Persien vor der Revolution – 1972 und 1973 (?) auf dem Landweg

Bei einer Zugfahrt im Frühjahr 1972 nach und durch Griechenland traf ich auf einen Mitreisenden, der mir begeistert von seinen Fahrten mit Linienverkehrsmitteln (Bahn und Bus) in den Iran, so der offizielle Name, berichtete. Skeptisch hörte ich zu und stellte viele Fragen – und recht bald war auch ich so weit: So etwas mache ich auch! Und auch schon im selben Sommer war es soweit...

Erstes Ziel war Istanbul - per Bahn. Da ich zu dieser Zeit in Innsbruck studierte, hatte ich schon einmal eine kürzere Anfahrt, und teuer war die Fahrt auch nicht, weil ich die mehr oder weniger langen Halte auf den Grenzbahnhöfen immer nutzte, jeweils nationale Fahrkarten zu kaufen. Doch war es auch kein Problem, Fahrkarten im Zug zu kaufen, in Bulgarien klappte das sogar gegen DM vorzüglich (einfache Fahrt quer durch Bulgarien DM 25,---). In der Türkei war es dann wieder sinnvoll, das Stück bis Istanbul mit bereits bei uns gekauften türkischen Lira zu bezahlen. Diese Stückelei der Fahrkarten lohnte sich schon – das Geld, das man dabei sparte, war leicht verdientes...

Und jetzt zitiere ich wörtlich meine Aufzeichnungen von 1975: „Istanbul allein ist schon eine Reise wert und man sollte daher unbedingt einige Tage unterbrechen. Wer nicht zu hohe Ansprüche stellt, findet für weniger als DM 5,-- pro Nacht und Person in der Nähe der Hagia Sophia recht ordentliche Unterkunft. (Überhaupt: Die einfachen Gasthäuser in der Türkei und in Persien sind nicht teuer; allerdings empfiehlt es sich, einen dieser Jugendherbergsleinenschlafsäcke mitzunehmen und zu verwenden, denn manchmal ist alles für unsere Ansprüche doch nicht so sauber... Anmerkung: Inzwischen, also viel später, habe ich mir in China einen solchen Schlafsack aus Seide schneidern lassen, der hat den Vorteil, dass er absolut leicht ist...)

Hagia Sophia, Bosporus – mit Liniendampfern ein wundervolles Erlebnis und dazu noch billiger als hierzulande die Straßenbahn – Blaue Moschee, Serail, Basar, Yerebatanzisterne und vieles andere mehr sind einfach ein Muß. Auch in der weiteren Türkei gibt es viel zu sehen, in meinem Programm stehen wenigstens schon einmal die Felsenkirchen von Ürgüp-Göreme. Das Verkehrsmittel in der Türkei sind die Autobusse privater Autobusgesellschaft, die für uns spottbillig sind, so kostet das Ticket für die rund 1700 km von Istanbul bis Erzurum, der letzten größeren Stadt in der Osttürkei vor der persischen Grenze, etwa DM 22,-. Moderne Mercedesbusse brauchen dafür etwa 24 Stunden. Bei der Buchung der Busfahrkarten, die zugleich Platzkarten sind, sollte man auf vernünftige Plätze achten, so sollte man Plätze in der letzten Reihe, in der die Lehnen nicht zu Liegesitzen zurückklappbar sind, zurückweisen. Sorgen um die Verpflegung während der Fahrt sind überflüssig, die Busse halten an Raststätten, wo leckeres und billiges Essen schnell serviert wird. Auch passt der Fahrer schon auf, dass niemand zurück bleibt. In den Bussen gibt es immer so eine Art Steward, der nach jedem Halt den Fahrgästen Eau de Cologne zur Erfrischung in die Hände spritzt und hin und wieder auch Trinkwasser in mit Stanniol verschlossenen Flaschen verteilt.

Sprachschwierigkeiten sind in der Türkei recht selten: Fast immer findet sich jemand, der als Gastarbeiter in Deutschland war oder noch ist und der sich freut, helfen zu können. In Persien dagegen ist Englisch sehr hilfreich, gut ist natürlich derjenige dran, der sich wichtige Redewendungen in der Landessprache, die ja als indogermanische Sprache unseren europäischen Sprachen sehr nahe steht, eingeprägt hat. Ich hatte später förmlich Spaß daran, mich bei den verschiedenen Busgesellschaften in Persien nach Abfahrzeiten und Fahrpreisen auf persisch zu erkundigen...“

Ab hier scheint es mir wieder sinnvoll, wenn ich in diesen Bericht einiges aus der Sicht viele Jahre später einarbeite: Bei meiner ersten Fahrt in den Iran nahm ich die Strecke über Van am Vansee und fuhr ab dort wieder mit der Eisenbahn. Es war schon ein irres Gefühl, als die persische Diesellokomotive mit dem Löwen mit dem Schwert vor der aufgehenden Sonne auf dem Wappen in Van eintraf und auf den Zug wartete, der ohne Lokomotive auf einer Eisenbahnfähre über den Vansee eintraf. Die Wartezeit nutzte ich zu einem Bad in dem stark sodahaltigen See... Und dann ging es über die neueste Eisenbahnstrecke, die Persien seit kurzem an das europäische Eisenbahnnetz anschloß; an vielen Stellen wurde noch gearbeitet! (Bei einer weiteren Fahrt nach Persien fuhr ich dann per Bus, Busse gehen täglich, während die Bahn nur einmal wöchentlich verkehrt, es ist wichtig, sich gleich bei der Ankunft in Erzurum, von wo die Direktbusse in etwa 24 Stunden vorbei an der großartigen Kulisse des Ararat nach Teheran fahren, um die Busfahrkarte zu kümmern!)

 Erste Station in Persien war Täbris, ach was gibt es da bei den armenischen Silberschieden für phantastische Silberarbeiten (der Preis wird nach Gewicht berechnet, wenn man den Silberpreis kennt, stellt man fest, dass das verarbeitete Silber kaum teurer ist)! Doch auch die Goldschmiedearbeiten im Iran sind phantastisch – und so verschwenderisch mit Türkisen verziert... Mir einem italienischen Studenten, mit dem ich während der Zugfahrt auf den Stehplätzen im Gang ohne Aussicht auf einen Sitzplatz ins Gespräch kam, bummelte ich erst einmal durch Täbris. Als wir eine Moschee besichtigen wollten, schreckten wir davor zurück, weil dort Männer beteten, die auf dem Teppich weit ausgebreitete Zeitung lasen oder richtig ausgestreckt da lagen und schliefen. Nein, dieses merkwürdige Idyll wollten wir nicht stören. Doch mit unsrem Zögern brachten wir erst recht Unruhe – und einige Männer kamen zur Tür, um uns in die Moschee zu bitten. Und erst als wir da auch an einer Wand angelehnt auf dem Teppich saßen und begannen, uns von der anstrengenden Zugnacht auszuruhen, kehrte wieder Frieden ein... Inzwischen habe ich oft über diese Art der Benuzung einer Moschee nachgedacht. Ja natürlich, was spricht dagegen? Das „Haus Gottes“ als Haus, in dem man zuhause ist und sich wohl fühlt. Außerdem: Wem gehört eigentlich ein „Haus Gottes“, doch nicht einem Pfarrer, einer Kirche, sondern dem, der es bezahlt hat – und das sind doch die Steuerzahler, also wir alle? Der Pfarrer hat allenfalls die Aufsicht, und schließlich muß irgendeine Ordnung ja sein. Doch wenn die da ist, warum sollte ein Gotteshaus nicht so benutzt werden wie da in Persien?

 Teheran selbst ist vorläufig noch gut für schmale Brieftaschen geeignet wie auch das ganze übrige Land. Die einfache Busreise bis Schiraz und Persepolis kostet z.B. um die DM 15,--, auf den Wüstenschnellstraßen dauerte die Fahrt für die 900 km dorthin etwa zehn bis elf Stunden. Dabei kommt man auch durch Isfahan, eine der schönsten Städte der Welt – unterbrechen, ansehen! Besonders in Erinnerung ist mir eine Koranschule, die Studenten gehen herum mit ihren offenen Büchern und lernen, andere sitzen, andere diskutieren, anderen liegen dem Boden und schlafen – und das in einem phantastischen Raum! Auch ein Ausflug nach Mashad nach Ostpersien lohnt sich. Als ich vor der Fahrt einem persischen Medizinstudenten in Innsbruck, der mir von meiner Wirtin zu einem Gespräch vermittelt worden war, erzählte, dass ich ja als „Ungläubiger“ nicht die dortige bedeutende Wallfahrtsstätte betreten dürfe, die so ehrwürdig sit, dass deren Besuch für gläubige Moslems sogar einen Besuch von Mekka ersetzt, da winkte er ab und meinte, dass ich mich nur so verhalten müsste wie die anderen Pilger dort. Also bereitete ich mich natürlich für einen Besuch vor, ließ mir dazu einen  Schneuzer wachsen, wie ihn viele Perser tragen, zog mir „richtige“ lange Hosen an (und keine Jeans, die damals in Persien nicht so üblich waren) und trug vor allem in meinen Sandalen Socken (man erkennt europäische Touristen durchaus daran, dass sie in ihren Sandalen barfuß gehen...). Und vor allem merkte ich mir genau, wo ich meine Sandalen beim Eingang gegen eine Marke abgegeben hatte, damit ich nicht ein Gespräch anfangen musste... Die Wallfahrtsstätte besteht aus vielen Höfen und Räumen, die sich um das Grab eines bedeutenden islamischen Martyrers gruppieren. Beim Eintreten werden erst einmal die Türen geküsst oder mit den Händen bestrichen, die man dann wiederum über das Gesicht streicht. Und ich erinnerte mich an den Studenten in Innsbruck, also tat ich das auch alles und stellte fest, dass die Türen nach Kölnisch Wasser riechen. So nach und nach arbeitete ich mich vor, in einem Raum waren nur Männer, in einem anderen nur Frauen und Kinder, die da auf den Teppichen saßen und picknickten, in Erinnerung sind mir die mit Spiegeln in phantastischen Formen dekorierten Decken geblieben... Beim Grab des Heiligen knisterte es dann förmlich: Die Menge umdrängte den Schrein um das Grab und jeder versuchte, ihn wie vorher die Türen zu küssen oder wenigstens zu berühren. Kinder wurden hochgehoben und an die Gitter gehalten, an denen sie sich dann festklammerten, Männer standen etwas abseits herum mit zum Gebet ausgebreiteten Händen – und alle, die den Raum verließen, taten dies nur in dieser Gebetshaltung und wendeten in keinem Moment dem Grab den Rücken zu... Ja, das war intensive Religiosität!

Und das war dann also auch die eine Seite der Religion, die ich im Iran kennen lernte. Über eine andere Seite wurde ich einmal von einem Nebenmann während einer meiner Busreisen informiert: Er meinte, dass die Krankenhäuser voll lägen von Mädchen und Frauen, die sich entweder ihre Jungfernschaft wieder einoperieren ließen oder eine Abtreibung vornähmen. Leider hatte ich damals nichts Näheres erfragt, doch weist zumindest das mit den „Jungfernhautreparaturen“ auf eine ganz gewaltige Heuchelei hin. Viele Jahre später - längst nach der Revolution, die ja auch im Namen der alten islamischen Werte und da vor allem der Moral  geführt wurde (aha!) -  erzählte ich von diesem Gespräch einmal einem Schüler, der sich als Iraner vorstellte. Da lachte der und meinte, dass es heute noch genauso sei, nur heute trügen die Frauen alle Schleier! - Ja das ist es, eine Moral kann man nicht durch Zwangsbekleidung und schon gar nicht durch Gesetze durchsetzen, eine Moral ist und bleibt nun einmal immer Sache des eigenen Bewusstseins, und wenn das fehlt, hilft alles andere gar nichts. Und wenn die Moralwächter noch so fanatisch sind: Was jemand in seinen vier Wänden macht, können die doch nie kontrollieren, und nicht zuletzt sind auch die Beziehungen von „Hilfe suchender Frau“ und Frauenarzt Privatsache und vermutlich lediglich von dem Geld anhängig, das dabei fließt. Aber das sage man einmal solchen verklemmten Moralaposteln, die begreifen das nie, und je mehr sie merken, dass alle ihre Moralisiererei doch nichts nützt, desto fanatischer werden sie... (Vor kurzem wurde bei einem Bericht über den Iran ein Mädchen dort zitiert, die meinte, dass man im Iran wohl die freizügigsten Parties auf der ganzen Welt feiere – und im Radio hörte ich einmal ein Interview mit dem Chef einer Kondomfabrik im Iran, die ihre Produkte gewiß nicht nur für den Export herstellt... Zu den Parties: In der WELT vom 28. August 2001 wird auf Seite 1 erwähnt, daß es jetzt eine spezielle Partypolizeiabteilung im Iran gibt, die sich selbst auf private Partys "einladen" kann, um dort nach dem Rechten zu sehen. Also scheint zu stimmen, was das junge iranische Mädchen gesagt hatte... Und am 28. Juni 2003 steht in dem Beitrag "Billard um halb zehn" in derselben Zeitung: "sich ficken zu lassen, ist die einzige Freiheit, die einem in diesem Land verblieben ist, was sie nicht abstellen können"...  Warum sind diese MORALAPOSTEL nur immer so kontraproduktiv für wirkliche Moral, man möchte ja meinen, sie wissen das und sind es absichtlich...? (Den kompletten Artikel finden Sie unter: http://www.welt.de/data/2003/06/28/125397.html)
 

Zu den Souvenirs, die vor allem für die touristischen Reisenden interessant sind, gehören natürlich auch Teppiche. Abgesehen, ob man sich mir so etwas belastet, sollte man eine Ahnung haben, was solche Stücke hier kosten. Man kann solche Souvenirs gewiß günstig erhalten, wichtig ist auf alle Fälle, dass man nicht auf einen dieser Schlepper („mein Onkel hat eine Teppichfabrik“) hereinfällt, egal wie freundlich und hilfsbereit er ist. In einem normalen Geschäft ist ein Teppich jedenfalls günstiger.

Und da ich als Student etwas Zeit hatte und es in Maschad die Möglichkeit gab, an ein Visum für Afghanistan zu kommen, ließ ich mich auch auf dieses Abenteuer ein... Die Fahrt war sehr zeitaufwendig und mühsam (Stunden um Stunden in Autobussen), immerhin habe ich einen Eindruck von diesem Land vor dem Krieg mit der Sowjetunion und vor dem Bürgerkrieg. O ja, das war jetzt wirklicher Orient...und einem Stempel im Paß aus dem Jahr 1351, in Afghanistan gilt noch die islamische Zeitrechnung, die im Jahr 622 beim Ritt des Propheten Mohammed von Medina nach Mekka beginnt (die Ursache der Ungenauigkeit 1351 + 622 = 1973 bei der Nachrechnung ist wohl, weil da die Jahresanfänge bei uns und in der islamischen Zeitrechnung unterschiedlich sind).

Als Reiseunterlage war (damals) nur neben einem Pockenimpfzeugnis (das ich noch von der Frühjahrsfahrt nach Griechenland hatte) ein gültiger Reisepaß mit einem Visum für Bulgarien notwendig, das man sich (immer: damals) schon vor der Reise besorgen musste – eventuell auch bei einer Unterbrechung in Belgrad.

Ab München gab es auch damals durchgehende Busreisen bis nach Persien (und Afghanistan?), doch  die sind doppelt so teuer wie das, was ich da gemacht hatte.

Ob heute noch oder wieder eine solche Fahrt möglich ist? Ich habe bei der Expo 2000 in Hannover mich am iranischen Stand erkundigt – die meinten „selbstverständlich – keine Probleme“. Warum also eigentlich nicht mal wieder? Doch diesmal mit dem eigenen Auto, wozu habe ich schließlich so einen alten Passat-Diesel?

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