GEGEN DEN HEXENWAHN (Basislexikon: kompetent-kritisch-konstruktiv)

GEGEN DEN HEXENWAHN - Zeitgenössisches Dokument

Aus Friedrich von Spee "Cautio Criminalis" oder "Rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse", zuerst gedruckt 1631, Übersetzung aus dem Lateinischen 1939 von Joachim-Friedrich Ritter, Nachdruck DTV 1982/1985.

Der Jesuitenpater Friedrich v. Spee kam zu seinen Erkenntnissen, weil er von seinen Ordensoberen als Beichtvater für "Hexen" eingeteilt war. Und im Laufe seiner Tätigkeit wurde ihm klar, dass er da vor sich keine Hexen hatte, sondern armselige geschundene Menschenkinder, die in ihrer Not oft auch irgendeinen Blödsinn gestanden hatten, zu dem man sie gefoltert und den sie jedoch nie erlebt hatten. Und ihm war klar, dass er das nicht offen erzählen konnte, was ihm da bewusst wurde, denn dann hätte man ihn als ebenfalls verhext angesehen. Damit hätte er also niemandem geholfen und sich auch noch selbst in Gefahr gebracht. Doch er ließ es nicht dabei bewenden und schrieb - anonym - ein Buch gegen die Hexenprozesse, auf hohem Niveau. Manchmal muss eben etwas grundsätzlich geändert werden - oder es geht gar nichts.

Im Nachhinein ist es immer ziemlich leicht, über jemanden zu urteilen, etwa dass er also indirekt auch noch am Tod vieler Unschuldiger mitschuld war, indem er nicht sofort gegen deren Verurteilung protestiert hatte. Doch schließlich haben spätere Menschen eher genau den Überblick, den die Menschen in der jeweiligen Situation nicht hatten. Und er hatte doch getan, was er konnte - und immerhin haben einige Regenten nach der Lektüre in ihren Gebieten die Hexenprozesse und die Verurteilungen verboten. 

Der folgende Auszug gibt einen Eindruck davon, daß einerseits der berühmte "Hexenseelsorger" Friedrich von Spee zur Erkenntnis kam, daß es wohl keine schuldigen Hexen gebe. Und andererseits erfahren wir aus erster Quelle ein Sittenbild aus der beginnenden Neuzeit, die in diesem Punkt doch wohl eher Mittelalter war! (Natürlich steht noch anderes in der Cautio Criminalis, doch erstens liest sich das Folgende, es geht um eine Art Schamrasur, leicht und zweitens läßt die Textstelle die Geschicklichkeit Spees erkennen, auch heiße Themen anzupacken.)

Und hier die Textstelle:

XIX. Anweisung. Es wird ferner den Beichtigern der Angeklagten von Nutzen sein, dieses ganze Buch aufmerksam zu lesen und seinen Inhalt immer wieder in Zwiesprache mit Gott zu überdenken. Persönlich kann ich unter Eid bezeugen, daß ich jedenfalls bis jetzt noch keine verurteilte Hexe zum Scheiterhaufen geleitet habe, von der ich unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte aus Überzeugung hätte sagen können, sie sei wirklich schuldig gewesen. Genau dasselbe habe ich noch von zwei anderen gewissenhaften Theologen gehört. Und dabei habe ich es doch nicht an Fleiß fehlen lassen, um zur Wahrheit zu gelangen, wie schon oben, 11. Frage III. Grund, berichtet.

Ich will nun etwas sagen, was — ich wünschte es — alle hören sollten, die Ohren haben, zu hören, vor allem aber der ehrwürdige Kaiser, die Fürsten und ihre Batgeber: Man erfinde absichtlich irgend ein gräßliches, zu den Sonderverbrechen gehöriges Vergehen, von dem das Volk Schaden befürchtet. Man verbreite dann ein Gerücht darüber und lasse die Inquisitoren dagegen einschreiten mit denselben Mitteln, wie sie sie jetzt gegen das Hexenunwesen anwenden. Ich verspreche in der Tat, daß ich mich der allerhöchsten Obrigkeit stellen und lebend ins Feuer geworfen werden will, falls es nach kurzer Zeit in Deutschland weniger dieses Verbrechens Schuldige geben sollte, als es jetzt der Magie Schuldige gibt. Wenn es mir geschähe, daß ich auch nur den unwissendsten Mann aus dem Volke so etwas sagen hörte, dann würde ich gewiß Angst bekommen, daß er wohl nicht so sprechen würde, wenn er nicht gewichtige Gründe hätte. Ich würde zum mindesten innehalten und überlegen und würde es einigen Nachdenkens wert erachten, was ein vernünftiger Mensch, der nicht von allen Sinnen verlassen und streitsüchtig ist, mit solcher Überzeugung auszusprechen wagt.

31. FRAGE

Ob es gut ist, den Weibern vor der Tortur durch den Henker die Haare abscheren zu lassen?

Bevor ich antworte, bitte ich den züchtigen Leser, mit Verlaub vor seinen Ohren etwas besprechen zu dürfen, was an manchen Orten ohne Bücksicht auf das Schamgefühl nicht bloß besprochen sondern sogar ungehindert getan wird. Soll nämlich eine Angeklagte der Tortur oder Peinlichen Frage unterworfen werden, dann führt sie der verrufene Henker zuerst in einen benachbarten Baum beiseite und schert ihr die Haare vollständig ab oder sengt sie mit einer Fackel weg, und zwar nicht nur auf dem Kopf oder unter den Achseln sondern auch dort, wo sie ein Weib ist. Der Zweck ist der, daß kein Zaubermittelchen im Haar versteckt bleibe, das sie gegen die Folter unempfindlich machen könnte.

Ich antworte also: Das ist auf keinen Fall gut; und aus folgenden Gründen nicht.

I. Grund. Das ist etwas Ekelhaftes, Unflätiges, an das zu denken die von Christentum und Evangelium geforderte Beinheit nicht gestattet.

II. Grund. Es verbindet sich bei einem sittenlosen, unzüchtigen Menschen damit die Gefahr einer Sünde.

III. Grund. Es gibt lüsternen Wüstlingen Gelegenheit, sich mit unzüchtigen Berührungen zu vergreifen. Umso mehr als zu meinem Erstaunen ein gewisser Schriftsteller irgendwo den Verdacht äußert, ob nicht solch ein Zaubermittelchen auch an noch verborgenerer Stelle versteckt sein könne. Versteht sich, damit es schamlosen Wüstlingen nicht an Vorwänden fehle, wenn es sie reizt, ihrer Zügellosigkeit noch weiter nachzugeben.

IV. Grund. Es ist gar zu unerträglich für das von Natur schamhafte weibliche Geschlecht, das nicht selten lieber sterben möchte, als vor einem verrufenen Taugenichts alle Scham so ungeheuerlich fallen lassen zu müssen.

V. Grund. Es ist zudem ein zweckloses Beginnen, da einmal gegen Zauberkünste andere, fromme Mittel angewendet werden können, und da ferner auch nach dem Abscheren der Haare niemals gefunden wird, was man sucht. Ich bin erstaunt, daß wir das bis jetzt noch immer nicht sehen wollen, sondern stets mit der gleichen Blindheit fortfahren und - mich schaudert es bei dem Gedanken - selbst Geistliche der Schere der Henkersknechte unterwerfen, und das unter der Herrschaft geistlicher Fürsten.

VI. Grund. In anderen Orten, wo dieser Gebrauch nicht besteht, rauchen durchaus nicht weniger Scheiterhaufen und die Tortur ist dort auch ohne dieses unflätige Vorspiel nicht weniger wirksam. Ich bin darum durchaus der Meinung, es ist eine Erfindung ausschweifender Wüstlinge, nicht ehrbarer Eichter. Hätten diese überhaupt jemals dies Scheren für notwendig gehalten, dann hätten sie ihren Beauftragten dazu nur aus dem gleichen Geschlecht gewählt, dem auch die schamhafte Angeklagte angehört. Ein Beispiel dafür findet sich bei Damhauderus, praxis criminalis cap. 37; dort wurden, da man das Scheren für nötig hielt, Frauen dazu verwandt.

VII. Grund. Daß aber nicht einmal das gut ist, mag sich billig aus dem einzigen Grunde ergeben, daß wir den den Deutschen besonders eigenen althergebrachten Ruf sittlicher Reinheit damit vollkommen verscherzen. Dieser Grund allein ist den Verfassern des Malleus, die seinerzeit vom Papst als Ketzerinquisitoren nach Deutschland geschickt wurden, schon gänzlich ausreichend erschienen. Sie wollten dieses Scheren niemals angewendet haben, weil sie erfuhren, daß das in den Ländern Alemanniens - wie sie sich ausdrücken - meistenteils als unsittlich betrachtet werde, mögen auch, wie sie sagen, in anderen Reichen die Inquisitoren sie anordnen. Schämen sollten wir Deutsche uns, daß es damals eine Alemannien besonders eigene Sittsamkeit gab, die diese sonst so rücksichtslosen Inquisitoren nicht zu erschüttern wagten, und wir sie nun am Ende der unreinen Gier der liederlichsten Wüstlinge preisgeben. Die Richter mögen achtgeben, was ich nun sagen will: Es ist mir nämlich zu Ohren gekommen, daß eine Angeklagte, die geschoren werden sollte, von einem solchen verworfenen Wüstling erst vergewaltigt worden ist und er ihr hernach der Schnelligkeit halber die Haare mit einer Fackel abgesengt hat.

Dieses Stichwort gehört zum Stichwort HEXENWAHN.

(Wörterbuch von basisreligion und basisdrama)