Wunderglaube:  In allen Religionen gibt es Wundererzählungen, um die herausragende Stellung ihres Gottes oder des Propheten dieses Gottes zu beweisen. So gibt es etwa dieses Weinwunder im Johannesevangelium (Hochzeit zu Kanaa) auch in der Legende des Weingottes Dionysos. Erzählen und schreiben kann man ja viel ... Ich empfehle hierzu, wie auch zu den anderen "wunderlichen Geschichten" im Neuen Testament besonders die Arbeit  "Der gefälschte Glaube" von Karlheinz Deschner, hier also: ab Seite 44 f:

"Was aber die Wunder betrifft, so gibt es kein Mirakel der Evangelien, das nicht schon vordem gewirkt worden wäre. Bereits Buddha machte Kranke gesund, Blinde sehend, Taube hörend, Krüppel gerade. Schon er schritt über den hochangeschwollenen Ganges wie später Jesus über den See. Und wie dessen Jünger Wunder tun, so schon die Jünger des Buddha. »Wie beispielsweise Petrus auf dem Wasser wandelt, so auch ein Jünger des Buddha. Wie Petrus zu sinken beginnt, als sein Glaube klein wird, so sank auch schon der Buddha-Jünger, als er aus seiner gläubigen Versenkung in Buddha erwachte. Und wie den Petrus der Herr rettet, so rettet den Buddha-Jünger der erneute gläubige Gedanke an den Meister.« Wie Jesus bei Lukas beginnt bereits Pythagoras seine Lehr- und Wundertätigkeit mit einem Fischwunder, wobei er allerdings, sich weit über Jesus erhebend, gebietet, die Fische wieder freizulassen, deren Wert er ersetzt. Pythagoras heilte auch Kranke an Leib und Seele, er stillte den Sturm auf dem Meer, was einer seiner vielleicht zeitweiligen Hörer, Empedokles, dann so oft tat, daß er geradezu »Windesbezwinger« hieß. Doch hat Empedokles auch schon Pestkranke kuriert und Tote erweckt.

Das Wunder auf der Hochzeit in Kana (wo der johanneische Christus 600 bis 700 Liter Wein aus Wasser erzeugt, wie sich aus Johannes 2,6 f einwandfrei ergibt, wenn auch gläubige Exegeten das respektable Quantum manchmal reduzieren und das Wunder ganz unnötig verkleinern wollen) wurde, wie Euripides bezeugt, schon von Dionysos vollbracht. Dionysos, der Lieblingsgott der antiken Welt, dem sie von Asien bis Spanien in prunkvollen Prozessionen huldigte, der auch einen seiner bekanntesten Titel, »der Weinstock«, im Johannesevangelium an Christus abtreten muß, der dort »der wahre Weinstock« wird3" (alles, was früher falsch war, wurde im Christentum wahr), Dionysos hat zahlreiche Weinwunder gewirkt - und nachher wiederholten seine Priester im bewußten Wunderschwindel an Dionysosfesten diese Wunder genauso, wie später die christlichen Priester am Jahrestag der Hochzeit zu Kana (am 6. Januar, am selben Tag wurde ein vielgefeiertes Dionysosfest begangen!) betrügerisch die Verwandlung von Wasser in Wein wiederholten.

Als großer Wundertäter galt der Arzt und Heilgott Asklepios, über dessen Altären das Wort »Soter« (Heiland) in riesigen Buchstaben prangte und dessen Wunderheilungen in Epidauros, das schon im 5. vorchristlichen Jahrhundert zu florieren begann wie heute Lourdes, die ganze Welt kannte. Wie sehr zahlreiche Taten Jesu auf Asklepios zurückgehen, wie nah verwandt die Wundertätigkeit der beiden ist, hat in prägnanter Zusammenfassung der Forschungsergebnisse der Theologe Carl Schneider gezeigt: »Wie Asklepios heilt Jesus mit seiner ausgestreckten oder aufgelegten Hand oder mit einem Finger, den er in das kranke Körperglied steckt, oder auch durch andere Berührung mit dem Kranken. Wie bei Asklepios sind Glaube und Heilung meist, doch nicht immer, aufeinander bezogen: Gelegentlich wird auch ein Ungläubiger geheilt. Wie dort wird hier von den Geheilten Dank gefordert. Ein von Asklepios geheilter Blinder sieht wie ein von Jesus Geheilter zunächst nur Bäume. Geheilt werden von beiden: Gelähmte, Stumme, in der Ferne Erkrankte, Lahme. Ihre Bahren tragen die Kranken nach der Heilung bei beiden selber davon. Beide machen keine sozialen Unterschiede, heilen jung und alt, arm und reich, Mann und Frau, Sklaven und Freie, Freunde und Feinde. Zu den Heilungen kommen Naturwunder: Asklepios, der ihm verwandte Sarapis und Jesus stillen Stürme. Asklepios hat sechs Tote aufgeweckt, wobei die Einzelheiten dieselben sind wie bei den beiden Toten, die Jesus auferweckt: Viele Zeugen sind zugegen, Scheintod wird von Ungläubigen vermutet, den Erweckten wird Nahrung gegeben. So übernimmt Jesus auch die Titulatur des Asklepios: Er ist >Arzt< schlechtin, >Herr< über die Krankheitsmächte, >Heiland<.«

Die Religionsgeschichtler haben längst erwiesen, daß es in der antiken Literatur zahlreiche Gegenstücke zu den evangelischen Wundergeschichten gibt, daß diese in Inhalt und Stilisierung mit den profanen Wundererzählungen weithin übereinstimmen und daß schließlich auch der heidnische Ursprung der neutestamentlichen Wunderlegenden überwiegend wahrscheinlich ist. »Man übertrug«, so der Theologe Bousset, »allerlei im Volksmunde lebendige Geschichten von diesem und jenem Wundertäter auf Jesus und stattete mit geläufigen Wundermotiven schon vorhandene evangelische Erzählungen aus.« »...judenchristliche Erzähler«, schreibt der Theologe Martin Dibelius, »machten Jesus zum Helden von bekannten Propheten- oder Rabbiner-Legenden, heidenchristliche Novellisten gaben Geschichten von Göttern, Heilanden und Wundertätern umgeprägt auf den christlichen Heiland weiter.« So kehren die Standardwunder zumal vieler »Hochreligionen« im Neuen Testament wieder. Unerklärbare Handlungen, besonders Dämonenbannungen, Wandel auf dem Wasser, Stillung von Stürmen, wunderbare Speise- und Brotvermehrung, all dies war der Antike wohlvertraut und zählte zu den typischen Mirakeln der Zeit. Auch Totenerweckungen sind nicht ungewöhnlich gewesen, gab es doch sogar spezielle Formeln dafür. In Babylonien, wo der Gedanke der Totenerweckung äußerst verbreitet war, hießen viele Götter geradezu »Totenbeleber«.

Die Katholiken aber zählen die biblischen Wunder zu den »unbestreitbaren Tatsachen« und müssen -»alle Wunder glauben, die in der hl. Schrift enthalten sind; denn Gott hat uns dieselben offenbart. Wer auch nur eins leugnet, ist nicht mehr katholisch« (mit Imprimatur). Ja, man behauptet angesichts der Brotvermehrung Jesu, seiner Heilung des Blindgeborenen, der Auf erweckung des Lazarus: »Die Tatsächlichkeit solcher außerordentlicher Geschehnisse an sich ist den Menschen zugänglich durch eigene Beobachtung oder durch die Berichte von Zeugen ...«

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