1. Das Phänomen der ersten Enttäuschung (oder: Religionsstunden sind keine Kinderstunden)

Beatrix und Martina sollen demnächst zur Firmung gehen.

Martina hat so ihre Probleme mit dem Unterricht...

Martina: Also, wenn es meine Eltern nicht unbedingt wollten, ginge ich ja gar nicht mehr zu dem Unterricht hin. Was man da lernt, ist ja sowieso alles langweilig und erfunden, und fürs Leben ist das schon gar nichts. Na, wenigstens hat man ja Aussicht auf ein paar Geschenke, es wird sich zwar nicht so lohnen wie bei der Erstkommunion, aber immerhin. Vor allem gibt es einiges ja heutzutage in bar!

Beatrix: Hast du einmal überlegt, daß das meiste, was man bei solchen Festen geschenkt bekommt, überflüssig ist und das andere bekäme man früher oder später auch sowieso geschenkt. Du scheinst also irgendwie die ganze Sache nicht richtig zu sehen, vermutlich liegt das an deinem Unterricht. Also, bei uns hat der Unterricht schon etwas mit unserem Leben zu tun. Wir besprechen da Dinge, die man einfach wissen muß, wenn man vernünftig leben will.

Martina: Ha, ha, ha, für dich vielleicht, für mich sind das überflüssige Märchenstunden!

Beatrix: Dann lies doch einmal, was das Mädchen hier aufgeschrieben hat, wenn das ein Märchen ist... Das Mädchen da hat doch Dinge mitgemacht, von denen es ganz schön fertig war. Und dadurch war sein Leben dann erst einmal ganz schön kaputt.

Und bei unserem christlichen Glauben geht es doch darum, daß wir lernen, die Fehler, die einem das Leben kaputtmachen - hier heißen diese Fehler allerdings etwas altmodisch “Sünden" -, rechtzeitig zu erkennen und sie dann eben nicht zu machen.

Martina: Hör' mir doch bloß mit den Sünden auf, da redet man uns doch nur ein, ob ich vielleicht “unandächtig gebetet", “etwas Unanständiges gedacht habe" oder ob ich gar “meine kleine Schwester gezankt" habe.

Beatrix: Da hat man dir aber offenbar leider etwas als Sünde verkauft, was damit im christlichen Sinn nichts oder wenigstens nicht viel zu tun hat. Ich kann nicht begreifen, wieso so etwas immer noch erzählt wird.

Martina: Da bin ich aber gespannt, was dir da eingeredet worden ist.

Beatrix: Ich glaube eher, du hast gar keine Ahnung vom wirklichen Leben. Das ist natürlich auch nicht verwunderlich, wenn deine Lehrer überhaupt mit solchen Kindersünden angefangen haben, von denen du mir da gerade erzählt hast.

Da ist dein Firmunterricht wohl eher eine Kinderstunde. Denn so etwas sind sicher keine Sünden!    

Was eine Sünde ist, merkst du daran, wenn du hinterher nicht mehr so richtig schlafen kannst.

Zum Glück kommt das alles erst später auf einen zu. Doch es ist unbedingt notwendig, daß man sich frühzeitig darüber Gedanken macht, weil man es dann vielleicht anders machen kann. Natürlich sind auch wir jungen Leute heute nicht mehr ganz so unwissend, doch vieles wird einem immer noch nur zu oft verschwiegen, so daß man erst gar nicht lernt, darüber nachzudenken.

Daher zeige ich dir jetzt einmal die Gedanken, die einem Mädchen bei und nach seinem enttäuschenden ersten Liebeserlebnis durch den Kopf gegangen sind, lies sie einmal, dann reden wir weiter!

Martina liest...

Das Phänomen der “Enttäuschung".

Ja, wie war das damals, als alles anfing? Natürlich wußte ich “alles" über die Liebe oder meinte wenigstens, es zu wissen, im Grunde hingen mir die ganzen angeblich so wohlgemeinten Belehrungen längst zum Hals heraus und daher habe ich dann irgendwann einmal bei jedem Gespräch darüber auf Durchzug gestellt. Ich konnte diese dämlichen Ratschläge einfach nicht mehr hören, die einen sagten, daß die Männer alle schlecht sind und daß man am besten warten sollte und die anderen, daß man nicht soviel Aufhebens machen sollte, daß “das" doch etwas ganz Normales sei, was obendrein noch Spaß macht. Vielleicht war es deswegen auch wichtig für mich, daß ich nicht irgendwelche kitschigen und überholten Gefühle an mich heranließ und daß ich cool war oder zumindest so tat. Und deswegen konnten mich irgendwann einmal schon fast alle die mal...., die da meinten, mir meine Erfahrungen ausreden zu müssen. Sind Erfahrungen nicht der einzig richtige Weg, cool zu werden, und muß nicht jeder seine Erfahrungen selbst machen, kann man nicht nur durch Erfahrungen lernen?

Etwas Angst hatte ich dann doch vor der Entjungferung, vielleicht würde das bei mir doch noch weh tun, doch das mußte ja wohl irgendwann sein, bloß nicht erst in der Hochzeitsnacht und schließlich war es ja schon fast peinlich, zugeben zu müssen, daß man noch Jungfrau war - hieß das nicht auch, daß man schissig und unselbständig und eben nicht cool war und daß einen keiner wollte, wenigstens kein Vernünftiger?

Ach und dann das doofe Gelabere vom Reinfallen. Wie sicher war ich mir doch, daß ich schon merken würde, bei wem da eine Gefahr sein könnte. Also, Spanner und Exhibitionisten und ähnliche kaputte Typen würden bei mir keine Chance haben. Daher war natürlich für mich auch völlig klar, daß mich nur derjenige einmal angucken dürfte, den ich wirklich liebte und der mich wirklich liebte. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wie vernünftige Leute so pervers sein konnten, keine Scham zu haben und ihre Intimsphäre so einfach zur Schau zu stellen.

Was ich von Kondomen hielt? Im Grunde brauchten die ja wohl nur diejenigen, die nicht treu sein konnten und die daher öfter oder zumindest ab und zu mal ihre “One-night-stands" hatten. Daß ich da nicht ganz konsequent dachte, fiel mir nicht weiter auf, denn irgendwann fand ich schon mal Jungen dufte, mit denen ich gern näher zusammen gewesen wäre, die ich jedoch nie hätte heiraten wollen. Also müßte ich eigentlich doch Kondome brauchen?

Warum auch nicht, es war ja auch offensichtlich ganz normal...

Doch warum sollte ich überhaupt über alles soviel nachdenken, sollte man nicht die Gefühle erst einmal auf sich zukommen lassen, sind da nicht im Grunde alle Planungen sinnlos, weil sowieso alles anders kommt?

Ob ich an die Liebe auf den ersten Blick glaubte? Wir lästerten zwar darüber und machten uns lustig, doch insgeheim träumte ich schon davon. Warum auch nicht, darf man denn noch nicht einmal träumen? Sollte das wirklich so falsch sein, was da in einem Deutschbuch als kitschig eingestuft und uns mies gemacht wurde? Denn wenn an solchen Sätzen nichts dran wäre und wenn Leute das nicht kauften und läsen, würden solche Bücher ja gar nicht geschrieben werden: “Er stand da, wie vom Blitz getroffen, als er sie sah", oder: “Als sie ihn dort sitzen sah, wußte sie, das ist der Mann, den ich mein Leben lang gesucht habe", oder: “Diese Frau sah er zum erstenmal, aber sie war ihm sofort bekannt und vertraut, es war keine Fremdheit, obwohl er sie noch nie gesehen hatte". Das alles sollte nur eine falsche Fährte sein? Wie sollte man denn anders jemanden kennenlernen, bei dem es auch so richtig funkt? Schließlich kann man doch nicht mit jemandem etwas anfangen, den man gar nicht liebt? Und daß außer einem Blick meist gar nichts sonst mehr da sein würde - und daß dieser Blick irgendwann von allein aufhören würde - das war doch alles nur Miesmacherei!

Oder hatte ich doch alles nicht so recht durchschaut? Hatte man mir das Entscheidende am Ende doch nicht gesagt?

Nein, reingefallen bin ich nicht, oder etwa doch? Meinen Freund hatte ich mir doch selbst ausgesucht. Und es war doch auch alles toll, wir paßten gut zusammen und er sah gut aus und hatte auch einen guten Charakter. Das merkte ich doch alles. Woran ich das merkte? Wie kann jemand nur so fies fragen - das merkt man einfach! Jedenfalls meinte ich das damals.

Eines Tages passierte es dann eben doch. Ach es war schon schön, wie wir da so richtig romantisch miteinander waren und irgendwann auch keine Hemmungen mehr voreinander hatten, schließlich wollte ich es ja auch. Nein, vorausschaubar war das nicht, was dann alles passierte und auf mich einstürzte. Jedenfalls schienen die Zärtlichkeiten immer mehr nur eines zu fordern: Weiter, mehr! Warum eigentlich noch Widerstand leisten - wir lieben uns doch und jetzt bloß keinen Rückzieher!

Und dann das Eindringen des Gliedes in die Scheide - der jähe Sturz! Oh Gott, was habe ich da zugelassen, was habe ich angerichtet! Ich hatte ja gar nicht einmal Spaß an der Sache! Jetzt verstehe ich, das ist das, wovor mich alle gewarnt haben, wobei aber auch alle wieder herumredeten! Ja, jetzt weiß ich auch, um was es “dem anderen" ging - nicht um mich, sondern um seine Befriedigung! Und mit dem ein Leben lang? Unvorstellbar! Der interessiert sich doch gar nicht richtig für mich - die ganze angebliche Liebe von dem, wenn das nicht nur ein gut eingefädelter Bluff war? Doch ich hatte es ja gewollt...

Aber wie soll's weitergehen? Was sage ich dem nächsten? Jetzt glaubt mir niemand mehr, wenn ich zu ihm sage: “Dich liebe ich als einzigen!", nie mehr die richtige Liebe! Und wie sicher war ich meiner Sache - wie meinte ich, auf alle Ratschläge verzichten zu können... Und wie ließ ich mich beschwatzen, daß heute alles anders sei... Alles gelogen! Ob die anderen alle auch so etwas

erlebt und dann gelogen haben, um nicht zugeben zu müssen, wie blöde sie waren? Natürlich, so wird es sein und ich muß da jetzt auch mitmachen. Und so werde ich vielleicht jetzt auch mal “One night stands" brauchen und um Kondome nicht herumkommen...

Ob ich jetzt auch zu denen gehöre, über die geredet wird, wie sie herumzukriegen waren? Ich habe einmal gehört, daß es sogar Typen geben soll, die in ihrem Kalender Striche machen, wieviele Jungfrauen sie umgelegt haben. Und ist mein Freund überhaupt ein wirklicher Freund - oder einer, der jetzt triumphiert, daß er es “geschafft" hat und der wieder einmal einen Strich im Kalender macht?

Warum nur hat mir das alles vorher niemand so richtig gesagt?

Die Gedanken, die so auf einen Menschen einstürmen oder vielmehr so richtig einhämmern, sind Menschheitserfahrungen und sind absolut zeitlos. Jeder in ähnlicher Situation erfährt sie, ob heute, ob vor zweitausend Jahren, ob vor viertausend Jahren, ob er an Gott glaubt oder nicht.

Aber das Leben geht weiter. Durch gute Erfahrungen kann so manches ausgeglichen werden, selbst wenn eine unschöne innere Narbe ein Leben lang bleibt. Doch die guten Erfahrungen müssen schließlich auch irgendwoher kommen! Ob man am Ende jetzt noch den Männern hinterherlaufen muß, die einem früher sogar gleichgültig waren und die man sogar verachtet hatte? Was ist, wenn die das merken und einen jetzt auch noch ausnutzen?

Früher tröstete man sich, daß für den bußfertigen “Sünder" nach dem Tod in der Herrlichkeit bei Gott alles besser würde -  und heute? Man tröstet sich vor allem damit, daß es den anderen genauso geht. Nur nicht nachdenken, nur nicht zur Besinnung kommen, vergessen! (Verdrängen?) Am besten, man läßt sich nichts anmerken und macht, was alle machen und stürzt sich von einem Vergnügen ins nächste, man redet sich lautstark heraus mit den “Erfahrungen", die angeblich jeder haben muß und die Kennzeichen einer modernen Emanzipation sind. Was bleibt einem auch anderes übrig? Man würde den Ratschlägen der Kirche zu Reue und Gebet ja gerne Folge leisten, wenn nicht schon alle Empfehlungen der Kirche bisher unbrauchbar gewesen wären, ja was soll das auch bringen.... Von der Kirche hatte man doch gar keine Unterstützung erfahren!


Anmerkung: Diese Gedanken sind nicht wiedergegeben, um den bereits Betroffenen ihr Herz noch schwerer zu machen. Doch hat mich eine ehemalige Schülerin darauf hingewiesen, daß die Schilderung einer Enttäuschung unbedingt in ein Buch über Liebe und Ethik hinein gehört: “Warum sagt das alles nur keiner sonst? Ja, hätte man das doch alles vorher gewußt! Und schließlich sollen auch die Jungen sehen, was sie anrichten." In gewisser Weise geht es den Jungen bei ihrem “ersten Erlebnis" übrigens oft genauso.

Ich habe dann noch gefragt, ob die Gefühle eines Mädchens, das in derselben Situation war und die Goethe in seinem Schauspiel “Faust" vor etwa zweihundert Jahren in ein Gebet gefaßt hat, vielleicht auch heute noch “stimmen". Die Antwort war: “Es ist noch schlimmer". Hier das Gebet:

                        Ach neige,

                        Du Schmerzensreiche,

                        Dein Antlitz gnädig meiner Not!

                        Das Schwert im Herzen,

                        Mit tausend Schmerzen

                        Blickst du zu deines Sohnes Tod.

                        Zum Vater blickst du,

                        Und Seufzer schickst du

                        Hinauf um sein' und deine Not.

                        Wer fühlet,

                        wie wühlet

                        Der Schmerz mir im Gebein?

                        Was mein armes Herz hier banget,

                        Was es zittert, was verlanget,

                        Weißt nur du, nur du allein!

                        Wohin ich immer gehe,

                        Wie weh, wie weh, wie wehe

                        Wird mir im Busen hier!

                        Ich bin, ach! kaum alleine,

                        Ich wein, ich wein, ich weine,

                        Das Herz zerbricht in mir.

                        Die Scherben vor meinem Fenster

                        Betaut ich mit Tränen, ach!

                        Als ich am frühen Morgen

                        Dir diese Blume brach.

                        Schien hell in meine Kammer

                        Die Sonne früh herauf,

                        Saß ich in allem Jammer

                        In meinem Bett schon auf.

                        Hilf rette mich vor Schmach und Tod!

                        Ach neige,

                        Du Schmerzensreiche,

                        Dein Antlitz gnädig meiner Not!

Beatrix: Da siehst du, so sieht das mit der Liebe nämlich aus, wenn man keinen Durchblick hat. Da passiert halt das so, und man kann noch nicht einmal richtig was dafür.

Martina: Also ich wüßte genau, mit wem ich das mache, und daß mir nicht so etwas passiert, wie dem Mädchen, das da die Gedanken aufgeschrieben hat. Aber das hat doch alles noch Zeit, warum soll ich mich darum heute schon kümmern?

Beatrix: Das Problem ist nur, daß es dir dann wahrscheinlich genauso ergeht. Das kommt nämlich davon, wenn man keine Ahnung hat und daher unvorbereitet ist. Dann läuft das leider üblicherweise alles schief.

Martina: Aber es ist doch noch schlimmer, wenn man erst später in einer Ehe merkt, daß man nicht zusammenpaßt?

Beatrix: Du hast recht, im Endeffekt ist es egal, wann man merkt, daß man reingefallen ist, vor der Ehe oder wenn die Ehe längst da ist. Reingefallen ist nun einmal reingefallen.

Martina: Da siehst du, das kann man eben vorher nicht herauskriegen!

Beatrix: Alles eine Frage der Intelligenz, für mich ist es einfach unvorstellbar, daß uns die Natur so fehlerhaft erschaffen hat, daß wir so etwas immer erst herauskriegen können, wenn es zu spät ist und schon viel kaputt ist.

Martina: Und wie soll man das herauskriegen bitte?

Beatrix: Indem man sich erst einmal für die Realität interessiert. Die Leute, die reinfallen, haben nämlich üblicherweise eine rosarote Brille auf und sehen daher gar nicht die Wirklichkeit – und daher muß diese Brille nun einmal runter, das ist wohl die erste wichtige Sache im Leben.

Martina: Man muß doch aber auch mal seine Erfahrungen machen, kann man nicht nur durch Erfahrungen lernen?  

Beatrix: Immer dieses blöde Gequatsche von den sogenannten Erfahrungen. Hast du mal überlegt, was die, die so reden, damit meinen? Das sind doch nur Ausreden dafür, daß sie dumm waren und reingefallen sind. Leider rückt vor allem durch jede dieser sogenannten Erfahrungen in Wirklichkeit die wirklich schöne und wunderbare Liebe, für die wir Menschen sicher von der Natur geschaffen sind, in immer weitere Ferne.

Martina: Ich kann mir das immer noch nicht vorstellen, wenn ich etwas nicht tun will, dann will ich das doch nicht.

Beatrix: So dachte das Mädchen auch, doch so einfach ist das bei dieser Sache nun einmal nicht. Jeder hat doch bisher geglaubt, daß ihm selbst das nicht passiert. Wieso soll ihm das eigentlich nicht auch passieren, solange er sich nicht wirklich anders verhält?

Martina: Und was soll man da nun machen?

Beatrix: Du mußt immer bedenken: Hinterher wissen es alle besser – es vorher zu wissen und sich danach zu verhalten, das ist die Kunst!

Und um das zu schaffen, ist Information die Grundvoraussetzung. Hör einmal genauer hin, wie Jungen über so etwas denken und auch reden, wenn du Gelegenheit hast. Von der Seite der Jungen sieht das nämlich manchmal völlig anders aus.

Weiter zu: 2. Erstes Interview mit einem Jungfrauenknacker

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