Das folgende Buch ließ ich 1987 für
meine Schüler drucken. Zu der Entstehung dieses Buches haben
sehr viele Freunde und Kollegen und auch Schülerinnen und
Schüler und deren Eltern mit ihrem Rat beigetragen und
bisweilen auch sehr viel Zeit geopfert. Ihnen allen war es ein
großes Anliegen, anderen zu helfen. Ob dies gelungen ist,
wird die Zukunft zeigen. Ich habe jedenfalls sehr zu danken.
Michael
Preuschoff
GLAUBE OHNE ABERGLAUBEN
Christentum der
hohen Liebe
Beglückende und erfüllende
seelisch-geistig-körperliche Harmonie im
Höchstmaß für jeden Menschen - das ist das
Grundanliegen unseres Christentums! Durch unseren Glauben soll das
einzigartige wirklich konkrete Geheimnisvolle unseres Menschseins - die
Liebe - nicht mehr länger ein Lotteriespiel sein, sondern
für alle, "die guten Willens sind", erreichbar werden. Dieses
Buch wurde verfaßt, um Hoffnung und Zuversicht zu geben und
auch Wege anzubieten und Hindernisse aufzuzeigen, damit das Ziel auch
erreicht werden kann.
Von Ihnen, lieber Leser, wird bei der Auseinandersetzung mit der ganzen
Thematik gar nicht einmal erwartet, daß Sie alles von vorne
bis hinten durchstudieren. Mit den einzelnen Kapiteln werden vielmehr
unterschiedliche Lesergruppen angesprochen. Natürlich ist
Neugier auf das, was Sie selbst nicht gerade persönlich
betrifft, zusätzlicher Gewinn und das gilt vor allem
für die "Zweifler"!
INHALT
Für alle als
Wissenshintergrund:
I. DIESSEITIGES PARADIES ALS ANLIEGEN DES CHRISTENTUMS
A. Glaube und Aberglaube im Alten Testament
B. Biblische Berichte und Ungereimtheiten
C. Ausflug in die moderne Anthropologie: Gesteigerte
Sexualität als besonderes Merkmal des Menschen
D. Liebe in der Einheit von Leib und Seele als Konzept der Bibel
E. Liebe in der Einheit von Leib und Seele als Notwendigkeit auch
für den heutigen Menschen
F. Akzentverschiebungen im Christentum
Für diejenigen, die jede
Diesseitsreligion gleich für marxistisch (kommunistisch)
halten:
II. MARXISTISCHE UND CHRISTLICHE ERLÖSUNGSVORSTELLUNG; ARBEIT
ODER LIEBE - WAS IST DAS MERKMAL DES MENSCHEN?
A. Arbeit als wichtigste zwischenmenschliche Beziehung?
B. Philosophischer Materialismus als Hintergrund des marxistischen und
auch des biblischen Weltbildes
C. Paradiesutopien und ihre Verwirklichung
Für diejenigen, die einen
"wissenschaftlich aufweisbaren Gott" brauchen:
III. VERSUCH EINER METAPHYSIK EINES "MATERIALISTISCHEN CHRISTENTUMS"
A. Unbrauchbarkeit traditioneller Physik und Metaphysik
B. Ausgangspunkte heute notwendiger Metaphysik: menschliche
Sehnsüchte und geistige Voraussetzungen des Menschen
C. Kybernetik als materialistische Wissenschaft vom Geist
D. Kybernetische Grenzen der Leistungsfähigkeit des Geistes
und Überwindung dieser Grenzen durch geeignete Metaphysik
E. "Atheismus" des materialistischen Christentums
Für alle, die sich um ein
Gelingen ihrer Erziehungsbemühungen an jungen Menschen sorgen:
IV. DIE BESSEREN CHANCEN EINER ERZIEHUNG OHNE FALSCHHEIT UND OHNE
LÜGEN
A."Tabu-Themen" für Kinder?
B. Unwahrhaftigkeit in unserer heutigen Religionspädagogik
C. "Militärisches" Informationsmodell
D. Selbstzucht und Neurosen
E. Lebensideale und Gemeinschaftsunterricht
Für meine
Schülerinnen und Schüler und für alle jungen
Menschen überhaupt (zur persönlichen Information):
V . ENTTÄUSCHENDE VERLIEBTHEIT ODER ERFÜLLENDE LIEBE
A. Störung und Zerstörung der Leib-Seele-Einheit aus
Unkenntnis oder aus Charakterschwäche
B. Störung und Zerstörung trotz charaktervoller
Bemühung
C. Das Phänomen der "Enttäuschung"
D. Einheit von Leib und Seele als Grundlage für
erfüllende Liebe
E. Das Elend der "rosaroten Brille"
F. Wege der geistigen und körperlichen Erkenntnis
G. Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Zur Erinnerung: Biblischer Text der Adam-und-Eva-Erzählung
Nachwort
I. DIESSEITIGES PARADIES ALS ANLIEGEN DES
CHRISTENTUMS
(Dieses erste Kapitel wurde als Referat im Dezember 1985 gehalten vor
dem Arbeitskreis katholischer Religionslehrer an Berufsbildenden
Schulen des Erftkreises in Hürth)
Wenn ich Euch, meine lieben Schülerinnen und Schüler,
nahe bringen will, daß christlicher Glaube Lebenshilfe gibt,
während Aberglaube solche Hilfe nur vorgaukelt, spüre
ich stets, daß meine Argumentation nicht so recht in Euren
Verstand und in Euer Herz dringt. Ihr könnt einfach die
Lebenshilfe unseres christlichen Glaubens nicht so recht erkennen, ja
bisweilen erwartet Ihr sogar von ausgesprochenem Aberglauben mehr
Lebenshilfe. Und bei vielen Dingen in unserem Glauben seht Ihr
überhaupt keinen Unterschied zum Aberglauben. Und irgendwann
fragt man sich ja als Lehrer: Habt Ihr mit Eurer Skepsis nicht recht?
Steht nicht auch vieles von dem, was wir heute gemeinhin zum
Bestandteil unseres christlichen Glaubens zählen, noch in der
Nähe des Aberglaubens? Ob so etwa nicht die ungeheure
Wichtigkeit, die dem Leben nach dem Tode in unserem heutigen
Christentum zugemessen wird, auf einer abergläubischen
Fehlinterpretation der biblischen Botschaft beruht auf Kosten des
für uns Menschen zunächst einmal vordringlicheren
Problems eines erfüllten Diesseits? Hängt dieses
erfüllte Diesseits nicht vor allem mit dem einzigartigen
wirklich konkreten Geheimnisvollen unserer Geschöpflichkeit,
nämlich unserer Existenz als Mann und Frau zusammen?
Und darum soll es in diesem Buch eines Glaubens ohne Aberglaube gehen!
A. Glaube und Aberglaube im
Alten Testament
"Aberglaube" umfaßt im Judentum der Frühzeit, dem
äußersten Ursprung unseres christlichen Glaubens,
mehr als wir heute mit diesem Begriff verbinden. Denn der
jüdische Glauben hat sich als Gegenentwurf zu den Religionen
und Lebensweisen der Nachbarvölker des jüdischen
Volkes, also Israels, gebildet und bezieht sich darauf. Dabei stuft der
jüdische Glaube kurzerhand alles, was - auch unter dem Vorwand
des Gottesdienstes für irgendwelche Gottheiten - nur zu oft
keineswegs zum Wohl und noch öfter sogar zum ausgesprochenen
Unglück der Menschen dient, als Götzendienst oder
Aberglaube ein, verurteilt und bekämpft es. Daher kann der
Atomphysiker Albert Einstein in einer
verstandesmäßigen Betrachtung seines
jüdischen Glaubens schreiben: "Judentum ist kein Glaube. Der
jüdische Gott ist nur eine Verneinung des Aberglaubens, ein
Phantasieersatz für dessen Beseitigung ... So ist das Judentum
keine transzendente (Anm.: jenseitig, übernatürlich,
übersinnlich) Religion; es hat nur mit dem von uns erlebten,
gewissermaßen greifbaren Leben zu tun und mit nichts anderem.
Es scheint mir daher fraglich, ob es eine 'Religion' im
geläufigen Sinn des Wortes genannt werden kann, zumal eben vom
Juden kein Glaube verlangt wird, sondern Heiligung des Lebens im
überpersönlichen Sinn." (Zitat: Albert Einstein, Mein
Weltbild, hrsg. v. Carl Seelig, Ullstein TB 35024, 1982, S. 90 Der
Sozialpsychologe und bedeutendste Vertreter der humanistischen
Psychologie Erich Fromm beschreibt in seinem Buch "Ihr werdet sein wie
Gott" (rororo 7332) ein ähnliches Gottesbild als das typische
jüdische.)
Zunächst zum Gott als "Phantasieersatz"! Bedeutet diese
Einstufung des jüdischen Gottes, der ja auch unser
christlicher Gott ist, nicht eine Abschaffung Gottes, bedeutet diese
Einstufung nicht in letzter Konsequenz radikale Gottlosigkeit? Da ist
sicher etwas dran. Stehen wir aber nicht auch ohne die Einsteinsche
Deutung stets in Gefahr, uns über Gott etwas vorzumachen, weil
wir ihn im letzten doch nicht erkennen können? Können
wir uns dagegen mit der "Kurzformel" Einsteins über den
Charakter unseres Gottes klarer werden? Einen "Phantasieersatzgott"
kann man so etwa nicht über wissenschaftliche Arbeiten
erkennen, jeder Versuch in dieser Richtung ist von vorneherein
verschwendete Zeit und Liebesmüh. Es handelt sich ja doch um
einen Phantasieersatzgott! Ein solcher Gott läßt
sich nicht in den Kasten unserer menschlichen Vernunft sperren. Wir
kommen allenfalls zu einem Götzen. Für unseren
Christenglauben ist diese Unmöglichkeit wissenschaftlicher
Gotteserkenntnis jedoch gar nicht einmal von besonderer Tragik.
Durch Jesus wissen wir ohnehin von einem anderen Gott. Und wir
können diesen Gott, der ja ein Gott der "Heiligung des Lebens
im überpersönlichen Sinn" ist, bei Fragen dieser
Heiligung in innerer Zwiesprache "beteiligen", etwa im Sinn von "Was
würde Gott sagen, wenn es ihn gibt ..." Zu diesem Gott
können wir ohne uns etwas vorzumachen auch beten. Durch die
Zwiesprache und durch das Gebet sind wir offen für das
"Überspringen" des "Funken Gottes" - der ersten und einzigen
Bedingung jüdischen und christlichen Gottesglaubens. Es ist
tröstlich zu wissen, daß so etwa das Rosenkranzgebet
des nur zu oft geringschätzig belächelten "alten
Mütterchens" eher zu Gott führt als jede
wissenschaftlich-theologische Bemühung hochkarätiger
Professoren.
Mit der "Verneinung des Aberglaubens" ist nun nicht nur die Verneinung
von Wahrsagerei, Magie, Kontaktaufnahme mit Toten und was es da sonst
noch gibt, gemeint, sondern es dreht sich vor allem um die
Bekämpfung von sehr handfesten Unmenschlichkeiten, teilweise
ausdrücklich im Namen von Gottesglauben. An drei Beispielen
möchte ich das Anliegen der "Heiligung des Lebens im
überpersönlichen Sinn" erläutern:
1. Die jüdische "Religion" schenkte der
Menschheit den freien Tag in der Woche!
Sinn der Schöpfungsgeschichte ist keinesfalls, eine
Erklärung für die Entstehung der Welt zu geben, so
etwas ist nicht Aufgabe der Bibel. In der Schöpfungsgeschichte
geht es zunächst einmal um die Entlarvung der
nichtjüdischen Religionen, die ja Geschöpfliches zu
Göttern gemacht und verehrt hatten (etwa Sonne, Mond, Wind,
Fruchtbarkeit), mit nur zu oft erniedrigenden und sogar perversen
Bräuchen, die gleichzeitig angeprangert und bekämpft
wurden (s. 5.10). Vor allem gibt diese Geschichte jedoch eine
theologische Begründung für einen freien Tag in der
Woche: "Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn
für heilig, denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk
der Schöpfung vollendet hatte (Genesis 2, 3)". Etwas
prosaischer finden wir dasselbe Anliegen in den Zehn Geboten wieder:
"Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott geweiht. An ihm
darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein
Sklave und deine Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der in deinem
Stadtbereich Wohnrecht hat (Exodus 30, 10 f)" . Die ungeheuerliche
soziale Bedeutung dieser Forderung können wir heute in unserer
Wohlstands- und Versorgungsgesellschaft mit ihrer geregelten Arbeits-
und Freizeit kaum ermessen: Die jüdische Religion wollte in
der damaligen vorderorientalischen "Sklavereigesellschaft" ein Zeichen
setzen - auch Sklaven und Tiere sollten irgendwann einmal zur Ruhe
kommen können! Religion zum Wohle jeder Kreatur!
Darüberhinaus galt die Arbeit im benachbarten assyrischen
Kulturbereich als Gottesdienst. Da das "Leben" von den Göttern
herrührt, also auch die Fruchtbarkeit des Ackerbodens, wird
landwirtschaftliche Arbeit als Unterstützung der Arbeit der
Götter, also als Gottesdienst und aus jüdischer Sicht
eben als Götzendienst angesehen. In der jüdischen
Religion ist daher der Tag ihres Gottes frei von Arbeit - frei von
Götzendienst! (vgl. Claus Westermann, Genesis - 1, Teilband
Genesis 1-11, Neukirchen-Viuyn 1974, S. 301 f)
2. Die jüdische "Religion" befreite die
Menschheit von der Geißel der Menschenopfer
Gewöhnlich sehen wir in der Erzählung von Abraham,
der auf Geheiß Gottes seinen einzigen Sohn Isaak opfern soll
und der stattdessen dann aber einen Widder, der sich im
Gestrüpp verfangen hatte, opfert, eine Prüfung des
unbedingten Gehorsams und Gottvertrauens Abrahams, Diese Interpretation
hat allerdings einen ganz großen Haken: Wie mag Gott das dem
Abraham wohl beigebracht haben, daß er seinen Sohn opfern
soll? Eine Forderung Gottes nach einem Sohnesopfer
müßte schon so eindeutig ausgesprochen sein,
daß kein Ausweichen und keine Interpretation möglich
wäre. So etwas ist aber schlechterdings unmöglich!
Gott redete mit Abraham vor bald 4000 Jahren gewiß nicht
anders als heute mit jedem von uns. Wie könnten wir uns bei
einer solch ungeheuerlichen Forderung, den eigenen Sohn zu opfern,
sicher fühlen, daß sie wirklich von Gott stammte und
nicht aus einer abartigen, egoistischen Täuschung?
Die Lösung des Rätsels ist, daß Gott
natürlich nie die Forderung nach einem Sohnesopfer
erhoben hat. Das ist eine Interpretation aus dem Nachhinein. Es geht um
etwas anderes:
In den vorderasiatischen polytheistischen (Polytheismus =
Vielgötterei) Religionen waren
Menschenopfer in gewissen Situationen üblich, etwa wenn eine
Hungersnot herrschte oder eine Seuche grassierte, was man sich nur als
Strafe eines Gottes erklären konnte. Auf unserer Ferienreise
nach Sizilien, das im Altertum in engster Verbindung mit Vorderasien
stand, gehen wir heute noch etwa auf der kleinen Insel Mozia bei
Marsala über den "Tophet", den Begräbnisplatz der
erstgeborenen Söhne, die dem
Gott Baal geopfert wurden. Der Stammvater Abraham schwankte nun
zwischen dem Glauben an solche
Götzen mit der Verpflichtung zum Menschenopfer und erkannte
dann den menschlichen einzigen Gott, der diese unmenschlichen Opfer
nicht wollte. Abrahams Leistung ist, daß er sich für
diesen Gott
entschied und sich ihm bedingungslos anvertraute. Auch hier ein Gott
zum Wohl der Menschheit!
Weniger poetisch wird die Forderung nach Beendigung der Menschenopfer
später aus der Sicht der etablierten Religion wiederholt: "Der
Herr sprach zu Mose: Sag zu den Israeliten: Jeder Mann
unter den Israeliten oder unter den Fremden in Israel, der eines seiner
Kinder dem Moloch (Moloch = kanaanäischer Opferbegriff, meist
im Zusammenhang mit Menschenopfern gebraucht) gibt, wird
mit dem Tod bestraft. Die Bürger des Landes sollen ihn
steinigen. Ich richte mein Angesicht gegen
einen solchen und merze ihn aus seinem Volk aus, weil er eines seiner
Kinder dem Moloch gegeben, dadurch mein Heiligtum verunreinigt und
meinen heiligen Namen entweiht hat. Falls die Bürger des
Landes ihre Augen diesem Mann gegenüber
verschließen, wenn er eines seiner Kinder dem Moloch
gibt, und ihn nicht töten, so richte ich mein Angesicht gegen
ihn und seine Sippe und merze sie aus der Mitte ihres Volkes aus, ihn
und alle, die sich dem Molochdienst hingeben" (Levitikus, 20,
1-- 5).
Abraham hatte die Religion ohne Menschenopfer, die Religion zum Wohle
des Menschen, entdeckt; bedauerlich ist, daß diese Religion
mit ihrer späteren Etablierung selbst zum
Hilfsmittel des Tötens von Menschen griff ...
3. Die jüdische "Religion" ebnete der
Menschheit den Weg für die beglückende Gemeinschaft
von Mann und Frau - für die Liebe!
In den Büchern "Exodus" (das mit den "Zehn Geboten") und
Levitikus finden wir aus der Sicht der etablierten
Religion strenge Vorschriften zum Sexualverhalten, etwa: "Du sollst
nicht die Ehe brechen" (Exodus 20, 14) oder "Ein Mann, der mit der Frau
seines Vaters schläft, hat die Scham seines Vaters
entblößt. Beide werden mit dem Tod bestraft ...
Schläft einer mit seiner Schwiegertochter, so werden beide mit
dem Tod bestraft ... Schläft einer mit einem Mann, wie man mit
einer Frau schläft... beide werden mit dem Tod bestraft .. .
Ein Mann, der einem Tier beiwohnt, wird mit dem Tod
bestraft .. ." usw. (Levitikus 20, 11 ff).
Bei diesen strengen Vorschriften (die wohl auch ihren Anlaß
hatten, da muß also was losgewesen sein!) ist kaum noch
auszumachen, daß die dazugehörige "poetische
Fassung" zu den bekanntesten Bibelerzählungen gehört
und als Ausgangspunkt der Erbsündenlehre in besonderer
Beziehung zu unserem christlichen Glauben steht. Dabei geht es gerade
hier um Glück und Unglück, um Höhen und
Tiefen, um Hoffnungen und Enttäuschungen, kurz um das
Einmalige unseres Menschseins! Es geht um die Angelegtheit des Menschen
zu höchster und erregendster Gemeinschaft von Mann und Frau
und die Zerstörung dieser
Gemeinschaft durch einen ganz speziellen Aberglauben.
B. Biblische Berichte und Ungereimtheiten
"Märchen", sagen meine Schüler wie zu vielen anderen
Geschichten aus der Bibel, wenn ich sie auf die
Adam-und-Eva-Erzählung anspreche. Sie glauben leider immer
noch, daß diese Erzählung im
weitesten Bereich etwas mit dem biblischen Glauben an die Erschaffung
des Menschen zu tun hat. Noch nie haben sie davon gehört,
daß diese Erzählung mit der Erschaffung genausoviel
zu tun hat
wie das Kinderkriegen mit dem Klapperstorch: nämlich rein gar
nichts. Die Adam-und-Eva-Erzählung enthält keine
theologische Aussage über die Herkunft des Menschen oder
über die Herkunft des Lebens überhaupt, Fragen danach
können wir getrost und ohne Schaden für unseren
Glauben den Naturwissenschaftlern heute überlassen. Ebenso wie
die anderen Erzählungen der Urgeschichte der Bibel, so der
Bericht von Abrahams Opfer, aber auch die
Kain-und-Abel-Erzählung, die Erzählung von
der Sintflut, die Erzählung vom Turmbau zu Babel, der Bericht
vom Untergang Sodom und Gomorrhas
handelt es sich auch bei der Adam-und-Eva-Erzählung um eine
Entlarvung und Verurteilung der Lebensweise der Völker, mit
denen das Volk der Juden in Nachbarschaft lebte.
Berichtet aber die Bibel nicht doch von einer Erschaffung des Menschen,
die doch immerhin als "Wort Gottes" wörtlich genommen werden
müßte? Wie wenig die Wörtlichnahme eines
Textes uns das
Wort Gottes erschließt und wie wenig die
Wörtlichnahme uns auch zum Verständnis eines Textes
verhilft, mag folgender Vergleich verdeutlichen: Als kürzlich
(Anmerkung: als dieser Text verfaßt wurde, also im Jahr 1987)
eine Filiale der "Dresdner Bank" in Tokio eröffnet wurde,
konnten unbedarfte Japaner aufgrund des Namens auf den Gedanken kommen,
daß
es sich um eine Bank aus dem kommunistischen Machtbereich handele -
schließlich trägt die Filiale ja den Namen einer
Stadt im kommunistischen Machtbereich Deutschlands. Und wahrscheinlich
gibt die Bank auch nirgendwo
einen Hinweis, daß sie keine kommunistische Einrichtung ist,
ein solcher Hinweis ist auch
überflüssig für den "Normalmenschen von
heute", denn jeder "weiß Bescheid".
Dieser Vergleich macht deutlich, daß die
Wörtlichnahme eines Textes oft nichts bringt,
wenn es um die Entschlüsselung des tatsächlichen Sinn
dieses Textes geht. Zur Erkenntnis des Sinns gehört auch der
Hintergrund, der Zusammenhang, eben das, was "jeder Normalmensch" einer
bestimmten
Zeit "weiß", ohne daß dies besonders dargelegt
wird. Und wenn dieser Hintergrund schon heute zum
Verständnis des Namens einer Bank erforderlich ist, wieviel
wichtiger ist die Notwendigkeit der
Kenntnis des Hintergrunds einer Geschichte, die nunmehr weit
über 3 000 Jahre alt ist und dazu noch aus einem ganz anderen
Kulturkreis stammt!
Vertauschen wir also den Hintergrund einer biblischen Geschichte mit
unserem heutigen Denkhorizont, laufen wir höchste Gefahr, die
Geschichte zu verfälschen und dadurch bisweilen zu den
unsinnigsten Ergebnissen zu kommen. Mit "Wort Gottes" hat das dann gar
nichts mehr zu tun, sondern mit einer schlechten Mischung aus
Ungereimtheiten und mißverstandener Tradition.
Und wie können wir nun erkennen, wo bei einer
Erzählung aus einem anderen Kulturkreis es zunächst
einmal auf das richtige Verständnis des jeweiligen
Hintergrundes ankommt, wo wir uns also erst einmal mehr
"wissenschaftlich" bemühen müssen? Ganz einfach:
Gehen wir wie Fernsehkommissar "Derrick" vor - setzen wir bei den
"Ungereimtheiten" nach unserem heutigen Verständnis an! Gehen
wir davon aus, daß es auch in früheren Zeiten und in
anderen Ländern nichts gab, was nicht heute
auch noch möglich ist. Wenn etwa eine Frau aus der Rippe eines
Mannes entsteht, wenn eine Schlange sich um den Stamm eines Baumes
windet und dann redet, wenn sich etwa zwei Menschen nach dem
Genuß
eines "Apfels" nackt fühlen und das Bedürfnis haben,
sich zu bekleiden, so sind das solche Ungereimtheiten, die den
"Derrick-in-uns" erwachen lassen sollten.
Gehen wir ruhig noch einen Schritt weiter: Nicht nur stehen hinter
diesen Ungereimtheiten
höchstwahrscheinlich keine Unsinnigkeiten, wir können
uns vielmehr sogar darauf verlassen, daß
hinter so alten ehrwürdigen Überlieferungen, wie es
gerade die ersten Erzählungen der Bibel sind, sich
grundlegende und zeitlose Aussagen verbergen.
Doch welche?
Um an diese grundlegenden und zeitlosen
Aussagen heranzukommen, gibt es zwei Wege:
1. zu versuchen, tiefer in die Bibel, d.h.
zunächst einmal in den Text einzudringen. Der
evangelische Theologe Rudolf Bultmann hat allerdings die Schwierigkeit
für diesen Weg aufgezeigt,
daß nämlich ein alter Text nur aus dem Zusammenhang
verstanden werden kann, man zum Verständnis
des Zusammenhangs wiederum auf dem Sinn des Einzeltextes aufbauen
muß. In der Fachsprache der
Philosophen und Theologen spricht man hier vom "hermeneutischen Zirkel"
(Hermeneutik, die Lehre von der Auslegung, Deutung, Erklärung
von Texten, Kunstwerken u.a. ). Dieser hermeneutische
Zirkel ist vor allem in Fragen von gegenteiligen Ansichten aus den
vorliegenden Texten allein nicht zu lösen.
Es bleibt jedoch ein zweiter Weg:
2. zu vertrauen, daß die Bibel von
Wahrheit, Heil, Glück und Sinn des menschlichen Lebens handelt
("existentielle Interpretation als positive Forderung des
Entmythologisierungsprogramms").
Dadurch wird es dann möglich, von der heutigen Erforschung
über den Menschen auszugehen (Psychologie, Anthropologie) und
nach zeitlosen Merkmalen, nach grundlegenden
Eigentümlichkeiten und Fragestellungen, zu suchen.
Der Vorteil dieses zweiten Weges liegt vor allem in der Konkretheit der
heutigen
psychologischen und anthropologischen (Anthropologie, die Wissenschaft
vom Menschen, die alle ausgestorbenen und gegenwärtigen Formen
des Menschen unterscheidet und charakterisiert) Forschung, die uns
langes Herumrätseln erspart und uns schnell auf eine
günstige Fährte führt. Soviel ich sehe,
können wir auch hier sehr gute "Indizien" für eine
Erkenntnis des biblischen Inhaltes finden. Durch Befragen des
biblischen Textes kann die Fährte überprüft
und gegebenenfalls ausgebaut werden.
C. Ausflug in die moderne
Anthropologie: Gesteigerte Sexualität als besonderes Merkmal
des Menschen
Ob es uns paßt oder nicht - mit den meisten angeblichen
Besonderheiten des Menschen gegenüber
"nichtmenschlichen Wesen" ist es bei genauerer Nachprüfung
nicht weit her! Wenn meine Schüler
etwa anführen, daß das Besondere der Menschen ist,
daß sie denken könnten - anders als Affen oder auch
Computer, so scheitert der
Beweis für die Richtigkeit dieser These an der Definition des
Denkens. Wenn wir etwa "Denken" definieren als "Speichern und
Verarbeiten von Informationen", so kann genau dieses auch ein Computer.
Und mit der "Selbständigkeit" des Denkens des Menschen sieht
es auch nicht besonders gut aus, es werden in jedem Fall nur
Beobachtungen (die ja auch "Informationen" sind) in neuer Weise
verknüpft - und genau dies "kann" auch ein Computer.
Außerdem ist auch uns alles, was wir gemeinhin
unter "Denken" verstehen, irgendwie einmal beigebracht worden, sei es
bewußt etwa in der Schule,
sei es unbewußt durch Beobachtung der Umwelt. Wenn einem
Menschen nichts beigebracht wird, wenn er
in einem dunklen Keller ohne Kontakt mit der Außenwelt
aufwächst, so wie etwa Kaspar Hauser, bleibt auch der Mensch
"dumm", seine 15 Milliarden Gehirnzellen helfen ihm da gar nichts, so
wenig wie einem Computer seine Speicherkapazität und sein
toller Gigabite-Prozessor, wenn nichts in geeigneter Weise programmiert
wurde. Sicher, das menschliche Gehirn
ist gewiß variabler als ein Computer, doch das liegt wohl
nicht an einem grundsätzlichen
Unterschied von Gehirn und Computer, sondern vor allem an der
unheimlichen Kompliziertheit des Gehirns und der riesigen Zahl der
Gehirnzellen auf kleinstem Raum, die dazu noch
leistungsfähiger sind als die entsprechenden "Computerzellen".
Beim Computer ist vorerst noch allerdings eine solche Kompliziertheit
vor allem aus wirtschaftlichen Gründen auch gar nicht
beabsichtigt, wie sie für den Menschen zu seinem
Überleben notwendig war und noch ist.
Leider ist die Diskussion über die Denkfähigkeit etwa
von Computern äußerst vorurteilsbeladen, was schon
daraus hervorgeht, daß bei den Gegnern dieser
"Denkfähigkeit" etwa
die Standardwerke "Automat und Mensch" des Nichtmarxisten Karl
Steinbuch im Westen (Heidelberg, verschiedene Auflagen) oder
"Kybernetik und Erkenntnistheorie" des Marxisten Georg Klaus im Osten
unseres Vaterlandes (Berlin/Ost, verschiedene Auflagen seit 1965)
weitgehend unbekannt sind.
Ich kann es mir jedenfalls nicht vorstellen,
daß im Gehirn des Menschen andere Gesetze als
die der Materie, also Unberechenbarkeit und Gesetzlosigkeit, beim
Bilden der Gedanken herrschen.
Und kaum werden etwa "Geister" (oder was denn sonst?) die Gedanken
senden oder sonstwie
beeinflussen. Was im Gehirn "passiert", hat ganz gewiß seine
Logik, wenn wir auch wegen der
Komplexität nicht immer alle Schritte nachvollziehen
können. Daher schließe ich mich den
Ausführungen Karl Steinbuchs in seinem soeben genannten Werk
an, daß das Denken nicht das typische
Merkmal des Menschen ist.
Wie steht es hingegen mit der "Arbeit"? Ist sie die
Besonderheit des Menschen? In der
Auseinandersetzung mit dem Marxismus ist diese Frage heute so
bedeutsam, daß ich ihr ein
besonderes Kapitel widme. Nur soviel hier: Auch was die Arbeit
betrifft, können wir getrost vergessen, daß es sich
dabei um eine Besonderheit des Menschen handelt, die ihm allein von der
Natur gegeben wurde. Sie ist nicht das ursprünglichste, das
wichtigste Merkmal der Menschwerdung.
Was ist also, wenn nicht Denken, wenn nicht Arbeit? Bei
der Suche nach einer wirklichen Unterscheidung des Menschen
gegenüber nichtmenschlichen Wesen, und zwar bereits von der
Veranlagung her, bei der Suche nach Eigenschaften, die nur Menschen
haben im Gegensatz zu Tieren (oder auch Computern), sind nun die
Verhaltensforscher auf etwas gestoßen, was uns wohl aufgrund
anerzogener, oft auch unbewußter Hemmungen überhaupt
nicht in den Sinn gekommen wäre: der Mensch
hat eine besondere Geschlechtlichkeit. Computer haben
überhaupt keine - und auch unterscheidet sich die menschliche
Sexualität von der der Tiere. Zunächst einmal ist die
menschliche Sexualität nicht wie die Sexualität der
Tiere unbedingt mit der Fruchtbarkeit gekoppelt. Jeder kann es
beobachten: Die Tiere haben nur “Lust”, "Trieb",
"Appetit" auf sexuelle Betätigung, wenn sie auch der
Fortpflanzung dient. So hat mancher Kleinbauer seine Ziege vergeblich
zum Bock im Nachbardorf geführt, weil er ihre "Tage" falsch
berechnet hatte: Die Ziege zeigte überhaupt kein "Interesse",
sie verbiß sogar den Bock. Der Verhaltensforscher
Eibl-Eibesfeldt schreibt dazu über die Sonderstellung des
Menschen im Zusammenhang mit der
Sexualität:
"Bei den Menschenahnen wird wohl die Kopulationsbereitschaft, wie bei
den meisten anderen Säugern, auf die Zeit der
Empfängnisbereitschaft beschränkt gewesen nein. Diese
enge physiologische Bindung ist später aufgegeben worden.
Zugleich entwickelte die Menschenfrau die Fähigkeit zum
Orgasmus, was ihre Begattungsbereitschaft erhöht. Es ist
leicht einzusehen, daß dies
die gegenseitige Bindung stärkt. Eine weitere Anpassung im
Dienste der Partnerbindung ist schließlich die gesteigerte
sexuelle Potenz des Mannes. Es liegt bei ihm nicht nur eine dauernde
sexuelle Bereitschaft vor, sie bleibt auch bis ins hohe Alter erhalten
. . . Ohne Zweifel hat die geschlechtliche Vereinigung beim Menschen
sowohl die Aufgabe, den Partner zu binden, als auch der Fortpflanzung
zu dienen. Beide Funktionen sind trennbar. Biologische Anpassungen
sichern geradezu, daß auch außerhalb der
fruchtbaren Perioden eine Vereinigung stattfindet, was die
große Bedeutung
der partnerbindenden Funktion der Sexualität belegt. Das
leuchtet vom selektionistischen
Standpunkt durchaus ein. Sind einmal mehrere Kinder in einer Familie
geboren
worden, dann ist es sicher im Sinne der Arterhaltung, wenn der Mann
weiter bei seiner Frau bleibt und die heranwachsenden Kinder betreut,
auch wenn die Fortpflanzungsfähigkeit der Frau erloschen
sein sollte” (Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Liebe und
Haß, München 19769, S, 179).
Wir können also nach unserem heutigen Erkenntnisstand sagen,
daß für die Menschwerdung die
Bildung einer Familie von Bedeutung war und daß der
Auslöser hierfür die biologische Tatsache der
gesteigerten Sexualität war. In gewissem Sinne hat also die
gesteigerte Sexualität den Menschen
geschaffen!
Der Vollständigkeit halber sei kurz dargelegt,
was nun unter diesem einmaligen
Menschlichen, nämlich dem Orgasmus, zu verstehen ist: Es
handelt sich dabei um den Höhepunkt der sexuellen Lust und die
Endbefriedigung des Sexualaktes. Der Orgasmus ist ein psychisches
Phänomen, das aus der Tiefe der menschlichen Person entsteht,
die ganze Person total erfaßt und sogar
erschüttert. Es wird auch 'kleiner Tod' genannt, da es mit
kurzem Verlust des Bewußtseins
verbunden ist. Die Intensität hängt besonders auch
vom Grad der steuernden, fördernden und hemmenden
seelisch-geistigen Beteiligung ab. Wiederholte sexuelle Erregungen, die
nicht durch Orgasmus zur Befriedigung gebracht werden, rufen organische
und neurotische Störungen hervor. Das bewußte
Miterleben des Orgasmus eines geliebten Menschen ist eine der
kostbarsten Erfahrungen der
menschlichen Seele. Neben dem Saugreflex des Säuglings
gehört der Orgasmus zu den einzigen angeborenen
Reflexhandlungen des Menschen, die nicht erlernt werden
können.
Es ist bemerkenswert und verdächtig, daß eine
typische menschliche Eigenschaft, wenn nicht
gar die typische menschliche Eigenschaft überhaupt, kaum als
solche gewertet wird, ja daß sogar
das Reden von ihr weitgehend tabuisiert ist.
Vom Zusammenhang der menschlichen Sexualität mit der
Partnerbindung, die ja nach
Eibl-Eibesfeldt unbedingter Zweck ist, sehen gewisse Psychologen wie
etwa Wilhelm Reich (1897 -
1957, Marxist, jedoch aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen)
allerdings ab, wenn sie meinen, daß die menschliche
Sexualität auch heutzutage nur unzureichend zu ihrem Recht
komme, und
sie daher eine Verhaltensänderung fordern. Ihre
stiefmütterliche Behandlung sei für die Menschheit
ein großer Schaden: "Daß die Menschen als einzige
Spezies das Naturgesetz der Sexualität nicht
erfüllen, ist die unmittelbare Ursache einer Reihe
vernichtender Seuchen. Die äußere gesellschaftliche
Lebensverneinung hat Massensterben zur Folge, in Gestalt der Kriege
ebensowohl
wie infolge seelischer und körperlicher Störung der
Lebensfunktion (Wilhelm Reich, Die Funktion des Orgasmus, Fischer TB
6752, 1972/1983, S.17). Denn der "lebens- und sexualverneinend erzogene
Mensch erwirbt eine Lustangst, die physiologisch in chronischen
Muskelanspannungen verankert ist.
Die neurotische Lustangst ist die Grundlage der Reproduktion der
lebensverneinenden, Diktatur begründenden Weltanschauungen
durch den Menschen selbst. Sie ist der Kern der Angst vor
selbständiger, freiheitlicher Lebensführung. Dies
wird die wichtigste Kraftquelle jeder Art politischer Reaktion, der
Herrschaft von Einzelpersonen oder Gruppen über die Mehrheit
der arbeitenden Menschen" (s.o. S. 16).
Nach Meinung Reichs muß die menschliche Sexualität
also, da sie wichtigste menschliche
Eigenschaft ist, da sie das Kriterium des Menschen schlechthin ist, in
unserer Gesellschaft einen viel bedeutenderen Stellenwert erhalten, wir
alle müßten sexuell viel "freier" werden.
Wir mögen diesem Vorwurf Reichs nun entgegenhalten,
daß wir heute doch schon recht großzügig
geworden sind, daß wir doch gar nicht mehr so "leibfeindlich"
sind. Ist das aber nicht nur deshalb
so, weil sich bei relativ unvorbereiteten Menschen ganz einfach die
Natur ihr Recht nimmt - und daß wir Pädagogen dann
die Waffen strecken und die Natur laufen lassen, etwa nach dem Motto:
"Hauptsache, es, geschieht nichts, wenn wir gerade als
Aufsichtspersonen betroffen sind!" Bestenfalls beklagen wir als
Entschuldigung noch den berühmten Zeitgeist, gegen den man
halt nichts machen kann. Eine bewußte Erziehung zur
Bewältigung der Sexualität findet jedenfalls nicht
statt. Ob allerdings die Forderung Reichs (und anderer) nach
ungezwungener Betätigung der Sexualität schon von
Kindheit an zu einer Lösung aller Probleme des einzelnen
Menschen und der ganzen Menschheit überhaupt führt,
dürfte fraglich sein. Diese Sexualität
vergißt nämlich den
eigentlichen von dem Wechselspiel Mutation und Selektion in der
Entstehungsgeschichte des Menschen herrührenden Sinn:
nämlich den der Partnerbindung. Die von Reich geforderte
sexuelle Betätigung wird den Beigeschmack nicht los,
daß es sich dabei mehr oder weniger um Selbstbefriedigung
handelt, wenn auch zu zweit oder gar noch zu mehreren.
D. Liebe in der Einheit von
Leib und Seele als Konzept der Bibel
Die Bibel dagegen geht vom ganzen Menschen aus!
Nicht anders als Eibl-Eibesfeldt es beschreibt, sieht auch die Bibel
die Sexualität im
Zusammenhang mit der Partnerbindung. Das Unglück des einzelnen
Menschen und damit auch der Menschheit überhaupt
rührt nun nach der Bibel nicht von nicht ausgelebter
Sexualität her, sondern von einer Sexualität, die am
"Zweck" der Partnerbindung vorbeigeht. Das Alte Testament vertritt
jedenfalls durchgängig dieses Anliegen der Partnerbindung,
wenn es um Sexualität geht.
Und wie ist das mit dem Neuen Testament, also der
Erlösungsbotschaft Jesu? Um was geht es eigentlich in dieser
Erlösung? Um es auch hier ganz deutlich zu sagen: Kein Mensch
weiß heute nach fast 2000 Jahren nach Leben und Tod Jesu
genau, was unter der Erlösung durch Jesus zu verstehen ist,
von was und wofür wir erlöst wurden. In einer so
langen Zeitspanne verändert sich so ziemlich alles, auch
verändern sich die Bedeutungsinhalte von Botschaften, selbst
wenn das Äußere davon, also etwa die Wörter
dieselben bleiben.
In dieser Schwierigkeit bringt uns da der Apostel Paulus in seinem
Brief an die Römer auf eine "heiße Spur": Er setzt
die Erlösung durch Jesus mit der bis dahin für
theologische Spekulationen nicht verwendeten Sünde "Adams" in
Beziehung. Wenn wir hier dem heiligen Paulus einmal unterstellen,
daß er diese von ihm gefundene Beziehung nicht leichtfertig
aufgestellt hat, sondern einen konkreten Zusammenhang sah, brauchen wir
nur noch die Art der Sünde Adams festzustellen, um von daher
dann auf das Anliegen der Erlösung Jesu
rückzuschließen. Und
danach geht es dann bei der Botschaft Jesu um dasselbe Anliegen wie im
Alten Testament, nur daß
hier eine echte Lösung angestrebt wird, auch für die
ganze Menschheit. Doch der Reihe nach!
Zu Ihrer Information
erst einmal die besagte Stelle aus dem Brief des Apostel Paulus an die
Römer (5, 6ff): 6 Denn Christus ist, als wir noch kraftlos
waren, zur bestimmten Zeit für Gottlose gestorben. 7 Denn kaum
wird jemand für einen Gerechten sterben; denn für den
Gütigen möchte vielleicht jemand auch zu sterben
wagen. 8 Gott aber erweist seine Liebe gegen uns darin, daß
Christus, als wir noch Sünder waren, für uns
gestorben ist. 9 Vielmehr nun, da wir jetzt durch sein Blut
gerechtfertigt sind, werden wir durch ihn vom Zorn gerettet werden. 10
Denn wenn wir, als wir Feinde waren, mit Gott versöhnt wurden
durch den Tod seines Sohnes, so werden wir viel mehr, da wir
versöhnt sind, durch sein Leben gerettet werden. 11 Nicht
allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch
unseren Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die
Versöhnung empfangen haben. Durch Adam den Tod, durch Christus
das Leben. 12 Darum, wie durch einen Menschen die Sünde in die
Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod
zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt
haben 13 - denn bis zum Gesetz war Sünde in der Welt;
Sünde aber wird nicht zugerechnet, wenn kein Gesetz ist. 14
Aber der Tod herrschte von Adam bis auf Mose selbst über die,
welche nicht gesündigt hatten in der Gleichheit der
Übertretung Adams, der ein Bild des Zukünftigen ist.
15 Mit der Übertretung ist es aber nicht so wie mit der
Gnadengabe. Denn wenn durch des einen Übertretung die vielen
gestorben sind, so ist viel mehr die Gnade Gottes und die Gabe in der
Gnade des einen Menschen Jesus Christus gegen die vielen
überströmend geworden. 16 Und mit der Gabe ist es
nicht so, wie [es] durch den einen [kam], der sündigte. Denn
das Urteil [führte] von einem zur Verdammnis, die Gnadengabe
aber von vielen Übertretungen zur Gerechtigkeit. 17 Denn wenn
durch die Übertretung des einen der Tod durch den einen
geherrscht hat, so werden viel mehr die, welche die
Überschwenglichkeit der Gnade und der Gabe der Gerechtigkeit
empfangen, im Leben herrschen durch den einen, Jesus Christus. 18 Wie
es nun durch eine Übertretung für alle Menschen zur
Verdammnis [kam], so auch durch eine Gerechtigkeit für alle
Menschen zur Rechtfertigung des Lebens. 19 Denn wie durch des einen
Menschen Ungehorsam die vielen in die Stellung von Sündern
gesetzt worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die
vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt werden.).
Die schon zu Beginn erwähnte
Adam-und-Eva-Erzählung bezieht sich natürlich nicht
auf Erschaffung und irgendeine abstrakte Sünde eines Urpaares
aus Ungehorsam gegen Gott, sondern enthält ein Bekenntnis zur
Partnerschaft in Liebe mit Leib und Seele von Mann und Frau und den in
die Mythologie der Entstehungszeit dieser Geschichte gekleideten
Bericht von der Zerstörung dieser Partnerschaft durch
mißbrauchte Sexualität. Berichte von der
Sexualität, und damit auch vom Leben,
aus der damaligen Zeit sind immer mythologisch, denn gerade die Fragen
nach der Herkunft des Lebens, auch des individuellen Lebens, wurden ja
stets mit Göttern in Verbindung gebracht; die
prosaischen Vorstellungen von Spermien und Chromosomen etwa, wie wir
sie heute haben, waren den
damaligen Menschen fremd. Alles andere, etwa der Bericht von der
Erschaffung des Menschen, ist
Rahmenerzählung, irgendwie muß eine Einleitung da
sein, die gleichzeitig eine Allgemeingültigkeit
ausdrückt (wie auch sonst üblich bei mythologischen
Erzählungen aus dem Kulturbereich der Bibel).
Ganz gewiß hat jedenfalls kein Reporter neben dem "lieben
Gott" mit einem Notizblock gestanden und genau
Tagebuch geführt! Die Erschaffung der Frau aus der Rippe des
Mannes soll nicht eine Minderwertigkeit der Frau bezeichnen, sondern
sie bedeutet, daß der Ursprung der Frau ganz nahe
beim Herzen des Mannes ist, daß sie also ganz nahe zu ihm
gehört. Sie unterscheidet sich darin von
den Tieren, deren Erschaffung nichts mit der Erschaffung des Menschen
unmittelbar zu tun hat - der Mensch ist seit seiner Entstehung
grundsätzlich vom Tier verschieden. Beide Quellen der
Urgeschichte ("P" = Priesterschrift und "J" = Jahwist, so bezeichnet
nach der Thematik bzw. dem
verwendeten Gottesnamen) sehen das Mann-Frau-Verhältnis als
das besondere Kennzeichen des Menschen in verschiedener Weise: "Das
Verhältnis von Mann und Frau hat bei P eine
schöpfungstheologischkultische Funktion, während J an
diesem Verhältnis vor allem das Personale im
organisch-funktionalen, im psychischen und sozialen Bereich
interessiert" ( Ernst-Joachim Waschke,
Untersuchungen zum Menschenbild der Urgeschichte, (Ost-)Berlin, 1984,
S, 162).
Aus dem, was mir an
Literatur über das Menschenbild der Urgeschichte der Bibel in
die Hände geriet, ob Westermann (vgl. Westermann, a.a.0., S.
340), oder Drewermann (vgl. Eugen Drewermann, Psychoanalyse und
Moraltheologie 2, Wege und Umwege der Liebe. Mainz 1984 , S, 18), es
wird immer wieder darauf hingewiesen, daß das zentrale Thema
die Liebe zwischen Mann und Frau ist. Die Liebe ist nicht nur
eine Urbestimmung des Menschen und die wichtigste Kraft des Herzens,
sie ist auch in sich selbst für ihn die Urerinnerung an ein
verlorenes Paradies. Konkret drückt Fritz Leist das
Menschenbild der Bibel am deutlichsten aus: "Wir
müßten sagen, der Mensch hat nicht ein Geschlecht
als eine
Summe sexueller Merkmale, vielmehr der Mensch existiert sein
Geschlecht. Die ungewöhnliche grammatikalische Konstruktion
will das Einmalige ausdrücken: Der Mensch existiert sein
Geschlecht, indem er sein Existieren als Mann und Frau
vollzieht.” (Fritz Leist, Utopie Ehe, Tübingen 1973,
S.
180) "Nach der Bibel bezeichnet Geschlecht die grundlegende
Verfaßtheit menschlichen Existierens.
Der Mensch existiert, als Mann und als Frau, getrennt und verschieden,
in Getrenntheit und Verschiedenheit aufeinander hingeordnet." ( Leist,
s.o., S. 178) Die Frau ist gleichwertig, Mann
und Frau ergänzen sich notwendigerweise. Dabei ist das Alte
Testament auch im Sexualleben nicht prüde: Der Sabbat ist
nicht nur zur Ruhe da, sondern auch zur Freude am Geschlechtlichen
(vgl. Erich Fromm, Märchen, Mythen. Träume, rororo
7448, 1981, S.165 auch in: Haben oder Sein, Stuttgart
1976, S. 58), auch wird der Frau das Erlebnis des Orgasmus zugebilligt.
Ziel des biblischen Menschenbildes ist die Partnerschaft von Mann und
Frau in Liebe mit Leib und Seele, die ja auch für den
einzelnen, da Geschlechtswesen in existentieller Weise, Einheit von
Leib und Seele bedeutet. Dabei ist für "die alten Juden" der
Leib-Seele-Begriff funktional, gemeint sind also etwa
seelische Sehnsüchte auf Treue, Liebe, Geborgenheit und
leibliche Sehnsüchte, wie etwa auf das gemeinsame orgiastische
Erlebnis.
Sehr schön wird diese Liebe, um die es geht, im
"Hohen Lied", im "Lied der Lieder", im "Schönsten Lied" der
Bibel besungen. In einer Folge von Gedichten verbinden sich Mann und
Frau, verlieren sich, suchen und finden sich. Die Verse sind so
wundervoll und im schönsten Sinn romantisch, daß ich
davon ausführlich zitiere:
Mit Küssen seines Mundes bedecke er mich.
Süßer als Wein ist deine Liebe.
Jauchzen laßt uns, deiner uns freuen, deine Liebe
höher rühmen als Wein, dich liebt man zu Recht.
Du, den meine Seele liebt, sag mir: Wo weidest du die Herde? Wo lagerst
du am Mittag?
Wozu soll ich erst umherirren bei den Herden deiner Gefährten?
Wenn du das nicht weißt, du schönste der Frauen,
dann folge den Spuren der Schafe, dann weide deine Zicklein dort, wo
die Hirten lagern.
Mit der Stute an Pharaos Wagen vergleiche ich dich, meine Freundin.
Schön sind deine Wangen zwischen den Kettchen, dein Hals in
der Perlenschnur.
Mein Geliebter ruht wie ein Beutel mit Myrrhe an meiner Brust.
Eine Hennablüte ist mein Geliebter mir aus den Weinbergen von
Engedi.
Schön bist du, meine Freundin, ja du biet schön. Zwei
Tauben sind deine Augen.
Schön bist du, mein Geliebter, verlockend. Frisches
Grün ist unser Lager.
In das Weinhaus hat er mich geführt. Sein Zeichen
über mir heißt Liebe.
Stärkt mich mit Traubenkuchen, erquickt mich mit
Äpfeln, denn ich bin krank vor Liebe.
Seine Linke unter meinem Kopf, seine Rechte umfängt mich.
Horch! Mein Geliebter! Sieh da, er kommt. Er springt über die
Berge, hüpft über die Hügel.
Der Gazelle gleicht mein Geliebter, dem jungen Hirsch.
Ja, draußen steht er an der Wand unseres Hauses; er blickt
durch die Fenster, späht durch die Gitter. Der Geliebte
spricht zu mir: Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, so
komm doch!
Denn vorbei ist der Winter, verrauscht der Regen, auf der Flur
erscheinen die Blumen; die Zeit zum Singen ist da.
Meine Taube im Felsennest, versteckt an der Steilwand, dein Gesicht
laß mich sehen, deine Stimme
hören!
Denn süß ist deine Stimme, lieblich dein Gesicht.
Des Nachts auf meinem Lager suchte ich ihn, den meine Seele liebt. Ich
suchte ihn und fand ihn nicht.
Mich fanden die Wächter bei ihrer Runde durch die Stadt.
Habt ihr ihn gesehen, den meine Seele liebt?
Kaum war ich an ihnen vorüber, fand ich ihn, den meine Seele
liebt. Ich packte ihn, ließ ihn nicht mehr los, bis ich ihn
ins Haus meiner Mutter brachte, in die Kammer derer, die mich geboren
hat.
Bei den Gazellen und Hirschen der Flur beschwöre ich euch,
Jerusalems Töchter: Stört die Liebe nicht auf, weckt
sie nicht, bis es ihr selbst gefällt.
Schön bist du, meine Freundin, ja, du bist schön.
Hinter dem Schleier deine Augen wie Tauben. Dein Haar gleicht einer
Herde von Ziegen, die herabzieht von Gileads Bergen.
Deine Zähne sind wie eine Herde frisch geschorener Schafe, die
aus der Schwemme steigen.
Rote Bänder sind deine Lippen; lieblich ist dein Mund.
Dem Riß eines Granatapfels gleicht deine Schläfe
hinter dem Schleier.
Wie der Turm Davids ist dein Hals, in Schichten von Steinen erbaut.
Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein, wie die Zwillinge einer
Gazelle, die in den Lilien weiden.
Alles an dir ist schön, meine Freundin; kein Makel haftet dir
an.
Verzaubert hast du mich, meine Schwester Braut; ja verzaubert mit einem
Blick deiner Augen, mit einer Perle deiner Halskette.
Wie schön ist deine Liebe, meine Schwester Braut; wieviel
süßer ist deine Liebe als Wein, der Duft
deiner Salben köstlicher als alle Balsamdüfte.
Von deinen Lippen, Braut, tropft Honig; Milch und Honig ist unter
deiner Zunge.
Ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut, eine
verschlossener Garten, ein versiegelter Quell.
Ein Lustgarten sproßt aus dir, Granatbäume mit
köstlichen Früchten, Hennadolden,
Nardenblüten,
Narde, Krokus, Gewürzrohr und Zimt, alle
Weihrauchbäume.
Die Quelle des Gartens bist du, ein Brunnen lebendigen Wassers, Wasser
vom Libanon. Nordwind erwache! Südwind herbei! Durchweht
meinen Garten, laßt strömen die
Balsamdüfte!
Mein Geliebter komme in seinen Garten und esse von seinen
köstlichen Früchten.
Ich komme in meinen Garten, Schwester Braut; ich pflücke meine
Myrrhe, den Balsam; esse meine Wabe samt dem Honig, trinke meinen Wein
und die Milch.
Freunde, eßt und trinkt, berauscht euch an der Liebe! Ich
schlief, doch mein Herz war wach. Horch,
meine Geliebter klopft: Mach auf, meine Schwester und Freundin, meine
Taube, du Makellose!
Das ist Liebe in voller und ursprünglicher Kraft! Für
die Menschen des Alten Testaments ist solche Liebe
gottgefällig, da im Sinne "ihres" Gottes. Und alles das, was
im Sinne ihres Gottes ist, ist direkter Gottesdienst, also auch die
Liebe zwischen Mann und Frau! Spekulationen über das Wesen der
Seele oder den Leib und damit auch über Sterblichkeit und
Unsterblichkeit passen da nicht hinein! Thema der "alten Juden" waren
nicht Seele und Leib als solche, sondern was für Seele und
Leib hier und jetzt "förderlich und schädlich" ist (
vgl. Westermann, a. a. 0. S . 329).
Und dieses alttestamentliche Bild vom Menschen läuft nun genau
auf dasselbe hinaus, was wir auch bei Eibl-Eibesfeldt als Erkenntnis
der modernen Verhaltensforschung finden: Der Mensch ist auf
Partnerschaft angelegt, der Mensch ist entstanden, weil eine besondere
Veranlagung zu einer Mann-Frau-Beziehung vorlag! Und in genau diesem
Punkt sind nach der Bibel und auch nach denselben Erkenntnissen der
modernen Verhaltensforschung Mensch und Tier verschieden!
Doch anders als Wilhelm Reich etwa, der die Ursache der
Entmenschlichung des Menschen im Nichtausleben seiner sexuellen
Veranlagung sieht, und zwar unabhängig von der seelischen
Bindung
an einen konkreten Partner, geht es der Bibel genau um diese
Partnerproblematik. Die Bibel sieht das Unheil der Menschen in der
Verzeichnung der Partnerbeziehungen, die als besonders verwerflicher
Aberglaube angesehen wird und die bei den Nachbarvölkern
Israels in allen Variationen gang und gäbe war. Nur zu oft
wurde sie auch im Volke Israels nachgeahmt, bisweilen auch in sehr
schmieriger Weise. Denn bei den Nachbarvölkern Israels kam es
im Zusammenhang mit der Sexualität nicht auf die Partnerschaft
von Mann und Frau an, die Sexualität war hier zu einem
kultischen Element in unterschiedlichstem Anliegen mit austauschbaren
Gelegenheitspartnern geworden. Also ein totaler Gegensatz zu der Liebe,
die im Hohen Lied besungen wird!
Und die Liebe mit wechselnden Partnern wird mit
Prostitution bezeichnet, und wenn es aus kultischen Gründen
geschieht, eben mit "kultischer Prostitution" oder
"Tempelprostitution". Der Begriff "Prostitution" ist allerdings
mißverständlich, weil wir heute dabei immer nur die
Hingabe gegen Geld verstehen. Bei der Betrachtung von kulturellen
Zusammenhängen wird der Begriff auch verwendet, wenn
verschiedene Geschlechtspartner im Spiel sind.
Ernest Borneman unterscheidet in jener Zeit der
Muttergottheiten, "wo Fruchtbarkeit und Sexualität
gleichgestellt wurden, so daß der Gottesdienst oft zum
Geschlechtsverkehr und der
Geschlechtsverkehr oft zum Gottesdienst wurde", drei Erscheinungsformen
der Tempelprostitution:
1.
Hieros Gamos: Paarung zwischen Priester und Priesterin,
zwischen Priesterin und Gläubigem oder
zwischen Priester und gläubiger Frau. Zweck: Fruchtbarmachung
durch mimetische (nachahmende) Magie. Durch den Ritus der Paarung will
man Fruchtbarkeit der Gläubigen und ihrer Felder und Tiere
erlangen. Verbreitung: Hellas, Magna Gaecia, Vorderasien.
2. Apotropäische (Unheil abwehrende)
Prostitution: einmalige Hingabe der unverheirateten Frau vor
der Eheschließung. Zweck: Sühne der
Fruchtbarkeitsverweigerung. Da die Frau durch den Eintritt in
die Ehe gegen das Gebot der Göttin
verstößt, jede Frau müsse der Fruchtbarkeit
halber allen Männern zur Verfügung stehen,
muß sie sich in einem symbolischen Opferakt dem ersten besten
Mann
hingeben, der sie haben will. Verbreitung: Babylon, Byblos, Hierapolis,
Paphos auf Zypern.
3. Hierodulenpaarung (Hierodulen = heilige
Sklaven, Gottesdiener): Paarung zwischen dem
Gläubigen
und der Dienerin der Gottheit. Zweck: Erkenntnis der Gottheit durch
Aufgabe des Ichs. Wie der katholische Priester durch Entgegennahme der
Beichte und Auferlegung der Buße Absolution erteilt,
also als Mittler zwischen Gott und Mensch handelt, konnten bestimmte
Tempeldienerinnen, die man hieroduloi, "Gottesbräute", nannte,
durch die Darbringung ihres Körpers die Verbindung mit der
Gottheit herstellen. Der Orgasmus der Gläubigen, der
Augenblick der Selbstaufgabe, galt als der Moment der Erkenntnis, in
dem die Göttin sich enthüllte. Die Gottesbraut nahm
nicht an der Ekstase teil: sie war nur Instrument der Göttin.
Ihre Hingabe war nicht Befriedigung eigener Lust, sondern Opfer des
Körpers im Dienste der Gottheit. Verbreitung: Korinth, Kalydon
in Aitolien, Abydos,
Komana, Ephesos, die Inseln Aigina, Kythera, Zypern und Kos, Eryx auf
Sizilien. (Ernest Borneman.
Das Patriarchat. Fischer TB 3416, S. 265)
Spätestens bei der dritten Erscheinungsform der kultischen
Prostitution es geht um "Erkenntnis" - fällt uns etwas auf,
worum es auch im Adam-und-Eva-Bericht geht: auch hier geht es um eine
Erkenntnis. Leider habe ich bisher kein weiteres konkretes
wissenschaftliches Material zur Erscheinungsform der Tempelprostitution
zur "Erkenntnis der Gottheit" gefunden, doch soviel scheint sich aus
den drei Erscheinungsformen zu ergeben: Womit man mit den
Göttern in Kontakt
kommen kann, um sie zur Fruchtbarmachung zu veranlassen, damit kann man
sie auch herbeirufen, um böse Geister ganz allgemein zu
vertreiben, d.h. Krankheiten zu heilen. Und
schließlich kann man
natürlich auch damit zur Erkenntnis einer Gottheit
überhaupt gelangen.
Daß es sich beim
Adam-und-Eva-Bericht, also dem Ausgangspunkt für unsere
Erbsündentheologie, um die mythologische
Schilderung einer Situation aus dem Bereich der kultischen Prostitution
handelt, die von den Verfassern der Bibel als Ursache allen
Unglücks der Menschheit angesehen und daher an zentraler
Stelle behandelt wird, ergibt sich besonders aus folgenden
Überlegungen:
1. Die Rolle eines Baumes der Erkenntnis und auch des
Lebens.
Hinter dem Baum der Erkenntnis
steckt gewiß kein Apfelbaum, ein solcher Baum war dem
Kulturkreis, in dem die Bibel entstand, wohl
auch fremd. Der in diesem Kulturkreis allgegenwärtige Baum ist
die Dattelpalme. Und diese Dattelpalmen haben nun eine unter Pflanzen
nicht allzuoft anzutreffende Besonderheit: sie sind
zweihäusig, d.h. es gibt weibliche und männliche
Pflanzen. Da nur die weiblichen Pflanzen Früchte
tragen, wurde gewiß einmal in früherer Zeit das
knappe Fruchtland für die weiblichen Bäume
vorbehalten. Wir können uns gut vorstellen, daß
daher irgendwann einmal auch die Früchte bei den
weiblichen Bäumen ausblieben, weil, wie wir heute wissen, die
Bestäubung durch männliche Pollen gänzlich
unterblieb. Da in der damaligen Zeit nun alles Leben als von den
Göttern gegeben geglaubt wurde, schloß man,
daß die männlichen Bäume den Ursprung des
Lebens in sich haben, also göttlich
sind. Die Bestäubung der weiblichen Bäume wurde eine
Aufgabe der Priester; die
Bestäubungswerkzeuge, männlicher Blütenstand
und Polleneimerchen, wurden Zeichen der Priesterwürde und
später wohl in diesen theokratisch verfaßten
Staaten, der Herrscherwürde schlechthin. In allen
großen archäologischen Museen mit vorderasiatischen
Abteilungen (Berlin, London, Paris, Istanbul, Kopenhagen, Stockholm)
können wir zahlreiche entsprechende Kolossalreliefs bewundern,
siehe etwa das Relief im Pergamonmuseum in Berlin.
Und wie sorgten sich nun die Priester in ihrem Gottesdienst um ein
Gelingen der Fruchtbarmachung der Bäume?
Sie ahmten das nach, was als Wirken der Gottheit angesehen wurde also
durch sogenannte "kultische
Prostitution".
2. Adam und Eva sind ein Paar der kultischen
Prostitution.
Es ist nicht an ein konkretes,
zusammengehöriges Paar gedacht, denn "Eva war eine der im
Mittleren Orient gebräuchlichen Namen der höchsten
weiblichen Macht. Für die Hethiter war dies Hawwah ("Leben"),
für die Perser war dies
Hvov ("die Erde"). Die Aramäer nannten sie Hawah ("Mutter
allen Lebens"). In Anatolien war sie
Hebst oder Hepat, mit einer griechischen Ableitung Hebe,
'jungfräuliche Mutter Erde', mit
derselben Beziehung zur Großen Muttergottheit Hera wie Kare -
Persepone zu Demeter... Die Namen
Eva, Schlange und Leben haben im Arabischen dieselbe Wurzel." (The
Woman´s Encyclopedia, New York,
S. 289 - Stichwort "Eve") "Mit höchster Wahrscheinlichkeit war
bei der Übernahme dieser Sage (Anm.: der
Adam-und-Eva-Erzählung) in den israelitischen Sagenkreis schon
beides, der Name wie auch der Titel "Mutter alles Lebendigen"
vorhanden, und zwar als eine - später natürlich
umgedeutete und verklungene - Erinnerung an den in Palästina
früher einheimischen Kultus der 'großen
Mutter´". Die theologische Absicht der Verfasser der
biblischen Adam-und-Eva-Erzählung ist
also, daß diese im Volke damals weitbekannte Gestalt der
Urmutter unter die Herrschaft Jahwes
gestellt wird und sie so zur Menschengestalt degradiert, damit
entmachtet und entmythologisiert wird (vgl. Jan Heller. Der Name Eva,
in: Archiv orientalni, Prag 1958, S, 655).
Gleichzeitig wird damit der Kult zu Ehren dieser Gottheit entlarvt und
verurteilt: Heller (Heller, S. 653) weist wie auch Borneman (Borneman,
S. 277) auf orgiastische Frauenfeste hin, die schließlich auf
die "Erzeugung schöner Kinder" hinausliefen. Schon in
vorgeschichtlicher Zeit war am Tag der Großen Mutter etwa das
Inzesttabu rituell aufgehoben, vor allem zwischen Mutter und Sohn, zum
Gedächtnis der Paarung der göttlichen
Großen Mutter mit ihrem göttlichen Sohn
(Borneman, S. 81 f).
3. Adam und Eva sind keine "Eheleute".
Klingt uns aber nicht die biblische Stelle in den Ohren, daß
Eva von der Frucht aß und
dann “ihrem Mann" davon gab? Weist das nicht doch auf ein
konkretes, zusammengehöriges Paar hin?
Die Widersprüchlichkeit dieser Stelle beruht auf einem
Übersetzungsproblem. In der hebräischen Sprache, in
der der Urtext der Bibel ja geschrieben ist, ist der Unterschied von
einem besitzanzeigenden und einem umstandsbezeichnendem Hinweis
für uns oft kaum auszumachen, beide
Hinweise werden mit einer Vorsilbe angegeben. Westermann, der nach
neuesten Erkenntnissen (Westermann, S. 340) übersetzt, ohne
allerdings weiter darauf einzugehen, schreibt daher: "Sie gab auch dem
Mann bei ihr”, wobei im Grunde jeder beliebige Mann gemeint
sein kann, der gerade "in der Nähe" ist.
4. Die Schlange als phallisches Symbol.
Eine in Mari/Mesopotamien ausgegrabene Tonscherbe gibt
weitere Auskunft über den
Hintergrund der biblischen Mythologie: "Eine Frau kniet in einem Garten
vor einem Baum. Offenbar pflanzt sie neben dem großen, einer
Dattelpalme, einen jungen. Der Baum repräsentiert im Kult
jener Zeit die große Mutter, und die Frau bittet, wie in
allen solchen Kulten, um Fruchtbarkeit. So schmiegt sich eine Schlange
in ihren Schoß. Die Schlange ist ein phallisches Symbol
(Anm.:
Phallus, Penis: Symbol der Zeugungskraft). Die ganze Paradiesgeschichte
wird lebendig. Sie ist eine Geschichte gegen die Fruchtbarkeitskulte"
(Jörg Zink. Bildwerk zur Bibel, Bd. 1, Bild 18/19).
Daß die Interpretation der Schlange auf der Tonscherbe
korrekt ist, erkennen wir aus einem
Heilungstraum, der aus dem griechischen Epidaurus überliefert
ist: Nikesibule von Messene z.B.
"schlief wegen Kindersegen im Heilraum und sah einen Traum: es
träumte ihr, der Gott sei mit einer Schlange, die ihm folge,
zu ihr gekommen; mit dieser habe sie verkehrt. Und darauf bekam sie
übers Jahr zwei Buben (Eugen Drewermann, Tiefenpsychologie und
Exegese, Bd. II. Olten-Freiburg,1985. S. 183, zitiert aus R. Herzog.
Die Wunderheilungen von Epidaurus, Nr. 42).
Eine parallele Beziehung wie von der Sünde Adams zur
Erlösungstat Jesu finden wir im Johannesevangelium ausgehend
vom Sexualsymbol der Schlange. Die Erhöhung Jesu am Kreuz wird
in Beziehung zur Erhöhung der Schlange durch Mose in der
Wüste gesetzt, bei der es um Abwehr eines
Sexualkultes ging: "Und wie Mose die Schlange in der Wüste
erhöht hat, so muß der Menschensohn
erhöht werden" (Joh. 3, 14). Was Mose damit für die
Juden durch die Befreiung von den unwürdigen
Sexualkulten (wohl nur vorübergehend erfolgreich!) tat, tut
Jesus erfolgversprechend für die ganze
Menschheit.
Bild: Tonscherbe aus Mari, Mesopotamien: Kniende Frau mit Schlange und
Dattelpalme (Museum
Damaskus)
5. Die Schlange als Symbol für eine
Fruchtbarkeitsgottheit
Am Sonnentempel im indischen Konarak finden wir ein "Modellpaar" der
Tempelprostitution mit Schlangengottheit und unter Fruchtbarkeitsbaum.
Daß es sich nicht um ein "festes Partnerschafts-Paar"
handelt, das den Sex zur Freunde des Schöpfers seiner
gelungenen Partnerschaft praktiziert, sondern eher um ein beliebig
zusammengewürfeltes Paar, geht aus den sonstigen Skulpturen an
diesem und ähnlichen indischen Tempeln hervor, es gibt
nämlich sogar Figurengruppen! Zwar wurde
dieser Tempel erst lange nach der Entstehung der
Adam-und-Eva-Erzählung gebaut, doch steht er kultur- und
religionsgeschichtlich im engen Zusammenhang mit ihr. Ein Beweis
hierfür mag sein, daß im Nationalmuseum in Bombay
genau ein solches Dattelpalmenbestäubungsrelief
steht wie in unseren europäischen Museen - zumindest aus
indischer Sicht sind die kulturellen und religiösen Wurzeln
wohl dieselben!
(Anmerkung: Zu diesen Punkt bin ich erst auf einer meiner
späteren Reisen
gekommen, er ist also in dem ursprünglichen Buch "Glaube ohne
Aberglauben" nicht enthalten.)
Dattelpalmenbestäubungsrelief
im vorderasiatischen Museum in Berlin
6. Es handelt sich um Geschlechtsverkehr zur "Erkenntnis" im Rahmen der
"kultischen Prostitution”.
Für diesen Zusammenhang gibt es im fast tausend
Jahre älteren Gilgameschepos eine
Parallelstelle zur biblischen Erzählung. Auch hier wird durch
Gebotsübertretung im sexuellen Bereich ein paradiesischer
Zustand verloren und ein Schritt ins Gegenwärtige vollzogen.
Nachdem das Epos geschildert hat, wie eine Dirne den Urmenschen Enkidu
geschlechtlich verführt hat,
berichtet es über die Folgen dieses Sündenfalls:
Dann wandte er den Blick nach
seinem Tier.
Doch nun, als die Gazellen Enkidu erblickten, flohen sie vor ihm davon.
Das Wild der Steppe wich vor ihm zurück, und Enkidu erschrak,
sein Leib ward starr, die Knie
wankten, und es war nicht wie zuvor, doch nun hatte Wissen; er begriff.
Umkehrend sank er zu der Dirne Füßen, erhob zu ihrem
Antlitz seine Augen und hörte auf die Worte, die sie sprach.
Es hob die Dirne an zu Enkidu: Klug bist du nun, Enkidu, wie ein Gott!
(zitiert nach Oswald Loretz,
Schöpfung und Mythos, Mensch und Welt nach den Anfangskapiteln
der
Genesis, Stuttgarter Bibelstudien 32, 1968, S. 114)
Nicht nur der ungezwungene Umgang mit den Tieren stimmt mit der
Paradieserzählung überein, sondern in unserem
Zusammenhang stimmt vor allem das Versprechen der Schlange in
Genesis 3, 5: "Sobald ihr
davon eßt, gehen euch die Augen auf; ihr werdet sein wie
Götter und erkennt Gut und Böse" mit der
letzten zitierten Zeile aus dem Gilgameschepos überein "klug
bist du nun, Enkidu, wie ein Gott!"
Im Unterschied zum Gilgameschepos weist die Bibel, die ja "Gut und
Böse" funktional sieht, also im
Sinn von "was gut und böse für den Menschen ist",
dazu noch mit feiner Ironie auf das Objekt der Erkenntnis hin, eben
"Gut und Böse" etwa in dem Sinn: Jetzt wo du die "Sache"
hinter dir hast, weißt du, was eigentlich gut gewesen
wäre und was du nun für einen Mist gebaut hast... Und
da wir aus dem Gilgameschepos wissen, um was für eine Tat es
sich handelt, können wir uns auch erklären,
was mit dem Essen der "verbotenen Frucht" gemeint ist.
7. Doppelbedeutung des Wortes "essen".
Zum in der Sündenfallgeschichte angesprochenen
"Essen" (der verbotenen Frucht) bringt Igor Kon
einen Hinweis: "Interessant ist die Frage nach der Beziehung von
Sexualität
und Nahrung. Das mythologische Bewußtsein bringt diese
Sachverhalte in einen so engen
Zusammenhang, daß in vielen Sprachen, z.B. afrikanischen, die
Bedeutungen 'kosten/essen/schmecken
und koitieren/sich begatten durch ein und dasselbe Wort
ausgedrückt
werden. Die sexuellen Verbote sind eng mit den Speiseverboten
verflochten" (Igor Kon, Einführung
in die Sexuologie. Berlin (Ost) 1985, S. 149). Ganz fremd ist auch uns
im Deutschen nicht die
Verwendung von Begriffen aus der Nahrungsaufnahme für sexuelle
Vorgänge, so ist gewiß das Wort
"genießen" mehrdeutig, "zweideutig" sind auch die Worte
"naschen" ("vernaschen”!) und "enthaltsam
sein". Das muß man auch bei uns näher
erklären, was nun gemeint ist, wenn davon die Rede ist... Umso
weniger überrascht uns, daß auch im
Hebräischen das in der Bibel verwendete Wort für
"essen" ("`kl") bisweilen die Bedeutung "den Beischlaf
ausüben" hat; die jeweilige gültige Bedeutung
geht natürlich auch hier aus dem Zusammenhang hervor (Jacob
Levy, Wörterbuch über die Talmudim und
Midraschim, Berlin/Wien 1924 - Darmstadt 1963, S. 73).
8. Doppelbedeutung des Wortes "Frucht".
Der katholische Alttestamentler Oswald Loretz (s. Anm.
23) weist auf eine weitere Doppelbedeutung hin:
"Wie unmittelbar vielfach mit dem Fruchtessen der Geschlechtsverkehr
gemeint wird, zeigen besonders deutlich die Überlieferungen
der Pangwe (Anm.:
zentralafrikanisches Bantuvolk): die Frucht, deren Genuß Gott
verbietet, trägt bei diesen die
gleiche Bezeichnung wie die Vulva (Anm.: äußeres
weibliches Geschlechtsorgan) (zitiert nach Herrmann:
Symbolik, 139 f und Baumann: Schöpfung 291 f.) "Da wir auch im
Deutschen - in der Vulgärsprache allerdings - die Verwendung
der Bezeichnung einer Frucht (hier einer bestimmten) für die
Vulva kennen ("Zwetschge", "Pflaume"), liegt nahe, solches auch
für die Umwelt zur Zeit der Entstehung der Urgeschichte der
Bibel möglich zu halten. Zu bedenken ist, daß solche
Begriffe aus der
Vulgärsprache im allgemeinen nicht schriftlich festgehalten
werden und daher kaum überliefert sind.
Als ich darüber mich einmal mit einem
spanisch-amerikanischen Ehepaar unterhielt, lachten sie und meinten,
daß es sowohl im Spanischen als auch im (amerikanischen)
Englisch genauso ist...
9. Auch der biblische Text allein
läßt auf sexuellen Verkehr schließen.
Die Folge des Sündenfalls ist, daß
sich das sündige Pärchen nackt fühlt (3, 7).
Eine rein geistige
Deutung dieses Nacktseins im Sinne einer
"Beschämung" unabhängig von jedem
Zusammenhang der
Entstehung des Lebens wird m. E. schon vom biblischen Text her
hinfällig, da auch auf das "schmerzhafte
Kindergebären" und auf "das Verlangen der Frau nach dem Mann"
(3, 16) hingewiesen wird.
Es läßt sich in der Zusammenschau der
angeführten Punkte einfach nicht mehr wegdiskutieren: Die
Sündenfallgeschichte bezieht sich auf Geschlechtsverkehr,
allerdings nicht von vornherein jeden, sondern den des
Mißbrauchs im
Rahmen der kultischen Prostitution. So viele Indizien, die auf einen
gemeinsamen Nenner hinweisen, lassen sich einfach nicht anders
interpretieren! Man kann natürlich jede Lösung eines
Kreuzworträtsels - um einen anderen Vergleich als den mit
Derrick zu verwenden - anzweifeln, aber irgendwann ergeben sich halt
bei einer Deutung mehr und plausiblere "Waagerechte" und "Senkrechte"
als bei der anderen. Die Argumente, daß es sich bei der
"verbotenen Frucht" um eine
Angelegenheit auf rein geistiger Ebene handelt, scheinen mir dagegen
schwach, denn dabei wird "Erkenntnis" nur einseitig als geistiger
Vorgang gesehen - bei den "alttestamentlichen Juden" ist aber nun
einmal etwas Geistiges auch körperlich und etwas
Körperliches auch geistig. Nicht zuletzt steht ja hinter der
Erfahrung mit unserem Körper eine "Erkenntnis".
Außerdem: Die Nennung einer konkreten Tat beim Namen und die
Verurteilung dieser konkreten Tat ist allemal wirksamer als eine
allgemeine philosophisch-theologische Betrachtung. Der Konfrontation
mit konkreten Taten muß sich jeder stellen, der nachdenkt,
bei allgemeinen
philosophisch-theologischen Betrachtungen kann man sich selbst leicht
ausklammern. Die Militärs wußten
schon immer, warum sie ihre Befehle in Anweisungen für
konkrete Handlungen oder für konkrete Unterlassungen
formulierten, denn gerade in heiklen Situationen neigen wir Menschen
doch dazu, allgemeine Anweisungen so zu interpretieren, daß
wir ungeschoren davonkommen...
Natürlich geht es auch bei der Bibel um den
ganzen Menschen und nicht nur allein um den Menschen in seiner
geschlechtlichen Sicht, doch sieht die Bibel hier eine
"Schlüsselproblematik" für die Einheit von Leib und
Seele: Ist dieses Problem im Sinn der Bibel gelöst,
lösen sich andere Probleme des Menschen und der Menschheit
überhaupt von selbst. Ähnlich kennen ja auch die
Militärs "Schlüsselpositionen"; sind erst einmal
diese, etwa gewisse Geländeziele, erreicht, die vielleicht
für Nichtmilitärs sogar bedeutungslos erscheinen, ist
vielleicht schon der ganze weitere Kampfverlauf entschieden.
In diesem Sinn sieht wohl auch der Apostel Paulus in seinem ersten
Brief an die Korinther (12,26) einen Zusammenhang zwischen einem
einzelnen leidenden Glied und dem dadurch leidenden gesamten Leib: "Und
wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, oder wenn ein Glied
verherrlicht wird, so freuen sich alle Glieder mit". Oder mit einem
modernen Vergleich: Wenn bei einem Auto auch nur ein Reifenventil
fehlt, eine wirklich geringe Sache, die sogar jeder reparieren kann,
ist das ganze Auto fahruntüchtig... Und es ist
verständlich, daß für einen Autofahrer, der
ein solches Problem an seinem Auto hat, dies das vordringlichste
Problem ist!
Für das Alte Testament dürfte so die
kultische Prostitution gleichzeitig konkreter Ansatz wie auch
Schlüsselposition für den ganzen Menschen sein.
Und warum wird diese kultische Prostitution von der Bibel verurteilt,
warum ist sie dem in der Urgeschichte enthaltenen Bild von der
Partnerschaft von Mann und Frau abträglich?
Dazu müssen wir uns in Erinnerung rufen, daß die
Israeliten von ihrem Ursprung her ein
Nomadenvolk sind. Da in den vorderasiatischen wenig fruchtbaren
Wüstengebieten kaum größere
Nomadengemeinschaften ständig zusammenleben können,
war wohl schon seit alters her die übliche Nomadengruppe die
der Familie mit der gegenseitigen Hilfe und Ergänzung von Mann
und Frau. Ich habe bei meinen Fahrten durch die syrische Wüste
solche "Gruppen" selbst erlebt. Mann und Frau sind hier unbedingt
aufeinander angewiesen, die Familie kann in den unwirtlichen
Wüsten nur überleben, wenn Mann und Frau eine echte
Gemeinschaft sind. Stellen wir uns etwa vor, wenn der Mann zum weit
entfernten Markt geht und Frau, Kinder und Herde
zurückbleiben; dann muß die Frau
ihren Mann stehen, notfalls muß sie sogar mit Wölfen
und Hyänen allein fertig werden. Wechselnde
Partnerschaften sind da von Nachteil, sie bringen keinen
Verlaß. Und daß die Partner aus
kultischen Gründen "wechseln”, macht die Sache auch
nicht besser. Einen solchen Umgang von Mann und Frau konnte man sich
nur dort "leisten", wo die unbedingte Partnerschaft von Mann und Frau
zum Überleben nicht wirklich existentiell notwendig war, also
in den wirtschaftlich günstiger gestellten Gebieten. Dazu
gehören Gegenden mit intensiver Landwirtschaft mit den
Möglichkeiten der systematischen Bewässerung, also
etwa das Zweistromland (Mesopotamien). Die ursprünglich
nomadischen Israeliten gerieten zwangsläufig in Gegensatz
dazu, vor allem die Religion der seßhaften
Bevölkerung mit der damit verbundenen Lebensweise war
für die Israeliten einfach
existenzgefährdend. Daher schlägt sich die Bibel auf
die Seite der Nomaden, sie sieht das Leben
der Nomaden als allein Gott wohlgefällig an. Besonders
deutlich wird dies im Kain-und-Abel-Bericht: Der
kleinviehzüchtende nomadische Abel und nicht der
ackerbebauende Kain
wird von Gott bevorzugt (Kein und Abel sind natürlich auch
hier keine geschichtlichen Personen, sondern stehen für
"Ackerbau" und "Nomadenleben"). "Leider" gewinnt auch hier wie in der
Adam-und-Eva-Erzählung die Gegenreligion Israels.
Denn geschichtlicher Hintergrund ist es nun einmal, daß
irgendwann auch die Israeliten
seßhaft wurden, die Tugenden ihrer Nomadenherkunft
vergaßen und in dasselbe Fahrwasser wie
die zunächst bekämpften Völker
gerieten. So war 150 v. Chr. der Tempel in Jerusalem zum Asyl der
Freudenmädchen geworden. Die Auseinandersetzung zwischen der
Lebensweise der ursprünglich nomadischen Israeliten und der
Lebensweise der ursprünglich allein seßhaften
Nachbarvölker ist Gegenstand der Bibel in weiten Bereichen.
Und nicht ohne Grund geht die Bibel dabei vor allem gegen das
heidnische Verständnis der Sexualität an, da sie ja
vor allem dem biblischen Konzept vom Menschen zuwiderläuft.
Das Wirken der Propheten ist nur zu berechtigt, weil dieses Ziel nur zu
oft pervertiert ist und unter einem Wust von kultischen Veranstaltungen
und Vorschriften und auch von Heuchelei kaum noch auszumachen ist.
E. Liebe in der Einheit von
Leib und Seele als Notwendigkeit auch für den heutigen Menschen
Der evangelische Exeget Claus Westermann vermißt in seinen
Untersuchungen ein
menschheitliches Phänomen des Bösen bei den
Gegenreligionen Israels: "Daß das Böse...seinen
Urgrund in der Gegenreligion Israels...hat, ...kann in Genesis 3 aber
auf keinen Fall gemeint sein, ebenso wie die Sünde des
Menschen, die Übertretung. Adam steht in Genesis 2-3 in gar
keiner Weise für Israel, Adam repräsentiert die
Menschheit... Das Böse bleibt (dabei) in seiner Herkunft
absolut rätselhaft" (Westermann, S. 325). Westermann kann ganz
offensichtlich nicht verstehen, wieso die
Ausübung einer Religion "böse" sein kann.
Ich frage mich da allerdings: Übersieht Westermann,
daß mit der Religion der Nachbarvölker
Israels eine bestimmte, sehr konkrete Lebenspraxis verbunden ist, die
auch dem von Westermann dargelegten Bild vom Menschen in der Bibel
zuwiderläuft? Übersieht Westermann, daß
diese Lebenspraxis von
einer bestimmten Religion eines bestimmten Volkes unabhängig
ist, daß diese Lebenspraxis
überzeitlich ist? Bornemann schreibt doch, daß in
einer Zeit, in der Fruchtbarkeit und Sexualität
gleichgestellt waren, "der Gottesdienst oft zum Geschlechtsverkehr und
der Geschlechtsverkehr oft zum Gottesdienst wurde..." ( Borneman, S,
264). Geht es am Ende den Verfassern der Bibel gar nicht einmal um
einen "Gottesdienst" in unserem heutigen Verständnis, also um
einen Gebetsgottesdienst oder um einen Gottesdienst mit einem
symbolischen Opfer, sondern mit der Ablehnung dieser
"Geschlechtsverkehrgottesverehrung" um eine Front gegen den damit
gegebenen Zusammenbruch der personalsten zwischenmenschlichen
Beziehungen? Rätselhaft ist für mich also nicht das
Böse in dem biblischen Text, rätselhaft für
mich ist dagegen, warum ein Exeget so blind ist...
Wir stehen heute gewiß über den
Götzen der Antike,
über dem Glauben an Ischtar, an Inanna, an Mylitta, an
Astarte, an Aphrodite, an Artemis, an
Hepat, dieser ganzen Göttergesellschaft, zu deren Verehrung es
die geschilderten Bräuche gab. Siehe hierzu die oft zitierte
Bibelstelle: Baruch 6,42 ff): "Die Frauen <der Kaldäer
in
Babylonien> aber sitzen, mit Schnüren umwunden, an den
Wegen und räuchern Kleie. Sobald nun eine aus ihnen von einem
Vorübergehenden mitgenommen wurde und sich ihm hingegeben hat,
verspottet sie ihre Nachbarin, daß diese nicht gleich ihr
für würdig befunden und ihre Schnur noch nicht
zerrissen wurde. Trug ist alles, was bei ihnen geschieht! Wie kann man
da glauben oder behaupten, daß sie Götter seien?"
Aber ob wir heute auch über der dazugehörenden
Lebenspraxis stehen?
Immerhin konnten sich die Menschen der Antike noch auf
gottesdienstliche Notwendigkeiten berufen, aber wir heute? Die so
genannte "Vulgärprostitution" also die öffentliche
Selbstdarbietung zum Geschlechtsverkehr gegen Entgelt, geht auch heute
nach allgemeiner Meinung nur relativ wenige an.
Immerhin soll es allerdings in Deutschland 400 000 Prostituierte (davon
etwa die Hälfte registriert) geben. Rechnet man die
"Kundschaft" und die betroffenen Familien dazu, wird die Zahl schon
gewichtiger, was schon schlimm genug ist (Welt am Sonntag vom 15. 12.
1985). Bedeutet das, daß sonst alles "in Ordnung" ist? Wenn
wir bedenken, daß vom prinzipienstrengen
Menschenbild der
biblischen Urgeschichte alles an Sexualverkehr verurteilt wird, was
nicht im Sinn einer immerwährenden Partnerschaft aus Liebe in
der Einheit von Leib und Seele ist, müssen wir auch heute den
Begriff der “Prostitution” leider erweitern. Leider
ist es doch gerade heute so, daß
vieles dem Sinn der biblischen Partnerschaftsidee geradezu ins Gesicht
schlägt! Ist es etwa im Sinn des biblischen Menschenbildes,
wenn Menschen miteinander Geschlechtsverkehr treiben, ohne
überhaupt an die Ehe zu denken? Ob das nun in Form einer
Vergewaltigung geschieht oder freiwillig, ist für die
Beurteilung von biblischer Sicht her ohne Bedeutung. Was ist, wenn
junge Menschen "zur Probe" miteinander "verkehren", oder wenn ein
Partner glaubt, durch Bereitschaft zum Geschlechtsverkehr den anderen
zur Heirat bewegen zu können? Was ist, wenn sich die jungen
Leute vor der Ehe angeblich die "Hörner abstoßen"
müssen? Was ist mit dem Geschlechtsverkehr, der vollzogen
wird, um heute "in" zu sein, um "mitreden" zu können, um nicht
als rückständig und verklemmt zu gelten? Was ist mit
den berühmten "Erfahrungen", die angeblich jeder machen
muß, um
zu wissen, daß das spätere Sexualleben auch klappt...
Diese ganzen "guten Gründe" hatten schon vor Jahren zur Folge,
daß über 50 % aller Frauen
intime Beziehungen zu mehr als einem Partner hatten, bei den
Männern waren es um 90 % (Spiegel-Umfrage).
Soviel zur Anzahl der Intimpartner, doch es gibt auch die
"Ein-Partner-Prostitution". Und
die liegt vor, wenn ein Mann nur heiratet, damit er umsorgt werden
kann, wenn ein Mädchen
heiratet, um in den Genuß von Annehmlichkeiten zu kommen, die
ihr Rang und Besitztum des Mannes
bieten? Der Psychologe Arno Plack schreibt dazu zur Motivation der
Partnerwahl wohl aus seiner Erfahrung als Psychologe: “Frauen
fühlen sich abgewertet, wenn Männer sie als
bloßes 'Sexobjekt' ansehen. Doch kein ehrlich begehrender
Mann kann eine Frau so verachten, so versachlichen, wie umgekehrt eine
Frau den Mann verachtet, den sie nach seiner Position, seinem Einkommen
taxiert. Unsere Geschlechtseigenschaften sind immerhin
körperlich mit uns verwachsen, unsere Brieftaschen nicht"
(Arno Plack, Ohne Lüge leben, 1978/2, S. 210).
Oder wie ist das zu beurteilen, wenn frühere Herrscher aus
Gründen der Staatsraison eine ganz bestimmte "Wahl" treffen
maßten? Heinrich VIII. von England "mußte" etwa mit
12 Jahren die 18-jährige Witwe seines Bruders heiraten, ist
sein Wechsel später zu anderen Frauen nicht nur die
Fortsetzung der "Prostitution", die ihm in früher Jugend
aufgezwungen wurde? Im Sinn unseres christlichen Glaubens ist
jedenfalls das alles nicht. Ehen, die aus solchen Motiven geschlossen
werden, sind keineswegs "von Gott verbunden" und wir sollten uns
über ihr späteres Scheitern nicht wundern.
Meine Schüler protestieren stets, wenn ich ihnen die
Zustände ihrer Meinung nach zu schwarz male. Doch sollten sie
auch bedenken, daß es Umfragen gibt über die mit
fortschreitendem
Lebensalter abnehmende Einstellung junger Mädchen, als
Jungfrau in die Ehe zu gehen. Mädchen vor der
Pubertät haben etwa zu 100 % diese Einstellung (Anmerkung im
Jahr 2005: Das ist allerdings schon einige Zeit her!), während
der Pubertät und später wird der Prozentsatz immer
geringer bis er dann bei 20jährigen auf wenige Prozent
zusammengeschmolzen ist.
Das wäre vielleicht gar nicht einmal so schlimm, wenn das
jeweilige körperliche Zusammenleben eine "vorgezogene
Handlung" einer heilen Partnerschaft und einer später
fixierten Ehe wäre, doch ist
die später fixierte Ehe ja in der Wirklichkeit keinesfalls
selbstverständlich. Nur zu oft machen wir uns doch da etwas
vor. Daß wir uns nicht vor Gott zur Partnerschaft bekennen,
mag schon seinen
Grund haben - daß wir uns eben doch nicht so sicher sind!
Wenn Schüler mich schon einmal fragen, ob ich also junge Leute
verurteile, die sich "falsch" im Sinne des Christentums verhalten,
frage ich zurück, wen denn Jesus eigentlich zu seiner Zeit
verurteilt hat. Sah er die eigentlichen Schuldigen nicht eher bei den
Schriftgelehrten und Pharisäern, also bei uns Theologen und
Pädagogen, die ja üblicherweise irgendwann jede Lehre
zu ihren Gunsten umzuinterpretieren pflegen? So hat Jesus die
Ehebrecherin für ihr Verhalten zwar nicht gelobt, aber
wütend ist er geworden über die Männer, die
sie verurteilt hatten, obwohl sie selbst auch nicht ohne "die
Sünde" waren.
Ob wir uns so bei der Deutung des Tatbestandes der
"Erbsünde" heute auf die Theorie von der Konkupiszenz
("böse Begierlichkeit") des heiligen Augustinus (Augustinus,
Civitas Dei, 21,12)
oder auf Immanuel Kants Theorie von der Entwicklung des nach seinem
Instinkt handelnden Tieres zum denkenden Menschen (Immanuel Kant: Werke
in 6 Bänden, VI, Darmstadt 1964. S. 92 f) berufen, ist
belanglos. Denn weder die Interpretationen des hl. Augustinus noch die
von Immanuel Kant stützen sich auch nur im geringsten auf den
Hintergrund der Umwelt der Antike - daher verwirren wohl beide Theorien
mehr als daß sie helfen. Die Tradition
läßt uns hier völlig im Stich, anhand von
konkreten
Indizien (kritische Bibelauslegung, Archäologie)
müssen wir tatsächlich wie scharfsinnige Detektive
völlig von vorne anfangen! Immerhin hat der für die
Glaubenslehre der katholischen Kirche zuständige
Kurienkardinal Ratzinger zugestanden, daß die "Notwendigkeit
einer
Wiederentdeckung" der "eigentlichen Wirklichkeit" der Erbsünde
noch aussteht und er sich, wenn ihm die entsprechende Zeit
vergönnt sei, dieser Wiederentdeckung widmen möchte (
Joseph Kardinal Ratzinger, Zur Lage des Glaubens,
München-Zürich-Wien 1985. S. 79).
Ein ähnliches Problem wie das mit der
Entschlüsselung der Erbsündenproblematik kennen wir
auch in einem anderen Fall: Die Kenntnisse aus der Spätantike
über die ägyptischen Hieroglyphen verwirrten vor der
Auffindung des Steins von Rosette mehr als daß sie halfen.
Solange man sich im
Abendland auf ein Traktat eines Gräcoägypters namens
Horapollon verlassen hatte, scheiterten Versuche zur Entzifferung. Erst
als man ohne
Rücksicht auf überliefertes Wissen - dann allerdings
mit neuem Material - völlig von vorne anfing, gelang der
Durchbruch.
Bei meiner Aufzählung dessen, was im Sinn der Bibel alles
unter Prostitution fällt, und wer daran "schuld" ist, geht es
mir nicht darum, jemanden zu verurteilen, sondern ich möchte
nur deutlich machen, daß wir nur zu oft gar keine Christen
sind, selbst wenn wir es uns vormachen.
Selbst wenn ich mir mit dieser Behauptung die letzten Sympathien
verscherze: Das einzige Sakrament, bei dem man nicht heucheln kann, vor
allem nicht vor sich selbst, bei dem jeder an sich
überprüfen kann, was er nun wirklich selbst vom
ganzen Christentum hält, ist nun einmal das Ehesakrament.
Dieses Sakrament hat nichts mit einem Schein fürs Ordnungsamt
oder fürs Finanzamt zu
tun (auch das klingt ein wenig nach Prostitution, nur zu oft hat man ja
dabei einen finanziellen Vorteil), sondern es stellt den alleinigen Ort
für die Liebe in seelischer und leiblicher Gemeinschaft unter
den Schutz einer höchsten Instanz, eben Gottes.
Immerhin geht aus den Arbeiten Reichs, Bornemans, Placke, um nur die zu
nennen, die ich hier zitiert habe, hervor, daß die
angeschnittene Problematik auch heute noch von höchster
Brisanz
ist und auf eine Lösung wartet. Wenn wir weiter bedenken,
daß sich etwa der größte Teil der
musikalischen Kulturproduktion (soweit Vokalmusik - vor allem der
klassischen Opern, aber auch der Schlager), aber auch ein sehr
großer Teil der literarischen Erzeugnisse, vom kitschigen
Arztroman bis hin zu höchster Poesie, ganz
ausdrücklich mit der Thematik intimster zwischenmenschlicher
Beziehungen, und damit der Einheit von Leib und Seele,
beschäftigt, können wir daraus schließen,
daß hier auch
heute noch ein ungelöstes Arbeitsfeld vor uns liegt.
F. Akzentverschiebungen im
Christentum
Es klingt zunächst sicher höchst exotisch,
daß der gekreuzigte Jesus etwas mit leib-seelischer
Gemeinschaft von Mann und Frau zu tun haben soll. Offen gesagt, auch
ich habe lange gebraucht, um
mich an diese Gedanken zu gewöhnen. Immerhin geht es ja hier
um die Liebe in ihrer tiefsten Dimension, und schließlich ist
das Christentum ja die Religion der "Liebe" - und auch hier gibt es ja
auch das Problem der Zerstörung, der Zerstörung der
Seele. Zum Bekannten- oder gar Freundeskreis Jesu gehörten
schließlich auch Dirnen, also werden deren Probleme mit der
Liebe auch Thema gewesen sein. Nur haben wir diese Liebe eben leider
fast immer recht schmalspurig auf die Nächstenliebe reduziert,
deren Anforderungen wir uns dann auch noch günstigenfalls mit
einigen zumeist relativ spärlichen Spenden
(jedenfalls im Verhältnis zu unserem
Überfluß) entledigen.
Kreuzigung und damit gegebene Erlösung haben wir zu
gründlich und zu lange allein mit dem Tod am Ende unseres
irdischen Lebens in Verbindung gebracht; das seelische "Kaputtgehen",
den psychischen Tod etwa, wie er mit der Zerstörung der
Einheit von Leib und Seele gegeben ist, haben wir außer acht
gelassen, dabei ist doch dieser Tod die Wirklichkeit, die unser Leben
bestimmt!
Gerade in der Urgeschichte, aber auch in den
Paulusbriefen, wird der Begriff "Tod" oft synonym mit dem Begriff
"Sünde" verwendet, daher ist der Begriff "Todsunde" auch eine
Tautologie ("zweimal dasselbe"). Statt die "Erlösung vom Tod"
auf einen Vorgang in unserem jetzigen Leben zu beziehen, also in eine
praktisch-greifbare Dimension, haben wir sie in nicht-greifbare
Bereiche verlegt, etwa wenn
es um eine Erlösung nach unserem irdischen Leben für
eine sogenannte "ewige Seligkeit" geht. Und
selbst wenn es im Evangelium auch um diese Seligkeit gehen sollte,
scheint es immer sinnvoll, diese außer acht zu lassen. Denn
alles das, was wir nur wegen einer solchen Seligkeit an guten Werken
etwa tun, dürfte vor Gott nicht sonderlich
wohlgefällig sein. Gott umgibt sich gewiß nicht mit
Menschen, die nur deswegen gut sind, weil sie auf eine entsprechende
Belohnung spekulieren!
Über diesen Gedanken hinaus wird der Glaube an ein jenseitiges
Weiterleben natürlich vor allem von nichtchristlicher Seite
angegriffen. Der bereits zitierte Psychologe Arno Plack sieht einen
Zusammenhang mit dem "verpaßten Diesseits" in der hier
dargelegten Linie: "...ein seinem
Leib entfremdetes Selbstbewußtsein" ist "auch die Konsequenz
seiner Endlichkeit nicht anzunehmen
bereit": "weil unerfüllte Sehnsüchte bis zuletzt ein
Weiterleben verlangen. Wir sind alle nicht in der Weise lust- und
lebensbejahend erzogen, daß wir den Tod als vorgegebene
Bedingung des Lebens
akzeptieren könnten. Wir verdrängen den Tod, wie wir
die Sexualität verdrängen: Die doppelte
Verdrängung erspart uns ein waches Bewußtsein der
Flüchtigkeit des eigenen Daseins...
Todesverdrängung und Sexualverdrängung
schließen sich so zusammen zur Verdrängung der
Endlichkeit des eigenen Daseins." (Plack, S. 51 f )
Aber auch von christlicher Seite her kommt etwa der Jesuit und Theologe
Rupert Lay - hier
mehr aus exegetischen Überlegungen zur Erkenntnis des
diesseitigen Charakters des Gottesreiches, ohne allerdings einen
Zusammenhang mit dem Menschenbild der Urgeschichte zu sehen (Rupert
Lay, Vor
uns die Hoffnung, Olten 1974 (s. auch R. Lay, Der Glaube der Ketzer,
München/Wien 1983, S. 48 f):
"Als Jesus von den Pharisäern wieder einmal gefragt wurde,
wann das Reich Gottes komme, antwortete er: 'Das Gottesreich kommt
nicht mit großen Erscheinungen. Auch wird man nicht sagen
können, hier oder dort ist es, denn wisset sehr wohl: Es ist
bereits mitten unter euch' (Lk 17,
20f. ). - `Wenn ich die bösen Geister durch den Geist Gottes
austreibe, dann ist das Himmelreich schon unter euch´ (Mt
12,28).- Nachdem Johannes gefangengesetzt worden war, zog Jesus nach
Galiläa
und verkündete dort die Heilsbotschaft, die da
heißt: `Die Zeit ist erfüllt und das Gottesreich
ist herbeigekommen.' Werdet also frei und glaubt an die Botschaft (Mk
1, 14 f. ). - Seit dem
Auftreten des Johannes bricht sich das Himmelreich mit Gewalt seine
Bahn, und die, welche Gewalt
anwenden, reißen es an sich (Mt 11,12). - Wahrlich ich sage
euch: 'Die Zöllner und Dirnen
kommen eher als ihr (Pharisäer) ins Gottesreich' (Mt 21,31). -
Jesus sagte zu ihm (der ihm
nachfolgen wollte): 'Niemand, der die Hand an den Pflug gelegt hat und
dann nach rückwärts blickt,
ist tauglich für das Gottesreich.' (Lk 9, 62 )" .
Lays Kritik an der Interpretation des Gottesreiches als jenseitiger
Erfüllung oder der
Selbstidentifikation der Kirche mit diesem Gottesreich haben zu keiner
Verurteilung durch die kirchlichen Zensurbehörden
geführt (- oder zumindest erst zu einer sehr späten,
allerdings durfte er dann nur nicht mehr Theologiestudenten
unterrichten):
"Und wieder stellt sich die Frage, was die etablierte Kirche, die -
vielleicht aus
enttäuschter Erwartung - nicht mehr recht an das Gottesreich
zu glauben scheint, aus dem einzig Wesentlichen der Christusbotschaft
und des christlichen Glaubens gemacht hat. Es sind da vor allem zwei
Irrwege, beide radikal unutopisch, gegangen worden: a) Die Vollendung
des Gottesreiches wird zusammen gesehen mit dem 'Untergang der Welt'
und das Gottesreich in einen fernen Himmel verlegt
(Antiutopie), oder aber b) die Kirche identifizierte sich selbst mit
dem Gottesreich (Hoffnungslosigkeit).
Schon recht früh ist in der Kirche eine Tendenz aufweisbar,
das Gottesreich mit dem
Weltuntergang zu verbinden. Es kommt, wenn wir Menschen diese Erde
zugrunde gerichtet haben
(Katastrophentheorie). Noch heute wird der Bericht vom Weltuntergang
(in den beiden synoptischen und der sog. Johannesapokalypse) mit dem
Kommen Jesu und der damit verbundenen Vollendung des Gottesreiches von
vielen Christen zusammen gesehen. Das Weltende wird mit Angst erwartet.
Die
induzierte Grundhaltung ist die der hoffnungslosen Furcht. Hier liegt
ein offensichtliches Unverständnis der apokalyptischen
Berichte zugrunde: Sie alle wollen nicht ein historisches Ereignis
berichten, sondern Teil der Frohbotschaft sein, die die Drangsale
dieser Welt als metahistorische Geschehnisse, die alle Menschen aller
Zeiten bis hin zur Wiederkunft Christi
betreffen, verstanden wissen. Sie sagen, daß diese Drangsale
nicht das Letzte sind, sondern daß
hinter (jenseits) aller Not, jenseits von bedrückender Armut,
von sinnlosem und unverstandenem Tod ein Reich kommt, in dem dies alles
aufgehoben ist. Historisch wird gesagt, daß 'diese Welt' -
insoweit entfremdet - untergehen wird. Ein andersgeartetes historisches
Verständnis christlicher Apokalyptik macht das frohe Beten
'Dein Reich komme', 'Maranatha', zur Lüge, denn wer
wäre schon
bereit, um Schreckliches zu beten. Da solche Lüge
verdrängt zu werden pflegt, wird das zentrale christliche
Gebet, Ausdruck christlicher Hoffnung, entweder leer und bedeutungslos
geplappert, oder aber das Reich wird in ein 'besseres Jenseits'
verlegt. In beiden Fällen stirbt christliche Hoffnung, die
Hoffnung in dieser und für diese Welt ist. Wie sehr Jesus von
der Weltlichkeit des Reiches überzeugt. ist, zeigt sich etwa
in seiner beiläufigen Aussage, daß auch im
Gottesreich
getrunken werde: Ich sage euch: Ich werde von nun an nicht mehr vom
Gewächs des Weinstocks trinken, bis das Reich Gottes kommt.'
(Lk 22,18)
Die Identifikation von Gottesreich (Himmelreich) mit `Himmel´
ist auch heute noch vielen Christen geläufig. Das Gottesreich
ist ja, wie Jesus selbst sagt, 'nicht von dieser Welt' (Joh 18,
36), doch es wird in und mit dieser Welt. Die Hoffnung des Christen ist
nicht ein ferner Himmel, sondern die Verwandlung dieser Welt (und
keiner anderen) in Gottesreich."
Vor allem durch zwei philosophisch-theologische
Beeinflussungen ist das Christentum schon recht bald in seiner nun fast
2000-jährigen Geschichte entstellt worden:
1. Durch den Austausch des jüdischen
Hintergrundes der Botschaft Jesu gegen griechisches Denken.
Das Christentum basiert auf jüdischem Denken.
Jesus war nun einmal Jude, dem es zunächst
mit Sicherheit erst einmal darum ging, seine verlotterte
jüdische Umwelt im Sinne der heiligen Schrift zu reformieren.
Dabei ging er vom jüdischen Menschenbild aus, eben dem
Menschenbild, wie es auch in der Urgeschichte der Bibel vertreten wird.
Ein anderes Menschenbild ist bei Jesus einfach unglaubwürdig.
Nach diesem Menschenbild war für Jesus das Ziel eine Befreiung
des Menschen aus der "Sklaverei" der Lebensweise, die den Menschen an
einer Einheit von Leib und Seele hindert. Für dieses Ziel ging
er sogar in den Tod. Der Glaubenssatz von der diesseitigen "ERNEUERUNG
DES MENSCHEN MIT LEIB UND SEELE" hat leider im griechischen Denken mit
den dort üblichen Jenseitsvorstellungen und dem gleichzeitig
aber fehlenden Verständnis für die leib-seelische
Einheit des Menschen (es war eben eine Frauenverachtungs- und eine
Sklavereigesellschaft), die ohne die Einheit von
Mann und Frau gar nicht denkbar ist, eine ganz andere Bedeutung
bekommen: Es wurde ein Glaubenssatz an ein Weiterleben nach dem
physischen Tod mit einer typischen griechischen "Geistseele" und einem
bedürfnislosen Idealkörper (?) daraus. Damit wurde
allerdings das diesseitige Anliegen Jesu von der Erneuerung aller
Menschen aufgegeben.
Wenn wir in der vorkonziliaren Karfreitagsliturgie in den
Fürbitten für die "treulosen
Juden" ("pro perfidis Judaeis") gebetet haben, so müssen wir
auch den Juden zugestehen, daß die
"Treulosigkeit" nicht nur bei den Juden lag. Wir Christen haben doch
die Erlösungsbotschaft Jesu so "umfunktioniert", daß
sie den Juden gar nicht mehr zugänglich war und bis heute noch
nicht ist.
2. Durch den Einfluß der Gnosis.
Den zweiten "Schlag", bei dem die letzten Reste des
Anliegens Jesu
von der Einheit von Leib und Seele fortgeräumt wurden,
brachten dann spätantike religiöse
Strömungen, besondere der Gnostizismus als eine
spektakuläre Erlösungslehre mit Elementen
verschiedener Religionen. Der Gnostizismus kam aus dem Orient und hat
Anleihe bei babylonischen und persischen Religionen genommen.
Wichtigstes Merkmal ist die grundlegende Verschiedenheit von
Leib und Seele. Die ganze Welt wird in zwei Prinzipien geteilt
(Dualismus!), von denen das eine göttlich und gut, das andere
teuflisch und schlecht ist. Dabei gehörte die Seele des
Menschen wie alles Geistige zum Guten, der Leib aber wie alles
Materielle zum Bereich des Bösen.
Der Leib war ein für die Seele verderbliches irdisches
Gefängnis: "Der Mensch, d.h. der wahre, innere Mensch, das
Ich, das Selbst, die Seele, der "nous", wie immer man es nennen mag,
befindet sich in der Fremde, in feindlicher Umgebung. Er ist gefangen
in der Welt und gefesselt an den Leib, das Grab der Seele. Der Mensch
selbst ist ein Stück Licht, während die Welt das
Reich der Finsternis ist. Der Mensch kann also nicht aus der Welt
stammen. Er ist vielmehr ein versprengter Teil aus der oberen Welt, dem
Reiche des Lichtes, das über dem Reiche der Finsternis
liegt.” (Leipoldt/Grundmann. Umwelt der Urchristentums,
Berlin 19826, S. 377)
Damit galt alles Leibliche schlechthin als minderwertig und
für das Heil der Seele nachteilig. Die Erlösung des
Menschen lag in der Trennung der beiden menschlichen Prinzipien, Leib
und Seele, also im Tod. Auf diese Erlösung konnte man schon
während des Lebens, also etwa durch die richtige Erkenntnis
des Übernatürlichen (gnosis, griech., Erkenntnis)
hinwirken.
Da die Welt und der Leib schlecht sind, "muß
man protestieren gegen das Schlechte und sich
selbst möglichst distanzieren von Welt und Leib. Das geschieht
normalerweise in der Form strenger Askese (Anm.: Enthaltsamkeit). Man
kann aber zuweilen aus derselben Weltanschauung auch eine ziemlich
entgegengesetzte ethische Haltung ableiten: Gebt der Welt, was der Welt
gehört! Das
berührt den inneren, wahren Lichtmenschen überhaupt
nicht. Solche Ethik mit umgekehrtem
Vorzeichen (der sog. Libertinismus) kann auch als bewußte
Brüskierung der bösen Weltherrscher
verstanden werden. Und speziell auf sexuellem Gebiet kommt noch der
Gedanke hinzu, daß die
Fortpflanzung ja eine heimtückische Erfindung des Demiurgen
(Anm.: Weltenschöpfer) ist, um die Menschen in Gefangenschaft
zu halten; also darf man mit dem Samen und Zeugungsorganen alles
machen, nur keine Kinder hervorbringen. Ob Askese (Ethik des
Sich-Zurückziehens) oder
Libertinismus (Ethik des leidenschaftlichen Protestes), jedenfalls ist
man von der eigenartigen
neuen Weltanschauung hingerissen" hingerissenen" (Leipoldt/Grundmann.
S, 395 f). Während die
libertinistische Spielart der Gnosis verständlicherweise von
der frühen Kirche schnell als abwegig entlarvt und
bekämpft wurde, brachte sie der asketischen Spielart
Sympathien entgegen. Vieles klang ja ähnlich wie die Lehren
des vom jüdischen Denken losgelösten Christentums.
Damit wurde das Anliegen des Christentums weiter entstellt. Letztlich
hat aber die asketische Richtung der Gnosis genauso wenig wie die
libertinistische etwas mit dem Anliegen des Christentums zu tun.
Für die Theologie der Einheit von Leib und Seele bedeutet die
Entstellung durch die Gnosis, daß eine Harmonie zwischen den
ekstatisch-orgastischen Bedürfnissen und den seelischen
Sehnsüchten gar nicht mehr gesehen, daß vielmehr
sogar "Gebrauch" und "Missbrauch", in einen Topf
geworfen wurden. Gleichgültig, wie die Sexualität
gebraucht wurde, alles, was mit den Zeugungsorganen
zusammenhing, war schon schlecht.
Da die asketische Richtung der Gnosis für uns Menschen
allerdings ziemlich lebensfremd war und noch ist, schlägt das
Pendel immer wieder fast "periodisch" hin zur libertinistischen
Richtung. Das typische Argument von "Gnostikern" dieser Richtung mag
heute etwa sein, daß das Sexualleben jedermanns Privatsache
sei und recht wenig mit wahrem Christsein zu tun habe.
Zwar wurden die Lehren der Gnosis von der frühen Kirche stark
bekämpft, doch müssen wir uns die dennoch erfolgte
Beeinflussung des Christentums durch die Gnosis etwa so vorstellen wie
etwa tausend Jahre später die Beeinflussung der Kirche vom
Hexenglauben: Im frühen Mittelalter wurde dieser Glauben von
der Kirche auch heftigst bekämpft, bis er dann leider im
späten Mittelalter und im größten Teil der
Neuzeit zum Wesen des Christentums überhaupt zu
gehören schien.
Den Hexenglauben haben wir wenigstens heute - wenigstens offiziell -
überwunden, die gnostische Entstellung unseres Christentums,
gleich ob asketischer oder libertinistischer Spielart, leider noch
nicht.
Ob wir dieses gnostisch gefärbte Christentum nun mit noch so
ausgefeilter Pädagogik, mit geist- und aufopferungsvoller
Verkündigung vertreten: Wir "mühen uns vergebens am
falschen Projekt". Eine Wende läßt sich da wohl
heute nur durch eine Rückbesinnung auf ein
ursprüngliches Christentum erreichen, das dem Menschen wieder
zu einer diesseitigen Einheit von Leib und Seele "verhilft". Wir
müssen endlich einmal den Mut aufbringen, im
jüdischen Sinn alles das aus unserem Christentum
auszuschalten, was mit dieser diesseitigen Einheit von Leib und Seele
nichts zu tun hat und daher nach jüdischem Denken als
Aberglaube eingestuft werden müßte. Wenn
"leib-seelische Einheit" Grundidee der Lehre Jesu ist, und wenn
andererseits die Botschaft Jesu "göttlich" ist,
dürfte von einer Verkündigung im
ursprünglichen Sinn auch heute noch eine Erneuerung des
Menschen zu erwarten sein. Nur eine Verkündigung "im Sinne
Gottes" hat auch Chance, auf offene Ohren zu stoßen,
wenigstens auf Dauer, eine verzerrte Botschaft wird sich irgendwann
immer totlaufen.
Eine Welt ohne Gott und ohne Menschlichkeit,
aber eine perfekte Wohlstandsgesellschaft,
beschreibt wohl am besten: Aldous Huxley,
Schöne neue Welt, Roman, Fischer,
Taschenbuch 26. Sehr lesenswert!
II.
MARXISTISCHE UND CHRISTLICHE ERLÖSUNGSVORSTELLUNG; ARBEIT ODER
LIEBE - WAS IST DAS MERKMAL DES MENSCHEN?
Am Schluß des Grußwortes zum päpstlichen
Rundschreiben "Laborem exercens" vom 14. September 1981 lesen wir: "Die
Arbeit trägt somit ein besonderes Merkmal des Menschen und der
Menschheit, das Merkmal der Person, die in einer Gemeinschaft von
Personen wirkt; dieses Merkmal bestimmt ihre innere Qualität
und macht in gewisser Hinsicht ihr Wesen aus."
Dem Sinn nach nicht viel anders, allerdings noch etwas
grundsätzlicher, heißt es unter dem Stichwort
"Arbeit" im in (Ost-)Berlin herausgegebenen "Kleinen
Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie": "Die
Arbeit ist das grundlegende Merkmal des Menschen, das den Menschen vom
Tier unterscheidet; alle anderen Wesensmerkmale des Menschen, wie
Bewußtsein, Denken und Sprache, konnten erst zusammen mit der
Arbeit und auf ihrer Grundlage entstehen ... (Buhr/Kosing, Kleines
Wörterbuch der marxistisch-leninistischen Philosophie, Berlin
(Ost) 1979, S. 29)
Um es gleich zu sagen: Die Annahme, daß die Arbeit das mehr
oder weniger entscheidende Wesensmerkmal des Menschen ist, ist
marxistische Lehre. Damit baut das päpstliche Rundschreiben
("Enzyklika") über die Arbeit auf einem marxistischen
Menschenbild auf. Wie wir gesehen haben, liegt jedoch dem Christentum
eigentlich ein anderes Menschenbild zugrunde.
A. Arbeit als wichtigste
zwischenmenschliche Beziehung?
Obwohl wir heutzutage - wenigstens geographisch gesehen - hautengen
Kontakt mit Ländern im Machtbereich der Lehre von Marx und
Engels haben, obwohl die Trennlinie zu diesem Machtbereich mitten durch
unser eigenes Vaterland verläuft, haben wohl die meisten
Menschen bei uns recht unklare Vorstellungen über diese Lehre.
Es scheint ja auch gar nicht zu lohnen, sich damit ernsthaft zu
beschäftigen, schließlich sprechen ja Mauer,
Stacheldraht. Minenfelder und Schießbefehl für sich.
Vielleicht auch irgendwie zu recht sträubt sich etwas in uns,
sich mit einer Lehre auseinanderzusetzen, deren Aushängeschild
Unmenschlichkeiten sind.
Müßten wir uns aber nicht gerade wegen dieses
Aushängeschildes damit beschäftigen, können
wir nicht nur durch solche Beschäftigung zu einer
Änderung kommen?
Eine eingehende Auseinandersetzung ist auch schon aus dem Grunde
sinnvoll, da wir im Marxismus seit langem wieder einmal eine Lehre vor
uns haben, die mit dem Anspruch aufgetreten ist, die Welt zu
verändern und sie nicht bloß zu erklären.
Schwebte den Marxisten nicht als Ziel das Paradies auf Erden vor?
Verständlich, wenn man sich auf dem Weg zu einem solchen Ziel
nicht auf die Änderung von Symptomen beschränkte, die
zwar notwendige, aber im Sinne der Marxisten nur provisorische
Verbesserungen gebracht hätten. Irgendwann wäre doch
wieder allen zum Alten zurückgefallen.
Nach Auffassung der Marxisten kann nur ein grundlegendes Konzept mit
einer gut durchdachten Theorie über Mensch und Gesellschaft
und einer Änderung an grundsätzlicher Stelle eine
umfassende und dauerhafte Verbesserung unseres menschlichen Daseins
bringen. So ist auch alles das, was wir gemeinhin für
grundsätzliche marxistische Programmpunkte halten, also etwa
die Gleichheit aller Menschen, die Enteignung derer, die
Produktionsmittel besitzen, und die Vergesellschaftlichung dieser
Produktionsmittel, oder auch der Kampf gegen die Religion, nur
praktische Konsequenz eines mit peinlicher Genauigkeit
ausgetüftelten Ideengebäudes für ein
"Paradies auf Erden". Schlüsselstellung in diesem
Ideengebäude hat die menschliche Arbeit. Kommt hier der Mensch
zu sich selbst, findet er hier seine Erfüllung, ist diese
Erfüllung der Auslöser für das Paradies im
marxistischen Sinn.
Doch der Reihe nach!
Nach den marxistischen Theoretikern ist die Arbeit der entscheidende
Faktor, der das Menschsein ausmacht: "Indem K, Marx und F. Engels die
bestimmende Rolle der Arbeit im gesellschaftlichen
Lebensprozeß erkannten, fanden sie den Schlüssel zur
wissenschaftlichen, materialistischen Erklärung der
Gesellschaft und ihrer Geschichte" (wie zuvor, S. 29). Wie nun der
Mensch angeblich durch die Arbeit "entstand", schildert Friedrich
Engels, einer der Väter des Marxismus, in seinem 1876
veröffentlichten Manuskript:
"Vor mehreren hunderttausend Jahren, während eines noch nicht
fest bestimmbaren Abschnitts jener Erdperiode, die die Geologen die
tertiäre nennen, vermutlich gegen deren Ende, lebte irgendwo
in der heißen Erdzone - wahrscheinlich auf einem
großen, jetzt auf dem Grund des Indischen Ozeans versunkenen
Festlande - ein Geschlecht menschenähnlicher Affen von
besonders hoher Entwicklung. - Sie waren über und
über behaart, hatten Bärte und spitze Ohren, und
lebten in Rudeln auf Bäumen.
Wohl zunächst durch ihre Lebensweise veranlaßt, die
beim Klettern den Händen andre Geschäfte zuweist als
den Füßen, fingen diese Affen an, auf ebner Erde
sich der Beihilfe der Hände beim Gehen zu entwöhnen
und einen mehr und mehr aufrechten Gang anzunehmen. Damit war der
entscheidende Schritt getan für den Übergang vom
Affen zum Menschen... Die Hand war frei geworden und konnte sich nun
immer neue Geschicklichkeiten erwerben, und die damit erworbene
größere Biegsamkeit vererbte und vermehrte sich von
Geschlecht zu Geschlecht .... So ist die Hand nicht nur das Organ der
Arbeit, sie ist auch ihr Produkt. Nur durch Arbeit, durch Anpassung an
immer neue Verrichtungen...hat die Menschenhand jenen hohen Grad der
Vollkommenheit erhalten, auf dem sie Raffaelsche Gemälde,
Thorvaldsensche Statuen, Paganinische Musik hervorzaubern konnte."
Engels führt im folgenden alle typischen menschlichen
Fähigkeiten und Eigenschaften auf die Befähigung zur
Arbeit zurück, "sie ist" für ihn "die erste
Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen
Grade, daß wir in gewissem Sinn sagen müssen: Sie
hat den Menschen selbst geschaffen" (MEW Bd. 20, S. 444).
Die Theorie von der Arbeit als entscheidendem Schritt für den
Übergang vom Affen zum Menschen gehört zum
philosophischen Fundament des Marxismus, sie ist Grundlage der von den
Marxisten erhobenen Forderung, bei einer Änderung unserer Welt
im Bereich der Arbeit, also im ökonomischen Bereich, zu
beginnen. In vergleichbarer Weise gilt auch hier wie im zuvor
beschriebenen Christentum die Forderung, daß der Mensch zu
dem zurückkehren muß, wodurch er entstand, um zu
seinem Paradies zu gelangen. Beim Christentum vor dem
jüdischen Denkhorizont war dies die leib-seelische Einheit
(und damit zusammenhängend die Liebe), beim Marxismus ist dies
die "ursprüngliche" Form der Arbeit. Denn wie nach zuvor
geschildertem jüdisch-christlichen Denken mit der Liebe
einiges "schief lief", lief nach marxistischem Denken mit der Arbeit
einiges schief. Der entsprechende Gedankengang der Marxisten dazu ist
etwa folgender (die Darstellung folgt in etwa Rupert Lay in seinem Werk
"Dialektik für Manager", München 1975/5, S. 232 f.):
Die durch die Arbeit "frisch" entstandene Menschengesellschaft
verwendete ihre Fähigkeit zu arbeiten zunächst nur in
im Sinne der Marxisten allein sinnvoller Weise: Jedes "Exemplar" der
neuen Gattung Mensch nutzte diese Fähigkeit für den
eigenen Lebensunterhalt oder den seiner Familie, seiner Sippe. Dabei
arbeitete jeder in eigener Regie oder in harmonischer Gemeinschaft mit
den anderen Familien- oder Sippenmitgliedern. Jeder war sein eigener
Auftraggeber, Ideenlieferant, Arbeiter und Nutznießer. Arbeit
und Menschsein waren eine harmonische Einheit. Auch das Geld, das
irgendwann einmal auftauchte, brachte - wenigstens vorerst keine
Komplikationen, denn auch die Einführung des Geldes
führte nicht zwangsläufig zu einem Bruch zwischen
Arbeit und Menschlichkeit. Das Geld erleichterte lediglich den
Austausch von Waren freier Produzenten, die dann auf dem "Markt" ihre
eigenen Produkte gegen die Produkte anderer einhandeln konnten. Sinn
dieses Handels war nicht Geschäftemacherei zum Vorteil der
einen und zum Nachteil der anderen, sondern
Zweckmäßigkeit. Warum sollte man selbst etwas
herstellen, was andere besser konnten, und warum sollte man selbst
nicht mehr, als man selbst brauchte, von dem herstellen, was man selbst
gut konnte? Bis hierher war die Arbeit noch harmonische Grundlage allen
menschlichen Tuns.
Doch währte dieser "arbeits-paradiesische" Urzustand nicht
für immer. Irgendwann kriselte es auch in diesem Paradies. Und
zwar kam es zu Komplikationen, als einige unser frühen
Produzenten auf den Gedanken verfielen, andere Menschen für
sich arbeiten zu lassen.
Stellen wir uns zur Veranschaulichung einen vorgeschichtlichen
Sandalenmacher vor, der sich eines Tages einer
größeren Nachfrage gegenüber sah, als er
selbst in eigener Arbeit herstellen konnte. Hier geschah nun das, was
für die Marxisten als Ursünde der Menschheit gilt:
Das Wechselspiel von freier Arbeit und Nutzen daraus wurde
durchbrochen: Der Sandalenmacher stellte einen Gehilfen ein. Was das
für unser Menschsein, so wie Marx es sieht, bedeutete,
erkennen wir leicht bei genauerem Hinsehen: Dieser Gehilfe leistete in
Abhängigkeit von seinem "Chef" Arbeit und wurde für
diese Arbeit bezahlt. Von untergeordneter Bedeutung ist, ob er gut oder
schlecht bezahlt wurde, das Fragwürdige daran ist das
Herabsinken der Arbeit zu einer Ware. Arbeit und Geld wurden
austauschbar und damit Tauschobjekte. Damit wurde die wichtigste
zwischenmenschliche Beziehung, eben genau das, was den Menschen vom
tierischen Affen unterscheidet, das, was den Menschen schlechthin
ausmacht, zur Ware. Wenn nun in irgendeiner Angelegenheit das
Charakteristische eine neue Qualität erhält, bedeutet
das für die ganze Angelegenheit eine Änderung ihrer
Qualität. In unserem Zusammenhang heißt das,
daß der Mensch selbst zur Ware, zur Sache wird, wenn das
wichtigste Merkmal des Menschen zur Ware wird. Nach Marx ist es von da
ab mit der Würde des Menschen vorbei, weil er zur Ware
geworden ist, er ist nur noch dem Äußeren nach
Mensch, er ist sich selbst "entfremdet". Entfremdung
ist auch der entsprechende marxistische Fachausdruck für diese
Ursünde im marxistischen Sinn. Die Menschlichkeit des Menschen
ist an der Stelle zerbrochen, die das besondere, einzigartige Merkmal
des Menschen ist. Alles weitere Unglück des einzelnen Menschen
und der ganzen Menschheit beruht auf dieser grundsätzlichen
Entfremdung durch diejenige Gesellschaft, in der es Besitzende und
Arbeitende gibt, also durch die sogenannte kapitalistische
Gesellschaft. Denn hat jemand erst Blut geleckt, und
läßt andere arbeiten, statt selbst zu arbeiten,
kommt es in der Folge zu Schlimmerem: Ausbeutung, Krieg,
Unterdrückung und Verbrechen auf der einen Seite, Not, Elend,
Leid, Prostitution und aller sonstige sittliche Verfall auf der anderen
Seite. Und nach Marx der einzigmögliche Ausweg: Die
Entfremdung der Arbeit, die Entmenschlichung der Arbeit, muß
rückgängig gemacht werden.
Und das läßt sich auch heute noch
bewerkstelligen! Es muß einfach der paradiesische Urzustand
wiederhergestellt wer den, indem jeder, der arbeitet, wieder die volle
Verantwortlichkeit für seine Arbeit erhält und nicht
mehr in Abhängigkeit eines Arbeitgebers arbeitet. Konkret
bedeutet das die Abschaffung des "Sandalenmachers", der seinen Gehilfen
zur Ware macht. Und auf die heutige Zeit übertragen
heißt das die Abschaffung der "Kapitalisten", das
heißt, derjenigen, die die Produktionsanlagen besitzen und
andere arbeiten lassen. Der Fachausdruck dafür ist
"Revolution", das heißt "Umkehrung der
Verhältnisse": diejenigen, die vorher "oben saßen",
werden jetzt zu Arbeitern und umgekehrt. Kein Mensch darf mehr in der
Lohnabhängigkeit eines anderen Menschen stehen, jeder
muß sein eigener Eigentümer, Verwalter, Unternehmer,
Ideenlieferant, Produzent sein, erforderlichenfalls im
Zusammenschluß in sogenannten Genossenschaften oder in
"volkseigenen" Betrieben.
Die positiven Folgen dieser "Revolution", dieser
"Umkehrung der Verhältnisse", dieser "Befreiung des Menschen
von aller Entfremdung" dürften nach Marx nicht lange auf sich
warten lassen: keine Ausbeutung mehr, kein Verbrechen, kein
Haß, kein Neid, kein Elend, kein Krieg, keine
Diskriminierung, keine Prostitution - kurzum das angebliche Paradies
auf Erden. (Der Marxismus ist allerdings nur gegen die
"Vulgärprostitution", das heißt die Prostitution
gegen Entgelt oder unter Zwang. Das geschlechtliche Zusammensein aus
anderen Gründen mit verschiedenen Partnern - im Sinn der Bibel
auch schon Prostitution! - wird dagegen ausdrücklich
gefördert!)
Auf alle Fälle ist der Gedankengang
folgerichtig und selbst bei näherem Hinsehen
überzeugend, selbst wenn die Menschen im kommunistischen
Machtbereich mindestens genauso weit vom Paradies entfernt sein
dürften wie wir hier im "unerlösten" Kapitalismus.
Wo ist also der "Haken"? Wo ist der Denkfehler in der
marxistischen Ideologie? Wenn behauptet wird, daß die Theorie
des Marxismus gut, in der Praxis aber nicht durchführbar sei,
so ist eine solche Behauptung doch Unsinn: Eine gute Theorie
führt auch zu guter Praxis, und wenn eine Theorie in der
Praxis nicht "funktioniert" dann muß auch ein Fehler in der
Theorie sein! (Etwa wie: Wenn die Konstruktion eines Flugzeugs als gut
bezeichnet werden soll, dann "funktioniert" das nach dieser
Konstruktion gebaute Flugzeug auch in der Praxis, und wenn es nicht
"funktioniert", das heißt etwa abstürzt, dann waren
eben auch schon Fehler in der Konstruktion!)
Um es kurz und bündig zu wiederholen: Die Ausgangshypothese
von der universalen Bedeutung der menschlichen Arbeit stimmt einfach
nicht! Die Überlegungen von Engels, wie durch die Arbeit der
Affe zum Menschen wurde, sind ideologische Lyrik, die aus der
Mottenkiste des 19. Jahrhunderts oder noch davor stammen.
Selbst Wissenschaftler im kommunistischen Machtbereich
erkennen inzwischen die entscheidendere Bedeutung der
Sexualität für die Menschwerdung an: "Im biologischen
Bereich kam es infolge der Abhängigkeit der Frau von der
Versorgung mit Fleischnahrung durch den Mann zur Tendenz
längerfristiger Bindungen an ein und denselben Mann und der
Herstellung eines Vater-Kind-Verhältnisses. Stimulierend
für solche dauerhaften individuellen Bindungen konnte das
Sexualverhalten wirken, unter anderem begünstigt durch die
Veränderungen des Östrozyklus der Frau mit der
Tendenz zu ständiger Rezeptionsbereitschaft beziehungsweise
zum permanenten Sexualverhalten. Unter den gegebenen Bindungen hatte
ein Verhalten zu ausgedehnter Kopulationsbereitschaft der Frau einen
deutlichen Selektionsvorteil, da dadurch das Interesse eines Mannes
über einen größeren Zeitraum geweckt und
erhalten werden konnte. Das Äquivalent für die
Fleischversorgung durch die Männer (oder die biologische
Antwort auf die neue Verhaltensweise der Fleischerbeutung) war die
sexuelle Belohnung" (Joachim Herrmann: Die Menschwerdung, Berlin (Ost)
1985, S. 109 ff mit Zitat aus: Werner Mohrig. Biologische Aspekte zum
Inzesttabu und zur Evolution der menschlichen Familie. In:
Archäologische Zeitschrift, Berlin(Ost), 20. Jg. 1979. S.
466/467).
Da hilft auch alles weitere "Drumherumgerede" nicht, das nur gewertet
werden kann als Tribut an den Zensor, damit bessere wissenschaftliche
Erkenntnisse auch im kommunistischen Machtbereich
veröffentlicht werden können. Die Katze ist aus dem
Sack - die angeblich menschheitsstiftende "Arbeit" ist zur
Zweitrangigkeit degradiert!
Und es ist geradezu höchst merkwürdig, wenn wir bei
einzelnen Wissenschaftlern im Machtbereich der kommunistischen Lehre
eine Annäherung an ein Menschenbild finden, das auch dem
Menschenbild der Urgeschichte der Bibel entspricht, während
wir bei der päpstlichen Enzyklika über die Arbeit
"Laborem exercens" feststellen können, daß die
katholische Kirche sich gerade anschickt, das marxistische Menschenbild
zu übernehmen... Daß wir Christen doch immer zuerst
einmal auf die Irrtümer unserer Gegner hereinfallen
müssen!
Eine besondere Nuance der Übernahme fremder Irrtümer
dürfte heute die sogenannte "Befreiungstheologie"
sein, bei der es in konsequenter Parallelität zur
marxistischen Ideologie um die Befreiung von der Entfremdung des
Menschen durch politische und wirtschaftliche Abhängigkeiten
geht. Wie die Bibel zu einer derartigen "Befreiung" steht, mag aus
ihrer Beurteilung des Falles "Judas Ischariot" hervorgehen, also des
Apostels, der Jesus um 30 Silberlinge verraten hat. Zwar ist das genaue
Motiv seines Verrats nicht überliefert, doch können
wir aus dem Zusammenhang schließen, daß es ihm
weniger um das Geld ging, sondern daß er Jesus aus
enttäuschter Erwartung verriet. Ihm war es wohl wie auch
anderen Anhängern Jesu um eine Befreiung von der
römischen Besatzung gegangen, nicht zuletzt hatte ja auch
Petrus bei der Gefangennahme Jesu ein Schwert dabei, eine für
die damalige Zeit hochkalibrige Waffe. Die Bibel hat diese
Interpretation der Botschaft Jesu verurteilt, indem sie vom Selbstmord
des Judas Ischariot berichtet.
Sicher werden wirtschaftliche und politische
Abhängigkeiten auch im Neuen Testament nicht als Idealzustand
angesehen, aber sie werden als Folge einer übergeordneten
Entfremdung .des Menschen gewertet, deren (Er-)Lösung Anliegen
der biblischen Botschaft ist.
Die Liebe zwischen Mann und Frau, ob sie erhofft wird, ob sie erreicht
ist oder ob man von ihr enttäuscht ist, ist wohl nun
tatsächlich die wichtigere und sogar wichtigste
übergeordnete zwischenmenschliche Beziehung. Wie diese Liebe
in allen möglichen Varianten von Kunst und Literatur mehr oder
weniger gelungen und daher mehr oder weniger ansprechend behandelt
wird, ist uns nicht unbekannt. In diesem Buch werden genügend
Beispiele dafür gebracht. Wie es aber aussieht, wenn
marxistische Dichter die ihrer Meinung nach wichtigste
zwischenmenschliche Beziehung, nämlich die Arbeit "bedichten",
möchte ich doch gleichermaßen als Kostprobe zitieren:
Im Anfang war die Arbeit. Nimm die Hand,
Betrachte
sie als Spiegel deines Werdens!
Sie pflügte, bahnte, ebnete, sie brach
Durchs Urwalddickicht, schürte dir das Feuer,
Sie schuf dir den Gedanken, wölbte dir
Die Stirne, deines Denkens kühne Flüge
Verdankst du ihr. Sie gab auch deinem Mund
Die ersten Laute, ihr dankt das Gedicht
Und alle Klänge, sie schrieb ihre Zeichen
In Bauten hoch bis in den Himmel ein,
Sie jubelt vor uns auf im Farbenspiel,
Und über Tasten gleiten sie dahin,
Träumende Hände....Halte heilig sie,
Die Hand, und deiner Hände Werk bleib sichtbar!
Und reichst du einem deine Hand,
so legt Ihr ineinander eurer Hände Arbeit,
Vereinigt sie. Was
in dem flüchtgen Gruß
Zusammenfand, o hieltet ihr es fest
Umschlungen. Es vergesse nicht die Hand,
Woher sie wuchs, und die Gedanken,
die Entsprungen sind der Hände Arbeit, mögen
Dem Schaffen dienen ungezählter Hände
Und künden dies:
Im Anfang war die Arbeit.
Meine Schülerinnen und Schüler halten
allerdings dieses "Gedicht auf die Arbeit" von Johannes R, Becher, den
wir ja auch als Verfasser der DDR-Hymne "Auferstanden aus Ruinen"
kennen, schlicht für "abartig". Ob das nicht ein noch
schlüssigerer Beweis ist, daß der Marxismus mit
seiner Hypothese von der Arbeit als wichtigster zwischenmenschlicher
Beziehung falsch liegt?
Vergleich zwischen Marxismus ("Kommunismus") und
Christentum nach der Interpretation von basisreligion:
|
wesent-liche zwischen-mensch-liche Be-ziehung
|
"Sünden-fall", d. h. Ursache allen Unheils |
Konse-quenz für den Menschen |
Fachaus-druck
für die Ursache des Unheils |
mehr oder weniger auto-matische Folge |
Verant-wortliche |
Ände-rungs-vorstel-lungen |
mehr oder weniger auto-matische Folgen |
Fach-ausdruck |
Marxismus |
Arbeit |
Arbeit
wird zur
Ware,
Sache |
Mensch
wird zur
Sache |
Ent-fremdung |
Ausbeu-tung,
Unter-drückung,
Elend,
Hass, Un-frieden,
Lüge,
Enttäu-schung
("Hölle") |
Eigen-tümer an fremder Arbeit =
"Kapitalist" |
Besei-tigung der Kapi-talisten, Revolution |
Heile Welt |
Paradies auf Erden |
Christen-tum ent-sprechend jüdischer
Tradition |
personale Erfüllung, insbeson-dere Liebe in der Einheit von
Leib und Seele
|
Liebe wird zur Sache ("Leben aus dem Fleisch") |
Mensch wird zur Sache |
Sünde |
jeder selbst, allenfalls auch noch unfähige Priester und
Päda-gogen ei-ner Prie-sterreligion |
Halten der Gebote, Leben aus dem Geist |
Heile Welt in der Einheit von Leib und Seele |
Paradies auf Erden, Reich Gottes, Himmel |
B. Philosophischer
Materialismus als Hintergrund des marxistischen und auch des biblischen
Weltbildes
Eine Weltanschauung, die auf der besonderen Bedeutung der Arbeit
aufbaut, dürfte demnach eigentlich keine Chance haben, weder
bei Wissenschaftlern, noch bei wissenschaftlichen Laien. Wenn also
schon nicht die "Arbeit" vom wissenschaftlichen Standpunkt her die
Zugkraft des Marxismus ausmacht, die ja trotz aller Pleiten in der
Praxis noch bei vielen Menschen ungebrochen ist, was dann?
Das Bestechende an der marxistischen Lehre ist wohl, daß wir
hier ein Denkmodell vor uns haben, das vollständig ohne
Zuhilfenahme "übernatürlicher" Erklärungen
auskommt. Der Marxismus versteht sich als materialistische
Weltanschauung und erklärt die Gesellschaft und ihre
Geschichte materialistisch (vergleiche Zitat Nr.39, S. 38). Damit
entspricht der Marxismus heutigen Forderungen nach einer Weltanschauung
vom Verstand her. Mit einem nicht verstandesmäßigen
Ansatz, etwa mit einer göttlichen
Schöpfungserklärung, können die meisten
unserer Mitmenschen dagegen beim besten Willen nichts mehr anfangen,
schon die Kinder fühlen sich bei einer solchen
Erklärung genasführt.
Wenn die marxistischen Ideologen mit ihrem Materialismus
auch richtig zu liegen scheinen, so ist es für sie und
für die ganze Menschheit sehr schade, daß sie bei
der Suche nach der bestimmenden Rolle im gesellschaftlichen
Lebensprozeß bei der "Arbeit" hängen geblieben sind,
womit sie sich ja leider irrten.
Doch zum philosophischen Materialismus:
Im Gegensatz zur Theorie des "Idealismus" geht diese
Grundrichtung der Philosophie davon aus, daß das Sein (die
Materie) letztlich das Grundlegende und das Bewußtsein nur
eine Folge davon ist. Einfacher ausgedrückt heißt
das, daß alles, was existiert, entweder Materie oder Funktion
von Materie ist. Karl Steinbuch gibt eine ausführlichere
Definition: "Was wir an geistigen Funktionen beobachten, ist Aufnahme,
Verarbeitung, Speicherung und Abgabe von Informationen. Auf keinen Fall
scheint es erwiesen oder auch nur wahrscheinlich zu sein, daß
zur Erklärung geistiger Funktionen Voraussetzungen gemacht
werden müssen, welche über die Physik hinausgehen.
Hierbei ist der Begriff 'Physik' weiter gefaßt, als dies
normalerweise geschieht. Er soll den gesamten Bereich der exakten, im
Prinzip quantifizierbaren Naturwissenschaften vertreten, also
außer Physik im engeren Sinne (z.B. Mechanik,
Wärmelehre, Optik, Elektromagnetismus, Atomistik) auch Chemie
einschließlich Biochemie und Physiologie" (Karl Steinbuch.
Automat und Mensch, Heidelberg/New York, 1971, S. 2).
Dieser philosophische Materialismus hat nun nichts mit
dem praktischen Materialismus zu tun, also mit einer Lebenspraxis von
Menschen, in der es nur um Besitz und Genuß geht. Auch
führt philosophischer Materialismus genausowenig zu solcher
Lebenshaltung, wie die gegenteilige Weltanschauung, also
philosophischer Idealismus, automatisch zu Selbstlosigkeit und zu
Begeisterung für Gutes und Schönes führt. Es
gibt Materialisten mit geistigen Idealen für eine bessere
Welt, ich denke da an Giordano Bruno, der sogar den Tod auf dem
Scheiterhaufen nicht scheute. Zur gleichen Zeit brachten
"idealistische" Europäer, die über jede
"materialistische" Weltanschauung erhaben waren, in zutiefst
materialistischer Gier Not und Elend über die neuentdeckten
Erdteile. Auch allem unserem "idealistischen Denken" heute steht doch
in Wirklichkeit nur zu oft eine blanke materialistische Praxis
gegenüber. Den Zusammenhang, den Papst Paul Johannes II. in
seiner Enzyklika über den Heiligen Geist (Pfingsten
1986) zwischen der Theorie des Materialismus, die die Wirklichkeit
erklärt, und dem Materialismus sieht, der als Grundprinzip
des persönlichen und gesellschaftlichen Handelns
angewandt wird, kann ich nicht erkennen. Es stimmt einfach nicht,
daß "der Horizont der Werte und Zielsetzungen des Handelns,
den dieser (Anm.: der gelebte Materialismus) aufweist", "eng mit der
Interpretation der Gesamtwirklichkeit als `Materie' verbunden" ist
(Papst Johannes Paul II. Enzyklika vom Heiligen Geist. Pfingsten 1986,
Nr. 57).
Natürlich wird es wohl immer unmöglich
bleiben, etwa wissenschaftlich nachzuweisen, daß nicht der
Geist doch das Primäre ("das Erste") ist; weil wir "Geist"
(oder gar "Geister") unabhängig von materieller Erscheinung
einfach nicht erkennen können. Genausowenig wird sich
letztlich nachweisen lassen, ob es nicht doch Menschen, die mit dem
Teufel im Bund stehen, also Hexen, gibt. Aber der Glaube an so etwas
oder die Ablehnung eines solchen Glaubens ist einfach eine Frage der
Plausibilität und der Wahrscheinlichkeit!
Bei der Auseinandersetzung zwischen philosophischem
Materialismus und philosophischem Idealismus befinden wir uns wieder im
Spannungsfeld von griechischem Denken, das ja schon an anderer Stelle
keinen guten Einfluß auf das Christentum ausgeübt
hat, und biblischer Sicht. Das griechische Denken, soweit es von
Bedeutung für unsere abendländische Kultur geworden
ist, geht von einer Aufspaltung dieser Welt in die beiden
unterschiedlich bewerteten Prinzipien "Geist" und "Materie" aus, wobei
der Geist höher eingestuft wird. Diese unterschiedliche
Bewertung hat ja auch zur Entwicklung der gnostischen Weltanschauungen
beigetragen. Das biblische Denken hingegen, so wie wir es vor allem aus
der Urgeschichte der Bibel kennen, kennt eine solche Aufspaltung nicht.
Soweit das Neue Testament, also die Berichte von Jesus, im Sinn der
Urgeschichte verfaßt ist, trifft darauf dasselbe zu: "Das
Verhältnis von Leib und Seele, Leib und Geist des Menschen
(stellt sich) für die Bibel grundsätzlich anders da
als für das griechisch-römische Denken.
Gewiß kennt die Bibel durchaus einen Unterschied zwischen
Leib und Seele, bzw. Geist, aber nicht so, daß die geistige
Seite des Menschen Gott qualitativ näher stände, die
Seele, das Geistige womöglich gar ewig wäre.
Bei aller Unterschiedenheit stehen Leib und Seele auf ein und derselben
Ebene: auf der Ebene der Endlichkeit, des Sterblichen. Nicht nur der
Körper ist dem Gericht Gottes verfallen, ebenso ist das
'Dichten und Trachten des Menschen böse von Jugend auf'.
Auferstehung ist von hier aus dann auch nicht Befreiung der Seele aus
dem 'Kerker' des Leibes. Wenn Gott neu macht,, macht er
grundsätzlich alles neu. Auferstehung wird darum von Paulus in
Analogie zur ersten Schöpfung als 'neue
Schöpfung´ verstanden, in die nichts Altes
hinübergerettet wird" (Klaus Reblin: Kybernetik und
Anthropologie, in: Der geregelte Mensch, hrsg. v. Horst Bannach.
Stuttgart 1968, S. 76).
Im Hinblick auf den Materialismus entspricht das
marxistische Weltbild sogar dem Weltbild der Bibel! Nicht dem
materialistischen biblischen Weltbild entspricht dagegen die
marxistische Einschätzung der Arbeit, die von der Bibel eher
als Fluch angesehen wird. Vorrangige Bedeutung im biblischen
Weltbild hat die Liebe zwischen Mann und Frau in der Einheit von Leib
und Seele. Auch diese Liebe ist gebunden an tatsächlich
existierende Menschen. Wir können diese Liebe als
(höchste) Eigenschaft der Materie ansehen, die es zur
höchsten Blüte zu entfalten gilt und die dann auch
nicht im Widerspruch zu einem materialistischen Weltbild steht.
Erinnern wir uns an das zu Anfang Gesagte: Die das konkrete Leben auch
tatsächlich verbessernden Leistungen der Juden für
die ganze Menschheit, nämlich ein arbeitsfreier Wochentag,
Abschaffung der Menschenopfer, Schutz der Liebe, kamen innerhalb eines
materialistischen Weltbildes zustande!
Auch Jesus dachte und wirkte in diesem Weltbild - wahrscheinlich hatte
er nie etwas von den "hochgeistigen" Vorstellungen etwa des
griechischen Kulturkreises gehört. Wir können daher
die aus dem Griechischen stammenden Denkansätze getrost
außer acht lassen, ja wir müssen sie sogar
übergehen und herausfiltern, wenn wir das Anliegen der
Botschaft erkennen wollen.
Der Unterschied zwischen Marxismus und Christentum ist
nicht Erwartung des Paradieses im Diesseits oder im Jenseits, auch
nicht Materialismus oder Idealismus. Vielmehr verknüpft der
Marxismus die Theorie des Materialismus als Erklärung der
Wirklichkeit mit der Vorstellung von der Arbeit als wichtigster
zwischenmenschlicher Beziehung. Das vom griechischen Denken entstellte
Christentum dagegen hat das Anliegen der Einheit von Leib und Seele in
eine nichtgreifbare Dimension entrückt, während die
Idee der Einheit von Leib und Seele vor dem Hintergrund einer
materialistischen Theorie wohl am ehesten dem vom jüdischen
Denken her zu erklärenden Anliegen Jesu entgegen kommt.
Unsere Schwierigkeit mit dem Materialismus mag wohl daher
rühren, daß wir ihn einfach nur zu oft zu banal
sehen. Vielleicht hilft uns da zu einer Änderung unserer
Einstellung der Umgang mit elektronischer Intelligenz und das Staunen
darüber. Über die Änderung unseres
Weltbildes schreibt Günter Ewald: "Jedenfalls wurde im Laufe
der Neuzeit, also etwa in den letzten 500 Jahren, Schritt für
Schritt das Bild vom Menschen, wie wir es vom Griechentum her
mitgebracht haben, verändert: allerdings sehr langsam, und man
muß sagen, der Materialismus war einfach zu grob in seiner
Darstellung dessen, was der Mensch ist, um das griechisch-humanistische
Menschenbild entscheidend antasten zu können... Bisher war das
Geistige im Menschen, das Lebendige, etwas Metaphysisches, ja
vielleicht Transzendentes, weit weg von dem, was Materie und
elektrischer Strom sind. Jetzt aber rückt es in
größere Nähe" (Günter Ewald,
Kybernetik und Menschenbild, in: Der Evangelische Erzieher, Diesterweg
Verlag; Frankfurt 1967, Heft 11, S. 417 f).
Gegenüberstellung von philosophischer Sicht der
Welt und Vorstellung von wichtigster zwischenmenschlicher Beziehung:
philosophische Sicht der
Welt:
Idealismus
Materialismus
wichtigste
zwischenmenschliche
Beziehung:
____________________________________________________________________________________________
Arbeit in
gewissen Sinn
die
Marxismus
Enzyklika "Laborem exercens"
Liebe in der Einheit von vom
griechischen Denken
ent-
auf altjüdischer Tradition
Leib und Seele stelltes
Christentum:
Weiterleben
aufbauendes Christentum: diesseitiges
nach dem Tod mit
Geistseele
Enstnehmen der Einheit
(und
Leib)
von Leib und Seele
C. Paradiesutopien und ihre
Verwirklichung
"Paradies auf Erden" ist das marxistische Schlagwort für die
Verwirklichung einer heilen Welt nach Aufhebung aller Entfremdungen.
"Paradies auf Erden" ist allerdings auch zutiefst eine
jüdisch-christliche Erwartung! Wo ist der Unterschied? Um das
marxistische "Paradies" zu erreichen, sind enorme gesellschaftliche
Umwälzungen erforderlich, die oft sogar aller
Vernünftigkeit Hohn sprechen. Ausgangspunkt ist die
menschliche Arbeit - nicht mehr die Freiheit von Arbeit wie im
Schöpfungsbericht der Bibel, an die der jüdische
Sabbat erinnert, sondern die Erfüllung durch und in Arbeit.
Die Arbeit wird als einzigartige - in religiöser
Überhöhung ausgedrückt: "göttliche"
- Eigenschaft des Menschen eingestuft, daher wird auch bei ihr mit der
Aufhebung der Entfremdung des Menschen begonnen.
Diesem Anliegen wird dann alles andere untergeordnet. Zunächst
einmal muß die gesamte Wirtschaft umstrukturiert werden,
damit das ideologische Konzept von der Unterbindung des Eigentums an
fremder Arbeit erfüllt wird. Die Unternehmer werden enteignet,
Funktionäre treten an ihre Stelle. Leitungsgewalt hat nicht
mehr jemand, der persönliches Interesse am Gedeihen der Firma
hat, weil sie ihm "gehört", weil er sie vielleicht sogar
aufgebaut hat, sondern ein von oben eingesetzter Verwalter oder besser
"Funktionär". Obwohl sicher ist, daß Eigeniniative
die beste Triebfeder für sinnvolles wirtschaftliche Handeln
ist, ist diese Eigeniniative im marxistischen Wirtschaftsleben nur
eingeschränkt erwünscht und stößt
immer wieder an ihre engen Grenzen. Sinnvolles praktisches Wirtschaften
wird einem ideologischen Konzept zuliebe geopfert und oft genug auch
davon erheblich behindert.
Bei den Umwälzungen wird nur zu oft radikal und brutal
vorgegangen, auf ein paar Tote mehr oder weniger darf es nicht
ankommen, wenn es um die Verwirklichung des Paradieses geht: Wo
gehobelt wird, da fallen eben Späne! Um hier wieder in
religiöser Überhöhung zu reden,
heißt das, daß für das Zustandekommen
einer besseren Welt "Menschenopfer" gebracht werden müssen.
Wenn es um das vermeintliche Glück aller geht, kann nur zu oft
auf das Glück des einzelnen keine Rücksicht genommen
werden, vor allem wenn sich dieser einzelne auch noch im Sinn
des "Glücks der Gemeinschaft" schuldig gemacht hat,
das heißt "Ausbeuter" ist.
Damit nun auch von den tiefsten Wurzeln her dem Menschen sein
"gemeinschaftsschädigendes" und daher höchst
verwerfliches Eigentumsdenken ausgetrieben wird, gab es
während der russischen Oktoberrevolution absonderliche
Versuche zur Abschaffung der vermeintlichen Ursache. In Verdacht kam da
vor allem auch die Einehe mit dem gegenseitigen "Sich-Gehören"
der Ehepartner. Von nun an sollte die Frau nicht mehr einem bestimmten
Mann allein "gehören": Frauen wurden zum "Allgemeinbesitz".
Aus praktischen Erwägungen (wer soll die Kinder aufziehen?)
ist man aber recht bald von dieser Praxis abgekommen, doch von einer
strengen Moral mit all ihren Vorzügen für das
Glück des einzelnen kann keine Rede sein: Im kommunistischen
Kuba gibt es öffentliche Stundenhotels für junge
Leute; das in jedem Fall als Sprachrohr der 'offiziellen
gültigen marxistischen Lehre' zu wertende - DDR-Jugendlexikon
"Jugend zu zweit" bemerkt zum ersten Geschlechtsverkehr: "Die
Entjungferung erfolgte (nach bürgerlichen Moralbegriffen) in
der Hochzeitsnacht durch den Ehemann. Heute sind diese Moralbegriffe
überholt" (Jugendlexikon "Jugend zu zweit". Leipzig 1978, S.
72).
Daß diese Handhabung menschlicher Sexualität, die
der Idee der Liebe und Partnerschaft von Mann und Frau mit Leib und
Seele zuwiderläuft, auch bei uns fröhliche oder
leider eben traurige Urständ feiert, wurde bereits beklagt.
Doch daß daraus noch eine offizielle Ideologie gemacht wird,
der irgendwann einmal niemand mehr entrinnen kann, erinnert fatal an
das, was die Juden der Frühzeit in ihrer heidnischen Umwelt
als 'kultische Prostitution" vorfanden. In beiden Fällen
handelt es sich - schlicht und einfach - um "Partnertausch zum Heil der
Gesellschaft", der Unterschied ist lediglich, daß er bei den
Nachbarvölkern Israels zur Vermittlung dieses Heils durch
irgendwelche Götzen diente.
Zur Methode der Verwirklichung des Marxismus kann also gesagt werden:
Solange wir den Begriff "Aberglaube" auf Tischerücken,
Horoskope, Wahrsagerei, Schwarze Messen und ähnliches
einengen, erscheint der Marxismus tatsächlich als
Vorkämpfer gegen den Aberglauben. Wenn wir aber den
Bedeutungsinhalt des Wortes Aberglaube auf das erweitern, was die Juden
der Frühzeit darunter verstanden und verurteilten, ist der
Marxismus eine extrem abergläubische Weltanschauung - und
nicht erst durch seine Praxis, sondern schon von seiner Theorie her! Er
steht der Wirklichkeit der zentralistischen Priesterstaaten in der
Nachbarschaft der nomadischen Juden in dem, was noch nicht einmal wie
Glaube an Horoskope und Wahrsagerei als Kinkerlitzchen abgetan werden
kann, in nichts nach: Vergötzung der Arbeit, Menschenopfer,
Prostitution (nicht die vulgäre gegen Entgelt, sondern die
"kultische", um des angeblichen Heils der Menschheit willen
ausgeübte).
Die
modernen zentralistischen Priesterstaaten mit marxistischer Lehre haben
zwar den Glauben an einen Gott aufgegeben, stehen aber in nichts den
persönlichkeitszerstörenden Kulten der Antike nach.
Abhilfe ist nur zu erwarten von einer Weltanschauung, in der das
personale Glück des einzelnen Vorrang hat: dem Christentum der
diesseitigen Einheit von Leib und Seele. Dieses Christentum - immer
entsprechend der Lehre Jesu! - verordnet keine wirtschaftlichen oder
politischen Umwälzungen, kennt keine Ausrottung von angeblich
Schuldigen und vergewaltigt niemanden mit
glückzerstörender Lebensführung, es ist
niemanden schädigende Entscheidung jedes einzelnen.
Eine
mögliche Kritik von marxistischer Seite an der Wirksamkeit der
Aufhebung von Entfremdungen im personalen Bereich (= Sünde!)
berücksichtigt nicht die Intensität personaler
Erfüllung im jüdisch-christlichen Sinn und ist daher
für das Christentum einer Einheit von Leib und Seele
gegenstandslos.
Dagegen ist ein wie im Marxismus von oben verordnetes Paradies ein
Unding. Ein wirkliches Paradies muß schon von jedem einzelnen
individuell erkämpft werden und bei jedem einzelnen selbst
wachsen. Der Vorteil unserer christlichen Paradiesutopie ist,
daß dies nie und nirgendwo auf Kosten anderer geschieht,
solange wir wirklich christlich sind. Je mehr Menschen dieses Paradies
dann für sich erreichen und ausstrahlen, desto näher
kommen wir seiner allgemeinen Verwirklichung. Und es ist nicht
einzusehen, warum Unternehmer, Manager, "Kapitalisten" von dieser
Ausstrahlungsmöglichkeit ausgenommen sein sollen, denn auch
sie sind Menschen mit personalen Sehnsüchten und damit auf
eine Erlösung ansprechbar. Wenn auch diese "Ausbeuter"
wirklich christlich sind, können sie - etwa im positiven
patriarchalischen Sinn - bestens für die ihnen anvertrauten
Menschen sorgen.
Zusammenfassend läßt sich sagen:
Vieles in unserem christlichen Glauben fand Jesus bereits als
Aberglaube vor, oder es ist im Laufe der letzten 2000 Jahre
hinzugekommen. So sind auch im Namen des christlichen Glaubens Menschen
umgebracht worden, oder es wurde auch während des Baus der
Peterskirche in Rom zur Geldbeschaffung die Prostitution geduldet, wenn
nicht gar gefördert. Aber dieser "Aberglaube" gehört
nicht zum Wesen des Christentums. Diese Verirrungen sind zu
ändern bis hin zum Wunder- und Jenseitsglauben heute.
Demgegenüber gehört das, was wir im Marxismus an
Aberglaube vorfinden, zum untrennbaren Wesen dieser Weltanschauung.
Eine unbedingt erforderliche Änderung würde zu deren
Zusammenbruch führen.
III. VERSUCH EINER
METAPHYSIK EINES "MATERIALISTISCHEN CHRISTENTUMS"
Ein Porscherennwagen ist noch längst keine Garantie
für einen Sieg (man kann sich sogar damit zu Tode fahren), die
besten Essenszutaten allein ergeben noch kein Festmenu (man kann sie
auch völlig ungenießbar zusammenkochen) - die
herrlichste Veranlagung des Menschen zu erfüllender und
berauschender Liebe mit Leib und Seele besagt noch überhaupt
nichts über ihre Verwirklichung im praktischen Leben. Noch
mehr als beim "Porscherennwagen" oder bei den "Essenszutaten" bleiben
die meisten Menschen hier im Mittelmaß stecken oder
vergaloppieren sich sogar völlig. Wenn heute eine von drei
Ehen bei uns geschieden wird, mag das ein Anzeichen für das
Mißlingen sein, wir können uns aber auch fragen, wie
viele Ehen nur deswegen halten, weil die einer Scheidung folgende
Einsamkeit noch schlechter zu ertragen ist als etwa der
tägliche Ärger mit dem leidgewordenen Ehepartner.
"Die meisten Paare lieben sich nicht. Sie mögen sich nicht
einmal besonders", wurde auf dem 12. Westdeutschen
Psychotherapieseminar in Aachen festgestellt. "Viele Paare leben nicht
in einer Liebesbeziehung, sondern Angst vor Einsamkeit, materielle
Erwägungen und ähnliches sind ihre
Beweggründe" (DIE WELT vom 12.1.1987, S. 16).
Außerdem: Wie viele Partnerschaften kennen wir eigentlich in
unserem Bekannten- und Verwandtenkreis, die wir als so ideal empfinden,
daß wir uns eine davon als Vorbild für unsere eigene
ersehnte Partnerschaft vorstellen können? Menschliches
Glück kommt also ganz offensichtlich nicht eben
selbstverständlich auf uns zu, menschliches Glück ist
vielmehr etwas höchst Ungewisses. Das Erreichen dieses
Glücks ist so unsicher wie der Ausgang eines "strategischen
Spiels", etwa wie der Sieg in einem Fußball-, einem Schach-
oder einem Skatturnier.
Hier einem Menschen zu einem geglückten Verlauf seines
"Lebensspiels" zu verhelfen, ist Aufgabe der christlichen Botschaft.
Denn das Glück (= Heil) des einzelnen ist Vorbedingung
für eine heile Gesellschaft. Und dies muß auch
wieder erste Aufgabe für eine heutige christliche Theologie
und Philosophie werden.
A. Unbrauchbarkeit traditioneller Physik und Metaphysik
Die Frage nach dem Glück des Menschen wurde in
der traditionellen christlichen Theologie und Philosophie weitgehend
als zweitrangig zurückgestellt. Vorrangig waren die Fragen
nach der Existenz und dem Wesen Gottes und nach dem Glauben an Gott.
Nach katholischer Vorstellung gehört zu diesen Fragen eine
Metaphysik, das heißt, für unseren christlichen
Glauben etwa reicht eine Erklärung aus der Bibel allein nicht
aus, sondern der Glaube an Gott muß auch - quasi auf einem
zweiten Bein - ohne Bibel vernünftig und einsehbar sein. Die
Bibel könnte uns sonst ja etwas
Überflüssiges "aufschwatzen". Das würde uns
mit der Zeit doch sehr in unserem Glauben unsicher machen und dann
nicht zuletzt vor der ganzen denkenden (und vor allem nicht denkenden)
Menschheit blamieren.
Der Gedankengang einer herkömmlichen "Metaphysik" ist etwa
folgender: Auf den erfahrbaren Naturwissenschaften ("Natur" =
griechisch "physis") wird eine "Überwissenschaft"
("über" = griechisch "meta") aufgebaut, die dann für
den geistigen Bereich zuständig ist. Auf diese Weise kann man
dann höchst "wissenschaftlich" alle geistigen Fragen
durchdenken und sogar bis zu Gott gelangen.
Aufbauend auf Denkansätzen aus der griechischen Antike (schon
wieder!) hat sich vor allem der mittelalterliche Kirchenlehrer und
Heilige Thomas von Aquin (1225 - 1274) um die wissenschaftliche
Erklärung unseres Christentums verdient gemacht: Noch heute
ist die von ihm entworfene Metaphysik offizielle wissenschaftliche
Grundlage der katholischen Lehre.
Das Anliegen einer wissenschaftlichen Erklärung von den
Naturwissenschaften her ist sinnvoll und berechtigt, denn wer wollte
sein Leben schon auf irgendeiner weit zurückliegenden mehr
mythisch wunderlichen als einsehbaren Offenbarungsbotschaft aufbauen?
So weit, so gut! Das Problem dabei ist nur: Die Metaphysik des heiligen
Thomas von Aquin baut auf einer "Physik" auf, die wir heute gar nicht
mehr als solche bezeichnen würden, weil sie
größtenteils als unsinnig erkannt, damit
höchst fragwürdig und überholt ist! Mangels
entsprechender Grundlage einer stimmigen "Physik" bricht dann auch die
darauf aufbauende "Metaphysik" zusammen, sie ist zu reiner
Gedankenakrobatik geworden, mit der allenfalls den Studenten der
katholischen Theologie eine Scheinwissenschaftlichkeit vorgegaukelt
wird.
Und um was ging es in dieser überholten "Physik"? Die
frühesten Formen rationaler Naturerklärung, die
zugleich auf eine umfassende Interpretation aller Erscheinungen
abzielte, waren spekulativ. Die griechische Philosophie entwickelte
verschiedene Konzeptionen über Ursprung, Struktur und Bewegung
des Seienden. Dabei ging es besonders um die Frage nach der Ursubstanz
und ihre Umwandlungen und um die das Sein beherrschenden Prinzipien. Im
Mittelalter wurden diese Vorstellungen, nach denen man sich die Materie
beseelt vorstellte (daher also die Unterscheidung nach edlen und
unedlen Elementen!), in der Alchemie weiterentwickelt: Man glaubte
etwa, durch die Veränderung der Seele eines Elements mittels
Feuer u.a. dieses in ein anderes umwandeln zu können
(Goldherstellung!). Trotz einiger Zufallserfolge (Schwarzpulver,
Porzellanherstellung) war diese "Physik" bestenfalls ein
Durchgangsstadium, ihr Konzept stimmte einfach nicht. Wir
können daher alles das, was damit zusammenhängt, ihre
Fragestellungen, ihre Ansätze, ihre Weiterentwicklungen
getrost vergessen. Und auch die Übertragungen von
Fragestellungen dieser "Physik" auf unsere heutigen
Überlegungen beweisen nur, daß wir immer noch den
mittelalterlichen Vorstellungen verhaftet sind.
B. Ausgangspunkte heute notwendiger Metaphysik:
menschliche Sehnsüchte und geistige Voraussetzungen des
Menschen
Am Beginn des ersten Kapitels wurde mit dem Zitat
Einsteins darauf hingewiesen, daß jeder Versuch eines
wissenschaftlichen Aufweises Gottes von vornherein verlorene
Liebesmüh ist: Einen "Phantasieersatzgott" kann man nicht
aufweisen! Solch ein Versuch soll auch hier gar nicht erst begonnen
werden. Die Trasse für einen heute gangbaren Weg zu einem
Gottesglauben muß neu geschlagen werden!
Ausgangspunkt kann da nur der Mensch sein in seinem Streben nach
personaler Erfüllung, wie sie zunächst einmal in
einer harmonischen Gemeinschaft von Mann und Frau zu finden ist. Wir
können das Nächstliegende einfach nicht
übergehen! Trotz aller unserer Bedingtheit sind für
dieses Streben natürlich zunächst einmal Wille und
Verstand zuständig oder sollten es wenigstens sein. Wir
können sagen: Das Ziel des Menschen liegt auf der Ebene der
Sehnsüchte und der Gefühle, während der
Geist des Menschen als Mittel zur Erreichung dieses Ziels dienen
sollte. Da das "Ziel" bereits in allen anderen Kapiteln behandelt wird,
geht es in diesem Kapitel um das Werkzeug zur Erreichung des Ziels,
also den Geist, das Denken des Menschen. Von der Position des
Materialismus her können wir nun den Menschen, also sowohl
seine Gefühle und Sehnsüchte wie auch seinen Geist,
als Materie beziehungsweise Funktion von Materie erklären.
Wenn wir nun schon den Menschen als materialistisch erklärbar
(ein "Chemiewerk") einstufen, können wir ihn auch - in
völlig materialistischer Denkweise - definieren als "ein
System, das durch seinen Aufbau auf seelisch-orgastische
Erfüllung angewiesen ist". Eine Erfüllung
"stabilisiert" dieses System nun, macht es verträglich mit
seiner Umwelt, eine Nichterfüllung dagegen macht das System
"instabil" und damit zu einer Gefahr. Verstand und Wille des Systems
"Mensch" sind dabei für die richtige Steuerung
zuständig.
C. Kybernetik als materialistische Wissenschaft vom Geist
Die Wissenschaft, die sich nun heute mit der
Selbststeuerung von Systemen, damit also mit dem Geist und seinen
Möglichkeiten vor dem materialistischen Denkhorizont
beschäftigt, ist die Kybernetik. Da sie sich nicht auf
technische Systeme beschränkt, auch nicht auf bestimmte
Materialien dieser Systeme, sondern größte
Allgemeingültigkeit besitzt, möchte ich hier
näher auf sie eingehen und mit ihrer Hilfe die Begrenztheit
des "Geistes" aufzeigen. Wenn ich dabei besondere auf Literatur aus dem
kommunistischen Machtbereich in Deutschland zurückgreife, so
hat das einfach den Grund, daß von der in diesem Machtbereich
herrschenden Ideologie her ein größeres Interesse an
einer materialistischen Wissenschaft vom Geist besteht als bei uns -
und daher dort auch mehr, bessere und ergiebigere Literatur zur
Verfügung steht.
Sowohl im kommunistischen Machtbereich, als auch bei
uns, wurde das kybernetische Denken in der Mitte der 60er Jahre auch
bei Geisteswissenschaftlern mit großem Enthusiasmus
aufgenommen, ist aber inzwischen wieder ziemlich in Ungnade gefallen.
Die Kybernetik hat nicht das gebracht, was man sich von ihr versprochen
hat. Die Schuld an dieser Entwicklung dürfte allerdings nicht
bei der Kybernetik gelegen haben, sondern an ihrer
eingeschränkten Anwendung innerhalb der Geisteswissenschaften,
sowohl bei uns wie auch im kommunistischen Machtbereich.
Obwohl bereits der Name Kybernetik (von griechisch "kybernetes" =
"Steuermann", "Lotse") auf einen Zusammenhang mit der Steuerung eines
fest umschriebenen Systems hinweist, wurde in unserer westlichen
Geisteswissenschaft die Kybernetik sehr eingeschränkt nur
unter ihrem "Informationsaspekt" gesehen, das heißt beachtet
wurden nur die Erzeugung, Übertragung, Umwandlung und
Speicherung von Informationen. Die Kybernetik besitzt aber "vier
wesentliche Aspekte - den System-, den Regel-, den Informations- und
den Spielaspekt, von denen der Systemaspekt der grundlegende ist, da
Regelung und Steuerung stets in und an Systemen stattfindet. Die
Erzeugung, Übertragung, Umwandlung und Speicherung von
Informationen interessieren die Kybernetik nur, sofern sie sich
zwischen und in dynamischen selbstregulierenden Systemen vollziehen.
Die Theorie der Spiele ist schließlich nur insofern
kybernetisch, als sie den Kampf zwischen ebensolchen Systemen zum Thema
hat" (Georg Klaus: Kybernetik und Gesellschaft, Berlin 1973/3, S. 56).
Während es den westdeutschen
geisteswissenschaftlichen Kybernetikern (v. Cube, Frank, Zemanek) nur
um die Vermittlung und Aufnahme von Informationen geht und sie dabei
den System-, den Regelungs- und den Spielaspekt vollkommen
vernachlässigen, wird im kommunistischen Machtbereich die
Kybernetik von ihren Aspekten her in der Geisteswissenschaft
vollständig gesehen. Allerdings erfolgte auch dort nicht ihre
Anwendung auf das naheliegende lebendige System: das menschliche
Individuum. Wie es nicht anders sein kann, wurde im kommunistischen
Teil Deutschlands die Kybernetik auf Probleme der Gesellschaft
angewandt, offenbar wird dort ein der Gesellschaft innewohnender
Super-Geist vermutet (vgl. hierzu: Georg Klaus, Kybernetik und
Gesellschaft, Berlin 1973/3).
Es ist mir unverständlich, warum die Kybernetik nirgends von
ihrem wesentlichen Aspekt her, nämlich dem System- und dem
Regelaspekt, auf das uns vor allem interessierende typische organische
System, und zwar auf den einzelnen Menschen mit der für ihn
ausgeprägten und einmaligen Veranlagung auf
seelisch-orgastische Erfüllung angewandt wurde.
Dies soll also nun hier versucht werden.
Kybernetiker sind der Überzeugung,
daß die Denkvorgänge des Menschen kybernetisch
gesehen werden können, ja daß sogar das
kybernetische Denken hervorragend geeignet ist, auch menschliche
Verhaltensweisen zu verstehen, zu erklären, vorauszusehen und
zu beeinflussen. Der Einfachheit halber beginne ich bei technischen
Systemen, um dann auf die Probleme des menschlichen Individuums zu
kommen. Dabei geht es dann vor allem darum, daß der Mensch
das, worauf er angelegt ist, auch erfolgreich anstreben und
verwirklichen kann.
1. Kybernetische Steuerung
Charakteristisch für das Verhalten
kybernetischer Systeme ist, daß sie den Wirkungen
äußerer Störungen nicht einfach "hilflos"
ausgeliefert sind, sondern daß sie die Störungen in
dieser oder jener Weise selbsttätig "verarbeiten". Man
könnte sagen, "sie machen aus der Not eine Tugend".
So ist etwa bei einer automatischen Aquariumsheizung eine
Temperatursenkung eine solche "Störung", die jedoch
über einen Wärmeschalter (Thermostat) wieder ein
Aufheizen bis zur vorher eingestellten vorgesehenen Temperatur
veranlaßt. So bleibt durch eine sinnreiche Konstruktion die
Temperatur des Wassers trotz üblicher "Störungen"
stets in etwa konstant.
Während nichtkybernetische Systeme ein "ideales Milieu"
voraussetzen, gehen kybernetische Systeme von realen Sachverhalten in
der wirklichen Welt aus, eben von der Tatsache, daß in der
wirklichen Welt unausgesetzt ein Wirkungsaustausch zwischen den
verschiedenen Systemen stattfindet und daß jedes
System den vielfältigsten äußeren
Störungen ausgesetzt ist, die ihm zum Teil schädlich,
zum Teil nützlich sind.
2. Hochorganisierte kybernetische Systeme besitzen ein
Internes Modell der Außenwelt.
Das Vorhandensein selbsttätiger Steuerungen ist
nun nicht nur auf so einfache Systeme, wie das oben beschriebene,
beschränkt. Im Gegenteil, zumeist handelt es sich um
höchst komplizierte Systeme. Normalerweise ist nicht nur ein
zu regelnder Faktor, wie etwa die Wärme des Aquariumswassers,
zu berücksichtigen, sondern mehrere Faktoren. Und dann
dürfen auch manche Reaktionen unter Umständen gar
nicht erfolgen, weil sie etwa das ganze System zerstören
würden (z.B. müßte in einem Aquarium
dafür gesorgt werden, daß nicht durch einen "Irrtum"
des Systems oder auch durch außergewöhnliche
Zimmertemperaturen, etwa starke Sonneneinstrahlung, das Wasser zu
heiß wird). Zwischen "Eingabe" und "Ausführung" wird
daher in der modernen Technik noch ein "Elektronengehirn"
zwischengeschaltet, das etwa verschiedene Anweisungen und Bedingungen
koordiniert und vor allem auch vor der Ausführung einer
"Handlung" überprüft, ob diese "Handlung"
überhaupt sinnvoll ist. Und diese
Überprüfung geschieht erst einmal im "Innern" des
"Elektronengehirns", das heißt an dem, was das
"Elektronengehirn" (in der Fachsprache "Rechner") über den
Gegenstand seiner Arbeit "weiß", und zwar an einem
sogenannten "inneren Modell der Außenwelt". (Um zu verstehen,
was mit einem solchen Modell gemeint ist, reicht hier etwa die
Vorstellung einer Modelleisenbahn: Wie wir aus der Funktion einer
Modelleisenbahn durchaus bestimmte Rückschlüsse auf
die Funktion einer großen Eisenbahn ziehen können -
hierin besteht ja der erzieherische Wert einer Modelleisenbahn - ,
spielt auch ein "Elektronengehirn" vorgegebene Anforderungen am Modell
durch.) Das "Wissen", aus dem dieses Modell besteht, kann nun von
außen in den Rechner eingegeben worden sein
("eingespeichert") oder es kann auch mit Hilfe von eigenen
"Prüforganen" selbst erworben sein. Derartige
Prüforgane sind zum Beispiel Temperaturfühler wie die
erwähnten zusammengenieteten Metallstreifen mit
unterschiedlicher Wärmeausdehnung in einem
Wärmeschalter oder optische Fühler wie Fotozellen bei
der Straßenbeleuchtung. Der Rechner hat die Aufgabe, aus
allen möglichen Informationen sinnvolle Handlungen zu
erarbeiten und vor der Ausführung zu
überprüfen. Wie wichtig gerade die
Überprüfung ist, erkennen wir nicht nur an der
Temperaturregelung in einem Aquarium mit kostbaren
temperaturempfindlichen Fischen sondern vor allem an hochmodernen
technischen Anlagen. Denken wir an die Steuerung einer
Stahlerzeugungsanlage: Welche Katastrophe würde eintreten,
wenn durch einen Fehler an irgendeiner Stelle im System der Anlage eine
zu hohe Kesseltemperatur veranlaßt und es dadurch zu einer
Kesselexplosion kommen würde?
Ganz hochorganisierte kybernetische Systeme spielen Handlungen vor der
Ausführung in der Wirklichkeit an diesem "inneren Modell der
Außenwelt" durch, so wie ein Schachspieler vor einem Zug auf
dem wirklichen Schachbrett alle möglichen Züge in
seinem Innern durchspielt, oder auch wie der Generalstab eine Schlacht
erst einmal im Kartenzimmer durchspielt, bevor es zum Gefecht auf dem
wirklichen Schlachtfeld kommt. Durch dieses Durchspielen am "inneren
Modell der Außenwelt" werden ungünstige "Handlungen"
schon frühzeitig als nachteilig für das System
erkannt und daher in der Praxis gar nicht erst ausgeführt.
Erst wenn das Durchspielen eine günstige Lösung
anzeigt, wird mit der Ausführung in der Praxis begonnen.
Dadurch wird für das kybernetische System
größtmögliche Selbständigkeit
erreicht: Es besitzt die Fähigkeit, auch mit Situationen
fertig zu werden, die der Konstrukteur des Systems gar nicht kannte.
Die Fragestellung für den Konstrukteur eines
technischen kybernetischen Systems lautet nun: Wie muß dieses
System konstruiert sein, damit es mit. allen möglichen auf es
zukommenden Situationen fertig wird, ganz gleich, ob diese Situationen
nun regelmäßig auftreten oder rein zufällig
vielleicht einmal vorkommen.
Als Vorbild diente für solche Konstruktionen
zunächst der Mensch mit seinen "Steuerungsvorgängen".
Diese Steuerungsvorgänge laufen im Menschen natürlich
nicht mit zusammengenieteten Metallstreifen ab, sondern mit
vielfältigen anderen Mitteln, mit Hebeln und vor allem mit
chemischen Reaktionen. In jedem Fall aber sind es "kybernetische"
Vorgänge.
3. Der Mensch als kybernetisches System
Wenn wir uns selbst als "kybernetisches System"
beobachten, können wir sehr gut das Wesen derartigen
Systemverhaltens verstehen lernen. Gelangen wir zum Beispiel auf einer
Wanderung an einen Bach oder Wassergraben, den wir überqueren
müssen, dann springen wir keineswegs sofort blindlings darauf
los, um schließlich am Ergebnis zu merken, ob wir auf der
anderen Seite gut angekommen oder ins Wasser gefallen sind. Statt
dessen werden wir uns - was uns selbstverständlich im
einzelnen gar nicht bewußt wird - an ähnliche
Situationen erinnern, ungefähr abschätzen, ob wir bei
der vorliegenden Breite und dem möglichen Anlauf gut
hinübergelangen werden oder nicht. Wir "spielen" auch die
verschiedenen Varianten durch, die es gibt, indem wir
überlegen, ob es überhaupt sinnvoll ist zu springen
oder ob es vielleicht besser ist, sich Schuhe und Strümpfe
auszuziehen und durch den Bach zu waten. Für diese
Denkoperationen nehmen wir einen Teil in unserem Gehirn in Anspruch,
der in der kybernetischen Terminologie "Umweltmodell" oder "inneres
Modell der Außenwelt" genannt wird. Das Beispiel von unserer
Wanderung, die uns an einen Bach führt, ist
selbstverständlich ein sehr primitiver Fall, und das "Modell",
das hierbei für die Auswahl einer entsprechend
"günstigen" Entscheidung nötig ist, sehr
geläufig. Allgemein gesehen, handelt es sich aber um eine
für den Menschen typische Verhaltensweise, das "Nachdenken".
Wir können jetzt auch erklären, was man allgemein
unter "Lernen eines kybernetischen Systems" versteht. Wir haben dann
etwas Neues hinzugelernt, wenn wir in der Lage sind, auf der Grundlage
des Gelernten unser Verhalten günstiger zu gestalten, uns
klüger zu verhalten oder - anders ausgedrückt - aus
verschiedenen möglichen Verhaltensweisen die
günstigste auszuwählen. In kybernetischer
Ausdrucksweise bedeutet dies, das Modell der Außenwelt, das
bis zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits im Gehirn eingespeichert ist,
zu "verbessern". Lernen eines kybernetischen Systems besteht also
darin, daß es auf der Grundlage seiner im Laufe der Zeit
errungenen Erfolge oder erlittenen Mißerfolge, also
entsprechend seiner "Erfahrungen", sein inneres Modell der
Außenwelt ständig verbessert. Diese Erfahrungen
müssen allerdings nicht unbedingt in der Wirklichkeit
geschehen sein, auch aus "Erfahrungen, die man aus dem Durchspielen am
inneren Modell der Außenwelt gewonnen hat", also aus
"Nachdenken", kann man "lernen"!
System ohne und System mit Lernstruktur
(in Anlehnung an K.
Steinbuch):
In der Abbildung
wird einem System ohne Lernstruktur ein System mit
Lernstruktur gegenübergestellt. Im Falle a steht ein System
unmittelbar mit der Umwelt in Verbindung. Erfolg oder
Mißerfolg seiner Handlungen werden in ihm zwar registriert,
und die günstigste Variante wird ausgewählt, aber es
besteht die Gefahr, daß das System auch Handlungen vornimmt,
die zu Katastrophen in der Wirklichkeit führen, bzw. ihn
selbst zerstören.
Im Falle b haben wir es mit einem wesentlich verbesserten System zu
tun. Auch dieses System steht in Verbindung mit der Umwelt, aber seine
"Entschlüsse" werden nicht unmittelbar in Einwirkungen auf die
Umwelt umgesetzt, sondern es "probiert" zunächst so, wie wir
dies bereits kennengelernt haben, die möglichen Folgen an
einem Umweltmodell durch. Und erst, wenn dabei die günstigste
Variante gefunden ist, erfolgt die Wirkung des Systems auf die Umwelt.
Die ganze komplizierte Struktur des Menschen, sein Gehirn mit den etwa
15 Milliarden kleinsten Bausteinen, seine Sinnesorgane wie Augen,
Ohren, Hände ("Fühler"), seine
Ausführungsorgane wie Hände, Füße,
Stimme ("Werkzeuge"), sind nun nicht nur dazu da, ihm zu verhelfen, bei
einer Wanderung über einen Bach zu springen. Sie sind auch
nicht nur dazu da, ihn im Winter bei Kältegefühlen
dazu zu bewegen, sich einen Mantel anzuziehen oder einen Ofen zu
heizen. Die kybernetische Struktur soll dazu dienen, dem Menschen
schlechthin das Überleben zu sichern und das Leben angenehmer
zu gestalten.
Und neben den Bedürfnissen nach Nahrung und Schutz gibt es da
vor allem das aufgrund des Wechselspiels von Mutation und Selektion im
Laufe der Menschheitsgeschichte entstandene Verlangen nach Harmonie
seiner seelischen und körperlichen Sehnsüchte. Denn
vor allem von einer Erfüllung dieser Sehnsüchte
hängt nun einmal das Wohlbefinden ab. In der Sprache der
Kybernetiker können wir dieses Verlangen nach leib-seelischer
Harmonie als Sollwert bezeichnen. Damit wird der Mensch auch von der
Kybernetik nicht als gefühlskalte Maschine gesehen, sondern es
werden sinnvollerweise Gefühle und Denkvorgänge erst
einmal getrennt betrachtet. Es wurde bereits darauf hingewiesen: Die
Gefühle sind Ziel und Inhalt, die Denkvorgänge sind
der Weg. In wirklichkeitsgerechter Einschätzung seiner
"materiellen" Bedingtheit sollte der Mensch von der Pädagogik
her überhaupt einmal in den Zustand versetzt werden, im Sinne
seines Eigeninteresses an umfassender Erfüllung seines
Gefühlslebens zu denken und zu handeln. Jeder Mensch, auch
derjenige, bei dem es angeblich wegen seines "schlechten Elternhauses"
aussichtslos ist, sollte die Fähigkeit erhalten, Aussichten
für die eigene Zukunft zu erkennen, "Störungen", die
zu Enttäuschungen und sonstigen Katastrophen führen
können, rechtzeitig abzuschätzen und diesen
Störungen auszuweichen. Der Mensch, der Chancen und Risiken
ohne Verbrämungen erkennt, wird sich am ehesten
bemühen, selbständig Risiken zu vermeiden und Chancen
zu nutzen!
In diesem Sinn ist in einem auf dem materialistischen Menschenbild
aufbauenden Christentum "materialistisch" und "menschlich" kein
Widerspruch. Im Gegenteil, ein solches Christentum nimmt den Menschen
richtig "für voll" - sowohl in seinen personalen Hoffnungen
und Sehnsüchten, als auch in seinen geistigen
Fähigkeiten, eine Erfüllung dieser
Sehnsüchte zielstrebig anzusteuern und zu erreichen.
D. Kybernetische Grenzen der Leistungsfähigkeit
des Geistes und Überwindung dieser Grenzen durch geeignete
Metaphysik
Gerade sich für gläubig haltende Menschen tragen ganz
offensichtlich in ihrer "Sorge um Gott" ständig die Frage mit
sich herum: "Und was hat Gott damit zu tun?" Und recht
kurzschlüssig wird zum ganzen materialistischen und damit auch
kybernetischen Weltbild gefolgert, daß es da keines Gottes
bedarf und daß damit dieses ganze Denken von einem
gläubigen Menschen von vornherein zu verwerfen sei.
Als ob Gott unserer Sorge um ihn bedürfe! Als ob wir
Erkenntnisse über die Schöpfung unterbinden sollten,
um damit Gott zu retten! Wie klein stellen wir uns überhaupt
Gott vor? Vielleicht retten wir mit unseren "Zensurmaßnahmen"
irgendeinen Götzen, aber mit Sicherheit nicht den Gott, um den
es uns geht! Diese Rettungsversuche sind umso
unverständlicher, als schon Thomas von Aquin stets einer
zutreffenderen Erkenntnis der Schöpfung den Vorzug gegeben
hat: "Offenkundig falsch ist die Meinung derer, die sagen, es sei - im
Hinblick auf die Wahrheit des Glaubens - völlig
gleichgültig, was einer über die Schöpfung
denke, sofern er nur von Gott die rechte Meinung habe: ein Irrtum
über die Schöpfung aber wirkt sich aus in einem
falschen Denken über Gott" (Thomas von Aquin, Summa contra
Gentes, 2, 3; ähnlich C . G. 2, 2 am Schluß). Also -
keine Rettungsversuche durch krampfiges Festhalten an
fragwürdiger Wissenschaft!
Doch worin liegt nun die "bessere Erkenntnis" Gottes über den
Weg des materialistischen Denkens?
Es stimmt schon, auf einen Schöpfergott, auf einen Glauben an
Wunder, auf ein Leben nach dem Tod, auf Gottesbeweise kommt man
über diesen Weg nicht. Aber ist das überhaupt
Anliegen der christlichen Botschaft? Ist der Glaube an irgendwelche
Glaubenssätze Anliegen des Christentums oder nicht vielmehr
ein Leben nach der Lehre Jesu?
Das in diesem Konzept vertretene Christentum entscheidet sich unter
allen Umständen für eine Lebensführung nach
diesem Glauben, zumal nur dies der Beweis für
tatsächlichen Glauben ist!
Aber kann ein prinzipientreues Leben nicht auch ohne christlichen
Glauben geführt werden? Ist damit der christliche Glaube nicht
verweltlicht und irgendwann überflüssig?
Im folgenden sollen zwei (materialistische) kybernetische
Gedankengänge einen Hinweis geben, daß
"Materialismus" keineswegs auch gleichzeitig "Gottlosigkeit" bedeutet.
1. Idee des stets siegreichen Spielers - hier
vielleicht besser "des stets siegreichen Gegenspielers"
Der Schachweltmeister Emanuel Lasker (in der Zeit von
1894 -1941), der während der Naziherrschaft in die Emigration
gehen mußte und alt und krank in der Fremde starb, war
gleichzeitig Philosoph. Die von ihm vor allem untersuchte
philosophische Idee ist die des Kampfes. Die zentrale Figur dieser
Theorie ist der "Macheide". Das ist gewissermaßen der ideale
Kämpfer (von griech. "mache", Kampf, daher auch gesprochen
mache-ide bzw. mache-idisch), dem für alle möglichen
Situationen optimale Strategien zur Verfügung stehen: Lasker
denkt dabei an einen Kämpfer, "der keinen Fehler macht, der
also keine menschlichen Unzulänglichkeiten aufweist, sondern
alles tut, was bei Vorliegen der betreffenden sachlichen Bedingungen
überhaupt getan werden kann bzw. was bei Vorliegen bestimmter
vollständiger oder unvollständiger Information
über die Sachlage zu tun möglich ist".
Kämpfer, die mit einem vollkommenen Wissen über die
Theorie des Kampfes ausgerüstet sind, deren Entscheidungen
also nur von den sachlichen Gegebenheiten der Kampfsituation und von
den Informationen abhängen, die sie darüber erhalten
können, nennt Lasker eben Macheiden (vgl. Georg Klaus,
Spieltheorie in philosophischer Sicht. Berlin (Ost) 1968, S. 62).
Für die Spiel-Gegner heißt das,
daß sie gegen einen solchen macheidischen Kämpfer
(Kybernetiker können sich einen solchen "Macheiden" am ehesten
als perfekten Automaten vorstellen) nie gewinnen können,
selbst wenn sie sich zunächst einmal solcher Illusion hingeben
mögen!
Bei seiner rationalen Analyse aller möglichen Formen des
Kampfes hatte Lasker festgestellt, daß sich auch
Konfliktsituationen des Menschen durch Spiel- oder besser
Kampfsituationen simulieren lassen. Außer dem bereits
erwähnten militärischen Modell kann - weiter
vereinfacht - das Skatspiel als vorzügliches Modell angesehen
werden. Genau wie das wirkliche Leben eines Menschen lebt auch das
Skatspiel von den beiden Gegebenheiten "Zufall" und
"Können/Berechnung". Sowohl im wirklichen Leben wie im
Skatspiel gibt es Zufälle, das heißt etwa, wem wir
begegnen, neben wem wir auf der Schulbank sitzen, neben wem wir
arbeiten - oder eben welche Karten wir erhalten. Dabei wird der Begriff
"Zufall" ohne jeden Hintergedanken an eine göttliche
Fügung verwendet, sondern nur im Sinn eines Treffers bei der
Ziehung der Lottozahlen. Andererseits gibt es sowohl im Skatspiel wie
im wirklichen Leben Können und Berechnung. Und damit kann dann
ein "guter Spieler" etwas aus den Zufällen machen, damit das
Spiel in seinem Sinn weitergeht. Und die Bewältigung von
Zufällen haben etwa beim Skatspiel manche Spieler so gut im
Griff, daß sie sogar "Meister" werden! Diese Skat-Meister
sind nun wirklich erhaben darüber, daß sie nur
deswegen siegen, weil sie gute Karten erhalten oder gar
betrügerisch gespielt haben, ihr Erfolg war eine Folge ihres
Könnens, ihrer Fähigkeit, mit den "Zufällen"
für sich vorteilhaft umzugehen.
Im praktischen Leben bedeutet die Vorstellung eines Macheiden nun,
daß wir stets damit rechnen müssen, wenn schon nicht
einem "macheidischen", so doch wenigstens einem "besseren"
Kämpfer gegenüberzustehen. Sucht dieser
"Kämpfer" rücksichtslos seinen eigenen Vorteil, ist
unsere Niederlage und damit unser Unglück bereits
"vorprogrammiert". Und das alles gilt auch und gerade in dem Bereich,
wo es um unsere tiefsten Sehnsüchte nach Glück und
Erfüllung geht! Denn gerade dieses Glück und diese
Erfüllung - an und für sich seelisch und leiblich -
haben ja eine "leibliche" Komponente, die allein schon so lustbringend
ist, daß man sie - sehr zum Leid des vor allem erstmalig
davon Betroffenen - auch ohne Sinn auf Erfüllung der
seelischen Seite anstreben kann. In den Vertraulichen
Gesprächen wird ein solcher besserer Kämpfer in der
Figur des Alexander vorgestellt (siehe Gespräch
1 im Buch "Spaß an der Moral"). Das
Mädchen, von dem er berichtet, war sich seiner "Situation im
Sinn eines Kampfspiels" nicht im geringsten bewußt und
vollkommen unfähig, "strategisch" im Hinblick auf das eigene
Glück zu reagieren. Setzt man eine ähnliche Erziehung
wie bei dem Mädchen, das im Einleitungsbericht von ihren
Enttäuschungen berichtete, voraus, war allerdings auch alles
wirklich "Zweckdienliche" für einen Zustand besserer
Strategiefähigkeit unterlassen worden. Um es ganz deutlich zu
sagen: Notwendig ist für ein optimales Handeln nicht irgendein
ehrfurchtsvolles Wissen um biologische Gegebenheiten, sondern ein
vernünftiges "strategisches" Konzept! Eine entsprechende
Erziehung hätte hier möglicherweise schon einiges
anders verlaufen lassen. Doch ist auch eine solche Erziehung im letzten
noch
unsicher, da es ja bei uns Menschen zu oft geschieht, daß wir
in Anwandlung außerordentlich starker Gefühle unsere
Vernunft sehr schnell beiseite schieben. Und dies trifft insbesondere
auch auf junge Menschen zu, die ja noch zudem die Situation, um die es
hier geht, zum erstenmal erleben.
Daher scheint mir der folgende
philosophisch-theologische Gedankengang zur Abrundung des
spieltheoretischen Ansatzes bei der Frage nach der Erfüllung
des Glücks unbedingt notwendig: Wenn es im personalen Bereich
auch sicher keinen leibhaftigen "Macheiden" im Sinn der Figur des
Alexanders schlechthin gibt, so besagt doch die Theorie des Macheiden
(oder auch nur des "besseren Spielers"), daß jeder von uns
damit rechnen muß, in Situationen zu kommen, die uns
gefühlsmäßig so stark
überwältigen, daß wir nicht mehr
nüchtern "spielen" können und Fehler begehen, die
schließlich zur Zerstörung unserer Einheit von Leib
und Seele führen und uns damit den wirklichen
Höhepunkt in unserem Leben, nämlich das Erlebnis der
Liebe, sehr erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen.
Auslöser kann dabei etwa ein "Alexander-Typ" sein.
Und statt des "Alexander-Typs", der nur auf
kurzfristiges Vergnügen aus ist, gibt es da auch den "Typ",
der zwar auf langfristige Bindung aus ist, aber deswegen noch lange
nicht auch auf leib-seelische Harmonie (siehe letztes Kapitel!).
In beiden Fällen gelingt das, was wir uns von einer
Partnerschaft erträumen, nicht oder nur sehr schwer.
Eigentlich sollten wir hier zur Erkenntnis kommen: Im Grunde sind wir
im Hinblick auf unsere Zukunft dem Zufall schutzlos ausgeliefert! Es
ist vom Zufall abhängig, ob sich jemand findet, der berechnend
oder instinktmäßig unsere Erwartungen und
Sehnsüchte spürt, diese zu seinen Gunsten ausnutzt
und uns damit genau dorthin bringt, was wir noch kurz zuvor
für absolut unmöglich gehalten haben. (Das ist das
Problem meines Unterrichts: Meine Schüler(innen) glauben mir
einfach nicht, was ich ihnen da für ihre Zukunft prophezeie,
und unterlassen es daher auch, mit mir Strategien zu
überlegen, die ihr Schicksal ändern können.)
Das Ziel einer solchen Manipulation braucht keinesfalls nur im Bereich
der Problematik Mann/Frau zu liegen, im politischen oder
wirtschaftlichen Bereich haben wir dieselben Probleme. Vor dem
Hintergrund der Idee des "Macheiden" müssen wir immer damit
rechnen, auch wenn wir alles noch so pedantisch durchchecken,
daß irgendwann unser Lebenskonzept durchkreuzt wird, indem
wir schließlich sogar den Weg zu unserem Unheil freiwillig
einschlagen.
Es ist angedeutet, daß es überhaupt keinen
"leibhaftigen" Alexander zu geben braucht, dem wir
gegenüberstehen können, sondern daß wir
vielmehr selbst die "treibende Kraft" sind. Wer garantiert,
daß die von "Alexander" ausgehenden "Versuchungen" nicht in
uns selbst entstehen, vielleicht angeregt durch unsere Umwelt, durch
unsere Sehnsucht nach Kontakt mit anderen Menschen, durch
Schwierigkeiten im Alltag, vielleicht auch durch falsche,
vordergründige Vorstellungen von Liebe und Partnerschaft? Oder
weil wir endlich einmal diese lästige uns anerzogene
Leibfeindlichkeit über Bord werfen wollen?
Eine Lösung dieser "Ohnmachtsituation" gibt das
spieltheoretische Denken nicht, dieses Denken macht lediglich deutlich,
daß sich der Mensch letztlich in einer ungewissen,
schutzbedürftigen Lage befindet, in der eine arrogante
Selbstsicherheit, alles im Leben allein zu durchschauen und zu
bewerkstelligen, völlig unangebracht ist. Abgesehen davon,
daß in der Wirklichkeit des Lebens der Fall, daß
wir in unseren Hoffnungen und Sehnsüchten "zerstört"
werden, recht häufig vorkommt, gehört es zur Eigenart
des kybernetischen Denkens, daß es den Menschen nicht in
einen Glaskasten setzt, sondern daß es ihm hilft,
mögliche Störungen zu erkennen, zu umgehen, oder
sogar noch für die eigenen Ziele zu nutzen. Somit wird auch
ein noch so seltener Fall, sofern er für eine
Zerstörung in Frage kommt, zum Maßstab aller
Maßnahmen gemacht. Es kommt darauf an, daß ein
solcher Fall vom denkenden Menschen im Vorfeld erkannt und positiv
bewältigt wird (das heißt, daß er etwa
sehr schnell aus sich heraus eine Beziehung, die nichts Gutes
verheißt, abbricht).
Dazu ein Beispiel aus einem anderen Bereich: Selbst wenn
eine Hochwasserkatastrophe in einem bestimmten Gebiet noch so
unwahrscheinlich ist, wird bei der Berechnung eines neuen Deichs genau
eine solche Katastrophe zugrunde gelegt - und noch eine Sicherheit dazu
gegeben!
Doch gibt es gerade für unsere zwischenmenschlichen
Beziehungen allein vom spieltheoretischen Denken her nicht mehr die
Sicherheit einer Lösung - hier liegt so etwas wie eine
"mathematische Lücke" vor, schließlich ist ja auch
die Spieltheorie eine mathematische Disziplin.
Und diese "mathematische Lücke", die nicht zu gering
eingeschätzt werden sollte, wenn es um wirkliches
Lebensglück, um "höhere und intensivere Freuden"
geht, schließt die Hilfe- und Heilszusage Gottes, nicht eines
Gottes der Philosophen, sondern des lebendigen Gottes, der uns
letztmalig durch Jesus und seine biblische Offenbarung
zugänglich ist. Diesen Gott können wir
tatsächlich nicht "beweisen", es gibt keine Sicherheit dieses
Gottes, damit wir so über ihn verfügen
können, wir können nur hoffen, daß das, was
Jesus uns gesagt und zugesichert hat, wahr ist. Wir können
nach der Botschaft Jesu davon ausgehen, daß sich Gott denen,
die darum bitten, auch tatsächlich offenbart, so daß
wir einen beweisbaren Gott der Philosophen und Theologen gar nicht
brauchen. Und wir können zu ihm beten, von ihm können
wir Schutz und Hilfe erhoffen, besonders wenn es darum geht, vor
Fehlentscheidungen im Bereich leib-seelischer Harmonie bewahrt zu
bleiben. Denn wegen dieser Fehlentscheidungen, dieser Sünden,
hat sich ja Jesus für uns am Kreuz geopfert. Denn es ist ja
Gottes dringendstes Anliegen, daß wir uns ein "Leben in
Fülle" nicht durch "Sünde" verscherzen.
Ohne die Art und Weise der Heilszusage des christlichen Glaubens zu
zerpflücken, kann davon ausgegangen werden, daß sie
jeden erreicht, in dem die Sehnsucht nach einem "Leben in
Fülle" brennt, der sich seiner zwiespältigen
Situation bewußt ist und der daher demütig mit
sozusagen kindlicher Unmittelbarkeit auf Gottes Hilfe hofft und
vertraut.
2. Aus dem "Geleitzugproblem" ergeben sich feste
Handlungsnormen
In den klassischen wissenschaftlichen Theorien geht es
darum, die Wahrheit über die objektive Realität zu
erforschen. Dies trifft selbst auf die Theologie zu, wo in den
verschiedenen Disziplinen die Wahrheit über Jesus,
über die Schöpfung, über die biblische
Geschichte, über unser Leben nach dem Tod und nicht zuletzt
auch über Gott erforscht werden soll. Der Spieltheorie (immer
im Sinn von "Theorie des Kampfes") geht es nun nicht in erster Linie um
die wissenschaftliche Erforschung der Wahrheit, sondern "die
Spieltheorie stellt wissenschaftliche Sätze auf, die den
Charakter von Empfehlungen für Spieler haben, von
Empfehlungen, durch deren Befolgen die einzelnen Spieler in
Konfliktsituationen die günstigsten Resultate erzielen bzw.
die ungünstigsten vermeiden können. Es geht also um
den Nutzen bzw. um die Vermeidung von Schaden. Die
Spieltheorie ist in diesem Sinne eine Theorie der menschlichen
Entscheidungen... Der Unterschied zwischen den klassischen Formen der
Theorie und der Spieltheorie läßt sich deshalb wie
folgt skizzieren:
Art der
Theorien:
Klassische
Theorien
Spieltheorie
__________________________________________________________________
Elementarakt: Formulierung
einer
Aussage
Zug
Systematisierung:
Theorie
Strategie
Ziel:
Abbild der
Realität
Gewinn einer Partie
(nach G. Klaus, Spieltheorie .... S. 49)
Vorsichtig sei hier schon einmal die Vermutung formuliert, ob nicht die
biblische Offenbarung, in der wir so gerne Aussagen über die
Realität (Gottes) vermuten und daher den klassischen Theorien
zuordnen, in Wirklichkeit eine Art "Spieltheorie" ist, also eine
Theorie zur Vermeidung von Schaden und zum Gelingen eines
beglückenden Lebenskonzeptes!
Doch zunächst einmal weiter im mathematischen Denken:
Zur Anwendung der Spieltheorie in der Praxis kamen bewußt
zunächst einmal die Amerikaner, als sie feststellten,
daß sie während ihres Kampfes gegen die Japaner im
2. Weltkrieg in Südostasien
unverhältnismäßig hohe Verluste hatten. Sie
ließen die Ursachen von Mathematikern untersuchen, die dann
auf das sogenannte "Geleitzugproblem" kamen und mathematische Methoden
entwickelten, die den Amerikanern schließlich wieder zu einem
günstigeren Abschneiden verhalfen. Als Beispiel sei hier
rückschauend eine Situation wiedergegeben:
"Die amerikanische Aufklärung hatte ermittelt, daß
die Japaner vom Hafen von Rabaul aus einen Geleitzug mit Truppen,
Munition, Verpflegung usw. zur Verstärkung ihrer
Streitkräfte in Neuguinea absenden würden. Dieser
Geleitzug konnte entweder nördlich der Insel New Britain oder
südlich von ihr zum Ziele gelangen. Nördlich der
Insel war die Sicht schlecht, und Bombardierung bzw.
Aufklärung durch Flugzeuge waren erschwert. Im Süden
der Insel war klares Wetter, der Geleitzug würde bis zu seinem
Ziel drei Tage brauchen. Für den Kommandeur Kenney ging es nun
darum, wo er seine Aufklärungsflugzeuge konzentrieren sollte,
im Norden oder im Süden der Insel. Je eher der Geleitzug
entdeckt wurde, desto länger konnte man ihn auf der Strecke
bombardieren. Die Zeit der Bombardierung würde reduziert
werden, wenn man auf der vom Gegner nicht benutzten Route
Aufklärungen durchführt (G. Klaus: Spieltheorie...,
S. 102 f, nach: Haywood, Miltary decisione and game-theory, in: Journal
of the Operations Research Society of America, 2, 1954. S.365ff).
Den Lesern sei erspart, diese wirkliche Kriegssituation weiter
mathematisch zu durchdenken. Nur soviel: Die Amerikaner bekamen
aufgrund ihrer mathematischen Überlegungen Gelegenheit, den
japanischen Geleitzug zwei Tage lang zu bombardieren und
fügten damit den Japanern schwere Verluste zu. Dabei brauchte
sich auch der japanische Oberkommandierende keine Vorwürfe zu
machen; auch er hatte strategisch richtig gehandelt.
"Die Spieltheorie (Anm.: die solche Situationen
systematisiert) hat die Aufgabe, alle sich aus den Spielregeln
ergebenden Möglichkeiten aufzudecken. Sie gibt keine direkte
Anweisung zum Handeln. Ob man sich so verhalten soll, wie die
Spieltheorie es als rationellste Spielweise empfiehlt, hängt
von einer ganzen Reihe von Umständen ab, die selbst nicht
Gegenstand der Spieltheorie sind. Die beiden Oberkommandierenden der
erwähnten Szene aus dem Seekrieg im Pazifischen Ozean werden
sich beispielsweise von ihren bisherigen Erfahrungen mit dem Gegner
haben leiten lassen. Der eine wird etwa überlegt haben,
daß der andere erfahrungsgemäß stets viel
riskiert, bzw. daß er stets äußerst
vorsichtig ist. Hätte der amerikanische Kommandeur
beispielsweise die Südroute gewählt in der
Überzeugung, daß die Japaner sie auch
wählen, so wäre ihm ein großer Gewinn in
den Schoß gefallen, nämlich die
Möglichkeit, den Geleitzug drei Tage zu bombardieren. Er
mußte allerdings riskieren, daß die Japaner die
Nordroute wählten und er dann die ungünstigste von
allen Möglichkeiten zur Verfügung gehabt
hätte. Die Spieltheorie sagt also nichts darüber aus,
ob und wieviel man riskieren soll; sie gibt lediglich Auskunft, wie man
mit dem geringsten Risiko spielt, was man bei bestmöglichem
beiderseitigen Spiel erreichen kann. Sie sagt uns ferner, wie
groß das Risiko ist, das sich bei den Strategien ergibt, die
von der bestmöglichen abweichen."
Selbstverständlich muß hier von der konkreten
Kriegssituation abgesehen werden, es ging nur darum, darzulegen,
daß menschliche Entscheidungen mathematisierbar sind. "Eine
mathematische Theorie ist natürlich weder moralisch noch
unmoralisch; derartige Wertbegriffe sind hier nicht anwendbar. Anders
steht es mit dem Verhalten des Spielers und seiner Stellung zu einem
fairen bzw. vorteilhaften oder nachteiligen Spiel. Will der Spieler A
den Spieler B zu einem Spiel überreden, das für A
vorteilhaft ist, und macht den Spieler B, der dieses Spiel noch nicht
kennt, glauben, daß es sich um ein faires Spiel handele, so
ist dies ein Verstoß gegen die Spielmoral". Im folgenden
bringt der marxistische Philosoph Georg Klaus, dessen Untersuchungen
hier verwendet wurden, ein Beispiel zur Unfairneß in den
"bürgerlichen Demokratien" - wie kann es anders sein! Wes Brot
ich eß, des Lied ich sing...
Wie bereits oben darauf hingewiesen, erscheint es
sinnvoller, statt eines gesellschaftlichen Problems die Probleme von
Individuen aufzugreifen. Spielen nicht auch "Alexander" und mit ihm
alle, die das, was da geschieht, als "normal" darstellen, unfair?
Verdrängen wir hier nicht eine Unfairneß
größten Ausmaßes? Durch Schweigen
verhindern wir ja nur, daß junge Leute sich eine Strategie im
Sinn ihres Glücks doch noch aufbauen können!
Denn eine Aufforderung zu "fairem Verhalten"
dürfte nur sehr begrenzte Wirksamkeit haben, da es stets
"Alexander-Typen" geben wird, die nicht erreicht werden
können. Aussichtsreicher dürfte es daher sein, die
möglichen "Opfer" zu einer Verhaltensänderung zu
veranlassen, solange bei diesen noch mit unmittelbarem Eigeninteresse
gerechnet werden kann. Doch wie soll eine solche
Verhaltensänderung aussehen, wie kann man unfaires Spiel
erkennen, wie kann man sich vor ihm schützen? Gibt es da nicht
"Züge", die so "risikoreich" sind, daß man sich zu
ihnen unter keinen Umständen hinreißen lassen
sollte? Eine mathematische Theorie, wie die Spieltheorie es ist, gibt
auf die Art dieser Züge keine Antwort, denn eine mathematische
Theorie ist da völlig neutral.
Eine Antwort etwa für das personale
Glück kann es eigentlich nur aus der Erfahrung geben, einer
Erfahrung, wie sie am ehesten wohl einer jahrtausendealten
monotheistischen Religion zugrunde liegt (Monotheismus = Glaube an
einen einzigen Gott). Und diese Erfahrung, die ja nicht erst mit dem
Christentum aufkam, lautet für das personale Glück
sehr eindringlich: "Du sollst die Ehe heilig halten!" Im "Spiel des
Lebens" dürfte ein solches Gebot, wie wir es zunächst
einmal aus den Zehn Geboten kennen, als "Geleitzugregel" gedacht sein:
Was man bestenfalls ohne das Halten dieses Gebotes erreichen kann,
erreicht man in jedem Fall, wenn man sich daran hält. Die Rede
ist hier natürlich von einem innerlich akzeptierten Halten des
Gebotes und nicht von einem Halten aus Angst und Verklemmung. Die
Haltung dazu kann genauso "stur" sein, wie etwa unser Verhalten bei
einer roten Verkehrsampel. Da läuft dann nichts
mehr! Diese "Sturheit" hat im zwischenmenschlichen Bereich
einen sehr praktischen Nebeneffekt: Man braucht sich nicht mehr weiter
zu rechtfertigen, man kann jedem Zwang zu einer Diskussion, in der man
dann doch unterliegt, entfliehen! Die "Verweigerung der letzten
Intimität" kann folglich auch nicht mehr als fehlende Liebe
oder gar als Mißtrauen in die vielleicht diesmal wirklich
lauteren Absichten des "fordernden" Partners mißdeutet
werden! Das ist eben der Vorteil einer gelebten Religion: Die
"Verweigerung" hat nicht mehr den Funken des Mißtrauens in
sich, sobald das dahinterstehende Gebot als
unumstößliches göttliches Gesetz erkannt
und anerkannt ist. Denn nur ein "göttliches Gesetz" ist
für jede weitere Diskussion tabu, nur auf ein solches Gesetz
kann man auch seinen Partner festlegen.
Pädagogische Aufgabe ist es, das "göttliche Gesetz"
so zu lehren, daß dieser Vorteil auch erkannt wird und unter
die Haut geht. Natürlich geht das nur mit Unmittelbarkeit und
Offenheit!
Ich kann mir hier durchaus einen jungen Menschen vorstellen, der
zunächst einmal mit Gott und Kirche recht wenig anfangen kann,
den aber die Idee von der Heiligkeit der Ehe überzeugt hat und
der diese Idee in seinem Leben Wirklichkeit werden lassen will. Um vom
geliebten Freund nun nicht als mißtrauisch
beargwöhnt zu werden, weil er von dem sogenannten "Liebesbeweis"
nichts hält und sich verweigert gibt er als Verweigerungsgrund
das "göttliche Gesetz" und damit Gläubigkeit an. Hier
stellt sich nun die Frage, ob ein Mensch, der sich zwar an die Gebote
Gottes hält, für den aber Gott nur ein Vorwand (ein
"Phantasieersatz"!) ist, nicht zu sündigen,
ein Heuchler ist. Oder ist nicht eher der ein Heuchler, der an Gott
zwar "glaubt", der auch Wunder und Weiterleben nach dem Tod nicht
ausschließt, aber die Gebote Gottes nicht hält?
Jesus gibt hier eine eindeutige Antwort: "Ein Mann hatte zwei
Söhne. Er wandte sich an den ersten und sprach: `Sohn, geh,
arbeite heute im Weinberg'. Der antwortete: `Ja Herr' und ging nicht.
Da wandte er sich an den zweiten und sprach ebenso. Der antwortete:
`Ich will nicht'. Später aber besann er sich und ging. Wer von
beiden hat den Willen des Vaters getan?" (Mt 21, 28ff)
Dieses "den Willen tun" ist die Absicht der Botschaft
Jesu schlechthin und auf keinen Fall eine Beschäftigung mit
über- oder außerirdischen Dingen. Diese
Akzentuierung erklärt auch die spärliche
Auseinandersetzung des Neuen Testamente mit theologischen Problemen und
den "großzügigen" Umgang mit wissenschaftlichen
Beobachtungen und Aussagen. Noch von der Urkirche wurde ja eine Lehre
bekämpft, bei der es in erster Linie um "Erkenntnis" (=
gnosis) ging!
Nach allem hier Dargelegten erscheint die oben gemachte
Vermutung gerechtfertigt: Die Botschaft Jesu ist nicht einer
"klassischen Theorie" zuzuordnen, sondern sie gehört zur
Klasse der Spieltheorien. Die Botschaft Jesu enthält keine
wissenschaftlichen Aussagen über Gott und ist für
jede weitere Spekulation in dieser Richtung untauglich. Das
heißt nicht, daß die Botschaft Jesu
"unwissenschaftlich" ist, sondern sie gehört eben schlicht und
einfach zu einer anderen Kategorie wissenschaftlicher Theorien. Der
"Theorie Jesu" geht es darum, den Menschen Hilfe zu geben,
überflüssige Risiken und
überflüssigen Schaden (im Sinn von Sünde) zu
vermeiden, damit sie dadurch das "Reich Gottes" erlangen, das mit einem
"Leben in Fülle" identisch ist. Und dafür hat sich
Jesus sogar selbst geopfert.
Nicht Gott bedarf unserer Sorge, sondern wir bedürfen seiner,
und das, selbst wenn wir materialistisch denkende Menschen sind. Und
diese Sorge, diese Hilfe Gottes kann durchaus als "metaphysisch", als
"überirdisch", als "übernatürlich"
bezeichnet werden. Damit kann auch im Rahmen eines materialistisch
begründeten Christentums von einer "Metaphysik" gesprochen
werden. Im Gegensatz zur Metaphysik, die auf dem mittelalterlichen
naturwissenschaftlichen Denken aufbaut und daher überholt ist,
ist die "materialistische Metaphysik" auch heute von
größter Bedeutung. Für jeden von uns ist
eine solche Metaphysik notwendig. Mit ihr ist dann unser Leben nicht
mehr wie ein strategisches Spiel mit ungewissem Ausgang. Mit ihr ist
unser Glück eine sichere Sache.
E. "Atheismus" des materialistischen Christentums
Ausdrücklich wird hier also auf eine konkrete
philosophische Gotteserkenntnis, wie etwa von den bekannten
Gottesbeweisen her, verzichtet, denn Gott läßt sich
nun einmal nicht beweisen. Wir können nur das Angewiesensein
des Menschen nach "metaphysischer" Hilfe bewußt machen und
ein geeignetes Angebot dieser Hilfe von der Offenbarung Gottes, also
dem Evangelium, her vorstellen.
Mit den Überlegungen zum "stete siegreichen
Gegenspieler" oder zum "Geleitzugproblem" muß sich auch
derjenige auseinandersetzen, der nicht an Gott glaubt. Und auch der
Nichtgläubige müßte eigentlich einsehen,
daß es sinnvoll ist, sinnlose Risiken im Leben zu vermeiden,
um Schaden zu verhindern. Das Halten der Gebote Gottes ist eben auch
sinnvoll, wenn es Gott gar nicht gibt. Und wahrscheinlich
"funktioniert" aus psychologischen Gründen sogar das Gebet um
göttliche Hilfe - selbst wenn es Gott gar nicht gibt, solange
man nur an ihn glaubt...
Ist Gott also doch nicht mehr als ein psychologisches
Gedankenspiel? Ist damit der "materialistische" Weg zu Gott letztlich
nicht doch atheistisch (gottlos)? Vielleicht für den
Engherzigem. Der sozusagen "gläubige Atheist" befindet sich
mit seinem Glauben jedenfalls in guter christlicher Tradition: Schon
die Christen der Urkirche wurden nicht verfolgt, weil sie einen
"anderen" Gott hatten, sondern weil man sie als Atheisten ansah.
Hätten sie einfach einen anderen Gott gehabt, hätte
man zu dessen Ehren im "Tempel für alle Götter", im
Pantheon, in Rom eine weitere Statue aufgestellt, doch der Glaube der
Christen warf alle bisherigen Religionsvorstellungen über den
Haufen. Es war neu und unglaublich, sich an etwas zu halten, statt zu
glauben und zu verehren!
Ich zitiere hierzu wieder den Jesuiten und Theologen R.
Lay: "Von hier aus muß auch bestimmt werden, was `Unglaube'
(das Gegenteil von Glaube) heißt. Kann man
ungläubig sein, wenn man irgendeine christliche Lehraussage
leugnet? Oder ist ein Mensch nicht gläubig, wenn er zwar alle
Lehraussagen ganz und gar und ohne jede Beschränkung
akzeptiert, aber nicht den Willen Gottes tut im sittlichen Handeln? Die
kirchliche Praxis ist hier eindeutig. `Ungläubig' wird der
genannt, der einen für wesentlich erachteten Satz christlicher
Doktrin nicht für außerhalb allen Zweifelns
für wahr hält. `Gläubig' ist dagegen der,
der keinen dieser Sätze leugnet, unabhängig von
seiner Weise, mit seinen Mitmenschen umzugehen. Ich vermute lebhaft,
daß diese Praxis nicht ganz identisch ist mit der Jesu und
der frühen Gemeinde. Ich vermute, daß nicht
ausgeschlossen werden kann, daß hier ein
intellektualistischer Gottesbegriff vorausgesetzt wird, der der Gnosis
oder der aristotelischen Scholastik näher steht als der
Jesusbotschaft und der frühen Gemeindepraxis. So will ich hier
zur besseren Entscheidung zwei Sätze zu bedenken geben. Der
erste stammt aus der Bergpredigt, der andere aus dem ersten
Johannesbrief: Ihr habt gehört, daß zu den Alten
gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemand
tötet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch:
Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht
verfallen sein;...wer aber zu ihm sagt: Du Gottloser!, soll dem Feuer
der Hölle verfallen sein (Mt 5,21f). Die Liebe zu Gott besteht
darin, daß wir seine Gebote halten. Seine Gebote sind nicht
schwer. (5, 3). . .
Das zweite Evangelium legt... Jesus einen wiederum recht
bedenkenswerten Satz in den Mund, der ein Sprichwort umkehrt: Wer nicht
gegen uns ist, der ist für uns (9,40). Und das kann doch wohl
nichts anderes bedeuten (wie auch aus dem biblischen Zusammenhang
deutlich), daß zunächst einmal anzunehmen ist,
daß Menschen nicht gegen Jesus sind, sondern, bis zum Beweis
des Gegenteils - für ihn. Auch die frühkirchliche
Praxis kennt keinerlei Listen von zu glaubenden Inhalten, wenn es um
die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft geht. Die
Apostelgeschichte berichtet, daß der Kämmerer der
äthiopischen Königin nach einem einzigen
Gespräch in die Gemeinschaft aufgenommen wurde." (Rupert Lay,
Credo - Wege zum Christentum in der modernen Gesellschaft,
München 1982, S, 85 f. Vergleiche hierzu auch E. Fromm "Ihr
werdet sein wie Gott" (Anm. 2:) "Gott lieben'' oder "Gottes Existenz
bekennen" ist keine Spekulation über Gott oder über
seine Existenz; es ist keine Theologie (S. 34). Das zentrale Thema der
Propheten ist der Kampf gegen den Götzendienst (S. 36),
Götzen sind Natur, Macht, Besitz, Sexualkräfte oder
irgendein vom Menschen künstlich gefertigtes Gebilde (S. 37).
Als Götzendienst bezeichnet die Bibel ausdrücklich
mißbräuchliches Sexualverhalten: "...man wird in
seiner (des Volkes) Mitte Unzucht treiben, indem man den fremden
Göttern des Landes nachfolgt...", Dtn.31, 16 ). In der
biblischen und in der späteren jüdischen
Überlieferung nimmt das Verbot des Götzendienstes
eine ebenso hohe, ja vielleicht noch höhere Stelle ein als das
Gebot der Verehrung Gottes. Diese Überlieferung
läßt keinen Zweifel daran, daß man Gott
nur verehren kann, wenn jede Spur von Götzendienst getilgt ist
(S. 42).
Ich möchte mich an dieser Stelle
ausdrücklich gegen ein "Privatchristentum im stillen Winkel"
wenden. Die Verwirklichung einer besseren Welt ist nun einmal eine
Angelegenheit der Gemeinschaft, selbst wenn jeder bei sich selbst damit
beginnen muß. Wir sind jedoch unbedingt darauf angewiesen,
daß unsere Mitmenschen von denselben Idealen ergriffen sind
wie wir. Und um dieser Gemeinschaft willen sind daher auch
entsprechende Gemeinschaftsveranstaltungen aus dem Glauben heraus, also
"Gottesdienste" in unserem heutigen Sinn, nicht wegzudenken. Und diese
Gottesdienste kommen doch hervorragend unserem Ziel des Christentums
entgegen!
Schauen wir uns doch einmal die überlieferten Texte der
katholischen heiligen Messe an - geht es hier nicht ständig um
ein Halten der Gebote, um Abkehr, Befreiung von Sünde, also
von allem, was unser menschliches Glück zerstört und
von uns selbst beeinflußbar ist? Beginnen wir doch damit, uns
von dieser Bedeutung unserer Gottesdienste packen zu lassen, statt uns
immer nur damit zu entschuldigen, daß wir nicht die
Gottesdienste besuchen, weil da doch nur Leute seien, um ihre
Pelzmäntel zu zeigen und um hinterher zum
Frühschoppen gehen zu können! Sind auch wir nicht
ganz schön heuchlerisch?
IV. DIE BESSEREN CHANCEN
EINER ERZIEHUNG OHNE FALSCHHEIT UND OHNE LÜGEN
Mit verwässertem Treibstoff kann kein Auto mehr fahren, man
kann bestenfalls besonders präparierte Autos damit noch
beheizen und beleuchten - oder man kann auch mit besonders guter
Mischung die Insassen betrunken machen und ihnen dann einreden,
daß sie fahren. Daher ist auch einer verwässerten
christlichen Lehre, die ja schließlich eine Art Treibstoff
unseres Christentums sein sollte, bei großem Einsatz durchaus
ein gewisser Erfolg beschieden, das soll hier gar nicht bestritten
werden! Doch richtig zündend und antreibend ist eine solche
Lehre längst nicht - nach unserem Glauben kann das auch nur
eine unverwässerte Lehre, also eine Lehre im Sinne Jesu, sein.
Und eine solche Lehre ist dann auch völlig anders einzusetzen
als eine
verfälschte Lehre - ähnlich wie man mit einem
funktionstüchtigen Kraftfahrzeug mit "gutem Sprit" etwas ganz
anderes anstellen kann als mit einem, das wegen des "schlechten Sprits"
zum Fahren nicht mehr taugt, und das man allenfalls noch als
Notunterkunft etwa während eines Unwetters brauchen kann. Und
an diese "Zweckentfremdung" eines Autos kann man sich sogar
gewöhnen, wenn lange Zeit kein vernünftiger Sprit
mehr kommt, man erwartet ja auch gar keinen mehr und hält das
Gegebene für das Normale. Es weist alles darauf hin,
daß bei unserem christlichen Glauben eine solche
Gewöhnung eingetreten ist und wir uns gar nicht mehr
vorstellen können, welche Aussichten uns "guter Sprit"
eröffnet!
Bei Verwendung von "gutem Sprit" wird allerdings wohl manches zur
Nebensache oder gar falsch und sinnlos, was bei schlechtem Sprit
wichtig und unerläßlich erschien, anderes hingegen
bekommt herausragende Bedeutung, was vorher als
überflüssig angesehen und beinahe oder
tatsächlich abgeschafft wurde. Vieles bekommt einen neuen
Stellenwert, der mit dem früheren nicht mehr viel zu tun hat.
So können wir mit den Kaffeetassen, die in einem stehenden
Auto gewiß wichtig waren, in einem fahrenden Auto
überhaupt nichts mehr anfangen!
Daher darf uns manches auf den ersten Blick Befremdliche in diesem und
dem folgenden Kapitel nicht verwirren. Es hängt eben mit der
anderen "Brisanz" der Lehre Jesu zusammen!
A. "Tabu-Themen" für Kinder?
Wenn ich mich an meine Erziehung zur Lebensführung im
sittlichen Bereich erinnere: Hätte ich in meiner kirchlichen
Jugendgruppe nicht einen engagierten (kaum älteren)
Gruppenführer gehabt, der uns offen, detailliert und auf seine
natürliche jugendliche Weise lebensnah die christliche Moral
begründete, hätte ich doch gar nicht den Sinn dieser
Moral begriffen! Und das ist doch eigentlich die erste Voraussetzung
für eine entsprechende Lebensführung. Wie viele junge
Menschen haben aber schon solch einen engagierten
Gruppenführer? In der Rückschau hätten die
Hinweise des Gruppenführers allerdings wohl kaum ausgereicht.
Ergänzende positive Motivation waren - so unwahrscheinlich es
für viele klingen mag - die sogenannten "schmutzigen Witze"
und zweideutigen Redensarten, die ich so auf der Straße
aufschnappte.
Ich erinnere mich, daß mich einmal, als ich etwa 15 Jahre alt
war, zwei Kameraden zu homosexuellen Spielchen drängten und
dabei meine vom christlichen Glauben beeinflußte Einstellung
infrage stellten. Und ich war dadurch ganz schön verunsichert!
Ich weiß noch heute, wie fieberhaft mein Gehirn arbeitete.
Ich war mir gar nicht gewiß, ob mir da mein christlicher
Glaube nicht doch etwas Überflüssiges aufgezwungen
hatte. Doch da kamen mir die bekannten "Witze" und Redensarten
über Homosexuelle in den Sinn: War nicht der Tenor dieser
Redensarten genau derselbe wie der in den Geboten Gottes? Hier wie dort
wurde doch die ganze Homosexualität verurteilt! Und viel mehr
als noch vor den Geboten Gottes (da konnte man schließlich
wieder beichten!) hatte ich "Schiß" im wahrsten Sinn des
Wortes davor, daß man auch über mich wie in den
Witzen und Redensarten herziehen würde! Und ich machte die
Tür von außen zu! Die angeblich "schlechten"
Redensarten hatten auf mich in meiner damaligen Situation keinesfalls
eine moralbeeinträchtigende oder gar moralzerstörende
Wirkung, sondern im Gegenteil eine moralerhaltende und sogar
moralfördernde! Auf was hätte ich mich eingelassen,
wenn ich diese Redensarten nicht gekannt hätte!
Wir müssen hier einmal ganz klar sehen: Vieles, was
für einen bereits unter eigenen Fehlentscheidungen leidenden
Menschen aufreizend, schädlich oder zermürbend wirkt,
hat nur zu oft bei einem noch nicht unmittelbar betroffenen Menschen
eine völlig entgegengesetzte Wirkung - und umgekehrt! Aus der
Medizin wissen wir: Um einen Menschen etwa vor einer Krankheit zu
bewahren, empfehlen wir ihm Abhärtung durch Jogging, Schwimmen
im kalten Wasser, kräftige Nahrung. Wenn ein Mensch aber von
Krankheit befallen ist, würde gerade das Befolgen dieser
Empfehlungen höchst schädlich, wenn nicht gar
tödlich wirken. Jetzt sind ganz andere Maßnahmen
erforderlich! Jetzt braucht der Patient Bettruhe, Medikamente und eine
Operation, genau das, was bei dem gesunden Menschen schädlich
gewesen wäre. Wir sehen: Mit den jeweiligen "falschen"
Maßnahmen helfen wir niemandem und verschlimmern nur alles.
In der Medizin sehen wir diese Problematik leicht ein. Aber sie gilt
auch in anderen Bereichen, vor allem auch in der Erziehung zu einem
Leben nach dem Glauben. Es ist unvorstellbar, wie wir uns hier an
gesunden jungen Menschen versündigen und sie mit bester
Absicht geradezu krank machen. Wir scheinen nicht zu ruhen, bis wir sie
genau dort haben, wo wir auch sind. Und genau dies soll mit der Lehre
von einem diesseitigen Christentum verhindert werden.
Daher wird im Verlauf dieses und des nächsten Kapitels, wo es
um Lebenshilfe für "unerfahrene" junge Menschen geht, so
manches als gut und sinnvoll empfohlen, was üblicherweise als
schädlich angesehen wird (von Menschen, die offensichtlich
doch nicht so "moralisch" sind, wie sie zu sein vorgeben?).
Weiter motivierend im Sinn der kirchlichen Moralvorstellungen wirkten
auf mich später dann auch Theater- und Opernbesuche.
Allerdings meine ich hier nicht Besuche von Opern, die
üblicherweise im Schulunterricht besprochen werden, wie
Zauberflöte und Freischütz, sondern solche, in denen
die typischen Opernthemen - Ehebruch, und Eifersucht mit folgender
Verzweiflung bis hin zu Mord und Selbstmord und allen damit
zusammenhängenden Gefühlen - angesprochen werden. Ich
denke hier etwa an Verdis Otello (vermeintliche Untreue der
über alles geliebten Ehefrau) und an Mozarts Don Giovanni
(Dummheit und Naivität von Mädchen, die auf einen
"Playboy" größten Stils hereinfallen). Nicht nur die
Mozartoper Don Giovanni, auch weitere Mozartopern wie Figaros Hochzeit
und Cosi fan tutte sind trotz oder gerade wegen ihrer leichten
Frivolität dabei von einer Sehnsucht nach einer heilen Welt
erfüllt, wie sie auch in seinen Messen und anderen
Kompositionen sakralen Inhalts zu verspüren ist.
Um es deutlich zu sagen: Wenn ich von einem gewissen Sinn der
niveaulosen Redensarten auf der Straße spreche, wenn ich
Theater- und Opernbesuche über alle möglichen
Varianten des Themas Liebe befürworte, so plädiere
ich damit nicht für bestimmte ausschließliche
Informationsquellen. Erst das Zusammenspiel verschiedener
Eindrücke führt zu einem wirklichkeitsnahen Bild, das
wiederum Voraussetzung für eine prinzipientreue
Lebensführung ist. Wir brauchen auch nicht unbedingt vor
unseren Kindern mit allen möglichen und unmöglichen
ordinären Reden zu glänzen, wir brauchen ihnen nicht
noch perverse Videofilme zugänglich zu machen, aber wir
brauchen auch nicht in Panik zu geraten, wenn die Kinder so etwas
woanders aufschnappen, wir können sie lieber auf den Unterton
von dem allen hinweisen.
Ob wir mit der Akzentsetzung einer christlichen
Erziehung auf die Mann-Frau-Problematik hin junge Menschen aber nicht
"übersexualisieren"?
Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe den Eindruck,
daß mit diesem Schlagwort von der
"Übersexualisierung" eine dringende Aufgabe abgewertet werden
soll, um alles beim alten zu belassen. Es ist doch wohl ein
Unterschied, ob wir das Problem der Sexualität schon bei sehr
jungen Menschen aufgreifen, um sie auf Gebrauch von Pille, Kondomen und
anderen Verhütungsmitteln vorzubereiten oder um ihnen ein
Lebenskonzept mit wirklich erfüllender und
beständiger Partnerschaft und ohne Enttäuschungen
nahe zu bringen, das auch den christlichen Moralbegriffen entspricht.
Es gibt da nämlich eine pädagogische Theorie, die
besagt, daß eine zwanzigjährige Erziehung dann als
gelungen bezeichnet werden kann, wenn sich ein Mensch in einer einzigen
Situation richtig verhält. Und gilt das nicht gerade
für den intimsten zwischenmenschlichen Bereich? (An dem
gemessen, ist heute wohl vieles, was da Erziehung genannt wird, als
"gescheitert" zu bezeichnen!) Mit dem Schlagwort von der
"Übersexualisierung " werden zwei völlig verschiedene
Dinge in einen Topf geworfen, es ist doch nun wirklich ein Unterschied,
ob eine Problematik aufgegriffen wird, um zu helfen oder um zu
verderben!
Außerdem: Was galt in der Vergangenheit nicht schon alles als
schädlich beziehungsweise unschädlich,
worüber wir heute ganz anders denken. Es gab Zeiten, da galt
das Essen mit Messer und Gabel oder das Benutzen von
Taschentüchern als verwerflich und moralgefährdend
(weil diese Utensilien wohl über die Dirnen aus den
höfischen Kreisen ins Volk gebracht wurden und man sie daher
in unmittelbaren Zusammenhang mit Unmoral brachte), während im
Jahre 1461 offenbar niemand daran Anstoß nahm, als bei einem
Festspiel in Paris drei nackte Mädchen als Sirenen
mitwirkten... Auch gab Erasmus von Rotterdam im 16. Jahrhundert ein
sehr verbreitetes Lesebuch heraus, das Millionen von Kindern benutzten,
in dem rückhaltlos von geschlechtlichen Dingen gesprochen
wird. Dort lesen wir zum Beispiel: "Gewisse Frauen sind so eigensinnig,
daß sie sogar beim Koitus zanken und streiten.. ."
Wenn wir nach schädlichen Einflüssen auf unsere
Jugend suchen, sollten wir uns nicht bitteschön auch die Frage
gefallen lassen, ob die frühe Konfrontation mit Kreuz und
Kreuzweg, also mit Folter und Schaumord, nicht auch
schädlichen Einfluß auf das Gefühlsleben
hat? Vor allem haben solche Marter auf gar keinen Fall jemals einen
schönen, harmonischen Aspekt, was in der Frage der Liebe doch
nicht grundsätzlich auch so ist, normalerweise sollten doch
hier Glück und Harmonie eine Rolle spielen! Entlarven nicht
unserer Bedenken unsere eigene Verderbtheit, daß wir uns die
Liebe, und gerade die körperliche Liebe, nur noch als Schock
für Kinder, wenn sie davon erfahren, vorstellen
können? Ich kann mir nicht helfen, für mich ist eine
Pädagogik im Sinne unserer christlichen Religion, die gerade
die sexuellen Fragen nicht ausklammert, genausoviel beziehungsweise
genausowenig - oder noch weniger - schädlich wie die
Beschäftigung mit Kreuz, und Kreuzweg! Es kommt nun wirklich
in jedem Fall auf die Zielsetzung an!
B. Unwahrhaftigkeit in unserer heutigen
Religionspädagogik
Schädlich dagegen dürfte es in jedem Fall
für Kinder sein, wenn man ihnen gegenüber nicht
wahrhaftig ist, selbst wenn dies aus noch so gut gemeinten
pädagogischen Überlegungen heraus geschieht. Der
bereits mehrfach zitierte Informatiker Karl Steinbuch hat sich einmal
über die Unproduktivität unserer schulischen
Erziehung beklagt: Im herkömmlichen Religionsunterricht lernen
die jungen Menschen, an Wunder zu glauben, im
Physikunterricht ist das Gegenteil richtig; im Religionsunterricht
lernen die Kinder an die Erschaffung der Welt in sechs Tagen und an
Adam und Eva als Stammelternpaar zu glauben, für den
Geographie- und Biologieunterricht ist jedoch dieses Wissen
unnütz und sogar hinderlich.
Und bei näherem Hinsehen sind diese vordergründig
religiös geprägten Lehrinhalte sogar auch
für unsere Glaubenserziehung höchst nachteilig:
Machen wir dadurch unseren Religionsunterricht auf die Dauer nicht
unglaubwürdig? Junge Menschen wägen ihr Gelerntes
irgendwann einmal ab und werfen dann alles das in die "Kiste der
abzulehnenden Dinge", weil sie bessere Informationen haben. Die
unwahrscheinlichere Information erscheint dann eben als Lüge.
Daß in die "Kiste der abzulehnenden Dinge" dabei auch vieles
gelangt, was durchaus sinnvoll ist, jedoch in bestimmten
Situationen nur eben einfach unbequem erscheint, ist leider
unvermeidlich und gar nicht einmal den jungen Menschen selbst
anzulasten. Denn es stammt eben leider aus derselben Quelle wie das
ganz offensichtlich "Erfundene" oder gar "Erlogene".
Versündigen wir Pädagogen uns daher mit unserer
herkömmlichen Religionspädagogik nicht an begierig
lernenden jungen Menschen? Wird daher nicht die Theorie, daß
gerade in der Erziehung die ersten drei Lebensjahre im Elternhaus von
entscheidender Wichtigkeit sind, zur faden Ausrede, wenn die
Pädagogen später so versagen?
So hat der Psychologe Hansjörg Hemminger aufgezeigt ("Kindheit
als Schicksal", Rowohlt, 1982), daß sich ein Nachweis der
Bedeutung der Bindungen in der frühen Kindheit für
Erfolg oder Mißerfolg im späteren Leben nicht
führen läßt: Es gibt Menschen mit
offensichtlich alles andere als harmonischer Kindheit, die im
späteren Leben durchaus glücklich und erfolgreich
werden, und Menschen mit nach unseren Vorstellungen vorbildlicher
Kindheit, bei denen im späteren Leben so ungefähr
alles "schief" läuft. Welches Kindesalter nun von besonderem
Einfluß auf das weitere Leben ist, läßt
sich kaum sagen, da sich im allgemeinen das Milieu, in dem der Mensch
aufwächst, nicht ändert. So schicken etwa
"konservative" Eltern ihre Kinder auf "konservative" Schulen,
"fortschrittliche" Eltern schicken ihre Kinder eben eher auf
"fortschrittliche" Schulen, was auch immer unter "konservativ" und
"fortschrittlich" zu verstehen ist. Wo und wann nun im einzelnen die
entscheidenden Weichen gestellt wurden, läßt sich im
nachhinein kaum mehr ausmachen, da in jedem Fall das Milieu dasselbe
geblieben ist!
Hemminger selbst hält die Zeit kurz vor der
Pubertät für höchst geeignet zum Aufbau
eines vom bisherigen Milieu unabhängigen Lebenskonzepte. Und
dazu reichen bisweilen recht unscheinbare, dafür aber umso
eindrucksvollere Ereignisse aus.
Wir müssen uns endlich von der Theorie vom
überragendem Einfluß frühkindlicher
Schädigungen auf das gesamte weitere Leben des betroffenen
Menschen freimachen! Wir Pädagogen, Theologen und Psychologen
müssen endlich aufhören, uns mit einer famosen
Ausrede aus unserer Verantwortung für die Entwicklung junger
Menschen davonzustehlen und die Schuld an einem Mißlingen
dieser Entwicklung auf die Eltern abzuschieben, die ja bereite vor
unserem "fundierten Wirken" schon alles "verpfuscht" haben.
Eine Glaubenserziehung, die nicht mit Unwahrscheinlichkeiten und
Halbwahrheiten operiert, die von den jungen Menschen irgendwann einmal
als nutzlose Märchen oder gar als irreführende
Lügen empfunden werden, der es aber stattdessen gelingt,
einsichtige und glückverheißende Ideale in einem
noch dafür günstigen Alter aufzubauen, ist ein erster
konkreter Schritt zur Änderung unserer heutigen
mißlichen Lage. Nach meiner pädagogischen Erfahrung
sind die jungen Leute auch heute noch für solche
pädagogischen Bemühungen empfänglich.
In konsequenter Weiterverfolgung des philosophischen materialistischen
Denkens ergibt sich daher das folgende pädagogische Modell.
C. "Militärisches" Informationsmodell
Mit einem höchst aktuellen Gedankengang möchte ich
die Unerläßlichkeit sachlicher, positiver wie
negativer Information und die Problematik der richtigen Auswahl dieser
Information darstellen.
In jedem Kompaniegebäude, das ich während meiner
militärischen Dienstzeit erlebt habe, hatten "dienstfreudige"
Unteroffiziere in irgendeinem Keller- oder Mansardenraum einen
Sandkasten aufgebaut, keinen Sandkasten auf dem Fußboden
für Kinder, sondern einen Sandkasten mit Tischbeinen, einen
Sandkasten für "militärische Übungen",
für "militärische Lagespiele". Solche
Sandkästen erfüllen einen mindestens so bedeutenden
Sinn wie die Sandkästen für Kinder: An ihnen
können "Lagen" durchgespielt werden, das heißt, es
können Gefechtssituationen ohne viel Aufwand am Modell erprobt
werden, bevor es mit großem Materialeinsatz, viel Anstrengung
und vielleicht auch unter unangenehmen Witterungsverhältnissen
zur weiteren Erprobung auf dem Truppenübungsplatz kommt. Und
erst wenn mehr oder weniger lange Überlegungen am Sandkasten
mit allen möglichen Für und Wider ein
günstiges Ergebnis gebracht haben, wird die Situation auch in
der Praxis durchgespielt, wohl wissend, daß auch diese Praxis
immer noch eine Art Sandkasten für das eigentliche
Kampfgeschehen ist. Die Sandkastenerprobung spielt sich auf
unterer Ebene der Truppe ab; auf höherer Ebene, etwa beim
Generalstab, gibt es das bereite erwähnte Kartenzimmer, indem
vor Aktionen gegen den Feind diese auch erst einmal durchgespielt
werden, hier eben anhand von Landkarten. Und auch hier gilt,
daß erst nach einem "Erfolg" im Kartenzimmer eine
entsprechende Aktion in der Wirklichkeit eingeleitet wird.
Leicht wird die Problematik der Erprobung einer militärischen
Lage am Sandkasten oder im Kartenzimmer deutlich: Eine als sinnvoll
herausgearbeitete oder erfolgversprechende Aktion kann in der
Wirklichkeit des Truppenübungsplatzes sich als unvorteilhaft
oder undurchführbar erweisen oder eben in der Wirklichkeit des
Schlachtfeldes erbärmlich und verlustreich scheitern. Das
"Modell" Kampf im Sandkasten oder an der Generalstabskarte - stimmte
mit der Wirklichkeit nicht überein. Irgendwelche entscheidende
Annahmen waren ganz offensichtlich schon im "Spiel" unzutreffend, etwa
aufgrund falscher Informationen über den Gegner,
ungewöhnlicher Reaktionsweise des Gegners, falscher
Einschätzung der eigenen Kampfkraft oder gar außer
acht gelassener Witterungsbedingungen. Zumindest eine entscheidende
Annahme im "Spiel" stimmte nicht mit der Wirklichkeit überein.
In ähnlicher Weise, wie ein Sandkasten im
Kompaniegebäude einer Bundeswehreinheit oder noch mehr wie
eine Generalstabskarte, ist nach Auffassung der Kybernetiker nun etwa
das Denken des Menschen aufgebaut. Und sowie nun der Generalstab vor
einer Schlacht diese am Modell "Karte" durchspielt und erst Aktionen in
der Praxis unternimmt, wenn Vorteile offensichtlich oder zumindest
keine Nachteile erkennbar sind, spielt auch der Mensch vor einer
Handlung diese in seinem Denken an einem dem Sandkasten oder der
Generalstabskarte vergleichbaren "Modell" durch. Ein solches "inneres
Modell der Außenwelt" hat sich entsprechend zahlreicher
Informationen, Erfahrungen, Beobachtungen,
Denkanstößen und Überlegungen im Laufe
seines bisherigen Lebens gebildet. Erst wenn das Durchspielen an diesem
Modell einen Vorteil für das weitere Leben ergeben hat, wird
auch die entsprechende Handlung in der Praxis ausgeführt.
Umgekehrt heißt das, daß eine Handlung nicht
ausgeführt wird, wenn schon das "Durchspielen am Modell"
unverhältnismäßige Nachteile ergeben hat.
Und hierbei können dem einzelnen Menschen ebenso wie dem
Generalstab Fehler unterlaufen: etwa aufgrund falscher
Einschätzung der Wirklichkeit, falscher Information, falscher
Erwartungen. Ursache von Fehlentscheidungen können
natürlich auch affektbedingte Kurzschlußreaktionen
oder unvorbereitete Überrumpelungen sein. Für das
konkrete Leben des Menschen wurde im Bericht
eines
Mädchens von Enttäuschung und Abtreibung
eine solche Situation dargestellt. Besonders gedacht ist hier an das
Erlebnis mit dem ersten Freund, das ja schließlich
unmittelbarer Auslöser der verhängnisvollen
Entwicklung war. Nicht nur mit diesem Bericht, sondern mit dem ganzen
Konzept basisreligion bzw. basisglaube
ist beabsichtigt, dem jungen Menschen einigermaßen
zutreffendes Material zum Aufbau seines "inneren Sandkastens", seiner
"inneren Generalstabskarte", seines "inneren Modells der
Außenwelt" zu geben. Wesentlich dabei ist, daß die
Handlungen in ihren positiven und negativen Auswirkungen deutlich
werden. Nur vollständigkeitshalber wird kurz auf die rein
biologische Seite der "Aufklärung" eingegangen.
Ungleich wichtiger ist der ethische Bereich, und da
muß der junge Mensch einfach über vage Ahnungen um
sein Verlangen nach leib-seelischer Erfüllung hinauskommen,
die dazu noch oft von Erwachsenen als unreif und illusionär
belächelt werden. Er muß motiviert werden, konkrete
Vorstellungen und konkretes Verlangen aufzubauen. Aber auch das
mögliche Scheitern muß gesehen werden. Deswegen geht
es darum, den jungen Menschen zum Durchspielen von in der Zukunft
liegenden Lebenssituationen anzuregen (im kybernetischen Sinn:
"denken"!), dazu
Strategien zu entwickeln, damit sie schließlich schon im
"Planungsstadium" zu der Erkenntnis kommen, sich wegen der ganzen
Ungewißheit der Hilfe eines sich für ihn hingebenden
Gottes anzuvertrauen. Die Gebote Gottes sollen dabei als sinnvolle
"Markierungen" und auch als "Barrieren" erkannt werden, die nur dem
Menschen selbst dienen, die zu seinem Vorteil da sind, da sie
Anhaltspunkte geben, wo sich Irrwege anbahnen.
"Generalstabsmäßig" soll erkannt werden,
daß die Gebote Gottes den Menschen vor Schaden
schützen sollen. Um das Vertrauen in diese Gebote nicht zu
untergraben, gehe ich nur auf wirklich bedeutungsvolle Handlungen ein,
im Bereich der leib-seelischen Einheit also auf vor- und
außerehelichen Verkehr, auf Lüge und
Täuschbarkeit und nicht etwa auf "Unschamhaftigkeit".
Für die frühzeitige Ausbildung eines
der Wirklichkeit entsprechenden "inneren Modelle der
Außenwelt" spricht:
1. Leichte Nachvollziehbarkeit
Der junge Mensch ist noch keinem sexuellen "Hormondruck" ausgesetzt,
das heißt normalerweise hat er nicht die geringste
Schwierigkeit, enthaltsam im sexuellen Bereich zu leben. Es
fällt ihm überhaupt nicht schwer, sich einem
Verhaltenskonzept anzuschließen, in dem z. B. voreheliche
Enthaltsamkeit gefordert ist. Der junge Mensch kann beim "inneren
Durchspielen" von in der Zukunft liegenden Lebenssituationen noch ohne
inneres (hormonbedingtes) Widerstreben bis zu höchsten Idealen
mit jeder dafür notwendigen Konsequenz kommen.
Für ältere Jugendliche wie auch für
Erwachsene dürfte dagegen das zutreffen, was mir eine
Schülerin von sich sagte, daß ein Nachdenken oft
eben unterbleibt, weil es lästig ist, eventuell zu
Vorstellungen von Konsequenzen zu kommen...
2. Sachgerechte Information
Eine Erziehung nach herkömmlicher Weise bringt
zunächst einmal, ähnlich wie die Erziehung im
"Geständnis von der Abtreibung", sicher auch oft den jungen
Menschen zur Einsicht in die Enthaltsamkeit. Allerdings ist die
Motivation dafür eigentlich mehr oder weniger Aversion gegen
Geschlechtsverkehr aus einer Mischung von Ekel und Scham, einer
Mischung, die der Brisanz des Sexuellen überhaupt nicht
gerecht wird. In der Wirklichkeit des "Ernstfalls" werden die
Gefühle für Ekel und Scham
erfahrungsgemäß nicht nur stets mit leichter Hand
beiseite geschoben, sondern sie verwandeln sich im Fall einer
Faszination zu einem andersgeschlechtlichen Menschen sogar noch ins
Gegenteil: Gerade das wird jetzt besonders interessant und
faszinierend. (Und wenn diese Gefühle nicht mit leichter Hand
beiseite geschoben werden, handelt es sich eben nicht um einen
"Ernstfall"!)
Und noch aus einem anderen Grund ist die Erziehung zur Scham
für praktisches sittliches Verhalten im allgemeinen nicht nur
wirkungslos, sondern sogar nachteilig: Sie begünstigt leider
weniger diejenigen, die sich mit Rücksicht und
Zurückhaltung einem jungen Menschen nähern, sondern
eher die Draufgänger! Mit der Scham wird nämlich bei
einem jungen Menschen eine innere Schranke aufgebaut, die eher
diejenigen durchkommen läßt, die sich dann gleich
"alles" nehmen! (Man kann nämlich auch im Schutz der Scham
seine Sinnlichkeit ganz gut verbergen!)
Voraussetzung für ein konsequentes Verhalten auch im
"Ernstfall" ist dagegen ein eigener Entschluß, der angesichts
wirklichkeitsgerechter Eindrücke - also auch ohne
Leibfeindlichkeit - zustande gekommen ist, der verinnerlicht und durch
intensives persönliches Gebet untermauert wurde - und der
daher nicht mehr so leicht beiseite geschoben werden kann.
3. Anstoß zur Verarbeitung weiterer
Informationen
Selbst von einem noch so perfekten Pädagogen
kann dem jungen Menschen letzten Endes doch nur eine begrenzte Anzahl
von Situationen dargestellt werden, damit er dadurch sein "inneres
Modell der Außenwelt" verbessert und
vervollständigt. Eine solche Aneinanderreihung von Situationen
würde allerdings irgendwann Langeweile hervorrufen, damit
einen Gegeneffekt auslösen ("nun gerade") und mit
größter Wahrscheinlichkeit doch nicht die spezielle
Situation des jungen Menschen treffen. Wichtiger und wirkungsvoller ist
es, wenn der junge Mensch eine Zeitlang "ohne Hormondruck", also noch
unbedingt vor der Pubertät, die Umwelt im Wissen um positive
und negative Folgen und mögliche Hintergründe
beobachten kann und, einmal darauf aufmerksam gemacht, seine
Beobachtungen in seinem "inneren Modell der Außenwelt" etwa
den Geboten Gottes gegenüberstellen kann. Ich bin
überzeugt, daß junge Menschen ein Verhalten gegen
die Gebote Gottes gar nicht mehr so attraktiv finden, wenn sie erst
einmal gelernt haben, dieses Verhalten besser zu beurteilen. Das hier
beabsichtigte "Weiterdenken" (griech.: metanoiein) wird bei uns heute
fälschlicherweise mit "Buße tun" übersetzt.
Auch junge Menschen können sehr schnell die Nachteile
erkennen, die ein solches Verhalten mit sich bringt, und beim inneren
Durchspielen dieser Situationen möglichst oft zu dem
Schluß kommen, daß ein treues Verhalten nach den
Geboten Gottes letztlich doch besser gewesen wäre. Somit
können auch Illustriertenberichte, Fernseh- und Videofilme,
dabei notfalls auch ausgesprochene Pornografie, also
Einflüsse, die bisher als glaubens- und
sittengefährdend angesehen werden und von denen wir aber
unsere Kinder doch nicht mit absoluter Sicherheit fernkalten
können, als "Lehrbeispiel" für die Gebote Gottes
empfunden werden und sogar glaubensfördernden Effekt haben.
Denn nur zu oft wird ja sogar in ausgesprochener Pornographie bei
näherem Hinsehen die Kehrseite der Medaille offenkundig. Auch
wenn ich mich an meine Jugend erinnere, kann ich sagen, daß
nicht nur die Meinungen über Homosexuelle, sondern auch
über Mädchen, die "reinfielen" oder "leicht zu haben
waren", im Grunde gar nicht positiv waren. Leider bewirkten diese
Meinungen bisher eher arrogante Verachtung und Spott. Vor allem betraf
solches Schicksal ja immer nur "die anderen".
Bei einer lebenspraktischen Erziehung im Sinn des
Christentums der leib-seelischen Einheit dürften diese
Meinungen mehr Verständnis für die Tragik anderer
Menschen auslösen und verstärkend auf die Motivation
wirken, eine Strategie für das eigene Leben zu entwickeln.
Doch nicht nur negative Beispiele werden transparenter, sondern auch
positive. Leider werden allerdings gerade hier die
Hintergründe, etwa die Einzigartigkeit und
Ausschließlichkeit bei einer großen Liebe, nie
hervorgehoben. Erst durch das Konzept der leib-seelischen Einheit kann
der junge Mensch ermessen, daß das aber Voraussetzung ist.
(Damit werden auch Theaterstücke und Opern
zugänglicher.)
Die Erkenntnisse, die ein junger Mensch mit dem
entsprechenden "Vorwissen" aus solcher Konfrontation für sich
erzielt, sind keinesfalls zu vergleichen mit der Wiederholung noch so
gut gemeinter und sicher auch gut begründeter
"Moralpredigten", denn bei diesen handelt es sich ja um eigene
Erkenntnis. Die hier vorgestellte christliche Pädagogik
läßt es sogar aussichtsreich erscheinen,
daß negative Erfahrungen, etwa von einem
"zerrütteten Elternhaus" her, zu einem positiven Effekt werden.
Das häufige Durchspielen aller möglichen Situationen,
von denen der junge Mensch erfährt, bewirkt bei geeigneter
Vorinformation selbständige Erkenntnis. Dadurch
dürfte es mit der Zeit zu echter geistiger Reife kommen,
höchstwahrscheinlich schon vor der Pubertät. Damit
wird eine Möglichkeit eröffnet, daß die
geistige Reife der körperlichen entspricht, wenn sie diese
nicht gar übertrifft.
Es wird damit auch eine heute noch von der Natur gewährte
Chance genutzt, vor der Pubertät zu der für diese
Phase notwendigen Reife zu kommen. Denn die Natur wartet ja vor allem
bei uns Menschen mit dem Eintritt in die "Pubertät" ziemlich
lange, nämlich mehrere Jahre seit Einsetzen des
Vernunftgebrauchs. Die größte Schwierigkeit scheint
hierbei allerdings nicht bei unseren Kindern zu liegen, sondern
daß die Eltern ihre Kinder völlig
unterschätzen. Die Kinder spüren ganz offensichtlich
instinktiv, daß die ganze Problematik ihren Eltern unangenehm
ist, und zeigen sich daher "uninteressiert". Als
Außenstehender habe ich da nur zu oft einen ganz anderen
Eindruck.
Statt frühkindliche Prägungen und Traumata als
schicksalhafte Entscheidung für Gelingen oder
Mißlingen des Lebens hinzunehmen, wird bei einer
Pädagogik der leib-seelischen Einheit auf eine Mobilisierung
von Gefühl und Intelligenz der jungen Menschen gesetzt. Eine
solche Mobilisierung dürfte schon deswegen
erfolgversprechender sein als eine Beeinflussung der
frühkindlichen Prägung, da ja nun letzten Endes nie
auszumachen sein wird, wie eine solche nun wirklich aussehen soll,
damit sie optimal ist.
4. Ausschaltung "falscher" Modelle
Früheres und heutiges "inneres Modell der
Außenwelt" junger Menschen dürfte zumeist auf den
einfachen Nenner
"Verliebt-Verlobt-Verheiratet-Kinder-Bekommen-Enkelkinder" zu bringen
sein. Eventuelle Enttäuschungen, Lieblosigkeiten,
Zerrüttungen, die auftauchen könnten, werden
für das eigene Leben überhaupt nicht in
Erwägung gezogen. Auch scheinen gerade Mädchen noch
heute überhaupt nicht darauf vorbereitet, worauf einer ihrer
ersten Flirte schließlich hinauslaufen kann.
Somit kann es auch gar nicht dazu kommen, daß der junge
Mensch bestimmte kluge Strategien entwickelt, mit denen er dann an die
Partnerschaftsproblematik herangeht, um negative Entwicklungen im
eigenen Leben vor vornherein zu verhindern. Der Lebensweg erscheint so
klar und problemlos, daß die Notwendigkeit einer Hilfe, wie
sie etwa durch Gebet und Sakramente angeboten werden könnte,
gar nicht erst in Erwägung gezogen wird. "Ich weiß
schon allein, was ich tue", lautet etwa eine selbstsichere Meinung, die
eine intensive Beziehung zum Glauben als überholt und
überflüssig abtut. Aufgrund falscher
Einschätzung der Lebenswirklichkeit kann der Sinn des Glaubens
gar nicht begriffen werden. Ich stehe bisweilen fassungslos einer
merkwürdigen Mischung aus Selbstsicherheit,
Gleichgültigkeit und Naivität junger Menschen
gegenüber. Meine Versuche, hier mehr Rationalität
hereinzubringen, werden als "Miesmacherei" empfunden.
Allerdings dürfte den jungen Menschen ihre unrealistische
Sicht gar nicht einmal anzulasten sein, denn es wurde ja bisher alles
getan, um bei ihnen das Zustandekommen eines wirklichkeitsnahen
"inneren Modelle der Außenwelt" zu verhindern. In ihrem
"inneren Modell der Außenwelt" sind sie so gut wie nie mit
der Konfrontation mit Risiken und Chancen und den entsprechenden
Strategien "belastet" worden, derartige Belastungen galten ja als
für junge Menschen unzumutbar ("denen zerstört man ja
damit die Unbefangenheit ihrer Jugend") und daher ungeeignet.
5. Jeder Mensch hat doch (wenigstens
zunächst einmal) Sehnsucht nach positiver Erfüllung
Nach den Untersuchungen des Lernpsychologen Werner
Correll streben alle Menschen im Unterbewußtsein (oder auch
besser noch in ihrem Bewußtsein) die Befriedigung gewisser
personaler Grundbedürfnisse an: "soziale Anerkennung,
Geborgenheit, Liebe/Vertrauen, Selbstachtung, Unabhängigkeit".
Auch bei jungen Menschen kann nach Corrells Auffassung eine Sehnsucht
nach Erfüllung vorausgesetzt werden, und zwar auch bei
denjenigen, die etwa infolge einer verfehlten Erziehung keine Erfahrung
mit der Erfüllung dieser Grundbedürfnisse hatten. Man
muß nämlich nicht unbedingt Liebe und Vertrauen in
der Kindheit erfahren haben, um im späteren Leben darauf zu
kommen. Es dürfte sogar so sein, daß wir umso mehr
Verlangen nach einem Gut haben, je mehr es uns fehlt, und daß
wir daher umso ansprechbarer sind. Damit können mit dem Modell
des leib-seelischen Christentums alle Menschen angesprochen werden, die
die Möglichkeit der dargelegten Erfüllung noch vor
sich haben.
6. Entscheidende
"Primärprägung"
Analog zu den "Lorenzschen Wildgänsen",
für die der erste Eindruck in ihrem Leben prägend
für das ganze weitere Leben ist, gibt es auch für uns
Menschen so etwas wie eine "Primärprägung". Erste
Erfahrungen und Informationen haben solche entscheidende Wirkung.
Spätere Informationen verstärken diese erste
Prägung, wenn sie ihr entsprechen. Entsprechen sie dieser
ersten Prägung aber nicht, wird die erste Prägung
dadurch aber nicht etwa abgeschwächt, sondern die
anderslautende Information wird einfach nicht wahrgenommen oder sogar
noch umgekehrt und für die Bestätigung des eigenen
Wissens "passend" gemacht. Dies mag folgendes Beispiel verdeutlichen:
Wenn jemand erst einmal etwas gegen die Juden hat, wird er aus allem,
was er über Juden hört, seine Einstellung
bestätigt finden. Positive Informationen über Juden
wird er gar nicht wahrnehmen oder sogar noch ins Gegenteil umkehren
nach dem Motto: "Da sieht man wieder, wie raffiniert diese Juden sind!"
Dazu kommt, daß wir Menschen nun einmal dazu
neigen, unser einmal vorhandenes Wiesen vor allem in Hinblick auf
unsere existentiellen Lebensprobleme als komplett und ausreichend
anzusehen, wir sperren uns gegen weitere Informationen, und das vor
allem, wenn es unbedingt notwendig wäre und noch letzte
Chancen für die Abwendung einer Katastrophe bestünden.
Eigentlich überrascht solches Verhalten nicht. Da der Mensch
in Modellen denkt, ist ein wirklichkeitsnahes "inneres Modell der
Außenwelt" zu Beginn seiner Information über die
Außenwelt unbedingt wichtig. Leider versäumen wir
gerade in unserer Erziehung, wenn es um den Lebenssinn geht, die Chance
einer brauchbaren "Primärprägung", auf der der junge
Mensch dann weiter aufbauen kann. Die Primärprägung
muß sich schon als völlig unsinnig und unbrauchbar
erweisen, damit sie schließlich über Bord geworfen
wird, was dann aber umso gründlicher und nachhaltiger
geschieht. Und genau dieses Phänomen erleben wir heute
gegenüber unserer christlichen Unterweisung. Die Folgen
falscher Erstinformation sind schon fatal! Sie sind zudem eine ganz
schwere Bürde für den späteren
Religionsunterricht.
7. Einfluß auf das Verhalten in
anderen Lebensbereichen
Selbst ein für einen noch so guten Zweck
vermitteltes strategisches Denken kann natürlich
mißbraucht werden, etwa in der Weise der Ellenbogenfreiheit
oder gar in hinterhältiger, niedriger Taktiererei. Die Frage
stellt sich hier, ob etwa ein idealistischer Soldat, um wieder einen
Vergleich aus dem militärischen Bereich zu bringen, der sich
Kampfmethoden angeeignet hat, um Frieden und Freiheit zu verteidigen,
diese Kampfmethoden "nach Dienst" als Terrorist zum Nachteil anderer
mißbrauchen könnte. Ergibt sich also eine Gefahr,
wenn unsere Soldaten zu gut ausgebildet werden? Sollte man es also aus
Sicherheitsgründen vorziehen, sie naiv und unfähig zu
belassen?
Inder gleichen Weise - und nur so! - stellt sich doch die Frage, ob man
junge Leute "aus Sicherheitsgründen", das heißt um
größeren Schaden zu verhüten, nicht lieber
wie bisher naiv und unfähig belassen sollte. Ich jedenfalls
kann diese Bedenken nicht verstehen. Es mag sein, daß
Menschen, denen wirklichkeitsgerechte Einsichten und brauchbare
Lebensstrategien beigebracht wurden, nicht immer sonderlich bequem
sind. Doch es ist mir unvorstellbar, daß strategisches
Denken, das zum eigenen Glück und zum Glück anderer
übernommen wurde, in Übereinstimmung mit den Normen
unseres Glaubens in kleinlicher Weise mißbraucht werden
könnte. Einen solchen Mißbrauch können doch
nur kleinliche Krämerseelen, die selbst keine Ideale mehr
haben, die unserem Glauben entsprechen, befürchten! Denn das
Gegenteil vom Mißbrauch ist wohl eher der Fall: Die Menschen,
die gelernt haben, in fairen Strategien in ihrem Leben vorzugehen,
haben Hinterhältigkeit und niedere Taktiererei gar nicht mehr
nötig!
Viel wahrscheinlicher als ein Mißbrauch des strategischen
Denkens dürfte eine positive Wirkung auf andere Lebensbereiche
sein. Als
Beispiel sei das Drogenproblem genannt. Entscheidende Ursachen, zur
Drogensucht zu gelangen, könnten von allein verschwinden:
a) Die Konfliktsituation und der darauf aufbauende
Versuchungsmechanismus ist sicher weitgehend mit dem beim Beginn
sexueller Handlungen identisch. Da die Fragen: "Gehört es
nicht zu meinem Status, mitzumachen?", "Verpasse ich nicht etwas?",
"Bin ich nicht unmodern und verklemmt?", "Muß man nicht
einfach einmal so etwas probiert haben?", "Hat Gott, hat die Religion
mir überhaupt in so etwas hineinzureden, ist das nicht alles
Privatsache?" bereits einmal im Sinne einer besseren
Lebensführung beantwortet wurden, ist es aussichtsreich,
daß jetzt genauso gedacht und gehandelt wird. Dieser ganze
Versuchungsmechanismus könnte durch eine Pädagogik im
Sinne eines leib-seelischen Christentums ein für allemal
durchschaut sein.
b) Der weitere Grund, Drogen zu nehmen, nämlich
Enttäuschungen, Verzweiflung, Verlassenheit, entfällt
- das war jedenfalls der Sinn der vielleicht "einseitigen" vorliegenden
Pädagogik, die damit eben doch nicht so einseitig war!
8. Vermeidung von "Enthaltsamkeitsqualen"
Es dürfte erheblich leichter sein, sich der
Dinge zu enthalten, die man nicht aus eigener Erfahrung kennt, als von
Dingen, die man bereits "gekostet" hat, bei denen man etwa "auf den
Geschmack" gekommen ist. So beruht der Antrieb zur ersten Zigarette
gewiß nicht auf einer Nikotinsucht, der Antrieb zum ersten
Drogentrip gewiß nicht auf einer Drogenabhängigkeit.
Der eigentliche Antrieb zum Beginn liegt also auf einer anderen Ebene,
etwa im Erkenntnisstreben des Menschen oder im Wunsch, sich nicht aus
einer Gemeinschaft auszuschließen. Dieser Mechanismus trifft
eichet auch auf den Sexualtrieb zu. Bei Jungen durchbricht vielleicht
schon die Selbstbefriedigung diese gewisse "Trieblosigkeit". Vor allem
jedoch "unerfahrene" Mädchen werden keineswegs von ihrem
Sexualtrieb gedrängt, allenfalls fühlen sie sich in
die körperliche Nähe des geliebten Freundes
hingezogen, sehnen sich etwa nach möglichst umfassenden
Hautkontakt - oder wollen einfach "in" sein.
Eine frühe Information ermöglicht den jungen Menschen
eine Vorstellung der eigenen Triebhaftigkeit und
läßt es zu einer frühzeitigen Entscheidung
kommen, sich nicht durch Spielereien mit dem eigenen Körper
unerträglichen "Enthaltsamkeitsqualen" auszusetzen. Von dieser
Entscheidung hängt weitgehend die praktische
Durchführbarkeit des vorliegenden Modells eines auf
leib-seelische Einheit ausgerichteten Christentums ab.
9. Vermeidung der Kompromittierung junger
Menschen "mit Erfahrung"
Bei älteren Schülern ist es sehr
wahrscheinlich, wenn nicht gar die Regel, daß die
"Erfahrungen", die ja vermieden werden sollen, bereits gemacht sind. Es
ist nun nicht Aufgabe eines Pädagogen an einer staatlichen
Schule, diesen Schülern das Herz schwer zu machen, sondern
ihnen in ihrer Situation zu helfen. Auf der anderen Seite ist eine
deutliche Sprache erforderlich, um "unerfahrene" Schüler zur
Einsicht zubringen. Eine Lösung des Probleme, die einen
Schüler nicht noch mehr zu belasten, die anderen
Schüler aber zur Einsicht zu bringen, kann nur ein
frühzeitiger Einsatz des vorliegenden Modells bringen. Nur
derjenige Zeitpunkt ist wirklich geeignet, an dem bei allen jungen
Menschen noch von einer "Unerfahrenheit" ausgegangen werden kann. Ich
erinnere mich noch gut daran, wie ich mich einmal über das
alles mit Erstkommunionkindern
(8 - 10 Jahre) unterhalten habe und wie aufgeschlossen und
zugänglich sie waren. Gefehlt hat mir eigentlich nur ein
Gespräch mit den Eltern, doch zumindest teilweise hatten die
Kinder das dann selbst geführt - und die Eltern, die mit mir
sprachen, waren voll einverstanden!
10. Verständnis der Heranwachsenden
für die Ermahnungen ihrer Erzieher
Eltern klagen oft, daß es vergeblich sei,
junge Menschen vor allem in den Fragen ihrer "Freundschaften" zu
ermahnen, junge Menschen wollten offenbar gar nicht hören und
müßten daher ihre oft leidvollen "Erfahrungen" ganz
offensichtlich schon machen, da sei eben wohl nichts zu
ändern. Vor dem Hintergrund des in den jungen Menschen
vorhandenen "inneren Modells der Außenwelt" ist jedoch die
Frage zu stellen, ob die jungen Menschen überhaupt auf die
Ermahnungen ihrer Eltern hören konnten? Ob die jungen Menschen
überhaupt die Sorgen ihrer Eltern ermessen konnten? Im
"inneren Modell der Außenwelt" der jungen Menschen waren,
seelische Schwierigkeiten, vor allem solche durch große
Verliebtheit, die auf sie selbst zukommen könnten, ja gar
nicht "einprogrammiert", also wurden sie. auch gar nicht einkalkuliert
und es fehlt jegliche Zugänglichkeit für
entsprechende Ermahnungen. Die Sorgen und Ermahnungen der Eltern stehen
im Widerspruch zum vorhandenen "inneren Modell der
Außenwelt"; alle Ermahnungen werden jetzt als Miesmacherei
und überflüssig empfunden. Lange genug war ja
verfehlte Liebe mit anrüchiger Sexualität, mit Scham
und Ekel in Verbindung gebracht worden, doch das, was der junge Mensch
jetzt erlebt, ist da ja etwas ganz anderes! Das ist doch etwas
fürs Leben, und da gehören doch einfach auch
Zärtlichkeiten und schließlich der ganze
Körper dazu!
Jetzt rächt sich alles, was versäumt wurde, dem
jungen Menschen zu einem wirklichkeitsnahen "inneren Modell der
Außenwelt" zu verhelfen und Unzutreffendes abzubauen. Jetzt
rächt sich, daß lange Zeit darauf vertraut wurde,
daß schon alles "gut" gehen werde und daß man
günstige Zeitpunkte untätig verstreichen
ließ.
Wenn sich nämlich nicht wirklichkeitsnahe und umfassende
"innere Modelle der Außenwelt" bei jungen Menschen bilden
konnten, was zum passenden Zeitpunkt hätte leicht geschehen
können, bilden sich eben verzerrte und einseitige
außerhalb jeder Kontrolle. Ein Bild hierzu aus der
Landwirtschaft: Wenn ein Acker nicht zum rechten Zeitpunkt bestellt
wird, ist er halt zur Erntezeit nur voller Unkraut, irgendetwas hat
sich immer angesät! Als Lehrer an weiterbildenden Schulen
haben wir dann dieselben Schwierigkeiten vor uns wie die Eltern, gegen
diese ungewünschten Modelle anzukommen.
Möglichkeiten, hier noch entscheidend einzugreifen,
dürften nur unsichere Chancen haben. Der Unterricht
ähnelt dann mehr Versuchen, um Verständnis zu werben,
Vorurteile abzubauen, auf die tatsächlichen und
nebensächlichen Anliegen des Christentums aufmerksam zu
machen, Klimaverbesserung zu erreichen, an die Vernunft zu appellieren,
um die schlimmsten Folgen eines Verhaltene ohne Religion zu vermeiden.
Von daher sind auch diejenigen Religionslehrer zu verstehen, die bei
der ganzen Sexualthematik nur noch auf die Methoden der
Empfängnisverhütung aufmerksam machen, ihnen bleibt
oft einfach nichts anderes mehr übrig...
In jedem Fall ist ein zutreffendes, auch im Denken erprobtes und
bestätigtes "inneres Modell der Außenwelt" eine
bessere Voraussetzung für das Verständnis
gegenüber Eltern und anderen Pädagogen.
Möglicherweise ist das Verständnis dann sogar so
groß, daß sich "Moralpredigten" überhaupt
erübrigen, die zusätzlich zu ihrer Nutzlosigkeit ja
doch nur den Frieden zwischen den Generationen beeinträchtigen
und damit weiteren Negativeffekt haben. Und wir an den weiterbildenden
Schulen könnten dort aufbauen, wo wir jetzt im besten Fall
aufhören!
Weiterhin dürfte das Denken nach dem
"militärischen Informationsmodell", also das
mathematisch-spieltheoretische Denken, ausdrücklich logisches
und konsequentes Denken fördern, und dazu keineswegs auf
Kosten der "Gefühlswerte" oder gar der Moral. Ich denke auch
an ein verbessertes Theorie-Praxis-Verhältnis. Junge Menschen
haben sozusagen heute kaum ein solches Verhältnis, denn vor
allem an ihren existentiellen Bedürfnissen stellen sie laufend
fest, daß die Wirklichkeit "ganz anders" ist. Wenn junge
Menschen erst einmal bestätigt finden, daß das, wes
sie in ihrem Denken durchmachen, auch im Bereich ihres
persönlichen Strebens nach Glück auf die Wirklichkeit
anwendbar ist, wächst mit Sicherheit automatisch der Sinn und
das Verlangen gegenüber Denkanstrengungen in anderen
Bereichen. Derjenige, der positive Erfahrungen mit dem Denken bei
seinen persönlichsten Fragen hat, wird diese Anstrengungen
auch weiter pflegen. Und Denkenkönnen und
Gefühlehaben sind kein Widerspruch mehr!
11. Notwendigkeit "göttlicher" Hilfe
Die Unangebrachtheit allzu großer
Selbstsicherheit wurde bereite in Kapitel III dargelegt, wenn es um die
Erwartung einer glücklichen Zukunft geht. Selbst das
geschickteste "strategische Konzept" läßt sich immer
noch durchkreuzen.
Um ganz sicher zu gehen, sind wir auf göttliche Hilfe
angewiesen! Für junge Menschen gibt es da seit alters her ein
ansprechendes und umfassendes Konzept - man muß es nur in
dieser Sicht erkennen und einsetzen: die ersten Sakramente unseres
christlichen Glaubens! Das Besondere an unserem Glauben ist
nämlich, daß nicht nur mit Geboten und Verboten
Maßstäbe gesetzt werden, sondern daß auch
eine Unterstützung gleich "mitgeliefert" wird!
So geht es bei Taufe und Firmung (confirmatio) schon von den
überlieferten Texten her überhaupt nicht um die heute
so in den Vordergrund gerückte Aufnahme in die Gemeinde. Es
geht vielmehr um die Befreiung von Fehlentscheidungen in existentiellen
Lebensfragen (= Sünden). Es ist kaum zu übersehen,
wie sehr dabei bis ins Detail strategisches Denken Pate gestanden hat.
Da wurde etwa der Begriff 'sacramentum' (Fahneneid) aus dem
militärischen Denken entlehnt, da wurde die Ölung bei
Taufe und Firmung (in der Urkirche am ganzen Körper!) als
Stärkung zum Kampf von den Ringkämpfern in der Arena
übernommen. Vor allem weisen auch die sieben Gaben der Firmung
auf strategisches Denken hin, denn die ersten vier davon werden heute
noch den Offiziersschülern der Bundeswehr für ihre
kampfbezogenen Überlegungen eingebläut. Die Beziehung
ist so offensichtlich, daß ich sie kurz skizziere:
Heutiges
militärisches
Kampfschema:
Geistesgaben der confirmatio:
____________________________________________________________________________________
1. Bild der Lage,
sowohl der eigenen wie der des
Gegners
Wissen als Fähigkeit des praktischen Lebens
2. Beurteilung der
Lage
Verständnis / Einsicht*
3.
Entschluß
Rat / Plan**
4.
Handeln
Stärke / Standhaftigkeit***
*)
Verständnis / Einsicht als Fähigkeit, einen
Tatbestand in seiner vollen Wirklichkeit und in seinen Folgen zu
durchschauen
**)Rat / Plan als Fähigkeit, Mittel und Wege zu finden,
Schwierigkeiten zu überwinden und Gefahren zu vermeiden
***) Stärke/ Standhaftigkeit als Art und Weise der
Ausführung der gefaßten Vorsätze
(nach "Stärkung zum Kampf - Eine Untersuchung zu den Wirkungen
des Firmsakraments", Diplomarbeit. Münster 1973, Deutung der
Geistesgaben nach: Martin Rehm, Der königliche Messias, 1988
und Joseph Knabenbauer, Erklärungen des Propheten Isaias, 1881)
Mit dem Herabflehen weiterer Gaben (Erkenntnis Gottes,
Frömmigkeit und Furcht Gottes) zusammen mit der genannten
Ölung und noch einer Handauflegung (Weitergabe
göttlicher Kraft) wird demjenigen, der für sein Leben
nicht auf Gottes Hilfe verzichten möchte, diese zugesichert.
Da dieser lebenspraktische Sinn allerdings zur Zeit bei der
Sakramentenspendung nicht vorgesehen ist, sollte ihn jeder für
sich in seinem eigenen Interesse sehen.
Der Sinn des Abendmahls (Kommunion) ist mit großer Sicherheit
in derselben Richtung zu finden, auch hier geht es um eine
Stärkung für unser persönliches
Glück. Immerhin essen und trinken wir hier Leib und Blut
Christi nach dem Glauben der Kirche. Was hier geschieht, hat seinen
Ursprung in den Menschenopfern mit nachfolgendem Genuß des
Fleisches. Man glaubte, daß Geist und Kraft des Toten dadurch
weitergegeben werden. Jesus hat nun mit seinem Opfer diese
Menschenopfer endgültig abgeschafft, ohne allerdings dabei auf
das Anliegen zu verzichten. Nur jetzt kommen der Geist und die Kraft
Gottes noch viel intensiver auf die, die darum bitten!
Besonders folgt die obige Interpretation der Firmung der Intention der
Kirchenväter, die dieses Sakrament in die frühe
Kirche eingeführt haben. Die Kirchenväter standen bei
der Beurteilung des trostlosen heidnischen Lebens zu ihrer Zeit ganz
offensichtlich vor derselben Problematik wie wir heute. Bei ihren
Bemühungen, den damaligen jungen Menschen zu helfen, anders zu
leben, sind sie zu einem ähnlichen Konzept gekommen, wie das
in diesem Buch dargelegte. Mit Sicherheit können wir
jedenfalls davon ausgehen, daß Tabuisierungen, etwa des
ganzen Sexualbereiches, auch damals gänzlich
unmöglich waren. Dazu waren damals einfach die
Verhältnisse zu offenkundig und die Macht der Christen zu
gering. Und warum sollte trotzdem eine Änderung, wie sie
damals möglich war, nicht auch heute möglich sein?
D.
Selbstzucht und Neurosen
Die Annahme, daß die Unterdrückung der menschlichen
Triebe, und da vor allem des Sexualtriebes, schädlich sein
kann, weil in der Folge davon Neurosen möglich sind, ging vom
österreichischen Neurologen und Psychotherapeuten Sigmund
Freud (1856-1939) aus. Freud nahm als menschlichen Zentraltrieb den
Geschlechtstrieb an. Da nun - nach Freud - gerade die Entfaltung der
geschlechtlichen Triebhaftigkeit ("Es") durch gesellschaftliche Regeln
und Tabus ("Über-Ich") unterdrückt wird, kommt es
beim Menschen zu einem Konflikt zwischen seinem Sexualtrieb und dem,
was er gemäß den gesellschaftlichen Regeln und Tabus
und auch den Vorschriften der christlichen Religion eigentlich tun
sollte. Denn er tut das, was seiner Triebhaftigkeit entspricht,
weiß aber, daß er es nicht tun darf, und hat
deswegen ein schlechtes Gewissen. Aus diesem Konflikt zwischen
"Über-Ich" und "Es" ergeben sich Fehlentwicklungen, die
tatsächlich zu Neurosen führen können. Und
da die Normensphäre sehr stark von der christlichen Religion
geprägt wird, sieht Freud in ihr den Hauptschuldigen
für die psychischen Fehlentwicklungen der heutigen Menschen.
Und tatsächlich: Argumentiert die christliche Religion nicht
für die Einhaltung von Normen im sexuellen Bereich mit allen
möglichen "Über-Ich-Begründungen": Angst vor
der Bestrafung durch Gott, Errettung oder Verdammnis nach dem Tod,
Kränkung des sich für uns aus Liebe hingebenden
Jesus, Allgegenwart Gottes und seine "ständige
Beobachtungsmöglichkeit"?
Freud kommt dabei allerdings trotz seiner Bedenken keineswegs zu einer
Ablehnung aller Über-Ich-Normen und damit zu einer Empfehlung
ungezügelter Triebhaftigkeit. Er erkennt die Notwendigkeit der
Triebunterdrückung, weil es sonst zur Zerstörung der
Persönlichkeit kommen kann. Nach Freud ist der Ausweg die
"Sublimierung" der Triebe, das heißt die
Überführung "niederer Triebregungen" in
höhere und differenziertere Bereiche. Um dies zu erreichen,
kann sich Freud als Nichtchrist offensichtlich nur den Weg
über die Verhüllung von Körperteilen
vorstellen, wenn er schreibt, daß der "Verlust der Scham das
erste Anzeichen von Schwachsinn" ist. Die Problematik einer Erziehung
zur Scham wird in diesem Buch und im Konzept basisreligion
daher entsprechend behandelt, denn hier irrte Freud wohl.
Sinn des Konzepts der diesseitigen Einheit von Leib und
Seele ist nun die unmittelbare Einsicht in die Vorteile der
Beherrschung der Triebe durch Selbstzucht aus Eigeninteresse. Schon das
Kind soll in die Einsicht hineinwachsen, daß ein
Nichtbeherrschen des Sexualtriebes die Zerstörung der
ersehnten Einheit von leiblichen und seelischen Sehnsüchten
mit sich bringt und damit verderblich ist. Es ist angestrebt,
daß die Einsicht in diese Zerstörung unmittelbar dem
"Ich", das heißt der Persönlichkeit des Menschen
zugänglich wird. Sobald sich nun - mit der Pubertät -
Triebregungen einstellen, kommt es natürlich auch hier zu
einem Konflikt, allerdings nicht zwischen unverstandenen Normen und der
Triebsphäre, sondern zwischen dem persönlichsten
Interesse des Menschen an sich selbst und seiner Triebsphäre.
Auch dieser Konflikt ist sehr intensiv und kann, wenn er nicht
zugunsten der Persönlichkeit ("Ich-Sphäre") ausgeht,
zu Neurosen führen.
Damit nun dieser Konflikt, dessen erfolgreiches
Durchstehen die Persönlichkeit nur stärkt, auch
zugunsten des Ichs, also des echten und sinnvollen Eigeninteresses,
ausfällt, wird im vorliegenden Konzept sehr oft und sehr
deutlich auf die Hilfe Gottes hingewiesen. Gott ist nicht mehr
Selbstzweck der Einhaltung von Normen, denn das liegt ja im
Eigeninteresse, sondern uneigennütziger Helfer!
Die Konfrontation mit der Wirklichkeit, die allein zu einem
realistischen Bild von der Wirklichkeit und von daher auch in der
Phantasie schon des jungen Menschen zu sachgerechten Strategien
führt, kann nun auch dank dieses "helfenden Gottes" keinen
Schrecken vor dem Leben, keine Lebensangst mehr erzeugen. Und wenn der
Glaube an Gott zunächst nur dadurch wirkt, daß sich
der betende Mensch durch eben dieses Gebet selbst verändert,
ist schon viel erreicht - Gott können wir ohnehin nicht
verändern! Ein Gelingen des Triebverzichts durch das Gebet
erhöht das Selbstbewußtsein, ein Versagen erscheint
mir dagegen bei einem wirklich innigen Glaubensleben kaum mehr
möglich. Das "Lamm Gottes" hat endlich "die Sünden
der Welt" hinweggenommen - auch die Gefahr von Neurosen durch
Triebverzicht gibt es dann nicht mehr!
E.
Lebensideale und Gemeinschaftsunterricht
Gehört die empfohlene Pädagogik aber
nicht in den Bereich der Familie, weil sie schon von der
Intimität her für den Unterricht in einer
Gemeinschaft ungeeignet ist? Hat nicht der Unterricht in Schule und
Gemeinde hier bestenfalls unterstützende und begleitende
Funktion?
Wer diese Forderungen stellt, verkennt doch die
Realität! Die Eltern sind doch im allgemeinen ihren Kindern
gegenüber viel befangener als Außenstehende und
überlassen nur zu gerne die entsprechenden Gespräche
Vertrauenspersonen. Leider mangelt es daran, weil vor allem die
möglichen Vertrauenspersonen in Schule und Kirche nur zu oft
ihre Aufgabe gar nicht sehen oder jedenfalls nicht in der von den
Eltern erwarteten "Linie" erfüllen.
Doch vor allem: Was haben unsere Kinder von einer Erziehung zu einem
Leben mit höchsten Idealen durch die Eltern, wenn andere
Kinder nicht auch zu einem solchen Leben erzogen werden?
Um hier ein Beispiel aus einem anderen Bereich als dem der Ehemoral zu
nennen: Was hätten unsere Kinder davon, wenn sie in einer
Gesellschaft, in der das Stehlen "normal" ist, als einzige treu zum
Verbot des Stehlens (7. Gebot) stehen? Stehen solche Kinder mit ihrer
prinzipientreuen Einsteilung dann nicht im praktischen Leben hilflos
und aufs Höchste benachteiligt da? Wäre es da nicht
besser gewesen, wenn ihnen das Stehlen nie verwehrt worden
wäre und sie vielleicht noch eine "Erziehung" in dieser
Richtung erfahren hätten? Mit einer "Nicht-Stehlen-Moral" in
einer andersdenkenden und andershandelnden Umwelt werden unsere Kinder
doch nur lebensuntüchtige Ausbeutungsobjekte. Entweder, wir
unterlassen also eine Erziehung zum Nicht-Stehlen, oder wir sorgen
dafür, daß unserer Kinde sich wehren können
(auch noch eine Möglichkeit!), aber wohl vor allem,
daß etwas grundsätzlich für alle
geändert wird.
Um wieder zu unserer Sexualpädagogik zu kommen: So und nur so
stellt sich doch die Frage, ob die Familie oder die Gemeinschaft
für diese Pädagogik zuständig ist! Wenn nur
einzelne Kinder von ihren Eltern her mit höchsten Idealen nach
Liebe, Treue und Ausschließlichkeit der Partner aufwachsen,
wenn sie auch gelernt haben, sich an diese Ideale zu halten, wenn
ansonsten aber niemand etwas von diesen Idealen hält, kommen
diese unsere Kinder eines Tages ganz zwangsläufig in
größte Schwierigkeiten und sind daher aufs
Höchste benachteiligt. Es wäre für sie
besser gewesen, wenn wir sie nie mit unseren Idealen "vollgestopft"
hätten. Um also eine "Sonderstellung" unserer Kinder von ihren
Idealen her zu vermeiden, ergibt sich zwangsläufig die
Forderung nach einer Gemeinschaftspädagogik. Eine solche
Pädagogik darf dann von den Eltern nicht behindert werden und
muß in Übereinstimmung mit ihnen stehen, aber der
zuständige Ort dafür ist eben nicht die Familie! Die
Eltern sollten dazu gegebenenfalls sich etwa eine Gemeinde aussuchen,
wie sie ihren Vorstellungen entspricht, oder zumindest in ihrer
Gemeinde mit Nachdruck entsprechende Forderungen vertreten. Neben der
kirchlichen Gemeinde kommt natürlich auch der
Religionsunterricht in der Schule in Frage.
Je mehr junge Menschen sich von den Vorteilen eines Lebens nach unserem
christlichen Glauben überzeugen lassen, desto einfacher
dürfte es für den einzelnen sein "mitzumachen". Ich
hoffe sogar auf einen "Aufschaukelungseffekt", das heißt,
daß es zu gegenseitiger Anspornung kommt, wenn eine
prinzipientreue, idealistische Haltung im sexuellen Bereich erst einmal
nicht mehr den Geruch der "altjüngferlichen Verklemmtheit",
der "Langweiligkeit", der "Grünheit", der
"Mauerblümchenhaftigkeit" hat, sondern als Zeichen
"größeren Durchblicks"
gilt - und das bei gleichzeitiger größerer
Unbefangenheit zueinander.
Mit dem christlichen
Gemeinschaftsunterricht-Erziehungsmodell wird gleichzeitig der Gefahr
vorgebeugt, daß sich bei den Kindern ausgerechnet ein
mögliches negatives Schicksal der Eltern wiederholt. Die
Geschlechtserziehung etwa einer in eigener Ehe frustrierten Mutter
führt leider zumeist auch zu einer frustrierten Tochter. Eine
solche Mutter wird ihre Tochter nämlich im allgemeinen so
massiv und gleichzeitig verkrampft zu leiten suchen, daß nun
gerade alles wieder schief geht! Die Tochter wird sich entweder
übereilt und kurzsichtig von allen Erziehungsversuchen
befreien, damit auf eine "große Liebe auf den Augenschein
hin" hereinfallen, oder sie wird gehorchen und damit genau nicht anders
handeln als, ihre Mutter in ihrer Jugendzeit.
Eine Erziehung zu einer "besseren Welt" ist und bleibt
Gemeinschaftssache, die den Rahmen der Familie sprengen muß!
Eine unverwässerte Botschaft Jesu - vergleichbar mit
unverwässertem und das bei gleichzeitiger Sprit bei einem
liegengebliebenen Auto - eröffnet hier neue Chancen. Besonders
am Beispiel des Firmsakraments wurde gezeigt, wie sich mit besserer
Glaubensauslegung ein völlig anderer Sinn ergibt, und
daß wir damit dann auch gegenüber allen
möglichen modernen Zeiterscheinungen gelassener sein
können. Und eine auf besserer Glaubensauslegung aufbauende
Pädagogik, die im übrigen viel spontaner sein kann
als eine mit der bisherigen Auslegung im Hintergrund, rückt
eine bessere Welt wenigstens für die Zukunft unserer Kinder
tatsächlich in greifbare Nähe. Wir müssen
nur Sorge tragen, daß damit begonnen wird!
Die wichtigste Aufgabe für Sie als Eltern dabei ist:
Verhindern Sie vor allem, daß bei Ihrem Kind eine
selbstgefällige Arroganz aufkommt! So ist es unbedingt
nachteilig für Ihr Kind, wenn es beim Anblick pornographischer
Abbildungen o. ä. Abscheu oder gar Spott verspürt.
Das ist keine edle Haltung. Helfen Sie Ihrem Kind lieber stattdessen
mit Gott darüber zu sprechen, etwa folgendermaßen:
"Lieber Gott, auch diese Menschen haben sich zuerst einmal in ihrem
Leben nach umfassender Liebe und nach echtem Glück gesehnt.
Wahrscheinlich haben sie jetzt niemanden, dem sie sich wirklich
anvertrauen können, bei dem sie sich voll geborgen
fühlen können. Sie werden nur um ihres
Körpers willen "geliebt". Wie mag das begonnen haben? Sie
haben geglaubt, das Glück und die Liebe ohne die Gesetze
Gottes nach eigenem Gutdünken erreichen zu können.
Sie sind damit gescheitert. Hilf ihnen, daß sie doch noch in
ihrem Leben etwas von wirklichem Glück erfahren, und hilf mir,
daß ich immer auf Deinen Wegen bleibe, selbst wenn mir das
einmal sehr schwer fallen sollte!" Mit solchem zielgerichteten Gebet
Ihres Kindes können Sie mithelfen am Grundstock einer inneren
Beziehung zu Gott, die mir unbedingte Voraussetzung für ein
Leben in Liebe zu sein scheint. Wahrscheinlich ist es allerdings
notwendig, daß Sie als Eltern zuerst einmal selbst in eine
tiefere Beziehung zu Gott treten!
Zur Literatur: "Bei der Theorie von der zuverlässig
erfreulichen Wirkung einer günstig verlaufenden Kindheit
handelt es sich um einen Mythos". Gegen diesen Mythos - auch eine Art
Aberglaube wendet sich: Hansjörg Hemminger, Kindheit als
Schicksal?, Rowohlt-Verlag, Reinbek b. Hamburg, 1982 Sehr lesenswert!
V. ENTTÄUSCHENDE
VERLIEBTHEIT ODER ERFÜLLENDE LIEBE
"Alles blasse Theorie", sagte mir vor Jahren auf meinen Unterricht hin,
in dem ich eigentlich ausschließlich die Bedeutung von Treue;
Liebe und seelisch-geistiger Harmonie für das Gelingen einer
ehelichen Partnerschaft für bedeutsam hielt, eine
19-jährige orientalische Schülerin. Sie sei seit zwei
Jahren verheiratet, sei entsprechend den Forderungen ihrer muslimischen
Religion als Jungfrau in die Ehe gegangen und erlebe wohl gerade wegen
dieser Prinzipienstrenge ein Fiasko im körperlichen Bereich -
da helfe alle geistig-seelische Harmonie nichts! Bei jedem intimen
Zusammensein mit ihrem Mann empfinde sie so unerträgliche
Schmerzen, daß ihr die ganze Sexualität zuwider sei.
Sie würde daher allen empfehlen, nicht so blind in eine Ehe zu
stolpern und eben vorher "auszuprobieren", trotz möglicher
Enttäuschungen!
So oder ähnlich mag es auch vielen Christen gegangen nein, als
sie sich von den strengen Enthaltsamkeitsregeln und -geboten unseres
Glaubens "befreiten" und sich ihre Moral selber machten. Ob dadurch das
Glück allerdings größer und allgemeiner
wurde, ist fraglich, denn es entstanden auch wieder neue
Zwänge! Vor allem ist schade, daß es durch diese
"Befreiung" auch zu vielem Leid, zu vielen Enttäuschungen kam,
die bei strenger Moral sicher hätten vermieden werden
können. Wieviel erfüllende Romantik, wieviel
Unbefangenheit, wieviel menschliche Harmonie wurde und wird heute noch
dabei sinnlos zerstört!
Leider sieht es im Zusammenhang damit heute so aus, daß
unsere kirchlichen Gemeinden mit derart "zerstörten" Menschen
mehr anfangen können als mit "unzerstörten". Sind wir
dadurch nicht eine "Religion der Sünder" geworden, statt eine
"Religion der Erlösten" zu sein, das heißt derer,
die eben keine "Sünder" sind? Können wir uns
überhaupt das Christentum als eine "Religion der von der
Sünde Befreiten" vorstellen? Da mit den Büchern von
Erich Fromm ("Die Kunst des Liebens", Ullstein-TB 35258) und Peter
Lauster ("Die Liebe, Psychologie eines Phänomens", Reinbek b.
Hamburg 1982) ganz offensichtlich eher denjenigen geholfen werden soll,
die sich über die ihnen zu engen moralischen Vorstellungen
unseres christlichen Glaubens hinweggesetzt haben und auch noch
hinwegsetzen, soll das Folgende vor allem einmal diejenigen betreffen,
die an einer "Religion der von der Sünde Erlösten"
interessiert sind, also vor allem noch unbelastete junge Menschen.
Gerade deren Glück darf nicht ein Lotteriespiel sein, wenn sie
sich an die Gebote und Normen unseres Glaubens halten. Sollen diese
Gebote und Normen denn nicht Garantie für ein
glücklicheres, bewußteres und intensiveres Leben
sein?
Man benötigt nun gänzlich andere Mittel und Methoden,
um jemanden vor dem Reinfallen in eine tiefe Grube zu bewahren, der
unbekümmert noch oben auf dem Rand herumhampelt, als jemanden,
der schon hereingefallen ist, herauszuholen, um einen anderen Vergleich
als den mit der Vorbeugung vor oder Heilung von einer Krankheit zu
verwenden, wie im vorigen Kapitel geschehen. In einem Konzept zur
Vorbeugung vor dem "Hereinfallen" müssen zwangsläufig
"Empfehlungen" oder "Tips" gegeben werden. Wenn für manche den
Jugendjahren Entwachsenen diese Anregungen paradox klingen, so bitte
ich um Verständnis, denn das alles hängt mit den
unterschiedlichen "Verfahren" von "Vorbeugung" und "Heilung" zusammen.
In jedem Fall sind die Empfehlungen vor dem Hintergrund der Normen
unseres Glaubens in vielen Gesprächen mit Schülern,
Eltern, Freunden, von mit vom Glück Erfüllten und vor
allem nicht so recht Erfüllten und aus zahlreicher Literatur
erarbeitet.
A.
Störung und Zerstörung der Leib-Seele-Einheit aus
Unkenntnis oder aus Charakterschwäche
Es gibt in der Frage der Unkenntnis oder der
Charakterschwäche nicht eine geschlechtsspezifische Einordnung
nach "Böcken und Schafen" - jeder, ob männlich, ob
weiblich, kann charakterschwach sein! Geschlechtsspezifisch ist
allenfalls der Deckmantel, unter dem sich die
Charakterschwäche zeigt.
In dem im 1. Kapitel angeführten Zitat von Arno
Plack ist es eher Sache des Mannes, eine Frau zu verachten, zu
versachlichen, wenn er sie als bloßes Sexualobjekt ansieht,
während es der Frau eher vorbehalten bleibt, nicht so sehr auf
die Harmonie mit einem Mann aus zu sein, sondern auf sein Einkommen und
seine Position. Daher wird in den Vertraulichen
Gesprächen vor allem einmal konkret auf die
Verachtung so mancher Jungen für die Mädchen (und
bisweilen auch umgekehrt) eingegangen, wenn sie Liebe und Vertrauen
vortäuschen, um zu unverbindlichen sexuellen Erlebnissen zu
kommen. "Du mußt das Vertrauen haben, dann kannst du mit
einem Mädchen machen, was du willst", so lautet etwa ein
charakterloser Tip. Wir erkennen dabei deutlich, daß der eine
Partner der Arglose ist und der andere der "Arglistige". Selbst wenn
der "Arglose" freiwillig mitmacht, dürfte dieses Mitmachen vor
allem darauf zurückzuführen sein, daß er
sich über die wirkliche Bedeutung einer leib-seelischen
Harmonie überhaupt nicht im klaren ist. Und so ist es auch bei
den Frauen, wenn sie hinter Geld und Position der Männer her
sind. Erleichtert wird wohl gerade besonders attraktiven Frauen solches
Vorgehen, wenn sie glauben, sich möglichst "teuer" "verkaufen"
zu müssen. Wenn sich ein Mädchen besondere
schön findet und von daher ihren "Marktwert" taxiert, so
sollte sie sich ernsthaft fragen, worin sie sich hierbei eigentlich
noch von einer Dirne unterscheidet, denn anders machen es die Dirnen
auch nicht, die sich wegen Schönheit und Jugend besser
verkaufen. Auf diese Weise ist das Glück einer leib-seelischen
Harmonie jedenfalls nie zu erlangen.
Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen:
Schönheit muß nicht automatisch zu solchem
Unglück führen, aber sie sollte in jedem Fall als
unverdientes Geschenk in Demut dankbar angenommen werden. Man sollte
Gott von ganzem Herzen bitten, gnädig zu sein, damit dieses
Geschenk richtig angewandt und nicht am Ende zum Verhängnis
wird. Denken wir an den Skatspieler mit den guten Karten - es ist
keineswegs sicher, daß er auch schließlich der
Gewinner ist! Auf keinen Fall ist Arroganz - auch eine
Charakterschwäche - angebracht, die schließlich nur
charakterlose "Freunde" anzieht und sie zu gewissenlosem, arglistigem
Draufgängertum ermuntert nach dem Motto: "Die trägt
die Nase so hoch, der geschieht es in ihrer Eingebildetheit nur recht,
wenn sie so richtig aufs Kreuz gelegt wird!" Die eigene
Charakterlosigkeit provoziert geradezu die Charakterlosigkeit anderer!
Wir sollten uns im klaren sein, daß wir alle wie ein Haufen
trockenen Strohs sind und daß nur der "richtige Funke"
genügt, damit wir lichterloh "brennen". Wenn wir einer
Versuchung widerstehen, dann gewöhnlich deshalb, weil die
Versuchung schwach ist, und nicht, weil wir stark sind. Und wir
überschätzen uns nur zu oft! In unserer
Eingebildetheit passiert es dann, daß wir charaktervolle
Menschen, die uns vielleicht zunächst etwas unbeholfen
vorkommen, gar nicht an uns heranlassen, während die
charakterlosen leichtes Spiel haben, und wir ihnen dabei noch
entgegenkommen, indem wir ihnen hinterherlaufen. Die Mädchen
sind dabei noch unmittelbarer gefährdet als die Jungen: Einen
verliebten und hingabewilligen Jungen (oder Mann) kann ein innerlich
unbeteiligtes Mädchen leicht abweisen, da es nicht von
"Hormondruck" gequält wird. Welcher Junge oder Mann
hält sich aber schon bei einem hingabebereiten und -willigen
Mädchen zurück?
Die Motive mehr oder weniger charakterloser Partnerwahl - ganz gleich,
ob kurzfristig oder langfristig - wiederholen sich im Grunde; daher
sollen sie mehr nur angedeutet werden: Versorgungsehe,
Torschlußpanik (haben manche schon mit 18!), Flucht aus dem
Berufsleben, Suche nach einem Spielzeug oder nach einem Objekt zur
Bemutterung, Kinderwunsch (auch das braucht mit dem Wunsch nach
leib-seelischer Harmonie zu einem Partner nichts zutun haben),
ausschließlich sexuelles Begehren, sexuelle Hingabe
beziehungsweise Eroberung, um dadurch Abhängigkeit mit
nachfolgender Eheschließung zu erreichen.
Alle diese Wege führen nicht zu leib-seelischer Harmonie - das
höchstwahrscheinliche spätere Ausbrechen einen
Partners hängt heutzutage eigentlich nur von der
"günstigen Gelegenheit" ab. Ob man bei seiner Suche
charakterschwach vorgeht, kann man selbst zumeist nur sehr schwer zu
erkennen, wer hält sich selbst schon für
charakterschwach? Anderen fällt das eher auf. Vielleicht
helfen folgende Überlegungen: Würde ich den Partner
auch wählen, wenn er nicht die Position, die Brieftasche
hätte, die er nun einmal hat? Würde ich ihn auch
nehmen, wenn er - ohne eigenes Verschulden - nicht ganz so gut
aussähe, wenn ich mich dank seiner Position nicht aus dem
Berufsalltag befreien könnte, wenn er mir keine Kinder
schenken könnte, wenn er sexuell sehr prinzipientreu
wäre? Kann ich mir den Partner in der Zukunft behindert oder
gar schwer krank vorstellen, ohne daß ich ihn deswegen lieber
los sein wollte?
B.
Störung und Zerstörung trotz charaktervoller
Bemühung
Nun scheitern natürlich nicht nur Beziehungen,
die mehr oder weniger charakterschwach begonnen hatten (wobei die
Charakterschwäche nicht unbedingt immer mit einer Verletzung
von Geboten unseres christlichen Glaubens verbunden ist), auch und
gerade Beziehungen, die charaktervoll und mit hohen Idealen
geknüpft wurden, sind allein deswegen nicht automatisch von
der Gefahr des Hohl- und Leerwerdens ausgenommen!
Sogar wenn getreu den Normen des Christentums mit dem Beginn der
intimen sexuellen Beziehungen bis zur Spendung des Ehesakraments oder
einer anderen religiösen Handlung gewartet wird, so wie auch
bei unserer Orientalin zu Beginn dieses letzten Kapitels es
entsprechend den Vorschriften ihres Glaubens geschah, bedeutet das noch
lange nicht., daß eine solche Ehe auch von Gott geschlossen
wurde. (Es muß hier allerdings darauf hingewiesen werden
daß nach christlicher Lehre sich die Brautleute das
Ehesakrament gegenseitig spenden, es dazu also eigentlich keiner
kirchlichen Kulthandlung bedarf. Diese wurde jedoch zu Beginn der
Neuzeit Vorschrift, da mittlerweile niemand mehr so recht
wußte, wer mit wem nun wirklich verheiratet war. Man sollte
daher nicht ohne ganz große Not von der Praxis der Kirche
abweichen, schon gar nicht aus "sexuellem Notstand" heraus!)
Das Berufsschulreligionsbuch "Impulse zur Orientierung"
(Düsseldorf 1982, S. 40/46) schildert einen solchen -
höchstwahrscheinlich "charaktervollen" Fall: "Schon bald nach
der Hochzeit, während meiner Schwangerschaft, merkten wir,
daß wir einander eigentlich nichts zu sagen hatten. Wir
gähnten uns an. Ich glaube, jeder machte dem anderen heimliche
Vorwürfe, daß aus unserer Gemeinschaft nichts
wurde... Mein Mann behauptete, daß ich ihn lähme,
daß er sich bei mir nicht wohl fühle. Ich glaubte es
gern; es ging mir ja ähnlich. In den ersten Jahren konnten wir
uns wenigstens im Bett über die Fremdheit hinwegschwindeln.
Jetzt besteht nur noch eine mühsame Wohngemeinschaft mit
getrennten Pflichtbereichen. - Wir kannten uns schon lange aus der
Jugendarbeit. Die Gemeinsamkeit dort war eine Art Garantie
fürs Zusammenpassen. Also heirateten wir und waren
überzeugt, daß es schon gut gehen würde.
Aber bald sahen wir, daß wir fast keine gemeinsamen
Interessen haben; allzu wenige Berührungspunkte: Ja, das Kind,
aber sonst? Wie ist eine solche Entfremdung überhaupt
möglich? Als wir verliebt waren, meinten wir, wer
weiß wie gut zu harmonieren. Heute frage ich mich, ob wir uns
jemals gekannt haben." Ursache für das Scheitern war
hier wohl die Verwechslung von. "Verliebtheit" mit "echter, wahrer
Liebe"; ebenfalls im Religionsbuch "Impulse zur Orientierung" erfahren
wir dazu Näheres:
"Es gibt Menschen des anderen Geschlechts, zu denen man sich vom ersten
Augenblick an besonders stark hingezogen fühlt. Man ist von
ihnen 'fasziniert´. Dabei spielen Vorgänge im
Bereich des Unbewußten eine wichtige Rolle. Jeder Mensch
trägt in seinem Inneren das Idealbild eines
andersgeschlechtlichen Partners, das zumeist auf Eindrücke aus
Kindheit und Jugend zurückgeht. Dieses Bild wird bei Jungen
oft entscheidend durch die Gestalt der Mutter geprägt, bei
Mädchen durch die des Vaters. Auch andere `Idole' wie Sportler
oder Stars aus dem Showbusiness können diese Vorstellungen
mitbestimmen.
Begegnet man in späteren Jahren einem Partner des anderen
Geschlechts, in dem man einzelne Züge dieses Idealbildes
wiederfindet, so kann es leicht zu einer 'Projektion' kommen: Angeregt
durch 'Schlüsselreize; wie körperliche
Ähnlichkeiten, bestimmte Gesten oder eine besondere Art des
Lachen`s´, projiziert das Unbewußte alle mit dem
Idealbild verbundenen Vorstellungen auf das Gegenüber. Der
Partner wird zur Verkörperung des Ideals; er 'fasziniert',
weil er allen geheimen Wünschen und Vorstellungen zu
entsprechen scheint. Fast immer verdecken `Faszination' und
'Projektion' die Wirklichkeit des anderen. Meistens stellt sich nach
einiger Zeit heraus, daß der Partner in vieler Hinsicht nicht
den Erwartungen entspricht. Es kommt zu Enttäuschungen,
Vorwürfen, Auseinandersetzungen. Daher werden viele Menschen,
die 'ihren Typ' geheiratet haben, in ihrer Ehe nicht
glücklich". Besonders die sogenannten 'Jugendlieben' sind
für solche Entwicklungen sehr anfällig, denn gerade
hier zählt nur 'Verliebtheit', über fehlende Harmonie
wird hinweggesehen und von der Problematik der körperlichen
Harmonie hat man sowieso zunächst einmal keine richtige
Vorstellung. Die Folge ist, daß irgendwann in der Ehe dann
von 'Paradies' keine Rede mehr sein kann. Und wenn
schließlich der geistig-leibliche Mangel bewußt
wird, ist heute, wo Traditionen nicht mehr viel gelten,
höchste Gefahr gegeben, daß man aus der Ehe
ausbricht. Der Partner wird im Stich gelassen, damit eventuell
vorhandenen Kindern die Geborgenheit einer intakten Familien genommen.
Häufig werden noch Partner anderer Ehen und damit deren
Familien in das eigene Scheitern hineingezogen. Trotz charaktervollen
Beginns kommt es zum mehr oder weniger charakterlosen Ende der
Beziehung, ganz einfach, weil man nicht rechtzeitig bedacht hatte,
daß die Verliebtheit einer Jugendliebe fast immer nicht viel
mehr als eine unberechenbare Laune der Natur ist und zumeist mit
lebenslanger leib-seelischer Harmonie nichts zu tun hat.
C. Das
Phänomen der "Enttäuschung"
Wie viele Menschen haben nicht an die echte, wahre Liebe geglaubt und
sich auf irgendetwas eingelassen, was zunächst nach Liebe
aussah, sich später aber doch nicht als "das Wahre" entpuppte?
Sollten wir da nicht stutzig werden und uns eingehend hiermit
beschäftigen, damit wir aus unseren eventuellen folgenschweren
Flausen herausgerissen werden? Es lohnt sich!
Die berühmte "Liebe auf den ersten Blick" ist ganz
gewiß in fast allen Fällen eine solche
trügerische Unglücksfalle. Das Schlimme ist,
daß sich die meisten Menschen in einer solchen "Liebe" voll
verausgaben, sich selbst aufgeben, sich total verströmen. Es
ist ihnen alles weitere im Leben gleichgültig, alles wird auf
diese "Liebe" hingebogen. Dabei werden alle guten Vorsätze,
alle Ideale, die bis dahin galten, über Bord geworfen. Bis man
merkt, daß man einem flüchtigen,
selbstzerstörerischen Phantom hinterherläuft, ist
viel seelischer Schaden (und oft auch materieller: Unterhaltszahlungen,
Scheidungskosten, Alimente!) angerichtet. Ich kann daher die stereotype
banale Entschuldigung nicht akzeptieren: "Auf die Liebe kommt es an,
und wenn man sich liebt, dann darf man...". Wir kennen diese Art von
"Liebe" aus Liebesromanen: "Er stand da, wie vom Blitz getroffen, als
er sie sah", oder: "Als sie ihn dort sitzen sah, wußte sie,
das ist der Mann, den ich mein Leben lang gesucht habe", oder: "Diese
Frau sah er zum erstenmal, aber sie war ihm sofort bekannt und
vertraut, es war keine Fremdheit, obwohl er sie noch nie gesehen
hatte". Leider werden wir mit dieser Liebe auf eine falsche
Fährte geschickt, wie sollte man auch aus einem Blick
erkennen, daß man "zusammenpaßt"! Außer
dem "Blick" ist nämlich meist gar nichts da - und dieser Blick
hört irgendwann von alleine auf!
Ein Hinterherlaufen hinter einer solchen Liebe offenbart, daß
eine durchdachte Lebenshaltung nicht vorhanden ist. Denn bei
näherem Hinsehen hat unsere Hingabe in dieser "Liebe", unsere
Selbstaufgabe, eine ganz schwerwiegende Folge:
Wir verlieren unsere natürliche, ursprüngliche
Unbefangenheit, wir sind nicht mehr dieselben wie vorher - wir sind
gehandicapt. Damit hat auch unser Manselbstsein einen ganz deutlichen
Knacks bekommen. Dieses Manselbstsein ist nun genau das, was
theologisch als Einheit von Leib und Seele bezeichnet wird, und unser
Fehlverhalten ist schlichte Sünde!
Die Schwierigkeit ist, daß das alles eigentlich nicht so
recht vorausschaubar war; der Rausch der Verliebtheit, die
Zärtlichkeiten schienen nur eines zu fordern: Weiter, mehr!
Warum eigentlich noch Widerstand leisten - wir lieben uns doch!
Erst mit dem Eindringen des Gliedes in die Scheide dann der
jähe Sturz!
Ganz urplötzlich überkämmt es einen: Was
habe ich da zugelassen, was habe ich angerichtet! Ich hatte ja gar
nicht einmal Spaß bei der Sache! Jetzt erst verstehe ich, das
ist das, wovor mich alle warnten, wobei aber auch alle wieder
herumredeten! Ja, jetzt weiß ich auch, um was es dem anderen
ging - nicht um mich, sondern um seine Befriedigung! Und mit dem ein
Leben lang? Unvorstellbar! Der interessiert sich doch gar nicht richtig
für mich - die ganze angebliche Liebe von dem, wenn das nicht
alles nur eingut eingefädelter Bluff war! Und wie
soll´s weiter gehen? Was sage ich dem nächsten?
Jetzt glaubt mir niemand mehr, wenn ich zu ihm sage: 'Dich liebe ich
als einzigen!' , nie mehr die richtige Liebe! Und wie sicher war ich
mir meiner Sache - wie sehr meinte ich, auf alle Ratschläge
verzichten zu können.. . Und wie ließ ich mich
beschwatzen, daß heute alles anders sei...alles gelogen!
Jetzt gehöre ich auch zu denen, über die geredet
wird, wie sie herumzukriegen waren, und mein "Freund" kann jetzt
triumphieren, daß er es "geschafft" hat! Warum nur hat mir
das alles vorher niemand so richtig gesagt?
Die Gedanken, die so auf einen Menschen
einstürmen oder vielmehr so richtig einhämmern;
entstammen aus Menschheitserfahrungen und sind absolut zeitlos. Jeder
in ähnlicher Situation erfährt sie, ob heute, ob vor
2000 Jahren, ob vor 4000 Jahren, ob er an Gott glaubt oder nicht. Der
Verfasser des Gilgamesch-Epos hat diese Erfahrung bei seinem Urmenschen
geschildert, wie er durch die Sünde den Schritt ins
Gegenwärtige vollzog (siehe oben), übernommen hat sie
der Verfasser der Adam-und-Eva-Erzählung, sie ist Inhalt von
heute noch bekannten Gedichten (z.B. Heideröslein) und Liedern.
Für unseren christlichen Glauben von Bedeutung ist,
daß wir jetzt voll in die Fußstapfen der
mythologischen Eva oder des mythologischen Adams getreten sind: Wenn
bisher die Erbsünde ein ferner Mythos war, jetzt haben wir sie
an uns verwirklicht. Statt das Sich-Hingeben für diejenige
Liebe aufzuheben, die eine dauernde, bereichernde Partnerschaft
beschert, haben wir sie sinnlos um einer läppischen Erfahrung
willen verschleudert oder an eine vordergründige und daher
unbefriedigende Bindung verzettelt!
Goethe hat in seinem Faust solche Enttäuschung
sehr bewegend in ein Gebet einmünden lassen:
Ach neige,
Du Schmerzensreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Not!
Das Schwert im Herzen,
Mit tausend Schmerzen
Blickst du zu
deines Sohnes Tod.
Zum Vater blickst du,
Und Seufzer schickst du
Hinauf um
sein' und deine Not.
Wer fühlet,
wie wühlet
Der Schmerz mir im Gebein?
Was mein armes Herz hier banget,
Was es zittert, was verlanget,
Weißt nur du, nur du allein!
Wohin ich immer gehe,
Wie weh, wie weh, wie wehe
Wird mir im Busen hier!
Ich bin, ach! kaum alleine,
Ich wein, ich wein, ich weine,
Das Herz zerbricht in mir.
Die Scherben vor meinem Fenster
Betaut ich mit Tränen, ach!
Als ich am frühen Morgen
Dir diese Blume brach.
Schien hell in meine Kammer
Die Sonne früh herauf,
Saß ich in allem Jammer
In meinem Bett schon auf.
Hilf! rette mich von Schmach und Tod!
Ach neige,
Du Schmerzensreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Not!
Aber das Leben geht weiter! Durch gute Erfahrungen kann
so manches ausgeglichen werden, selbst wenn eine unschöne
Erinnerung ein Leben lang bleibt. Doch die guten Erfahrungen
müssen schließlich auch irgendwoher kommen!
Im Altertum tröstete man sich, daß solche
Enttäuschung zur Verehrung irgendwelcher Götter
notwendig sei: die Zeit der kultischen Prostitution. Später -
im fehlinterpretierten Christentum - tröstete man sich,
daß für den bußfertigen Sünder.
nach dem Tod in der künftigen Herrlichkeit bei Gott alles
besser würde. Und heute? Man tröstet sich vor allem
damit, daß es den anderen genauso geht. Nur nicht nachdenken,
nur nicht zur Besinnung kommen, vergessen! (Verdrängen?) Man
stürzt sich von einem Vergnügen ins andere, man redet
sich lautstark heraus mit den "Erfahrungen", die angeblich jeder machen
muß. Was bleibt einem auch anderes übrig? Man
würde den Ratschlägen der Kirche zu Reue und Gebet ja
gerne Folge leisten, wenn nicht schon alle Empfehlungen der Kirche
bisher unbrauchbar gewesen wären... Von der Kirche hat man
doch noch nie eine vernünftige Unterstützung
erfahren!
(Ich habe dieses Unterkapitel nicht geschrieben, um den bereits
Betroffenen ihr Herz noch schwerer zu machen. Doch hat mich eine
ehemalige Schülerin in für mich ergreifender Weise
darauf hingewiesen, daß die Schilderung einer
Enttäuschung unbedingt in ein Buch über die Liebe
hineingehört. "Hätte man das doch alles vorher
gewußt!" Und schließlich sollen die Jungen auch
sehen, was sie anrichten. In gewisser Weise geht es den Jungen bei
ihrem "ersten Erlebnis" übrigens genauso.)
D. Einheit
von Leib und Seele als Grundlage für erfüllende Liebe
Und wie erkennen wir nun, ob das, was wir empfinden, auf
leibseelische Harmonie hinausläuft, die beide Partner mit
Glück erfüllt und die dann auch sehr gute Chancen
hat, zu halten, bis der Tod die Partner scheidet?
Diese Liebe ist völlig anders als die aus den
Liebesromanen - auf den "ersten Blick" passiert da gar nichts! Man kann
sie auch eigentlich nicht beschreiben, es ist auch gar nicht notwendig.
Wir wissen auch nicht genau, was uns an dem anderen so fesselt,
eigentlich könnte es jeder andere sein, aber doch finden wir
keinen, der so ist wie er... Wir verstehen gar nicht das Besondere, wir
verstehen uns selbst nicht mehr!
Aber wir haben uns unterhalten, wir haben dabei unser Innerstes
anklingen lassen und erst noch gar nichts gemerkt...
Und irgendwann beginnen die Wirkungen! Wir blühen auf, wir
lachen (wir wissen gar nicht warum), die Lebensfreude glüht in
uns, wir werden offen für alles mögliche Neue,
Schöne und Ideale, unsere Sinne werden intensiver, wir werden
erlebnishungriger (zusätzlich zu unseren Augen sehen wir die
Welt mit den Augen des anderen), wir werden mutig und
schöpferisch. Wir haben ein Gefühl des Lebendigseins,
wie wir es kaum je geträumt haben - alle unsere Langeweile ist
wie weggeblasen, alle unsere Launen sind verflogen! Die ganze Welt
scheint uns zu klein, wir meinen, die Grenzen unserer Herkunft, unserer
Familie sprengen zu können. Wir denken zwar in neun Zehntel
der Zeit an den anderen, aber in dem einen Zehntel, daß uns
bleibt, schaffen wir mehr als sonst in unserer ganzen Zeit. Wir
fühlen uns so völlig wir-selbst.
Und erst der andere! Da wir es ihm so richtig anmerken
und ansehen, daß es ihm genauso geht, erleben wir einen
Aufschaukelungseffekt, der einfach nach ewiger Treue drängt!
Dabei haben wir noch nicht einmal Verlangen nach geschlechtlicher
Begegnung, ja vielleicht ab und zu eine kurze Umarmung, ein kurzes
Drücken, die Nähe des anderen reicht!
Es ist wie im Paradies, es ist das Paradies!
Und da geht es uns auf, was man nur selbst erfahren kann: Das ist genau
das, worum es auch in unserem Christentum geht, wozu Jesus jedem
Menschen verhelfen wollte, als er sich anschickte, uns von
Sünde frei zu machen! Jetzt erleben wir das Anliegen des
christlichen Glaubens, jetzt erleben wir an uns den Lohn für
unser bisheriges Durchhalten! Denn ein ganz großer Pluspunkt
für dieses neue Lebensgefühl ist nun einmal "Freiheit
von Sünde", und zwar für beide, wahrscheinlich
gehört das nun einmal untrennbar zum Paradies. Alles, was wir
uns je an Intimitäten mit anderen vergeben hätten,
wirkt schädlich und bremsend, es beeinträchtigt
einfach den ungestümen Lauf unserer Phantasie. Wer daher einen
Menschen als Lebenspartner ablehnt, weil er schon eine
"Enttäuschung", d.h. ein "beendetes" Ehe- oder (intim
gewordenes) Liebesverhältnis, hinter sich hat, ist zu
verstehen, da die fehlende Unbefangenheit des Partners auch seine
eigene Unbefangenheit angeht. Er ist auch vom christlichen Standpunkt
her zu verstehen. Läßt Jesus nicht im Gleichnis von
den klugen und törichten Jungfrauen den Bräutigam zu
den törichten Mädchen sagen: "Wahrlich, ich sage
euch, ich kenne euch nicht!" (Matth.25,11)? Außerdem gilt ja
jeder Intimverkehr nach ursprünglicher christlicher
Vorstellung als Ehe, und damit leider Gottes jeder "Neuanfang" mit
einem anderen Partner als Ehebruch - für beide...
Daß ein Partner allerdings diese Argumente ins Feld
führen kann, hat natürlich nur dann eine
Berechtigung, wenn er sich erst einmal selbst an die christlichen
Normen gehalten hat und noch hält. Alles andere ist blanke
Heuchelei!
So miefig und überholt die Worte Keuschheit und
Jungfräulichkeit zunächst noch klingen
mögen, genau das ist gefragt! Gemeint ist dabei noch nicht
einmal diejenige Enthaltsamkeit, die man sich aus Liebe zu Gott
auferlegt, gemeint ist auch nicht irgendeine rein
äußerliche Prüderie. Es geht ganz einfach
um die Enthaltsamkeit aus Liebe zum späteren Lebenspartner.
Junge und Mädchen, Mann und Frau sind gleichermaßen
betroffen.
Die Gefühlswelt, die damit zusammenhängt, ist eine
geheimnisvolle und läßt sich nur schwer beschreiben.
Man muß sie voll auskosten wollen, voll erfahren wollen! Es
ist etwas "Verzauberndes", "Himmlisches", "Paradiesisches" dabei, was
sich jedoch nur wirklich Liebenden erschließt. Der Verlust
hat etwas mit "Entzaubern", "auf die Erde fallen" zu tun. In einer
glücklichen Ehe geht diese Keuschheit nie verloren, die Frau
etwa wird für ihren liebenden Mann stets dasselbe verzaubernde
Wesen bleiben, das ihn zum Glücklichmachen reizt. Die reine,
unversehrte Liebe beflügelt Dichter und Musiker, sie wird auch
uns zu höchster Romantik anspornen. Halten wir uns die
Möglichkeit offen, selbst wenn es manchmal aussichtslos
erscheint. Nur die Sache ist verloren, die man aufgibt. Warten Sie
lieber "ewig und drei Tage", als daß Sie Fehler begehen -
denken Sie daran, Sie haben nur ein Leben, und das sollten Sie schon
vernünftig durchstehen! Überzeugen Sie sich selbst,
wie unsere großen Dichter die einmalige, einzigartige Liebe
ersehnen:
DAS HEILIGSTE
Wenn zwei sich ineinander still versenken,
Nicht durch ein schnödes Feuer aufgewiegelt,
Nein, keusch in Liebe, die die Unschuld spiegelt,
Und schamhaft zitternd, während sie sich tränken,
Dann müssen beide Welten sich
verschränken,
Dann wird die Tiefe der Natur entriegelt,
Und aus dem Schöpfungsborn, im Ich entsiegelt,
Springt eine Welle, die die Sterne lenken.
Was in dem Geist des Mannes, ungestaltet,
Und in der Brust des Weibes, kaum empfunden,
Als Schönstes dämmerte, das muß sich
mischen;
Gott aber tut, die eben sich entfaltet,
Die lichten Bilder seiner jüngsten Stunden
Hinzu, die unverkörperten und frischen.
Friedrich Hebbel
* * *
Du bist wie eine Blume
So hold und schön und rein;
Ich schau' dich an, und Wehmut
Schleicht mir ins Herz hinein.
Mir ist, als ob ich die Hände
Aufs Haupt dir legen sollt´,
Betend, daß Gott dich erhalte
So rein und schön und hold.
Heinrich Heine
* * *
LEBENSWEG
Ich bin durchs Leben auf dich zugegangen,
So
fest und klar, wie übers grüne Land
Die Taube flog, die lange eingefangen
Und doch den Weg zur süßen Heimat fand.
Und denke ich an Sturm und Streit und Streben,
An meiner Jugend Wandern dort und hier,
So ist mir oft: Es war mein ganzes Leben
Ein stiller, unbeirrter Weg zu dir.
Börries von Münchhausen
* * *
Solche Zweiergemeinschaft kann leider nicht direkt angestrebt werden,
weil man ja selbst keinem Menschen von vornherein ("auf den ersten
Blick") ansieht, ob er dafür "in Frage" kommt. Man kann nur
versuchen, sich in der größeren Gemeinschaft, das
heißt allen Menschen gegenüber, als von
Sünde befreiter Christ zu verhalten, alles weitere ist dann
eher wie ein Geschenk. Von diesem "zufälligen" Finden
träumt auch Goethe:
GEFUNDEN
Ich ging im Walde
So für mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.
Im Schatten sah ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Äuglein schön.
Ich wollt es brechen,
Da sagt' es fein:
"Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?"
Ich grub's mit allen
Den Würzlein aus,
Zum Garten trug ich's
Am hübschen Haus.
Und pflanzt es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.
Und die körperliche Liebe dabei? Sie, lieber Leser, werden es
verspüren: Diese Frage paßt hier gar nicht so recht,
diese Frage stört die ganze wundervolle Romantik dieser
Gedichte, bei solcher Romantik hat das Körperliche noch viel
Zeit! Wir zittern und haben Angst davor! Ist es dann nicht
erleichternd, zu erfahren, daß man das alles unter den Schutz
Gottes stellen kann?
Hier ist diese Liebe völlig verschieden von der mit der
Enttäuschung, hier wird sie einmal gegenseitige
Erfüllung und Ergänzung, Verantwortung und
Verläßlichkeit, absolutes
Füreinanderdasein. Und das von Anfang an, und trotzdem noch
von Mal zu Mal intensiver, besser und beglückender. Und wir
warten gerne und bitten Gott, daß wir ja nichts falsch
machen...
E. Das Elend
mit der "rosaroten Brille"
"Vorher" erkennen und seine Handlungen danach einrichten ist
Kennzeichen von echter Intelligenz - "hinterher" wissen es alle, auch
Dummköpfe, besser! Und bei Fragen der Liebe ist das besonders
schwierig, da es ja um Gefühle geht, die jeder auf sich allein
gelassen empfindet, bei denen ein Außenstehender zwar
Empfehlungen geben kann, letzten Endes aber der Betroffene allein
entscheiden muß. Das macht die Gefahren, aber auch den
einmaligen Zauber der Liebe aus!
Hier öffnet sich wie kaum irgendwo sonst ein Gebiet absoluter
Entscheidungsselbständigkeit mit allerdings
äußerst existentiellen Folgen - und diese
Entscheidungsselbständigkeit sollten wir unter allen
Umständen bewußt wahrnehmen und uns in keinem
Fall etwas gegen unsere tiefsten Sehnsüchte
aufzwingen lassen! Das heißt aber nicht, daß wir
mit vorgefertigtem Konzept an die Liebe herangehen sollen, wir sollten
im Gegenteil offen für Überraschungen sein und uns
begeistern lassen!
Leider wird unsere Entscheidungsselbständigkeit nicht nur von
außen behindert, auch unsere Gefühle selbst spielen
uns nur zu oft Streiche und verbauen unserem Verstand den Weg zu
vernünftigen Entscheidungen. Wir halten es als moderne,
aufgeklärte Menschen für ziemlich unvorstellbar,
daß wir zu Gefühlsbewegungen kommen können,
bei denen wir uns auf unseren Verstand nicht mehr verlassen
können, aber es ist leider so.
Dazu ein Beispiel aus einer meiner Vorlesungen:
"Stellen Sie, lieber Leser, sich vor, jetzt auf der Stelle tritt ein
Polizeikommando an Sie heran, verhaftet Sie und bringt Sie ohne viel
Federlesens in ein Gefängnis. Ihre Einwände werden
nicht zur Kenntnis genommen, daher geben Sie bald Ihren Widerstand auf
und glauben an ein Mißverständnis, das sich bald
aufklären wird. Doch Sie sitzen am Abend immer noch -
inzwischen hungrig - in Ihrer Gefängniszelle.
Schließlich erhalten Sie einen Teller Erbsensuppe. Dabei
flüstert der Essensverteiler Ihnen zu, daß die Suppe
vergiftet sei. Sie wundern sich vielleicht, essen aber nicht und legen
sich mit ihrem noch mäßigen Hungergefühl
auf die Pritsche in Ihrer Zelle. Am nächsten Tag erhalten Sie
wieder erst gegen Abend etwas zu essen: wieder angeblich vergiftete
Erbsensuppe. Da Ihr Hunger schon sehr stark ist, konzentrieren sich
Ihre Gedanken auf die Erbsensuppe und vor allem auf die Frage, was es
mit dieser "Vergiftung" für eine Bewandtnis habe. Ob die
Behauptung der Vergiftung möglicherweise nur ein Test
für weiß Gott was ist? Ihr Gehirn arbeitet
fieberhaft, ob die Suppe überhaupt vergiftet sein kann, Sie
überdenken die Mimik des Essensverteilers, Sie beobachten eine
Fliege, die mit der Suppe in Berührung kam und noch weiter
durch die Zelle fliegt, Sie bedenken Ihre verzweifelte Lage. Noch
einmal gelingt es Ihnen, sich von dem Gedanken loszureißen
und nicht von der Suppe zu essen. Doch als am folgenden Tag das Spiel
von Neuem losgeht, ist Ihr Hunger unerträglich geworden. Sie
rechnen sich aus, ob Sie nicht am Ende verhungern und kommen nach
"reiflicher Überlegung" zur "festen Erkenntnis", daß
die Suppe gar nicht vergiftet sein kann - und Sie essen!
Das Gefühl - hier das Hungergefühl - hat unseren
Verstand ausgetrickst ! Und genauso geschieht es bei allen unseren
tiefen Gefühlsregungen - sie tricksen bisweilen unseren
Verstand restlos aus! Auf die Brauchbarkeit unserer
verstandesmäßigen Entscheidungen können wir
uns bei großen Gefühlsregungen überhaupt
nicht mehr verlassen! Was unser Verstand uns unter großem
"Gefühlsdruck" empfiehlt, kann der größte
Unsinn sein und zum größten Unglück
führen. Odysseus befahl daher seinen Gefährten, denen
er die Ohren mit Wachs verklebt hatte, bei der Vorbeifahrt an den
Sirenen mit ihrem betörenden Gesang auf keinen Fall auf
eventuelle Befehle von ihm zu hören - er war sich seiner
Unzurechnungsfähigkeit infolge des Gesangs, von dem er schon
von anderen gehört hatte, schon vorher voll bewußt.
Er hatte entsprechend vorgesorgt!
Worauf können wir uns aber heute in
ähnlicher Situation mit erfahrungsmäßig
intensiven Gefühlen verlassen? Eigentlich ganz einfach: auf
die Normen unseres christlichen Glaubens, die ja nicht nur so aus
Gehässigkeit und aus Freudlosigkeit entstanden sind, sondern
letzte und tiefste Menschheitserfahrungen beinhalten. Es geht bei
diesen Normen nämlich voll und ganz um unser Glück,
um unsere Einheit von Leib und Seele, um unser Manselbstsein. Und
deshalb heißt es da ganz deutlich: "Du sollst die Ehe heilig
halten!" Komme, was da mag, Gottes Gebot gilt zuerst, alles andere hat
sich danach zu richten. Wie heißt es so schön in der
Bibel: "Wenn dich dein Auge zur Sünde verführt,
reiß es ab und wirf es von dir!" Gottes Gebot hat - um es
modern auszudrücken - den Charakter einer "roten
Verkehrsampel" - da hat dann einfach nichts mehr zu laufen!
Und wem Gottes Gebot nicht als Begründung ausreicht, der
sollte bedenken, wie die "Straße" (und nicht nur die)
über das urteilt, was da - leider nur - im Hinblick
auf das Mädchen schon aus den Wortbildungen her sehr abwertend
und sogar verachtend gesehen wird! Von "großer Liebe" und von
"Emanzipation" ist da nicht mehr die Rede, allenfalls von "Reinfallen"
und "Dummheit"! Und es gibt eigentlich nur ordinäre Worte mit
häßlichem Tenor dafür: ficken, anmachen,
bumsen, vögeln, vernaschen - um die zu nennen, die heute
gerade dafür in Mode sind. Die verurteilende Richtung dieser
Worte ist dieselbe wie die der Gebote Gottes - Stimme des Volkes,
Stimme Gottes! So falsch können die Gebote Gottes also gar
nicht sein - und auch nicht verklemmt und miefig! Bei einer
harmonischen Beziehung wird jedenfalls ganz anders geredet... Und einem
Jungen, der ein Mädchen wirklich achtet und es verehrt, sollte
nicht gleichgültig sein, wie man über sein
Mädchen denkt! Alle Bemühungen, hier einen
Stimmungswandel herbeizuführen, ohne sich gleichzeitig selbst
zu ändern, gleichen einem Kampf gegen
Windmühlenflügel - es wird weiter so geredet.
Wie können wir dann aber schon vor der Ehe ohne diese
"Gefährdung" und ohne Verstoß gegen unseren Glauben
die leib-seelische Harmonie überprüfen? Sind wir doch
auf alle Zeit dazu verdammt, uns auf ein Lotteriespiel einzulassen?
"Probieren" wir körperlich, wird die seelische Harmonie
beeinträchtigt, denn wenn's schief geht, sind unsere Ideale
von Treue und ausschließlicher Liebe dahin, testen wir aber
nur seelisch-geistig, besteht die Gefahr, daß sich
später eine fehlende Harmonie im Körperlichen
herausstellt. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, scheint sich eine
praktische Lösung anzubieten, die nicht nur den Geboten
Gottes, und dem, was man über uns redet, entgegenkommt,
sondern auch unserer Sehnsucht nach Romantik und mit einem
Schuß wenigstens leichter "Frivolität" sogar noch
unseren moralischen Idealen entspricht.
F. Wege der
geistigen und körperlichen Erkenntnis
"Mit dem Freund von meinem Freund kann ich mich
eigentlich besser unterhalten als mit meinem Freund", so
äußerte sich eine Schülerin. Ich frage
mich, was ich da noch viel raten soll, denn - wie sie weiter sagte - es
läuft ja schon mit ihrem Freund eine "Ehe auf Probe" mit
Pille... Würde da nicht eine solche "Ehe auf Probe" sein,
würde ich empfehlen, den Freund aufzugeben, denn wenn es jetzt
schon Probleme mit dem Verständnis gibt, wie wird das erst
später werden?
Gerne hätte ich auch einer anderen
Schülerin eine Empfehlung zur Trennung von ihrem Freund
gegeben, die meinte, daß sie das Gefühl habe, ihr
Freund höre ihr gar nicht richtig zu. Dabei ist doch dieses
Verständnis, dieses Zuhören die erste Vorbedingung
für eine vernünftige Partnerschaft! Ohne
Erfüllung dieser Vorbedingung verdirbt man sich doch nur
gegenseitig das Leben! Aber leider - liefen auch im zweiten Fall schon
Intimitäten... (Nach christlicher Vorstellung bedeuten
Intimitäten ja bereits eine "stattfindende Ehe" - und ich als
christlicher Theologe muß daher eigentlich die bereits
stattfindende Ehe verteidigen und darf also nicht zu einer
Auflösung raten!)
Verständnis heißt nun nicht, immer der gleichen
Meinung zu sein wie der andere, Verständnis heißt
gewiß aber, sich in den anderen hineinversetzen
können. Und dieses Hineinversetzen muß ein inneres
Bedürfnis sein, man muß sich die Mühe gern
machen, das muß einem der andere "wert" sein. Und man
muß auch spüren, daß es dem anderen
genauso geht! Am besten wird das, um was es hier gehen muß,
wohl durch das Wort "zurückspiegeln" ausgedrückt: Man
muß sich im anderen zurückspiegeln, das
heißt, die Partner müssen gegenseitig erkennen,
daß das, was sie dem anderen sagen, "ankommt" und
"zurückkommt". Jeder
muß sich sozusagen im anderen wiederfinden! Gemeint ist mit
diesem Manselbstsein also nicht, wenn man es nur sein kann ohne die
unmittelbare Anwesenheit des Partners, sondern gerade durch ihn in
seiner Gegenwart.
Da in der Verliebtheit mit der rosaroten Brille jeder ohnehin den
anderen von der Seite sieht, wie er ihn sehen will, seien im folgenden
einige Anhaltspunkte genannt, die hoffentlich trotz dieser "Brille"
auffallen.
Es gibt da im seelisch-geistigen Bereich sogenannte fünf
Grundbedürfnisse. Da die Erfüllung dieser
Grundbedürfnisse unverzichtbar zum Manselbstsein
gehört und daher auch von jedem Menschen erhofft wird, sollten
sie zunächst einmal vor jeder "Erprobung der sexuellen
Reaktionsfähigkeit" (falls dann so etwas
überhaupt noch notwendig ist) "durchgecheckt" werden.
a) Erfüllung der seelisch-geistigen
Grundbedürfnisse
Eine Trennung von seelisch-geistigen und
körperlich-orgastischen Sehnsüchten und
Bedürfnissen ist im Grunde nicht möglich, denn im
Idealfall bedingen sich diese einander, ergänzen sich,
schaukeln sich auf. Wenn trotzdem im folgenden "getrennt" wird, so nur
deshalb, um die Übersicht nicht zu verlieren. Da alle diese
Sehnsüchte und Bedürfnisse nach personaler
Erfüllung drängen, wird man sie woanders suchen, wenn
sie in einer Partnerschaft nicht zum Tragen kommen: entweder es kommt
zu einem späteren Ausbrechen aus der Ehe oder die Ehe endet in
Langeweile:
Im einzelnen geht es um folgende Bedürfnisse,
über die wir uns die folgenden Fragen stellen sollten:
1. Anerkennung
Erfahre ich vom Partner Anerkennung, wenn ich so richtig
ich selbst bin? (Die Frage nach dem "Manselbstsein" scheint mir so
zentral, daß an sie auch bei allen anderen
Bedürfnissen immer wieder erinnert wird!) Braucht der andere
mich nur als Prestigeobjekt? Hört der Partner auf meine
Meinung, interessiert sie ihn überhaupt? Und da es immerhin ja
die Möglichkeit gibt, daß meine Meinung falsch ist:
Gibt sich der Partner Mühe, um mich von einer anderen Ansicht
zu überzeugen, bringt er gute Argumente, oder will er mich mit
allen möglichen Tricks "überfahren"? Nutzt er am Ende
noch meine Verliebtheit dazu aus? Hat der Partner Interesse an meiner
beruflichen Erfüllung? Will er mir seine Hobbys
aufzwingen?
Wenn ich mir diese Fragen nicht klar beantworten kann, liegt die
Vermutung nahe, daß eine Art geistiger Vergewaltigung mir
gegenüber vorliegt, kein gutes Vorzeichen für eine
körperliche Begegnung!
Doch darf gerade hier meine Vorsicht nicht verkrampft
werden, denn eine gegenseitige Zuneigung lebt vor allem auch davon, ob
die Partner sich gegenseitig nicht nur körperlich, sondern
erst einmal auch geistig "befruchten" und "befruchten" lassen. Zu
dieser Aufgabe muß natürlich jeder etwas zu bieten
haben, wovon auch der andere begeistert ist. Wenn hier schon nichts
"kommt", sollte unbedingte Vorsicht vor weiterem Näherkommen
walten!
Der Psychologe Erich Fromm schreibt dazu: "Der wichtigste Bereich des
Gebens liegt jedoch nicht im Materiellen, sondern im
zwischenmenschlichen Bereich. Was gibt ein Mensch dem anderen? Er gibt
etwas von sich selbst, vom Kostbarsten, was er besitzt, er gibt etwas
von seinem Leben. Das bedeutet nicht unbedingt, daß er sein
Leben für den anderen opfert - sondern daß er ihm
etwas von dem gibt, was in ihm lebendig ist; er gibt ihm etwas von
seiner Freude, von seinem Interesse, von seinem Verständnis,
von seinem Wissen, von seinem Humor, von seiner Traurigkeit - von
allem, was in ihm lebendig ist. Indem er dem anderen auf diese Weise
etwas von seinem Leben abgibt, bereichert er ihn, steigert er beim
anderen das Gefühl des Lebendigseins und verstärkt
damit dieses Gefühl des Lebendigseins auch in sich selbst. Er
gibt nicht, um selbst etwas zu empfangen; das Geben ist an und
für sich eine erlesene Freude. Indem er gibt, kann er nicht
umhin, im anderen etwas zum Leben zu erwecken und dieses zum
Leben Erweckte strahlt zurück auf ihn; wenn jemand wahrhaft
gibt, wird er ganz von selbst etwas zurückempfangen. Zum Geben
gehört, daß es auch den anderen zum Geber macht, und
beide haben ihre Freude an dem, was sie zum Leben erweckt haben" (Erich
Fromm: Die Kunst des Liebens, Ullstein TB 35258, S. 35).
Es wurde hier bereits dargelegt, daß dieses Geben
natürlich nicht naiv erfolgen darf: Mehr noch bei der Frau als
beim Mann wird dieses Geben leicht zum bedingungslosen
körperlichen "Hingeben". Und für dieses so bedeutsame
Hingeben ist es sehr beeinträchtigend, wenn man merkt,
daß man ausgenutzt wird. Denn dieses Ausnutzen wird man auch
einmal leid und sucht dann bei anderen Partnern ein ausgeglicheneres
Verhältnis. Und dadurch verzettelt man sich dann halt in
seinen Gefühlen. Diesem
"Verzetteln" vorzubeugen, ist ein wichtiger Grund, warum das
Sich-Hingeben unter den Schutz des Ehesakramentes gestellt werden
muß!
Doch das geistig-seelische Geben kann man gewiß nach
Herzenslust "ausprobieren" !
Konkret zum von keinem Gebot oder Verbot eingeengten geistigen Geben
sollte sich das Mädchen fragen: Motiviert der Partner mich zum
Schönen, zum Idealen, kann er mich für geistige
Erlebnisse begeistern, ist er selbst begeisterungsfähig - sei
es auf dem Gebiet der Kultur (Kunst, Musik, Reisen, Politik, Hilfe und
Verständnis für andere) oder der Natur (Wanderungen,
Beobachtungen, Schutz)? Oder fallen ihm nur Dinge ein, die mich nun
einmal gar nicht reizen? Kann der Partner mit seinen Interessen (nur
wirkliche Interessen behält man auch in der Zukunft bei) in
mir etwas zum Schwingen bringen, wovon ich vielleicht noch gar nichts
wußte?
Doch muß ich mich auch wieder selbst kritisch fragen: Ist
meine Reaktion auf die Bemühungen des Partners echt - oder
heuchele ich? Begeistere ich mich etwa in Gegenwart des Partners
für die von ihm geliebte klassische Musik, wenn ich allein
bin, höre ich jedoch wieder viel lieber ganz etwas anderes ?
Umgekehrt soll sich der Junge (oder eben der Mann) fragen: Gelingt es
mir, den anderen zu begeistern - kommen meine Bemühungen
überhaupt an?
Die Harmonie oder die Fähigkeit zur Harmonie
läßt sich am besten mit dem Schwingen einer
Hängeschaukel vergleichen: Schwingt die Schaukel in demselben
Rhythmus, in dem sie angestoßen wird? Besteht Harmonie
zwischen den Partnern, reicht wenig Energie aus, und das Schwingen
macht Spaß und Freude. Besteht keine Veranlagung zur Harmonie
mit einem bestimmten Partner, bereitet das Schwingen auch keine "Lust",
und es ist abzusehen, wann es zur "Last" wird.
2. Geborgenheit, Sicherheit
Gilt das Wort des Partners?
Fühle ich mich sicher, geborgen bei ihm, wenn ich so richtig
ich selbst bin?
Kann ich mir als Mädchen etwa vorstellen, mit ihm in Urlaub zu
fahren, und er fühlt sich an moralische Gesetze genauso
gebunden wie ich, ja, daß er mich sogar deswegen
schätzt und er mir sogar eine mir angenehme
Beschützerrolle bietet, ohne mich dabei zu bevormunden oder
mir sogar lästig zu werden? Um einem Mädchen die von
ihm ersehnte Sicherheit zu geben, ist es einfach
unerläßlich, daß sich der Junge an
dieselben moralischen Regeln hält wie das Mädchen.
Selbst wenn es dem Jungen viel schwerer fällt, so
muß auch er durch "Triebverzicht" und "Sublimierung"
(Umsetzung des unbefriedigten Geschlechtstriebes in kulturelle
Leistungen) mit sich selbst fertig werden. Auch dabei hilft unser
christlicher Glaube mit Gebet und Gottvertrauen.
Kann ich zum Partner ein echtes Wir-Gefühl entwickeln? Sehr
schön gibt das Bedürfnis nach innerlicher Sicherheit
das folgende Gedicht von Uwe Berger wieder:
So eine
Ob wir Lauernden
gegenüberstehen
oder
Widersachern
die Stirn
bieten,
ob du fröhlich
vorstößt
oder mir unbeirrbar
den Rücken deckst,
so eine
bist du,
mit der ich
in den Weltraum
ausstiege.
3. Vertrauen, Liebe
Bin ich fähig, dem anderen meine geheimsten
Sehnsüchte und Gefühle zu offenbaren, kann ich dabei
so richtig aus mir herausgehen, ohne daß ich
befürchten muß, daß er sich irgendwann
darüber lustig macht, oder daß er dieses Wissen
mißbraucht, um mich auszunutzen? Kann ich so richtig ich
selbst sein?
Erzählt der andere in unbefangener Weise von sich, ist er
dabei ebenfalls so richtig er-selbst? Berührt mich
unmittelbar, was er erzählt, höre ich gern mehr -
oder langweilt es mich?
Kann ich mindestens genauso offen sein wie als Junge bei seinem besten
Freund oder als Mädchen bei seiner besten Freundin oder bei
anderen Vertrauten?
Kann ich ihm meine Zukunftsträume anvertrauen, spüre
ich, daß er sie mit mir gemeinsam verwirklichen
möchte, weil er ähnlich träumt?
4. Freiheit, Unabhängigkeit
Kann ich so richtig ich selbst sein? Fühle ich
mich vom Partner bevormundet? Fühle ich mich trotz der
Nähe des Partners frei, unabhängig? Ist er gar der,
durch den ich erst so recht spüre, was Freiheit, was
Unabhängigkeit bedeutet?
Ist der andere fair, das heißt "spielt" er korrekt? Kann ich
ihm gegenüber korrekt "spielen"? Wie geht der andere mit
meinen Gefühlen um?
Diesen Fragen an den anderen sollte allerdings ich auch Fragen an mich
gegenüberstellen: Wie gehe ich mit den Gefühlen
anderer um? Bin ich überhaupt fair und charaktervoll? Oder
entfache ich etwa gerne in anderen "Feuer", um mich dann, wenn es ernst
wird, abzuwenden? Verdiene ich es überhaupt, daß
andere mit mir fair spielen? Bin ich mir bewußt,
daß mangelnde Fairness meinerseits eines Tages auf mich
zurückkommen wird, eben weil ich von charaktervollem Spiel
keine Ahnung habe? Dieses Fair-Sein muß geübt werden
- noch heute damit anfangen!
Habe ich die gleiche Sehnsucht nach "Abenteuer und
Freiheit" wie der Partner? Komme ich durch ihn der Verwirklichung
näher? Oder ist der Partner gar (zumindest in meinen Augen)
ein Stubenhocker, der noch ein schiefes Gesicht zieht, wenn ich einmal
etwas unternehmen will, und muß ich erst noch um Erlaubnis
fragen?
Wohlgemerkt: Es müssen nicht unbedingt große und
bedeutende Reisen sein, um das Erlebnis von "Abenteuer und Freiheit" zu
erfahren, denn solche Reisen können auch Flucht vor sich
selbst sein und Versuche, die gegenseitige Fremdheit zu
übertünchen. Freiheit und Abenteuer kann sich aber
auch vor allem in der Unabhängigkeit von bestimmten
Modetrends, von überholten Zwängen oder von sinnlosen
Reglementierungen zeigen. Freiheit und Unabhängigkeit kann
auch darin bestehen, daß ich mich für kulturelle
Werte interessiere und begeistere, wie sie in meiner Familie weder
erahnt und noch weniger geschätzt und gepflegt werden.
Ergänzen sich mein Partner und ich bei der Entdeckung von
Abenteuer und Freiheit, oder muß ich dabei sogar meine
eigenen Wünsche um des lieben Friedens willen
unterdrücken?
Kompromisse sind in jeder Gemeinschaft ein notwendiges Übel,
doch leider behindern sie auch die freie Entfaltung. Bei der Planung
einer Partnerschaft fürs Leben sollten daher
möglichst wenige Kompromisse geschlossen werden
müssen, denn irgendwann wird man die Kompromisse leid, und
dann wirft man seinem Partner die verlorene Jugend an den Kopf: "Ich
habe immer nur das gemacht, was du wolltest, meine ganze Jugend habe
ich dir geopfert..."
Im späteren Leben müssen ganz von allein noch genug
Kompromisse geschlossen werden, etwa wenn Krankheiten eintreten, wenn
Kinder kommen, wenn man mit dem Geld besondere eng kalkulieren
muß.
5. Selbstachtung
Findet es der andere gut, wenn ich so richtig ich selbst
bin? Stärkt der andere mich in meiner Selbstachtung - nicht
hohl und schmeichlerisch, sondern aufbauend und ermunternd? Verlangt
der andere, daß ich mein vom christlichen Glauben
geprägtes Lebensideal aufgebe öder
unterstützt er mich sogar noch in der Festigung diese Ideale?
Bietet der Partner mir Gelegenheiten, mein Selbstwertgefühl zu
steigern?
So sehr heutzutage die "Ehe auf Probe" mit allen entsprechenden
Konsequenzen modern ist, ein Partner, dem die Selbstachtung seiner
Partnerin wirklich am Herzen liegt, wird auch heute noch freiwillig auf
alles verzichten, wodurch diese Selbstachtung wie auch die
Unabhängigkeit der geliebten Partnerin beeinträchtigt
werden könnten. Er wird sich vielmehr bewußt sein,
daß er umsomehr von seiner Partnerin hat, je mehr echtes
Selbstwertgefühl sie hat und je weniger sie zu
"Ersatzbefriedigungen" für mangelndes
Selbstwertgefühl wie besonders teure Kleider,
luxuriöse Autos, verschwenderischen Urlaub greifen
muß. Und als Mann ist man auch hautnah vom
Selbstwertgefühl der Frau betroffen: Man braucht auch keine
"Ersatzbefriedigungen" für mangelndes
Selbstwertgefühl bei sich selbst; eine geliebte Frau mit
Selbstwertgefühl bedeutet unmittelbare Erfüllung.
Bei mangelnder Harmonie der fünf geistig-seelischen
Grundbedürfnisse ist dringend von einer Intensivierung des
Kontakte im "körperlichen" Bereich abzuraten, selbst wenn die
spontane Hingezogenheit noch so groß ist. Diese
Hingezogenheit wird nur zu leicht als "Liebe" interpretiert, doch
handelt es sich eher um die erwähnte Faszination, die als
Grundlage für eine harmonische Ehe völlig ungeeignet
ist. Wenn die geistig-seelischen Grundbedürfnisse allerdings
durch und durch auf natürlich individuell unterschiedliche
Weise erfüllt sind und es die Partner dann auch nach
körperlicher Erfüllung und Ergänzung
drängt, kann man eher von echter "Liebe" reden. Das gemeinsame
Schwingen im geistig-seelischen Bereich springt sozusagen in eine
andere Qualität über. Diesen Überspringen
kann zwar etwas länger dauern als ein
Zueinanderhingezogenwerden über die Faszination,
dafür ist die Wirkung jedoch erheblich tiefer und anhaltender.
Natürlich braucht es auch überhaupt zu keinem
"Überspringen" zu kommen - wir erkennen daraus ein
"(Ersatz-)Geschwisterverhältnis" und sollten es auch dabei
belassen.
b) "Erprobung" der
leiblich-orgastischen Harmonie
Während es bei den geistig-seelischen
Bedürfnissen noch die Möglichkeit der Interpretation
gibt, man kann sich etwa etwas einreden, ist das bei den
leiblich-orgastischen Sehnsüchten nicht mehr möglich!
Gerade bei der Frau "geschieht" hier etwas, was sich einwandfrei
erkennen läßt! Mit rein
äußerlichen Reizungen hat das allerdings - besonders
bei einem "unerfahrenen" jungen Mädchen nichts zu tun. Hier
sei an Kapitel I erinnert: "Der Orgasmus ist ein psychisches
Phänomen, das aus der Tiefe der menschlichen Person entsteht,
die ganze Person total erfaßt und sogar
erschüttert", Und das hat weder etwas mit dem als
"Liebesvorspiel" getarnten "Herumfummeln", noch mit der Erprobung des
biologischen Zusammenpassens von Glied und Scheide zu tun - das sind
alles nur "Tarnungen", um ans "Ziel" zu kommen, damit wird nur die
wirkliche Liebe zerstört und die Orgasmusfähigkeit
keinesfalls gefördert!
Doch wie ist die Feststellung einer solchen körperlichen
Harmonie ohne kaum wiedergutzumachende Beeinträchtigung
möglich? Gibt es da überhaupt ein "Patentrezept"?
Völlig unproblematisch ist hier wahrscheinlich nichts, doch
scheint es mir nach vieler Beschäftigung mit entsprechender
Literatur und nach noch mehr Gesprächen einen praktikablen
Ausweg zu geben. Die Natur hat da nämlich wohl eine ziemlich
risikofreie Chance gelassen, die leider viel zu wenig beachtet wird. Um
zu verdeutlichen, wovon hier die Rede ist, möchte ich im
ungefähren Wortlaut einen Tonbandmitschnitt wiedergeben, den
uns als Studenten während unseres Studiums ein Psychiater aus
seiner Eheberatungspraxis vorgeführt hat. In einer
Gruppensitzung mit einigen Ehepaaren beklagte sich da eine Frau
heftigst, daß die ganzen psychotherapeutischen Sitzungen
wehrend der vergangenen zwei Jahre am Wesentlichen vorbeigegangen
seien, denn um ihre tatsächliche Problematik sei immer nur
herumgeredet worden. Ihr Problem sei ganz einfach, daß sie
mit ihrem Mann nicht sexuell harmoniere - und dies bringe sie fast zur
Verzweiflung. Sie komme bei ihrem Mann einfach zu keinem
Orgasmus, keinem sexuellen Höhepunkt. Sie fühle sich
schon völlig unwohl, wenn ihr Mann einmal in der Woche abends
mit einer Flasche Wein ankomme, weil sie schon wußte, was
diese "Einleitung" zu bedeuten hätte... Ihr sei die ganze
Sexualität mit ihrem Mann inzwischen völlig zuwider.
Dabei sei sie sexuell nicht im geringsten frigide. So habe sie vor
ihrer Ehe einen Jungen gekannt, bei dessen Anblick von weitem sie schon
in Hochstimmung gekommen sei. "Wir flogen sozusagen aufeinander zu, ich
hatte jedesmal, wenn wir uns auch nur aneinander drückten,
einen Höhepunkt - und das, obwohl wir uns noch nicht einmal
nackt gesehen hatten". Leider sei der Junge fortgezogen und habe sich
nicht mehr weiter für sie interessiert. Sie habe einige Jahre
später ihren Mann kennengelernt und geheiratet in der Meinung,
eine solche Hochstimmung wie bei ihrem "ersten Freund" sei normal. Aber
das sei ein Irrtum gewesen, ihre Ehe jetzt sei in dieser Hinsicht ein
reines Fiasko. Und ihre Unausgefülltheit würde sich
auch auf alles andere in der Ehe übertragen und negativ
auswirken.
Und jetzt begegne ihr hin und wieder ein junger Mann aus der
Nachbarschaft, bei dem sie von einem gewissen besonderen Blickkontakt
her das typische "eigenartige Knistern" empfinde und wußte,
daß alles genauso "klappen" würde wie bei ihrem
ersten Freund. Sie wolle aber ihre Ehe nicht zerstören und
aufgeben, um mit diesem Mann in Kontakt zu kommen, denn sie liebe ihren
Mann, ihre Kinder, ihre Familie. Sie sei höchst
unglücklich, weil für alle Zukunft keine Aussicht auf
Änderung ihrer Lage bestünde - und, man
hörte es, sie weinte sogar.
Anhand dieses Berichtes erkennen wir einerseits, welche
Bedeutung das orgastische Erlebnis besonders für eine Frau
hat, aber auch, daß dieses orgastische Erlebnis gerade
für die Frau schon möglich ist ohne
Geschlechtsverkehr, ohne bestimmte "Manipulationen" (sogenanntes
"Herumfummeln"), ohne gegenseitiges Berühren der
Geschlechtsteile (sogenanntes "Petting"), ja sogar in kompletter
Kleidung. Es kommt halt nur auf den entsprechenden Partner an, dann
reichen schon relativ geringe körperliche Kontakte, die nun
wirklich auch von unverheirateten Menschen zu verantworten sind - auch
im Hinblick auf unseren christlichen Glauben.
Ob eine Frau auch im körperlichen Bereich mit ihrem Partner
harmoniert, ob sie also mit ihm zu ihrem Orgasmus kommt,
hängt wohl genau von dem wichtigsten geistigen
Moment der Partnerschaft ab: Kann sie beim Partner völlig sie
selbst sein? Die Verliebtheit - mag sie noch so aufwühlend und
allumfassend sein - dürfte da eine untergeordnete Rolle
spielen und keinesfalls vor Verkrampftheit, dem
größten Feind der körperlichen Harmonie,
schützen. Daher kann es sogar überflüssig
sein, die körperliche Harmonie vor der Ehe überhaupt
zu "testen"! Man "weiß" es einfach, daß es
"klappt", weil man im Gegenüber des anderen völlig
man-selbst ist ! Dieses völlige Manselbstsein ist die
wesentliche Voraussetzung zur Orgasmusfähigkeit!
Die Erklärung für die
Möglichkeit, "Jungfrau" zu bleiben und trotzdem
körperliche Harmonie festzustellen, ergibt sich aus folgenden
Gegebenheiten:
1. Alle Nervenzellen, die bei der Frau für das
Orgasmuserlebnis zuständig sind, befinden sich im
äußeren Bereich, das heißt ein "Mehr" an
Intimität bringt zunächst einmal nicht auch ein
"Mehr" an Erlebnis.
2. Bei geistig-seelischer Harmonie, die ja hier
vorausgesetzt wird, stimmen das Gefühl von Vertrauen,
Sicherheit, Geborgenheit. Vor allem fehlt auch die Angst vor dem
Ungewissen. Diese ganze psychische Situation wirkt höchst
befreiend und ermunternd. Wenn trotzdem ein Mädchen dann nicht
aus sich herausgeht, so ist das ein sicheres Zeichen für
fehlende geistig-seelische Harmonie mit dem Partner. Ein Weitergehen -
auch in einer späteren Ehe kommt einer Vergewaltigung gleich
und darf daher einfach nicht geschehen.
Es muß an dieser Stelle wohl einmal ganz
deutlich darauf hingewiesen werden, daß selbst ein
Durchbrechen der Scham gerade bei Menschen, die noch nie
Geschlechtsverkehr hatten und auch sonst gelernt haben, sich
zusammenzunehmen, keinesfalls zu Intimverkehr führen
muß. Gerade solche Menschen können so von der
Achtung füreinander erfüllt sein, daß es
ihnen gar nicht einmal schwer fällt, sich zusammenzunehmen.
Wir können uns in solchen Situationen tatsächlich auf
unseren Willen verlassen. Ohne diesen Willen, der natürlich
durch Überrumplung gebrochen werden kann, kann kaum etwas an
Intimverkehr geschehen. Es kommt immer wieder auf den Partner an, und
ein Mädchen sollte sich gut überlegen, ob es sich in
seinem Leben einem Mann anvertraut, dem es schon hier nicht traut.
Nach dem Motto "Wer alles verbietet, macht sich
unglaubwürdig und erreicht gar nichts", sage ich hier ganz
deutlich: Es gibt Situationen, die so spannungsgeladen sind und nach
Entladung drängen, daß es ziemlich
menschenunmöglich ist, sich noch zu "bremsen". Sei Dir als
Mädchen allerdings in jedem Fall in solchen Situationen zu
fein und zu schade dafür, daß der Partner
Dich anfängt mit seinen Händen zu intensiv
und dabei vor allem an den Geschlechtsteilen zu berühren!
Schmutziger Zweck dieser "Übung" ist, daß Dein
Verlangen nach Befriedigung auf die Geschlechtsteile konzentriert wird
- mit Liebe hat das dann gar nichts mehr zu tun, da geht es nur noch
ums Gefügig- und Scharfmachen. Du sollst
"übergabereif" gemacht werden, Du sollst Folterqualen
ausstehen, um dann den tatsächlichen Geschlechtsverkehr
geradezu zu ersehnen, wenn nicht am selben Tag, so doch bei
nächster Gelegenheit, die Du möglichst auch noch
einfädelst. (Du erinnerst Dich an die Geschichte mit der Suppe
im Gefängnis?) Wehr´ Dich entschieden gegen solche
hinterhältige Taktik, die Dein ganzes Lebenskonzept im
Hinblick auf eine glückliche und harmonische Partnerschaft zu
einem Mann durchkreuzt, wenn sie gelingt. Sieh zu, daß Dein
Partner rechtzeitig von Dir abläßt. Berühre
erforderlichenfalls seine Geschlechtsteile mit Deinen Händen,
damit er sich "entspannt" und Ruhe gibt. Erlaubt ist jetzt alles -
wach´ endlich auf! (Es gibt da auch noch die
Möglichkeit, vor allem bei einer drohenden Vergewaltigung,
mehr oder weniger sanft zuzuschlagen. So ein Schlag auf die Genitalien
tut einem Mann nämlich sehr weh und verhindert seine weitere
Lust!)
Der Junge (oder Mann), der über solche Taktik zu seinem Ziel
gelangen will, will mit Sicherheit nicht das Beste bei seinem
Mädchen, er will sich vielmehr den Weg über
für das Mädchen erfüllende geistig-seelische
Harmonie und mühevolle Aufopferung sparen,
möglicherweise fehlen ihm für das betreffende
Mädchen alle wirklich wertvollen Gefühle. Ihm geht es
also um reine Befriedigung seiner Triebe. Jetzt erst erkennst Du, wen
Du wirklich vor Dir hast! Und selbst wenn die Dauer der Beziehung
zugesichert ist, willst Du mit einem solchen Partner wirklich Dein
Leben aufbauen? Auch kann es sein, daß der Partner Dich durch
den Intimverkehr an sich ketten will, und irgendwann spürst Du
dann die Leere und läufst einem solchen Menschen schon von
alleine weg! (Verurteile aber einen Jungen oder Mann allerdings hier
nicht grundsätzlich: Es kann sein, daß ihm nur Dir
gegenüber die rechte Achtung fehlt, weil Ihr einfach nicht
miteinander harmoniert, daß er sich aber einem anderen
Mädchen gegenüber durchaus fair verhält. Du
hilfst somit durch Dein Verhalten nicht nur Dir selbst, sondern auch
dem Jungen. Und es kann schließlich möglich sein,
daß der Junge das bei einem modernen Sexualkundeunterricht
gehört hat, daß das alles so gut ist. In jedem Fall
ist Miteinanderreden angebracht!)
Und wenn Du schon meinst, nicht ganz auf eine voreheliche
körperliche Begegnung verzichten zu können, dann
behalte wenigstens im letzten noch klaren Kopf! Gib Dich nicht ganz
auf! "Die Beine zusammen und Gott vor Augen!" Laß - was auch
immer Ihr tut - möglichst weitgehend Deine Genitalien,
verhüllt oder unverhüllt, aus dem Spiel, vermeide
jede bewußte unnötige Berührung! So paradox
es klingen mag, "ungefährlicher" ist sogar ein "textilfreies"
Zusammensein, sofern man genügend nüchtern dabei ist,
als solche Berührung! Überlege, ob der Wunsch nach
Befriedigung im Vordergrund steht oder ob alles Ausdruck intensiver
Lebensfreude ist! Geht es trotz aller körperlichen
Hingezogenheit um etwas Geistiges oder um Sinnlich-Triebhaftes?
Versucht der Partner gar noch, Deinen Trieb erst richtig zu wecken -
und wenn es durch Küssen geschieht? Die Entzündung
von Lebensfreude ist ein positives Zeichen, denn Lebensfreude ist
personenabhängig; der Wunsch nach Triebbefriedigung kann
allerdings auch bei mehr oder weniger anonymen Partnern aufkommen und
erinnert daher fatal an das, um was es auch im Bordell geht.
Brich´ eine solche Beziehung ab, sei Dir zu schade!
Gegenüber tatsächlichem vorehelichen
Geschlechtsverkehr haben solche "Erlebnisse" enorme Vorteile: Man
gewinnt nicht nur wertvolle Zeit, in der man feststellen kann, ob die
Hingezogenheit zueinander nicht nur einem vorübergehenden
Rausch entsprungen ist, um bald in Fremdheit und Langeweile
auszulaufen. Man kann vielmehr auch erkennen, ob man sich beim Partner
tatsächlich fallen lassen kann, wieweit man also Sie selbst
sein kann. Oder mußt Du Dich gar verkrampfen, um Dir selbst
treu zu bleiben? Vor allem kannst Du leichter die Beziehung abbrechen,
wenn Du merkst, daß außer dem Wunsch des Partners
nach Befriedigung nicht viel dahinter steht. Du hast gegenüber
einem neuen Partner dann einen absolut guten Stand. Da im Grunde
"nichts" gewesen war, kannst Du Dich unbefangen dann wieder einmal von
einem anderen Partner begeistern lassen. Es ist noch alles offen: Somit
bedeutet Enthaltsamkeit
im letzten Ansporn, die Partnerschaft auch geistig in Schwung zu
halten. Das Leben wird durch solche "gezielte Enthaltsamkeit" nur
intensiver! Borneman meint sogar: "Keuschheit fördert die
Phantasie!"
Und nicht zuletzt: Bei dem empfohlenen "Verfahren" gibt es keine
Schwangerschaftsgefahr und auch keine Aids-Ansteckungsgefahr. Solche
Ansteckungsgefahr tritt im übrigen erst so richtig nach einer
Enttäuschung ein, wenn Sie auf der Suche nach einem Partner,
der wirklich zu Ihnen hält, dann nach einmal erfolgtem
Geschlechtsverkehr nicht mehr so "zimperlich" mit weiteren Partnern
sein wollen und können.
Und um Dich als Junge oder Mann einmal anzusprechen:
Denke doch bitte daran, wie risikobeladen vor allem für ein
Mädchen vollendeter vorehelicher Geschlechtsverkehr ist. Geht
es Dir nicht nahe, wenn ein Mädchen, das mit Dir seinen ersten
Verkehr hat, durch Dich erst einmal von der Liebe enttäuscht
ist? Ist es Dir gleichgültig, wenn sich das Mädchen
daraufhin weiteren Partnern zuwendet, von denen es dann regelrecht
ausgenutzt wird?
Außerdem: Wenn Du schon an Dir selbst erfahren hast, wie Du
Dich selbst mit Deinen Fingern durch Selbstbefriedigung
"außer Gefecht" setzen kannst, so unterlaß doch
wenigstens solche "Handarbeit" bei den Mädchen. Solche
Selbstbefriedigung ist schon für Dich selbst ein schwaches
Zeichen, charakterlos wird das "Verfahren" aber, wenn Du damit noch
andere gefügig machen willst. Werde doch endlich Mann und sieh
Deine Verantwortung! Vergegenwärtige Dir: Man kann ein
Mädchen auch zur Dirne machen. Habe nicht nur
Verständnis, sondern finde es doch einmal höchst
anerkennenswert und ganz wundervoll, wenn ein Mädchen wegen
aller dieser Probleme nicht auf den Segen Gottes vor dem letzten
entscheidenden Schritt verzichten möchte.
Es sieht sogar so aus, daß die Verfasser der
Urgeschichte das hier empfohlene "Testverhalten" durchaus akzeptieren:
Gott hat verboten, von der Frucht zu essen, das Verbot des
"Daranrührens" hat erst die Frau dazu frei erfunden. Das kann
doch nur bedeuten, daß erst der "Verkehr" als problematisch
angesehen wird (siehe Genesis 3, 3)!
Auch die "Stimme des Volkes", also was auf der
Straße geredet wird, urteilt hier keineswegs
abfällig über solches "Testverhalten". Ich erinnere
mich, daß ein Mädchen mit solcher Einstellung einmal
als ausgesprochen clever bezeichnet wurde: "Die ist pfiffig, die ist
nicht prüde, aber die weiß, was sie will!"
(Erinnerst Du Dich demgegenüber an das nur zu häufige
vernichtende Urteil zum vorehelichen Intimverkehr?)
Es besteht also kein Grund für junge Leute, nicht auch
bewußt zu solchem Verhalten zu stehen. Sie sollten jedoch das
"Spiel" nicht zu weit treiben, vor allem nicht mit häufig
wechselnden Partnern, denn für Ihr Gefühlsleben ist
das dann keineswegs von Vorteil! Sicher willst Du Dir als
Mädchen außerdem nicht den dann fälligen
auch wieder zweifelhaften Ruf einer "Halbjungfrau" einhandeln. Immerhin
solltest Du Dir bewußt sein, daß es hier einen sehr
großen Spielraum ohne Geschlechtsverkehr gibt.
Wenn mir Mädchen und Frauen von ihren
"Enttäuschungen" berichten, dann erfahre ich auch immer,
daß sie bis zu dem Moment, wo dann "alles" "passiert" war,
stets höchst "schamvoll" waren. Öffentliches
Nacktbaden etwa wäre für sie nie in Frage gekommen.
Ich frage mich da: Was hat solche "Schammoral" für einen Sinn,
wenn sie doch vor dem "Eigentlichen" nicht schützt? Wiegt
solche "Moral" nicht gar den jungen Menschen in einer
trügerischen Sicherheit, die eine aktive innere
Auseinandersetzung verhindert, die allein hilfreich wäre? Ist
solche "Moral" daher nicht nur hohl und nutzlos, sondern sogar
"sittengefährdender Aberglaube", wenn man mit Aberglaube einen
Glauben an eine trügerische Macht bezeichnet? Wir erinnern
uns, daß jemand, der an einem Brunnenrand herumhampelt,
anders behandelt werden muß als einer, der bereits in den
Brunnen gefallen ist, daher ist es für viele Erzieher hier
schwierig, sich in die jungen Menschen hinein zu versetzen.
Das Verhalten der meisten jungen Leute nach der
bisherigen Praxis ist demgegenüber paradox: Vorehelicher
Geschlechtsverkehr wird als notwendige "Erfahrung"
befürwortet, selbst wenn man sich dabei "umsonst" hingibt, man
auf sehr häßliche Weise hereinfällt und
noch lebenslang eine unschöne Erinnerung behält.
Merkwürdigerweise haben junge Leute schon vor dem Nacktsein,
etwa im Sommerurlaub am Meeresstrand, das bis auf eventuellen
Sonnenbrand nun wirklich folgenlos ist und letztlich sogar nur positive
Gefühle von Freiheit, Offenheit, Vertrauen vermittelt, nur zu
oft panische Angst. Dabei ist dieses Schamgefühl doch schon
längst durchlöchert: Wir entblößen
uns ja unbedenklich vor dem Arzt, also sogar vor einem Menschen des
anderen Geschlechts, den wir kaum kennen - warum sollen wir uns nicht
auch dort entblößen, wo es uns Spaß macht?
Daß die Scham zur Sexualmoral gehört,
ergibt sich noch nicht einmal aus der Urgeschichte der Bibel. In dieser
Geschichte wird ja festgestellt, daß das Bedürfnis,
sich zu bekleiden, erst die Folge der "Sünde" ist. Wir
können da die Adam-und-Eva-Geschichte
sinngemäß weiterinterpretieren: Wer also ganz
bewußt nicht sündigen will, für den ist
auch das Problem der Scham in geeigneten Situationen nicht von
Bedeutung. Unser angeblich angeborenes natürliches
Schamempfinden ist höchstwahrscheinlich anerzogen" oder
"erlernt" (wie die Psychologen sagen), ähnlich wie wir auch
Ekelgefühle etwa gegen bestimmte Speisen oder Tiere
"erlernen". Wir stehen hier in der Abhängigkeit von Leuten,
die offenbar allen Grund zu solchem Schamempfinden haben.
Wir sollten uns ganz bewußt nicht alles
versagen, denn wenn wir zu "eng" sind, besteht die Gefahr,
daß wir im Fall großer
gefühlsmäßiger Bewegung dann alle
Vorsätze komplett über Bord werfen, einfach weil wir
nicht gelernt haben, mit uns umzugehen. Der heilige Thomas Morus, der
wegen seiner Prinzipienstrenge unter dem englischen König
Heinrich VIII. sogar zum Märtyrer wurde, fand es in seinem
zeitkritischen Roman "Utopia" sogar befremdlich, daß sich
Menschen vor einem Versprechen, das auf eine lebenslange Verbindung
ausgerichtet ist, noch nicht einmal "nackt" sehen dürfen, "wo
man" anderswo "beim Ankauf eines armseligen Pferdes, bei dem es sich
doch nur um ein paar Goldstücke handelt, so vorsichtig ist,
daß man den Ankauf verweigert, ehe nicht der Sattel
abgenommen ist und alle Pferdedecken entfernt sind (obwohl das Tier
doch von Natur fast nackt ist), damit ja nicht unter diesen
Verhüllungen irgendein Schaden versteckt bleiben kann; dagegen
bei der Auswahl der Ehefrau (Anm.: und natürlich auch des
Ehemanns!), in einer Angelegenheit also, aus der Lust oder Ekel
für das ganze Leben folgt, verfährt man so
nachlässig, daß man hier das ganze Weib nach kaum
einer Spanne seines Leibes beurteilt..." Er beschreibt daher, wie in
dem von ihm erdachten idealen Land "Utopia" die zur Heirat bereiten
Eheleute erst einmal nackt gegenseitig vorgestellt werden! (Thomas
Morus, Utopia, Reclam 513, S. 112 f - das komplette Zitat siehe unter Basisreligion,
Stichwort Mittelalter.)
Diese ganze "Prozedur" könnte man sich
natürlich sparen, wenn sich die Menschen an ein "Durchbrechen"
der Scham gewöhnen. Gerade Mädchen können
hier den Jungen ganz allgemein helfen, im positiven Sinn unbefangen zu
sein, ja, sehr bald bliebe den Jungen gar nichts anderes mehr
übrig, als sich um solche Unbefangenheit zu bemühen.
Dabei wird unbefangenes Verhalten durch eine größere
Gemeinschaft eher gefördert, was etwa in "trauter Zweisamkeit"
oft nur schwer oder gar nicht möglich ist. Unsere Bedenken,
daß mit der Abkehr von dem heute noch als
"anständig" geltenden Schamverhalten auch die sexuelle
Anziehungskraft verschwindet oder zumindest leidet, sind
oberflächlich: Es schwinden doch nur diejenigen
Gefühle, die auf oberflächliche, rein
äußerliche Reize reagieren - und die sollen
schließlich auch verschwinden. Das, was aus der Tiefe des
Herzens kommt, kann umso deutlicher erstrahlen! Das Geistig-Seelische
gewinnt durch solche Gewöhnung nur an Bedeutung! Da gibt es
einfach keine Alternative: Für unbefangene junge Menschen ist
sexuelle Enthaltsamkeit Willenssache! Im übrigen ist eine
Lebenseinstellung, die nicht auf dem Willen aufbaut, sondern auf
Äußerlichkeiten wie etwa auf Textilien, für
den "Ernstfall" sowieso untauglich: Wie schnell sind solche Textilien
dann weggeworfen! Eine Sexualmoral hat etwas mit einer unbedingten
Einstellung zu tun, und bei solcher unbedingten Einstellung sind
Textilien dann eben auch nicht mehr von grundsätzlicher
Bedeutung.
Wir sollten uns überhaupt zur Frage der
Textilien bewußt sein: Jedes Mädchen, jede Frau
möchte sich nur zu gern vor einem Mann, dem sie wirklich
vertraut, ausziehen! Das heißt aber längst nicht,
daß sie auch intim werden möchte, ja sie
möchte wahrscheinlich noch nicht einmal "angerührt"
werden. Leider wird das eigentlich immer von Männern
mißverstanden. Es ist einfach Lebensfreude und Sympathie!
Ob hier nicht noch ganz tief die Sehnsucht nach dem
Paradies, nach dem Nacktsein, ohne sich zu schämen, in uns
steckt? Ob die Notwendigkeit, sich zu bekleiden, nicht ein Zeichen der
Angst vor dem anderen ist, die wir nur zu gerne aufgeben
würden?
Mach´ Dir als Mädchen es also doch zur inneren
Vorbedingung an einen Partner, daß Du das kannst! Kannst Du
Dir vorstellen, ihm gegenüber nackt zu sein, ohne Dich zu
schämen oder Angst zu haben? Versteht er Dich hier, kannst Du
mit ihm über das alles unbefangen reden, oder kommst Du Dir
lächerlich vor oder hast gar Angst, als bekloppt
zu gelten? Respektiert Dein Freund Deinen Wunsch, daß "nichts
passiert", unterstützt er Dich vielleicht sogar noch dabei,
freut er sich oder ist er ungehalten, weil "nicht mehr drin ist"?
Und wenn Du Dir den ersten Geschlechtsverkehr mit Ihrem Partner in der
Phantasie ausmalst: Kannst Du Dir den so begeistert und aktiv
vorstellen wie die "Brida" in der Geschichte von "Ranieri und Brida" im
Gespräch
19 der Vertraulichen
Gespräche? Wenn nicht, laß es
bloß bleiben, da kommt dann doch nur "eine Vergewaltigung mit
Deiner Zustimmung" heraus!
Achte vorerst jedoch einmal darauf, daß Du
Dich in Gegenwart Ihres Partners wirklich wohl fühlst,
daß Ihr gut und befreiend miteinander reden könnt!
Denn das ist ein sicheres Zeichen für Rücksicht und
Verständnis nicht nur in der jetzigen Situation, sondern auch,
daß Du im weiteren Leben in allen anderen Lebensbereichen
miteinander auskommt.
Such´ Dir doch von vorneherein einen Partner aus, bei dem
solches "paradiesische Geborgensein" möglich ist! Das
gehört doch zum sinnvollen "Vorspiel einer Ehe" - und nicht
das schnöde Herumfummeln!
Du wirst leicht einsehen, daß das alles am
unkompliziertesten bei den Jungen möglich ist, die dieselbe
Auffassung von Moral haben wie Du, diese Jungen kommen auch am ehesten
von allein auf solche Vorstellungen und halten sich gerne dran.
Höre genau hin und hin und beweise Menschenkenntnis!
Fliehe diejenigen mit einem anderen Konzept!
Wie heißt es beim Psalmisten?
"Lieber auf der Schwelle liegen am Hause meines Gottes als in den
Zelten des Frevels wohnen!" (Psalm 84)
Und das Nichthalten der Gebote Gottes ist eben "Frevel"!
Zuletzt noch zur äußerlichen Anziehung ein Hinweis:
Wir sollten uns bewußt sein, daß Mann und Frau hier
höchst unterschiedlich reagieren. Für den Mann sind
die rein äußerlichen Reize einer Frau
gewiß erst einmal von recht hoher Bedeutung, sie sind nun
einmal wichtig für ihn, wobei natürlich auch die
Vorstellungen von diesen Reizen unterschiedlich sind. Bei der Frau ist
das weitgehend anders: Ihr hilft etwa die "Schönheit" eines
Mannes gar nichts - für ihr Glück sind vielmehr Wesen
und Persönlichkeit viel ausschlaggebender. Für die
Frau ist wichtig, wie wohl, wie geborgen sie sich bei einem Mann
fühlen kann, wie "nackt" sie bei ihm sein kann.
Interessanterweise ist auch die Stimme des Mannes von Bedeutung.
Glücklicherweise sind bei alledem die "Geschmäcker"
verschieden. Leider merken die meisten Frauen erst, auf was sie
hätten achten sollen, nachdem sie sich nur zu oft
genug in das für sie im Grunde bedeutungslose
Äußere von Männern verrannt haben!
Zuletzt noch eine eindringliche Warnung zu den ganzen
Sexualspielen: Selbst wenn das alles gegenüber
tatsächlichem Geschlechtsverkehr relativ harmlos ist, solltest
Du Dir vorher bewußt sein, daß Du Dich da auch sehr
weit verrennen kannst. Du hast dann auch eine "rosarote Brille", mit
der Du nicht mehr klar sehen kannst. Da das Ganze auch ziemlich
unbefangen abläuft, ist es schwer für Dich, wieder
einen klaren Blick zu bekommen. Sei daher auch hier auf der
Hut und spiel nicht zu leichtsinnig mit dem Feuer!
G. Was Gott
verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen
Die Mutter eines Schülers erzählte mir, daß
sie von so einer Ehe, wie ich sie meinen Schülern
wünsche, einmal unmittelbar erfahren habe. Eine Frau habe ihr
begeistert von ihrem Mann vorgeschwärmt - und da habe sie
neugierig gefragt, wie lange sie denn schon verheiratet sei, und zur
Antwort bekommen: "28 Jahre, schade, daß es erst 28 Jahre
sind". Die Frau sei gar nicht einmal besonders auffällig und
hübsch gewesen...
Also gibt es tatsächlich erfüllte,
begeisterte Ehen! Und wenn es einige gibt, warum sollte es nicht mehr
davon geben, warum sollte es irgendwann in der Zukunft nicht nur solche
geben? Wir sollten also schon einmal mit dieser Zukunft anfangen und
nicht aufgeben, eine solche Ehe anzustreben! Haben wir nicht nur ein
einziges Leben und ist dieses eine Leben nicht für "halbe
Sachen", was Gefühle und Vernunft angeht, einfach zu schade?
Denn nur "Ganze-Sache-Ehen" sind gewiß von Gott verbunden,
gleichwie gläubig die Partner auch sein mögen.
Wenn viele Menschen heute in Partnerschaften hineinstolpern, diese
wieder lösen, sich anderweitig neu zusammenfinden und sich so
mit mehr oder weniger Erfolg mit dem Leben arrangieren, so hat das
sicher nichts mit unseren christlichen Idealen von Ehe und
Partnerschaft zu tun - ja, sehr schnell beginnt sogar das, was das
"Alte Testament" bei den Nachbarvölkern Israels als
"Prostitution" empfand und verurteilte. Doch es ist ganz
gewiß nicht im Sinne Jesu, hierfür die Schuld
ausschließlich den unmittelbar Betroffenen zuzuweisen! Denn
nicht einmal die Dirne hat Jesus verurteilt, verurteilt aber hat er
vielmehr die Priester und Lehrer der damaligen Zeit, weil sie sich ganz
offensichtlich für das Glück ihrer Gläubigen
als nicht zuständig gefühlt und sie daher nicht
überzeugend geführt haben: "Weh euch, ihr
Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler Ihr
verschließt den Menschen das Himmelreich. Ihr selbst geht
nicht hinein; aber ihr laßt auch die nicht hinein, die
hineingehen wollen" (Mt, 23, 13).
Und wie ist das heute? Können die Menschen nach den
Empfehlungen der Glaubensverkündigung überhaupt
Zugang zum Glauben finden und danach leben? Sind wir Theologen und
Pädagogen heute nicht am Ende weitgehend vergleichbar mit den
Kollegen von vor zweitausend Jahren, die Jesus so angegriffen hatte?
Für wirklich von Gott zusammengeführte
Ehen ergeben sich wohl folgende Kriterien:
1. Dem "lieben Gott" eine Chance lassen!
Wenn wir uns zuerst über alle Normen und
Empfehlungen unseres christlichen Glaubens hinwegsetzen, um
anschließend zu jammern, wie sehr wir uns vertan haben, und
dann noch Gott anklagen, dann machen wir Gott doch zum
"Nachtwächter"! Was bleibt Gott denn dann noch zu tun
übrig, wo wir doch schon "gehandelt" haben? Es ist zwar
tröstlich zu wissen, daß ein Gebet zu Gott auch dann
noch Hilfe bringt, aber eigentlich beweist solches Verhalten doch
höchst inkonsequente Spießigkeit!
Wir lassen nicht nur hier Gott keine Chance, wir lassen ihn auch aus
dem Spiel, wenn wir zum Beispiel aufgrund einer "Verliebtheit" in
unserem Bittgebet (bitte, lieber Gott, "den" "will" ich!) auf einem
bestimmten Partner bestehen und gar nicht mehr offen für
weitere Überlegungen sind. Auch wenn wir irgendetwas anderes
als geistig-seelisch-leibliche Ziele für eine Ehe anstreben,
bleibt dem "lieben Gott" keine Chance mehr, uns zu einer wirklich
erfüllenden Harmonie zu führen.
Sogar wenn eine Ehe mit allen möglichen kirchlichen Zeremonien
vor dem Traualtar schließlich "ratifiziert" wird, ist sie
also noch lange nicht von Gott zusammengeführt, es kann sich
dabei auch um den unwürdigen Empfang eines Sakramentes handeln!
2. Nicht durch andere Menschen trennen lassen!
Bisweilen haben etwa die Eltern andere Vorstellungen vom
Glück ihrer Kinder als die Kinder selbst. Die Eltern haben
für ihre Kinder bestimmte Rollenerwartungen, mit denen
besonders "brave" junge Menschen darin nicht in Konflikt geraten
möchten. Soweit wir uns wirklich in voller
Überzeugung an die Gebote Gottes und an die Empfehlungen
unseres christlichen Glaubens halten, dürfen wir uns
über solche Rollenerwartungen tatsächlich
hinwegsetzen - nicht leichtfertig, aber nach reiflichen
Überlegungen doch ohne schlechtes Gewissen.
Schließlich muß uns eine Partnerschaft lebenslang
erfüllen und nicht jemanden sonst. Aber bedenken wir: Eltern
sind eigentlich immer voller Sorge und sehen oft mehr die jungen Leute!
Es gibt da vor allem folgende von Menschen
aufgebaute Barrieren, die nirgendwo in den Geboten Gottes oder den
offiziellen Empfehlungen unseres Glaubens vorkommen:
- Rassische und nationale Verschiedenheit:
In der Dichtung gibt es da ein
berühmtes Paar: Othello und Desdemona im Schauspiel "Othello"
von Shakespeare. Die venezianische Kaufmannstochter Desdemona ist Frau
des afrikanischen Admirals der venezianischen Flotte im
östlichen Mittelmeer im Kampf gegen Sklaverei und
Unmenschlichkeit. Desdemona ist vom Idealismus des Othello begeistert:
"Wegen deiner Barmherzigkeit liebte ich dich"! (Eindrucksvoll ist auch
die gleichnamige Oper von G. Verdi.)
- Soziale, bildungsmäßige
Verschiedenheit, zu großer Altersunterschied: Wichtig sollte hier
außer der Erfüllung der Gebote Gottes eigentlich nur
sein, ob der Mann zu einer "geistigen Befruchtung" seiner Partnerin
imstande ist, und ob die Partnerin für die besondere Art des
Mannes eine "Antenne" hat und echte und ehrliche Bereitschaft zeigt.
Bei sehr großem Altersunterschied gilt: "Zehn Jahre richtig
erfüllt gelebt ist unvergleichlich besser als fünfzig
Jahre Langeweile".
Ein Beispiel für eine gelungene Ehe mit großem
Altersunterschied ist die Ehe des Entdeckers des antiken Troja,
Heinrich Schliemann, mit seiner Frau Sophia. Das Glück dieser
Ehe beruhte darauf, daß die um dreißig Jahre
jüngere Sophia die Begeisterung ihres Mannes für die
Antike teilte. Die Ehe war im übrigen von Heinrich Schliemann
und einem Onkel des Mädchens "arrangiert", von einer "Liebe
auf den ersten Blick" kann also vermutlich nicht ausgegangen werden!
- Konfessionelle Verschiedenheit und erst
recht ein Unterschied in der Religionszugehörigkeit sind da
eigentlich schon bedeutendere Barrieren, selbst wenn das heute zumeist
nicht so gesehen wird: Im
Moment der
Eheschließung ist zwar nur von Bedeutung, ob die vom
Christentum geprägten Ideale "stimmen". Für die
Zukunft einer konfessionsverschiedenen Ehe heißt das
allerdings schon, daß für eine bewußte
religiöse Gestaltung die Basis in einer gemeinsamen
Glaubensausübung :fehlt: Noch besuchen ja beide Partner
verschiedene Gottesdienste. Für eine vom christlichen Glauben
her geführte Ehe, um die es ja geht, ist das sehr
betrüblich. Denn eine gemeinsame Glaubensausübung
sollte nicht zuletzt einer möglichen Entfremdung der Partner
während der Ehe vorbeugen.
3. Nicht die Partnerschaft durch eigene
Nachlässigkeit trennen!
Alles, was Routine wird, ist aufs höchste
gefährdet - auch und besonders, wenn es etwas so Kostbares ist
wie die Liebe zwischen zwei Menschen. Diese Liebe sollte daher als
Gnadengeschenk empfunden und dem dauernden Schutz Gottes anvertraut
werden.
Eine moderne Interpretation des "Wunders der Weinvermehrung" bei der
Hochzeit von Kana weist auf die Notwendigkeit von "Wundern" als Hilfe
zu erfüllter Ehe hin (Wilhelm Wilms
<hrsg.>: Mitgift, Kevelaer 1985/5, S. 38):
Spielregel
in dieser geschichte
spielst du mit in
dieser geschichte
spielt ihr mit in
dieser geschichte
spielt jeder mit
es gibt auch bei dir
hoch-zeit
tief-zeit
und auch dir oder euch beiden wird
schon mal der wein ausgehn
gerade dann
wenn ihr es am
wenigsten vermutet
oder brauchen könnt
der wein
der freude
des glücks
der wein des vertrauens
und der täglichen zärtlichkeit
so sehr kann der wein ausgehn
daß man glaubt es geht nicht mehr
in solcher Situation
ist diese geschichte
diese bezaubernde geschichte
eine wunderbare Spielregel
und immer dann erinnert euch
an diese geschichte
wenn die krüge in eurem leben leer sind
wenn euer leben leer ist
dann tut
was er euch sagt
tut was zu tun ist
tut was ihr könnt
das einfachste von der welt
gebt was ihr habt -
nie sollen wir etwas halb tun
sondern ganz bis zum rand
sollen wir die leeren krüge füllen
mit dem was wir haben
vielleicht mit unseren tränen
mit unseren ängsten mit
unserer traurigkeit
wer nicht an ein wunder glaubt
ist kein realist
ohne wunder geht kein leben
erst recht kein leben zu zweit
zu dritt
zu viert
und noch etwas wichtiges
dem bräutigam wird vorgeworfen
in dieser geschichte
daß er den guten wein bis zuletzt
aufgehoben hat
der bräutigam schweigt
er verteidigt sich nicht
hat er auch nicht nötig
es wäre kein guter bräutigam
auch keine gute braut
wenn sie am hochzeitstag
gleich am anfang
den besten wein ihres lebens servierten
der eheliche wein
die liebe
muß von tag
von Jahr zu Jahr
köstlicher werden
guter wein wird mit den Jahren besser
das darf auch jeder hoffen
und das muß einer vom andern
in der ehe erwarten
daß alles kostbarer
und reifer wird
und ich glaube schon
daß das alles nicht gelingt
wenn man meint
wir zwei machen das schon
Jesus christus war bei der hochzeit zu kana
gast
und es wäre gut
wenn ER
jesus Christus
auch in Ihrer ehe dauergast wäre
daß Sie nicht bloß zwei sind
die sich zusammengetan haben
wenn ER
jesus Christus
bei Ihnen dauergast ist
stillschweigend dauergast
dann ist Ihre liebe
Ihre ehe ein sakrament
dann ist sie mehr
als nur das was Sie beide einbringen
dann ist Ihre ehe ein kraftfeld
in dem sich alles geheimnisvoll ordnet
dann wird nicht alles funktionieren
dann wird nicht alles reibungslos
ablaufen und klappen
nach den maßstäben dieser welt
aber dann findet alles
eine wunderbare ordnung eine heimat
Sie beide
Ihre kinder
Ihre gäste
Ihre freunde
Ihre Wohnung
wird zu einem sakramentalen zeichen
In Gefahr ist auch die Brisanz der körperlichen Liebe! Im
Laufe der Zeit kann gerade daraus eine fade Angelegenheit werden, wobei
sich keiner der Partner mehr so recht gefordert fühlt. Um dies
zu verhindern, sollten wir einmal die ablehnende Haltung der Kirche zu
den empfängnisverhütenden Mitteln
überdenken, ohne dabei gleichzeitig für eine
sprunghafte Bevölkerungsvermehrung zu plädieren. Doch
nach dem Motto "Jeden Tag Erdbeertorte mit Schlagsahne wird auch
irgendwann langweilig" kann auch die heißeste
körperliche Liebe, wie sie gerade durch die
empfängnisverhütenden Mittel problemlos vollzogen
werden kann, mit der Zeit dank einer phantasielosen
Regelmäßigkeit an Schwung verlieren. Die "Planung
nach der Zeitwahl" führt dagegen zwangsläufig zu
zeitweiliger Enthaltsamkeit und damit zu
"Hormonüberschuß" während der
"empfängnisgefährdeten" Tage. Zumindest in dieser
Zeit wird das wieder gefördert, was mit dem Stichwort "Sublimierung"
("Umsetzung des unbefriedigten Geschlechtstriebes in kulturelle
Leistungen") bezeichnet wurde. Eine solche Sublimierung kann durchaus
"frischen Wind" in eine zur Routine gewordene Beziehung bringen!
Wer Beginn und Dauer seiner Liebe unter die Normen und den Schutz
Gottes als einem liebenden Vater stellt, der stets nur das Beste will,
dürfte eigentlich nie falsch liegen!
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Selbst wenn es noch so schwer fällt: An und in jedem einzelnen
von uns entscheidet sich das Reich Gottes! Haben wir es wirklich
begriffen und leben wir in diesem Bewußtsein danach? Von uns
hängt einerseits ab, daß die Erlösungstat
Jesu für unser Glück wirksam wird, aber gleichzeitig
auch für andere, auch für die, die nicht an Christus
glauben, begehrenswert wird. Wir werden durch die christliche Botschaft
nun nicht mehr auf ein entferntes Jenseits vertröstet, mit dem
wir für ein verpaßtes Diesseits entschädigt
werden sollen, sondern unser diesseitiges Glück in seiner
ganzen Fülle ist Anliegen der Erlösungstat Jesu. Und
sie setzt beim "einzigartigen wirklich konkreten Geheimnisvollen
unserer Geschöpflichkeit, nämlich unserer Existenz
als Mann und Frau" ein. Im christlichen Glauben ohne
Aberglauben hat die Liebe zwischen Mann und Frau zentralen
Stellenwert. Daß diese Liebe in ihrer totalen Dimension bei
jedem Menschen zur Geltung kommt, ist Anliegen der
Erlösungstat Jesu. Jeder Mensch soll hier von Jesu Opfer am
Kreuz "profitieren" im wahrsten Sinne des Wortes. Die
Erlösungstat ist unmittelbare Lebenshilfe, die sich jetzt und
hier auswirkt und nicht erst in einer zukünftigen Welt!
Sowohl vom Mann wie von der Frau werden in einer diesseitigen
Reich-Gottes-Wirklichkeit Gebefähigkeit und Gebebereitschaft
unbeeinträchtigt und uneingeschränkt erfahren. Um
diese "Naturveranlagung" beziehungsweise unsere "genetische
Programmierung" ungeschmälert zu erleben und zu erfahren, ist
Voraussetzung, daß wir uns im entscheidenden
körperlichen Geben, oder besser Hingeben, nicht an das
"falsche Objekt", das heißt den falschen Partner "vergeuden".
Denn ganz zwangsläufig bringt jede "Vergeudung"
Enttäuschungen mit sich und behindert für die Zukunft
entscheidend unsere Spontaneität, unsere Phantasie, unsere
Begeisterung und unsere Uneingeschränktheit beim "Geben" oder
"Hingeben". Da diese '"Vergeudung" allerdings ein typisches Verhalten
unerlöster Menschen ist, ist sie auch tiefster und
höchst aktueller Sinn der Erzählung von der "Erbsünde"
Adam und Evas, auf die sich ja ganz unmittelbar die
Erlösungsbotschaft Jesu bezieht.
Nur wenn die äußeren Zeichen unseres christlichen
Glaubens, also die gottesdienstlichen Handlungen, durch entsprechende
Lebensführung begleitet werden, kann die Erlösungstat
Jesu für uns fruchtbar werden:
1. Harmonie der Gemeinschaft der Glaubenden
Ganz sicher ist für uns heute vieles nicht "attraktiv", was da
unter "Kirche" läuft. Doch das soll uns nicht unwiderruflich
verprellen, denn so etwas ist automatisch Erbe einer zweitausend Jahre
alten Institution. Da hat dann leicht die Asche die Glut
verdrängt. An uns liegt es, wenn Kirche im wahrsten Sinn des
Wortes wieder zum "Treffpunkt" derer wird, die nach einer Gemeinschaft
streben, die zum Ziel die diesseitige Einheit von Leib und Seele hat.
Menschen, denen selbst die Einheit von Leib und Seele in der hier
angesprochenen Intensität etwa aus Krankheit oder Behinderung
verwehrt ist, profitieren jedoch von der Ausgeglichenheit und von daher
unverkrampften Hilfsbereitschaft ihrer gesunden Mitmenschen: so haben
auch sie teil an einer Religion der Einheit von Leib und Seele. Damit
gerade junge Menschen sich im Sinn der hier dargelegten Auffassung vom
christlichen Glauben näher kommen, schlage ich vor:
Findet Euch wieder in Jugendgruppen der Gemeinde zusammen - diesmal im
Sinn der in diesem Buch vertretenen Auffassungen vom christlichen
Glauben!
Organisiert solche Gruppen! Gestaltet die Treffen reihum, das
heißt abwechselnd gestaltet jeder eine Gruppenstunde. Man
kann dabei auf religiöse Gespräche kommen, aber auch
auf Probleme in Beruf und Freizeit.
Wie wäre es, wenn Ihr euch zum Zeichen der bei Ihnen
einsetzenden "Sublimierung" kulturellen Werten zuwenden? Ist Euch
eigentlich bewußt, wie weit etwa im Musiktheater Eure
Probleme auf der Bühne in höchster Meisterschaft
"abgehandelt" werden, z.B. in Mozarts Don Giovanni, der "alle" Frauen
und Mädchen "anmacht", oder in Puccinis "Turandot", wo es um
den Sieg der Liebe über eine unnahbare, stolze Jungfrau geht?
Oder auch in Smetanas "Verkaufter Braut", wo es schon tragisch ist, wie
die Braut gegen ihren Willen jemanden heiraten soll, den sie gar nicht
liebt, und nur mit List und Tücke ihr Ziel erreicht. Sage
keiner, daß es so etwas heute nicht mehr gibt, heute sind die
Methoden nur verfeinert worden: Statt Freundschaft und Ehe direkt zu
verbieten, wird gespottet und lächerlich gemacht!
Wie wäre es, wenn Ihr Euch mit Euren Freunden für
solche Aufarbeitung menschlicher Probleme zu interessieren beginnt und
vielleicht auch offen werdet für eine Begeisterung?
Damit nun solche Gruppen - sinnvollerweise gemischtgeschlechtlich -
nicht zum Fiasko werden, muß jeder einzelne die Normen des
Christentums innerlich bejahen und danach leben. Erforderlich sind
also:
2. Höchste Klugheit und
unumstößliche Selbstdisziplin bei jedem einzelnen
Wer das Vertrauen und das Aus-Sich-Herausgehen eines anderen Menschen
"erlebt" hat, weil sich dieser sicher und geborgen fühlt, hat
eine Ahnung, welche Möglichkeiten des Zugangs zu anderen
Menschen und besonders zu Menschen des anderen Geschlechts eine von
Klugheit gesteuerte Selbstdisziplin eröffnet. Unter
Geschwistern ist eine solche Selbstdisziplin eher normal, doch haben
wir alle Bedürfnis nach viel mehr Geschwistern, als sie uns
von der Natur her gegeben sind. Die dafür erforderliche
Klugheit und Selbstdisziplin kann man lernen! Die Kirche bietet hier
aus ihrem - diesmal wirklich brauchbaren - zweitausendjahrealten
Erfahrungsschatz einige "Lektionen": Adventszeit, Fastenzeit,
Freitage... Die Aufforderung zu Verzicht in diesen Zeiten muß
nichts mit herrischer Gängelei zu tun haben, sondern sie kann
auch als Hinführung zu Klugheit und Beherrschung unseres
Körpers gesehen werden.
Im Zusammenhang mit der besseren Beherrschung des Körpers
sollte auch die Aufforderung zur grundsätzlichen Unterlassung
der Selbstbefriedigung gesehen werden.
Wenn solche Selbstdisziplin dann gelungen ist, und ein Junge einem
Mädchen Verläßlichkeit glaubwürdig
zusichern kann, gleichwie wenig sie ihre Hingezogenheit zu dem Jungen
auch verbergen kann, eröffnet das dann zum Beispiel sehr
unmittelbare Wege des "Kennenlernens ohne Reue". Der Vorteil einer
grundsätzlichen Selbstdisziplin, die nur deshalb so
unumstößlich ist, weil sie vom Glauben motiviert
ist, ergibt sich irgendwann automatisch: Wir gehen unkomplizierter
miteinander um. Wir brauchen uns nicht mehr zu verstellen, wir
können wirklich wir selbst sein.
Ein Mädchen etwa, das merkt, daß es unter keinen
Umständen Furcht vor einem bestimmten Jungen (oder Mann) zu
haben braucht, wird ihm erheblich unbefangener gegenübertreten
und sich bereiter öffnen. Dieses unbeschwerte
"Sich-Öffnen" sollten wir auf jeden Fall erfahren - es ist
etwas ganz Wunderbares! Wenn wir das nicht erleben, verpassen wir etwas
Wesentliches für unser ganzes weiteres Leben! Wohl jeder
Mensch möchte sich öffnen, sich loslassen, sich
begeistern, sich verschwenden für ein andersgeschlechtliches
Gegenüber. Erst wenn er merkt, daß er damit auf die
Nase fällt, daß die Offenheit nicht ankommt,
daß er damit nur ausgenutzt oder als Spielzeug benutzt wird
(selbst wenn's zunächst sogar "Spaß" macht - wir
Menschen sind da oft nicht ganz konsequent!), wird er sich
verschließen, und das dann leider nur zu oft auch gegen
diejenigen, die einem gar nichts "wollen". Ja, er wird sogar berechnend
werden und seinerseits versuchen, andere zu seinem Vorteil auszunutzen
(vgl. Arno Plack, a.a.0., S. 210).
Bei einer grundsätzlichen Selbstdisziplin dagegen kann eine
sinnvolle Partnerlauswahl stattfinden ohne Erinnerung an "vergangene
Partner" mit "fadem Beigeschmack". Ja, die Partnerwahl wird sogar zum
weitgehend unbeschwerten Erlebnis - zumindest im Nachhinein! Verzichte
also nicht auf dieses unbeschwerte "voreheliche" Erlebnis! Und wenn
irgendetwas dabei krampfig wird, sollte Dir das ein Zeichen sein: Brich
die Beziehung ab, ehe Du Dich zu sehr hineingesteigert hast! Und Du
wirst es ganz gewiß - auf alle Fälle im Nachhinein -
verspüren: Das Halten der Gebote führt zu mehr
Romantik, zu gelungeneren Beziehungen und damit zu
beflügelndem, tiefem und dauerhaftem Glück.
Wenn heute in unserem christlichen Glauben vieles mehr nach Aberglaube
klingt, statt nach Lebenshilfe, oder vieles sogar direkter Aberglaube
ist, liegt das an einer ganz natürlichen Verfallserscheinung:
Große Ideen werden immer irgendwann verzerrt und
sinnentstellt weitergegeben, wodurch man auch dann nicht mehr sein
Leben danach gestalten kann. Daher wird es zwangsweise erforderlich,
die nun einmal gewonnenen Anhänger dieser Ideen mit nicht
nachprüfbaren "Unglaublichkeiten" bei der Stange zu halten und
mit nicht nachprüfbaren Vertröstungen zu
entschädigen. So wird aus einer Lebenshilfereligion nun einmal
eine Aberglaubereligion.
An uns liegt es, diese Entwicklung zu unserem Glück wieder
umzukehren. Unser Glück und das Aufblühen unseres
christlichen Glaubens sind damit zwangsläufig schicksalhaft
verbunden. Fangen wir an, die Gebete und Sakramente, die uns nicht
unbekannt
sind, im Sinn einer Lebenshilfe zu sehen und zu nutzen.
Es geht doch ganz eindeutig bei den wesentlichen
Sakramenten unseres Glaubens immer wieder um die "Bewahrung vor
Sünde", also um die Bewahrung vor Fehlentscheidungen, die
unser Leben beeinträchtigen! Oder um den Schutz vor
Versuchung, vor Verführung... Dazu nur einige Beispiele:
Die Taufe gibt uns das
Bewußtsein, daß wir in unserem eigenen Leben neu
beginnen, und daß sich nicht mit einem teuflischen
Automatismus die Fehler und Unzulänglichkeiten derer, die uns
erziehen, an uns wiederholen. Ohne eine bewußte Annahme
dieses Sakramentes ist es leider zumeist so, daß alle
erzieherischen Bemühungen an uns nur eines erreichen:
Daß wir erst recht die Fehler unserer Erzieher, und da vor
allem der eigenen Eltern, machen.
Die Kommunion (Abendmahl) in der
Feier des Opfertodes Jesu dient uns nach dem Gebet der Kirche als
"Schutz für Leib und Seele" (für unser
leib-seelisches Glück). Im "Vater unser", das die Kirche von
alters her in der Liturgie vor der Kommunion betet, bitten wir,
daß das Reich Gottes ("Reich des leib-seelischen
Glücks" für alle Menschen) Wirklichkeit wird und
daß uns dabei das "überirdische Brot Jesu" helfe!
("Tägliches" Brot ist eine falsche Übersetzung!)
Allerdings: Selbst wenn es in der Theologiegeschichte nicht weit her
sein sollte mit diesem Sakrament: Man müßte es
erfinden! Wir brauchen einfach so ein Gemeinschaftsmahl!
Die Firmung (confirmatio) fordert uns auf, mit
wachem Geist im Bewußtsein unserer Beschränktheit an
die großen Entscheidungssituationen des Lebens heranzugehen.
Hier der seit alters her überlieferte Text:
Heiliger Geist komme über euch und die Kraft des
Allerhöchsten schütze euch vor Sünden!
Der allmächtige, ewige Gott, der von euch alle
Unzulänglichkeiten hinweggewaschen hat, schenke euch
vielfältige Gaben:
WISSEN und Bewußtsein um Erfüllung oder
Enttäuschung eurer Sehnsucht nach Liebe und Vertrauen, nach
Glück
EINSICHT, eure Handlungen in ihrer vollen Wirklichkeit und in ihrer
Tragweite rechtzeitig zu durchschauen, das Wahre
vom Falschen, dis Nützliche vom Schädlichen zu
unterscheiden,
BEURTEILUNGSKRAFT, euch für euer Glück stets richtig
zu entscheiden und zu Grundsätzen zu kommen,
STANDHAFTIGKEIT, nicht in dem, was ihr einmal als gut und richtig
erkannt habt, schwach zu werden.
Außerdem helfe euch Gott, an ihn zu GLAUBEN und ihm zu
VERTRAUEN und ihn zu FÜRCHTEN.
Seid bezeichnet mit dem Zeichen des Kreuzes.
Gott stärke euch mit diesem Öl des Glücks!
Denke daran bei allen solchen "offiziellen Gebeten: Das Wichtigste ist
das von Dir frei formulierte persönliche Gebet!
Versuche, mit Gott auf "Du" zu stehen!
Besprich mit Gott Deine Alltagsprobleme - und vor allem
alles, was mit Deinem Glück zusammenhängt!
Beginn noch heute damit!
Zur Erinnerung: Biblischer Text der
Adam-und-Eva-Erzählung
Und Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten
Eden, ihn zu bebauen und ihn zu bewahren. Und Gott, der Herr, gebot dem
Menschen und sprach: Von jedem Baum des Gartens darfst du essen; aber
vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon darfst du
nicht essen; denn an dem Tag, da du davon ißt, mußt
du sterben!
Erschaffung Evas
Und Gott, der Herr, sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch
allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht. Und
Gott, der Herr, bildete aus dem Erdboden alle Tiere des Feldes und alle
Vögel des Himmels, und er brachte sie zu dem Menschen, um zu
sehen, wie er sie nennen würde; und genau so wie der Mensch
sie, die lebenden Wesen, nennen würde, [so] sollte ihr Name
sein. Und der Mensch gab Namen allem Vieh und den Vögeln des
Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber für Adam fand er
keine Hilfe, ihm entsprechend.
Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen
fallen, so daß er einschlief. Und er nahm eine von seinen
Rippen und verschloß ihre Stelle mit Fleisch; und Gott, der
Herr, baute die Rippe, die er von dem Menschen genommen hatte, zu einer
Frau, und er brachte sie zum Menschen. Da sagte der Mensch: Diese
endlich ist Gebein von meinem Gebein und Fleisch von meinem Fleisch;
diese soll Männin heißen (Anmerkung: im Englischen
läßt sich das Wortspiel der Bibel besser
übertragen: "man - woman"), denn vom Mann ist sie genommen.
Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner
Frau anhangen, und sie werden zu einem Fleisch werden. Und sie waren
beiden nackt, der Mensch und seine Frau, und sie schämten sich
nicht.
Der Sündenfall und dessen Folgen
Und die Schlange war listiger als alle Tiere des Feldes, die Gott, der
Herr, gemacht hatte; und sie sprach zu der Frau: Hat Gott wirklich
gesagt: Von allen Bäumen des Gartens dürft ihr nicht
essen? Da sagte die Frau zur Schlange: Von den Früchten der
Bäume des Gartens essen wir; aber von den Früchten
des Baumes, der in der Mitte des Gartens [steht], hat Gott gesagt: Ihr
sollt nicht davon essen und sollt sie nicht berühren, damit
ihr nicht sterbt! Da sagte die Schlange zur Frau: Keineswegs werdet ihr
sterben! Sondern Gott weiß, daß an dem Tag, da ihr
davon eßt, eure Augen aufgetan werden und ihr sein werdet wie
Gott, erkennend Gutes und Böses. Und die Frau sah,
daß der Baum gut zur Speise und daß er eine Lust
für die Augen und daß der Baum begehrenswert war,
Einsicht zu geben; und sie nahm von seiner Frucht und aß, und
sie gab auch ihrem Mann bei ihr, und er aß. Da wurden ihrer
beider Augen aufgetan, und sie erkannten, daß sie nackt
waren; und sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten
sich Schurze.
Und sie hörten die Stimme Gottes, des Herrn, der im Garten
wandelte bei der Kühle des Tages. Da versteckten sich der
Mensch und seine Frau vor dem Angesicht Gottes, des Herrn, mitten
zwischen den Bäumen des Gartens. Und Gott, der Herr, rief den
Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du? Da sagte er: Ich hörte
deine Stimme im Garten, und ich fürchtete mich, weil ich nackt
bin, und ich versteckte mich. Und er sprach: Wer hat dir
erzählt, daß du nackt bist? Hast du etwa von dem
Baum gegessen, von dem ich dir geboten habe, du solltest nicht davon
essen? Da sagte der Mensch: Die Frau, die du mir zur Seite gegeben
hast, sie gab mir von dem Baum, und ich aß. Und Gott, der
Herr, sprach zur Frau: Was hast du da getan! Und die Frau sagte: Die
Schlange hat mich getäuscht, da aß ich. Und Gott,
der Herr, sprach zur Schlange: Weil du das getan hast, sollst du
verflucht sein unter allem Vieh und unter allen Tieren des Feldes! Auf
deinem Bauch sollst du kriechen, und Staub sollst du fressen alle Tage
deines Lebens! Und ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der
Frau, zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf
zermalmen, und du, du wirst ihm die Ferse zermalmen. Zu der Frau sprach
er: Ich werde sehr vermehren die Mühsal deiner
Schwangerschaft, mit Schmerzen sollst du Kinder gebären! Nach
deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich
herrschen! Und zu Adam sprach er: Weil du auf die Stimme deiner Frau
gehört und gegessen hast von dem Baum, von dem ich dir geboten
habe: Du sollst davon nicht essen! - so sei der Erdboden verflucht um
deinetwillen: mit Mühsal sollst du davon essen alle Tage
deines Lebens; und Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und
du wirst das Kraut des Feldes essen! Im Schweiße deines
Angesichts wirst du [dein] Brot essen, bis du zurückkehrst zum
Erdboden, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum
Staub wirst du zurückkehren!
Und der Mensch gab seiner Frau den Namen Eva, denn sie wurde die Mutter
aller Lebenden.
Und Gott, der Herr, machte Adam und seiner Frau Leibröcke aus
Fell und bekleidete sie.
Und Gott, der Herr, sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie einer
von uns, zu erkennen Gutes und Böses. Und nun, daß
er nicht etwa seine Hand ausstrecke und auch [noch] von dem Baum des
Lebens nehme und esse und ewig lebe! Und Gott, der Herr, schickte ihn
aus dem Garten Eden hinaus, den Erdboden zu bebauen, von dem er
genommen war. Und er trieb den Menschen aus und ließ
östlich vom Garten Eden die Cherubim sich lagern und die
Flamme des zuckenden Schwertes, den Weg zum Baum des Lebens zu bewachen.
NACHWORT
Gebote und Verbote, selbst wenn sie noch so richtig
sind, sind nutzlos, wenn sie nicht einsichtig sind und wenn nicht
Strategien mitgeliefert werden, damit man sich auch an sie halten kann.
Und hier liegt das Problem unseres heutigen christlichen Glaubens:
Die Begründungen für das Leben nach dem Glauben
klingen für den Menschen von heute fremd, und die Strategien
taugen schon gar nichts.
Um sich heute einigermaßen an die Gebote Gottes, die ja uns
vor Schaden bewahren und damit unser Leben glücklicher machen
sollen, halten zu können, gibt es so eine Art "Geheimwissen",
das bestenfalls dann und wann einmal von unter ihresgleichen gut
informierten Brüdern ihren Schwestern "eingeimpft" wird.
Daß nicht allen Menschen dieses Wissen zugänglich
ist und somit nicht alle Menschen erst einmal die Möglichkeit
haben, ihr Leben bewußt nach christlichen Idealen und Normen
zu gestalten, ist ein unerträglicher Zustand.
Daher habe ich versucht, dieses "Geheimwissen" zu "systematisieren" und
für meine Schülerinnen und Schüler
aufzuarbeiten. Dabei hoffe ich, einsichtig gemacht zu haben, welch
großartige Hilfe unser christliche Glaube auch für
den heutigen Menschen sein kann. Angesprochen sind vor allem junge
Menschen, ja "Kinder", die noch "alles vor sich haben", "denn ihrer ist
das Himmelreich" (wobei das "Himmelreich" rein diesseitig gesehen wird).
Leider bedeutet die Wichtigkeit dieses "Geheimwissens" für das
eigene Leben, daß Menschen, die dieses Wissen nicht haben,
schon deswegen sehr oft einfach nicht nach dem Glauben leben
können, obwohl sie es sicher zunächst wollten.
Deshalb trifft sie auch kaum eine Schuld, selbst wenn sie dadurch nur
sehr schwer zur vollen seelisch-geistig-körperlichen Harmonie
in ihrem Leben kommen. Sie sollten sich bewußt werden,
daß ihr Mißgeschick nur zu oft auf "tragischer
Verstrickung" beruht, und sich selbst und anderen keine
Vorwürfe machen. Um ihre Zukunft zu gestalten,
könnten sie jedoch versuchen, sich von dem hier dargelegten
Konzept des christlichen Glaubens anregen zu lassen..
Bei der Verfassung des Buches habe ich mich
bemüht, mir bekannte, konkrete Schicksale nicht aus dem Auge
zu verlieren. Auf diese Weise hoffe ich, unsinnige, ungünstige
und sogar nachteilige Ergebnisse und Ratschläge vermieden zu
haben.
Sollten Sie, lieber Leser, nun trotz aller
Bemühung Ihrerseits keine guten Erfahrungen mit einem Leben
nach den Vorstellungen eines "diesseitigen Christentums"
haben, bitte ich sehr darum, mir das mitzuteilen. Solche
Gespräche haben mir in der Vergangenheit viel geholfen; ich
bin auch in Zukunft darauf angewiesen.
Pfingsten 1987
Aus
dem Inhalt
Alter Glaube unter
völlig neuen Gesichtspunkten
Religion für die Lebendigen statt für die Toten!
Auch mit Adam und Eva war das alles anders!
Es geht um ein erfülltes Diesseits!
Theorie und Praxis
Unmittelbare Hilfe für junge Menschen
Wie ist zu erkennen, wer es ehrlich meint.
Erkennen von Enttäuschungsmöglichkeiten
Vermeiden von Enttäuschungen
Dadurch:
Vernünftige Selbstsicherheit
Intensiveres Leben
Handreichung für Eltern und Erzieher
Warum junge Menschen oft so unzugänglich für die
besten Ratschläge zu sein scheinen.
Was Sie ohne viel Aufwand besser machen können.
Entdecken Sie Ihr Christentum neu!
Es steckt mehr dahinter als Sie ahnen!
. . .und alles höchst aktuell: Sie vermeiden gleichzeitig die
Hauptansteckungsgefahr von Aids!
Zum Verfasser:
Michael Preuschoff, geb. 1941, Reserveoffizier,
Industriekaufmann bei einem deutschen Elektrokonzern, Diplomtheologie
und von 1975 bis 2004 tätig als Religionslehrer an
Kaufmännischen Berufsschulen im Erftkreis und im Kreis
Düren. Studium der Theologie an der Hochschule der Jesuiten in
Frankfurt/M. und an den theologischen Fakultäten der
Universitäten Innsbruck und Münster.
Individuelle Reisen außer in die
Länder Europas noch in den Vorderen, Mittleren und Fernen
Orient, nach Nord- und Zentralafrika und nach Nord-, Mittel- und
Südamerika.
Vorträge bei der Akademie für
Sozialwissenschaften in Schanghai.
www.basisglaube.de
www.basisreligion.de
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