Indien Sommer 1987

Nicht nur eine Rundreise, sondern vor allem auch eine Zeitreise!

New Delhi – Agra – Kajuraho - Benares - Kalkutta – Puri – Madras – Mysore – Bombay – New Delhi

Da ursprünglich zwei junge Damen mitkommen wollten, buchte ich den Flug von London aus, da es dann trotz der im Sommer recht hohen Fährkosten erheblich günstiger von dort aus war. Leider sagten dann meine Damen ab, und so schmolz der Preisvorteil immerhin kam noch mein indischer Kollege wenigstens auf der Hinfahrt mit, wir flogen dann auch gemeinsam bis New Delhi, trennten uns dann aber gleich nach der Ankunft am Flughafen. Bis London also nahm ich mein Auto mit und parkte es ‑ um die Parkgebühren am Flughafen zu sparen ‑ zwei U‑Bahnstationen vorn Flughafen entfernt in einer ruhigen Wohnstraße. Am Mo., 20. 7. Ankunft in London, zuerst zu unserem indischen Ticket‑Agent wegen der Rückzahlung der beiden Tickets, dann zum Flughafen Gepäckaufgabe, dann ging jeder seine eigenen Wege ‑ ich bekam für 12 DM in der Covent‑Garden‑Oper ein wunderbares Ticket, (1.Rang, 1. Reihe Mitte) für das Ballett („Die mißratene Tochter“, böhmisch, letztes Jh., Stoff ähnlich „Verkaufte Braut“) und hatte einen wunderschönen Abend. Geschlafen habe ich im Auto (Art Kombi, mit Matte und Schlafsack, richtig bequem), da konnte ich wenigstens in Ruhe schlafen ohne Angst, daß es geklaut oder aufgebrochen würde... ).

Im Flugzeug (Thai‑Airways) toller Service und als Überraschung für mich: auch alkoholische Getränke waren inklusive! Leider konnte ich das nicht so ausnutzen, schließlich mußte ich ja bei Ankunft nüchtern sein. Und noch eine Überraschung: Als ich aus dem Fenster sah, konnte ich mir auf die Landschaft da unten gar keinen Reim machen ‑ wir flogen über Rußland, wie ich erfuhr! So habe ich denn wenigstens Rußland von oben gesehen; ich muß sagen, manches, was ich da sah, hätte ich mir auch gerne von unten angesehen. Um Mitternacht (indischer Zeit) dann Ankunft in New Delhi. Keine Probleme bei Paß‑ und Zollabfertigung, ein Cousin meines Kollegen ließ mich gleich in seinem Auto zu meiner Anlaufstation bringen: ein höherer Offizier in einem abgezäunten Offizierswohnviertel, Verwandter von einem Freund eines Freundes hier (wie das so ist), denen ich auch jede Menge Sachen von hier mitgebracht hatte (vor allem Aldi‑Käse!) und wo ich gleich im Wohnzimmer auf dem Fußboden erst einmal die Nacht verbringen konnte (wofür ich sehr dankbar war!). Und die Familie war wirklich mein ganz großes Glück ‑ ich habe mich wirklich, nachdem wir uns etwas beschnuppert hatten, wie zuhause gefühlt ‑ für meinen weiteren Aufenthalt wurde sogar das Schlafzimmer geräumt! Mit dem Hausherrn und seiner Frau unterhielt ich mich auf Englisch über alles, was so anlag, mit den Schwestern seiner Frau, die hin und wieder auch da waren, konnte ich auch deutsch reden, beide waren sogar in Deutschland gewesen. Ich muß sagen, daß ich gerade hier und auch während der Zugfahrten wohl den besten Kontakt mit Indern bekommen habe, natürlich wohl nur mit Menschen aus der Oberschicht und der Mittelschicht, die anderen können ja wohl auch kaum Englisch. Wie ich so langsam mitbekam, gehörten meine Gastgeber zur Brahmanenkaste, also zur Priesterkaste, was sich für mich dadurch bemerkbar machte, daß es gern gesehen wurde, wenn ich nach Rückkehr von Fahrten in die Stadt oder durchs Land erst einmal ins Badezimmer ging (für mich sehr angenehm, denn in New Delhi war's fürchterlich heiß und ich hatte nicht nur Verlangen nach dem Händewaschen, sondern nach dem Duschen überhaupt). Außerdem hatten meine Gastgeber natürlich Dienstpersonal, eine Familie, die in einem Anbau hinter dem Haus wohnte. Eine Familie ‑ d.h. eigentlich wohl der Vater, aber der war irgendwo auf Arbeit meistens, also die Mutter, aber die hatte gerade ihr soundsovieltes Kind bekommen, also half bisweilen die kleine Tochter, angeblich 12 , sah aber aus wie 9 ‑ und die Hausfrau mußte noch bisweilen auf das Kind aufpassen. Im Fernsehen gibt es bisweilen Filme zur Familienplanung, nur eben, die Schichten, die diese Thematik vor allem betrifft, haben nun einmal kein Fernsehen. Meine Gastgeber selbst hatten zwei Söhne, 13 und 11 Jahre, besonders der kleine war sehr anhänglich, er schlief mit mir meistens sogar dann im Doppelbett (ohne Decke, mit großem Ventilator an der Decke). Die Einrichtung etwa wie in Südeuropa, wichtigstes Utensil im Wohnzimmer der Kühlschrank, der aber zumeist wohl überfordert war. Mein Hauptgetränk in Indien sollte nicht nur hier sondern auch sonst klares Wasser sein, das ich mir immer mit meinem mitgebrachten schweizerischen Taschenkeramikfilter filterte ‑ trotz des Filterns sollte ich die ganzen Ferien meistens "magenkrank" sein... Jedenfalls wog ich nach der Fahrt 69 kg, glücklicherweise hatte ich vor der Fahrt vor allem während einer Klassenfahrt auf einem Wohnschiff durch die Kanäle Hollands noch 2 kg zugenommen!

Ja, das Problem für mich in Indien war vor allem das Essen. Nie wieder in den Tropen Milchsachen!

Wäre ich an einem Ort geblieben, hätte ich wohl bald herausgekriegt, wo ich das für mich geeignete Essen finde, aber so? Billig war es ja zumeist, das billigste Menü in einem Straßenrestaurant kostete 1 Rupie (6 pf), das originellste (für 3 Rp) wurde mir im Restaurant einer Busstation auf einem großen Bananenblatt (40 x 40 cm) serviert, das Spannendste (und umsonst) erhielt ich in der berühmten Meditationsstellung zusammen mit anderen Sikhs in einem ihrer Zentren im Gebirge ‑ ich berichte später. Interessant war auch das Essen‑später in der Bahn ‑ fürs Abendessen z.B. wurden schon mittags die Bestellungen entgegengenommen ‑ und dann bekam man einen riesigen rechteckigen unterteilten Teller mit Reis, Gemüse, Jogurt, Gewürzfrüchten usw. ‑ und in der Bahn eben ohne persönlichen Service halt auch ohne Eßbesteck. Wie alle habe ich dann auch mit den Fingern gegessen, ich hatte sogar heraus, wie man so Jogurt ißt (den Reis darin vermengen, dann flutscht auch Jogurt nicht mehr durch die Finger!).

In Indien leben zu 100 % Hindus!

Doch jetzt weiter mit der Fahrt! Am ersten Morgen nahm mich gleich mein Gastgeber auf seinem Motorroller mit in die Stadt (mein Quartier war am Stadtrand, ca. 10 km vom Zentrum entfernt auf dem Weg zum Flughafen), in einem Fahrradladen mietete ich mir gleich ein Fahrrad für 8 Rp. den ganzen Tag, ein schweres Ding, offenbar englisches Modell. Der Vorteil des Radfahrens: man wird nicht dauernd angequatscht und es ist auch weniger anstrengend. Außerdem braucht man weniger zu fragen, wenn man sich orientieren will, man kommt leichter mit dem Stadtplan zurecht. Der erste Eindruck wirklich überwältigend: Menschen und noch einmal Menschen! Durch manche Straßen kam ich noch nicht einmal flott mit dem Fahrrad ‑ so voll war alles! Hin und wieder die berühmten heiligen Kühe, die aber eigentlich nicht stören. Sie liegen am Straßenrand, trotten im fließenden Verkehr oder stöbern auf Müllhalden herum. Daß sie den ohnehin schon armen Menschen die Nahrung wegnehmen, konnte ich nicht sehen und kann ich mir auch nicht vorstellen, denn sie fressen ja ohnehin nur das, was die Menschen nicht essen, etwa meine Bananenschalen, die ich, wo es ging, immer solchen Kühen hinwarf. Und den Kot der Kühe sammeln die Leute gleich ein, wofür, sah ich später in Kalkutta an der Mauer des botanischen Gartens: etwa brötchengroße Fladen in unendlicher Zahl aus Kot klebten da zum Trocknen: Brennmaterial der armen Leute. Besichtigt habe ich erst einmal die Große Moschee aus islamischer Zeit. Zu den Religionen in Indien sagte mir einmal jemand: 1 % Christen, 13 % Muslims und 100 % Hindus. Ja, die Hindus vereinnahmen wohl alles, wie das sollte ich gleich am nächsten Tag sehen, als mich ein junger Bekannter meines Gastgebers auf seinem Motorroller zu den Sehenswürdigkeiten von New Delhi fuhr. Erstes Ziel war der Laksmi‑ oder Birlatempel, der vor nicht langer Zeit von der Industriellenfamilie Birla der Göttin des Wohlstandes gestiftet, wurde. So einfach ist das im Hinduismus, da gibt es halt für den Wohlstand eine Göttin ‑ und das Streben nach Wohlstand wird zum Gottesdienst! Hier und auch später wurde mir deutlich, daß wir bei der Beurteilung des Hinduismus nicht mit unseren monotheistischen Maßstäben messen können, hier gibt es für alles Mögliche und Unmögliche halt eine Gottheit, und alles ist in bester Butter, man muß nur die richtige Gottheit finden – und dafür sind eben die Priester zuständig, die wissen, wie sie vermitteln. (Allerdings müssen wir Europäer ja auch gestehen, daß bei uns die Vielgötterei im Grunde fröhliche Urständ feiert, selbst wenn wir es nicht wahrhaben wollen. Ein Prof. von mir sagte, eigentlich müßte bei uns in jeder Kirche ein Mercedes und ein Hund stehen, und was es sonst noch an modernen Göttern gibt.) Der Tempel prunkvoll und großartig (in unserem Empfinden vielleicht kitschig), viele Räume für verschiedene Gottheiten, eine sogar in einer Art Spiegelkabine. Auch kleine Tempelchen ringsherum mit Plastiken von Gottheiten. Zum erstenmal sah ich Hanuman, den Gott mit dem Affengesicht und Ganesh, der mit dem Elefantenkopf ‑ zwei für uns eigenartig anmutende Gestalten, bei den Indern jedoch offensichtlich sehr beliebt. Auch mit dem berühmten Schiwa mache ich Bekanntschaft, der hier fast nackt und mit Schlangen um den Hals dargestellt wird. Meistens wird dieser Gott jedoch unter dem Phallussymbol (Lingam) verehrt, wovon ich später noch jede Menge zu Gesicht bekommen werde. Schiwa ist der Gott des Zerstörens, aber auch des Erneuerns (daher wohl das Phallussymbol!). Dem Schrifttum nach soll Schiwa im Himalaja leben und einen großen Teil seiner Zeit mit dem Genuß von Drogen verbringen, ab und zu begibt er sich auch ins Land und befruchtet Jungfrauen. Seine Gefährtin ist Parvati, die Schöne, die auch eine Schattenseite hat, mit der sie als Durga, die Schreckliche, erscheint. Ein Reisegefährte unterwegs meinte, daß das blattähnliche Gebilde, aus dem die Lingams immer herauszuragen pflegen, das Symbol dieser Göttin seien (na, ja, mit einiger Phantasie, so genau kenne ich mich da auch nicht aus...). Aus dem, was ich hier über die indische Mythologie kurz erwähnt habe, habe ich den im Laufe der Fahrt sich immer mehr verfestigenden Eindruck gewonnen, daß diese Mythologie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Mythologie steht, die bei uns vor dem Christentum sowohl im Mittelmeerraum als auch bei uns in Germanien existierte und mit dem Erscheinen des Christentums verschwunden ist. Eine Fahrt nach Indien ist demnach auch eine Fahrt in unsere eigene Vergangenheit! Ganz massiv sollte ich noch oft die Bestätigung dieser These erleben! Und das war dann auch für mich noch beeindruckender als etwa die Konfrontation mit der Armut, die ich ja immerhin schon von anderen Reisen her kannte. Mag sein, daß mir hier auch die extremsten Beispiele erspart blieben.

Doch weiter zu New Delhi: Rotes Fort (Befestigungsanlage der Muslims, riesiger Komplex, vergleichbar etwa mit dem, was wir aus Südspanien kennen, nur riesiger, machtvoller, und keinesfalls idyllisch), Nationalmuseum mit vielen Skulpturen aus der Mythologie. Abends Unterhaltung mit den Schwägerinnen meines Gastgebers, eine arbeitete zusammen mit einem Journalisten, der für den SPIEGEL arbeitete. Ich glaube, beide waren eine zeitlang auf Nonnenschulen. Die ältere hatte wohl ganz gute Erfahrungen dabei gemacht, während die jüngere manches gar nicht so gut empfand, es sei wohl auch lebensfremd gewesen. Z.B. sei ihnen gesagt worden, aus moralischen Gründen noch nicht einmal alleine mit dem eigenen Bruder auszugehen. Sehr positiv über die Tätigkeit der kath. Nonnen äußerte sich vor allem auch die Frau meines Gastgebers, sie würden sich besonders effektiv um die ihnen anvertrauten armen Mädchen bemühen, damit sei eine vernünftige Ehe zustande brächten. Jedenfalls hatten wir genug Stoff und ich erfuhr die verschiedensten Meinungen. Auch bekam ich Vorstellungen, warum Mutter Teresa wohl ihre Arbeit als Lehrerin bei "höheren Töchtern", so wie es wohl auch die Damen waren, mit denen ich hier Kontakt hatte, aufgab und sich in den Dienst der Ärmsten stellte. Bei unserem heutigen Stand unserer Theologie war das für diese agile Frau wohl effektiver.

In einer Brahmanenfamilie.

Anregende Gespräche hatte ich vor allem auch mit dem Gastgeber, einem nun wirklich ranghohen Luftwaffenoffizier, der auf mich einen höchst integren Eindruck machte. Das sagte ich ihm dann auch, worauf er zu mir meinte: „Ach, was glaubst du, Mike, was ich Gott immer um Vergebung bitte!“ Bemerkenswert fand ich, daß er von „Gott“ sprach, auch sonst hatte ich ja mitbekommen, daß viele Hindus sich durchaus nicht als Verehrer von vielen Göttern sehen, sondern von einem einzigen Gott, dem man allerdings nicht vorschreiben kann, in welcher Weise er sich offenbart. Erst später wurde mir bewusst, daß er ja von einer „Vergebung“ dieses Gottes sprach – so etwas erzählt man uns doch auch in unserer Religion? Erzählt man uns also in unserer Religion nur das Übliche? Heißt das, daß wir nur eine Religionen von vielen sind mit dem üblichen religiösen Tralala – oder ist unsere Religion in Wirklichkeit ganz etwas anderes und wir sind nur wieder in das Übliche zurückgefallen? Nun, meine Leser wissen, ich bin inzwischen der Überzeugung, daß der Sinn unseres Christentums etwas anderes ist. Auf viele Weise erhielt ich auf dieser meiner ersten Reise nach Indien Stoff für diese Idee – etwa als ich später in Konarak und Kajuraho diese phantastischen Tempel mit den nun wirklich merkwürdigen Skulpturen sah. Doch erst mal wieder zurück!

Zu heiligen Stätten im und am Himalaja.

Am 3. Tag schließlich nahm sich mein Gastgeber gleich ganz früh meiner an und fuhr mich zum Qutab Minar, einer muslimischen Anlage mit einer großen eisernen Säule (lange vor Chr.) von unerklärlicher Reinheit und Teilen aus 27 von den Muslims zerstörten Hindutempeln. Nach dem, was ich später noch an Hindutempeln sehen sollte, konnte ich mir gut vorstellen, warum die Muslims die Tempel nicht für ihren Glauben umfunktionierten, sondern nach alttestamentlicher Manier zerstörten... ‑ Damit hatte ich dann erst einmal von New Delhi genug. Inzwischen hatte ich auch eine Vorstellung, was ich weiter tun würde also zunächst eine gute Woche ins Gebirge (Ausläufer des Himalaya) gleich nordöstlich von N.D. und dann eine Rundreise durch den Süden, über Agra, Benares, Kalkutta, Madras, Mysore, Bombay und zurück. Hätte ich gewußt, was mich bei dieser Fahrt erwartet, hätte ich mir wohl die Reise ins Gebirge geschenkt! Aber dann hätte ich den ind. Freund meines Freundes, der mir gerade diese Reise so dringlich empfahl, wohl enttäuscht! Also zunächst ins Gebirge! Vom Bus aus (billigst, 100 km so stets zw. 1,60 und 2,-‑ DM, aber auch zumeist unheimlich abenteuerlich) sah ich auch die erste und einzige Leiche, sie trieb auf einem Bewässerungskanal, über die der Bus fuhr. Leute standen und guckten, sonst nichts... Erste Station, Haridwar, einer der Hauptwallfahrtsorte, doch nach einer Nacht gleich weiter, von hier ab ins Gebirge. Erster heftiger Regen, die Fahrt wird immer abenteuerlicher. Die Straße windet sich an Berghängen entlang, tief unten rauscht irgendeiner der Quellflüsse des Ganges. Später sagte mir jemand, daß ich doch für eine solche Fahrt noch nicht alt genug gewesen sei; üblicherweise würden die Fahrt nur ältere Leute unternehmen, die nicht mehr viel verpassen würden, wenn der Bus von der Straße abkäme (was ja hin und wieder passieren würde !). Endstation einer Fahrt ins Gebirge ist nämlich in jedem Fall ein Tempel im Quellgebiet, wenn man dann dort badet, ist man ganz besonders sündenfrei und heilig (man sagte mir, wenn fromme Hindus im Süden wüßten, wo ich überall gebadet hätte, würden sie mich von oben bis unten abküssen (!).

Doch bis zu den besonders heiligen Orten sollte es noch ein beschwerlicher Weg sein. In einem "Rest‑House" traf ich Sam, ein Dozent für Hinduistik (o.ä.) aus Hawaii, mit dem ich drei Tage zusammenblieb und mich sehr gut unterhielt. Er konnte Hindi, was die Leute bisweilen erstaunte. Am z. Tag der Gebirgstour sollten wir unser Pensum nicht mehr schaffen: durch eine Gerölllawine nach einem Regenguß war die Straße mehrfach blockiert. Da wir kaum Gepäck hatten (ich hatte das meiste bei meinen Gastgebern gelassen, nur ein kleiner Rucksack mit Wasserfilter, Jugendherbergsleinenschlafsack und weitere Kleinigkeiten),  machten wir uns zu Fuß auf, obwohl es noch 70 km waren. 10 km gingen wir auch zu Fuß, teilweise großartige Landschaft, Terrassenfelder mit Getreide (nicht Reis hier), dann auch jede Menge Marihuana (Sam sagte mir, eine wilde Sorte, die sehr "schwach" sei). An den Blockierungsstellen fragten wir uns, wie die das wohl machen würden, um die Straße wieder frei zu bekommen und fotografierten ausgiebig. Dazwischen besuchten wir kleinere Göttertempel in den Ortschaften (teilw. düster und unheimlich). Und nach Joshimat, wo wir übernachteten, sollten wir wieder Glück haben: ein Bus einige Zig km bis zur nächsten Blockierung! Und hinter dieser Blockierung wieder ein Bus bis "ganz oben"! Also: nur nicht den Mut verlieren, es ist in Wirklichkeit alles halb so schlimm! Schließlich also das erste Ziel: Badrinath in 3.200 m Höhe, ein richtiges Bergstädtchen vor allem mit Wellblechdächern.  Dazwischen der Tempel und eine heiße Quelle, ein etwa 8 x 8m großes überdachtes Becken. Doch zuerst machten wir eine Wanderung schnurstracks in die Höhe, etwa 1000 m höher, um das Panorama zu genießen. Die Berge nordöstlich waren sicher schon Tibet, das von hier 10 ‑ 20 km entfernt war. Auf allen Seiten Gletscher. Besonders im Westen gleich ein grandioser Berg: über 6000 m hoch, also, eigentlich müßte ich ja noch einmal eigens für eine solche Tour kommen! Abends dann Bad in der heißen Quelle, ich muß sagen, sehr heiß! Nachdem ich mich bald eine halbe Stunde mit einer Blechbüchse am Rand zum Gewöhnen "beschöpft" hatte, traute ich mich kurz hinein ‑ elend heißt, aber draußen war es auch schon recht frisch.

Versorgung des Gottes.

Und dann ab in den Tempel! Ich kam gerade zur Abendzeremonie zurecht: das Götterbild wurde ausgezogen und mit Wasser usw. übergossen. Dazu Gesänge, sowohl hinten aus einer Ecke, als auch von dem Kultpriester in einer schwarzen Kutte. Dann machte der Priester noch ein Feuer in einer Schale an, trug es in den Gemeinderaum (der nicht groß war, die Hauptsache an den indischen Tempeln ist, daß sie das Götterbild beherbergen) und hielt es den Leuten hin, die ihre Hände kurz hineinhielten. Alles unheimlich! Hier durfte man in den Tempel und bei den Kulthandlungen dabei sein, später in Südindien war der Zutritt für Nichthindus verwehrt (man kann auch als Europäer nicht Hindu werden, daher wird man immer "erkannt"). Der Tempel stand übrigens in einem Hof, der umgeben war von kleineren Tempeln, Schulen und was sonst noch zu einer Tempelanlage gehört. Am nächsten Morgen ging ich wieder in aller Frühe zum Tempel, einfach um dabei zu sein, wie das Götterbild (ich glaube, der Gott hieß auch "Badrinath") angezogen wurde und für den Tag fertig gemacht wurde, ich kam mir vor wie der PROPHET Baruch aus dem Alten Testament, der ja auch solche Sachen beobachtet hatte und im gleichnamigen Buch der Bibel beschrieben hat, das allerdings nur in katholischen Bibeln oder in Gemeinschaftsausgaben enthalten ist. Und anschließend wieder das "heilige Bad“, diesmal war das, da über Nacht abgekühlt, recht angenehm. Unser Hotel war ganz toll: ein typisches Pilgerhotel, langgestreckter zweistöckiger Bau mit völlig leeren Zimmern. Man mietet ein Zimmer für 10 Rp., und dann mietet man in einem der umliegenden Geschäfte für je 5 Rp eine Matratze und Decken. Wie viele Leute in solch einem Zimmer kampieren, ist dann völlig gleichgültig, auch das Vorhängeschloß muß man mitbringen, lediglich die Vorrichtung ist vorhanden. Entsetzlich allerdings die Toiletten, in denen es dazu noch absolut dunkel war, so etwas habe ich nun doch noch nicht erlebt!

Da ich bei den ausgedehnten Wanderungen mein Knie etwas überstrapaziert hatte, beschloß ich, anders als Sam, der wieder abfuhr, einen Tag Pause zu machen. In der ersten Teestube gesellte sich alsbald ein Mann zu mir, der sich als Hindupriester vorstellte. Bei der Diskussion kamen wir aber nicht auf einen gemeinsamen Nenner. Er führte mich dann zu einem Guru mit langem Bart, der auch einen amerikanischen Schüler (ein halbes Jahr Arbeit in Florida, ein halbes Jahr Meditation bei seinem Guru in Indien) bei sich hatte. Auch hier kamen wir nicht auf einen gemeinsamen Nenner beim Gespräch. Ich fand, vieles, was der Guru sagte, waren mehr oder weniger Banalitäten, etwa: "Wenn du Gutes tust, wirst du dich gut fühlen". Über die Frage nach der Wahrheit hatten wir uns fast in der Wolle; er meinte, er hätte die Wahrheit, worauf ich meinte, daß das wohl auch Hitler gemeint hätte, aber es war wohl eine fixe Idee, woher er denn nun gewiß sei, daß "seine Wahrheit" nicht auch eine fixe Idee sei... Oder ich erzählte ihm von meinem Problem als Lehrer mit den jungen Leuten. Er meinte, ich solle mir darüber nicht den Kopf zerbrechen. Gott werde, wenn es so weit sei, schon alles machen (Anm.: viele Hindus sehen hinter ihren vielen Göttern schließlich dann nur einen Gott), worauf ich meinte, daß ich schließlich vom Steuerzahler in Deutschland bezahlt würde und daher wohl mehr tun müsse als auf Gott zu warten. Also ich glaube, ich bin für indische Weisheitslehren nicht geeignet! Ich glaube auch nicht, daß diese Lehren für uns hier in Europa geeignet sind, da läßt sich wohl mit dem Christentum mehr anfangen! ‑ Noch ein Bad in der heiligen heißen Quelle, noch eine Nacht in meiner Pilgerherberge (den Götterkult schenkte ich mir) und dann wieder abwärts, nur einige km, um dann zu Fuß in Richtung Hemkundsee in 4.300 m Höhe, wo ein Sikh‑Tempel erbaut wird, zu pilgern. Und es wurde eine wunderschöne Tour, ein Fußweg, der auch für Mulis geeignet ist, am Wegrand immer wieder kleine Restaurants für die sonst wohl zahlreichen Sikh‑Pilger, die aber wegen der Unruhen zur Zeit meistens ausblieben. Ich wurde auch zu Beginn des Weges gefragt, ob ich Hindu sei (komische Frage, ich dachte, das sieht man).

In einem Sikh-Tempel in phantastischer Lage.

Die Sikhs (das sind die mit dem Goldenen Tempel in Amritsar) haben schon vor drei Jahrhunderten den Eingottglauben eingeführt, sie schneiden sich ihre Haare nie und sind ständig (mit einem Dolch) bewaffnet (der Dolch kann allerdings so klein sein, daß man ihn zusammen mit anderen Utensilien wie eine Medaille um den Hals trägt). Die Waffen sind, soviel ich inzwischen weiß, bei vielen Völkern ein Zeichen der Ritter, des Adels; wenn nun bei den Sikhs jeder eine Waffe nicht nur tragen darf, sondern sogar muß, dann heißt das, daß jeder Sikh ein voller Mensch ist und sich als Adliger fühlen kann. Vielleicht hängt das damit zusammen, daß die Sikhs auch für ihre Gastfreundlichkeit berühmt sind, man soll sogar in ihren Tempeln schlafen können. Zunächst also 12 km von inzwischen 1800 m bis auf 3200m, hier eine Art Alpenhütte, von wo ich gleich weiterzog bis 3600 m ins „Tal der Blumen“, leider war dort der Schnee noch nicht zu lange weg, so daß die Blumen noch nicht richtig erblüht waren, ansonsten soll es dort wunderbar sein. Abends unterhielt ich mich mit einem spanisch-amerikanischen Pärchen, auch über meine Theologie, und man bestätigte mir, daß es ähnliche Bedeutungen des Wortes "essen" und "Frucht" im Zusammenhang mit der Adam-und-Eva-Geschichte (wie ich in meinem Buch im Jüdischen und im Deutschen dargelegt habe) auch im Englischen und im Spanischen gebe... Und am anderen Morgen dann zum See, den ich schließlich um 11 Uhr erreichte (Do, 30.7. ). Grandios! Fast wie ein natürlicher Stausee lag der nicht sonderlich große (wohl nicht 1/4 qkm), von steilen schnee‑ und gletscherbedeckten Bergen eingekeilte See da. Und ganz vorne der riesige Tempelbau (modern, Stahlkonstruktion). Den Tempel sah ich mir genau an, wenn ich denke, alles mit Mulis hochgeschleppt, kaum zu glauben. Und ‑ ein wenig habe ich ja auch inzwischen Ahnung vom Bau ‑ eine irre Materialverschwendung! Ich glaube, die wären mit der Hälfte Stahl ausgekommen, und mit weniger als der Hälfte Beton. Dazu alles doppelt befestigt: geschraubt und geschweißt, und die Widerlager ganz unmöglich gemacht. Und: statt mit herumliegenden Steinen nichttragende Wände zu mauern, alles mit Doppel‑T‑Trägern, eingeschweißten Baustahlmatten und mit Beton ausgegossen... Ich kann mir nicht vorstellen, daß es für diese merkwürdige Bauweise kultische Vorstellungen gibt, doch man weiß ja in Indien nie... M.E. scheinen die wirklich Geld zu haben.) Im Keller war bereits alles fertig, man zeigte mir sogar die Waffentruhe, aber ich meine, nicht gefährlich, alles alte Dolche, Säbel usw. Sicher haben sie in Amritsar auch anderes gehabt. Und dann habe ich natürlich noch ein Bad in dem See genommen ‑ das war jetzt wieder recht frisch, immerhin: die Durchschnittstemperatur meiner heiligen Bäder bisher war "normal"! Noch eine Nacht in der Hütte (davor noch am Feuer mit einigen Arbeitern von der Gletscherbeobachtung (die Gletscher nehmen z.Zt. bedrohlich ab ‑ eine Folge den Raubbaus am Wald 1), die auch für mich ein Omelett machten), dann Abstieg. Unten hatte ich bei den Sikhs in der Talstation dann mein "spannendstes" Essen. Als ich einige Souvenirs gekauft hatte, forderte man mich auf, mich im Schneidersitz auf einen schmalen Teppich zu setzen, so recht wußte ich zunächst gar nicht wozu. Und dann setzten sich andere Männer mit den malerischen orangefarbenen Turbanen (worunter die Sikhs ihre Haare verbergen) neben mich. Und dann wurden Teller ausgeteilt, und dann das Essen, einige gingen an uns Sitzenden mit Eimer und Kelle vorbei und jeder bekam einen Schlag ‑ je nach Wunsch, und auch Nachschlag. Archaisch, ich glaube, das Essen ist mir auch bekommen. Eigentlich sollte mein Bus dann bis in die Ebene (Risikesh) gehen, jedoch bei Beginn der Dunkelheit machte der Bus einen Übernachtungsaufenthalt. Ich unterhielt mich sehr angeregt mit einem nepalesischen Reiseleiter, der einen Bus voller nepalesischer Pilger zu den Kultstätten an den Quellflüssen des Ganges leitete. Vier Wochen für umgerechnet 400 DM, bloß für Fahrt und Organisation, das ist sehr viel für die Leute. Übernachtung und Essen müssen sich die Leute jeweils suchen, so wie ich auch auf meiner Fahrt. Überhaupt, diese Pilgerreisen sind doch anders als bei uns. Mir erzählten zwei Europäer (ich glaube, es waren Deutsche) von einem sehr merkwürdigen Erlebnis. Sie waren in einem ziemlich reinen Pilgerbus gelandet. Unter den Pilgern waren auch drei zumeist voll verschleierte Frauen, die ab und zu auch offensichtlich fromme Lieder sangen. Doch dann entblößten sie auch wieder einmal vor meinen Gesprächspartnern ihre "obere Schönheit" ‑ wir konnten uns nur den Reim darauf machen daß es sich hier um Kultdirnen handelte, so etwas soll es ja noch in Indien geben, selbst wenn es offiziell verboten ist. Im spanischen Fernsehen soll einmal ein Bericht darüber gewesen sein, auch kümmert sich eine vom Schuhverkaufsunternehmer Deichmann finanzierte Organisation u.a. um solche Frauen. Auch hier Parallelen zur Antike oder unmittelbarer Bezug?

Jedenfalls waren bei der Weiterfahrt alle Erdrutsche so weit beseitigt, daß die komplette Straße passierbar war. In Risikesh, das ich auf der Hinfahrt nur so eben passiert hatte, mache ich wieder Station: mich umfängt wieder das heiße Klima des Tieflands. Ich miete mir wieder ein Fahrrad, damit ich schneller zu allen Tempeln komme, von denen es hier genug gibt, besonders eindrucksvolle sind auf dem anderen Ufer des Ganges. Natürlich auch ein Bad in dem hier noch sauberen (nur vom Gletscher trübe) und noch angenehm kühlen Ganges zwischen heiligen Kühen, die auf unsere Mangoschalen scharf sind, und Pilgern. Ich unterhalte mich nett mit einer Frau und ihrer Tochter aus Mailand. Das Mädchen geht schließlich wie die Inderinnen wegen der Hitze mit all ihren Sachen ins Wasser. In der Nähe des "Badeplatzes" eine Tempelanlage mit vielen Häuschen, in denen sich grellbunte Darstellungen aus der Hindulegende befinden, nach unseren Vorstellungen höchst kitschig. Hierbei auch eine Darstellung, die einer Madonna mit Jesuskind völlig ähnlich sieht ‑ also, die vereinnahmen auch alles! Oder haben am Ende wir das Motiv übernommen? (Ach ja, im Souvenirladen unter dem Laksmi‑Tempel in New Delhi hatte ich neben all den Hindugottheiten auch Statuen eines Mannes mit einem Lamm auf der Schulter gesehen. Auf meine Frage, wer das denn sei, erfuhr ich: Jesus..., wahrscheinlich ist das für manche Inder die zehnte Inkarnation von Vishnu!) ‑ In Haridwar, wo der Ganges endgültig das Gebirge verläßt, 20 km weiter, lasse ich mich von einer Rikscha zu einem Hotel fahren, natürlich geht es abends noch gleich zum wichtigsten Ghat, so nennt man die "Badeplätze". Einmal alle paar Jahre ist hier Hauptwallfahrtstermin, dann kommen ca.  500.000 Pilger, einige werden dabei auch immer totgetrampelt. Auf einem Plateau im Fluß, einer künstlichen Insel, eine Bühne, zwei junge Mädchen führen in Kostümen offenbar Episoden aus der Hindumythologie vor, dazu Musik, sehr eindrucksvoll. Die Vorführung kultischer Episoden (Nachahmung dessen, was die Götter machen!) war auch bei uns in der Antike zugleich Gottesdienst (Mysterienspiele) und Ursprung unseres Theaters überhaupt ‑ ob auch hier ein Zusammenhang besteht? Am nächsten Tag noch einmal zu dem Chat und zu anderen Tempeln, jetzt findet am Ghat eine Art Opferzeremonie statt, die Pilger sitzen in Gruppen um Feuer in Blech- oder Tongefäßen und werfen wie auf Kommando von dem, was auf der Bühne geschieht, Weihrauch und Wasser in die Feuer, diesmal singen die Mädchen auf der Bühne. Daneben im Ganges kultisches Badevergnügen, auch ich mache mit, denn hier ist der Ganges noch sauber genug und kühl. Mit einer Seilbahn noch zu einem Tempel auf einem Berg, oben Wallfahrtsbetrieb mit Opfer für die Gottheit, vor dem Tempel Anlagen zum besseren Schlangestehen, in "Hauptkampfzeiten" scheint hier was los zu sein.

Mit einem Kamikazebus nach New Delhi ‑ so irre bin ich noch nie gefahren (worden), der Fahrer sielt sein rasantes Tempo fast die ganze Fahrt konstant durch, auch wenn beim Gegenverkehr vor uns überholt wurde, nach dem Motto: bis wir dort sind, haben sich Gefahrensituationen von selbst aufgelöst...

Abends (So., 2.8.) war ich dann wieder bei meiner Familie. Da ich meine American-Express‑Travellerschecks vermisse, gehe ich am Montag gleich zur Zweigniederlassung der Bank, leider wird die Verlustanzeige gestört, weil das Licht ausfällt, damit fällt auch die Klimaanlage aus... Bis heute weiß ich nicht, wo diese Schecks geblieben sind, ob sie schon in London am Flugplatz bei der Gepäckaufbewahrung aus meinem Gepäck geklaut wurden? Oder wo denn sonst? Bei alledem geht viel Zeit verloren (ich muß ja noch zur Polizei deswegen), und ich schaffe eigentlich nur noch, für meinen im Jahr zuvor aus der Türkei mitgebrachten Holzofen einen Messingtopf zu kaufen, und dann nach Hause, die Busfahrt erscheint endlos, denn mich hat die typische Orientkrankheit erwischt... Daher bleibe ich auch noch einen ganzen Tag in New Delhi und bummle und kaufe schon einmal Souvenirs. Zunächst beeindruckt mich eine volkstümliche Tempelanlage wieder mit verschiedenen Räumen, in denen Bilder von Gottheiten verehrt werden. Hier auch eine Art überdachte Veranda mit einem Arrangement aus Figuren: in der Mitte ein Lingam, drumherum vier Skulpturen, über dem Lingam ein großer Wasserbehälter hängend, und die Leute gehen drumherum und bekränzen den Lingam mit draußen gekauften Blumenkränzen und gießen Wasser drüber. Ein junger Mann steht daneben und betet inbrünstig, offenbar verzweifelt. Einer erklärt mir, daß das der Penis von dem Shiva sei, ich danke ihm für die Information, ich weiß... Im Roten Fort hatte ich einen Laden entdeckt, wo sie günstig schöne Ketten aus Halbedelsteinen hatten, dahin fahre ich jetzt mit Rad und Rucksack (um zuhause festzustellen, daß ich wirklich gut gekauft hatte, nur zu wenig!), kleine Mitbringsel aus Indien.

Bethlehem des indischen Gottes Krishna.

Am Mittwoch fährt mich mein Gastgeber früh zur Bahn, es geht nur ein Zug mit erheblichem Zuschlag für kurze Strecken, doch ich fahre einfach mit, mal sehen ‑ und es passiert gar nichts. Ich habe den Eindruck, kontrolliert wird nur in den reservierten Waggons. Erstes Ziel meiner großen Rundfahrt durch Zentral‑ und Südindien, für die ich leider kaum mehr als 2 1/2 Wochen Zeit haben sollte: Mathura, die Stadt, in der der Gott Krishna vor 3500 Jahren geboren sein soll und wo dieser Gott dann so allerhand erlebte. Ich vertraue mich der Führung einen Rikschafahrers an, leider weiß ich nicht, ob ich alles Wichtige gesehen habe, jedenfalls war ich auch in einer Tempelanlage am Floß, stiften durfte ich einige Rupien für eine Gottheit (der jugendliche Priester kam aus dem Tempel mit einem Buch heraus), und dann durfte ich erst auf meinen erheblichen Protest hinein. Ein fetter Priester (wie üblich, spärlich bekleidet) posierte vor meinem Fotoapparat. Meine Eindrücke lese man bitte auch hier im Buch Baruch der Bibel nach.

Auch hier viele Lingams, ich fange an zu zählen (7 in dem kleinen Tempelbezirk). Es muß wohl der wichtigste Pilgerplatz in Mathura gewesen sein. Mit dem Express dann nach Agra, der Stadt mit dem berühmten Taj Mahal, in Agra gleich zum dortigen Red Fort, hier Höfe, bei deren Bau innerasiatische Motive ganz stark anklangen. Von den Fenstern wunderschöne Aussicht auf das Taj Mahal, das ich dann auch noch kurz vor Dunkelheit erreiche. Die Anlage und alles drumherum ist wirklich wunderbar ‑ wenn man nur in dem türkisblauen Wasserbecken daneben baden könnte! Also – viele kennen es ja, es ist wirklich einmalig, aber halt auch sehr touristisch verwertet, daher für mich etwas 'gewöhnlich', dieses "Denkmal einer großen Liebe". Diejenigen, die es noch sehen wollen, sollen sich beeilen, denn wenn das mit der Luftverschmutzung so weiter geht, soll die Kuppel aus Marmor bis zum Jahre 2000 zerstört sein. Eigent­lich noch eindrucksvoller war am nächsten Tag eine Fahrt zum 40 km entfernten Fate­pur Sikri, eine tote Stadt, d.h. eher eia grandioser Palast, zwischen 1570 und 1586 Hauptstadt des Mogulreiches, wirklich sehenswert. Leider hatten wir zunächst einen "falschen Führer", wir, d.h. ein Sozialarbeiter o. ä. vom Niederrhein, den ich im Motel in Agra getroffen hatte, und noch ein Abiturient wohl aus dem Odenwald. Das ist so was mit den "Führern", dabei stand ausdrücklich in unserem Buch, daß wir aufpas­sen sollten... Er wollte uns sogar den Palast ausreden, bis ich dann wütend wurde ‑ gut, daß ich mein kluges Buch dabei hatte. Der eigentliche Führer war großartig, ange­messen der Anlage aus rotem Sandstein. Ich habe dann noch mit einem Schrottrad (es wurde erst von einem Straßenhändler zurecht gemacht, als ich kam) einige andere dem Taj Mahal ähnliche Grabdenkmäler in und um Agra besichtigt, und abends, nach­dem ich glücklich meinen Radverleiher gefunden hatte zur Rückgabe, noch schön auf einem Platz gegessen und sogar ein indisches Bier (es regnete dabei in Strömen!) di­rekt am Biergeschäft getrunken. (Doll ist das Bier ja nicht, sicher nicht deutsches Reinheitsgebot, dafür recht teuer, im Geschäft 0, 7 l meistens bis zu 3, ‑DM ‑ Landar­beiter sollen soviel bisweilen für eine ganze Woche Arbeit bekommen. Der andere Al­kohol ist entsprechend teuer, trotzdem kauften viele Männer zumeist "Flachmänner", die sie dann gleich unter dem Hemd verstauten. Ich glaube, nur uns Europäern sieht man es nach, wenn wir Alkohol trinken. Für die Einheimischen gilt es als schlimmes Laster.

Im Hotel ‑ alle Zimmer direkt in den Garten ‑ , sehr schön, auch hierher hatte mich ein Rikschafahrer gefahren, gab's sehr viele Geckos, das sind die Eidechsen, die in den Tropen immer an Wänden und Decken in den Zimmern und davor vor allem nachts herumlaufen, und dafür sehr liebevoll und unermüdlich sorgen, daß man ohne Insektizide oder andere Vernichtungsmittel für Insekten auskommt. Vor einer Lampe (draußen) zählte ich 12 Stück auf der Lauer! Und fette waren darunter !

Der nächste Tag, Fr. 7. 8., war mein schwarzer Tag: Im Zug wurde mir meine Rollei geklaut – aus dem Gepäck! Es war wohl für jeden sichtbar, wie ich sie oben im Rucksack verstaut hatte, nachdem ich auf dem Bahnsteig so eine klassische Dampflok fotografiert hatte, dann war ich im überfüllten Zug eingeschlafen ‑ und mein Gepäck lag etwas weiter weg – unmittelbar am Gang. Pech ‑ zumal ich für den nächsten Tag einen der fotografischen Höhepunkte erwartete. Ziel waren die Tempel von Khajuraho, die berühmten "Pornotempel", die man halt auch gesehen haben muß. Doch vor das Ziel hatten die Götter noch einige Schwierig­keiten gesetzt: die Fahrt war eine elende. Im Zug der Diebstahl, und dann mit einem überfüllten klapprigen Bus, der dann auch noch auf freier Strecke seinen Geist aufgab. Zusammen mit dem Sozialarbeiter verzichteten wir recht schnell auf unsere bezahlte Fahrt­strecke und hielten einen anderen ‑ ebenfalls überfüllten Bus ‑ an und bezahlten neu.

Nein, nicht Freudenhäuser, nicht Kampfstätten  - sondern Tempel!

Kurz vorher noch eine Übernachtung, und dann Khajuraho, wohin die meisten Touristen eigentlich per Flugzeug kommen, es gibt extra für die Tempel einen Flughafen! Doch die Strapazen hatten sich gelohnt ‑ man glaubt es kaum, wenn man es nicht mit eigenen Augen sehen würde! Von den um 1000 n. Chr. erbauten ca. 80 Tempeln sind heute weniger als 1/4 erhalten, in einer wunderschönen Parkanlage zumeist, und was man sieht­ unglaublich! Man geht sprachlos besonders um den Mahadevotempel herum und bekommt den Mund nicht zu, was es alles für erotische Positionen gibt... Es übersteigt jede Phantasie, meine jedenfalls! Ich habe später an Ort und Stelle in Indien gefragt, wie sich die Leute diese Skulpturen erklären, einer meinte, das sei Lebensfreude, einer meinte, das seien die Dinge des Alltags (? ? ?), einer ‑ leicht alkoholisiert im Zug später ‑ meinte, ganz einfach, als die Buddhisten später einmal kamen, schlugen sie alle Erwachsenen tot und ließen die Kinder am Leben. Und hätten die Kinder die Tempelskulpturen nicht gekannt, hätten sie ja gar nicht gewußt, wie es „weitergeht“... Merkwürdig, daß die Leute den eigentlichen Grund, wenigstens den wahrscheinlichen, nicht mehr kennen (wollen): es handelt sich um Gottesdienst zu Ehren irgendwelcher Götter! Es ist dasselbe, zu dem ich Borneman in meinem Buch zitiert habe: man ahmt im Gottesdienst das Schöpfungswerk der Götter nach, und wenn man die Götter nun einmal mit einer "Methode" „an der Strippe hat“, dann kann man damit auch gleich die bösen Geister vertreiben oder man kann die Gottheiten überhaupt "erkennen". Und so ein Gottesdienst wird dann natürlich auch phantasievoll ausgeschmückt (!), so halten z.B. zwei Frauen einen Mann auf dem Kopf stehend, vor dem dann eine dritte Frau in ein­deutiger Position steht ...alle nur mit Schmuck bekleidet, die Frauen stets mit großen, kugelrunden Busen, vor allem beeindruckt auch die „Masse“, „nicht kleckern sondern klotzen“... Und es gab woanders auch noch obszönere Stellungen, mit Tie­ren, oder auch die berühmte 69‑er Stellung, stehend, liegend... Aber alles wirkt hier so normal sehr bald! Kein Mensch kommt auf die Idee, daß das alles jugendgefährdend sein könnte, kein Eintrittsverbot für Kinder, für jeden kostet es 50 Paisa (8 Pf), jeder wird hereingelassen, auch ganze Familien kommen. Ich beobachte ein Paar, wo beide eher (doch leicht verlegen) amüsiert sind. Eindruck scheint das alles auf die Lebenspraxis der heutigen Inder keinen zu machen, die sollen sogar höchst prüde sein, ich habe da aller­hand gehört. Nach alledem kann ich manche Aufregung bei uns betr. "aufreizender" Darstellungen noch weniger verstehen. Papiertiger. ‑ Noch einige andere Tempel, auch von den Jains, einer alten indischen Sekte, hier etwas weniger obszön, statt des Altars steht da immer so eine Statue (nackt).

Und der absolute Wallfahrtsort in Indien: Benares!

Am Nachmittag dann weiter in Richtung Benares, zuerst vier Stunden mit einem unbequemen Bus (fast nackte Holzbänke, ohne Federn, wenigstens meint man es), dann per Bahn. Irgendwie hat es mich wieder mal „erwischt“, trotzdem fahre ich weiter, meinen deutschen Begleiter habe ich verloren. So etwas wie hier auf dem Bahnhof kenne ich nur von den Schilderungen meiner Mutter her über die Flucht 1945: man stürzt sich in einen Waggon, egal ob die anderen mit­ kommen oder nicht. Ein netter Schaffner verschafft mir sogar einen Liegeplatz, ich komme gar nicht mehr dazu, ihm ein Trinkgeld zu geben. Ziel Benares, der Haupt­wallfahrtsort der Hindus. Im Buch von Mark Twain "Reise um die Welt", das mir ein­ mal die gute Frau Edelmann aus Demmin geschenkt hatte, stand drin, daß es dort mehr Lingams als Einwohner gebe ‑ ich stellte fest, daß es fast stimmte (inzwischen hat allerdings auch die Bevölkerung zugenommen). Leider bin ich bei den Ghats ziemlich angeschlagen, so daß ich nicht die Stellen suche, wo die Leichen verbrannt werden, bzw. wo die halbangebrannten Leichen in den Ganges geworfen werden und dann an den frommen Badenden und das Wasser Trinkenden (alles zur Sündenvergebung) vorbei getrieben werden. Also, andere haben es aber gesehen. Um meine "Pläät" vor Sonnenbrand zu bewahren, suche ich ein Handtuch (so machen es die Inder), und ich finde eins mit lauter großen bunten Hakenkreuzen für 10 Rp. An und für sich denke ich bei solchen Käufen ja immer an eine neue Kostümierung für Karneval, aber hier überlege ich doch, daß ich so ja auch nicht zu Karneval herumlaufen kann, und kaufe mir ein Handtuch ohne solche Verzierungen für 7 Rp (1 DM). So ein Handtuch kann man ja bei uns noch nicht einmal öffentlich auf die Wäscheleine hängen (höchstens in London auf dem Flohmarkt verkaufen, da ist so etwas gerade in Mode, wohl als Effekt auf die ganzen Anti‑Nazi-Filme in den Kinos und im Fernsehen hin). Am späten Abend noch zu dem berühmten Durgatempel, wir dürfen nicht hinein, nur auf die Mauer ringsherum, unten viele Leute, zwischen den Säulen Ketten mit Glocken dran. Dort turnen auch Affen herum, die bisweilen an den Glocken läuten, aber auch auf unserer Mauer sind Affen, plötzlich kriegt eine Französin einen Weinkrampf, ein Affe hat sie von hinten an den Beinen angefaßt (er sieht ganz unbeteiligt drein). Alles sehr unwirklich und auch unheimlich. Ach ja, da Sonntag ist, war ich morgens in einer Kirche neben dem Hotel meines deutschen Begleiters, den ich am Bahnhof in Benares ganz zufällig wiedertraf. Die Kirche, anglikanisch, war schon etwas abgeblättert, die Predigt endlos. Als er nach 50 Min. immer noch nicht fertig war, ging ich. Die anglikanische Kirche (hier Church of India) wurde von den Engländern übernommen mit einigen großen Kirchenbauten in den großen Städten ‑ mehr scheint allerdings die katholische Kirche bei den Leuten anzukommen. Aber ein wenig macht das Christentum den Eindruck eines Fremdkörpers. Das wurde mir auch in den nächsten zwei Tagen in Kalkutta bewußt. Im Zug dorthin (ich hatte mich wegen Überfüllung der 2. Klasse gegen Zuzahlung des 3‑fachen in die 1. Klasse gesetzt) hatte ich ein nettes Gespräch mit einem indischen Ingenieur (der es mit dem Zuzahlen genauso gemacht hatte wie ich) über den Aberglauben. Ihm wurde so manches suspekt, als ein Klassenkamerad Krach mit seinem Vater wegen der Heirat bekam, weil das Sternzeichen des Mädchens nicht paßte. Von daher kam er auf den Trichter. Er erzählte mir auch von seinem Argument gegen die Horoskope: Wenn das Horoskop für Menschen gilt, müßte es doch auch für Pferde gelten ‑ und dann müßte man ja Pferderennen voraussehen können, bzw, deren Ergebnisse... Die Bedeutung, die den Horoskopen in Indien beigemessen wird, haben wir wohl noch vor uns...

Kalkutta: Menschen spannen sich vor die Rikschas...

Ja, und dann Kalkutta! Dem Gewühl am Bahnhof entging ich (wir kamen ja morgens an), indem ich mit meinem Ingenieur direkt zum Hooghlyfluß ging und mit einer Fähre übersetzte, der Bahnhof liegt nämlich eigentlich gar nicht in Kalkutta, er heißt auch Howrahbahnhof. Der Ingenieur nahm mich sogar noch ein Stück im Taxi mit und beim Indischen Museum suchte ich dann nach einem Hotel (ich fand auch so eins, wo die nicht etablierten Touristen so wie ich "absteigen"), ach ja, ganz ordentlich. Daneben war zwar das berühmte "Fairlawn", das auch 30 Jahre nach der Unabhängigkeit völlig im alten engl. Stil geführt werden, und ein volles Erlebnis sein soll, ein Erlebnis für sich (dahin gehe ich, wenn ich mal jemanden "ausführen" sollte... )! Jedenfalls gehe ich, fahre mit Bus, mit Straßenbahn dorthin, wo mir etwas interessant zu sein scheint. Zunächst natürlich zur Zugreservierung am kommenden Abend. Und hier erlebe ich das, wovon ich schon gehört habe: Im Reservierungsbüro, wo lange Schlangen stehen, werde ich in ein anderes Büro in einem Haus weiter verwiesen. Und hier sieht alles ganz anders aus: keine Schlange, kein vergittertes Fensterchen, durch das man mit dem Beamten spricht, nein, ein vernünftiger Tisch, dahinter ein Beamter, davor fast tiefe Clubsessel: das Reservierungsbüro für Touristen! Ich muß meinen Paß vorlegen (damit wohl auch feststeht, daß ich wirklich Ausländer bin und kein Schmu mit den Ausländerkontingentkarten getrieben wird, denn der Preis ist der gleiche, für 1400 km Liegewagen so um die 20 DM!), und erhalte auch gleich eine Karte. Das mit den Ausländerkontingenten ist verständlich, denn die normalen Karten sind schon immer seit Wochen ausgebucht, Ausländer hätten da gar keine Chance, mit dem Zug je in ihrem Urlaub vernünftig weiter zu kommen. Toll wird es dann bei der Abfahrt: auf dem Bahnsteig in einem Schaukasten und an den jeweiligen Waggongs hängen Passagierlisten (mein Name ist allerdings gräßlich in einer für mich ungewohnten neuen Variante verstümmelt: Mr. Prenzenhoff (klingt das jetzt indisch oder russisch, bin ich als Militärberater eingestuft?)!

Doch weiter in Kalkutta: Gegenüber dem Reservierungebüro an einer Parkecke füttert man wie bei uns die Tauben jede Menge Ratten. Da stehe ich wieder und gucke, was es nicht alles gibt. Es ist alles so unrealistisch, daß man sich gar nicht mehr wundert... Irgendwann ziehe ich meinen rechten Fuß (barfuß in Sandale) zurück, damit nicht doch noch eine Ratte daran knabbert. Neben der englischen (natürlich gotischen!) Kathedrale das Birlaplanetariurn, interessehalber gehe ich hinein (das in Bochum war um ein mehrfaches interessanter und weniger langweilig) dann auch etwas außerhalb mit der Straßenbahn (alles unheimlich abenteuerlich) zum berühmten Kalitempel, wo dieser grausamen Göttin heute noch Tieropfer dargebracht werden. Im "Gemeinderaum" campieren Leute, vor dem Bildnis der Göttin drängen sich Menschen, auch ich werde (auf Deutsch) genötigt zu opfern, immerhin ein paar Rupien, damit ich heil wieder herauskomme. Wirklich, alles wie im Buch Baruch, ich bitte meine Leser, unbedingt nachzulesen! Inzwischen habe ich auch einen Fotoapparat (eine russische Spiegelreflexkamera, zwar nicht zu teuer, dafür aber sehr schwer, aber was will ich ohne Fotoapparat?) und versuche eine Aufnahme, worauf mich einer wütend ausschimpft (dabei habe ich schon von draußen geknipst). Na, nur weg hier. Hier war wohl auch der erste Sterbendesammelpunkt von Mutter Teresa. Ein Rikschafahrer fährt mich dann zu ihrem heutigen 'Hauptquartier", eigenartig das Rikscha mit großen Holzrädern, das hier nicht wie ein dreirädriges Rad ist, sondern wo der Fahrer zwischen zwei Deichseln vor einem im Trab hertrabt...schon ein eigenartiges Gefühl. Mit dem zweiten Rikscha komme ich hin (der erste hat mich in die Gegend meines Hotels gefahren, obwohl ich durch einen "burgeoiseren" Passanten im gepflegten Anzug ihm genau erklären ließ, wo ich hin wollte), es ist schon dunkel, ich werde zur Hauskapelle geführt, wo viele Nonnen und auch ca. 20 ‑ 30 Europäer beten. Eindrucksvoll. Allerdings überrascht hier wie auch auf dem Weg zur Kapelle im Haus die gepflegte Atmosphäre... Ob das und der fehlende Hunger nicht auch für manche Mädchen eine Motivation ist, bei Mutter Teresa mitzuarbeiten? Vor allem auch, wenn man weiß, wie hierzulande so viele Ehen geschlossen werden? (Die Familie der Frau muß die Familie des Mannes "entschädigen" für die Kosten, die bei Ausbildung usw. ihres Sohnes angefallen sind. Das sind je nach Beruf so um die 15000 DM, d.h. für viele irrsinnig viel Geld. Da werden dann auch noch nach der Hochzeit "Ratenzahlungen" versprochen ‑ und wenn die nicht kommen, werden die Frauen mit Benzin übergossen und angezündet: solche Küchenunfälle mit dem Benzinkocher gibt´s pro Jahr um die 40000. Kommentar der Leute, "da hätte halt die Familie der Frau sich mit einem weniger kostspieligen Ehemann bescheiden sollen.. .").

Eine Nacht im Hotel, dann plane ich eine Stadtrundfahrt (da kommt man schneller herum), doch am nächsten Morgen um 8 Uhr wird abgesagt wegen Streik... Das Geld bekomme ich am späten Vormittag wieder, ich frage mich, ob sich zu dem Ärger die Lauferei überhaupt lohnt... Jedenfalls fahre ich auf eigene Faust zum berühmten botanischen Garten am Fluß ‑ eine Oase der Ruhe mit Seerosenteichen, schönen Blumen, riesigen Bäumen. An der Außenwand der Mauer sehe ich auch, wie die den Kuhdung trocknen, er wird in frikadellengroßen Mengen angeklatscht, an ihren eigenen Hauswänden machen das die Leute allerdings nicht. Zurück dann in einem kleinen Linienschiff auf dem Fluß, der hier schon von Flut und Ebbe bestimmt wird. Vor einer Bugwelle eines größeren Schiffs sehe ich am Ufer zum ersten Mal, wie die überraschten Büffel springen, sonst sind es so stoisch‑ruhige Tiere. Dann noch Viktoriamonument (es sollte wohl so ein britisches Gegenstück zum Taj Mahal werden) und sehr interessantes Indisches Museum mit allem Möglichen, so wie in London das Britische Museum, halt hier eben indisch. Interessant die landwirtschaftliche Abteilung mit Bildern und Proben von allem, was so angebaut wird. Zum Spaß bummle ich auch noch ein wenig per Straßenbahn, wo gibt es heute schon noch so romantische Straßenbahnen!

Und ich merke gar nicht, daß zum Kult des Gottes in Puri Marihuanakonsum gehört...

Abends dann (11. 8. ) Abfahrt nach Puri an der Küste südlich von Kalkutta, hier sollen eindrucksvolle Tempel sein. Mein gebuchter Liegewagen ist ja ganz gut, nur statt der Polster auf den drei Pritschen übereinander: Holzklasse! Also so was! So ähnlich muß das wohl auch im Knast sein! Und dann ohne Decke und Kopfkissen! Unter bzw. neben mir noch ein paar Europäer (klar, die haben auch von dem Kontingent bekommen). Da der Zug am nächsten Morgen irrsinnige Verspätung hat, beschließe ich vor der Fahrt zur berühmten Tempelstadt schon einmal einen Abstecher mit dem Bus nach Konarak, das mir auch empfohlen wurde. Herrliche Fahrt durch tropischen Urwald, dazwischen oft schilfgedeckte Hütten. Überall billig Bananen u.a. Und schließlich dann vor dem Sonnentempel von Konarak. Etwas tiefer auf einem großen Platz steht die Ruine, die etwa um die Jahrhundertwende auf Befehl eines englischen Leutnants durch Ausmauern vor dem endgültigen Zusammenfall bewahrt wurde. Auffallend an jeder Seite die sieben ca. drei Meter großen Räder aus Stein: der Ursprung vieler Tempel liegt im Prozessionswagen, in dem das Götterbild aufbewahrt und herumgefahren wurde. Und als ich näher komme: wieder sehr viel "Porno"-Medaillons in den Speichen, dahinter, darüber und lebensgroß ganz oben. Besonders hat es mir ein Paar (sie umschlingt "ihn" mit dem rechten Bein, damit man auch genau über ihr Tun informiert ist) unter einer Palme (? ) angetan, neben dem ein Gott mit einem Schlangenleib dargestellt ist. Wenn das nicht mythologisch mit unserer Paradiesgeschichte zusammenhängt! Die spezielle Weise der Verehrung der Sonne (wogegen ja die ganze Schöpfungsgeschichte geschrieben ist, und es wurde ja nicht nur die Sonne, sondern auch alles, was da sonst noch aufgezählt ist, derart "frivol" verehrt, zu Ehren des Mondes trieb's man wohl mit Tieren... ), die Schlange (bzw. der Schlangengott), der (zweihäusige) Baum... Es macht da auch nichts, wenn der Tempel etwa 1000 n.Chr. erbaut wurde, religionsgeschichtlich gehört er eben einer früheren Epoche an, eben der Epoche, in der die Urgeschichte der Bibel entstand. Das ist hier also das erste Kapitel von der Angelegenheit, die uns immer als erstes Kapitel verkauft wird. Jedes Kind zu dieser Zeit kannte wohl die in diesen Skulpturen enthaltene Mythologie und konnte die biblische Geschichte als Kritik an dieser Mythologie und der entsprechende Lebenspraxis einordnen. Also, ich glaube, hier eine Lücke in meinem Unterricht gefüllt zu haben ‑ die Dias später kommen bei interessierten Klassen auch ganz gut an! Warum werden eigentlich hier nicht mehr Zusammenhänge gesehen? Nie habe ich bei der Erbsündendiskussion Hinweise auf die indische Mythologie gehört, die in vielem ja dieselbe wie unsere früheren Mythologien sein dürfte!

Doch dann weiter nach Puri, in der Dunkelheit finde ich ein empfohlenes Hotel und gehe gleich einmal im Golf von Bengalen zum Schwimmen, lauwarm, aber schön. Andere Hotelgäste essen Hummer, die sie am Strand sehr günstig bei Fischern gekauft haben, ich esse für kaum mehr als 2, 50 DM eine leckere Makrele (mit Beilagen). Nachts höre ich das Rauschen des Meeres... Eigentlich wollte ich zwei Nächte hier bleiben, doch als ich am nächsten Morgen den Strand entlang gehe (da war ein Fischerdorf in der Nähe), entschließe ich mich, weiter zu fahren... der Strand wird nämlich von den Männern als öffentliche Toilette benutzt, erst, wenn die Flut abzieht, ist er einigermaßen "betretbar". ..(ich möchte einmal wissen, wo die Frauen das machen..., merkwürdig ist auch, daß nicht zu verbergen ist, daß es Männer sind, daß sie aber nicht "ohne" ins Wasser gehen .... ). Jedenfalls lasse ich mich mit einem Rikscha (die stehen immer vor dem Hotel und warten auf einen Kunden, der vielleicht kommt) zum großen Tempel fahren. Man darf ihn allerdings hier nicht als Nichthindu betreten. Puri ist einer der Hauptwallfahrtsorte, zwei gräßliche Götterbilder werden in dem riesigen Tempel aufbewahrt. Davor wird gerade der Prozessionswagen ab- (oder auf-?)gebaut, mit dem die Götterbilder einmal im Jahr, im Juli, über eine breite Prozessionsstraße zu einem anderen Tempel ‑ für eine Woche Sommerfrische ‑ gefahren werden. 4000 Menschen ziehen dann den 14 m hohen, irrsinnig schweren Wagen. Im letzten Jahrhundert noch sollen sich Pilger vor die Räder geworfen haben (der Wagen ist dann nicht mehr zu bremsen), um im Angesicht der Götterbilder zu sterben. 20 000 Leute sind mit dem Tempeldienst beschäftigt, ich glaube, da ist selbst der Vatikan gar nichts dagegen! Soviel ich mir denken kann, geht das alles auf eigene Rechnung: So eine Tempelverwaltung versucht, möglichst viele Pilger anzulocken, die dann möglichst gerade hier viel für ihre erfolgreiche Wiedergeburt spenden sollen (für die die Priester dann die notwendigen Rituale vollziehen), der Effekt ist zumindest ein ganz gutes Geschäft für die Priestergesellschaft. (Man möge mir meine Bemerkungen verzeihen, auch bei uns im christlichen Denken halte ich da manches für Fehlinterpretation, was dem, was ich dort in Indien erlebt haben, ähnelt. )

Das Tempelinnere kann ich vom Dach der Bibliothek daneben aus sehen, nicht viel, aber immerhin. Gut, daß ich meinen englisch-deutschen Führer dabei habe, dadurch kann ich wenigstens das übersteigerte Trinkgeld vermeiden (unverschämt sind die auch noch, dabei darf man noch nicht einmal in den Tempel!). Mittags dann weiter nach Bhubaneshwar, Station an der Küstenstrecke, aber auch berühmter Tempelort. Auch hier darf man nicht in die Tempelanlage, die aus 50 kleineren Tempeln besteht; leider habe ich mein Fernglas vergessen, und so kann ich nicht viel von der Aussichtsplattform sehen, die einst für Lord Curzon zu seinem Besuch von Bhubaneshwar gebaut wurde. In Bhubaneshwar (so heißt übrigens auch der Gott der drei Welten, der hier verehrt wird) befindet sich ein großer Wasserspeicher (ein rechteckiger See, zu dem ringsherum Stufen hinunter führen) mit Wasser aus jedem heiligen Gewässer in Indien (angeblich), wenn es um das Abwaschen von Sünden geht, wäscht dieses Wasser eindeutig am besten (ein Argument für die Wallfahrt nach Bhubaneshwar!)! Rund um den Speicher sollen einmal 7000 Tempel gestanden haben, heute sind es noch 500. An einem davon, etwas weiter entfernt, finde ich auch die aparteste erotische Darstellung meiner Indienfahrt: Eine Dame mit einem erschrockenen Gesichtsausdruck (sie hat allerdings auch ihre Hand schnippisch an ihrer Nase), der offensichtlich seine Ursache darin hat, daß ihr "Partner" seine Hand in ihrem Höschen hat (und das alles an Tempeln – „zur Abwehr böser Geister“!).

Eisenbahnfahren in Indien - das ist noch ein Eisenbahnerlebnis!

Um 18 Uhr dann ‑ zunächst mit einem Vorzug ‑ Abfahrt nach Madras. Hier erlebe ich auch, was man so alles bei einer indischen Zugfahrt erlebt! Pausenlos kommen Händler durch den Zug, die alles Mögliche verkaufen, Obst, Kekse, Kokosnüsse, Bananen, auch ein Junge kriecht mit einem Reisigbesen über den Boden und macht ihn sauber, dafür sammelt er dann anschließend;  ich schätze, er muß sogar die Pfennigbeträge, die er dabei erhält, an seinen "Beschäftigungskonzern" abliefern. Einen solchen Jungen sehe ich, wie er einen angeknabberten Keks unter einer Bank findet ‑ und ißt. Auch blinde Flötenspieler oder Sänger kommen durch den Zug. Fürs Essen braucht man sich vor der Reise auch als Einzelreisender nicht zu sorgen, irgendwann kommt u.a. ein Bahnbediensteter und nimmt Bestellungen fürs Diner entgegen, Kosten für vegetarisch so 5 Rp (85 Pf), dafür bekommt man dann zur Speisezeit einen riesigen unterteilten Blechteller mit Reis. Gemüse, Jogurth, Gewürzen u.a. ‑ nur kein Besteck! Gut, daß es die Wasserhähne auf den Toiletten und davor immer tun, so kann man sich vorher und nachher wenigstens die Hände waschen!

Und dann bekommt man im Zug natürlich auch das indische Familienleben mit! Also, ein volles Erlebnis! Die 2.‑Klasse‑Sleeper‑Waggons sind übrigens breiter als bei uns, so daß im nichtabgegrenzten Abteil vier Leute nebeneinander sitzen, und dann auf der anderen Seite des Ganges noch einmal einer. Die Liegen lasen sich so ähnlich  herunter‑ bzw. heraufklappen wie bei uns, auf der anderen Seite des Ganges etwas an­ders. Die Fenster sind vergittert (damit wohl die Leute bei überfüllten Zügen nicht nur die Fenster als Ein‑ und Ausgänge benutzen) und kleiner, und in jedem Abteil sind an  der Decke drei große Ventilatoren, vor allem wichtig bei Aufenthalten! Ich habe immer gerne ein oberstes Bett gehabt, da kann man auch tagsüber schlafen ‑ auf diese Weise  wird eine Indienfahrt doch noch recht erholsam! ‑ Interessant sind auch die Aufenthalte auf den Bahnhöfen: da drängelt sich dann alles um irgendwelche Essensstände. Ich er­innere mich an eine Art Kartoffelflinsen mit Soße in Einweggeschirr aus mit kleinen Bambusstäbchen zusammengesteckten Blättern, muß das alles eine Arbeit sein! Und dann für Pfennigbeträge! Und Kinder stehen drumherum und fragen die Reisenden, ob sie ihre Reste gleich weiteressen dürfen...

Im Anschlußzug bis Madras, dem Coromandelexpreß (die großen Züge haben alle klangvolle Namen), sitze ich dann im Abteil zusammen mit zwei französischen Studentinnen und einem frz. Studenten, die in Kalkutta für einige Wochen bei Mutter Teresa gearbeitet haben. Wir unterhalten uns sehr gut. Die Gegend: Reisfelder, Weiden, und ab und zu breite Flussläufe, die groß­artigen Brücken überquert werden. Die Küste ist zuweit entfernt, als daß man sie sehen könnte (nur kurz vor Madras). Wir kommen mit 5 min Verfrühung in Madras an, ich rase mit einem Dreiradtaxi zur Post und natürlich! finde ich eine informati­ve Postkarte von meinem Vater vor! Er denkt halt immer an mich! Wieder unheimlich  viele Menschen; da im Führer Madras nicht besonders empfohlen wird, fahre ich gleich mit einem Bus weiter Mahabalipuram, einem Städtchen am Meer mit schönen Tempel­chen, einer davon auch vom Meer zerzaust, unmittelbar am Strand. Alles wunderbar, da wegen des Unabhängigkeitstages alle Hotels überfüllt sind, schlafe ich auf der Dach­terrasse eines kleinen Restaurants. Auch das Essen ist gut, für 50 Pp (so 7 DM) be­kommt man schon eine Portion Langusten, ‑ und der Strand ist auch sauber, so bleibe ich noch eine zweite Nacht da, also, das Städtchen kann man wirklich empfehlen! Un­ter den indischen Touristen befindet sich auch eine Busladung christlicher Inder mit ihrem sympathischen Pater, der alles organisiert. Ich gehe auch einige km am Strand entlang (zumeist ganz einsam) zu nördliche gelegenen Felsentempeln mit einem Tigerkopf über dem Eingang der eine.

Kanchipuram - die Stadt der vielen (hinduistischen) Vatikans!

Die Abfahrt am Morgen verzögert sich lange, da niemand genau weiß, wann der Bus geht, Ziel ist eine weitere Wallfahrerstadt: Kanchipuram. Ich bin jetzt auf dem Weg nach Westen, die Südspitze von Indien muß ich mir leider we­gen Zeitmangels schenken. In Kanchipuram ist das Essen in einer Busstation auf einem Bananenblatt, dann leihe ich mir ein Fahrrad (für 8 Pf die Stunde: Preise für Pilger) und beginne die Tempel abzuklappern. Gleich beim ersten Tempel stoße ich auf eine frz. Studentin, die ich auch zuvor im Bus getroffen habe, sie ist hier mit Gepäck und Rik­scha, ‑ und sie leiht sich daraufhin auf meine Empfehlung hin auch ein Fahrrad. So klappern wir denn die weiteren Tempel gemeinsam ab. Und es gibt darunter riesige Tempelan­lagen! In einer kommen wir sogar bis in den ersten Innenraum (die Anlagen bestehen je­weils aus einem großen Hof mit einer Mauer herum, dann den Gebäuden und vor allem hier ist über dem Eingangstor in der Mauer ein großer reichverzierter Turm). In diesem Innenraum sind viele Säulen (etwa wie die Meschita in Cordoba), hinter der äußersten Säulenreihe jede Menge riesiger Lingams! Also, denke ich mir, das glaubt mir kein Mensch, jetzt muß ich doch mal zählen... Priester, die uns entgegenkommen, merken offenbar, was mich da beschäftigt, und meinen, ich müsse gar nicht zählen, es seien insgesamt 136 Lingams, und sie zeigen uns auch noch einen großen Lingam, der aus 1008 kleinen Lingams aufgebaut ist... Im Hof unter einem Baum fragt uns ein Junge nach unseren persönlichen Verhältnissen, worauf ich ihm erklärt, daß das meine Frau sei, dann auch Fragen wegen der Kinder usw. ‑ meine frische Bekannte amüsiert sich sichtlich über meine spontanen Antworten! (Die sind aber auch alle neu­gierig!)

In einem weiteren Tempel zeigt uns ein Priester in einer 500‑Säulen‑Halle interessante Skulpturen, Ritter mit Gewehren, dann auch ein Liebespaar mit stark un­terschiedlicher Größe,  wobei „sie“ sich auf die Zehen stellt, um "ihn" zu küssen. Eigent­lich hätte ich mich mit der Französin mehr unterhalten müssen, die hatte mehr Ahnung von der Mythologie und konnte auch gleich die Statuen immer einordnen. Doch wir trenn­en uns: das Mädchen fährt  zurück nach Madras, um den Nachtzug nach Bangalore zu errei­chen, ich bleibe die Nacht in einem Hotel und fahre am Morgen direkt mit einem Bus (wobei ich einen Tag gegenüber dem Mädchen verplempere). Die Dusche im Hotel ist lustig: ein großer Edelstahltopf mit einem Schöpfgefäß, so geht's auch!

Wohlhabendere Gegend in Indien: Bangalore und Mysore.

Am 17. (Mo. ) dann also nach Bangalore und von dort mit einem Schnellbus nach Mysore, das sehr empfohlen wird. Die ganze Zeit hier im Süden ist das Klima übrigens sehr angenehm, da macht es nichts, wenn es auch bisweilen heftig regnet. Ich beschließe, in Mysore eine Nacht zu bleiben, um dann wieder über Bangalore (und nicht über Goa, das ich mir nun fürs nächste Mal aufspare) nach Bombay zu fahren. Mysore ist bekannt durch die Seidenverarbeitung, auch gibt es herrliche Holzintarsienarbeiten (als ich einen Tisch kaufen wollte am zwei­ten Abend, hatte der Laden leider schon zu). Mysore ist auch die Sandelholzstadt, wovon ich aber nicht so viel mitbekomme. Den ersten Tag plane ich für Mysore, den zweiten für die Umgebung. Zuerst also auf den Chamundi Hill zum dortigen Tempel, vor allem auch wegen der schönen Aussicht. Auch hier bekomme ich beim Schuheabgeben (ich glaube, das ist nicht wegen der Pietät wie bei den Muslims, denn da darf man ja in den Moscheen die Schuhe in der Hand tragen, sondern weil die Schuhe aus Leder sind, und Leder ist ja Tierhaut, und das paßt den vegetarischen Hindus nicht) für 35 Pf Opfergaben (Zeitungspapiertütchen mit irgendetwas, ich habe leider nicht nachgesehen), die mir dann auch gleich vom Priester, der die Opfergaben einsammelt, abgenommen werden. Weiter dann der Maharadschapalast, den einzigen, den ich zu Gesicht bekam, und den ich zwar protzig, aber phantasielos empfinde. Also, da ist selbst Herrenchiemsee viel schöner! So Art Jugendstil, bisweilen mit Glaskuppeln, aber nicht vom Hocker reißend. Das Beste sind noch zwei oder drei Silbertüren.

Nachmittags fahre ich dann mit Linienbussen zu einem wunderschönen Tempel "Somnathpur", nicht groß, aber durchaus mit unseren schönsten gotischen Kathedralen konkurrenzfähig. Unterwegs sehe ich mir auch einen Dorftempel mit einem großen Prozessionswagen an. Und bei der Rückkehr gehe ich natürlich auch noch einmal über den bunten und lebhaften Frucht­ und Gemüsemarkt, alles ein Erlebnis! Im Restaurant treffe ich ein junges Pärchen, das Mädchen berichtet mir begeistert, daß man gerade eine Bluse aus Seide für sie schneidert (Lohn 3, 50 DM) ‑ und etwas später kommen auch beide wieder an, und sie zeigt mir stolz ihre Neuerwerbung und dreht auch die Nähte um: ". . . alles ganz prima, ganz perfekt, nicht schludrig ..., worauf ich meine, daß sie sich jetzt eigentlich noch schnell ein seidenes Abendkleid für Bayreuth anfertigen lassen müsste! (Sie meint, ja, das sei ja auch nur der Test gewesen l) Und auch mit einem Medizinstudentenpaar aus England unterhalte ich mich, es ist richtig gemütlich!

Am nächsten Tag dann mit einem organisierten Minibus zu einigen weiter entfernt gelegenen Sehenswürdigkeiten. Zunächst einem Jainsheiligtum in Sravanabelagola. In einer Tempelanlage auf einem Berg steht da eine 17 m hohe Statue des nackten Lord Bahubali (nur um die Unterschenkel ranken sich einige Pflanzen). Ein Priester begießt den großen Zeh mit Wasser, Milch, Milch von Kokosnüssen, und stellt Opfergaben hinzu. Man kann hier einmal alles sehr gut beobachten. Unterhalb ist natürlich auch wieder ein großes Wasserbecken... Vor sechs Jahren war hier 1000‑Jahr‑Feier, da kamen mehr als 1 Million Schaulustige und Pilger, man baute sogar Satellitenstädte, um die Leute unterzubringen. Auch sonst ist sehr gemütlich hier ‑ eigentlich könnte man ein paar Tage zubringen! Bald nach der Weiterfahrt streikt unser Minibus, als der Fahrer das rechte Hinterrrad abmontiert, sehen wir es : total zerstörtes Kugellager! Wir warten zwei bis drei Stunden in der Hoffnung, daß bald Ersatz herbeigeschafft ist (die indischen Teilnehmer der Ausflugstour haben dem Fahrer das Geld vorgestreckt, mit dem er dann in einem Taxi abgebraust ist), schließlich setze ich mich mit einem LKW als erster ab, wie ich später feststelle, folgen die anderen sehr bald, mache winkten mir aus überholenden Bussen zu... Schließlich wollten wir ja wenigstens noch einen der geplanten Tempel ansehen, ich entscheide mich für den von Belur, ähnlich eindrucksvoll wie der am Tag davor. An diesen Tempeln aus Speckstein beeindrucken vor allem die Säulen, die wie gedrechselt aussehen, Figuren gibt es weniger. Es lohnt sich! Mit Linienbussen dann zurück nach Mysore, und dort per Zug nach Bangalore um etwa 23 Uhr. Für die ersten 250 km dorthin braucht der Zug die ganze Nacht! Aber er ist erheblich billiger als das Hotel! (Zwar wieder Holzklasse, ebenfalls wie gehabt mit Passagierliste.) Und dann noch einmal 24 Stunden bis Bombay, wieder erlebe ich Familien‑ und Eisenbahnleben.

Bombay - Türme des Schweigens und Käfige...

Eigentlich will ich noch mehr als Bombay die berühmten Höhlentempel von Ellora und Ajanta ansehen, doch wie ich auch rechne, ich wäre mit der Zeit nicht hingekommen. Da gibt es Tempel, die in den Fels gemeißelt sind, in der Größe des Parthenons von Athen! Ich weiß auch nicht genau, was mich immer zu solchen Stätten hinzieht; warum ich mir so etwas ansehen "muß" ‑ ob es der "genus loci" (der Geist des Ortes) ist, den ich einatmen möchte, oder ob ich hoffe, daß mir etwas auffällt, was nur jemandem auffällt, der auch unmittelbar davor steht, ob es ganze einfache Neugierde ist, ob es Abenteuerlust ist ...Jedenfalls weiß ich schon etwas für das nächste Mal!

Ankunft in Bombay mit dem Udyan Expreß um 7 40 Uhr früh, Freitag 21. Bombay sieht noch englischer aus als Kalkutta, vor allem auch durch die roten Doppeldeckerbusse. Zu Fuß gehe ich zu dem Viertel, in dem die in meinem schlauen Buch empfohlenen Hotels liegen, ich finde auch gleich ein recht ordentliches. Ich treffe auch einen österreichischen Weltenbummler, der gerade aus Ostafrika kommt, wo er völlig bestohlen wurde und von wo ihm auch noch die Angst in den Gliedern sitzt, weil jede Nacht in der Nähe des Hotels Maschinengewehrfeuer zu hören war. Er will allerdings bald weiter nach Thailand. Und da waren doch noch welche – vergessen! Jedenfalls kommt mein Vorschlag durch, mit einem Boot auf die Insel "Elephantine" zu fahren, wo es einen erreichbaren Höhlentempel gibt. Leider regnet es auf der Insel so stark, daß ich sehr froh bin, einen Fahrradregenumhang mitgeschleppt zu haben. Auch lasse ich die Schuhe im Lokal an der Bootsanlegestelle stehen und gehe barfuß. In dem riesigen Höhlentempel (er ist den Büchern nach längst nicht so eindrucksvoll wie der von Ellora ‑ bzw. wie die von Ellora, denn dort gibt es mehrere) befinden sich Kolossalstatuen von Schiwa und anderen Gottheiten. Auch gibt es einen dreiköpfigen Schiwa und natürlich ein Lingam(‑schrein). Bei der Bootsabfahrt stoßen wir auf einen Deutschen mit seiner goanesischen Frau (wie sich später herausstellt). Er hatte seine Frau ‑ wie er erzählte ‑ gleich bei der Ankunft unseres Schiffes darauf hingewiesen, daß ich ein Deutscher sei, weil ich so über das Wetter fluchte (es gibt doch immer einen, der einen versteht, und wenn es auf der verlassensten Insel im unmöglichsten Wetter ist!). Wir fahren dann mit den beiden, Georg und Cheryl, wie sie sich später vorstellen, zurück, und werden auch in einem chinesischen Restaurant sehr nobel zum Abendessen eingeladen (ich esse natürlich wieder Hummer). Auch trinken wir wohl eine ganze Menge Bier. Aus den Gesprächen erfahre ich, daß Georg ein "Edelaussteiger" ist, so um die 50, hatte er bis vor nicht langer Zeit in Krefeld eine große Malerfirma. Nach einem (oder 2 ) Herzinfarkten "stieg er aus". Er heiratete besagtes Mädchen (so Anfang 20), zwei Scheidungen in Deutschland hatte er hinter sich. Z. Zt. läßt er sich auf der Insel Elefanta (oder ‑ine) eine Luxusjacht von 44 m Länge aus Burma-Teak bauen (das muß ganz was besonderes sein). Er stöhnt sehr über die unverschämten Betrügereien und die Korruptheit vor allem der Behörden. Seine Frau war Juristin und ist z.Zt. einsame Hausfrau, was für sie m.E. gar nichts ist. Ob sie sich nach einer für sie erfüllenden Beschäftigung umsieht? Wir unterhalten uns lange über die Möglichkeiten, auch wenn ihr Mann mal draußen ist. ‑ Spät abends trennen wir uns, mich hatte das alles sehr interessiert.

Am nächsten Tag bummele ich zunächst durch die ärmlichen Viertel in der Nähe des Hotels, bin dabei auch in einer katholischen St. ‑Peter‑Julian‑Kirche (so auch in Düren eine Kirche in der Nähe der Schule), gehe schließlich auch ins Prince‑of‑Wales‑Museum, einem Allroundmuseum. Vor allem fällt mir ein dattelpalmebestäubender Genius aus Assyrien auf, so wie ich ihn auf der Rückseite meines Buches abgebildet habe, also ist es ganz sicher, daß sich auch die Inder auf die Kultur des Zweistromlandes berufen, also ist die Verbindung der Bibel mit den indischen Gottheiten nicht nur vage Vermutung, sondern sicher. (Wohlgemerkt: das Judentum hat seinen Glauben an den einen Gott im Gegensatz zu diesen Kulturen begründet, es ist also unsinnig, hier einfach nur Parallelen zu ziehen).

Danach setze ich mich dann in einen Bus (130), um einmal in der Falklandstreet an den "Käfigen" vorbeizufahren, so sind hier die Damen des "zweifelhaften Gewerbes" untergebracht. Bevor ich jedoch ein Stückchen zu Fuß durch diese Straße gehe, gehe ich erst noch einmal in ein Kino, irgendeinen von den indischen Filmen muß ich mir doch auch einmal ansehen. (Indien ist weltweit das Land mit der größten Filmproduktion!) Das Kino ist ausverkauft, der Platz kostet 50 Pf., vor allem Männer zwischen 20 und 40, so schätze ich wenigstens. Es ist eine Art Musical auf der Leinwand, es kommt alles vor, ein junges Mädchen verteidigt ihren Verehrer gegenüber dem Sohn eines Maharadschas, der Maharadscha selbst hält zu dem Mädchen usw. Ich habe das Gefühl, es kommt in dem Film alles vor, was so der indische Film schlechthin seinem Publikum zu bieten hat. Die Leute um mich herum sind begeistert (sie werden es wahrscheinlich nicht verstehen, daß mein Platz nach der Pause leer geblieben ist).

In einem in meinem Buch empfohlenen Delhi Durbar esse ich leckeren Fisch, dann wage ich mich ins Gebiet der "Käfige" in derselben belebten Straße. Ja, unten stehen die Mädchen tatsächlich bisweilen hinter Schranken, und von oben winken sie mir lebhaft zu, nachdem sie mich in meinem Regenumhang entdeckt haben, ach ja, es sind fast noch Kinder. Eine alte Kuppelmutter bietet mir was Jüngeres an, eine andere (immer, obwohl ich schon ziemlich mitten auf der Straße gehe) bietet´s mir „französisch“ an (offenbar die Positionen auf dem Tempel), jedoch ich will weder französisch, noch englisch, noch amerikanisch und flüchte... Überall liegen die "Abfälle" der Liebe herum im Dreck der Straße (wie sie z.Zt. auch bei uns von Frau Süssmuth ‑ "Süssmuthhütchen" ‑= empfohlen werden).

Mit einem Linienbus fahre ich noch zu den „Hängenden Gärten“, das sind überdeckte Wasserspeicher mit Parkanlagen. In der Nähe befinden sich die "Türme des Schweigens" der  Parsen. Hier werden die Toten der Parsen nackt den Geiern zum Fraß angeboten, denn die Parsen dürfen weder Luft, noch Wasser, noch Erde verunreinigen. Und da die Geier bei ihrem Wegflug mit "Beutestücken" schon einmal etwas fallen ließen, wurde die Wasserspeicher der Stadt eben überdacht... Abends dann Abfahrt mit dem "Frontier Mail" (dem Grenzpostzug), ich habe mir noch schnell vor der Abfahrt eine Flasche Bier besorgt, was allerdings ein Verstoß gegen die Eisenbahnordnung ist (Alkoholverbot im Zug). Doch für uns Ausländer ist das alles halb so schlimm, schließlich ist Bier ja für uns durchaus auch Medizin.

Rückfanrt nach Delhi und Rückflug nach Europa

Am Sonntag, 23. 8., dann wieder in Delhi, meine Freunde erwarten mich schon. Beim Bummel am Montag für die letzten Einkäufe werde ich von einem Geldwechsler noch ganz schön betrogen (statt des Geldes habe ich ein Bündel zerschnittenes Zeitungspapier in der Tasche, ich weiß bis heute nicht, wie der Betrüger das geschafft hat), mein Fehler war, daß ich trotz meines Mißtrauens schließlich in ein Dreiradtaxi zum Wechseln gestiegen war ‑ und Taxi und Wechsler nach der Transaktion im Gewühl verschwunden waren. Alles sieht hier genauso aus, keine Chance, die Betrüger zu finden...

Mit meinem Gastgeber kaufe ich noch einige Meter Naturseide ein und fahre dann spät abends zum Flughafen. Vorsorglich setzt sich mein Gastgeber (auf meinen Vorschlag) hin erst einmal selbst ins Dreiradtaxi und schreibt sich demonstrativ die Nummer auf.

Doch es klappt alles! Im Flugzeug lasse ich mir erst einmal ein Glas Rotwein geben, der erste Wein nach fünf Wochen.

Leider ist der Flug weitgehend in der Nacht, so daß ich kaum etwas von der Welt unter mir mitbekomme. In London finde ich mein Auto leicht verwüstet vor: die Gegend, in der ich parke, hatten "Paintstrippers"  (= Farben"entkleider") in meiner Abwesenheit unsicher gemacht, dabei war dann auch die Motorhaube meines Autos betroffen. Ein Herr wies mich schon darauf hin, bevor ich es selbst bemerkt hatte, und sagt, daß auch die Polizei schon informiert sei, ich könne mir gleich meine Bescheinigung (für die Versicherung) abholen ‑ doch wer lässt schon so alte Autos, wie ich sie fahre, versichern... So habe ich jetzt ein Souvenir aus London am Auto.

Da ich schon einmal in England bin und noch einige Tage Ferien habe, beschließe ich, noch einige Tage auf der Insel zu verbringen. Leider ist das Wetter nicht gut, so plane ich nicht viel: zunächst einen Tag Londonbummel  (mein Auto lasse ich stehen und fahre mit der U‑Bahn (Netzkarte pro Tag für 6 DM), dann noch einen Tag Museen, dann am Rückreisetag mit dem Auto in die nähere Umgebung von London. Mich interessiert da zunächst einmal eine der großen alten Abteien: St. Albans. Diese Abteien wurden ja alle im Zuge der Einführung der Reformation (anglikanische Hochkirche) durch Heinrich VIII. enteignet. Heinrich hatte sich wohl davon eine erhebliche Auffrischung seiner Finanzen versprochen. Doch das war nicht der Fall: die Klöster hatten sozusagen von der Hand in den Mund gelebt, Reichtümer hatten sie nicht angehäuft. Ihre Wirtschaftskraft bestand nur in ihrer Existenz, die Aufhebung brachte für Land und Leute eher wirtschaftliche Nachteile mit sich. Dann war ich noch in Waltham Abbey und Rochester, besonders Rochester ist sehenswert. Von der Abtei in Waltham steht heute nur noch ein kleiner Teil der Kirche.

Am Freitag vor Schulbeginn bin ich dann wieder auf meinem Bau ‑ so früh war ich noch nie zurück!

Ja, was hat die Fahrt "gebracht''? Ich schrieb bereits, daß mich Indien nicht in erster Linie von der Armut und der Not der Menschen her beeindruckt hat, wie es von vielen vielleicht erwartet wird. Es ist nun einmal leider so, man gewöhnt sich... Nein, mich hat etwas anderes beeindruckt: Ich war zum ersten Mal in einem Land, in dem sich die Kultur erhalten hat, wie sie bei uns und auch im Vorderen Orient durch Christentum und Islam verschwunden ist. Ich finde, so eine Fahrt in die Vergangenheit muß man einfach einmal "erleben". Da vergesse ich dann auch meinen Gewichtsverlust von immerhin 5 kg! Und daher würde ich auch wieder einmal nach Indien fahren (zunächst hatte ich nicht so viel Lust, aber wie das so ist. . . ), ich mußte wegen der Knappheit der Zeit manches auslassen, das müßte noch nachgeholt werden, na, und dann eben man müßte sich auch wohl noch mehr unterhalten. ‑ Der eine Junge meiner Gastgeber in New Delhi fragte mich auch, ob ich nicht ganz gerne in Indien leben möchte, worauf ich ihm doch etwas ausweichend antwortete.. . (Wenn ich daran denke, wie ich am vorigen Sonntag ‑ inzwischen ist schon Dezember! ‑ in der St. Pauluskirche in Antwerpen bei einer Orchestermesse war ‑ wir sind halt doch einen anderen Kulturkreis gewöhnt!) Und dann war natürlich auch das Gespräch mit meinen Gastgebern über die Beliebtheit der Amerikaner und der Russen. Die Damen meinten, daß für die Hungernden eigentlich die Hilfe der Amerikaner doch sehr sinnvoll sei und daher wohl auch die Amerikaner effektvoller seien. Der Herr sah das anders, wichtig ist vor allem der menschliche Umgang, und da komme man sich von den Amerikanern wohl etwas hochnäsig behandelt vor. Unter diesem Gesichtspunkt muß man dann sicher auch die sowjetischen Kulturwochen sehen, die ‑ wie ich in der Zeitung las ‑ kürzlich in New Delhi stattfanden, ob so etwas ‑ trotz des Hungers und der Not in Indien ‑ letztlich nicht doch wirkungsvoller ist?

Und die nächste Fahrt? Gerne wieder einmal Vorderer Orient, das aber vielleicht in einer Frühjahrsfahrt, dann aber vor allem ein Land (oder Länder) mit noch anderer Religion, da käme dann Thailand mit einem Abstecher nach Burma infrage. Eigentlich müßte man die Flüge bald buchen!

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