Vorbemerkung: Der folgende Bericht ist zur Zeit (im Jahr 2006) wohl etwas überholt, denn den Eltern scheinen die Abenteuer ihrer Kinder inzwischen so ziemlich egal zu sein, wenn sie diese nicht sogar noch fördern. Aber ob das die Kinder auch so sehen, wenn sie wüssten, um was es geht? Sinnvoller heute scheint also als Einführung der Film "Kids" zu sein, allerdings nur der Anfang (etwa 15 min) und dann vielleicht noch die Anmachgeschichte Telli´s mit Darsi. Alles andere ist für Kinder eher unverständlich und sogar langweilig. Siehe hierzu das Stichwort Sexualerziehung und besonders den Anhang!

 

 

GESTÄNDNIS EINES MÄDCHENS: ICH HABE MEIN KIND ABGETRIEBEN

Ich bin gerade erst 19 geworden. Ich weiß, ich sehe älter aus. Mindestens wie 25. Mich wundert das nicht. Denn ich habe vier Monate hinter mir, die waren so lang wie zehn Jahre: die Zeit, in der ich mein Kind abgetrieben habe. Ich habe gelesen, daß jährlich etwa 500000 Frauen in Deutschland das gleiche tun. Aber das tröstet mich nicht. Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, wenn ich nicht auf diese häßliche Weises über alles aufgeklärt worden wäre, was mit Sexualität zusammenhängt.

Das fing an, als ich 13 war. Ich ging damals noch in die Dorfschule. In der Pause nahm mich eine Klassenkameradin zur Seite. “Du", sagte sie, “ich weiß  jetzt, wie die Kinder auf die Welt kommen. Soll ich's dir sagen? Mann und Frau ziehen sich ganz aus und der Mann legt sich auf den Bauch der Frau."

“Du bist verrückt!"

“Frag deine Mutter, ob ich verrückt bin. Frag sie doch, wie sie ihre Kinder gekriegt hat." Da schlug ich ihr ins Gesicht. Aber es ließ mir keine Ruhe. Abends, im Bett erzählte ich es meiner Schwester. “Du Schwein", schrie sie mich an, “das sage ich Mutter."

Sie hat es gleich am nächsten Morgen gepetzt. Es war ein Sonntag, und im ganzen Haus roch es nach Kuchen. Auch in der Dachstube, in der ich zitternd darauf wartete, daß Mutter mich zur Rede stellen würde. Aber sie kam nicht. Sie rief nur von unten: “Komm doch mal in die Küche!" Wir setzten uns: meine Schwester und ich an die eine Seite des Küchentischs. Mutter uns gegenüber. Mutters Stimme war ganz ruhig:

“Was deine Klassenkameradin erzählt hat, stimmt nicht. Die Kinder wachsen im Leib der Mutter. Und wenn sie groß genug sind, kommen sie da raus." “Und wie kommen sie rein?" wollte ich wissen.

“Das sage ich dir nächstes Jahr. Jetzt bist du noch zu klein dazu. Heute erzähle ich es nur deiner Schwester. Die ist schon groß genug dafür. Geh jetzt raus, spielen."

Meine Schwester ist genau ein Jahr und 22 Tage älter als ich.

Ich machte brav die Küchentür hinter mir zu. Und dann hielt ich das Ohr ans Schlüsselloch. Aber ich konnte nichts hören. Das war meine erste Aufklärungslektion.

Die zweite hatte ich ein Jahr später. Als ich eines Abends von der Arbeit nach Hause kam, war bei uns die Hölle los: Mein Vater schlug meine Schwester mit Fäusten und schrie: “Du Hure, pack dich aus dem Haus, komm mir nie wieder vor die Augen." Mutter weinte. Vater schrie und schlug weiter. Und dann ließ er plötzlich die Arme sinken. Sie pendelten hin und her. Kein Laut in der Küche. Dann drehte er sich um und ging aus dem Haus. Mutter und ich hoben meine wimmernde Schwester auf, trugen sie ins Bett und wischten ihr das Blut von den aufgeplatzten Lippen.

“Schlaf jetzt", sagte Mutter zu mir. Ihre Stimme hatte keinen Klang. “Ich will versuchen, Vater umzustimmen. Er darf nicht seine eigene Tochter aus dem Haus jagen. Auch nicht, wenn sie etwas Schlechtes getan hat. Auch dann nicht, wenn sie ein uneheliches Kind bekommt."

Das war es also! Meine Schwester hatte “das Schlechte" getan, von dem man Kinder bekommt. Es stimmte also doch, was die Mitschülerin erzählt hatte. Ich drückte die Handballen fest auf meine Augen, um das Bild nicht zu sehen: meine Schwester und ein Mann nackt... Aber das Bild war hinter meinen Augen. Es ging nicht weg. Nie das schwor ich mir in dieser Nacht, nie werde ich so etwas Ekelhaftes tun. Und nie, nie werde ich ein uneheliches Kind bekommen. Damals war ich 14 und kaufmännischer Lehrling in einer Fabrik in der Nähe meines Heimatdorfs.

Ich konzentrierte mich ganz auf die Arbeit. Oft saß ich noch in der Registratur, wenn alle Angestellten längst gegangen waren. Das fiel meinem Chef auf. Er lobte mich. Er erhöhte meinen Lohn. Und als in der Stadt, 200 Kilometer von unserem Dorf entfernt, eine Verkaufsfiliale unserer Fabrik eröffnet wurde, sprach er mit meinem Vater.

“Lassen Sie Ihre Tochter mitgehen. Sie ist intelligent. Sie ist sehr tüchtig. Sie wird Karriere machen. Stellen Sie sich ihr nicht in den Weg." Mein Vater gab seine Zustimmung.

Am Abend vor meiner Abreise hatte ich noch zwei Gespräche: ein kurzes mit meinem Vater, ein längeres mit meiner Mutter. Mein Vater: “Wenn du mit einem unehelichen Kind nach Hause kommst, schlage ich dich tot. Zweimal ertrage ich diese Schande nicht." Meine Mutter: “Sieh dich in der Stadt vor. Dort leben die gelernten Verführer. Sie werden dir erzählen, wie schön es im Bett mit einem Mann ist. Aber das ist eine Lüge. Für Frauen ist das widerlich. Und wenn ein Mann erst hat, was er wollte, läßt er dich sitzen. Denk an deine Schwester."

Drohungen, Angst, Widerwillen - das war das Gepäck, mit dem ich, sechzehnjährig, in die Stadt zog.

In der Stadt bekam ich die dritte Aufklärungslektion. Der Lehrmeister war eine 19jährige Kollegin. “Wenn du mit einem Jungen ausgehst, mußt du immer so was bei dir haben", sagte sie und zeigte mir Gummikondome. “Kriegst du aus Automaten. Drei Stück 'ne Mark."

Ich verstand nichts. Sie erklärte mir geduldig alles. “Die Männer, weißt du, denken nicht daran. Du mußt selbst dafür sorgen, daß sie den Schutz anwenden. Sonst bist du im Schlamassel."

Ich schleuderte die Dinger angeekelt weg. “Nie, nie werde ich mich mit einem Mann abgeben."

“Du bist noch dämlicher, als ich geglaubt habe", sagte die Kollegin, “in

vier Wochen denkst du anders."

In vier Wochen dachte ich noch genauso. Auch nach einem halben Jahr. Natürlich ging ich tanzen. Natürlich ließ ich mich von Jungen nach Hause bringen. Aber ich erlaubte ihnen nichts. Kein Streicheln. Keinen Kuß.

Und dann war einer stärker als ich. Er lachte nur, als ich mich wehrte, und küßte mich. Küßte mich so, daß ich wie süchtig wurde: nach dem nächsten Kuß, nach seinen streichelnden Händen.

Davor hatten mich meine Eltern nicht gewarnt.

Und so ließ ich mich streicheln und küssen. Drei Monate lang. In seinem Wagen. Abends im Park. Sonntags im Wald. Und eines Abends auch in meinem Zimmer. Als ich betrunken war, von seinen Küssen und auch wohl vom Wein, flüsterte er: “Ich glaub' nicht, daß du noch Jungfrau bist. Bei deinem Temperament."

Ich bewies ihm, daß ich noch Jungfrau war.

Nach einer Minute war alles vorbei. Er stand auf, zog sich an, gab mir einen kleinen Kuß. Und ging.

Ich heulte. Biß in die Kissen. Schlug mit den Fäusten auf sie ein. Fühlte mich beschmutzt. Durch eine Minute voll Schmerz und Scheußlichkeit. Als er am nächsten Tag wiederkam, habe ich ihn rausgeschmissen. “Wenn du dasselbe willst wie gestern, kannst du gleich wieder gehen!"

Er starrte mich blöd an. “Was soll das? War es denn nicht schön?" “Es war ekelhaft. Geh!" Er ging, ich habe ihn nie wiedergesehen.

Wieder verschanzte ich mich hinter meiner Arbeit. Wieder lobte mich der Chef. Und wieder bekam ich eine Gehaltszulage.

“Das muß gefeiert werden", sagte meine Freundin. Wir feierten in einem Tanzlokal. Dort lernte ich “ihn" kennen: groß, schlank, blendende Umgangsformen. Student im fünften Semester, aus guter Familie. Jeden abend holte er mich in seinem Sportwagen ab. Wir lachten, wir tanzten. Und wir waren verliebt. Nie wurde seine Zärtlichkeit aufdringlich. Wenn er den geringsten Widerstand spürte, ließ er von mir ab. “Meine scheue kleine Jungfrau!"

Sechs Monate lebte ich mit dieser Lüge. Und mit diesem Glück. Dann beichtete ich ihm alles.

Er machte mir keine Vorwürfe. Er sagte nur: “Was macht das schon, wenn man sich liebt?" Er war zärtlicher als je zuvor. Und ich hatte keine Angst mehr. Drei Monate später wußte ich, daß ich schwanger war.

Allen Bekannten erzählte ich nun die Geschichte von einer armen schwangeren Freundin. Daß ich selbst schwanger war, erzählte ich nicht. Ich bekam eine ganze Menge Ratschläge. Und probierte alle aus. Aber die ersehnte Blutung kam nicht. Einige der Mittel, die ich ausprobierte, waren so furchtbar, daß ich glaubte, sterben zu müssen.

Eines Tages sah ich nur noch einen einzigen Ausweg aus meiner Verzweiflung: einen Arzt, der Abtreibungen macht. Aber niemand kannte einen, der zu so etwas bereit war. Ich weiß nicht, wie ich diese Zeit überstanden habe. Vor allem weiß ich nicht, wie ich es schaffte, meinen Zustand und meine Angst vor meinem Freund geheimzuhalten.

Er sollte, er durfte nichts merken. Es kam eine Nacht, in der ich versuchte, mir das Leben zu nehmen. Mit Schlaftabletten. Aber ich habe sie wieder alle ausgebrochen. Mein Magen war durch die vielen Medikamente, die ich als Abtreibungsmittel geschluckt hatte, zu empfindlich geworden. Dann fing ich wieder von vorn an. Mit all den Mitteln, die ich schon einmal ausprobiert hatte. Nichts half. Aber es wurde mir immer elender. Meinem Freund log ich vor, ich hätte eine Magenschleimhautentzündung und sei in ärztlicher Behandlung. Als ich im vierten Monat war, hatte ich allen Mut verloren. Und neue Hoffnung gewonnen. Warum sollte ich es eigentlich meinem Freund nicht sagen?

Ich steigerte mich in immer größeren Optimismus hinein. Bis ich den Mut hatte, zu ihm zu gehen.

Er war auf einmal gar nicht mehr zärtlich. “Was soll ich denn da machen? Was guckst du denn so? Ich kann mir doch auch nichts aus dem Ärmel schütteln."

“Nein, das kannst du nicht", sage ich mühsam. Und ging. Geweint habe ich erst auf der Straße.

Ein paar Tage rief er mich an. “Ich habe eine Adresse.” Es war ein Arzt. Mein Freund hatte uns schon angemeldet. Wir wurden in eine Zimmer geführt. Der Arzt warnte mich: “Das ist alles nicht ungefährlich. Bitte überlegen Sie es sich noch einmal genau. Wenn Sie in drei Tagen immer noch darauf bestehen, werde ich es machen. Übrigens - wieviel Geld können Sie dafür ausgeben?"

“Zweihundert Mark, mehr hab ich nicht", stotterte ich.

Er war einverstanden.

Als die drei Tage um waren, gingen wir wieder zum Arzt. Diesmal wurde ich in eine Art Gästezimmer geführt. Der Eingriff dauerte vielleicht drei Minuten und war fast schmerzlos. Ich gab dem Arzt vier Fünfzigmarkscheine. Er steckte sie ein, ohne nachzuzählen.

“In vier Tagen werden die Wehen einsetzen. Dann müssen Sie sofort ins Krankenhaus", sagte er. Mein Freund brachte mich ins Büro zurück. Nach vier Tagen setzten tatsächlich die Wehen ein. Ich ging trotzdem noch ins Büro. Weil ich hoffte, daß mein Freund mich anrufen würde. Er wußte doch, daß es heute soweit war. Er rief nicht an. Die Wehen wurden immer schlimmer. Ich hielt bis Dienstschluß durch. Erst nachts fuhr ich mit einem Taxi zum Krankenhaus.

Der diensthabende Arzt untersuchte mich gründlich. “Da ist nichts mehr zu machen", sagte er. “Das Kind ist tot!"

Das Kind ist tot - hat er gesagt, das Kind ist tot.

Dieser Satz war schlimmer als alles, was ich vorher durchgemacht hatte. In dieser Sekunde erst begriff ich, daß ich einen Mord begangen hatte. An einem Kind, meinem Kind.

Eine Schwester brachte mich in ein Einzelzimmer. “Klingeln Sie, wenn Sie mich brauchen." Ich klingelte zweimal nach ihr. Das erstemal gab sie mir eine Schmerztablette, das zweite Mal eine Spritze, denn die Schmerzen waren immer noch unerträglich. “Jetzt werden Sie aber bestimmt schlafen", sagte die Schwester.

Wie sollte ich schlafen, wenn tausend spitze Messer in meinem Leib stachen? Ich rannte von einer Zimmerwand zur anderen, hin und zurück, zurück und hin. Ich biß mir die Fäuste blutig. Ich faltete meine Hände. Aber mir fiel nur mein Kindergebet ein: Lieber Gott, mach mich fromm, daß ich in den Himmel komm. Lieber Gott, ich bin doch erst 18. Lieber Gott...

Wenige Minuten später war alles vorbei. Das Kind kam tot zur Welt. 20 Zentimeter lang, die Beine angewinkelt, die Ärmchen erhoben. Über dem Gesicht eine zerknitterte Haut, wie eine Plastiktüte. Bei uns im Dorf nennt man so etwas Glückshaut: wer mit solcher Haut geboren wird, ha in seinem ganzen Leben lang Glück.

Die Schwester durchtrennte die Nabelschnur. “Es war ein Mädchen", sagte sie. Und ließ mich allein.

Amnächsten Morgen wurde ich ausgeschabt. In Narkose. Das war mein letzter traumloser Schlaf. Jetzt träume ich jede Nacht von meinem Töchterchen. Es streckt mir im Traum die Arme entgegen.

Mein Freund hat mich nicht in der Klinik besucht. Er hat mir nicht einmal ein paar Blumen geschickt. Er hat sich auch noch nicht gemeldet, seit ich aus der Klinik entlassen bin.

Vor ein paar Tagen habe ich ihn getroffen. Er stand mit zwei anderen Jungen an einer Straßenecke. Als ich näher kam, hat er sich weggedreht. Aber seine Freunde haben mich angeglotzt. Hämisch, als wüßten sie alles.