Diskussion zum "Entwurf eines Interviews" und zum Text "Der Kriminalfall Jesus" – im Mailwechsel mit einem Gymnasialreligionslehrer. 13.6.2020: Lieber Oswald, das ging ja schnell mit der Reaktion! Ich habe mir mal alles genau durchgelesen und dann erst mal gar nichts gemacht. Denn es bringt vermutlich nichts, Punkt für Punkt durchzugehen, da kommt dann doch nur ein langes und endloses Hickhack heraus. Ich dachte also: Erst mal überschlafen und dann einen Entwurf machen und dann noch mal drüber schlafen – und den dann erforderlichenfalls überarbeiten. Und
dabei ist tatächlich etwas herausgekommen! Meine rhetorische Frage an
Sie: Ist Ihnen eigentlich bewusst, wir schrecklich frauenfeindlich Sie sind? Das,
was Sie da anführen auch gegen mich und was angeblich für Ihre
Frauenfreundlichkeit spricht, ist doch alles nur Tünche und also leerer Schein! Und wo
ich jetzt nun schon einmal misstrauisch zu Ihrer Einstellung zu Frauen
geworden bin, habe ich natürlich auch über das andere, das Sie so
äußern, nachgedacht. Für
mich ist hier der "Lackmustest", was die Prostituierten
offensichtlich Jesus erzählt hatten, wie sie zu ihrem Job gekommen
waren – und eine Empathie dazu. Gut, was da passiert ist, das habe
ich "ausgerechnet" – im Vergleich mit der
Susannageschichte und mit den beiden Männern aus dem Volke (also
meinem Nachbarn und dem ägyptischen Kaufmann in dem
Straßenrestaurant auf Bali), die sich offensichtlich in der
"Branche" zumindest etwasauskennen, die also keine typischen
Studierstubengelehrten sind (die hier sowieso üblicherweise von
nichts eine Ahnung haben und die auch keine Ahnung haben wollen, weil
sie genau wissen, dass dann ihr theologisches Kartenhaus zusammen
brechen dürfte). Es ist nun einmal so, dass es bei solchen
kriminellen Tatbeständen keine schriftlichen Unterlagen gibt, den
tieferen Sinn kann man sich nur anhand von Indizien ausrechnen, und
vor allem indem man auch die "richtigen Leute" befragt.
Immerhin ist das alles nun wirklich eine ganz große Schweinerei, auf
die ich da gestoßen bin – ich denke, irgendwelche Worte hätten
Sie hier schon dazu sagen müssen, doch nichts. Offensichtlich gehen
Ihnen solche kriminellen Vorgänge im Zusammenhang mit Frauen absolut
an der Hutschnur vorbei, möglicherweise finden Sie die auch noch
gut. Von
Empathie mit den betroffenen Frauen ist da jedenfalls keine
Spur zu erkennen. Ersatzweise kommen Sie dann mit irgendwelchen netten
Worten
Jesu zu den Frauen, von denen man gar nicht weiß, ob sie überhaupt
von ihm selbst stammen. Ja, wir wissen hier von Jesus doch im Grunde
gar nichts, es kann sogar sein, dass auch er die damals übliche negative
Einstellung zu Frauen hatte und vielleicht sogar ein Casanova oder auch
ein Hurenbock
war*) – doch so wie „man“ hier auf diese erpresserische Tour
mit Frauen umging, bei der die Frauen gar keine Chance hatten, das
ging für ihn nun wirklich nicht. Jesus war eben mal ein Mann, der
noch zumindest einen Funken Anstand und Empathie im Leib hatte und
zumindest einen Rest von
gesundem Menschenverstand und also mal kein typischer Spießer war. Ja,
das ist doch typisch für Spießer, dass die immer weggucken, wenn´s
heikel wird, und nie das Wichtige von Unwichtigem unterscheiden können
und sich also für das eigentlich Unwichtige stark machen. Der englische
Journalist
Mark Gibbs meint sogar, dass das Evangelium vom Verlorenen Sohn und
auch das von den beiden Brüdern, die der Vater in den Weinberg
schickt, autobiografisch sind. Und mein Schluss daraus: Jesus hatte
also erfahren, wie die Prostituierten zu ihrem Job gekommen waren –
und das ließ ihm keine Ruhe, hier musste ein echter Mann doch "in
den Weinberg gehen" und etwas machen! Dabei würde auch nicht
stören, dass er – anders als die sonstigen üblichen Moralisten –
ein Fresser und Säufer war. Auf alle Fälle würden irgendwelche
netten Worte diesen Halbweltverbrechern nie das Handwerk legen –
und die Kreuzigung erklären sie auch nicht wirklich. <*)
Anmerkung: Da könnte sogar der extrem kirchenkritische Theologe
Hubertus Mynarek recht haben, der in seinem Buch "Jesus und die Frauen"
Jesus für einen ausgemachten Casanova und den engsten Kreis um ihn für
eine "Liebeskommune" hält ...> Natürlich,
die Punkte, die Sie anführen, haben durchaus die Möglichkeit Ihrer
Interpretation. Doch sie haben auch andere Möglichkeiten, etwa die, dass
es hier um Frauenfeindlichkeit und Fortsetzung dieser
Frauenfeindlichkeit bis in alle Ewigkeiten geht. Nur
einige dieser Punkte: Wenn ich so in der Umgebung meines Dorfs durch die
Felder radle, dann sehe ich auf den Weizenfeldern immer nur
Weizenpflanzen, und auf den Kartoffelfeldern immer nur Kartoffelpflanzen
(abgesehen vom Unkraut). Das heißt, Mutationen kommen extrem selten
vor, so selten, dass man sie als normaler Sterblicher gar nicht erkennen
kann. Und wenn sich bei Menschen zur heutigen Zeit so viele "Mutationen
zu anderen Geschlechtern" finden, so scheint das nicht biologisch oder
genetisch, sondern kulturbedingt zu sein, das heißt, dass wir heute eine
Kultur haben, die solches Verhalten nun einmal fördert, auf welche
Weise auch immer. Ich habe hier eine mögliche
Ursache erwähnt, doch die geht Ihnen auch an der Hutschnur vorbei. Wie
schön, dass Sie mir vorwerfen, dass ich mir aussuchen würde, was mir
passt. Sie sollten sich zu dem Thema mal im Spiegel anschauen, Sie sind
doch hier noch viel schlimmer (denn ich habe wenigstens noch gute
Gründe) ... Immerhin kann ich sogar auch noch auf eine Prostituierte
verweisen, die mir durchaus beipflichtet, wie sehr ihr Schicksal mit
einer kulturbedingten Erziehung zusammen hängen dürfte – s. Frage 2.
Auch eine Mutter hat mir bestätigt, dass das Problem ein nicht auf die
Realität abgestimmter (schulischer oder kirchlicher) Unterricht sein dürfte (s. Frage 1).
Ich hätte also vor Gesprächen mit LBGTQ keine Angst. Das alles ist für
mich allerdings kein Thema, mir geht es darum, dass junge Menschen sich
ohne Zwänge und ohne Manipulation (auch ohne kulturbedingte, ja, die
jungen Leute müssen vor allem lernen, die zu durchschauen) entwickeln
können und dass sie sich zumindest vor dem Geschlecht, das sie nun
einmal von Natur aus äußerlich haben, nicht mehr schämen müssen und das
auch gern haben und sogar stolz darauf sein können. <Anmerkung zur
Kulturbedingtheit der "geschlechtlichen Veranlagung": Im alten
Griechenland waren 99 % der Männer homosexuell bzw. zumindest bisexuell.
Und diejenigen, die es nicht waren und es nur mit Frauen "hatten",
galten als "persisch", denn von den Persern erzählte man sich, dass sie
die wahre Schönheit der Sexualität gar nicht kannten, weil die es nur
mit Frauen "trieben". Also 99 % aller Männer "so" genetisch veranlagt?
Unmöglich! Wenn das nicht ein guter Beleg ist, dass Homosexualität
weitestgehend eine Frage der jeweiligen Kultur ist!> Und
wenn ich Maccobys "Mythenschmied" als Offenbarung empfinde, so heißt das
längst nicht, dass ich alles, was Maccoby schreibt, auch in diesem Buch
über Paulus, gut und richtig finde. Sie kennen den Versuch mit der
"Ursuppe"? So bin auch ich hier vorgegangen. Ich habe also die Zutaten
"Mythenschmied", "Plagiat des NT´s aus buddhistischen Texten" und das,
was ich von den beiden Männern "aus dem Volke" erfahren habe, zusammen
mit meinem sonstigen theologischen Wissen mit seinen offenen Fragen so
lange gemixt, bis ich eine plausible Story gefunden habe – und dabei ist
dann der "Kriminalfall Jesu" herausgekommen. Ich erinnere mich, wie ich
mich vorher in meinem Unterricht immer gewendet und gedreht hatte, um
die Glaubensinhalte plausibel zu erklären und WIE es in unserem Glauben
zu diesem offensichtlichen Synkretismus und WARUM es zu diesem typischen
spätantiken Mysterienkult gekommen ist, der überhaupt nichts mit dem
echten Jesus zu tun hat. Und dann eben das Aha-Erlebnis, da passte
einfach alles, was ernst zu nehmen ist! Ich schrieb, das passierte auf dem Pilgerweg des heiligen Jakobus in Spanien ... Aber
jetzt zum Lehrplan! Ihr Hinweis auf den
ist doch absoluter Quatsch. Das wissen Sie doch selbst, dass gerade im
RU im Prinzip alles in den Lehrplan passt! Man muss es nur entsprechend
formulieren, wie das mit der Menschwerdung junger Menschen zusammen
hängt, die doch unser Erziehungsauftrag ist. Und derjenige Lehrer ist
doch ungeeignet für den RU, der das nicht kann. Und dass Sie "nur
offizielles Material" verwenden dürfen, das ist doch auch Quatsch. Sie
sind doch in der Wahl Ihres Materials weitgehend frei, wenn Sie in der
Überzeugung sind, dass Sie ein Unterrichtsziel nur so oder so am besten erreichen können.
Einzige Bedenken könnte man bei sexistischem und rassistischem und
kirchenfeindlichem Material haben, doch es dürfte schwierig sein, einem
Lehrer nachzuweisen, dass er etwas aus sexistischer und rassistischer
und kirchenfeindlicher
Intention verwendet und nicht aus der Intention, damit die jungen
Menschen lernen, das zu durchschauen und richtig damit umzugehen und es
erforderlichenfalls abzulehnen. Oder was soll das heißen, dass Sie die
Schüler nicht "irritieren" möchten? Was heißt das denn sonst, als dass
Sie bei Ihren Schülern keine Alternative zulassen möchten, die Ihre
Manipulationsbemühungen stören könnte? Ja, ich kann Ihnen sagen, warum
Sie
solchen hässlichen und verachtenden Umgang mit Frauen schön reden und
mein Material nicht verwenden wollen! Denn Ihr Einsatz etwa für
Emanzipation und Würde der Frau ist nur schöne Fassade, dahinter
verbirgt sich in Wirklichkeit eine niedere Gesinnung der Benutzung der
Frau als "Fickobjekt" und als Sklavin des Mannes. Und Sie haben etwas
gegen mein Material, weil es mir offensichtlch genau darum geht, dass
das nicht passiert – und
das wollen Sie bei den jungen Leuten unter allen Umständen verhindern.
Denn wenn Sie die Emanzipation und Würde der Frau wirklich wollten,
würden Sie anders vorgehen und dafür plädieren, dass
gerade die Mädchen etwa Freude an der hohen Moral lernen und dabei auch
eine attraktive Alternative zum "Eindringen"
erfahren und attraktiv finden, und wir würden uns auch sehr gut
verstehen. Und zu "irritierenden Literatur": Das ist in gerade in
verbrecherischen Diktaturen die Begründung der Zensur und der
Verurteilung der freien Medien usw.! Oder auch in der katholischen
Kirche bis vor nicht langer Zeit – ich erinnere an den "Index der
verbotenen Bücher" und an das Verbot des Bibellesens im Mittelalter. Es
ging immer genau darum, die "Gläubigen" nicht zu "irritieren" ... Meine
Meinung dazu: Wenn sich
jemand seiner Sache sicher ist, dann braucht der solche Verbote nicht,
denn er weiß, dass alles, was zunächst gegen ihn vorgebracht wird, im
Endeffekt seine Theorien stärkt und glänzender dastehen lässt, als selbst er es zunächst für möglich gehalten hätte! Verstehen
Sie mich nicht falsch: In einzelnen Punkten gibt es ja
Interpretationen,
in denen Sie richtig liegen mögen, doch in der Zusammenschau haben diese
einen anderen Sinn. Und weil Sie den offensichtlich nicht sehen mögen
und können, muss ich Ihnen leider sagen, dass Sie zumindest in Ihrem
Inneren unter dem Deckmäntelchen der Wissenschaftlichkeit ein
frauenfeindlicher Macho sind. (Wenn ich noch im Dienst wäre,
würde ich meinen Schülern Ihre Mail vorlesen – oder sie auch
ausdrucken und verteilen – und diese zusammen mit den jungen Leuten
genüsslich auseinander nehmen ... Aber ich denke, das sind gar nicht
Sie, der Schuld an diesen Klöpsen hat, die Sie hier fabriziert haben.
Lassen Sie mich mal etwas arrogant sein: Sie scheinen mir einfach noch
zu sehr ein junger "Springinsfeld" und zu professorenhörig zu sein, d.h.
Sie vertreten genau das, was Ihre Professoren wollten, damit Sie Ihre
Examina gut oder gar sehr gut machen konnten. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in Ihren Urteilen
vorsichtiger werden und sich von Ihren Professoren abnabeln. Und nicht
zuletzt sollten Sie bedenken: Wissenschaft heißt, dass auch alles "ganz
anders" sein kann!) Dennoch liebe Grüße – nicht zuletzt haben Sie mir ja die Gelegenheit gegeben, manches mal so deutlich zu schreiben ... Michael 11. 6. 2020 Lieber Michael,
1. Zum "exegetischen Blick"
Dass Sie dieses Anliegen für verfehlt halten, dürfen Sie ja,
genauso wie ich nichts von der "Verschulung" der Universitäten halte,
stehen Sie der Verwissenschaftlichung der Schule skeptisch gegenüber,
ok. Abgesehen davon, dass ich selbst diesen exegetischen Blick für sehr
wertvoll halte, habe ich aber auch meinen Lehrplan zu erfüllen - und der
sieht dies in den Klassen 10-12 eigens für den Religionsunterricht
aller Konfessionen vor. Und um auf die Universität vorzubereiten gibt es
in 11 und 12 das verpflichtende Wissenschaftspropädeutische Seminar -
auch mit Religionslehre als Leitfach. Natürlich würde ich hier nie
"Theologie lehren" wie an der Universität, aber einen kleinen,
didaktisch reduzierten Einblick geben in die wissenschaftliche Methodik -
und darunter zählt als Teilgebiet im Religionsunterricht eben auch die
exegetische Methodik - ohne diese ist ein selbstständiges Verstehen
biblischer Texte nur schwer möglich.
Zum "Wissen": In erster Linie ist mir wichtig, dass die Schüler*
selbst anhand dieser Methodik auf Gedanken kommen, dass ihnen der Text
etwas sagt, dass sich Bibelstellen mit unterschiedlich angelegtem Blick
auch verändern können - und nicht meine für sie ausgewählte und
vorgelegte Musterdeutung annehmen und wiederkäuen - und die Erkenntnis
eines Mädchens, das erkennt, dass unter den Jüngern Jesu wohl auch
Frauen waren und dies für sich aus dem Text herausliest oder ein Junge,
der bei Davids Betrug mit Batseba mal Batsebas Rolle einnimmt und nicht
immer nur Davids - das sind neue Perspektiven auf alte Geschichten - und
dieser Blick ist es, um den es geht. Und das saugen meine Schüler*
wirklich auf wie der von Ihnen genannte Schwamm.
Ein Beispiel als Deutschlehrer, der ich nunmal auch bin: Ich
ermögliche meinen Schüler*n ausgehend vom Unterricht sehr viele
Theaterbesuche und eröffne so neue Räume für Gedanken und hoffe
natürlich, dass sie dann auch selbst von alleine dorthin gehen. Aber auf
diese Weise bringe ich sie nicht dazu, lange Romane zu lesen - das ist
ein anderer Teilbereich, den ich anders fördern muss.
Religionsunterricht heißt nicht Reduzieren auf Exegese, es ist ein
kleiner Teilbereich, der auch für andere Fächer sinnvoll sein kann - so
sind bei der literarischen Analyse meine Schüler*, die auch da diesen
"exegetischen Blick" anwenden (Textkritik gibt es in der Germanistik
schließlich auch) wesentlich treffsicherer. Und Religionsunterricht darf
auch nicht zu sehr kirchlich institutionalisiert werden - das wäre auch
gar nicht möglich, da mehr als die Hälfte meiner Schüler* im
Religionsunterricht nicht getauft oder konfessionslos sind.
2. Auch ich halte die Sünderingeschichte für echtes Material
hinsichtlich des historischen Jesus - wissenschaftliches Arbeiten
bedeutet jedoch, auch das miteinzubeziehen, was einer eigenen
favorisierten These widerspricht. Und das ist beispielsweise auch der
Anspruch einer W-Seminararbeit in der Schule: Sehr begrenzt darstellen,
was der Forschungsstand ist - und nicht unbedingt eigene, neue
Erkenntnisse - das darf nach den offiziellen Beurteilungskriterien gar
kein Maßstab sein - hier zählt mehr die ordentlich durchgeführte
Methodik.
3. Hier zeigt sich das, was ich vorausgesehen habe: Sie werfen
einem Protestanten vor, protestantisch zu argumentieren. Das könnte ich
umgekehrt auch (gerade sehr viel hinsichtlich Ihres Verständnisses des
Verhältnisses von Mann und Frau ist typisch katholisch), aber was bringt
das? Vielleicht ist es klarer, wenn ich die Geschichte nicht als
"Vergebungsgeschichte" (das ist sie für mich nämlich eben nicht!),
sondern "Die Geschichte über den ultimativen Jesus-Test" oder "Die
Geschichte darüber, dass Frauen zur Zeit Jesu auch etwas wert sind"
bezeichne - haben diese beiden Deutungen etwas mit Vergebung zu tun?
Nein. Ein genauer Blick auf einzelne Worte und Bezeichnungen ist weder
Zeitverschwendung noch eine Abschweifung (Stichwort: tékton).
4. "Eindringen" ist mit Krieg konnotiert, man erobert ein
feindliches Land. Was halten Sie denn von "umschließen", "aufnehmen",
"verschmelzen" etc. Gerade die sexuelle Sprache muss nicht vulgär oder
wissenschaftlich sein, sie darf kreativ, spielerisch, keck und leicht
frivol sein. Unsere Sprache kennt viel mehr Bezeichnungen - nur diese
Bezeichnung ist wie keine andere ein Relikt einer sexual- und
körperfeindlichen Zeit - es wundert mich, dass gerade Sie nicht
einsehen, dass ein natürlicher Umgang mit sexuellen Formulierungen der
erste Schritt ist, diese sexualfeindlichen Zeiten zu überwinden.
5. Ja, das ist das grundsätzliche Problem: Entweder Sie arbeiten
wissenschaftlich und beziehen auch das mit ein, das unter Umständen den
eigenen Thesen widerspricht und versuchen, dies etwa unter neuem
Blickwinkel mit einzubauen oder Sie gehen nur nach Gefühl vor, dann
besteht aber die Gefahr, dass Sie sich "Ihren eigenen" Jesus bauen. Das
ist das, was ich mit dem "wütenden" Jesus angesprochen habe: Um Ihre
Argumentationslinie miteinzubeziehen: ein Tische im Tempel umwerfender
Jesus passt so etwa gar nicht zur paulinischen Theologie - warum gibt es
diese Stelle dann? Richtig, es ist ein Hinweis auf den historischen
Jesus, den man nicht tilgen konnte, da die Geschichte zu bekannt war.
Jesus wird an anderer Stelle als "Fresser und Weinsäufer" beschrieben -
wieder etwas, das echt sein muss, weil es eine unbequeme Wahrheit ist.
Idealisiert man den Jesus nicht, wenn man, nur um die eigene These zu
retten, annimmt, dass diese Stellen von paulinischen Gegnern Jesu
eingefügt wurden, um das Andenken an ihn zu schmälern bzw. seine Lehre
zu verfälschen? Oder ist das andere Argument nicht ebenso
wahrscheinlich?
Ein anderes Beispiel: Nimmt man einzig alle Stellen aus dem
Johannesevangelium, bei denen Jesus vom Jünger, den er liebte, spricht
und bezieht die Tatsache mit ein, dass er selbst nicht verheiratet war,
hört sich das sehr nach einer homosexuellen Beziehung an. Die Gefahr
besteht, siehe "hermeneutischer Zirkel", dass man sich selbst im Kreis
dreht und um diesen zu durchbrechen, das Problem nur noch zu einseitig
betrachtet. So ist auch Ihre Interpretation der Adam-und-Eva-Geschichte
sehr interessant und enthält Elemente, die zumindest sehr wahrscheinlich
sind. Ich neige jedoch dazu, diese schöne Geschichte
tiefenpsychologisch zu deuten: Kinder auf dem Weg zum Erwachsenwerden,
behütet von Eltern, die wissen, dass ihre Kinder irgendwann auf eigenen
Beinen stehen müssen. Und wer von uns hat nun "Recht"? Und das ist das
Spannende: Wir beide! Die Auslegungen schließen sich gegenseitig nämlich
nicht aus, sie ergänzen sich, wenn man es nur zulassen will.
6. Diese Ihre Sätze sind ein Schlag ins Gesicht der gesamten
LGBTQ-Community und brauche ich alleine deswegen eigentlich nicht zu
kommentieren, da sie sich selbst disqualifizieren. Nur so viel: Sie
wissen schon, dass man sich seine sexuelle Orientierung nicht aussuchen
kann? Und dass es weder blamabel für Cis-Männer ist, dass sie
homosexuelle Frauen nicht "heilen" können (denn nichts anderes ist das,
was Sie hier zwischen den Zeilen schreiben) noch man dafür gerade die
jüdische Religion heranziehen muss - so positiv deren ursprünglicher
Ansatz auch ist, sie ist dabei aber immer absolut heteronorm. Was ist
dann mit Transmenschen oder dem dritten Geschlecht? Brauchen die auch
Männer, damit ihre Orientierung und das "Problem" "erledigt" ist? Frauen
heiraten Frauen und verbringen mit diesen lebenslangen Partnerinnen
ihre sehr glücklichen Ehen, willkommen im 21. Jahrhundert!
7. Zur sexuellen Verwirklichung und Scheinwissenschaft: Ja, es gibt
auch pädophile Menschen und diese Menschen leiden sehr unter ihren
sexuellen Neigungen - hier gibt es jedoch gut ansetzende Therapien,
damit man diese Neigungen eben nicht auslebt. Das, was Sie hier
verwechseln, ist Neigung (in etwa ein Fetisch) mit Identität (sehe ich
mich als Mann oder Frau oder dazwischen) und sexueller Orientierung
(stehe ich auf Frauen, Männer oder dazwischen). Googeln Sie mal das
Schaubild "Genderbread Person", da wird das klarer.
Ihre These von dem unnatürlichen Verhältnis zum eigenen Körper,
woraus dann "abnorme" sexuelle Orientierung wird, ist auch nicht neu.
Diese wird von vielen meist katholischen oder sehr evangelikalen
Theologen oft vertreten. Allein die Ansicht, dass etwas normaler ist als
etwas anderes, ist schon sehr fraglich, da auch dies gesellschaftlich
konstruiert ist. Damit können Sie aber doch einen Homosexuellen kurz vor
dem Outing nicht unterstützen! Was hätte hier der historische Jesus
getan? Eben!
8. Nach wie vor: Wenn die ersten Jünger nicht das
Auferstehungsereignis verbreitet hätten (was übrigens auch Maccoby nicht
abstreitet), hätte dieses 40-60 Jahre später auch nicht aufgeschrieben
werden können. Da ändert auch eine mögliche paulinisch-theologische
Redaktorhand nichts. Und ja, natürlich haben die ersten Jünger versucht,
dieses Ereignis für sich einzuordnen und sich natürlich der damaligen
Umwelt bedient - aber auch dem Judentum - der Bezug auf den leidenden
Gottesknecht bei Jesaja, der mit Jesus identifiziert worden ist, ist ja
wohl kaum Mithrasglaube - Paulus greift diesen Gedanken aber sehr wohl
auf!
9. Natürlich habe ich mich auch in den Mythenschmied ansatzweise
eingelesen, ich kritisiere doch nichts unbelesen, das wäre
unwissenschaftlich - Maccobys Jesusbild ist jetzt nichts fundamental
Neues, Jesu Nähe zu den Pharisäern und vieles Weitere ist ja
mittlerweile sogar Schulbuchwissen, er fasst hier größtenteils Bekanntes
zusammen. Bei Paulus wird es dann aber schon schwieriger und das
exegetische Angreifbarsein, von dem ich gesprochen habe, ist evident -
vor allem, dass, wie er im Vorwort sogar selbst zugibt, vieles nur
Vermutung sei. Ich verstehe aber, dass Sie dieses Werk begeistert, er
schreibt genau in dem scheinbar fundierten Stil ohne richtige Quellen,
der viele Leser anspricht. Sie werfen mir protestantische Wortklauberei
vor, aber so, wie Maccoby alleine die Apostelgeschichte
auseinandernimmt, um dort Hinweise zu finden, warum Paulus kein
Pharisäer sein konnte - die Apostelgeschichte ist viele Jahre nach Pauli
Tod von Lukas verfasst worden, einem Heidenchristen, der viele jüdische
Zusammenhänge nicht mal kannte, so ist klar, dass er etwa den
Hohepriester als Auftragsgeber einsetzte (er kannte ihn ja nur von
Markus) oder Paulus natürlich den Schüler eines der angesehendsten
Pharisäer sein ließ, um nur zwei Beispiele zu nennen - das ist doch
keine verlässliche Quellenarbeit, das ist effekthascherische
Pseudowissenschaft. Und die Ebioniten (Text frühestens Anfang des
zweiten Jahrhunderts zu datieren) als phänomenales neues Beispiel
heranzuziehen, die selbst das Markus-Evangelium umgestaltet haben, um es
ihrer gnosisnahen Lehre anzupassen - das überzeugt nicht,
logischerweise haben die gegen die paulinische Theologie argumentiert,
weil er eben nicht so gnosisnah war. Maccobys Anmerkungen zu den echten
Paulusbriefen habe ich dann sogar unter der Brille des "Täuschers"
Paulus zu lesen versucht, um seine These zu prüfen, aber sie
funktionieren nur, wenn man bereits die Grundthesen und viel der
Apostelgeschichte voraussetzt - das ist nun wirklich ein klassischer
Zirkelschluss. Pinchas Lapide hingegen, der hatte wirklich etwas drauf!
10. Zu den Badehäusern: Vor Jahren habe ich die dazugehörige
Ikonographie in mittelalterlichen Handschriften mal untersucht und dort
wird oft beschrieben, dass Frauen schwanger wurden, nachdem sie nach den
Männern die Badestube besucht haben, also kann da schon was dran sein.
Andererseits gab es auch wirklich viele Einrichtungen dieser Art, da
sind "schwarze Schafe" nichts Ungewöhnliches. Und nein, auch heute ist
Nacktheit zugegebenermaßen nicht normal, wenn Sie mal von der
Besonderheit der deutschen Sauna absehen.
Konsequenz: Daher kann und will ich nichts widerrufen - auch ich bleibe bei dem, was ich angemerkt habe!
An meine Schüler* werde ich den "Kriminalfall" jedoch nicht
weitergeben - aber danke für das Angebot. Abgesehen davon, dass ich das
gar nicht dürfte - gerade weil ich meinen Unterricht interessant und
lebendig halten möchte und meine Schüler* eben nicht manipulieren
möchte, würde es meine Schüler* irritieren, von mir, der immer wieder
betont, wie wichtig offenes und reflektiertes Denken ist, dann etwas wie
den "Kriminalfall" zu verteilen, da er an zu vielen Stellen deutlich
subjektiv und voreingenommen geschrieben ist. Sorry.
In der Hoffnung, dass Sie über meine an mehreren Stellen doch
berechtigten Anmerkungen nachdenken ohne diese vorschnell abzutun und
nicht stattdessen in das übliche Lehrergehabe verfallen, dass es mir nur
nicht richtig erklärt wurde oder ich es nicht richtig nachgelesen habe,
sende ich beste Grüße von einem Religionslehrer zum anderen!
Oliver
9.6.2020: Lieber Oswald, danke für
Ihre ausgiebige Kritik! Doch eine Vorbermerkung dazu: Das Interview war
nur als Vorgeschmack oder Anregung gedacht für das Eigentliche, also
etwa für den Text "Der Kriminalfall Jesus". Denn da habe ich alles
genauer beschrieben und auch in den "Hinweisen" und "Fragen" zum Text
alles näher ausgeführt, also erübrigt es sich eigentlich weitgehend,
dass ich auf Ihre Kritik eingehe. Doch haben Sie sich einige Mühe
gemacht und Sie sprechen auch einiges an, das ich nicht so genau und
ausführlich behandelt habe, und so will ich doch auf einiges wenigstens
kurz eingehen: 1. junge Leute zum "exegetischen Blick" erziehen: Es ist das alte Problem: "Religionsunterricht" oder "Religionslehre". Meine
Einstellung: Ich als Lehrer habe Theologie studiert und habe mich dabei mit
allen diesen Sachen auseinandergesetzt. Und jetzt ist es meine Aufgabe,
das Beste und vor allem das nach bestem Wissen und Gewissen
Richtige auszusuchen oder sogar weiter zu entwickeln – so dass die jungen
Menschen in ihrem Leben etwas damit anfangen können, wichtig ist das
Menschsein, das Leben und nicht das Wissen! In Büchern oder vor
allem gratis im Internet informiere ich dazu diejenigen, die mehr
wissen wollen, warum ich das so und so mache. Und die, die sich
informieren können, sind nicht nur die jungen Leute selbst, sondern
auch Eltern, Kollegen, Arbeitgeber, Vorgesetzte. Die können sich hier
mit mir auseinander setzen, so wie Sie das jetzt tun. Doch im Unterricht
muss das nicht so ausdrücklich sein, eine Verwissenschaftlichung gerade
des Religionsunterrichts in der Schule halte ich nicht für sonderlich
sinnvoll, wir müssen die jungen Menschen nicht zu
"kleinen Theologen" ausbilden, sondern zu Menschen, die mit beiden
Beinen im Leben stehen! Und ich denke, wenn Religionslehrer hier gut
sind, dann interessiert das die jungen Leute von alleine, sie saugen das
auf wie ein trockener Schwamm das Wasser. Auf alle Fälle reicht es,
wenn wir die wissenschaftlichen Probleme erwähnen und den jungen Leuten sagen, wie
sie sich näher informieren können. Denn sonst kommt es leicht zu den
typischen Ergebnissen des schulischen Unterrichts: Im Deutschunterricht
lernen die jungen Leute, nie mehr in ein Theater zu gehen, im
Musikunterricht nie mehr in eine Oper oder in ein Konzert zu gehen, im
Kunstunterricht nie mehr in ein Museum zu gehen oder gar selbst ein Bild
zu malen, im Sportunterricht nie mehr Sport zu treiben, im
Religionsunterricht nie mehr in eine Kirche zu gehen ... Und das wollen
wir doch vermeiden? Konsequenz: Quod scripsi scripsi... Ich bleibe dabei, was ich geschrieben habe! Doch
etwas: Die Gefahr besteht ja immer in dem Unterricht, den wir machen,
dass wir als Studierte den "gesunden Menschenverstand" verloren haben
(vielleicht hatten wir uns auch das Studium der Theologie oder auch der
Psychologie oder Soziologie ausgesucht, weil wir von vornherein gar
keinen "gesunden Menschenverstand" mehr hatten?) und die jungen Menschen
mit unserer eigenen Einstellung indoktrinieren oder gar manipulieren.
Ich möchte Ihnen daher drei Exemplare des "Kriminalfalls" schicken,
eines für Sie selbst und zwei für Schüler (einmal männlich und einmal
weiblich) und dass Sie also diese ohne oder nur mit dem Kommentar von
der Gefahr der Manipuation den Schülern zur Bildung einer eigenen
Meinung weitergeben – mehr nicht, keine große Arbeit, kein Studienprojekt.
Am sinnvollsten sollten Sie die Texte allerdings solchen Schülern
geben, von denen Sie den Eindruck haben oder die das auch schon geäußert
haben, dass sie ohne Sexerfahrungen in die Ehe gehen wollen, denn man
sollte nicht Menschen "mit anderen Erfahrungen" unnötig wehmütig machen,
dass sie also etwas falsch gemacht oder verpasst haben.
Und dann sollen sich die Schüler dazu äußern. Ich könnte mir vorstellen,
dass daraus ein interessanter lebendiger Unterricht wird. Ich hätte
jedenfalls so eine alternative Sicht in meinem Unterricht gerne gehabt –
und diejenigen, die solchen frischen Wind bringen, mit guten Noten
"belohnt". Ich würde mich also freuen, wenn Sie mir Ihre Anschrift mitteilen. LG Michael 8. 6. 2020: Lieber Michael,
es hat mich gefreut, nach all den Jahren mal wieder
etwas von Ihnen zu hören. Es betrübt mich jedoch, dass Sie trotz
dieser langen Zeit immer noch dieselbe etwas unreflektierte
Vorgehensweise wie damals haben, weswegen es mich auch nicht
wundert, dass Sie auf Ihr selbst verfasstes Interview und die
dahinter stehende "These" noch keine Reaktion erhalten haben.
Doch, wie Sie wissen, bin ich jemand, der interessanten
theologischen Diskussionen nur schwer aus dem Weg gehen kann
(besonders wenn es mit Joh 8, 1-11 eine meiner absoluten
Lieblingsstellen betrifft - für mich vielleicht sogar DIE
wichtigste Perikope in der ganzen Bibel - so viel zum Thema
"achtlos vorbeigehen") und eventuell auch aus dem Grund haben
Sie mich ja vielleicht auch direkt angeschrieben. Hier folgt
also mein Blick auf Ihre These(n).
Zuerst aber noch etwas zu meiner Person, auch an mir
sind die Jahre ja nicht spurlos vorübergegangen, auch ich habe
meinen Forschungsschwerpunkt, der ja überhaupt den Ausgangspunkt
für unseren Kontakt damals lieferte, seit meiner Studentenzeit
weiter ausgebaut. Nachdem ich in meiner Magisterarbeit die Rolle
der Frau im Urchristentum untersucht habe (wofür ich mich auch
gerade in die echten paulinischen Briefe genauestens
eingearbeitet hatte), führte mich mein Weg über das
Referendariat in den gymnasialen Schuldienst, wo ich meinen
Schüler*n nun schon seit mehreren Jahren innerhalb des
Religionsunterrichts und durch W-Seminare der Oberstufe
versuche, den exegetischen Blick auf die Bibel zu schärfen und
diesen die Feinheiten feministischer, psychologischer und
historisch-kritischer Auslegung nahezubringen und ein
Bewusstsein zu schaffen für die Vielfalt religiöser
Überzeugungen und sexueller Orientierung (die Unterscheidung
zwischen Gender und Sex sowie ein theologisch offener Umgang mit
Homosexualität etc. liegen mir dabei besonders am Herzen - es
schockiert mich jedes Mal, dass viele Schüler* die
Geschlechterkategorien als absolut setzen und nicht wissen, dass
es so viel mehr Spielarten auf der Skala zwischen "klassisch"
männlich und weiblich gibt).
Nun muss ich nur noch voranstellen, dass vieles der
nun folgenden Anmerkungen, Einwände oder auch Gedanken natürlich
sehr evangelisch ist - ich habe schon öfter erlebt, dass gerade
im ökumenischen Dialog viele Hürden in der konfessionellen
Betrachtungsweise liegen - manches in Ihrem Interview kam mir
für meine Begriffe zumindest schon sehr "katholisch" vor.
Das Grundproblem scheint mir, weshalb Ihre "irren
Zusammenhänge" auch keine Reaktionen hervorrufen - was
sensationelle Erkenntnisse ja für gewöhnlich nach sich ziehen -
, dass Sie sich nur die Punkte heraussuchen, die zu Ihrer These
passen, alles andere aber ignorieren oder als unwichtig abtun -
und das ist eben nicht wissenschaftlich gearbeitet.
Bei Joh 8 fängt es schon an: So sehr ich diese Stelle
liebe: In den ältesten Textzeugen des Johannes-Evangeliums ist
diese gar nicht enthalten, alleine aus diesem Grund ist es
zumindest fraglich, diese Stelle dem historischen Jesus
zuzuschreiben. Und es stimmt auch keinesfalls, dass diese
Perikope von Theologen immer hinsichtlich der "Vergebung"
ausgelegt wird - Sie kennen nur keine andere theologische
Auslegung. Ich unterrichte diese Stelle mehrmals im Jahr und ich
gehe dabei immer von der Frau selbst aus: Eine junge Frau,
vermutlich eine Prostituierte, eventuell auch nur auf einen
anderen Mann hereingefallen, vielleicht auch absichtlich
hereingelegt, wird von einer patriarchalen Gesellschaft
angeklagt - und Jesus wird getestet, ob er Teil dieser
Gesellschaft ist. Er zieht sich elegant aus der Affäre und zeigt
den Männern auf (der ehebrechende Mann ist natürlich nicht
angeklagt, warum auch, ihn schützen die mosaischen Gesetze ja),
dass ihre Sichtweise falsch ist - alle sind gleichermaßen Sünder
und die Sexualmoral ist nicht wichtiger als andere Moral.
Spannend wird es, als die Meute weg ist: Jesus wendet sich
direkt an die junge Frau: Ein Mann in der damaligen Zeit steht
auf der Seite der Frauen, der Unterdrückten, der Notleidenden.
Sie erkennt, auch sie, die Hereingelegte, ist etwas wert! Wow!
(Zuhälter nach Ihrer Version brauchen übrigens keinen
Jesus, um öffentlichkeitswirksam eine Steinigung durchzuführen;
dass hier Jesus getestet wird, ist viel wahrscheinlicher.)
Und Paulus, der einstand für die Gleichberechtigung
(Gal 3,28: "da ist weder Mann noch Frau..."), vielfachen Kontakt
zu Leiterinnen von Gemeinden hatte, die er teilweise selbst
eingesetzt hat, der allem Anschein nach asexuell gewesen ist (er
rät von Heirat, Sex... immer ab!), von dem wir bis auf die wohl
nachträglich hinzugefügte Korintherstelle (1 Kor, 7-12)
keinerlei misogyne Aussprüche kennen, der Christus als neuen
Adam (nicht Eva! Adam hat also die Verantwortung für den
Sündenfall!) einsetzt, dem der Glauben an Christus das
wichtigste ist, soll mit diesem Jesusbild nicht einverstanden
gewesen sein, sogar ein "verdeckter Ermittler" sein, um mit dem
Auferstehungsglauben einen neuen Mysterienkult zu schaffen? Ich
bitte Sie!
Nur weil Paulus diese Mithras- und Attiskulte
natürlich kannte, heißt das doch nicht, dass er als ehemals
frommer Jude sich gedacht hat: "Fein, um meine Religion allen zu
öffnen, ersetze ich die Götter mit Jesus"! Auch das, was Maccoby
schreibt, ist ja bereits exegetisch zumindest angreifbar, da er,
wie ich es von Rabbinern sehr oft erlebt habe, zu sehr allein
vom Judentum ausgeht - und da sind sowohl Jesus als auch Paulus
nicht immer die Paradebeispiele.
Ja, Paulus kannte Jesus nicht persönlich, war als
Letztberufener der Apostel immer Anfeindungen der "echten"
Jünger/Apostel Jesu ausgesetzt - aber nur, weil er das
Christentum allen Menschen öffnen wollte - das hört sich für
mich doch so an, als ob er Jesu Botschaft wirklich verstanden
hat. Und ja, darum ist er der erste Theologe - aber eine
Johannes-Stelle gegen ihn ins Feld zu führen, die erst 150 Jahre
nach ihm in den biblischen Kanon aufgenommen wurde, erscheint
mir sehr anachronistisch. Vor allem, da es auch den wütenden
Jesus gibt, der Tische im Tempel umwirft und Bäume verdorren
lässt.
Ob man jetzt an die Auferstehung Jesu glaubt oder es
als Trick der Jünger Jesu auffasst, ist dabei egal: Selbst wenn
man eine fingierte Auferstehung annimmt, haben diesen "Mythos"
Jesu Jünger selbst in die Wege geleitet. Im Korintherbrief
schreibt Paulus selbst, dass er das Glaubensbekenntnis von
bestehenden Gemeinden/Jüngern erhalten hat (1. Kor. 15,3ff) und
verweist hier extra auf Petrus. Die paulinischen Briefe sind ein
Jahrzehnt nach dem Auferstehungsereignis verfasst - da braucht
es keinen "verdeckten Ermittler" mehr. In 10 Jahren hätte sich
von sich aus jede Gruppe um einen Messias zerschlagen, wenn
nicht die ersten Jünger selbst diese Geschichte verbreitet
hätten. Vieles, was Sie als Argumente hernehmen, stammt aus der
Apostelgeschichte, die von Lukas verfasst worden ist - und zwar
50 Jahre nach den paulinischen Briefen. Das Damaskuserlebnis in
der dort beschriebenen Form, das sog. Apostelkonzil etc können
somit nicht als wirkliche Quelle für das paulinische Leben und
sein Anliegen dienen.
Das Befreiungsgefühl, das Nacktheit bietet, die
losgelöst ist von Sexualität, ist in der Form übrigens auch
nichts Neues, wie mir Jahre nach unserem Mailwechsel auffiel.
Richtig verstandenenes Leben im Sinne der Freikörperkultur will
nichts anderes. Ihre Ausführungen bezüglich der Monogamie sind
mir jedoch immer noch zu sehr klassisch "männlich" geprägt
("Eindringen"): Der Begriff des Geschlechtsverkehrs ist viel
weiter zu fassen, auch das, was Sie "hautnah zusammen sein"
nennen, ist doch bereits Sex, das merken Sie spätestens dann,
wenn es sich beispielsweise um zwei lesbische Frauen handelt.
Bei aller Anerkennung, sich in junge Frauen und Mädchen
hineinversetzen zu wollen, Sie gehen hier m. E. nach immer noch
zu sehr vom Verhindern des "Eindringens" aus (Stichwort: "Denn
alle Nervenzellen, die bei der Frau für den Orgasmus zuständig
sind, befinden sich an der Oberfläche ihrer Sexualorgane", wie
Sie es immer formulieren und was auch wissenschaftlich inkorrekt
ist, da dies viel mehr eine "Kopfsache" ist als ein biologischer
Vorgang; wie gesagt, dies ist "biologisch männlich" gedacht und
Frauen "übergestülpt") und für mich klingt das nach dem
veralteten Schrei nach dem "Schutz der Jungfräulichkeit" um
jeden Preis.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich stehe für
verantwortungsvoll gelebte Sexualität mit gegenseitigem
Vertrauen ein, muss als Protestant das "Scheitern" aber immer
miteinrechnen. Bei Gott ist auch scheitern möglich, Gott
verurteilt nicht, Gott weiß ja, wie wir sind. Bei der von vielen
Religionen über Jahrhunderte aufgebauten Sexual- und
Körperfeindlichkeit gebe ich Ihnen aber natürlich Recht, das
hatte ich schon während meines Studiums untersucht. Auch im
Mittelalter hat man die öffentlichen Badehäuser (unter dem
ablehnenden Blick der Kirche) natürlich nackt besucht, das war
wie die von Ihnen herangezogene Taufpraxis ganz
selbstverständlich.
Für Luther war übrigens Sex (innerhalb der Ehe)
absolut legitim und sehr positiv besetzt - besonders
pietistische Strömungen haben aber ab dem 19. Jahrhundert diese
Ansätze ins Gegenteil verkehrt, was ja schlussendlich dazu
geführt hat, dass heutzutage die schlimmsten Gewaltdarstellungen
im Fernsehen nicht zensiert werden, aber das kleinste Anzeichen
einer weiblichen Brust sofort retuschiert wird. Und das ist nun
wirklich körperfeindlich. Da braucht es, wie ich finde, aber
keine "Moral der echten Monogamie" als Ersatz, da braucht es ein
Bewusstsein gegen Körperfeindlichkeit und falsch verstandene
Sexualmoral!
Nehmen Sie meine Ausführungen also als das, was sie
sind: neue Denkimpulse von einem Lehrer zum anderen. Lehrer*
beantworten nicht nur Fragen, sie denken auch über ihre eigenen
Positionen im Austausch mit anderen nochmals reflektiert nach -
zumindest ist das meine Erfahrung im täglichen Schuldialog - um
abschließend nochmals Paulus zu zitieren: "Prüft aber alles und
das Gute behaltet!" (1 Thess 5,8).
Beste Grüße
Ihr
Oswald Lieber Oswald, ich dachte schon, dass ich Ihre Adresse verloren habe, doch durch Zufall stieß ich wieder auf unseren Mailwechsel vor 9 Jahren, bei dem auch noch Ihre Mailanschrift war. Da ich nun nicht weiß, ob diese noch gültig ist und ich nicht allzu viel umsonst schreiben möchte, inzwischen nur so viel: Ich bin noch auf ein Buch über Paulus von einem engl-jüd. Talmudgelehrten gestoßen - und zusammen mit den beiden Infos von dem dänischen Sanskritforscher (ich war erstaunt, dass ich das Buch bei unserem Mailwechsel 2011 schon kannte, so lange soll das also schon her sein?) und dem Tip von dem Bauern bin ich nun auf irre Zusammenhänge gestoßen - und ich bin überzeugt, dass es so oder so ähnlich gewesen sein muss: https://basisreli.lima-city.de/kriminalfall.pdf oder kürzer https://basisreli.lima-city.de/kriminalfall-kurz.htm . Auf was ich gekommen bin, erklärt nicht nur den grauslichen Tod Jesu, sondern auch die Rolle des Paulus, warum der etwa eine Theologie konstruiert hat, die eigentlich ein spätantiker Mysterienkult ist, der nicht mit dem wirklichen Jesus zu tun hat. Das NT habe ich jedenfalls weitestgehend über Bord geworfen, bzw. nutze nur noch Stellen, die lebenspraktisch und nichtpaulinisch klingen. Auch ein Interview habe ich dazu entworfen: https://basisreli.lima-city.de/interview.htm . Vielleicht ist das ein ganz guter Einstieg. Noch bin ich bisher damit nirgendwo angekommen... Inzwischen geht es mir nur noch um die Monogamie, ich meine hier die echte, und wie die jungen Leute dazu kommen, das werden sie schon selbst herausfinden. Meine einzigen Tipps sind, dass Nacktheit nicht automatisch Geschlechtsverkehr bedeutet und dass man durchaus auch hautnah zusammen sein kann - ohne Sex. Und dass das auch sehr schön und aufregend ist bzw. sein kann - und alle Optionen für die echte Monogamie offen lässt. Das wär´s erst mal! Liebe Grüße Michael Und was machen Sie zur Zeit? Im kirchlichen Dienst? www.michael-preuschoff.de
|