Basislexikon: Menschenopfer im vorkolumbischen Amerika

Zum Thema Menschenopfer

 

Es geht hier um einen Eindruck von den Menschenopfern bei den Azteken

 

Unvorstellbar groß muß die Angst vor dem Verschwinden der Sonne gewesen sein, ein Schatten, der ständig das Leben der alten Mexikaner bedrohte. Nur etwas könnte die Katastrophe wenn nicht abwenden so doch hinausschieben: das Menschenopfer, denn das menschliche Blut und das menschliche Herz waren ja das Kostbarste, was^ man den Göttern als Opfer darbringen konnte.

Fanden Menschenopfer bei den Tolteken noch innerhalb gewisser Grenzen statt, so steigerten sie sich später bei den Azteken bis ins Unermeßliche. Die unersättlichen neuen Gestirnsgötter, voran der Sonnengott, verlangten Blut - und Blut war nur durch Opferung von Gefangenen zu beschaffen, die im Kriege gemacht wurden.

Dabei schnitt der Priester schnitt dem Opfer das Herz aus der Brust, um es dem Gott darzubringen. Beim Xipe-Opfer zog der Priester die Haut des Getöteten an und stellte damit den sich erneuernden Gott dar. Auch dem aztekischen Kriegsgott wurden zahlreiche Menschenopfer dargebracht, so daß sein Altar oft von Blut überströmt war. Doch es gab auch andere Götter, etwa Xochipili, Gott der Freude, der Musik und des Tanzes, mit Zahnhalsband und Symbolen der Sonnenhitze geschmückt, oder der Gott des Kornes und der Feldfrüchte bei den Maya.

 

Zitat aus Hans-Joachim Schoeps: "Religionen, Wesen und Geschichte", Bertelsmann, Gütersloh, ohne Jahresangabe:

Religionen im vorkolumbischen Amerika

Neben den Naturvölkern Nordamerikas wie den Sioux- und Algonkinindianern, den animistischen (an Seelen glaubenden) Eskimos an der Nordküste, den Pueblostämmen in Arizona und Neumexiko haben die Völker untergegangener altertümlicher Hochkulturen in der vorkolumbischen Zeit religionsgeschichtliche Bedeutung. Als solche sind die Azteken in Mexiko, die Maya im heutigen Guatemala und die Inka in Peru hervorzuheben. Ihnen allen haben die spanischen und portugiesischen Eroberer oder Konquistadoren des 16. Jahrhunderts das Lebenslicht ausgeblasen. Damals sind hochentwickelte Schriftkulturen - hieroglyphisch wirkende Bilderschriften -, Volksreligionen mit großartigen Tempeln und ein reicher Kultus infolge einer mit sinnloser Grausamkeit betriebenen Ausrottungspolitik zugrunde gegangen. Erst archäologische Untersuchungen der großen Kultbauten, Steinskulpturen, Gräbergaben haben es in den letzten Jahrzehnten möglich gemacht, unter Rückgriff auf alte Mönchschroniken aus der ersten Eroberungszeit, ein Bild des einmal Gewesenen zu gewinnen.

Die Azteken

Die Azteken, denen ältere Völker wie Tolteken und Mixteken vorangingen, haben ihr Reich mit der Hauptstadt im jetzigen Mexico-City um 1325 gegründet; es hat bis zur Eroberung durch die Spanier (1521) bestanden. Als Hernando Cortez seine Eroberung begann, soll der Aztekenfürst Montezuma im Kommen der Weißen die Wiederkehr eines mythenumwobenen weißen Heilbringergottes Quetzalcoatl ( = Schlange mit bunten Federn), eines vergöttlichten Kultheros aus der alten Toltekenzeit, erblickt haben. Dieser war einst nach Osten gewandert und ihnen schon oft als Morgenstern am Firmament erschienen. Auf seltsame Weise haben sich nun aber Erlösererwartung und Hochkultur unter großartigen Organisationsformen bei den alten Mexikanern mit einer kannibalischen Grausamkeit in der Götterverehrung verbunden. Söderblom gibt den Bericht eines Begleiters von Cortez wieder, der erzählt, daß die Spanier aus ihrem europäischen Gesichtskreis kein Staatswesen kannten mit einer so mustergültigen Ordnung und einem so untadeligen Ineinandergreifen des ganzen weitläufigen Apparates: „Gärten und Felder hatten Wasserleitungen, ausgemauerte Teiche und Süßwasserweiher. Die Proviantversorgung der Hauptstadt und der Warenaustausch waren in vorbildlicher Weise durch Kähne auf den Lagunen und durch Landstraßen in allen Richtungen geordnet. Der Marktplatz bei Chapotepeq war derart, dass Soldaten, die in Konstantinopel und Rom gewesen waren, nirgends einen so wohlgeformten Platz, mit solcher Ausdehnung und dabei so geordnetem Verkehr der riesigen Menschenmengen gesehen hatten. Die Sitten zeigten in gewisser Hinsicht mehr Verfeinerung als im alten Europa. Aber am selben Tage, an welchem Montezuma dem Cortez und seinen Kapitänen einen Tempel und zwei abscheulich dargestellte riesenhafte Götzen mit dicken, mächtigen Leibern zeigte, wurden, wie man sah, drei menschliche Herzen von an diesem Tage geopferten Indianern in Kohlenbecken verbrannt, die mit kostbarem Harz geheizt wurden, das einen weihrauchartigen Duft entwickelte. Boden und Wände waren schwarz von Blut, das entsetzlich stank. Das Fleisch der geopferten Menschen wurde für die Priester gekocht. Sofort nach dem Opfer wurden Arme und Schenkel abgeschnitten, um bei Festen und Banketten verzehrt zu werden. Die Köpfe wurden aufgehängt. Der Rumpf und andere geopferte Menschen wurden den für die Götter gehaltenen Raubtieren vorgeworfen. Das Fleisch ganz junger Knaben wurde als Leckerbissen betrachtet und neben einer Unmenge von allerlei Gerichten auch dem König dargebracht. Die Götter waren, wie die Mexikaner sagten, wild und forderten viel, gaben aber auch als Gegenleistung in gerechter Weise Gesundheit, günstige Witterung, Wachstum und Sieg über die Feinde. Die spanischen Eroberer waren erstaunt, im Dienste solcher mit Bärengesichtern oder sonstigen schreckhaften Zügen abgebildeten, mit Kostbarkeiten übersäten Götzen Nonnen aus den vornehmsten Familien und schwarz gekleidete Väter mit weiten Kapuzen und sehr langem Haar zu sehen, die an die Dominikaner erinnerten." Diese hier geschilderten kannibalischen Blutorgien — bei einer einzigen Feier 1486 sollen mehr als 60000 Menschen, wohl Kriegsgefangene, zu Ehren des Feuergottes als Opfer in die Flammen geworfen worden sein — lassen die Handlungsweise der Eroberer, die als Christen meinten, einem Teufelskult gegenüberzustehen, verständlicher erscheinen, freilich nicht entschuldbar werden. Nach den Untersuchungen W. Krickebergs gehen die Menschenschlächtereien auf die Nachahmung göttlicher Selbstopfer bei der Weltschöpfung zurück, da nach ihrer Meinung periodische Menschenopfer nötig waren, um den von den Göttern in Gang gebrachten Umlauf von Sonne und Mond in Bewegung zu halten. Deshalb wurden ständig „heilige Kriege" geführt; Opfer zu werden galt als große Ehrung für die Kriegsgefangenen. Die Opferung selbst wurde von den Priestern durch Herausreißen des zuckenden Herzens aus dem Leibe vor dem Götterschrein vollzogen. Der Bericht sagt uns auch, daß sogar kannibalische Mahlzeiten stattgefunden haben und für diesen heiligen Zweck gemästete Jünglinge sakral geröstet und verspeist worden sind. All diese uns grausam anmutenden Vorgänge dienten der Kraftzufuhr der Götter.

Der Kriegs- und Nationalgott der Azteken, neben dem es freilich noch zahlreiche andere Gottheiten gab, hieß Huitzilopochtli (= südlicher Kolibri). Mehrmals übernatürlich geboren, sorgte er für die Ackerfruchtbarkeit; er heißt auch „der schreckliche Gott", sein Tempel Tlacatecco = Ort, wo man Menschen schlachtet. Hier wurde alljährlich im Dezember sein Riesenbild aus Mehl, Honig und Kinderblut verfertigt und sodann durchbohrt, was die symbolische Tötung des Gottes bedeuten sollte. Danach wurde der Gott zerstückelt, sein Herz dem König zu essen gegeben und alles übrige von den anwesenden Priestern, Kriegern, Männern und Knaben - aber nicht von den Weibern - verzehrt.

Der Kultus wurde von zahlreichen Priestern zelebriert, die unverheiratet in den Tempelbezirken lebten und sich beständigen Kasteiungen unterwerfen mußten, wozu auch Entnahme von Blut aus der Zunge und den Ohren gehört hat. Der Kultus war durch einen genauen Kalender geregelt, der auf sorgfältige Himmelsbeobachtungen aufbaute. Das Jahr war in 18 Perioden von je 20 Tagen und 5 Schalttagen, die als Unglückstage galten, eingeteilt. Periodische Ballspiele vor den Tempeln wurden als kultische Vorschrift durchgeführt; offenbar sind dies Szenen aus einem alten Kultdrama gewesen, die den Himmelslauf der Sonne darstellen und magisch beeinflussen sollten. Diese religiösen Ballspiele haben sich in einzelnen Gegenden bis heute erhalten. Das jenseitige Schicksal der Gestorbenen wurde nicht vom Lebenswandel, sondern von der Todesart abhängig gemacht. Geopferte, Kriegsgefallene und im Kindbett gestorbene Frauen kamen in das Paradies des Sonnengottes, wo sie als Schmetterlinge oder bunte Kolibris weiterlebten; vom Blitz Erschlagene, in den Fluten Ertrunkene und an Wassersucht Gestorbene in das Reich des Wind- und Regengottes auf den wolkenumhüllten Bergen; alles andere Volk kam in das allgemeine Totenland, das Reich des Gottes Mictlantecutli. Wir sehen also, daß animistische, naturmythologische und magische Bräuche und Kultformen sich bei dem Agrarvolk der Azteken mit hohen Organisationsformen der Zivilisation verbunden haben. Trotz ihrer Grausamkeit und der unmenschlichen Kultbräuche werden die Azteken in den Berichten der spanischen Verwaltungsbeamten und frühen Missionare sehr gerühmt, nicht nur wegen ihrer materiellen Kultur, sondern auch wegen ihrer Wahrheitsliebe, Ehrlichkeit und wegen ihres Rechtsempfindens.

 

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