PROZESSION.
P. ist der festliche religiöse Umzug - bei uns nur in der katholischen
Kirche. Anlässe sind Gedenktage im Zusammenhang mit der
Lebensgeschichte (oder der vermeintlichen Lebensgeschichte) Jesu oder
Mariens oder vieler Heiliger. Bisweilen werden dabei Bilder oder
Skulpturen herum getragen oder gefahren oder auch Reliquien in den
entsprechenden bisweilen sehr kostbaren Reliquarien
(Reliquienbehältern). Dazu beten und singen die Prozessionsteilnehmer
zu der Musik von Musikkapellen oder es spielen auch nur die
Musikkapellen. Besonders
bekannt sind die Prozessionen an Fronleichnam, die es überall in der
katholischen Welt gibt, und dann bei uns in Europa die sehr oft ergreifenden Prozessionen in
der Karwoche im katholischen Mittelmeerraum (siehe Gründonnerstag,
Karfreitag und Ostern), bei denen an das Leiden und Sterben Jesu gedacht wird und schließlich an seine Auferstehung. Die
Frage
stellt sich irgendwann doch einmal: Wie kam es eigentlich zu
diesen Prozessionen im Mittelmeerraum, die ja liturgisch überhaupt
keinen Grund haben, wo liegen die Ursprünge? Sie liegen zunächst einmal
in Spanien - und sie kamen auf nach der Reconquista, also nach der
Rückeroberung Spaniens aus den Händen der Mauren, also der Moslems.
Und für die moslemischen Mauren gab es unter der "katholischen
Herrschaft" dann zwei Möglichkeiten: Entweder sie mussten Spanien
verlassen oder sie mussten sich zum katholischen Glauben "bekehren".
Und wie kontrollierte man, ob diese "Bekehrten" nun wirklich bekehrt
waren oder nur zum Schein? Man "erfand" also diese inbrünstigen
Prozessionen - und
ging davon aus, dass alle die, die dabei mehr oder weniger freiwillig
mitmachten (in der Öffentlichkeit!), damit irgendwie schon deutlich
zeigten, dass sie den christlichen Glauben ernst nahmen und nicht im
Grunde doch nur verkappte Gegner waren. Also ganz
freiwillig haben die Menschen jedenfalls mit diesen Prozessionen wohl
doch nicht angefangen (Information durch "Zeitzeichen" im WDR 3 am 28.
04. 2011 um 17.45 Uhr). Das lief also damals nach demselben Muster wie
die Maidemonstrationen in der DDR und vor allem die Militärparaden in
Nordkorea, dabei musste oder muss man immer noch eben mitmachen oder
zumindest mitjubeln. Und da Sizilien damals spanisch war, wurden
diese Prozessionen dann auch in Sizilien eingeführt. Inzwischen steckt
natürlich kein Zwang mehr hinter diesen Prozessionen, heute ist alles
wirklich freiwillig - es gehört eben zur Tradition oder auch zur Kultur.
Ob die Teilnehmer dadurch wirklich religiöser werden, ist allerdings
eine andere Sache. Und so schreibt Petra Reski in ihrem "Reisebericht"
zu den Stätten der Mafia, also in ihrem Buch "Mafia" (Knaur-Taschenbuch 2009, S. 147f):
"In
Sizilien gibt es keinen Zufall. Keine Geste, kein Wort ist unbedacht.
Die Prozession ist ein Ritual. Sizilianer lesen an dem Prozessionszug
die Machtverteilung ihrer Stadt und ihrer Gemeinde ab: Wer die
Heilige aus der Kirche tragen darf, wer vorn beim Pfarrer läuft, wer
hinten. Wer das Geld für das Fest der Madonna del Carmine sammelte,
wer das Recht hat, vor dem Baldachin zu marschieren. Wer während des
Zuges durch die Gassen abwesend blickt, wer sich bei den
Viva la Maria Rufen besonders hervortut. Alle wissen
um die Heiligkeit dieses Rituals für die Gemeinschaft. Und um die
Kosten. Prozessionen sind teuer, all die Girlanden, Glühbirnen,
Böllerschüsse, Blaskapellen, das Feuerwerk - die Priester
wissen, dass die Almosen der Armen nicht reichen. Sie reichen auch
nicht für den neuen Stuckfries, die neue Orgel, die neuen
Kronleuchter. Die Cosa Nostra erweist sich stets als großzügig.
Schließlich hofft man auf Entgegenkommen bei Gelegenheit. Totò
Riina musste auch im Untergrund nicht auf eine kirchliche Hochzeit
verzichten, Don Agostino Coppola, jener legendäre Priester der
Mafia, der starb, als er unter Hausarrest stand, vermählte ihn im
Frühling des Jahres 1974 mit seiner geliebten Antonietta und taufte
jedes der vier Kinder." Weiter mit diesem Zitat unter Mafia! Wir mögen über dieses Verfahren der
Spanier vor fünfhundert Jahren (oder mehr oder weniger), wenigstens
einigermaßen sicher zu gehen, wo die Menschen wirklich stehen, heute
lächeln. Doch haben wir bessere Methoden, um sicher zu sein, gerade
wenn wir mit Menschen anderer Völker zu tun haben? Denken wir an die
Schwierigkeiten der westlichen Nationen in Afghanistan. In den Tagen,
da ich dies hier schreibe (im April 2011), hat ein afghanischer
Militärpilot acht seiner amerikanischen Fluglehrer und einen Zivilisten
erschossen, er war also nur äußerlich auf Seiten der westlichen
Nationen. Ja wie hätte man vorher herausbekommen können, wo dieser
afghanische Pilot wirklich steht? Wissen wir wirklich bessere Methoden
als die der "alten Spanier"? Besonders
Nichtkatholiken mögen über
alle diese Prozessionen bisweilen die Nase rümpfen, weil sie ihrer
Meinung nach nur mehr oder weniger religiöse Folklore sind und nichts
wirklich mit dem christlichen Glauben zu tun haben. Diese Kritiker
mögen sogar Recht haben - doch gibt es in unserem und gegenbenfalls auch im Glauben
der Kritiker wahrscheinlich Schlimmeres, das sogar von ihnen kommentarlos akzeptiert wird. Und
immerhin sind zumindest einige der Prozessionen doch schöne
Gelegenheiten, den Glauben auszudrücken und sogar Freude am Glauben zu
haben (jedenfalls
wenn man mal von den Hintergründen mancher Prozessionen absieht). Ich
habe etwa mehrfach mit Schülern an der Echternacher
Springprozession teilgenommen und den jungen Menschen empfohlen, sie
doch einmal als Gelegenheit zu einer "Tanzmeditation" zu sehen, die ein
Symbol für die Idee der Einheit von Leib und Seele ist, um die es doch in unserem christlichen Glauben geht. Ihren besonderen Charme
entfaltet diese Prozession gerade durch die Gemeinschaftlichkeit. Und ich hatte den
Eindruck, meine Schüler haben dabei sogar gerne mitgemacht - unter
ihnen auch Protestanten, Moslems, Buddhisten und sicher sogar
Atheisten... (Wörterbuch
von basisreligion und basisdrama)
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