Sind die Berichte um Jesus dann nicht bewußte Lügen?
So kann man das nicht sehen. Ein Vergleich zu heute: Lügt einer, der in einem Mercedes vorfährt, obwohl der noch gar nicht bezahlt ist? Inwieweit lügt überhaupt die Werbung? Kann ich Gewährleistungsansprüche geltend machen, wenn mir nicht binnen eines halben Jahres nach Kauf eines Porsche eine schicke Blondine “zufliegt”? (Das macht uns doch die Werbung glauben...) Auch nach dem Genuß von Marlborozigaretten sitzen wir ja nicht in der Abenteuer-Wildnis von Arizona, und vom Waschen mit Persil werden kaputte Ehen auch nicht wieder strahlend und glücklich, obwohl entsprechende coole Abenteurer oder glückliche Frauen auf den Werbebildern sind. Wir wissen, daß wir Werbung nicht wörtlich nehmen dürfen und trotzdem unterstellen wir den Werbemachern nicht, daß sie lügen.
Doch bei den Geschichten um Jesus geht es nicht bloß um Werbung, um Marketing. Wir müssen uns bewußt sein, daß vor 2000 Jahren, als die Geschichten über Jesus aufgeschrieben wurden, ganz andere wissenschaftliche Vorstellungen herrschten als bei uns heute. Wie immer, wenn Menschen Naturkräfte in den Griff bekommen möchten, suchen sie nach Zusammenhängen im Hintergrund, die sie eben nicht sehen können und von denen sie aus an die Probleme herangehen können. Wir heute können etwa mit Mikroskop und mit chemischen Analysen diese Zusammenhänge ergründen, das konnten die Menschen früher nicht, es gab einfach noch keine Mikroskope und keine chemischen Analysen, wenigstens nicht in unserem heutigen Sinn. Wie man ohne Mikroskope und ohne alle modernen Hilfsmittel "unsichtbare" biologische Zusammenhänge richtig erklären und vermutlich "ewig gültige" Gesetze aufstellen kann, siehe zu den Vererbungsgesetzen des Augustinerpaters Gregor Mendel unter Homunculus-Theorie. Und man kannte "früher" noch andere auch heute noch gültigen Zusammenhänge, doch auch Zusammenhänge, die heute nun wirklich nur noch "mythologisch" sind und mit denen wir gar nichts mehr anfangen können!
Und solche mythologischen Zusammenhänge stehen zum Beispiel hinter der genannten Jungfrauengeburt, hinter den Wundern, hinter der Auferstehung und ganz allgemein wurde das Wirken von Göttern oder Gott hinter allem Unerklärlichen gesehen. Und auf diese Zusammenhänge beziehen sich viele Geschichten um Jesus, die einfach aus dem früheren Vorstellungen heraus überliefert wurden. Und das hat sich dann mit frühen "Marketingvorstellungen" vermischt. Lügen waren das gewiß keine. Die Lügen haben doch erst diejenigen daraus gemacht, die verlangen, daß andere Menschen solche mythologischen Vorstellungen und Marketingmaßnahmen für bare Münze nehmen sollen. Siehe auch unter Wörtlichnahme, Entmythologisierung und Kerygma.