ERZIEHEN ODER BEGLEITEN

ERZIEHEN ODER BEGLEITEN

Die polnisch-schweizerische Psychologin und Erziehungstheoretikerin Alice Miller (1923 - 2010) sieht das Problem der Erziehung von Kindern darin, dass Eltern (oder auch Lehrer und Kirchenleute) die jungen Menschen immer nur "er-ziehen" wollen, wobei sie Wert auf das Wort "ziehen" legt; die "Er-zieher" wollen also die jungen Menschen zu etwas hin "ziehen", was sie wollen. Und das ist nun etwas, was die jungen Menschen selbst gar nicht wirklich wollen, und daher rührt also oft die Verweigerung der jungen Menschen, hier sich dem zu fügen und mitzumachen. Daher rührt also dann  der ganze "Erziehungsstress", um es einmal so zu nennen. Als viel sinnvoller hält Alice Miller das "Begleiten" der jungen Menschen, wobei sie davon ausgeht, dass junge Menschen eigentlich das Vernünftige und Gute schon von sich aus wollen.

Wie gut Alice Miller ihre gewiss gute Idee in die Praxis umsetzt, wird mir nicht so recht klar, nicht zuletzt sagt ihr Sohn Martin, dass die Erziehung seiner Mutter eher katastrophal war (Beitrag in der WELT vom 15.10.2013 von Annette Prosinger in der Form eines Interviews).

Daher möchte ich hier kurz darstellen, was ich mir unter "Begleiten" vorstelle, wenn es um die Praxis der Sexualerziehung geht. Üblicherweise werden die jungen Menschen hier ja ge-"zogen", das heißt, sie werden insbesondere auf die (Sexual-) Scham festgelegt, die die Erwachsehen wollen, ein Widerspruch der Kinder ist unmöglich und auch zwecklos. Und da die jungen Leute von Natur aus moralisch sein wollen, machen sie mit, sie wissen es ja auch nicht besser.

Doch irgendwann kommen dann doch die Fragen, ob das alles so richtig ist. Und sie fragen nicht mehr die Erwachsenen, die sie eigentlich fragen sollten, weil die wohl eher zuständig sind, sondern sie richten sich nach dem, was offensichtlich alle machen oder was zumindest alle sagen, dass sie es machen.

Wie wäre das also mit dem "Begleiten"? Das heißt, dass die Erwachsenen die jungen Menschen beobachten oder auch ahnen, was sie wollen, und ihnen darauf hin beziehungsweise dazu Tipps geben, sie also zu beraten, wie sie das, was sie wollen, richtig machen können, um ein wirklich schönes Erlebnis zu haben und um Fehler zu vermeiden, und gerade auch solche, die nicht wieder gut zu machen sind.

Ich bin hier auf eine Website gestoßen, in der junge Menschen darüber diskutieren – ausgehend von der Frage einer jungen Fußballerin in einer Jugend- oder besser Jungenmannschaft, ob sie mit den Jungen nackt duschen soll oder nicht:

https://www.gutefrage.net/frage/mit-jungs-duschen#answer-228012406

Ich denke, dass diese Seite sehr gut die Nöte der jungen Menschen wieder gibt und auch, dass sie sehr gutwillig sind und auch endlich einmal offen reden wollen. Die typischen "Bedenkenträger" werden hier natürlich gar nicht erst nachdenken, sondern von vornherein alles ablehnen – ja, ich sehe, auch solche Bedenkenträger sind unter denen, die die Kommentare vefasst haben. Doch ich möchte kein solcher typischer "Bedenkenträger" sein. Daher habe folgenden Text irgendwo auf der Seite eingegeben – genau aus dem Sinn, dass die jungen Menschen das, was sie da machen und was sie bisweilen auch gerne machen, auch richtig machen und vielleicht sogar noch mehr draus machen:

"Ich sehe, dass Ihr alle hier sehr sachlich, ernsthaft und niveauvoll diskutiert und manche setzen das auch in die Praxis um. Wie gut, denn vor allem haben diejenigen, die solche Offenheit zwischen Mädchen und Jungen erlebt haben, dann schon mal die Erfahrung, dass diese Offenheit etwas sehr Schönes ist und dass sie „deswegen“ nicht gleich „übereinander herfallen“. Ich finde das alles sehr positiv. Doch eine Anregung: Warum nicht solche Offenheit „systematisieren“, das heißt, sich ganz allgemein um eine grundsätzliche Verhaltensänderung zu kümmern? Ihr seid doch alle auch Schüler und Schülerinnen und weil Ihr solche Offenheit erlebt habt, auch irgendwie „Fachleute“. Daher könntet Ihr doch mal im Religionsunterricht oder im Ethikunterricht „darüber“ diskutieren. Ihr könnt Eurem Lehrer und Euren Klassenkameraden ja das von mir verfasste Heft „Der Kriminalfall Jesus“ (auch unter google zu finden) vorlegen, Ihr dürft es auch teilweise oder komplett kopieren und verwenden. Da bin ich im Zusammenhang mit einem unverfälschten Jesus auch auf Fragen einer echten Sexualmoral und Spaß an dieser Moral eingegangen, nicht zuletzt wurden die frühen Christen ja splitternackt getauft – und die waren durchaus auch in Eurem Alter. Es war damals gerade auch in unserem Glauben wohl vieles sehr viel anders, als wie es insbesondere unseren jungen Menschen heute erzählt wird.

Und irgendwann ist Corona ja wieder vorbei …"


Ob sich Alice Miller eine "Begleitung" so vorgestellt hat? Ich meine, dass ich ihr einmal geschrieben hatte, als sie noch lebte, und ihr das Konzept einer "begleitenden Sexualerziehung oder besser Moralerziehung" vorgestellt hatte. Ich habe jedenfalls nichts von ihr gehört. Das Problem könnte sein, dass sie über eine Anwendung ihrer Idee auf die Moralerziehung noch nie nachgedacht hatte – und sie vielleicht hier sogar selbst ihre Schwierigkeiten hatte.

Hinweis für einen Freund: Wenn Sie einmal etwas zu drucken haben, dann fragen Sie doch einmal ihn nach einem Angebot: http://freenet-homepage.de/lotus/satzservice.htm .