PAULUS - kritisch gesehen(Basislexikon: kompetent-kritisch-konstruktiv)


Dieses Stichwort ist übernommen aus der Seite Unsere-Kirche-2030 vom 15. April 2024

Paulus der Mythenschmied

Hyam Maccoby. Der Mythenschmied: Paulus und die Erfindung des Christentums. Reihe: Unerwünschte Bücher zur Kirchengeschichte.

Ahrimann-Verlag, 2013, 253 Seiten, 19,80 €

Während Ratzinger fleißig am Christus-Mythos weiterstrickte und die my­thengläubige und -willige Masse solche mythenschmiedende Bücher mas­senhaft kaufte, erschien in dieser der historischen Wahrheit durchaus wid­rigen Situation in Deutschland ein Buch, das mit rationalsten Argumenten den üblichen Jesus-Mythos des Christentums ad absurdum führt. So kann man es verstehen.

Hier eine Rezension von Prof. Dr. Hubertus Mynarek…

Hyam Maccoby legt eine verblüffende Betrachtung vor. Maccobys Haupt­these, durch einen gewaltigen Apparat an philologischer, exegetisch-analytischer und historisch-kritischer Methodik und Gelehrsamkeit ge­stützt, besteht in dem in dieser Radikalität noch nie behaupteten absoluten und exklusiven Gegensatz von Jesus und Paulus.

Ersterer war ein frommer Pharisäer (nicht im Sinne der negativ-verächtli­chen Attribute, die den Pharisäern im Neuen Testament verabreicht wer­den), dem es nie in den Sinn gekommen wäre, eine neue Religion zu grün­den. Wohl aber habe er sich als Messias des jüdischen Volkes gefühlt, der die jüdische Monarchie restaurieren, die römische Besatzung vertreiben, einen unabhängigen jüdischen Staat errichten und ein Zeitalter des Frie­dens, der Gerechtigkeit und des Wohlstands herstellen werde, das soge­nannte ‚Reich Gottes‘. Das aber nicht mit militärischen Mitteln, sondern im Glauben an ein Wunder Gottes, das die Macht Roms brechen werde. Als dieses Wunder ausblieb, war seine Mission gescheitert. Weder sah er sich als Gottes Sohn, der nach diesem Scheitern wieder zu Gott Vater im Himmel zurückkehrt, noch seinen Tod als Sühneopfer für die Sünden der Menschheit und zu deren Errettung aus ewiger Verdammnis.

Und nun kommt Paulus ins Spiel. Wahrscheinlich braucht jeder Mythos, jede Hervorbringung einer Kultgestalt ein Minimum an Faktizität, an tat­säch­licher Basisgeschichte. Der genial listige und schlaue Paulus machte also aus dieser keineswegs extraordinären Gestalt Jesu mit Hilfe gnostis­cher, mysterienreligiöser und ein paar selektiv alttestamentlicher Elemente die ins pompös Metaphysisch-Kosmische erhöhte und erhobene Gestalt eines Erlösers und Heillands, eines Gottes und Gott ebenbürtigen Sohnes.

Es war, so Maccoby, ›ein geniales Gebräu und Gewirk aus hellenistischen Bestandteilen, das oberflächlich mit jüdischen Schriften und Überliefe­rungen verlötet wurde, die es mit einer Art Historizität und einer Aura von Gültigkeit versehen sollten.‹ Der Mann, der dies bewerkstelligte, war nie ein pharisäischer Rabbi gewesen, obwohl er dies seinen Anhängern weis­machte, ›sondern ein Abenteurer ohne irgendwie hervortretenden Hinter­grund. Er verband sich zunächst mit den Sadduzäern, und zwar als dem hohen Priester unterstellter Polizeiagent, bevor er sich zum Glauben an Jesus bekannte.‹ Jene Bildung und jenen Kenntnisstand, die man im Allge­meinen mit den Pharisäern verband, hatte er nicht oder sehr unvollkom­men. Seine Biografie habe er verzerrt und verfälscht, um seine missiona­rischen Aktivitäten besser durchsetzen zu können.

Paulus also, wie Maccoby akribisch nachweist, ›kein in jüdischer Gelehr­samkeit und Tradition verwurzelter Pharisäer, vielmehr ein hellenistischer Abenteurer, dessen Bekanntschaft mit dem Judentum vergleichsweise spät und seicht war.‹ Das gesamte Christentum, das wir kennen bzw. an das die Christen glauben, ist durch und durch, von A bis Z ein Werk des Paulus.

Die nazarenische Religion, also die Religion der unmittelbaren Jünger und Nachfolger Jesu in Jerusalem, des Petrus, des Jakobus etc., war lediglich und blieb eine Variante der jüdischen Religion, angereichert allein mit dem Glauben an die Auferstehung Jesu und damit, dass Jesus für sie immer noch der versprochene Messias war. Alles Andere aber ist das Werk des Paulus. Er schuf eine ganz neue Religion mit dem für das Christentum bis heute so zentralen Mythos vom Versöhnungstod des auf die Erde herabge­stiegenen göttlichen Wesens, von der Notwendigkeit des Glaubens an die­sen Opfertod und der mystischen Teilhabe am Tod der Gottheit als einzi­gem Weg zur Errettung des Menschengeschlechts aus der Verdammnis.

Jesus selbst, so Maccoby, habe ›nie eine ähnliche Vorstellung besessen; er wäre über die ihm von Paulus zugeschriebene Rolle als eine leidende Gott­heit verblüfft und schockiert gewesen.‹ Er hätte sie für ›heidnisch und göt­zendienerisch‹ gehalten, für eine ›Verletzung des ersten der Zehn Gebote‹.

Es muss als großes Verdienst des Ahriman Verlags angesehen werden, ein solches radikal die Anfänge des Christentums entmythologisierendes Werk herausgebracht, es in unsere heutige mythengeile, mehr dem Ratzionalis­mus als dem Rationalismus huldigende Aktualität hineingestellt zu haben, so dass nur noch die relativ wenig Denkenden unserer Zeit als Leser er­wartet werden können.

Die englische Originalausgabe der hier besprochenen Übersetzung erschien ja bereits 1986 in New York, ohne dass sie im deutschen Sprachraum auf Widerhall gestoßen wäre. Allerdings hat der Ahriman Verlag auch schon früher Maccobys Buch ›Jesus und der jüdische Freiheitskampf‹ herausge­geben, die bisher nüchternste Rekonstruktion des historischen Jesus aus den Quellen. Natürlich kann nicht alles, was Maccoby vorbringt, komplett neu sein.

Seit den Anfängen der europäischen Aufklärung und der historisch-kriti­schen Bibelforschung des 18. und 19. Jahrhunderts geistert ja die These vom Gegensatz zwischen Jesus und Paulus durch die Literatur. Aber es gibt im gesamten Raum der christlichen Bibelforschung und Theologie, egal welcher konfessionellen Richtung diese sich verpflichtet fühlen mag, bis heute keinen Exegeten oder Theologen, der es wagen würde, einen so radikalen Schnitt zwischen Jesus und Paulus durchzuführen. Jesus total und ausschließlich dem Judentum, Paulus total dem Christentum als dessen alleinigen Gründer zuzuschlagen, und das mit derart detaillierten und stichhaltigen Belegen und Argumenten.

Im Moment geht wohl Lüdemann, der aus der Göttinger evangelisch-theo­logischen Fakultät ausquartierte Theologe noch am weitesten, indem er Paulus wohl ›als Organisator und Formelgeber des Christentums gelten lässt und insofern, aber nur insofern, als dessen praktischen Gründer, der er natürlich auch war, aber nicht, was viel bedeutender ist, als dessen substan­tiellen Erfinder‹, als welchen ihn allein Maccoby decouvriert. Der Rezen­sent muss gestehen, dass auch er in seinem Buch ›Jesus und die Frauen‹ zwar die gesamten Jesus-Mythologien heutiger Theologen von Rahner über Franz Alt, Küng, Drewermann usw. auf das viel geringfügi­gere Maß des historischen Jesus reduzierte, jedoch den Gegensatz von Jesus und Paulus nicht so einleuchtend radikal gesehen hat, wie das Maccoby in seinem hier besprochenen Buch plausibel macht.

Dieser angesehene Talmud-Philologe und ehemalige Professor für Juda­istik an der Universität Leeds hat sich meines Erachtens den klarsten und unabhängigsten Blick auf die hier zur Debatte stehende Problematik be­wahrt. Maccobys Buch ist ein Muster an historisch-kritischer Präzisions­arbeit. Aber selbstverständlich muss bei ihm auch Manches in der Schwebe bleiben, als Hypothese gewertet werden, was nicht verwundern kann, wenn man die spärliche, fragmentarische Quellenlage berücksichtigt. Aber Mac­cobys Darstellung ist die plausibelste, begründetste, argumentativ überzeu­gendste, zugleich in besonderem Maße dazu angetan, die dunklen und zwiespältigen Anfänge des Christentums wirklich zu erhellen und logisch ver­stehbar zu machen. Keine wirklich wissenschaftlich relevant sein wol­lende Untersuchung der hier debattierten Problematik wird an einer Aus­einandersetzung mit Maccobys Buch vorbeikommen können.

QUELLEN

Prof. Dr. Hubertus Mynarek in ‚Aufklärung und Kritik‘, 2/2007

Siehe auch sein neuestes Jesus-Buch und das kritisch zu ihm Stellung nehmende Buch Mynareks unter dem Titel ›Papst-Entzauberung. Das wahre Gesicht des Joseph Ratzinger und die exakte Widerlegung seiner Thesen‹, Norderstedt 2007, Verlag Books on Demand.

F. E. Hoevels in seinem Vorwort zu dem hier besprochenen Werk, S. XI.

H. Mynarek, Jesus und die Frauen, 1. Auflage im Eichborn Verlag 1995, 2. Auflage im Verlag Die Blaue Eule 1999.


Antworten auf „Paulus der Mythenschmied“

Michael Preuschoff

16. Oktober 2024

Literatur, die mich auch noch – außer dem Buch von Maccoby – auf die Theorie mit dem „Machwerk der Mafia“ gebracht hat - siehe unter Quellen.

Zu der Paulusgeschichte gehört jedenfalls unbedingt die Vorge­schich­te über Jesus und WARUM Paulus diesen Jesus, der aller Wahr­scheinlich­keit eine realistische Person war, und der auch gekreu­zigt wurde, so verfälscht hat? Und hier muss ich Maccoby heftig widerspre­chen: Die These, dass der wirkliche Jesus einen unab­hängigen jüdischen Staat ohne Römer usw. wollte, und deswe­gen aneckte, ist allen­falls dem Neuen Testament zu verdanken, so wie wir es kennen, doch viel passt auch da nicht. In Wirklichkeit waren diesem Jesus die Unabhän­gigkeit Israels und die Rö­mer höchst­wahrscheinlich eher egal, ihm ging es vielmehr um die Überwindung eines geradezu kriminellen innerjüdi­schen Missstands, also um etwas völlig anderes!

Ich denke, die Sache ist ganz einfach: Jesus hatte sich für so etwas Revo­lutionäres engagiert, dass er nicht nur per Schau-Justizmord beseitigt wer­den musste (ja, Schaumord, auf dass niemand es wagt, mit dem Engage­ment Jesu weiter zu machen, und Justizmord, weil auch noch staatliche Stellen mitgemacht haben), sondern dessen Erinnerung unter allen Um­stän­den auch für die Nachwelt verhindert werden musste.

Und die Kreise, die also die Biografie über Jesus vefasst haben (das Neue Testament kann ja als Biografie Jesu gesehen werden), waren dieselben, die Jesus auch umgebracht hatten! Denn als diese Justizmordkreise er­kannten, dass mit dem Tod Jesu sein Engagement nicht zu Ende war, weil er bei seinen öffentlichen Reden zu viele Zuhörer hatte, die auch noch inzwischen in die ganze Welt verstreut waren (Jerusalemwallfahrer!) und anfingen, diese Ideen auch noch in aller Welt in die Praxis umzusetzen, ging es einfach nicht, die auch alle umzubringen, man konnte sie ja auch nicht ausmachen, weil sie sich kaum oder nie auf Jesus beriefen usw.

Also wurde dieser Paulus in die frühe Gemeinde eingeschleust, um die von innen heraus umzukrempeln, und das ging am besten, wenn die Ideen Jesu so verdreht wurden, dass sie im Großen und Ganzen zu einer normalen Religion wurden, wie sie damals üblich war. Daher also diese im Grunde sehr abstrusen Mythen wie in den bekannten Göttergeschichten!

Und die Bekehrung auf dem Weg nach Damaskus ist natürlich auch eine Erfindung – da gab es ja auch keine neutralen Zeugen und man kann so etwas auch sehr schön erfinden – und wenn man das nur lange genug immer wieder mit großer Überzeugung erzählt, dann wird es auch für viele glaubhaft – bis heute…

Das Neue Testament also ein Machwerk einer „Mafia“?

Ja, das ist doch mal eine wirklich plausible Sicht! Bedenken wir andere Schriften der Antike: Da ist doch immer klar abgrenzbar, welche historische Personen die verfasst haben (außer vielleicht bei den Texten von Homer), doch beim NT nichts dergleichen – alles ist vage. Das passt doch total, dass diese Schriften von Gegnern des wirklichen Jesus geschrieben und irgendwie mit allen möglichen und unmöglichen Tricks in die frühen Ge­mein­den eingeschleust wurden, um die wahre Urheberschaft zu vertu­schen.

Aber was war denn bei Jesus so revolutionär, dass es vertuscht werden musste?

Also auf alle Fälle nicht das, was im NT steht – oder? Ein Prof. von mir, ein Jesuit (Rupert Lay), meinte einmal, dass die einzige Episode im Johannes­evangelium, die wirklich wahr ist, die von der verhinderten Steinigung der Sünderin in Kap. 8 ist. So viel ich mich erinnere, war sein Argument: Theo­logen haben herausgefunden, dass diese Begebenheit nachträglich in das Evangelium eingefügt wurde, sie passt auch von der Thematik her gar nicht so recht in das ganze Johannesevangelium. Diese Nachträglichkeit wird nun oft als Argument angesehen, dass die Begebenheit nicht stimmig ist. Doch es ist gerade andersherum! Denn das Johannesevangelium dürfte Anfang des 2. Jahrhunderts entstanden sein – und hatte noch weni­ger mit dem wirklichen Jesus zu tun als die synoptischen Evangelien (Mar­kus, Matthäus, Lukas). Es wurde nun irgendwie in die christlichen Gemein­den eingeschleust und stieß natürlich auf Skepis, ob der Jesus, der da geschil­dert wird, nun wirklich der wirkliche Jesus war, ob dieses Evange­lium also „wahr“ ist. Und woran konnte das damals ein normaler Gläubiger nun erkennen? Ganz einfach: Dass Begebenheiten in dem Text sind, die man schon von woanders her als gesichert kannte. Und das dürfte eben diese Sünderingeschichte sein. Dass ein Mann, eben dieser Jesus, eine Frau, die beim Sex mit einem Mann, der nicht der ihre war, auf frischer Tat erwischt wurde und gesteinigt werden sollte, „raushaut“, so etwas wird weiter erzählt, auch über Generationen hinweg. Das war mal etwas Beson­deres, so etwas hatte bis dahin noch fast niemand versucht und erst recht nicht ge­schafft. Und auch, dass die Kreise, die dieser Mann an der Steinigung gehindert hatte, diesen Mann bei Gelegenheit umbrachten. Daher war es sinnvoll für die Verfasser des Johannesevangeliums, die Sünderinge­schichte nachträglich in das Evangelium einzuflechten, selbst auf die Ge­fahr hin, dass aus ihr eigentlich zu erkennen ist, was der wirkliche Jesus wollte. Doch wurde die Gefahr von den Gegnern Jesu vermutlich gering eingeschätzt. Normale und besonders fromme Leute kommen einfach nicht auf den genannten Hintergrund dieser Geschichte, vor allem, wenn sie von der Frage nach der Gesinnung der beteiligten Männer auch noch geschickt abgelenkt werden. Der Bezug zur Kreu­zigung wurde natürlich weggelassen, falls der über­haupt miterzählt wurde. Jedenfalls ist diese Geschichte wahrer als das ganze sonstige Johannes­evange­lium.

Ich bin nun durch Kontakte mit Bekannten, die sich mit Leuten aus der Halbwelt (Zuhälter!) mehr unterhalten hatten, darauf aufmerksam gemacht worden, dass diese Begebenheit die Geschichte einer verhinderten Bestra­fung einer unbotmäßigen Prostituierten ist – die umgebracht werden sollte, auch zur Warnung für alle anderen Frauen, dass sie nicht ähnlich unbot­mä­ßig sein sollten. Und Jesus, der ja mit Prostituierten befreundet war, hatte sich mit denen natürlich auch unterhalten, wie sie zu ihrem Job gekommen waren (sehr oft mit dem Zweizeugenverfahren der Zuhälter, die natürlich nach außen hin ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft waren: „Entweder du hat Sex mit uns – was den Einstieg in die Prostitution bedeutete – oder wir zeigen dich an, dass wir dich ertappt hätten, wie du Sex mit einem an­deren Mann als dem deinigen hattest, dann wirst du hingerichtet…“), also per perfider Erpressung.

Und das hatte er dann in öffentlichen Reden breit getreten und die Hinter­nänner der Unmoral zu seiner Zeit angeprangert und vielleicht sogar bei den Namen genannt – und auch, wie die Priester dabei wegsahen und nichts unternahmen und also an dem ganzen Desaster beteiligt waren. Und das muss so Usus in der ganzen damaligen gottesstaatlichen jüdi­schen Gesellschaft gewesen sein, es war also eine durch und durch „zu­sammengevögelte Gesellschaft“ (um es einmal mit den Worten des Ar­beiterschriftstellers Max von der Grün in seiner Kurzgeschichte „Frisöse“ deutlich und krass auszudrücken). Und Schuld war eben vor allem auch die damalige jüdische Priesterschaft, die direkt oder indirekt mitmachte…

Wir wissen, wie es diesem Jesus ergangen ist – die Mafia war stärker als er, schließlich hatte die auch die richtige Unterstützung von höchster Stelle! Und warum diese Mafia bis heute unser Denken nicht nur beeinflusst, son­dern sogar richtig beherrscht! Doch das kann man ändern!

Mehr dazu auf meiner Website www.michael-preuschoff.de. Für eine Kurzfassung siehe https://basisreli.lima-city.de/einf-deu.pdf.


Und hier eine Kritik vom Herausgeber des Maccoby-Buchs:

Die von keiner philologischen oder althistorischen Sachkenntnis getrübten Phantasien des Herrn Preuschoff verdienen eine knappe Richtigstellung.

Wollen wir irgendetwas Reales über Jesus wissen, z.B. ob er jemals lebte, eines natürlichen oder gewaltsamen Todes starb oder welche Ansichten er hatte, so stehen uns nur zwei Quellen zur Verfügung: das NT in Gestalt der Paulusbriefe und der (synoptischen) Evangelien sowie der historisch-gesellschaftliche Hintergrund, auf dem er tätig gewesen sein muß. Über letzteren sind wir ganz gut im Bilde, da zu seiner Zeit schon lange eine anspruchsvolle griechisch-römische Tradition der Geschichtsschreibung existierte, die – ein Glücksfall – speziell seine Zeit und Gegend in Gestalt der erhaltenen Werke des Flavius Josephus recht ausführlich behandelte, während die Evangelien eine ganze Reihe sowohl von inneren Unstimmigkeiten wie auch Widersprüchen zu eben jenem gesicherten Hintergrund enthalten (Maccoby-Leser wissen mehr).

Von Paulus erfahren wir über Jesus fast nur, daß er gekreuzigt wurde – d.h. auf die typisch römische Weise hingerichtet wurde, die exklusiv für widersetzliche Sklaven und antiimperialistische Aufständische vorgesehen war -, jedoch nichts über seine „Lehre“, Herkunft oder eventuelle Wundertaten. Nur das „Abendmahl“ teilt uns Paulus mit (die Evangelien übernehmen den Bericht zunächst fast wörtlich, schmücken ihn aber mit der Paulus noch ganz unbekannten Judaslegende aus – Paulus läßt z.B. kurz nach dem Tode Jesu die ZWÖLF Jünger zusammentreten, was alleine schon seine zeitliche Priorität beweist), läßt sich aber auffälligerweise die Kenntnis des Vorgangs nur per Vision zukommen, obwohl er sie sehr leicht von Augenzeugen hätte erhalten können, mit denen er öfters zusammengetroffen war, allerdings in nicht sehr freundlicher Weise. Ebenso fällt auf, daß Paulus z.B. das berühmte „Liebet eure Feinde“ aus einem spätbiblischen Text und dazu noch vollständig zitiert, wo es doch hätte naheliegen müssen, seine verstümmelte und dadurch grell überspitzte Form, in der es später (in der „Bergpredigt“ Jesus in den Mund gelegt wird, direkt auf diesen zurückzuführen, wenn Jesus diesen Grundsatz denn nun tatsächlich explizit vertreten hätte.

Woher will Preuschoff eigentlich wissen, daß Jesus die Unabhängigkeit des jüdischen Staates vom Imperium „höchstwahrscheinlich eher egal“ gewesen sein soll, wie er sehr kühn bis geradezu frech, auf jeden Fall aber beleglos behauptet? In diesem Fall wäre Jesus weder gekreuzigt worden – in innerreligiöse Angelegenheiten mischten sich die römischen Besatzer strikt nicht ein -, hätte sich vor allem aber niemals als Messias bezeichnet noch wäre er jemals als solcher bezeichnet worden. Denn auch der ungebildetste Jude der Zeit wußte genau, daß damit der in der (natürlich hebräischen) Bibel versprochene Befreier der Juden aus nationaler Unterdrückung gemeint war, weshalb in eben jener Bibel sogar Kyros – mit Recht! – einmal als „Messias“ bezeichnet worden ist. Die römische Niederlage im Teutoburger Wald hatte dem jüdischen Messianismus, von dem vorher längere Zeit wenig praktisches zu bemerken gewesen war, erheblichen Auftrieb gegeben; seither war Judäa chronisch der unruhigste Teil des Imperiums, wovon z.B. Pontius Pilatus ein Lied singen konnte.

Ganz absurd ist die Behauptung, für die etwa 70 Bibelbezüge der Evangelien (nicht „des NT“, darin sind noch weitaus mehr) habe man „Fachleute“, gar „Geld“ gebraucht. Diese Bezüge und noch viel mehr Biblisches waren jedem Mitglied der Pharisäerbewegung geläufig, denn in dieser Hinsicht war sie der frühprotestantischen, insbesondere calvinistischen Bewegung sehr ähnlich, und Jesus gehörte ihr zweifelsfrei an. Aber selbst in die Alltagssprache unserer analphabetischen mittelalterlichen Bauern sind über 70 Bibel- bzw. NT-Bezüge eingegangen, vom „langen Laban“ bis zum „Scherflein der Witwe“ beispielsweise.

Völlige Ignoranz verrät auch die Idee, die verhinderte Steinigung der „Ehebrecherin“ sei besonders jesustypisch gewesen, gar die einzige authentische Evangelienstelle. Schon die spätjüdische, aber vorchristliche Legende von Daniel und Susanna, eine Legende, die sozusagen die männliche „Me-Too“-Parallele der Zeit dadurch bekämpfen wollte, daß Verleumder die gleiche Strafe erhalten, die sie ihrem Opfer (evtl. auch beabsichtigtem Erpressungsopfer) zudachten, macht uns auf das Gegenteil aufmerksam. Und schon ein oberflächlicher Blick in den Talmud zeigt, daß es den Pharisäern (und ihren Jabne-Nachfolgern) darum ging, typisch biblische Inhumanitäten, insbesondere aber besagte Steinigungen, durch extreme Beweislasthürden bis hin zur Unmöglichkeit zu erschweren. Daß sie damit Erfolg hatten, demonstriert z.B., daß Mohammed den Juden das Unterlassen dieser Steinigungen streng vorwarf. (Es ist egal, ob er das wirklich einmal tat, aber diese frühislamische Behauptung zeigt, daß sie sie auch außerhalb des römischen Machtbereiches eben unterließen und damit frühislamisches Mißfallen auslösten.)

Das muß genügen; wie unseriös kann ein Mensch doch sein, wenn es um Religionsgeschichte geht!

Und hier eine Antwort von M.P vom 7.11.2024:

Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass ich mich nicht nur auf das Buch von Hyam Maccoby beziehe, sondern auch auf die Bücher von Christian Lindtner, Karl-Heinz Deschner. Und das Buch von Petra Reski lieferte dazu den Schlüssel, wie wahrscheinlich alles zusammen hängt.

Näheres  dazu unter Quellen! Anmerkung zur Auseinandersetzung mit Dr. Hoevels: Ich habe das Stichwort "Quellen" erst nach seinen Anmerkungen geschrieben, Dr. Hoevels  hatte das, was ich in dem Stichwort "Quellen" geschrieben habe, wie man über Jesus etwas herausbekommen kann, obwohl das Neue Testament ein offensichtlicher Betrug ist, bei seinen Anmerkungen also nicht gekannt.

Und ob Jesus tatsächlich gegen die Römer kämpfen wollte, ist belanglos, es dürften sich für so eine Unterstellung jedenfalls  immer genügend Belege finden lassen, wenn man nur lange genug sucht und welche finden will. Immerhin hatte Petrus ja angeblich ein Schwert bei sich, wenn das kein deutliches Indiz ist, dass Jesus mit seinen Männern gegen die Römer kämpfen wollte (!!!) – ansonsten war Jesus aber offensichtlich ohne irgendwelche militärischen Kenntnisse und ohne irgendwelche "militärischen Mittel". Auf alle Fälle können Gegner Jesu mit der Unterstellung einer Revolte sehr gut von innerreligiösen jüdischen Angelegenheiten ablenken, und sie brauchen die also gar nicht zu erwähnen. Und zudem ging es ja auch gar nicht um „innerreligiöse Angelegenheiten“, es ging um einen höchst kriminellen Missstand, den die Gegner Jesu bei einer Anzeige wegen einer geplanten Revolte natürlich nicht sagen konnten und wollten.

Und die über 70 Beziehungen zum Alten Testament? Die müssen ja auch geschickt in eine konstruierte Biografie eingebaut werden, das kann doch gewiss nicht jeder, da braucht es schon Fachleute, etwa um sich nicht in Widersprüche zu verwickeln – ich verweise auch hier auf die Argumentation Lindtners.

Ich bleibe jedenfalls dabei, dass die "Normalmenschen" damals im Griff einer Mafia waren, gegen die sich Jesus wortgewaltig engagiert hatte – und deswegen von dieser Mafia in Komplizenschaft mit der Priesterschicht aus dem Weg geräumt wurde. (Wie brutal-unmenschlich Priester sein können, erfahren wir ja heute aus dem Iran.)

Ich verstehe Herrn Dr. Hoevels hier nicht, dass er so kompromisslos eine solche Deutung der Geschichte Jesu ablehnt, immerhin ist die doch sehr plausibel, ich meine auch, sogar weitaus plausibler als die Version von der beabsichtigten Revolte Jesu gegen die Römer. Und wie schön, dass er bei der Ablehnung der Interpretation der Sünderin­geschich­te auf derselben Wellenlänge wie die etablierten Kirchen sein dürfte, die die Interpretation mit dem Engagement Jesus gegen eine frauenfeindliche oder zumindest frauenverachtende Mafia auch nicht mögen, allerdings das – nach meiner Erfahrung – lieber nicht offen sagen, um nicht selbst die eigene Frauenfeindlichkeit und Frauenverachtung oder zumindest Gleichgültigkeit gegenüber Mädchen und Frauen so deutlich zu offenbaren. Wie schön, dass Herr Dr. Hoevels hier den Kirchen zu Hilfe kommt, die Kirchen würden sich freuen, wenn sie davon erfahren. Herr Dr. Hoevels sollte einen hohen päpstlichen Orden bekommen!

Und zum Schluss muss ich Herrn Dr. Hoevels jedes Gefühl für Wissenschaftlichkeit absprechen! Denn ein guter Wissenschaftler weiß, dass alles auch immer ganz anders sein kann und dass jemand, der zu anderen Schlüssen kommt als man selbst, durchaus richtig liegen kann zumal wenn alles sehr unsicher ist, was man selbst sagt, und sehr plausibel ist, was der andere sagt ...

(Wörterbuch von basisreligion und basisdrama) Computer-Übersetzung des Buchs HONESTY AND FUN WITH THE MORALITY ins Englische unter English !