30.  Zurück zur Natur - Nacktheit und Selbstbewußtsein.

 

Martina: Wenn es mir nach ginge, möchte ich am liebsten einmal so richtig ausflippen, so mit blauen Haaren, irren Fetzen, Piercing an allen unmöglichen und möglichen Stellen. Und natürlich auch ein paar coole Tätowierungen. Ich glaube, ich mache das auch einmal.

Beatrix: Und was sagt deine Mutter dazu?

Martina: Ach die, die hält mich sowieso für bekloppt. Dabei hat die sich ja selbst auf blond gemacht und auch tätowieren lassen. Die hält mir immer vor, was dann die Nachbarn sagen würden und daß ich mich selbst besonders wegen der Tätowierungen wahrscheinlich einmal später ärgern würde.

Beatrix: Ich habe da auch meine Probleme mit solchen äußerlichen „Verschönerungen". Ich war einmal mit ein paar Klassenkameradinnen über Karneval in Paris. Und natürlich wollten die unbedingt dort auch in eine Disco gehen. Auf Empfehlung eines Studenten, den wir auf der Straße trafen, fanden wir dann eine direkt neben dem Louvre, da war sogar für Frauen freier Eintritt, allerdings machte die erst um Mitternacht auf. Was haben wir uns für Mühe gegeben, uns toll anzuziehen und zurecht zu machen - und dann sahen wir doch aus wie die Dorfpomeranzen! Wer den Pfiff eben nicht hat, der hat ihn nicht - und dann wirken alle Anstrengungen doch nur lächerlich.

Martina: Und du meinst, daß ist mit den blauen Haaren auch so?

Beatrix: Wenn du die brauchst, mußt du sie dir natürlich färben, sonst fehlt dir etwas, und du liegst neben der Rille. Doch du solltest einmal an dir selbst überprüfen, was der wahre Grund für deinen Drang ist, dir das alles anzutun. Nimm mir es nicht übel, wenn ich da auf unser altes Thema zurückkomme. Ein Indiz mag da sein, ob du - natürlich dort, wo es üblich ist - unter fremden Menschen wirklich frei und ungezwungen nackt sein kannst. Oder kannst du das nicht, hast du davor Schiß?

Martina: Ich weiß, worauf du hinaus willst. Es könnte ja nämlich sein, daß das mit den blauen Haaren und den teuren Fetzen so eine Art Ersatzbefriedigung ist

Beatrix: Und zwar eine, an der die Industrie natürlich größeres Interesse hat, weil damit dann Geschäfte gemacht werden können.

Martina: Wenn ich dagegen das mit der Nacktheit mache, könnte ich dann so tolle Erfahrungen mit dem Selbstbewußtsein haben, daß ich solche Verkleidungen gar nicht mehr brauche.

Beatrix: Die Industrie wird sich darauf einstellen müssen.

Martina: Wenn ich mir so überlege, was du da alles sagst, dann fällt mir ein, daß ich auch in unserer Nachbarschaft Leute kenne, die so ähnlich reden. Die fahren im Sommer immer ans Meer und erzählen begeistert, wie toll das ist, wenn sie dort so frei und ungezwungen sein können - und da gehört für die auch das Nacktsein dazu. Wir haben uns bisher in unserer Familie immer lustig darüber gemacht.

Beatrix: Das mit dem Lustigmachen ist sicher Standpunktsache. Irgendwo kann man sich ja über alles lustig machen. Es genügt schon, wenn es anders ist. Vernünftig nachdenken können dann die meisten Menschen sowieso nicht.

Martina: Na ja, die haben das ja auch immer so komisch begründet, so mit Einheit von Mensch und Natur, daß man von daher dann viel anspruchsloser würde. Mich haben sie auch schon versucht zu überreden, da einmal mitzukommen, erst wenn ich nämlich da einmal mitgemacht hätte, könnte ich mitreden. Und ich würde sehr schnell merken, wie schön das sei, so unmittelbar mit Sonne, Luft und Wasser in Kontakt zu sein, das könnte man sonst nie so erleben. Außerdem wäre die Gefahr gebannt, daß man sich wegen der nassen Badesachen eine Unterleibskrankheit holt, weil man die nach dem Baden nicht gleich auszieht. Und die weißen Streifen sähen ja schließlich auch nicht sonderlich ästhetisch aus.

Beatrix: Obwohl das mit den weißen Streifen ja beispielsweise stimmt, hast du dich natürlich nicht getraut.

Martina: Wieso auch? Was hätten denn meine Eltern und Freunde von mir denken sollen? Außerdem ist das mit der Natur doch wohl nur ein Vorwand, letztlich geht es da ja doch immer bei so etwas um Spannerei. Oder das ganze klingt sogar eher nach Sekte.

Beatrix: Da kann sicher etwas dran sein, so wie du das sagst. Da muß gewiß noch der Hintergrund einer funktionierenden emanzipierten Ethik dazukommen, sonst bleibt das ganze irgendwie hohl und leer.

Martina: Wenn man beides zusammen sieht, dann sieht das schon anders aus. Komisch, daß unsere Nachbarn davon noch nie etwas gesagt haben.

Beatrix: Vielleicht haben die im Zwischenmenschlichen auch ihre Probleme und für die ist der ungezwungene Umgang mit der Natur so eine Art Ersatz für das, was ihnen sonst fehlt.

Martina: Das könnte stimmen.

Beatrix: Aber das spricht ja nicht dagegen, daß auch die Kombination von Natur und zwischenmenschlicher Harmonie geht, ja daß das vielleicht erst recht der Knüller ist.

Martina: Das klingt gut.

Beatrix: Sieh einmal: Wir reden heute zwar immer viel von Natur, wir wollen natürlich essen, natürlich wohnen, natürlich schlafen, natürlich atmen und die Umwelt möglichst wenig belasten. Doch das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß viele Menschen heute ein absolut gestörtes Verhältnis zur Natur haben. Sie können mit der Natur oft nicht viel anfangen, es sei, daß sie sie regelrecht konsumieren wie sie sich selbst gegenseitig konsumieren. So brauchen sie immer mehr Klamotten, immer größere Wohnungen, in denen sie sich von der Natur abkapseln können, immer teurere und größere Autos und kommen gar nicht auf die Idee, zu Fuß zu gehen oder radzufahren. Und wenn sie das machen, dann müssen es auch die teuersten Schuhe oder das teuerste Fahrrad sein. Einfach leben und improvisieren, das geht nicht. Ich habe schon einmal erlebt, daß ein Mädchen auf einer Wanderung in fürchterliche Schwierigkeiten kam, weil sie nicht wußte, wie sie hinter Büschen ihre Notdurft verrichten konnte. Witzig ist auch, wie viele Menschen gerade ans Mittelmeer fahren, um dort dann lediglich im Swimmingpool des Hotels herumzuplanschen. Na, und sich einmal ohne die vier Wände eines Badezimmers in der Natur zu waschen, da geraten viele doch in panische Ängste. Dabei könnte so ein gegenseitiges Duschen auf einem naturnahen Ausflug doch ein irrer Spaß sein.

Martina: Ich glaube, ich hätte da auch manchmal meine Ängste, besonders was du da mit dem Badezimmer sagst. In freier Natur wäre ich da wohl ziemlich hilflos.

Beatrix: Ob nicht ein geändertes Verhältnis von Mensch zu Mensch auch unser Verhältnis zur Natur positiv beeinflussen könnte? Ob wir dann nicht auch die Natur mehr genießen könnten ohne sie nur so zu benutzen, ob nicht am Ende das eine das andere auch steigern könnte?

Martina: Gut, das wäre vielleicht ein Ziel für Leute in den Ferien. Ob das aber alles den Aufwand wert ist? Na ja, es gäbe vielleicht weniger Scheidungen und uneheliche Kinder und Verbrechen in der Ehe, doch weltbewegend ist das alles im Endeffekt doch nicht. Da gibt es doch ganz andere Zusammenhänge.

Beatrix: Ich würde da nicht so schnell urteilen. So klar, was letztlich was beeinflußt, ist nun nichts. Bedenke einmal, was ich da neulich gehört habe, daß es in manchen Kriegen für die Soldaten angeblich wichtiger war, Frauen zu vergewaltigen statt Beute zu machen. Und jetzt stell dir einmal vor, die Soldaten hätten nicht nur gewußt, wie schön das mit dem Anti-Streß-Hormon ist, sondern sie hätten auch ihre Erfahrungen damit und wollten keinesfalls die Vergewaltigung fremder Frauen oder sonstigen Sex. Denn nicht zuletzt „verderben" sie sich ja auch selbst damit für die eigenen Frauen zu Hause.

Martina: Dann hätten die natürlich nicht vergewaltigt, sondern hätten die Situation des Kriegs allenfalls genutzt, mit den feindlichen Frauen im Sinn dieser Hormone zu „experimentieren".

Beatrix: Und jetzt stell dir vor, es handelt sich dabei um üblicherweise verschleierte Araberinnen - positiv wäre dabei natürlich auch ein gepflegtes Gespräch - soweit möglich.

Martina: Die fänden das vielleicht gar nicht so schlimm.

Beatrix: Noch mehr: Die fänden das nämlich toll! Die wären schließlich sogar so begeistert von den fremden Soldaten, daß sie die den eigenen Männern vorziehen und auf alle Fälle als Beispiel hinstellen würden. Und das würde sich herumsprechen - und die Frauen würden schon die Ankunft der fremden Soldaten sehnsüchtig erwarten, um solchen Umgang zwischen Mann und Frau auch einmal zu erleben. Soll ich dir sagen, wozu solche Behandlung der Frauen im Endeffekt führt? „Die da oben" hätten Angst vor solchen „Verschwisterungen" von „denen da unten" - und würden Kriege gar nicht mehr stattfinden lassen. Vielleicht wäre den Menschen ganz allgemein auch egal, wenn sie unter einer fremden Herrschaft leben müßten - wenn diese nur wirklich gut und angenehm und sogar „paradiesisch" ist. Was wollen wir eigentlich mehr?

Martina: Wie du mir das alles so toll mit der Problematik der Sexualscham erklärst, dann frage ich mich langsam: Gibt es denn überhaupt keine Gründe dafür?

Beatrix: Vermutlich ist das so wie beim Hexenwahn. Da gab es am Ende - so vor etwa 200 Jahren - keine Gründe mehr dafür. Außer - daß es „schon immer“ so war, daß man ja nicht „immer“ geirrt haben konnte.

 

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