SOMMERFERIEN 1999

 

Vorbemerkung – Hintergrund.

Wie soll ich diesmal meinen Reisebericht schreiben? Ein Junggeselle – und dazu noch ein Religionslehrer - gegen Ende der Fünfziger fährt mit einer gerade 17jährigen vietnamesischen Schülerin, die bei ihm zu Gast ist, zuerst zum Zelten auf einen Campingplatz an der südfranzösischen Atlantikküste und anschließend auf einen kleinen Kultur- und Naturtrip (dann weitgehend “wild”) durch Spanien und wieder durch Frankreich? Wie klappt das alles, wie paßt das zueinander, wie kommen die miteinander aus, wie gelingt es, mit dem Heimweh des Mädchens fertig zu werden? Braucht das Mädchen in dem Alter nicht noch Mutter und Vater und Geschwister? Und wie erkläre ich alles mit möglichst wenig Herumgerede?

Ohne ein wenig Theorie geht das alles nicht, da muß man sich schon längst vorher Gedanken machen und auch für alles ein Konzept haben. Wer nun jegliches Konzept verurteilt, sollte sich fragen, ob er nicht nur für SEIN eigenes Handeln ohne Linie nach Rechtfertigungen sucht – eben für sein chaotisches Handeln. Natürlich bleibt dann immer noch das Problem, diese Gedanken und dieses Konzept in die Praxis umzusetzen. Doch entweder bin ich Lehrer und Theologe – und dann ist das nun einmal die Aufgabe schlechthin – oder ich sollte meine pädagogischen Ambitionen überhaupt bleiben lassen!

In der letzten Zeit frage ich hin und wieder meine Schüler nach den Paradiesvorstellungen der Völker und welche dieser Paradiesvorstellungen wohl eher typische männliche oder typisch weibliche sind. Denn diese Paradiesvorstellungen zeigen wohl, von was die Menschen träumen, was ihre Idealvorstellungen sind. Also zuerst die germanischen Paradiesvorstellungen: zur Schlacht ausreiten, den ganzen Tag kämpfen und sich gegenseitig totschlagen, am Abend kommen dann die Schlachtjungfrauauen und küssen die Helden wieder wach, dann wird die ganze Nacht zusammen mit diesen Jungfrauen mit Met und was wohl sonst noch dazu gehört gefeiert und am nächsten Tag wird wieder zur Schlacht hinaus geritten und das ganze Spiel beginnt von vorn – und am Abend sind die Jungfrauen vermutlich auch wieder tatsächlich welche bis eben zu der Lebendigküsserei und was danach kommt. Ganz klar, stimmen auch meine jungen Leute zumeist zu, das sei eine männliche Paradiesvorstellung, wie wir sie heute auch noch haben: Fußball, Saufen und Sex mit immer schönen und möglichst unvergammelten Mädchen. (Im Islam haben sie übrigens eine ähnliche Vorstellung, die allerdings, das muß man zugeben, wohl die Moslems von einem Christen, nämlich Simon dem Syrer, abgeschrieben haben: Wer als Kämpfer für den Glauben schließlich in den Himmel gekommen ist, darf sich dort an den Flüssen voller Wein mit den schönen braunäugigen Mädchen, den “Huris”, jeden Tag aufs Neue belustigen.... Es fragt sich bloß, ob das auch die Paradiesvorstellung der Frauen ist...).

Ja, wo haben wir den eine wirkliche Paradiesvorstellung der Frauen? Gibt’s die überhaupt? Ist die zumindest einmal „angedacht“ worden? Natürlich! Denn nach den Forschungen irgendeines Alttestamentlers soll die Paradiesgeschichte der Bibel, die gar nicht einmal besonders jenseitig, sondern eine Wunschvorstellung für hier und jetzt ist, tatsächlich von einer Frau geschrieben sein, wir haben also in der Paradiesgeschichte der Bibel die Idealvorstellung - eben die Paradiesvorstellung - von Frauen vor uns! Harmonie mit der Schöpfung – Freiheit, alles zu tun, was Spaß macht (das ist natürlich gemeint mit “allen Früchten”, die wir essen dürfen), bei gleichzeitiger Freiheit von Angst gegenüber dem anderen Geschlecht (das soll das mit der Nacktheit ausdrücken) – und die einzige Bedingung dabei ist, daß “die Früchte in der Mitte” nicht gegessen werden dürfen.... (Und wenn man bedenkt, daß es sich hier um eine Geschichte gegen die “kultische Prostitution” handelt, dann kann das nur heißen, daß man das unterläßt, was Prostituierte eben so machen, daß man also keinen “Intimverkehr” <oder das, was Prostituierte sonst auch noch tun> mit Menschen hat, mit denen man nicht auch wirklicher Gefährte fürs ganze Leben ist.)

Eine Vater-Tochter-Beziehung aufbauen!

Was liegt also näher, wenn ich als christlicher Religionslehrer, der da ein junges Mädchen bei sich aufgenommen hat, genau diese Vorstellung in die Praxis umsetze? Machen wir das doch schlicht und einfach einmal! So Unmögliches und Übermenschliches wird da ja gar nicht verlangt und vieles weist darauf hin, daß normale Alltagsprobleme (Arbeit, Krankheit, ja selbst Tod) von den wirklichen biblischen Paradiesvorstellungen gar nicht einmal tangiert sind. Entweder die Bibel hat recht (Schüler protestieren bei der Formulierung immer wieder heftig, daß die Bibel recht haben könnte, und vergessen, daß ich fünf Minuten vorher ausdrücklich die Paradiesvorstellung der Bibel angesprochen hatte und nicht irgend welche nun wirklich „unglaubliche“ Schöpfungsmythen - mein Gott, wie kurzzeitig ist doch gerade in solchen Dingen das Gedächtnis), dann muß die Umsetzung auch funktionieren, dann gibt es auch kein oder zumindest nur geringes Heimweh und keine Depressionen oder Ähnliches in der Fremde, weil nämlich die Idee es Paradieses alle anderen menschlichen Beziehungen und Bindungen sozusagen überstrahlt  (“überschattet” paßt hier nicht) – oder es ist tatsächlich alles Unsinn.

Ach ja: Ob es verdächtig ist, oder ob es gar “Sünde” ist, wenn man selbst Spaß bei der Verwirklichung solcher Ideen hat? O, wie verwerflich! Ich meine allerdings, daß es eher problematisch ist, wenn man an etwas, das man vertritt, keinen Spaß hat, daß etwa zuviel Altruismus (=„Aufopferung für andere“) schon verdächtig ist, was will derjenige wirklich? Vielleicht steckt dahinter sogar eine ganz abgefeimte Schurkerei, daß er etwa von der Abhängigkeit eines anderen profitiert oder ihn sogar in immerwährender Abhängigkeit lassen will? Vermutlich also braucht der eigene Spaß bei einer Sache nicht nur nicht Sünde zu sein, sondern er ist letztlich sogar Voraussetzung, daß ein anderer Spaß hat ! Und kann man eigentlich nur erwarten, daß ein anderer an einer Sache mitmacht, wenn man wenigstens schon einmal selbst daran Spaß hat? Wenn ich schon selbst nicht Spaß habe, wieso soll dann ein anderer ihn haben? Und wieso soll jemand etwas tun, woran er gar keinen Spaß hat?

Und daß gar Moral Spaß machen kann – und auch Sexualmoral -, scheint für viele heute einfach undenkbar, Moral hat einfach eine Last zu sein (allenfalls winkt eine Belohnung nach dem Tod für die, die diese Last ertragen). O Gott, was sind das nur für kaputte Leute, die so denken! (Mit meinen Schülern rede ich manchmal über Menschenkenntnis und daß man die lernen könnte. Man muß nur richtig hinhören, was Menschen sagen. Das hier ist ein Beispiel: Wenn <fromme> Leute durchblicken lassen, daß Sexualmoral nichts mit Spaß zu tun haben kann, sondern sie immer nur mit Last verbinden, dann wissen sie, woran sie sind. Und auch, wenn die Leute dann sagen, daß man diese Last auf sich nehmen müßte, um nach dem Tod von Gott in einem glücklichen ewigen Leben belohnt zu werden, dann wissen sie, wie diese Menschen an den schönsten Dingen des Lebens vorbeigegangen sind und immer noch vorbeigehen... Außerdem: Leute, die sagen, daß eine solche Kombination von Spaß und Moral nicht ginge oder dies irgendwie durchblicken lassen, sagen in Wirklichkeit nicht, daß dies allgemein nicht ginge, sondern nur, daß dies bei ihnen persönlich nicht geht.

 

Und jetzt zur Fahrt

Bewußt hatte ich mir in diesem Jahr keine großartige neue Sache ausgesucht, sondern etwas, bei dem ich die Erfahrung habe, daß das einem jungen Menschen auch ohne meine “Sondereinlagen” gefallen könnte, was nicht groß geplant zu werden braucht, wo ich in gewisser Weise Spezialist bin und wobei auch ein gewisser Erholungswert sein würde. Also Frankreich und Spanien per Auto, Zelt (genau gesagt zwei Zelte: eines für die Einzelnächte während der Reise und eines für den längeren Aufenthalt auf dem Campingplatz ) und Klapprädern. 

So schnell kamen wir allerdings nicht los von unserem Dorf bei Köln, denn da war ja noch der Bau der neuen Wohnung im Nachbarhaus und der 50. Geburtstag eines Kollegen und Freundes Anfang Juli, also erst zwei Wochen nach Ferienbeginn, zu dem ich unbedingt gehen wollte. Wie wir die Zeit bis dahin benutzt haben, hat ja ein wenig der Kölner Stadtanzeiger berichtet... Drei Tage nach dem Geburtstag (T. hatte zufällig am Tag des Festes ebenfalls Geburtstag – was sollten wir machen, als “zusammen” zu feiern? Sie hat da auch ein wunderschönes vietnamesisches Lied zur Freude der Gäste vorgetragen) ging´s dann los in Richtung Frankreich: Wieder einmal also der schöne Zeltplatz (Camping municipal) in den Wäldern am Strand des Atlantiks südlich von Bordeaux (ich schreibe nicht, welcher es genau ist, damit nicht alle dorthin fahren...).

Dieser Platz ist nämlich in seiner Großzügigkeit und familiären Atmosphäre genau das Richtige für mein erstes Ziel: Natur und Freiheit zu erleben. Auf der Fahrt mit Besichtigungen der Kathedralen von Laon und Chartres (Kultur sehe ich erst einmal eher als Garnierung, wichtig sind Naturerlebnisse für das Mädchen) zelteten wir zweimal wild, was in Frankreich unterwegs ja kein großes Problem ist, doch am Meer geht so etwas natürlich nicht. Unsere “Privatplätze” unterwegs waren immer wundervoll – einmal kurz vor Chartres abseits auf einem Feldweg und einmal in der Gegend von Angoulême am Rand eines ehemaligen Sportplatzes. Das Praktische diesmal waren die neuen selbstaufblasbaren Luftmatratzen, die ich noch gerade so kurz vor der Fahrt in einem Angebot bei Lidl fand, eine in jeder Hinsicht absolut bequeme Sache, die das Zelten sozusagen perfekt und jeder Luxusherberge ebenbürtig machen (!). Im Innern dieser Matratzen ist eine spezielle Kunststoffwatte, die sich ohne Druck von alleine spreizt und daher die Natratzen dazu bringen, sich von selbst aufzublasen - und diese Watte sorgt gleichzeitig für Isolierung und - ich finde - sogar ziemlich perfekte Polsterung, und am Morgen wird beim Aufrollen gleichzeitig die Luft wieder heraus gequetscht.

Dann eben „unser“ Platz am Atlantik. Für viele, die dorthin fahren, ist es schon ist ein eine Art Religion, wie ich aus den Gesprächen mit anderen Campern entnahm. Und wir hatten auch einen schönen eigenen Platz mit vielleicht zehn Bäumen und noch viel mehr Platz, als wir benötigten. Vor zwei Jahren hatte ich mir eigens dafür das größere Hauszelt zugelegt (da war auch so ein Sonderangebot), so mit Vorraum, um, falls es regnet, eine kleine Küche zu haben. Und mit den Matten waren wir jetzt sozusagen perfekt...

Ach ja, die anderen Leute! Zuerst guckten da einige schon recht verunsichert, als ich da mit T. so vor dem Zelt saß und wie wir aßen oder der eine von uns las und der andere da irgend welche Schreibereien machte. Manche erinnerten sich an mich ja auch von früher, ein Herr meinte, sie hätten immer vom “Robinson” geredet, wenn ich da am Strand oder wohl auch vor dem Zelt an meinem Notebook saß (ich schrieb an meinem Drama oder an meinem Wörterbuch). Doch nach ein paar Tagen war dann irgendwie alles in Ordnung. Vor allem freundete sich T. schnell mit Kindern auf dem Zeltplatz an, mit denen sie Federball spielte oder mit dem Rad herumfuhr. Ja, leider gab es in ihrem Alter da kaum junge Leute, und die, die da waren, wirkten abweisend. Am Strand stackste sie einmal auf ein französisches Mädchen zu, das da mit seiner Mutter war, und bald sah ich die beiden auch am Wasser sitzen, irgendwie konnten sie sich per Englisch und Deutsch auch unterhalten, leider mußte sich das Mädchen auf ein Examen vorbereiten und fuhr auch bald ab. Nur auf die Jungen war sie offensichtlich echt sauer, da waren welche, aber mit “Hose” (sie zogen sich sogar mit Handtuch um), die sich da zwischen die “ohne” begaben, also Spanner, wie sie sagte. Ich glaube, sie war sehr ärgerlich auf diese Typen – vielleicht wäre sie auch gerne zu ihnen gegangen, um sich zu unterhalten oder mit ihnen irgend so ein Ballspiel zu spielen, aber mit “Spannern”, nein, das ging  nicht. Ja was soll´s – natürlich waren wir da draußen – etwas abseits – “ohne”, schließlich gehört das ja zu meinem Konzept. “Moral” kann einfach nur bei denen funktionieren, die erst einmal ein wirkliches Körpergefühl haben und die von daher so sehr zwischen “Sittsamkeit” und “Sittlichkeit” unterscheiden wollen und können, daß sie dies einfach auch praktizieren und sogar Spaß daran haben. Wie gesagt, ohne Spaß läuft gar nichts. Gewiß, das war dem Mädchen zunächst alles fremd und wir hatten in unserem Briefwechsel bisweilen harten Auseinandersetzungen. Doch ich war kompromißlos und sogar ein wenig erpresserisch: Ich kenne ja zur genügend diese “Hühnchen”, die weiß Gott wie verklemmt sind, die eben ihre Sittsamkeit für Sittlichkeit halten – und die man hinterher nicht mehr halten kann, die “dann” für alles, was sie schließlich “viel mehr” tun, ihre perfekten Ausreden haben – und eben doch reinfallen. Ich müßte Prügel bekommen, wenn ich nicht daraus meine Lehren ziehen und sie durchsetzen würde, wenn es in meiner Macht steht. Es geht einfach nicht anders! Und nicht zuletzt ist auch in der Bibel der wirklichen Monogamie nun einmal die Nacktheit zugeordnet, d.h. wer wirklich monogam lebt oder leben will, der hat auch mit der Nacktheit (dort wo sie angebracht ist, natürlich) kein Problem. Dagegen gibt es eine innere Beziehung von “Sittsamkeit”, nämlich dem inneren Zwang, sich auch ohne vernünftigen Anlaß grundsätzlich zu verhüllen, zur Angepaßtheit, zur Ängstlichkeit und schließlich zur Heuchelei und zur Scheinmoral...

Wie es aussieht, hat meine Idee schließlich bei T. voll gerastet, nicht zuletzt hatte sie sehr schnell harte Urteile, daß die, “die sich anders verhielten”, alle Heuchler und verklemmt seien, so daß ich sie sogar zurückpfeifen mußte, denn schließlich hätte sie ja vor kaum mehr als einem halben Jahr auch so gedacht. Immerhin zeigt mir ihre Meinung über die “verklemmten” Jungen an, daß sie gesund ist, daß sie sich doch nach vernünftigen sehnt und daß ich nämlich doch eben “nur” eine Art Vater bin und daß sich irgendwann die Natur durchsetzt, daß sie sich jemanden in ihrem Alter „sucht“ – nur eben einen, der erst einmal kein Spanner und vernünftig ist. (Ich hatte ja einmal in Münster diesen Professor Wilhelm Heinen, mit dem ich gar nicht klar kam und der mir meine Diplomarbeit um die Ohren gehauen hatte. Dabei war ich ja grundsätzlich mit ihm einig, wenn er lehrte, daß jeder Mensch in seinem Leben erst einmal bestimmte Grundgestalten brauche, also etwa richtige Mutter-, Vater-  und Bruder- bzw. Schwestererfahrungen, wenn die nächste Grundgestaltensituation, nämlich die Partnerschaft, gelingen soll. Und er sah das Unglück der Menschheit darin, daß es im Grunde nur selten echte Vatererfahrungen für die jungen Menschen gebe, damit meinte er nicht nur, wenn Eltern geschieden oder die Väter verstorben seien, sondern vor allem, daß die Väter zu oft und zu lange abwesend oder irgendwie menschlich nicht erreichbar für ihre Söhne und Töchter sind. Kennen wir nicht alle derartige Väter, die ganz offensichtlich "gar nichts" mit ihren Töchtern anzufangen wissen oder die auch sonst nicht mit ihnen klar kommen. Damals wählten die Deutschen gerade Willy Brandt zum Bundeskanzler, im kleinen Kreis vor dem Hörsaal kommentierte er dazu: “Die Vaterlosen wählen den Vaterlosen...” Das mit dem Vater brauchte man übrigens auch seiner Meinung nach nicht so eng zu sehen, denn die unmittelbaren und nahen „Grundgestalten“ könnten immerhin auch durch entsprechende “Ersatzgestalten” ersetzt werden, aber die gibt es ja zumeist auch nicht. Ich meine heute noch mehr denn je, daß er mit seiner Analyse recht hatte, mein Problem mit ihm war eigentlich nur, “was genau” ein Vater seiner Tochter beibringen müsse – ob sich das nicht doch konkret fassen ließe, damit man es gezielt “durchführen” könnte. Und von dem, was ich jetzt mit T. anstellte, konnte ich ja nicht reden – er war ja schon “mit dem anderen”, was ich da brachte, überfordert. Aber jetzt wollte ich da eben etwas durchsetzen!

Ob ich mit meiner Sturheit “unfaire” und unzulässige Macht auf das Mädchen ausübe? Wirklich? Oder hole ich nicht nur im Schnellverfahren nach, wozu normale Eltern in einer langen Erziehung Zeit haben – und wenn sie es nicht schaffen, die Kinder zu beeinflussen, ist das dann nicht deren Problem? Oder ob ich mit dem Versuch einer solchen Umsetzung “Versuche mit Menschen” mache, wie mir eine - übrigens sehr liebe - Kollegin vorwirft? Ich finde, man kann natürlich alles kritisieren und für jede Änderung, die gegen ein traditionelles Konzept steht, Argumente finden. Nur: Wenn ich wirklich Christ sein möchte in einer Welt, die gar nicht so christlich ist, was muß ich dann nicht immer wieder das (ver-)suchen, was das typisch Christliche ist? Und wenn das dann “unziemliche Versuche” sein sollen, dann muß man mir das gefälligst auch erklären können und wirkliche Argumente gegen diese “Versuche” finden... (Außerdem: Wenn in Ägypten eine Mutter ihre Tochter nicht mehr “ausschneiden” lassen will <siehe Beschneidung>, dann verstößt das doch auch gegen “geheiligte Traditionen”. Macht sie nicht auch “Versuche mit Menschen”, wenn sie - um die Moral bei jungen Mädchen zu erreichen - statt auf solche Barbarei auf “Denken” setzt? Wo ist der Unterschied – auch mir geht doch darum, daß es Moral aus dem Denken kommt? Jeder, der mit geheiligten Traditionen bricht, macht eben “Versuche mit Menschen”...also, was soll´s...)

T. war im übrigen von unserem Platz hinter den Dünen und unter den Bäumen so begeistert, daß sie gar nicht mehr weg wollte, doch ich war hart nach dem Motto, daß ihr es woanders auch gefallen würde und daß die Ferien an einem Ort einfach zu schnell vorbei gingen. Sie mußte von mir eben noch mehr “mitkriegen”. Und erst einmal waren mein pädagogisches Programm, was für die Strandzeit anlag, ja erfüllt, ich finde sogar übererfüllt. Aber das ist unser Geheimnis – oder besser: das bekommen die mit, die vielleicht irgendwann einmal mitmachen....

Die Route durch Spanien war ein wenig geprägt von meiner Erfahrung, daß am Mittwoch in Spanien “Europatag” ist, daß also an diesem Tag alle staatlichen Museen für EU-Angehörige freien Eintritt haben. Und dafür hatten wir den Escorial und das Valle de los Caidos vorgesehen. Irgendein Anhaltspunkt schadet ja nichts und wenn man früh genug in der Schlange vor dem Escorial steht, ist sie auch noch nicht zu lang...

Reiseroute

Unsere Fahrtroute war also San Sebastian - Bilbao (das Guggenheimmuseum nur von außen, auch das ist schon eindrucksvoll) – hinter Santander neben den Picos de Europa in das Kantabrische Küstengebirge (von den Wölfen und Bären, die es dort geben soll, sahen wir nichts, doch es war fürchterlich nebelig und kalt oben auf dem 1242 m hohen Paß – zum Zelten ungeeignet...) – dann in einem Bogen nach Leon mit der römischen Stadtmauer. Leider ging davor fast das Auto kaputt, plötzlich war alles Kühlerwasser verdampft - irgendwie hatte ich etwas falsch gemacht, doch mit dem berühmten Kühlerdichtungsmittel hielt wenigstens der Kühlkreislauf bis nach Hause, da stellte sich dann heraus, daß die Wasserpumpe defekt war. Wir hatten halt immer genügend Wasser zum Nachfüllen dabei...

Leider sind wir etwas gehetzt, in Zamora waren wir so spät, daß wir die Kathedrale in der schönen Altstadt nur noch von außen sahen, doch ausführlicher waren wir in Salamanca – eine wunderbare Stadt! Viele großartige Innenhöfe, Universität, alte und neue Kathedrale, Piaza Mayor (fast wie in Madrid), Römerbrücke. Und selbst vor dem Dom hörten wir das Klappern der Störche! Inzwischen habe ich gehört, dass man in dieser wunderschönen Stadt eigentlich nachts sein muß, da sei alles eine einzige Bar...

Dann Avila, wo ich ja schon einmal mit meiner Cousine K. war, als ich noch in Münster studierte. Eindrucksvoll immer noch die mittelalterliche Stadtmauer, die zumindest von Westen her noch frei in der Landschaft steht – wären da nicht jetzt die vielen modernen Straßenbauten. Auf einer Anhöhe vor dem Escorial hatten wir so wieder einen Rundumsichtzeltplatz mit viel Wind, morgens aber absolut windstill. Das dritte Mal war ich diesmal im Escorial, etwas schlechte Laune gab´s, weil wir uns nachher irgendwie verloren hatten. Und nicht zuletzt war´s auch sehr heiß. Im Valle de Los Caidos konnte ich am Grab Francos strunzen, daß ich immerhin nicht nur am Grab Ho Chi Minhs, sondern auch an denen Lenins, Maos und Marx´ war, und sogar Adenauers, der von allen das bescheidenste Grab hat. (Millowitsch liegt ja jetzt auf demselben Friedhof wie meine Großmutter, doch bei ihm war ich noch nicht...)

Bewußt machten wir diesmal nicht den Trip über die bedeutenden Touristenziele wie Segovia, sondern etwas “hintenherum” die direktere Linie zu den Pyrenäen. Dabei richteten wir uns nach den Empfehlungen des ADAC. Z.B. Buitrago del Lozoya, außer uns keine Touristen, doch eine Kirche mit einer wundervollen mozarabischen Decke. Die “bekehrten” Moslems bauten eben noch lange Zeit in “ihrem Stil”. Die nächste Unterbrechung war in Aranda de Duero mit der Kirche, die auch eine Fassade vom Simon von Köln hat – wie auch in Valladolid.  Lerma (da gibt´s doch in Don Carlos einen Grafen) fand ich nicht so beeindruckend, doch der ADAC hatte ein Städtchen in der Nähe empfohlen, Covarrublas, und das war ganz reizvoll, irgendwie war die Zeit hier stehen geblieben – und außer uns nur spanische Touristen. In der Kollegiatskriche führte uns der Pfarrer – auf Spanisch – aber so, daß ich sehr viel verstand und Trinh das auf deutsch oder englisch rüberbrachte, was ihn sehr beeindruckte... Lohnend! Das sind so die kleineren Dinge abseits der Wege... Ein besonderes Erlebnis war dann einige Kilometer weiter das berühmte Kloster Sto . Domingo de Silos. Von den gregorianischen Chorälen dieses Klosters soll es vor einigen Jahren schon einige Millionen verkaufter Kassetten gegeben haben – und wir hatten Glück! Normalerweise ist die Vesper um 19 Uhr, doch “uns zu Ehren” diesmal um 20 Uhr. Und wir kamen sogar noch so rechtzeitig, daß wir für 100 Peseten noch einen Text der Vesper – es war das Fest der hl. Maria Magdalena – ergattern konnten. Doch, das war großartig. Wenn ich denke an das Jahr davor, als ich in dem berühmten Kloster in Vezelay in Frankreich während der Vesper – französische Psalmen gesungen von Mönchen und Nonnen – vorzeitig aus der Kirche gegangen bin... Ich weiß nicht, irgend etwas fand ich da unerträglich. Auch war dort sehr viel normaler Tourismus, hier waren eher “Wallfahrer”.

Panne mit einem alten Auto

Eine richtige Panne hatten wir dann nach unserer Nacht gleich in der Nähe der Straße in Richtung Salas de los Infantes. Irgend etwas klappte mit der Dieselzufuhr nicht mehr. Ich hatte schließlich den Filter aufgemacht, doch dann lief gar nichts mehr. Drei junge Männer nahmen mich mit nach Salas und setzten mich gegen meinen Willen bei der Seat-Werkstätte ab, weil die doch VW in Spanien sei. Schließlich fuhr der Abschleppwagen los, ach wie die abschätzig mein altes Auto ansahen. Die wissen ja gar nicht, wie toll so ein altes Auto ist... Ich bezweifelte von vornherein, daß die in einer solchen Werkstatt mit meinem alten Auto klar kämen, die können doch nur austauschen. Um die 140 DM kostete der Filtertausch – und nach wenigen Kilometern war wieder dasselbe Problem da... Glücklicherweise konnte ich noch fahren und glücklicherweise war auch die Werkstatt zu, so daß ich mit Hilfe eines Lebensmittelgeschäftinhabers, der um die 15 Jahre im Westerwald gearbeitet hatte, die “richtige” kleine Werkstatt fand. Und der checkte nun die Leitung zwischen Tank und Einspritzpumpe durch – und das war´s – für kaum mehr als 40 DM. Mit alten Autos geht man tatsächlich besser nicht in die “großen” Werkstätten, die können das eben nicht.

(Anmerkung einige Wochen später: Es war doch nicht der Schmutz in Tank und Leitung... Als auf der Fahrt in den Herbstferien wieder der Fehler auftaucht, diesmal bei Kehlheim in Bayern, hole ich den ADAC-Dienst. Und der findet´s: Ein Drähtchen zur Einspritzpumpe ist korrodiert, und wenn jemand zufällig daran gewackelt hatte, dann tat´s das Auto eben wieder für einige Zeit..)

Und wieder so ein Zeltplatz ganz hoch im Gebirge mit Totalrundblick – und nachts schrie ganz in der Nähe irgendein Viech, vielleicht eine Wildkatze?

Bei Lidl-Nogrono deckten wir uns mit Wein und Oliven (in Großgläsern) und Wurst ein, so daß unser Auto richtig schwer wurde, und dann kamen wir noch an einer Weingenossenschaft vorbei, wo wir unsere Wasserkanister mit Wein auffüllten. Am Rande der Pyrenäen waren wir dann wieder in einer Gegend, in der ich schon öfter war, erstes Ziel das Kloster Leire. In der Kirche gab´s eine spanisch-holländische Hochzeit, sehr nobel, viele CD-Autos, mit dem üblichen Hochzeitssolokonzert, ach in dieser alten Kirche war das ja auch ganz schön. Und diesmal nahmen wir Zelt und Matten aus dem Auto auf dem Parkplatz und verzogen uns in die Landschaft oberhalb des Klosters und unterhalb einer grandiosen Bergkette. Doch leider weckten uns am Sonntagmorgen um 6 die Glocken...

Pyrenäen

Irgendwo in der Nähe des Col d´ Aubisque fuhren wir dann nicht mehr weiter, das Panorama war einfach zu großartig, warum nicht “ganz oben” zelten? Morgens kamen dann frei grasende Pferde, denen wir unser altes Brot verfütterten und die meine Antenne vollends abknickten... Als ich T. dann auf einen “Grashügel” schleppte und dabei motivierte, Blaubeeren zu pflücken, die überall wuchsen, da war sie gar nicht so recht einverstanden, das alles kannte sie eben nicht. 

In Lourdes gab es leider nicht mehr unseren schönen Campingplatz à la ferme (beim Bauern), der für uns dort den Reiz ausmachte... Die alten Leute von früher hatten aufgeben, und der neue Besitzer hatte die Sache eingestellt, es waren einige “Freunde” mit Wohnwagen da, aber die wimmelten uns ab, wir dürften nicht mehr da bleiben. Immerhin gab´s einen oder zwei Kilometer weiter einen weiteren Bauerncampingplatz, ach der war ja auch ganz schön. In Lourdes machte ich mir natürlich weitere Gedanken über die Marienerscheinungen. T. amüsierte sich, als eine amerikanische (?) Frau sie ansprach “where is the holy water?” – und ich sprach Leute (offenbar Belgier) auf französisch an, die durch die Anlagen hinter dem “heiligen Bezirk” riesige Kanister mit diesem Wasser wegschleppten, daß es wohl nicht auf die Menge, sondern auf den Glauben ankäme...n´est pas important la quantité - important est la foi! Ich möchte sowieso wissen, woher das ganze Wasser kommt, zumal es jetzt noch neue Wasserhähne gibt und die Pilger Tag und Nacht kommen. Ich schätze, die machen das wie in der Kirche in Cuxhaven, wo ich während des Studiums “Kurküster” war: eins zu hundert oder tausend, auf ein bißchen “richtiges” Wasser kommt viel normales Wasser, was soll´s, der Glaube macht´s und irgend welche “heiligen” Moleküle werden schon dabei sein...  Ein paar Tage später kamen wir durch Nevers, wo die älteste der drei jungen Leute, die da angeblich die Madonna gesehen hatten, Nonne war und schon mit 25 Jahren vor etwa 130 Jahren gestorben ist. In den zwanziger Jahren grub man den Leichnam aus und fand ihn unversehrt. Da liegt Bernadette jetzt in einem gläsernen Sarg überzogen von einer dünnen Wachsschicht. Es ist alles schwer zu glauben, vor allem wenn man nicht medizinischer Spezialist ist und wirklich selbst alles überprüfen kann...

Eine wundervolle Kirche war dann in St. Bertrand des Comminges, die irgendwie bei allen Wirren vergessen wurde, eine gotische Kathedrale am Rande der Pyrenäen. Außer der Orgel mit dem herrlichen Prospekt kann man allerdings ohne Eintritt nicht viel sehen, denn mitten in der Kirche steht wieder einmal so ein “Domherrenchor”, zwar von innen wunderschön, doch quasi eine Kirche in der Kirche, die die Gesamtanlage im Grunde völlig verdirbt. Ein normaler, vernünftiger Gemeindegottesdienst ist sozusagen gar nicht möglich, es sei, er findet heute in diesem Chor statt. Ein Problem ist gewiß auch der Eintritt, viele Touristen des Städtchens (Parkplatz auf einer Wiese unterhalb) schenken sich den gewiß. Ich hatte den Eindruck, daß den “Wärtern” in der Kirche das mit dem Eintritt gar nicht so recht ist – denn sehr großzügig gaben sie auf unsere Papiere hin erheblichen Nachlaß. Irgendwie müßte das mit dem Eintritt anders geregelt werden – wer wirklich was sehen will, kann viel Geld los werden und das verdirbt vielen die Lust... Vor allem, wenn man junge Menschen an Kunst und Kultur heranführen will, dann ist das mit dem Eintritt gewiß von Nachteil.

Ein wunderbarer Zeltplatz abseits der Autobahn nach Toulouse bei Cazères (?) am Ufer der Garonne; vor dem Schild “für Nomaden verboten” ließ ich mich von T. fotografieren...

In der verbauten alten Kathedrale von Toulouse gab´s extra für uns ein Konzert, offenbar eine Probe für eine Hochzeit, als wir klatschten, bedankte sich die Sängerin mit einer Zugabe von hoch von der Empore... Von Vorteil war eine Museensammelkarte (für T. war´s auf ihren Schülerausweis hin gratis) etwa für das Augustinerkloster, das heute Museum ist. In den prunkvollen Saal im Rathaus (Capitol) kommt einfach so von der Straße hinein, Treppe hinter der richtigen Türe rauf, und drinnen ist man. In einem Museum fragten wir nach ostasiatischen Läden (wegen der vietnamesischen Fertigsuppen) für 12 DM pro 30er Packung. Zuerst nannten sie uns einen Supermarkt weit entfernt, dann erinnerten sie sich an kleiner Geschäfte im Zentrum, allerdings in einer „Puffstraße“, doch “davon” sahen wir mit unsren Klapprädern nichts. Von den Suppen haben wir noch heute.

Manchmal war es schwer, einen vernünftigen Zeltplatz zu finden, so in der folgenden Nacht. In Cahors dann die befestigte mittelalterliche Brücke und dann für uns das Muß “Rocamadour”, der berühmte Wallfahrtsort mit der romanischen in den Felsen geklebten Kirche und der einzigen Straße mit den alten Häusern drunter. Wir stiegen von oben hinab... In dem Touristengebiet etwas weiter bot sich dann ein kleiner Camping municipal an, die Dame kam ganz locker, als wir schon das Zelt aufgebaut hatten, an unseren Tisch.

Und auch mal ne Höhle!

Etwas Besonderes für T. war die Höhle von Padirac, zuerst geht´s in einem großen Krater tief runter (sie fuhr per Lift) und dann geht´s erst einmal per Boot und dann zu Fuß ganz schön weit in den Berg, das hat ihr auch ganz toll gefallen. Manchmal denke ich, daß sie von den kunsthistorischen Sachen noch nicht so viel hat, daher muß vor allem auch so etwas sein. (Doch auch die “Kunst” beginnt langsam zu rasten, da soll sie ein Referat über Rokoko halten, was sie natürlich irgendwie zusammengeschrieben hat. Doch habe ich sie wenigstens mit einer Führung durchs Brühler Schloß geschickt – und immerhin meinte sie , daß ihr Rokoko besser gefiele als Gotik, irgend etwas verbindet sie also schon miteinander. Wir werden jetzt in den Herbstferien uns einiges in Süddeutschland und Oberösterreich ansehen.) 

Die Fahrt dann bis Clermont Ferrand war ein wenig eine Bummelei, nur Kurven und Gebirge, zwar schön, aber dennoch... In Nevers war das dann mit dem Grab der Bernadette, der in Lourdes die Madonna erschienen ist und in Auxerre fuhr ich das neue Auto eines alten Ehepaars an. Neben der Kathedrale war für mich wichtig die Kirche St. Germain, denn da war ein karolingische Krypta um das Grab des heiligen Etienne, hier ging mir auf, wie bei diesem Stil das alte Griechische imitiert wurde, weil das Griechische damals als das Vollkommene galt. Und dann waren da zwei Dekagone, der Hinweis des Führers war, daß es nur wenige Dekagone überhaupt gäbe, die meisten in Frankreich – und eines in Köln, in St. Gereon. Na ja, und dann waren wir auch quasi wieder zu Hause...

Zunächst wollte Trinh in den Herbstferien zuhause bleiben, doch inzwischen hat sie´s vergessen, es ist halt zu schön umherzufahren. Vor allem, nachdem ihre Klassenfahrt nach Nürnberg für sie wohl ein Fiasko, wenn nicht gar eine Folter, war. Sie wollte etwas sehen, doch das ging oftmals nicht, sie konnte sich in ihrer Gruppe nicht durchsetzen, bei der sie bleiben mußte. Ganz schlimm war´s in München, wo sie nur 90 min im Deutschen Museum war, dann hatten die anderen keine Lust mehr und sie mußte mit ihnen in die Kaufläden. Und von den Kirchen hatte sie gar nichts gesehen – sie hatte auch den (eigentlich ganz reizenden) Klassenlehrer angesprochen (der übrigens selbst bis 16 Uhr im Museum blieb und dann einen (Kirchen-)Bummel machte), doch der war offensichtlich darauf nicht vorbereitet, daß eine(r) etwas anderes wollte. Ich habe ihm geschrieben über meine Trickse, wenigstens die, die wollen, zu fördern, und gleichzeitig mir nette Begleitung zu schaffen. Und die Nächte waren auf dieser Fahrt ganz schlimm, da gab´s keine Ruhe – sie rief hier ganz verzweifelt an...) Wir wollen jetzt durchaus auch ein wenig in die Gegend hinter Nürnberg fahren, so ein paar Sachen zwischen Regensburg und Passau und Oberösterreich – und dann über Venedig nach Süditalien (ab Villach per Bahn und Liegewagen).

 

Nachüberlegungen

Und wie kam ich mit meinem Programm durch? Ich glaube, ganz gut.

Bisher wenigstens scheint´s zu funktionieren.

Abgesehen von Erkenntnissen aus der Religion nehme ich ja auch durchaus Anleihen bei der “Aufklärung”, aber eben nur “Anleihen”. Bei der Vorstellung von Natur bin ich gewiß durchaus auch von Rousseau beeinflußt. Allerdings protestierte bei der Lektüre seines Erziehungsromans “Emile” etwas in mir: “So geht´s nicht, das kann ja gar nicht funktionieren...”, und schließlich hat es ja auch nicht in der Praxis geklappt, was J.J.R. da wollte. Irgendwie hatte R. nämlich die “Natur”, zu der er junge Menschen meinte, erziehen zu müssen, da zu sehr auf “Wald- und Wiesenerlebnisse” verengt, das Entscheidende hatte er jedoch ausgelassen. Und das ist unsere Veranlagung auf “das andere Geschlecht”, die ja auch “Bestandteil unserer Natur” ist – und zwar ein ganz wesentlicher, wenn nicht gar der wesentliche. Nach Meinung R., wie auch wohl vieler sonst, hat das alles bei jungen Leuten noch Zeit, das könne man sozusagen lange vernachlässigen. “Irgendwann” könne man dem jungen Menschen dann einen “passenden” Partner “vorführen”, der ähnlich “wald- und wiesennah” erzogen wurde und zu dem er sich deshalb hingezogen fühle. JJR vergaß hier m.E., daß ein ganz wichtiger Punkt der Partnerwahl der der Freiheit ist, bei der Partnerwahl möchte jeder Mensch frei wählen können. Vermutlich hat das die Natur so in uns angelegt – sozusagen als Sicherung gegen den Inzest (siehe Pubertät). Eine Erziehung kann also nicht darauf hinauslaufen, daß er einen “vorbestimmten” Partner “wählt”, sondern allenfalls den “einer bestimmten Sorte” und der junge Mensch muß die Strategien verinnerlichen können, genau auf Menschen dieser Sorte zu treffen. Vermutlich ist die Empfehlung der Bibel in der Adam-und-Eva-Geschichte genau eine solche Strategie, ohne Schaden selbständig zu suchen. Die Suchmethode ist also der entscheidende Punkt. Und die Erziehung eines eigenen Kindes muß immer auch die Erziehung anderer Kinder einschließen – nur so ist die Möglichkeit einer Wahl gewährleistet – und dann müssen das auch andere Gruppen sein (denn in einer eigenen nahen Gruppe wählt ein Mensch nie und wenn er es tut, bringt das Probleme).

Das Problem ist, daß wohl alle Kulturen genau das nicht wollen, daß junge Menschen wirklich frei wählen, sie sollen vielmehr immer innerhalb der eigenen Kultur bleiben. Und daher wurden die angeborenen oder natürlichen Strategien für die Partnerwahl nicht nur nicht gepflegt, sondern sogar noch unterdrückt. Und so ist uns auch im Laufe unserer Zivilisierung ganz offensichtlich sehr viel wenn nicht gar alles an Gespür für eine solche “natürliche” Erziehung verloren gegangen, ja sehr oft findet da nicht mehr als Hangeln von Problem zu Problem in einer Erziehung im Hinblick auf die Partnerfrage statt, wobei von einem pädagogischen Gesamtkonzept überhaupt keine Rede sein kann. (Wenn mir als Junggesellen da bisweilen direkt, vermutlich jedoch unausgesprochen öfter, vorgeworfen wird, daß ich doch im Grunde gar nicht mitreden könnte – ich solle mir lieber erst einmal eigene Kinder anschaffen – dann muß ich doch wohl die Gelegenheit beim Schopfe packen, und ein Kind in meine Verantwortung nehmen, wenn sich die Gelegenheit bietet? Doch dagegen haben die Kritiker auch wieder etwas – und auch daß ich mir Gedanken mache, wie eine Erziehung zur Moral wirklich klappt, es ist halt immer “etwas”...).

Und so ist auch mir klar, daß eine solche “natürliche Erziehung” nicht mit Moralsprüchen oder überhaupt mit Redereien geht, das sehen ja auch sonst viele ein. Leider haben deswegen viele Eltern überhaupt aufgegeben, weil sie etwas anderes als Redereien und Sprüche sich gar nicht vorstellen können. Doch ich kann es einfach nicht glauben, daß die Natur (oder Gott?) keine vernünftigen Wege vorgesehen hat, die auch für junge Menschen zu jeder Zeit attraktiv sind und daher von ihnen auch begierig angestrebt werden, wenn sie erst einmal auf den Trichter gekommen sind.

Na ja, deswegen mache ich das alles auch so, wie ich es mache...

Und wie kommen wir so klar? Wie klappt das – sind da nicht doch irgendwelche “Sehnsüchte” nach “mehr”? Warum soll ich dem ausweichen, was viele auch im Kopf haben, wenn sie sagen, daß das, was wir machen nicht ginge. Also ich weiß nicht, ob mein Bild richtig ist und ob es übertragbar ist. Aber ich habe folgende Idee: Wenn ich mir so die Fuchsfamilie in einem Fuchsbau vorstelle – oder davor – dann bietet sich ein Bild voller Harmonie, wie sich die alle zusammenkuscheln und wie dann auch die Kinder und dabei durchaus auch die Töchter auf dem “Vater” herumturnen. Und der Vater läßt sich das auch gefallen, das scheint für ihn normal zu sein. Doch wenn die Töchter dann älter werden und immer noch so kess sind, dann “fällt er nicht über sie her”, sondern er verbeißt sie, bis sie weg sind und sich eben woanders ihren Partner suchen.

Und ich glaube, das ist im menschlichen Instinkt auch so verankert – nur wir tun das oft gar nicht so. Wie sollte – im Extremfall - auch eine Mutter, die selbst vergewaltigt wurde, ruhig zusehen, wie die Töchter unkompliziert mit dem Vater umgehen? Die steckt doch so voller Paranoia, daß sie das gar nicht kann.

Und daß ich ein Fremder für T. bin? Immerhin kenne ich das Mädchen seit seinem 14. Lebensjahr – und persönlich und mit intensiven Briefwechsel. Man sagt, da bildet sich auch eine Vater-Tochter-Beziehung wie bei den “Füchsen”. Und einmal Vater-Tochter-Beziehung bleibt eben so für immer – damit hat es sich!

Es scheint auch nach außen hin alles zu funktionieren: Daß sie vor ein paar Tagen als einzige in der Klasse die Mathearbeit (Algebra) “sehr gut” hatte, tat sie ab, weil so etwas  für sie in Vietnam sowieso normal gewesen sei. Doch mit Begeisterung berichtete sie, wie sie sich im Deutschunterricht bei der Diskussion über “vorehelichen Verkehr” beteiligt hatte. Die Mädchen hätten (alle) gemeint, daß das doch “normal” sei, und da sei sie heftig geworden, statt dessen sollten sie doch erst einmal zusehen, daß sie Jungen fänden, mit denen sie nur einfach so nackt am Strand sein könnten. Und da hätte die Lehrerin ihr lebhaft zugestimmt... Mir gegenüber sagte sie dann, daß sie den Eindruck hätte, daß die Mädchen in ihrer Klasse sie haßten wegen ihrer Meinung. Klar, tröstete ich sie, “du bist eine einzige Provokation für die, die wissen ja auch oder spüren es zumindest, daß sie sich mit ihrem Verhalten letztlich nur in neue Abhängigkeiten begeben, wenn nicht schon begeben haben, während du die wirkliche Freiheit und Emanzipation lebst”. Doch die Mädchen wissen es leider nicht besser, keiner fühlt sich für sie zuständig, daher solle sie mit ihnen versöhnlich sein. (Anmerkung Mitte November: Sie erzählt mir, wie sie immer besser mit den Kameraden auskommt, sie lernen von ihr, wie sie “vietnamesische Papiersterne” bastelt, und anderes... Sie scheint sich in der Klasse einzuleben...)

Und unser Ziel in den Herbstferien? Wie gesagt, erst einmal Bayern und Oberösterreich. Dann geht´s nach Villach, wo wir das Auto stehen lassen und per Bahn und Liegewagen und Klapprädern und Zelt nach Kalabrien und Apulien brausen. Es werden auch noch ein Nachmittag für Venedig und vielleicht ein Vormittag für Ravenna bleiben.

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