GEMEINDETRADITION (Basislexikon: kompetent-kritisch-konstruktiv)

GEMEINDETRADITION ist - wie der Name sagt - das, was die frühchristliche Gemeinde der Botschaft Jesu hinzugefügt hat und womit sie vermutlich auch verfälscht wurde. Das geschah gewiss nicht aus bösem Willen, sondern um diese Botschaft für die damaligen Menschen, wie man meinte, attraktiver zu machen. Der Fachausdruck für das, was aus Gründen der besseren Verkündigung Bestandteil der Botschaft Jesu ist, ist Kerygma.

Es gab nie eine einheitliche Gemeindetradition in der Weise, dass man sagen könnte: "So war es wirklich".

Die Amerikanerin Elaine Pagels schreibt in ihrem Buch "Adam, Eva und die Schlange" Rowohlt 1991 (S. 306): "Im Ergebnis meiner Suche stieß ich auf das Gegenteil von dem, was ich erwartet hatte... Die Arbeit mit diesen faszinierenden Texten (Anm.: den gnostischen Evangelien und anderen `apokryphen Schriften´ usw.) brachte mich dem `wahren Christentum´ nicht näher, sondern rückte es vielmehr in größere Entfernung, denn sie belehrte mich darüber, dass die christliche Bewegung in den ersten zwei Jahrhunderten ihrer Geschichte ein womöglich noch variantenreicheres Erscheinungsbild präsentierte, als sie es heute tut. Denn heute haben wir immerhin die Situation, daß praktisch alle Christen ein und dasselbe Korpus von Schriften -  die siebenundzwanzig Bücher des Neuen Testaments - als kanonische Urkunde ihres Glaubens verehren, dass unter den Anhängern des Christentums weitgehende Übereinstimmung in Glaubensfragen herrscht und dazu eine ebenso weitgehende Gemeinsamkeit des Rituals (Taufe und Eucharistie). Im ersten und zweiten Jahrhundert dagegen pflegte man bei den in aller Welt - von Rom bis Kleinasien, Nordafrika, Ägypten und Gallien - verstreuten Christen eine disparate (Anm.: ungleichartige, widersprechende) Vielfalt urkundlicher Überlieferungen und verstand je nach Gruppenzugehörigkeit Christus und die christliche Botschaft auf höchst unterschiedliche Weise." Ein Beispiel hierfür mögen etwa die Nag-Hammadi-Texte sein.

Daher: Raus aus den Sackgassen und dem Volk aufs Maul schauen!

Man verzeihe mir die (wohl eher katholische) Selbstherrlichkeit: Ganz offensichtlich kommen wir also irgendwie nicht weiter, wenn wir vor allem bei der Frage nach dem wirklichen Jesus (siehe auch Leben-Jesu-Forschung) immer nur die Gemeindetradition studieren. Geht es uns denn überhaupt darum? Wir stecken irgendwie in der Vorstellung, dass wir über die Gemeindetradition zum wirklichen Jesus gelangen könnten. Doch ganz offensichtlich landen wir dabei sozusagen immer mehr in einer Sackgasse. Ich meine, dass wir irgendwie ganz woanders anfangen müssen. Ich schlage hier eine verfeinerte Methode Martin Luthers vor: Nicht nur "dem Volk aufs Maul schauen", wenn es um die Sprache geht, sondern auch noch, "was das Volk redet", "wo die Probleme des Volkes sind" und wo also die Akademiker vermutlich einen Bogen drum herum machen, siehe also unter Insiderwissen. Sinnvoll dürfte es auch sein, was ich in meinen schönen Studenten- und Lehrerferien getan habe: In andere Länder fahren und dort so viel wie möglich erleben wie die Einheimischen (siehe meine Reiseberichte)! Auf alle Fälle sollten wir einmal etwas Abstand nehmen zu unserer ganzen Bibelforschung, möglicherweise sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr! Und wenn wir hier Probleme festgestellt haben, die das Volk beschäftigt, dann schlagen wir einen Bogen zu dem, was uns beim "Jesus der Überlieferung" rätselhaft vorkommt - und sortieren nach der Methode, wie man Mosaiksteinchen zusammen setzt, oder wie man zerbrochene Münzen oder Tonscherben einander zuordnet: Was passt zusammen? Was könnte gemeint sein? 

Nun, ich habe das getan - und ich bin zu einem Bild des Jesus gekommen, das vieles viel besser erklärt als die ganzen akademischen Konzepte. Jedenfalls lässt mich dieses Bild nicht mehr los. Die Nachfolge dieses Jesus´ würde einiges verändern.

Ach ja, ob Jesus etwas mit den Essenern zu tun hatte? Siehe dort.

Allgemein Verständliches zu Kreuzigung und Auferstehung finden Sie unter der Website http://www.rene-finn.de/referate2.html. Dort sind auch interessante Passagen aus den apokryphen Evangelien, also aus den Evangelien, die nicht in den Kanon (also in die offizielle Sammlung) der Kirchen aufgenommen wurden. Interessant sind diese Evangelien vor allem deswegen, weil das früheste dieser Evangelien, also das Thomasevangelium (um 55 n. Chr.), im Wesentlichen aus Sprüchen besteht, wie wir sie auch in den uns bekannten Evangelien wieder finden, hier allerdings eher innerhalb von Erzählungen. Es wird also so gewesen sein, dass die Verfasser der Evangelien solche Sprüche kannten und daraus dann die biblischen Erzählungen, wie wir sie heute kennen, gemacht haben. Diese Erzählungen sind übrigens alle teilweise erheblich später als das Thomasevangelium entstanden. Beachten Sie auch das letzte dieser hier zitierten apokryphen Evangelien, das Bartholomäusevangelium (um 250 n. Chr.) - es ist noch wundersamer ausgeschmückt als die uns bekannten Evangelien und als das Thomasevangelium allemal. Es lässt sich also eine Tendenz von einer Sachlichkeit in der Frühzeit der frühen Christen hin zum Phantastisch-Irrationalen in der Spätzeit der frühen Christen feststellen. Na ja, und uns wurde nun eher letztere überliefert, das vermutlich nicht mehr viel mit dem wirklichen (= dem historischen) Jesus zu tun hat. Im Zweifelsfall sollten wir uns also an das frühere halten!

(Wörterbuch von basisreligion und basisdrama) Computer-Übersetzung des Buchs HONESTY AND FUN WITH THE MORALITY ins Englische unter English