Zum Shintoismus aus dem Lexikon
Microsoft® Encarta® Enzyklopädie Professional 2003 (allerdings ohne Bilder)
1. EINLEITUNG
Shintoismus (japanisch shinto: Weg der Götter), auch Schintoismus, Kami no
michi oder Shinto; japanische Nationalreligion. Das Erleben der Seele und der
Natur sowie die damit verbundene Naturverehrung und der Ahnenkult bilden das
religiöse Fundament des Shintoismus, der kein theologisches System ausgebildet
hat. Der Shintoismus beeinflusste vor allem durch die strenge Normenbildung
(Pflichterfüllung, Ehrlichkeit, Selbstbeherrschung) sowie durch das Ideal des
Magokoro (des lauteren Herzens) und des Bushido (Kriegerethik) die ideologischen
Wertvorstellungen und die signifikanten Verhaltensstrukturen der japanischen
Gesellschaft.
2 GLAUBEN UND PRAXIS
Der Ursprung des shintoistischen Glaubens liegt im Mythos der Göttin Izanami und
des Gottes Izanagi, die als die Schöpfer Japans gelten, begründet: Izanagi
machte den Sturmgott Susanoo zum Herrn des Meeres, übergab die Nachtherrschaft
an den Mondgott Tsukiyomi und die Himmelsherrschaft an die Sonnengöttin
Amaterasu, die wiederum ihren Enkel Ninigi zum Herrscher über Japan ernannte.
Ninigi ist der göttliche Ahnherr der bis heute regierenden japanischen
Kaiserdynastie; der Kaiser (Tenno, Himmelsherrscher) ist das Oberhaupt der
japanischen Gesellschaft.
Shintoismus ist eine polytheistische Religion, d. h. eine Vielzahl von Göttern
oder Geistern (Kami) werden von den Gläubigen verehrt: lokale Berg- oder
Flussgötter ebenso wie die Sonnengöttin Amaterasu. Hinzu kommen
Naturerscheinungen, verehrungswürdige Platze wie z. B. die Gräber der Ahnen
sowie die Person des Kaisers. Diese Orte erhalten numinosen Charakter und sind
sehr zahlreich. Der Begriff des Kami bezeichnet einen nicht näher bestimmten
„Geist”, dem eine geheime Identität und Lebenskraft innewohnt (Tama). Japan wird
daher oft als das „Land der acht Millionen Kami” bezeichnet.
Zu unterscheiden sind drei Shinto-Richtungen: der Schrein-, Sekten- und
Volks-Shintoismus. Die Gläubigen des Schrein-Shintoismus versuchen mit dem Kami
auf vielfältige Weise zu kommunizieren, verehren ihn und versuchen ihn gnädig zu
stimmen. Der Schrein, der ein Schwert, einen Spiegel, einen Stein oder den
„Körper” des Kami repräsentieren kann, ist der Mittelpunkt einer shintoistischen
Gemeinde. Kleine Familienaltäre, Bildnisse am Wegesrand, aber auch größere
Anlagen bezeugen die Verehrung für den Kami. Die ersten Kultstätten waren an
einem markanten Ort entstanden und mit einem Seil aus geflochtenem Stroh oder
einer Astgabel, den Torii, gekennzeichnet. Erst später wurden Gebäude errichtet.
Auch ein heiliger Berg kann als Schrein oder Leib eines Gottes angesehen werden.
Eine Vereinigung der Shintoschreine pflegt und verwaltet einige Großschreine wie
den Ise-Schrein oder den zu Ehren des Kriegsendes erbauten Yasukuni-Schrein in
Tokyo. Die Priesterschaft geht häufig vom Vater auf den Sohn über.
Für den Volks-Shintoismus steht neben dem Gehorsam, der Ehrlichkeit und der
Treue die Reinheit im Vordergrund seiner Glaubenspraxis. Viele Rituale (Kegare)
folgen diesem Gebot, damit sich der Gläubige von Unreinheiten befreit. Frauen
während ihrer Menstruation und Kranken sowie Verwundeten ist die Teilnahme am
Umzug verwehrt. Lange war es Frauen überhaupt untersagt, heilige Berge zu
betreten. Viele Kami werden auf die Misogi des Urgottes Izanagi zurückgeführt,
als dieser sich nach einem Besuch in der Hölle reinigte.
Shintoistische Feste folgen dem Verlauf der Jahreszeiten und des menschlichen
Lebens. Nach der Geburt eines Kindes wird ein Kami als Schutzpatron erwählt. Zur
Feier des Shichi-go-san (sieben-fünf-drei) am 15. November beten dann die
fünfjährigen Jungen sowie die drei- bis siebenjährigen Mädchen am Miya, im
erlauchten Haus bzw. dem Schrein der Kami für Gesundheit. Bei der Hochzeit wird
am Kami-Schrein gebetet, aber auch bei ganz alltäglichen Gelegenheiten, um
Beistand zu erbitten. Am Geburtstag des Schreines (Rei-sai) tragen die Gläubigen
den Mikoshi (tragbaren Schrein) in einer Prozession durch die Gemeinde.
Neben der Ehrerweisung im Gebet gibt es einen Opferritus, um den Zorn der Kami
abzuwenden. Dazu gehören z. B. Speiseopfer (Reis, Sake, Fisch, Obst, Gemüse)
oder bewusst schlichte kultische Handlungen wie die Überbringung eines
Kirschbaumzweiges verbunden mit rituellen Gebeten.
Der Sekten-Shintoismus entstand im 19. Jahrhundert (siehe unten). Bis zu 200
Sondergemeinschaften, die von einem starken Synkretismus geprägt waren,
existierten bis zum Ende des 2. Weltkrieges.
3 SCHRIFTEN
Der Shintoismus zählt nicht zu den Offenbarungsreligionen und besitzt daher auch
keine göttlich geoffenbarten Schriften. Heilige Bücher sind in erster Linie
historische Darstellungen: z. B. das mythische Geschichtswerk Kojiki mit seinen
712 Berichten und das Nihon shoki dokumentieren die Genealogien der Götter
Izanagi und Izanami. Alte Zeremonien- und Gebetssammlungen (Norito) legen die
Liturgie fest, der Engi Shiki (905-927) ist eine Sammlung von
Regierungsvorschriften und enthält Anweisungen für den Umgang mit dem Schrein.
Im 13. Jahrhundert wurden von Priestern verschiedene andere Quellen zu den Fünf
Büchern des Shinto (Shinto Gobusho) zusammengefasst, die nur den Priestern
vorbehalten waren.
4 GESCHICHTE
Der Shintoismus entstand während der Yayoizeit (siehe Japan: Geschichte) und
vereinte animistische Vorstellungen mit Elementen des Schamanentums. Erst im 6.
Jahrhundert erhielt der neue Glauben seinen Namen, wobei die konfuzianischen
Ideen des Tennotums und der chinesische Begriff Shendao (japanisch Shinto) zur
Unterscheidung vom buddhistischen Butsudo (Weg des Buddhas) übernommen wurden.
Zunächst wurden noch die kultischen Handlungen nach denen des Buddhismus
ausgebildet, der sich nach seiner Einführung 522 in Japan rasch verbreitet
hatte.
Seit 645 wurde der Shintoismus vom japanischen Kaiserhaus und von den führenden
Clans übernommen, die ihre Kami zu nationalen Gottheiten erhoben. Ab dem 8.
Jahrhundert wurden beide Glaubensrichtungen miteinander verbunden, und die Kami
wurden als Inkarnationen Buddhas oder Bodhisattvas verstanden, da der Legende
nach Amaterasu sich selbst 743 im Ise-Schrein als Teil des kosmischen Buddha
Vairocana offenbart hatte.
So entstanden buddhistische Tempel auf dem Gelände der Shintoschreine. Nur in
Hauptzentren, wie z. B. beim Ise-Schrein, konnte sich der ursprüngliche
Shintoismus erhalten; es entstand eine Synthese auch mit anderen
Glaubensrichtungen.
Im 13. Jahrhundert entstanden in Ise und Kyoto erstmals Lehren, die den
Shintoismus ausdrücklich vom Buddhismus unterschieden. Der Watarai Shinto trug
den Namen einer Priesterfamilie und betonte die Bedeutung des Gebets und der
universellen Kami-Natur, jenes Schöpfergeistes, dem der gesamte Kosmos,
inklusive der Buddhas, unterstehe. Yoshida Kanemoto, der Nachfahre einer anderen
Priesterfamilie, gab der shintoistischen Lehre einen systematischen Aufbau. Nach
seiner Lehre war der Shintoismus die Grundlage aller übrigen Religionen, und
seine Schule Yoshida Shinto konnte sich 1603 nach der Errichtung des
Tokugawa-Schogunats nur zögerlich gegenüber dem vorherrschenden Synkretismus
behaupten. Die Kokugaku-Schule, die im 17. Jahrhundert aus dem Yoshida Shinto
entstanden war, betrieb philologische Studien der alten Texte wie des Kojiki,
und es gelang ihr vor allem die nationale Tradition neu zu beleben. Der neu
entfachte Patriotismus nahm vor allem Einfluss auf die Regierung. Motoori
Norinaga war der wichtigste Vertreter des so genannten Fukko („wiederbelebten”)
Shinto, einer militanten nationalistischen Bewegung, die sich vor allem gegen
das Vordringenden europäischer Mächte in den westpazifischen Raum wandte. Die
Vertreter des Fukko Shinto sahen im japanischen Volk die einzigen Abkömmlinge
der Sonne, die dazu auserwählt seien, über die gesamte Welt zu herrschen.
Die radikalen Fukko-Shinto-Kräfte, die während der Meiji-Reform von 1868 sich
gegenüber dem Tokugawa-Schogunat behaupteten, machten den Shintoismus zum neuen
Staatsglauben. In einem kaiserlichen Gesetz von 1871 wurde die Trennung vom
Buddhismus besiegelt: Buddhistische Bilder mussten aus Shintoschreinen entfernt
werden, auch aus dem kaiserlichen Palast. Die Priester ernannte man zu
staatlichen Beamten, ein Ministerium für religiöse Fragen regelte alle
Angelegenheiten des offiziellen Staatsshintoismus. Der Volksglaube blieb zumeist
unangetastet; auch verschiedene shintoistische Sekten aus dem Edo-Zeitalter
durften weiter bestehen.
1932 wurden die Shintoschreine zu nichtreligiösen Einrichtungen erklärt. Damit
sollte der allgemeine Patriotismus gefördert werden. Der Staatsshintoismus wurde
zum ideologischen Fundament des Militärregimes der dreißiger Jahre. Nach der
japanischen Niederlage 1945 verfügten die amerikanischen Besatzungseinheiten die
Auflösung der Staatsreligion. Die meisten Schreine organisierten sich 1946 neu
und bildeten die Vereinigung der Shintoschreine, deren Mitglieder zumeist
private Stiftungen waren. Der kaiserliche Staatskult wurde fortan als privater
Ritus der Kaiserfamilie angesehen. In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg entstanden
über 80 verschiedene, zumeist weltweite Gemeinschaften des Shintoismus.
Kommentar und Ergänzung unter
Shintoismus.
(Wörterbuch von
basisreligion und basisdrama)
|