6. Sex vor der Ehe – was erkennt man eigentlich damit?

 

Beatrix: Den richtigen Partner zu finden ist wohl dasselbe Problem wie das der Stecknadel im Heuhaufen.

Martina: Glaube ich nicht: Irgendwann passiert das jedem einmal, daß man sich so richtig mit Haut und Haaren verliebt. Und warum soll da dann nicht auch Sex sein? Das ist doch die richtige Liebe.

Beatrix: Und wenn du dich dabei vertust?

Martina: Was soll´s – wenigstens einmal richtig geliebt. Dafür hat sich dann das ganze Leben schon gelohnt.

Beatrix: Oh Gott, bist du aber anspruchslos - und dazu auch noch niveaulos. Ist dir eigentlich klar, daß genau diese Einstellung der Mädchen die Typen gern haben, bei denen Raffiniertheit den Mädchen gegenüber im Vordergrund steht? Wirkliche Qualität findest du auf diese Weise vermutlich nie.

Martina: Aber wenigstens hat man ein tolles Gefühl für eine gewisse Zeit, da denkt man dann das ganze Leben daran zurück.

Beatrix: Aber wie? Stell dir einmal vor, du hattest mit diesem “ersten Liebhaber” das volle Erlebnis – und das passiert dir dann mit deinem späteren Lebenspartner nicht mehr. Was glaubst du, wie du dann frustrierst bist. Und der auch? Erzählst du das dem dann alles? Also ich würde mich dann von dir verarscht vorkommen, wenn ich “der” wäre.

Martina: Das geht den doch gar nichts an, schließlich können die Mädchen und Frauen heute selbst bestimmen, was sie mit wem auch immer anfangen.

Beatrix: Verstehst du das unter Emanzipation? Hast du mal darüber nachgedacht, daß Emanzipation nur auf Gegenseitigkeit funktioniert? Findest du das einen guten Einstieg in eine Partnerschaft, wenn du den Mann, mit dem du schließlich durchs Leben gehen willst, so zweitklassig behandelst? Der ist dann gut dafür, daß er dir sein ganzes Gehalt abgibt, daß er mit dir Reisen macht, daß er dir vielleicht auch Theater und sonstige Bildung beibringt, daß er sich um dich kümmert, wenn du krank und schließlich auch alt bist, aber für die erste rasante Liebe war er dir nicht gut genug. Wenn ich Mann wäre, würde ich mir da von dir verarscht vorkommen. Jedenfalls wäre das gegen meine Ehre!

Martina: Wie soll ich einen Mann zweitklassig behandeln, den ich doch noch gar nicht kenne?

Beatrix: Dann beschwere dich aber nicht über die Männer, wenn die mit derselben Ausrede genauso rummachen.

Martina: Also, da ist ja wohl ein Unterschied. Wenn man sich einmal in einen verliebt und mit dem dann auch Sex hat, dann ist das ja wohl nicht dasselbe, wie wenn einer da mit allen rummacht.

Beatrix: Deine Religiosität besteht wohl auch nur in dem Gebet: “Gott erhalte mir meine Ausreden!” Meinst du nicht, daß das “Mit-allen-Rummachen” auch immer einmal so angefangen hat?

Martina: Aber irgendwann muß man doch anfangen! Sonst wird man doch verklemmt!

Beatrix: Und was ist, wenn es auch bei uns Mädchen so etwas gibt wie einen Wiederholungszwang - und zwar weitgehend gleichgültig, ob das “erste Mal” schön war oder nicht? Von der Natur her spielt dieser Zwang ja sicher eine sinnvolle Rolle: Die Natur will ja, daß Menschen dieses Zusammensein immer wiederholen wollen, um ihre Gemeinschaft zu fördern. Aber was ist, wenn sich herausstellt, daß Dein Partner ein Idiot war?

Martina: Aber viele kommen doch trotz solcher Erlebnisse mit einem nicht geeigneten Partner auch ganz gut zurecht?

Beatrix: Eine heikle Problematik, wirklich gut sind Enttäuschungen sicher nie und daß sie ein Leben gar schöner machen, das glaubt im Ernst wohl niemand.

Martina: Aber sie machen erwachsener und reifer.

Beatrix: Du weißt nicht, was du da sagst. Wenn man gar nichts mehr weiß, dann sagt man so etwas, als ob das ein Wert sei. Versuch dich doch mal zu erinnern, wer dir diesen Unsinn erzählt hat, und wenn du´s weißt, wird dir gewiß auch noch einfallen, daß der oder die Betreffende eigentlich auch sonst ein Idiot war...

Martina: Ganz unrecht hast du ja nicht, wenn ich´s recht bedenke.

Beatrix: Und ich erinnere mich auch noch an einen Lehrgang, auf dem uns ein Psychiater einmal aus seiner Eheberatungspraxis einen Tonbandmitschnitt vorgespielt hatte. Natürlich war alles völlig anonym, auch die drei Paare, die da zusammen waren, kamen für die Beratung aus verschiedenen Städten und kannten einander gerade bei den Vornamen. Jedenfalls platzte eine der Frauen in der Beratungsstunde, die wir da hörten, aus sich heraus: Sie mache nun schon zwei Jahre diese Gruppengespräche mit, doch ihr eigentliches Problem läge ganz woanders und sei noch nie zur Sprache gekommen. Endlich müßte sie das nun einmal los werden. Und zwar hatte sie während ihres Studiums, lange bevor sie ihren Mann kannte, mit einem anderen jungen Mann eine “heiße Liebschaft”. (Sie drückte sich in dem Gespräch etwas vorsichtiger aus, schließlich war ja ihr Mann dabei.) Und die Beziehung war so wahnsinnig, daß sie schon vollkommen abdrehte, wenn sie den Betreffenden auch nur irgendwo auf der Straße traf und sie sich aneinander drückten. Doch der “Typ” zog irgendwann weg und sie hätte sich dann in ihr Studium hineingekniet, um das alles zu vergessen. Als sie dann ihren Mann kennenlernte und heiratete, hatte sie gemeint, daß solche “heiße Begegnungen” normal seien. Doch dem sei nicht so, “in dieser Hinsicht” sei ihre Ehe ein völliges Fiasko. Wenn ihr Mann an einem bestimmten Tag in der Woche schon mit einer Flasche Wein ankäme, dann wüßte sie schon, worauf das hinausliefe und was das dann wieder für eine totale Frustration für sie bedeutete. Dabei sei sie gar nicht frigide, das wüßte sie ja von früher, nur eben bei ihrem Mann klappte das eben nicht. – Und jetzt träfe sie ab und zu einmal einen jungen Mann aus der Nachbarschaft, und wenn sich mit dem die Blicke kreuzten, dann wüßte sie, daß bei dem das auch so ein Erlebnis sein würde wie früher – aber das ginge ja auf keinen Fall. Denn sie liebe ihren Mann, ihre Kinder, ihre Familie – und wollte das alles auf keinen Fall zerstören. Aber dieses innere Ausgetrocknetsein, diese Aussichtslosigkeit, diese Sterilität, sie sei total verzweifelt. Und nie mehr im Leben die totale Harmonie, nach der sie sich so sehnte und zu der sie doch fähig sei, nie mehr der wirkliche Kick, nie mehr wirkliches Glück – und dann weinte sie – und man hörte es sogar.

Martina: Blöde Situation.

Beatrix: Das kannst du wirklich sagen. Und wenn ich mir vorstelle, daß die da vielleicht auf so einen Alexandertypen von vorhin reingefallen war, der sich nur für den Sex mit der interessiert hatte...

Martina: Aber andere kommen damit doch zurecht!

Beatrix: Natürlich schaffen das viele, schließlich geht das Leben weiter – aber einfach ist das sicher nicht, viele heucheln vielleicht auch? Wäre es nicht anders besser? Außerdem schaut man ja oft nicht dahinter, was wirklich los ist.

Martina: Doch mit der Vernunft ist da sowieso nichts zu machen.

Beatrix: Ich sehe das anders, wenn nicht damit, womit denn? Gehen wir deine Idee von dem vorehelichen Probieren also noch einmal durch: Sobald du also mit deinem Freund Verkehr gehabt hast, dann gibt es doch zwei Möglichkeiten. Die eine ist, daß es ein Fiasko war und du erst einmal die Schnauze voll hast. Dabei stellt sich dann die Frage, ob du dir diese schlechten Erfahrungen nicht hättest lieber schenken können. Und die andere Möglichkeit ist, es war so ein Erfolg und du hast wirklich Spaß und Erfüllung am Sex bekommen. Ist der Typ in Ordnung und ihr paßt auch sonst gut zusammen und er ist ein Gefährte, dann ist das wie sechs Richtige im Lotto, herzlichen Glückwunsch. Doch was ist, wenn er eben kein Gefährte ist und die Sache aus ist - und du sehnst dich nach Wiederholung, weil du sozusagen Blut geleckt hast. Es ist ja auch noch möglich, daß du bald wieder Liebe machen willst, obwohl du keinen passenden Partner mehr hast, wen nimmst du, ohne dich wegzuwerfen? Warten nicht viele Männer auf Mädchen, die genau in dieser Situation sind, um es mit ihnen treiben zu können, ohne sich weitere Gedanken machen zu müssen?

Oder du lernst wieder einmal einen netten Typen kennen und willst eigentlich auch Sex machen. Weil du aber nun keine Schlampe werden willst, von der dann herumerzählt wird, daß sie mit jedem schläft und daß sie leicht zu haben ist, willst du's mit dem also nicht tun, bevor du sicher bist, daß er wirklich vernünftig ist. Andererseits kann dich dein neuer Freund jetzt unter Druck setzen, wieso du mit einem andern geschlafen hast, der vielleicht ein Idiot war, wie sich im nachhinein herausgestellt hat, und wieso du mit ihm nicht willst. Bei einem anderen hätte für dich das ja zur Freundschaft gehört und bei ihm auf einmal nicht. Wie erklärst du dem das?

Martina: Weiß ich jetzt doch noch nicht, da wird mir schon etwas einfallen.

Beatrix: Ich sehe, du verdrängst. Soll ich's dir sagen, daß du dann nämlich erpreßbar bist. Wenn du allerdings die grundsätzliche Einstellung hättest, daß für dich Sex und Ehe zusammengehören, und du nie vorher mit dem Sex angefangen hättest, wärst du fein heraus. Dann könntest du jedem von deinen Grundsätzen erzählen, daß etwa nicht umsonst die Natur Sex und Fruchtbarkeit gekoppelt hätte und du also durchaus beim Verkehr das Risiko einer Schwangerschaft eingehen wolltest. So gäbe es bei dir also auch überhaupt keinen Drang und auch keine Veranlassung, deine Grundsätze aufzugeben. Und so könntest du alles viel intensiver und offener und freier leben!

Martina: Ach, laß mich doch in Ruhe! Man muß doch auch irgend etwas vom Leben haben. Ich finde, du zerredest doch alles.

Beatrix: Also, kaputtes Denken sollte man ja wohl auch zerreden. Was du im Kopf hast, ist bestenfalls eine Lebensabschnittspartnerschaft. Natürlich, für die gelten andere Konzepte als für eine wirkliche Lebenspartnerschaft. Wenn Du dafür ein wirkliches Konzept hättest, würdest du gar nicht ans Zerreden denken.

Martina: Ach, laß mich in Ruhe.

 

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