Inquisition ein relativ mildes Gericht war. So haben die Leute, die vor dem Zivilgericht standen, sich selbst einen religiösen Faktor angedichtet, Zauberei oder Wahrsagerei, um vor die Inquisition zu kommen, von der sie sich im allgemeinen ein doch relativ mildes Urteil erwarten konnten. Aber das weiß ich nur aus zweiter Hand, ich habe das nicht in den Quellen studiert.

Wir können also durchaus sagen, dass die Inquisition ein Rechtsfortschritt war, der vom römischen Recht beeinflusst war: Nach germanischem Recht musste der Angeklagte seine Unschuld beweisen, was eigentlich immer sehr schwer, oft sogar unmöglich ist, doch jetzt musste die Anklagebehörde dem Angeklagten seine Schuld nachweisen.

Und vor allem brauchte es jetzt das Geständnis des Angeklagten! Wie das nun geschah, ist eine andere Frage, die allerdings vor dem Hintergrund des mittelalterlichen Denkens und des Denkens in der frühen Neuzeit verstanden werden muss, und das waren nun einmal nicht unsere heutigen Vorstellungen.

Es sieht also alles danach aus, dass die Inquisition - zumindest zunächst - nicht die grausame Behörde der katholischen Kirche zur strafrechtlichen Verfolgung religiös Andersdenkender war, als die sie uns heute im Bewusstsein ist. Das Problem ist eher ganz allgemein die mittelalterliche Theologie, die es zuließ, dass das Böse  konkrete Gestalt annehmen konnte in Menschen, die irgendwie aus dem üblichen Rahmen fielen und die vielleicht an dieser oder jener Absonderlichkeit des mittelalterlichen christlichen Glaubens zweifelten. Irgendwann geschieht eben immer auch in der Praxis, was in den Köpfen der Menschen spukt. Natürlich wird in der Bibel nirgends solche Inquisition empfohlen oder gar angeordnet, ja Jesus verurteilt die Ausmerzung Andersdenkender ausdrücklich. Und so ist sie eher Kennzeichen eines typischen Gottesstaates und widerspricht damit allen Vorstellungen eines wirklichen Reiches Gottes, ja sie ist sogar ein sicheres Indiz dafür, dass das Anliegen Jesu völlig missverstanden wurde. Siehe auch Zensur.

Ob sich die Mentalität vieler in der Kirche heute allerdings wirklich geändert hat?

Es kommt wohl nur darauf an, wie man fragt...

Als ich mein Jesusdrama mit den Vertraulichen Gesprächen einmal einem Pfarrer zu lesen gab, meinte er, dass ich eines vergäße, dass die Kirche heute gar nicht mehr die Macht hätte, etwas zu tun. Ich habe nicht geantwortet, ich habe mich nur gewundert. Denn was der Priester da sagte, heißt doch, dass die Menschen nie ihre Freiheit recht gebrauchen könnten, dass sie immer die Knute oder eben die Gesetze brauchen, und wenn die nicht mehr da sind, dann passiere eben das, was heute so los ist. Was unterstellt dieser Priester hier eigentlich seinen Mitmenschen? Dass es an solchen Menschen wie ihm liegen könnte, weil die alles falsch machen, so dass die Menschen eben so sind, wie sie heute sind, kam ihm gar nicht in den Sinn... 

Hätte die Inquisition auch Jesus verurteilt?

Ich dichterischer Form bearbeitet der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewskij diese Thematik: Jesus wird vom Großinquisitor verhört und - obwohl sich der Inquisitor bewusst ist, dass er Jesus vor sich hat - auch verurteilt. Es geht um genau dasselbe Grundanliegen menschlicher Existenz wie bei dem Gespräch mit dem Pfarrer gerade, ob der Mensch zur Freiheit (im Sinn von wirklicher Emanzipation) fähig ist. Und der Großinquisitor vertritt auch dieselbe Meinung wie der Pfarrer - und ganz offensichtlich nicht nur der. Das Konzept, Menschen zum Glauben zu bringen, ist ja in allen Religionen und also auch bei uns dasselbe: Zuerst müssen die Menschen "glauben", alles andere kommt dann angeblich von alleine oder ist nicht so wichtig, auch nicht eine sinnvolle Moral. Basisreligion setzt jedoch genau hier an und geht davon aus, dass sich dann ein vernünftiger und freier Gottesglaube von allein ergibt, siehe etwas den Gottesbeweis aus der Spieltheorie heraus, um ihn einmal so zu nennen. Den Ansatz der Religionen können wir dagegen nicht nur einen pharisäischen Ansatz (siehe Pharisäer) sondern auch einen "inquisitorischen Ansatz" nennen.

Immerhin gibt es diese Praxis schon einmal bei Pferden, die früher angeblich ja auch gequält und gebrochen werden mussten, um sie zu zähmen. Schauen Sie doch einmal in das Stichwort  vom Pferdeflüsterer! Und da kommt ein 7jähriger Junge auf die Idee, dass man die Zähmung auch erreichen kann und viel besser, wenn man das Vertrauen der Pferde gewinnt.

Zum Entzug der Lehrerlaubnis des Verfassers siehe unter Missioentzug. Da war ja auch so ein Inquisitionsverfahren...

(Wörterbuch von basisreligion und basisdrama)