Der Apostel PAULUS ist erst mindestens zwanzig Jahre nach dem
Tod Jesu in den engsten
Kreis der Jünger Jesu aufgenommen worden. Er
entstammte der jüdischen Priesterschicht, also aus
den Kreisen, mit denen Jesus zu seinen Lebzeiten
sich in heftigster Auseinandersetzung befand (siehe
Pharisäer), und war von
antikem Denken und von der damaligen griechische Philosophie
beeinflusst. Teil
1: Geschrieben etwa 2002: Paulus kannte Jesus nicht persönlich, hat allerdings schließlich aus seiner eigenen Sichtweise einen so entscheidenden Einfluss auf die Lehre Jesu genommen, dass es möglich ist, dass er sie verfälscht hat. Doch es kann auch sein, dass er die Lehre Jesu noch am besten gekannt hat - und Paulus sich daher am besten eignet, dem wirklichen Jesus näher zu kommen. Im Prinzip hat Paulus nämlich richtig erkannt, dass Fehlverhalten in der Sexualität wie Prostitution, Seitensprünge, Homosexualität und Perversität nicht zum menschlichen Glück und zum Reich Gottes führen, und er verurteilt auch dies alles engagiert, vielleicht sogar zu engagiert (hatte er etwa sogar massive Leichen im Keller?). Vieles von seiner Theologie - vor allem in Römer 5,12ff ("Darum, wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben - denn bis zum Gesetz war Sünde in der Welt; Sünde aber wird nicht zugerechnet, wenn kein Gesetz ist. Aber der Tod herrschte von Adam bis auf Mose selbst über die, welche nicht gesündigt hatten in der Gleichheit der Übertretung Adams, der ein Bild des Zukünftigen ist...) - klingt auch durchaus danach, dass er von demselben redet, von dem der wirkliche Jesus vermutlich geredet hatte. Allerdings dürfte er das Anliegen des wirklichen Jesus (siehe Leben-Jesu-Forschung) von der Befreiung der Frau (und damit auch des Mannes) zu wirklicher Liebe und Partnerschaft (siehe Jesus und die Sünderin) und damit auch von der Gleichwertigkeit der Frau (siehe Emanzipation und Freiheit) nicht so recht verstanden haben, daher war ihm auch die Vorstellung Jesu von einer diesseitigen Einheit von Leib und Seele letztlich wohl nicht zugänglich. Jesus kann man eben eher als Praktiker sehen, der etwa die Lüge und die Heuchelei seiner Zeit lösen wollte, indem er alles schonungslos aufdeckte und Visionen entwickelte (siehe kriminologischer Ansatz) und Paulus eher als Theologen, der ein theologisches System daraus machen wollte. Vielleicht wird das Problem verdeutlicht, wenn ein Praktiker und ein Theoretiker vor einem kaputten Auto stehen: Der Praktiker sucht den Fehler und beseitigt ihn, notfalls kann er sich behelfen, weil der den Durchblick hat, damit das Auto wieder fährt, doch der Theoretiker macht über das Problem eine Doktorarbeit und geht bestenfalls zu Fuß los, um einen Abschleppdienst zu holen, und ermahnt die zurückbleibenden Mitfahrer, auf seine Rückkehr zu warten... Ich erinnere mich an meine Fahrt durch die Sahara, als der Kühler defekt war: Immerhin haben wir den Kühler mit unserem Bordwerkzeug und, was sich sonst fand, geflickt, zumindest so, dass wir fünf Stunden bis zur nächsten Werkstatt fahren konnten. Siehe auch Theorie und Praxis. Die Begründung des Paulus für die Ehe "Wegen der Gefahr der Unzucht soll jeder seien Frau haben und jede soll ihren Mann haben" (1 Korinther 7,2) lässt doch darauf schließen, dass er von Liebe und Partnerschaft überhaupt keine Ahnung hat, dass für ihn der Sex zwischen Eheleuten lediglich die Lösung des Problems Notgeilheit ist. Und auch seine Ausführungen über die Liebe im ersten Brief an die Korinther ("Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke...") klingen trotz aller Dringlichkeit jedenfalls recht papieren und fern von jeder eigenen positiven Erfahrung mit der Liebe, ganz im Gegensatz zu den Gesängen des Hohen Lieds im Alten Testament ("...wie schön ist deine Liebe, meine Schwester Braut; wieviel süßer ist deine Liebe als Wein, der Duft deiner Salben köstlicher als alle Balsamdüfte..."). Paulus vor allem war es wohl, der die theologische Grundlage für die christliche Urgemeinde mit dem Glauben an die Auferstehung des Christus des Glaubens und an ein Leben nach dem Tod legte (siehe Kerygma) und damit auch die Weichen für einen Glaubensinterpretation in Richtung Dualismus und Gnosis stellte, also für die Fehlentwicklung, unter der wir noch heute zu leiden haben. Möglicherweise hatte er die Auferstehung allerdings auch nicht so konkret gemeint... Siehe auch das HEFT "Erst einmal das Paradies erleben...", im Anhang S. 60:
„Es ist doch weit hergeholt, dass sich Jesus vor allem für eine Harmonie der Geschlechter einsetzte.“ Ein (weiteres) Argument für diese These ist der Vergleich „erster Adam“ und „zweiter Adam“ (= Jesus) im Römerbrief (12 ff) des Paulus. Paulus gibt vielleicht noch am besten das Anliegen Jesu wieder. Und wir wissen ja nach der Arbeit von Jan Heller, für was der erste Adam steht, nämlich für eine Gesellschaft ohne diese Harmonie der Geschlechter. Und von der hat uns nach Paulus doch Jesus befreit. Also steht Jesus zunächst einmal für ein Gegenkonzept zu dem der alten „Adam-Gesellschaft“! Und das ist eben diese Harmonie, die es allerdings nur geben kann mit festen und zuverlässigen „(Spiel-)Regeln“. Auf alle Fälle wurde der christliche Glaube durch die Theologie des Paulus so sehr beeinflusst, dass wir uns zwar immer noch "Jesusanhänger" oder auch "Christusanhänger" ("Christen") nennen, jedoch viel mehr "Paulusanhänger" ("Paulisten") sind. Denn wo ist denn der kriminologische Ansatz geblieben und mit ihm die Nachfolge Jesu, die doch darauf aufbauen müsste? Priester (und Pfarrer) sehen sich doch gewiss nicht mehr als Kämpfer im Sinne Jesu! Ein weiteres Problem der Schriften des Apostel Paulus ist, dass noch nicht einmal alle von ihm selbst stammen, so ist mit großer Wahrscheinlichkeit der Brief an die Epheser von einem Theologen verfasst, der glaubte, Paulus sehr gut zu kennen und unter seinem Namen eher Beachtung zu finden. Sie können auch einmal in eine
freikirchliche Seite schauen:
http://www.theologe.de/theologe5.htm ! Ob Jesus
allerdings Vegetarier war und Paulus daran schuld war,
dass die Christen wieder zum Fleisch zurückfanden,
wage ich doch zu bezweifeln...
Teil 2: Geschrieben im Februar 2019: Wie es so
ist, es ergeben sich immer weitere Erkenntnisse. Im
Rahmen der Bearbeitung des Buchs "Echte Monogamie von
der Vernunft her" (siehe www.michael-preuschoff.de)
bin ich auf die Bücher "Der Mythenschmied" von Hyam
Maccoby und "Zelot" von Reza Aslan gestoßen.
Maccoby sieht Paulus zunächst zwar durchaus richtig
als einen Agenten des Hohenpriesters, der die Anhänger
des Jesus in Damaskus verfolgen soll und der jedoch
auf dem Weg dorthin durch eine Offenbarung ein Bekehrungserlebnis hat. In
der Folge, so Maccoby, konstruiert Paulus einen
Mysterienglauben mit Jesus als Gottessohn und wird
antijüdisch (oder auch "antisemitisch") und immer mehr
Sympathisant der Römer, während die Anhänger Jesu
immer mehr antirömisch werden und auf eine Befreiung
von den Römern hoffen. Von einem Mysterienglauben
redet Aslan nicht, doch es läuft auch bei ihm "in
dieser Richtung" eines neuen Glaubens, der mit dem
Anliegen des wirklichen Jesus nichts zu tun hat. Ich
zitiere am besten beide Autoren. Ich möchte
dazu die entsprechenden Seiten aus dem Buch "Der
Mythenschmied" zitieren (ab S. 180):
Paulus aber sah
den Rat an und sprach: Ihr Männer, liebe Brüder,
ich habe mit allem guten Gewissen gewandelt vor
Gott, bis auf diesen Tag. Der Hohepriester aber,
Ananias, befahl denen, die um ihn standen, daß sie
ihn aufs Maul schlügen. Da sprach Paulus zu ihm:
Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand!
Sitzest du, mich zu richten nach dem Gesetz, und
heißest mich schlagen wider das Gesetz? Die aber
umherstanden, sprachen: Schiltst du den
Hohenpriester Gottes? Und Paulus sprach: Liebe
Brüder, ich wußte es nicht, daß er der
Hohepriester ist. Denn es steht geschrieben: »Dem
Obersten deines Volkes sollst du nicht fluchen.«
Da aber Paulus wußte, daß ein Teil Sadduzäer war
und der andere Teil Pharisäer, rief er im Rat: Ihr
Männer, liebe Brüder, ich bin ein Pharisäer und
eines Pharisäers Sohn; ich werde angeklagt um der
Hoffnung und Auferstehung willen der Toten, Da er
aber das sagte, war ein Aufruhr unter den
Pharisäern und Sadduzäern und die Menge
zerspaltete sich. (Denn die Sadduzäer sagen, es
sei keine Auferstehung noch Engel noch Geist; die
Pharisäer aber bekennen beides.) Es ward aber ein
großes Geschrei; und die-Schriftgelehrten von der
Pharisäer Teil standen auf, stritten und sprachen:
Wir finden » nichts Arges an diesem Menschen; hat
aber ein Geist oder ein Engel mit ihm geredet, ;
so können wir mit Gott nicht streiten. Da aber der
Aufruhr groß ward, besorgte sich der oberste
Hauptmann, sie möchten Paulus zerreißen, und hieß
das Kriegsvolk hinabgehen und ihn von ihnen reißen
und in das Lager führen. (Apg. 23,1-10)
Dieser Bericht enthält zahlreiche
ganz offenkundig unhistorische Details. Der
Sanhedrin war kein undisziplinierter Haufen, sondern
ein gesittetes Gremium, das seine Geschäfte mit
großer Schicklichkeit durchführte, immer im Einklang
mit den Vorschriften des Gesetzes: es ist doch sehr
auffällig, daß das Neue Testament, das sich sonst
andauernd darüber beklagt, daß die Juden im
allgemeinen, allen voran aber die Pharisäer, mit
übergroßem Eifer dem Gesetz anhingen, sie an dieser
Stelle so darstellt, als ob sie es schamlos
verhöhnen würden. Bestimmte Vorgänge können wir wohl
als historisch richtig aus diesem Bericht
herauslesen, z.B. die Darstellung, daß der
Hohepriester persönlich Paulus gegenüber feindselig
war, daß Paulus sich an die Pharisäer um Hilfe
wandte und erklärte, selbst Pharisäer zu sein und an
die Auferstehung zu glauben, insbesondere die
Auferstehung Jesu, ebenso wie den Bericht, daß, als
die Angelegenheit zur Abstimmung kam, die Pharisäer
ebenso wie im Falle des Petrus dafür stimmten,
Paulus freizusprechen mit dem Argument, Nazarener zu
sein, sei kein Verstoß gegen das Gesetz, und
möglicherweise sei den Nazarenern (wie Gamaliel
argumentiert hatte) eine Offenbarung Gottes zuteil
geworden. Bei seiner Darstellung von Petrus vor dem
Sanhedrin und der Rede den Gamaliel hat der
Verfasser der Apostelgeschichte einiges aus der
Atmosphäre der Debatte im Sanhedrin erhalten; im
vorliegenden Bericht aber, wo er zuzugeben gezwungen
ist, daß die Pharisäer Paulus gerettet haben, tut er
alles, um ihnen dieses Verdienst abzusprechen, und
tut so, als entspränge ihre Haltung bloßem
Parteigeist, der zu grotesker Zänkerei verkommen
ist. Trotz
dieser bösartigen Darstellung trägt der Vorfall dazu
bei, das Bild der Pharisäer, wie wir es in diesem
Buch gezeichnet haben, weiter ... Pharisäer
waren keineswegs Gegner der Jesusbewegung, ja, diese
war in Wirklichkeit Teil der Pharisäerbewegung. Es
war ausschließlich Anliegen des paulinischen
Christentums, das Ansehen der Pharisäer in den
Schmutz zu treten, indem sie sie im Neuen Testament,
der paulinischen Heiligen Schrift, falsch und
verzerrt darstellten. Unter den vier
Gerichtsverhandlungen, die im NT dargestellt werden,
nämlich diejenigen von Jesus, Stephanus, Petrus und
Paulus, welche alle vor dem Sanhedrin stattgefunden
haben sollen, können nur zwei, nämlich die von
Petrus und von Paulus, tatsächlich als echte
Sanhedrinprozesse gelten, und während beider zeigen
sich die Pharisäer auf der Seite von Humanität und
Toleranz. Darüber hinaus
zeigt die Verhandlung von Paulus endgültig, daß die
Vorstellung, die an einer früheren Stelle der
Apostelgeschichte vorgetragen wurde, nämlich, er sei
generell allen frommen Juden verhaßt gewesen, nicht
stimmen kann. Paulus' neue Lehren über Jesus waren
ausschließlich unter den Nazarenern bekannt. Der
Großteil der Juden, falls er Paulus überhaupt
kannte, hielt ihn für ein Mitglied der
Nazarenersekte und ging davon aus, daß er die
gleichen Lehren vertrat wie Petrus und Jakobus. Es
war also nicht schwer für Paulus, vor dem Sanhedrin
in die Rolle des frommen Pharisäers und Nazareners
zu schlüpfen, um sich auf
diese Weise der Unterstützung der Pharisäer zu
versichern. Die meisten
Bibelkommentatoren scheinen über die
Doppelzüngigkeit des Paulus bei diesem Anlaß
hinwegzugehen. Seine Behauptung, immer noch zu den
Pharisäern zu gehören, war schlichtweg eine Lüge,
und wenn seine wirklichen Ansichten bekannt gewesen
wären, hätten ihn die Pharisäer sicher nicht
unterstützt. Seine Strategie, allen alles zu sein,
mochte eine gewisse höhere Berechtigung im Rahmen
der Konvertitenanwerbung für den Glauben an Jesus
als den neuen Messias gehabt haben, aber vor dem
Sanhedrin ging es ausschließlich darum, seine eigene
Haut zu retten. In der erfundenen Geschichte über
Stephanus wird viel Gewese gemacht über dessen
Festigkeit bei der Bezeugung seines Glaubens
ungeachtet der Gefahr für Leib und Leben; warum
sollten wir im Vergleich dazu die Weigerung des
Paulus, für seinen Glauben einzustehen, bzw. seine
absichtliche falsche Darstellung desselben, so gar
nicht fragwürdig finden? Man muß zugeben, daß Paulus
kein Märtyrer war und sich der Wahrheit nicht einmal
besonders verpflichtet fühlte; er war zuallererst
und ganz überwiegend jemand, der es schaffte,
durchzukommen. Trotz seines unzweifelhaften Glaubens
an die Echtheit seiner Damaskusvision und der
folgenden Offenbarungen war er in bestimmten
Bereichen skrupellos, vor allem dann, wenn er der
Meinung war, die Sache des Herrn mache eine
Strategie der Täuschung nötig. Angesichts dessen,
wie sich Paulus während seiner Gerichtsverhandlung
verhielt, erstaunt es nicht weiter, daß er auch in
weniger brenzligen Situationen Lügen erzählte: so
z.B. sein Anspruch, aus dem Stammte Benjamin zu
kommen, oder dem, geborener Pharisäer und Sohn von
Pharisäern, oder dem, römischer Bürger von Geburt zu
sein (obwohl er dieses vielleicht gar nicht selbst
behauptet hat, da dieser Anspruch ihm nur von Lukas,
dem Verfasser der Apostelgeschichte, zugeschrieben
wird und sich nicht in seinen Briefen findet). Der Trick
jedenfalls, den er bei seiner Gerichtsverhandlung
anwandte, war höchst erfolgreich; er wurde
freigesprochen und entlassen. Die Darstellung der
Apostelgeschichte, nach der Paulus von römischen
Soldaten aus der Sitzung des Sanhedrin hätte
gerettet werden müssen, weil durch die
randalierenden Mitglieder des Rates sein Leben in
Gefahr gewesen wäre, ist schlicht unhistorisch. Der
Brief des Hauptmannes Claudius Lysias an den
Statthalter Felix erwähnt keinerlei Tumult im
Sanhedrin, sondern faßt einfach nur zusammen, daß
der Befehlshaber als Ergebnis der Verhandlung vor
dem Sanhedrin zu dem Schluß kam, daß »er beschuldigt
ward von wegen Fragen ihres Gesetzes, aber keine
Anklage hatte, des Todes oder der Bande wert« (Apg.
23,29). Der Verfasser der Apostelgeschichte hat
zweifellos diesen Brief in den Archiven gefunden und
ihn eingearbeitet, ohne daran zu denken, dass er in
mehreren Punkten dem widersprach, was er selber
behauptet hatte. Soweit Claudius
Lysias zu entscheiden hatte, war Paulus jetzt frei
und konnte gehen, wohin er wollte. Der Sanhedrin
hatte sich geweigert, ihn zu verurteilen, und da
Paulus bewiesen hatte, daß er römischer Bürger war
(vermutlich hatte er Papiere, die seine römische
Bürgerschaft dokumentierten), kam der Hauptmann
nicht auf den Gedanken, er könne der Auflehnung
gegen Rom schuldig sein - eine Schlußfolgerung, die
sich wegen seiner Verbindung zu den Nazarenern hätte
ergeben können. Wahrscheinlich hatte man den
Eindruck, Paulus müsse der friedlichen Fraktion der
Nazarener angehören und sei keine politische
Bedrohung, hatte er doch große Anstrengungen
unternommen, seine Rom-Freundlichkeit durch Erwerb
der römischen Bürgerschaft unter Beweis zu stellen.
Paulus war jedoch
keineswegs aus dem Schneider, denn unmittelbar
darauf erfolgte ein eindeutiger Mordversuch an ihm.
In der Apostelgeschichte sind natürlich wieder
einmal »die Juden« daran schuld. Zwar wird nicht
erklärt, wer diese »Juden« sein sollen, aber das ist
auch nicht nötig, denn im NT wird generell
vorausgesetzt, daß »die Juden« Feinde des Lichts
sind und immer darauf aus, jeden zu ermorden, der
sich als Anhänger Jesu erweist. Es sollten ja auch
»die Juden« gewesen sein, die Paulus schon vorher
angegriffen hatten und vor denen die Römer ihn
retten mußten, obwohl wir gute Gründe für die
Annahme kennengelernt haben, daß die Angreifer in
Wirklichkeit Judenchristen waren. Zum jetzigen
Zeitpunkt wäre es sicherlich schwierig gewesen, zu
erklären, warum Paulus nach seinem Freispruch durch
den Sanhedrin immer noch Gegenstand erbitterter
Feindschaft seitens ganz normaler frommer Juden sein
sollte, die doch Anhänger der Pharisäer waren und
deren Anordnungen befolgten. Wer waren also diesmal
diese »Juden«, die Paulus umbringen wollten? Wir
können nicht die gleiche Schlußfolgerung ziehen wie
in der Episode zuvor und davon ausgehen, diese
»Juden« seien Judenchristen gewesen, da ungeachtet
gewisser Versuche des Autors, den früheren Angriff
als versuchten Lynchmord darzustellen, in
Wirklichkeit klar ist, daß es sich im Gegenteil eher
um den Versuch handelte, Paulus vor Gericht zu
bringen. Die jüdischen Christen waren keine Mörder
oder ein lynchwütiger Mob, sondern fromme Juden, für
die es zum Verhaltenskodex eines anständigen
Menschen gehörte, daß niemand ohne ein Verfahren,
wie es das Gesetz vorschreibt, getötet werden dürfe.
Das Vorkommnis, nach der Verhandlung vor dem
Sanhedrin geht, ist nichts anderes als der Plan,
Paulus durch Mord zu beseitigen: Da es aber Tag
ward, schlugen sich etliche Juden zusammen und
verschworen sich weder zu essen noch zu trinken,
bis daß sie Paulus getötet hätten. Ihrer aber
waren mehr denn vierzig, die solchen Bund machten.
Die traten zu den Hohenpriestern und Ältesten und
sprachen: Wir haben uns hart verschworen, nichts
zu essen, bis wir Paulus getötet haben. So tut nun
kund dem Oberhauptmann und dem Rat, dass er ihn
morgen zu euch führe, als wolltet ihr ihn besser
verhören; wir aber sind bereit, ihn zu töten, ehe
denn er vor euch kommt. (Apg. 23,12-15)
Diese Verschwörer
können keine Judenchristen gewesen sein, nicht nur
wegen ihrer Mordbereitschaft, sondern auch wegen
ihrer Nähe zu den »obersten Priestern«, d.h. zum
Hohenpriester und seiner Umgebung. Der Schlüssel zur
Erklärung dieser Episode liegt in der Beteiligung
des Hohenpriesters. Es war Paulus gelungen, den
Judenchristen zu entkommen, dem Sanhedrin und den
Römern. Es gab aber noch einen Feind, mit dem er
rechnen mußte, dem tödlichsten von allen, dem
Hohenpriester, von dem Paulus aus eigener Erfahrung
wußte, daß ihm eine Truppe von Raufbolden und
Schlägern zu Gebote stand, die es gewohnt waren,
öffentlich inszenierte oder geheim durchgeführte
Morde zu begehen, um die Stellung des Hohenpriesters
als Gauleiter der Römer zu stabilisieren. Der
Hohepriester war nicht willens, Paulus ungestraft
davonkommen zu lassen, nachdem er – immerhin zwanzig
Jahre zuvor – desertiert war: er traf daher
Vorkehrungen, um ihn auszuschalten.
Der Verfasser der
Apostelgeschichte bringt natürlich wieder Verwirrung
in die Angelegenheit, indem er den Hohenpriester bei
der Planung des Mordes in Zusammenhang mit den
»Ältesten« und »dem Rat« bringt. Angesichts dessen,
dass er gerade beschrieben hat, daß Paulus von
ebendiesen »Ältesten« und ebendiesem »Rat« gerade
erst freigesprochen worden ist, hätte man annehmen
können, er hätte sich gescheut, sie in Verbindung
mit der folgenden Verschwörung zubringen; aber
innere Folgerichtigkeit oder gar Logik sind nicht
seine Stärke. Paulus
war jedoch einmal mehr so gewitzt, daß er dem
Hohenpriester entkam. Er erfuhr von dem Komplott und
konnte ihm ausweichen. Der Informant war sein Neffe,
aber Paulus war zweifellos längst klar gewesen, daß
seitens des Hohenpriesters Gefahr drohte; dafür
kannte er ihn und seine Methoden zu gut und hatte
seinen Freunden Anweisung gegeben, das Terrain für
ihn zu sondieren und ihm alle bedrohlichen Gerüchte
zuzutragen. Paulus drang beim römischen Befehlshaber
darauf, zweifellos unter erneuter Nutzung seines
Status als römischer Bürger, ihn aus der
Gefahrenzone heraus und unter bewaffneter Begleitung
von Jerusalem nach Caesarea zu bringen.
Doch selbst in
Caesarea war Paulus dem Hohenpriester noch nicht
ganz entkommen, der die Angelegenheit für wichtig
genug hielt, ihn bis nach dort zu verfolgen und
Anklage gegen ihn zu erheben: Über fünf Tage
zog hinab der Hohepriester Ananias mit den
Ältesten und mit dem Redner Tertullus; die
erschienen vor dem Landpfleger wider Paulus. Da er
aber berufen ward, fing an Tertullus zu verklagen
und sprach: Daß wir in großem Frieden leben unter
dir und viel Wohltaten diesem Volk widerfahren
durch deine Fürsichtigkeit, allerteuerster Felix,
das nehmen wir an allewege und allenthalben mit
aller Dankbarkeit. Auf daß ich aber dich nicht zu
lange aufhalte, bitte ich dich, du wolltest uns
kürzlich hören nach deiner Gelindigkeit. Wir haben
diesen Mann gefunden schädlich, und der Aufruhr
erregt allen Juden auf dem ganzen Erdboden, und
einen Vornehmsten der Sekte der Nazarener, der
auch versucht hat, den Tempel zu entweihen;
welchen wir auch griffen und wollten ihn gerichtet
haben nach unserm Gesetz. Aber Lysias, der
Hauptmann, kam dazu und führte ihn mit großer
Gewalt aus unsern Händen und hieß seine Verkläger
zu dir kommen; von welchem du kannst, so du es
erforschen willst, das alles erkunden, um was wir
ihn verklagen. Die Juden aber redeten auch dazu
und sprachen, es verhielte sich also. (Apg. 24,1-9) Es ist eindeutig,
daß die Anklage des Hohenpriesters gegen Paulus auf
ein politisches und nicht auf ein religiöses
Vergehen zielt; zugrunde liegt die Behauptung,
Paulus stelle eine Gefahr für die römische
Herrschaft dar, deren Vorzüge der Vertreter des
Hohenpriesters in servilen Wendungen preist.
Trotzdem kann der Verfasser der Apostelgeschichte
der Versuchung nicht widerstehen, die »Ältesten« ins
Spiel zu bringen (diesmal schreibt er allerdings
freundlicherweise nur von »einigen« Ältesten) und
schließlich schon wieder »die Juden«. Der Gebrauch
der Kollektivbezeichnung »die Juden« in der
Apostelgeschichte, der diesbezüglich nur vom
Johannesevangelium übertroffen wird, trägt ganz
wesentlich zur allgemeinen antisemitischen Wirkung
des Buches bei, obwohl viele Details bei näherer
Betrachtung der Absicht des Autors widersprechen.
Die »Ältesten« des Sanhedrin hätten keinerlei Grund
gehabt, sich an diesem Fall und in diesem Stadium
überhaupt zu beteiligen, nachdem der Sanhedrin
Paulus hinsichtlich aller religiösen Anklagen
freigesprochen hatte. Wer »die Juden« in diesem Fall
sein sollen, ist noch weniger ersichtlich als
gewöhnlich (die Juden von Caesarea vielleicht?), und
sie tauchen hier nur auf, um die allgemeinen
Anschuldigungen des Textes gegen die Juden als
solche zu verstärken. Obwohl der
Hohepriester eine politische Anklage vorbringt (und
sogar einen römischen Anwalt mit diesem Fall
betraut), fügt er als nachträgliche Überlegung noch
die Anklage wegen eines religiösen Vergehens hinzu,
nämlich, Paulus versucht, »den Tempel zu entweihen«.
Diese Anklage war von den »Juden aus Asien« als
ersten erhoben worden - auch hier in einer Art
nachträglicher Überlegung -, die Paulus zunächst auf
dem Tempelgelände öffentlich angegriffen und
angezeigt hatten (Apg. 21,28). Bemerkenswerterweise
wird diese Anklage jedoch während der Verhandlung
vor dem Sanhedrin nicht erwähnt. Es spricht daher
einiges dafür, daß dieser Vorwurf eigentlich erst
seitens des Hohenpriesters in Caesarea erhoben wurde
und vom Verfasser der Apostelgeschichte nachträglich
in die Anzeige der »Juden von Asien« eingefügt wurde
(mit der holperigen Begründung, sie hatten Paulus in
der Gesellschaft des Heiden Trophimus durch
Jerusalem gehen sehen und fälschlicherweise
angenommen, er hätte diesen Heiden in jene
Tempelbezike mitgenommen, die für Heiden verboten
waren). Der Hohepriester beschuldigt Paulus, ein
Unruhestifter zu sein und darüber hinaus nicht nur
gegen römische Gesetze, sondern auch gegen seine
eigene Amtsgewalt im Tempel irgendwie vorstoßen zu
haben. Auch das, so würde der römische Statthalter
annehmen, hatte mehr den Charakter des
Unruhestiftens als den der Stellungnahme zu
religiösen Fragen. Möglicherweise finden wir hier
einen Nachhall der Anklage, die man gegen Jesus
erhob und später gegen Stephanus: sie hätten nämlich
gegen den Tempel gepredigt) und erklärt er sei dazu
bestimmt, zerstört und wieder aufgebaut zu werden,
eine Prophezeiung, die typisch für messianische
Bewegungen ist. Der Hohepriester fügt dieses Detail
nur deshalb hinzu, um sein Bild von Paulus als
prominenter Gestalt in einer ketzerischen und
rebellischen, gefährlichen Messiasbewegung
abzurunden. Die Anklage des
Hohenpriesters bestätigt auf diese Weise, daß er
einen persönlichen Rachefeldzug gegen Paulus
verfolgt, weil dieser aus dem pro-römischen Lager
desertiert ist. Es kommt dem Hohenpriester gar nicht
in den Sinn, daß Paulus in Wirklichkeit nach wie vor
pro-römisch gesinnt ist, weil dessen persönliche
Interpretation des Glaubens an Jesus gänzlich
unpolitisch ist und keinerlei Erfüllung auf Erden im
Sinne eines unabhängigen Judäa mit einschließt. Für
den Hohenpriester sind alle Nazarener ein
politisches Ärgernis, und dieser spezielle Nazarener
ist ihm am verhaßtesten, weil er von der Partei der
Kollaborateure desertiert ist und sich dem
Widerstand angeschlossen hat. Diese Rede des
Hohenpriesters ist ein weiterer wertvoller Beweis
für die Einstellung der Nazarener, wie wir sie in
diesem Buch herausgearbeitet haben, und sie zeigt,
daß die Jesusbewegung von Jerusalem ausgesprochen
politische Zielsetzungen hatte. Der Statthalter
beschloß jedoch, Paulus nicht auszuliefern, sondern
ihn unter Beobachtung zu halten, einesteils wegen
dessen Eigenschaft als römischer Bürger, zum
anderen, weil er die Vermutung hatte, daß Paulus
über reichlich Geld verfügte, und selber hoffte,
sich einen Teil davon zu verschaffen. Es ist sehr
wohl möglich, daß Paulus dem Statthalter Felix
tatsächlich ein Bestechungsgeld gab und sich
deswegen bis zum Ende von dessen Statthalterschaft
zwei Jahre später unbehelligt in Caesarea aufhalten
konnte. Als der neue
Statthalter, Festus, eintraf, fing der Hohepriester
wieder mit seiner Anklage gegen Paulus an und
brachte sie so energisch vor, daß Paulus einen neuen
Ausweg finden mußte, um sich zu retten: er verlangte
ein Verfahren vor dem Kaiser in Rom, wozu er als
römischer Bürger berechtigt war. Es folgt nun in der
Apostelgeschichte ein »Bühnenstück«, in dem Paulus
vor den jüdischen Titularkönig Herodes Agrippa II.
gebracht wird und seine Ansichten so beredt
vertritt, daß der König ihn voll und ganz bewundert
und scheinbar drauf und dran ist, selbst Christ zu
werden. Diese ganze Episode atmet eine romanhafte.
Atmosphäre, wirkt ganz und gar unecht und steckt
voller unhistorischer Einzelheiten. Herodes Agrippa
II., dessen Vater, Herodes Agrippa I, den
Nazarenerführer Jakobus, Sohn des Zebedäus, hatte
hinrichten lassen, konnte wohl kaum so blauäugig
sein, daß er gar nichts von den politischen Zielen
der Nazarener-Bewegung wußte, die ja immerhin auch
für seine eigene Herrschaft eine Bedrohung
darstellte (da sie die Dynastie der Herodianer nicht
als rechtmäßige Könige anerkannte). Dennoch erhebt
er keine Einwände gegen die unpolitische Darstellung
der Jesus-Anhänger durch Paulus, der behauptet,
deren Ziel sei ausschließlich, Israel zur inneren
Umkehr aufzurufen, im Einklang mit dem, was Jesus
angestrebt habe, der nicht als Messiasgestalt
dargestellt wird. Lukas, der Verfasser der
Apostelgeschichte, hatte einen Hang zum Romancier
und konnte der Versuchung nicht widerstehen, die
farbigen Charaktere des Herodes und seiner Schwester
Berenike einzuführen sowie gleichzeitig seinem
Helden Paulus die Gelegenheit zu geben, mit einer
feierlichen Ansprache deren Achtung und
Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Paulus wurde also
nach Rom geschickt, wie er das verlangt hatte, um
sich dort einer vom Hohenpriester vorgebrachten
Anklage wegen Illoyalität gegenüber Rom zu stellen.
Um Verstöße gegen die jüdische Religion konnte es in
der Anklage nicht gehen, denn derlei hätte den
römischen Kaiser wohl schwerlich interessiert.
Lukas, der ja in cap. 24 die vom Hohenpriester
vorgebrachte Anklage ganz eindeutig als politisch
charakterisiert hatte, ordnet sie in 25,19 und 28,22
wieder unter »Verstoß gegen die Religion« ein. Sonst
wäre es ihm nämlich nicht möglich, »die Ältesten«
und »die Juden« wieder mit einzubeziehen, denen die
Schuld an den Schwierigkeiten von Paulus in die
Schuhe geschoben werden soll, gerade so, wie sie ja
schon für die Leiden Christi verantwortlich gemacht
worden waren. Was mit Paulus in
Rom geschah, wissen wir nicht. Es ist sehr
wahrscheinlich, daß es ihm gelang, den römischen
Behörden einzureden, er habe alle Verbindungen zu
der aufrührerischen Nazarenerbewegung gekappt, deren
Schwerpunkt ja in Jerusalem lag. Allerdings könnte
der schwerwiegende Verstoß gegen seine Amtspflichten
im Dienste Roms damals in Damaskus erheblich gegen
ihn gesprochen haben. Daß er römischer Bürger war,
könnte dagegen hilfreich gewesen sein, um seine
dauerhafte Bindung an Rom trotz seiner damaligen
Verfehlung zu beweisen. Nach der Legende, die die
Kirche später verbreitete, erlitt Paulus in Rom den
Märtyrertod, doch diese Geschichte verdient kein
Vertrauen. Es kann sehr gut sein, dass er bis ins
hohe Alter weiterlebte und die heidenchristliche
Kirche weiter aufbaute, deren Grundlagen er gelegt
und für die er seinen großen Einfallsreichtum und
seine ganze Person eingesetzt hatte."
"Als Saulus von
Tarsus Jerusalem verließ, um jene Hellenisten zu
finden und zu bestrafen, die nach der Steinigung des
Stephanus nach Damaskus geflohen waren, wünschte er
den Jüngern immer noch Mord und Totschlag an den
Hals. Saulus war vom Hohepriester nicht dazu
aufgefordert worden, Jagd auf diese Anhänger Jesu zu
machen; er tat es aus freien Stücken. Als
gebildeter, Griechisch sprechender Diasporajude und
Bürger einer der reichsten Hafenstädte des römischen
Imperiums war Saulus ein eifriger Diener des Tempels
und der Tora. «Ich wurde am achten Tag beschnitten,
bin aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein
Hebräer von Hebräern», schreibt er über sich selbst
in einem Brief an die Philipper, «lebte als
Pharisäer nach dem Gesetz, verfolgte voll Eifer die
Kirche und war untadelig in der Gerechtigkeit, wie
sie das Gesetz vorschreibt.» (Phil 3,5-6) Auf dem Weg nach
Damaskus hatte der junge Pharisäer jedoch ein
ekstatisches Erlebnis, das alles für ihn veränderte
und durch welches er den bis dahin verhassten
Glauben selbst annahm. Als er sich mit seinen
Reisebegleitern den Stadttoren näherte, traf ihn
plötzlich ein Licht aus dem Himmel, das alles um ihn
herum hell erleuchtete. Er stürzte zu Boden. Eine
Stimme sagte zu ihm: «Saul, Saul, warum verfolgst du
mich?» «Wer bist du,
Herr?», fragte Saulus. Die Antwort
schallte durch das grelle weiße Licht: «Ich bin
Jesus.» Geblendet durch
diese Vision, gelangte Saulus nach Damaskus, wo er
einem Anhänger Jesu namens Ananias begegnete, der
ihm die Hände auflegte und seine Sehfähigkeit
wiederherstellte. In diesem Augenblick fielen Saulus
buchstäblich die Schuppen von d den Augen, und er
wurde vom Heiligen Geist erfüllt. Unverzüglich ließ
er sich taufen und schloss sich der Jesus-Bewegung
an. Er änderte seinen Namen in Paulus und begann
sofort damit, von dem auferstandenen Jesus zu
predigen - und zwar nicht seinen jüdischen
Mitbürgern, sondern den Nichtjuden, die von den
wichtigsten Missionaren der Bewegung bis zu diesem
Zeitpunkt mehr oder weniger ignoriert worden waren.
Die Geschichte von
Paulus' dramatischer Wandlung auf der Straße nach
Damaskus ist freilich nichts weiter als eine
propagandistische Legende aus der Feder des
Evangelisten Lukas; Paulus selbst erwähnt nirgends,
dass er vom Lichte Jesu geblendet worden sei. Wenn
man den Überlieferungen Glauben schenken darf, war
Lukas ein junger, begeisterter Anhänger von Paulus:
Er ist in zwei Briefen erwähnt, Kolosser und
Timotheus, die allgemein Paulus zugeschrieben
werden, jedoch lange nach dessen Tod verfasst
wurden. Lukas schrieb die Apostelgeschichte 30 oder
40 Jahre] nach Paulus' Tod als eine Art Lobrede auf
seinen früheren Meister. Tatsächlich ist die
Apostelgeschichte weniger ein Bericht über das
Wirken der Apostel als eine ehrfurchtsvolle
Paulus-Biographie; schon früh im Buch verschwinden
die Apostel und dienen kaum mehr denn als Brücke
zwischen Jesus und Paulus. In Lukas' Neuauslegung
ist Paulus - weder Jakobus noch Petrus, Johannes
oder ein anderer der Zwölf- der wahre Nachfolger
Jesu. Die Aktivitäten der Apostel in Jerusalem sind
lediglich ein Vorspiel zu Paulus Wirken in der
Diaspora. Obgleich Paulus
keinerlei Details über seine Konversion preis; gibt,
beharrt er doch regelmäßig darauf, er habe den
auferstandenen Jesus mit eigenen Augen gesehen und
dass ihn diese Erfahrung mit derselben apostolischen
Autorität ausstatte wie die Zwölf. «Bin ich nicht
ein Apostel?», schreibt Paulus zur Verteidigung
seiner Legitimation, die von der Urgemeinde in
Jerusalem regelmäßig angezweifelt wird. «Habe ich
nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen?» (1 Kor 9,1)
Paulus mag sich
selbst als Apostel betrachtet haben, aber es
scheint, als hätten nur wenige andere führende
Mitglieder der Bewegung seine Meinung geteilt. Nicht
einmal Lukas, Paulus' Lobhudler, dessen Schriften
einen bewussten, geschichtlich unhaltbaren Versuch
offenbaren, den Status seines Mentors in der
Frühkirche zu heben, bezeichnet ihn als Apostel. Was
Lukas betrifft, gibt es 1 nur zwölf Apostel, einen
für jeden Stamm Israels, so wie Jesus es vorgesehen
hat. In seiner Erzählung davon, wie die
verbleibenden elf Apostel Judas Iskariot nach Jesu
Tod durch Matthias ersetzen, schreibt Lukas, dass
der Neuling einer «von den Männern» habe sein
müssen, «die die ganze Zeit mit uns zusammen waren,
als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging,
angefangen von der Taufe durch Johannes bis zu dem
Tag, an dem er von uns ging und (in den Himmel)
aufgenommen wurde» (Apg 1,21). Eine solche
Anforderung hatte Paulus von vornherein
ausgeschlossen, da er sich erst um das Jahr 37 der
Bewegung angeschlossen hatte, also fast zehn Jahre
nach Jesu Tod. Doch davon lässt sich Paulus nicht
beirren. Er verlangt nicht nur, als Apostel
bezeichnet zu werden - «Wenn ich für andere kein
Apostel bin, bin ich es doch für euch», verkündet er
seiner geliebten Gemeinde in Korinth (1 Kor 9,2) -,
sondern beharrt obendrein darauf, weit höherstehend
als alle anderen Apostel zu sein. «Sie sind Hebräer
- ich auch. Sie sind Israeliten - ich auch. Sie sind
Nachkommen Abrahams - ich auch. Sie sind Diener
Christi - jetzt rede ich ganz unvernünftig -, ich
noch mehr: Ich ertrug mehr Mühsal, war häufiger im
Gefängnis, wurde mehr geschlagen, war oft in
Todesgefahr.» (2 Kor 11,22-23)
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