"Was aber die Wunder betrifft, so
gibt es kein Mirakel der Evangelien, das
nicht schon vordem gewirkt worden wäre.
Bereits Buddha machte Kranke gesund, Blinde
sehend, Taube hörend, Krüppel gerade. Schon
er schritt über den hochangeschwollenen
Ganges wie später Jesus über den See. Und
wie dessen Jünger Wunder tun, so schon die
Jünger des Buddha. »Wie beispielsweise
Petrus auf dem Wasser wandelt, so auch ein
Jünger des Buddha. Wie Petrus zu sinken
beginnt, als sein Glaube klein wird, so sank
auch schon der Buddha-Jünger, als er aus
seiner gläubigen Versenkung in Buddha
erwachte. Und wie den Petrus der Herr
rettet, so rettet den Buddha-Jünger der
erneute gläubige Gedanke an den Meister.«
Wie Jesus bei Lukas beginnt bereits
Pythagoras seine Lehr- und Wundertätigkeit
mit einem Fischwunder, wobei er allerdings,
sich weit über Jesus erhebend, gebietet, die
Fische wieder freizulassen, deren Wert er
ersetzt. Pythagoras heilte auch Kranke an
Leib und Seele, er stillte den Sturm auf dem
Meer, was einer seiner vielleicht
zeitweiligen Hörer, Empedokles, dann so oft
tat, daß er geradezu »Windesbezwinger« hieß.
Doch hat Empedokles auch schon Pestkranke
kuriert und Tote erweckt.
Das Wunder auf der Hochzeit in Kana (wo der
johanneische Christus 600 bis 700 Liter Wein
aus Wasser erzeugt, wie sich aus Johannes
2,6 f einwandfrei ergibt, wenn auch gläubige
Exegeten das respektable Quantum manchmal
reduzieren und das Wunder ganz unnötig
verkleinern wollen) wurde, wie Euripides
bezeugt, schon von Dionysos vollbracht.
Dionysos, der Lieblingsgott der antiken
Welt, dem sie von Asien bis Spanien in
prunkvollen Prozessionen huldigte, der auch
einen seiner bekanntesten Titel, »der
Weinstock«, im Johannesevangelium an
Christus abtreten muß, der dort »der wahre
Weinstock« wird3" (alles, was früher falsch
war, wurde im Christentum wahr), Dionysos
hat zahlreiche Weinwunder gewirkt - und
nachher wiederholten seine Priester im
bewußten Wunderschwindel an Dionysosfesten
diese Wunder genauso, wie später die
christlichen Priester am Jahrestag der
Hochzeit zu Kana (am 6. Januar, am selben
Tag wurde ein vielgefeiertes Dionysosfest
begangen!) betrügerisch die Verwandlung von
Wasser in Wein wiederholten.
Als großer Wundertäter galt der Arzt und
Heilgott Asklepios, über dessen Altären das
Wort »Soter« (Heiland) in riesigen
Buchstaben prangte und dessen
Wunderheilungen in Epidauros, das schon im
5. vorchristlichen Jahrhundert zu florieren
begann wie heute Lourdes, die ganze Welt
kannte. Wie sehr zahlreiche Taten Jesu auf
Asklepios zurückgehen, wie nah verwandt die
Wundertätigkeit der beiden ist, hat in
prägnanter Zusammenfassung der
Forschungsergebnisse der Theologe Carl
Schneider gezeigt: »Wie Asklepios heilt
Jesus mit seiner ausgestreckten oder
aufgelegten Hand oder mit einem Finger, den
er in das kranke Körperglied steckt, oder
auch durch andere Berührung mit dem Kranken.
Wie bei Asklepios sind Glaube und Heilung
meist, doch nicht immer, aufeinander
bezogen: Gelegentlich wird auch ein
Ungläubiger geheilt. Wie dort wird hier von
den Geheilten Dank gefordert. Ein von
Asklepios geheilter Blinder sieht wie ein
von Jesus Geheilter zunächst nur Bäume.
Geheilt werden von beiden: Gelähmte, Stumme,
in der Ferne Erkrankte, Lahme. Ihre Bahren
tragen die Kranken nach der Heilung bei
beiden selber davon. Beide machen keine
sozialen Unterschiede, heilen jung und alt,
arm und reich, Mann und Frau, Sklaven und
Freie, Freunde und Feinde. Zu den Heilungen
kommen Naturwunder: Asklepios, der ihm
verwandte Sarapis und Jesus stillen Stürme.
Asklepios hat sechs Tote aufgeweckt, wobei
die Einzelheiten dieselben sind wie bei den
beiden Toten, die Jesus auferweckt: Viele
Zeugen sind zugegen, Scheintod wird von
Ungläubigen vermutet, den Erweckten wird
Nahrung gegeben. So übernimmt Jesus auch die
Titulatur des Asklepios: Er ist >Arzt<
schlechtin, >Herr< über die
Krankheitsmächte, >Heiland<.«
Die Religionsgeschichtler haben längst
erwiesen, daß es in der antiken Literatur
zahlreiche Gegenstücke zu den evangelischen
Wundergeschichten gibt, daß diese in Inhalt
und Stilisierung mit den profanen
Wundererzählungen weithin übereinstimmen und
daß schließlich auch der heidnische Ursprung
der neutestamentlichen Wunderlegenden
überwiegend wahrscheinlich ist. »Man
übertrug«, so der Theologe Bousset,
»allerlei im Volksmunde lebendige
Geschichten von diesem und jenem Wundertäter
auf Jesus und stattete mit geläufigen
Wundermotiven schon vorhandene evangelische
Erzählungen aus.« »...judenchristliche
Erzähler«, schreibt der Theologe Martin
Dibelius, »machten Jesus zum Helden von
bekannten Propheten- oder Rabbiner-Legenden,
heidenchristliche Novellisten gaben
Geschichten von Göttern, Heilanden und
Wundertätern umgeprägt auf den christlichen
Heiland weiter.« So kehren die
Standardwunder zumal vieler »Hochreligionen«
im Neuen Testament wieder. Unerklärbare
Handlungen, besonders Dämonenbannungen,
Wandel auf dem Wasser, Stillung von Stürmen,
wunderbare Speise- und Brotvermehrung, all
dies war der Antike wohlvertraut und zählte
zu den typischen Mirakeln der Zeit. Auch
Totenerweckungen sind nicht ungewöhnlich
gewesen, gab es doch sogar spezielle Formeln
dafür. In Babylonien, wo der Gedanke der
Totenerweckung äußerst verbreitet war,
hießen viele Götter geradezu »Totenbeleber«.
Die Katholiken aber zählen die biblischen
Wunder zu den »unbestreitbaren Tatsachen«
und müssen -»alle Wunder glauben, die in der
hl. Schrift enthalten sind; denn Gott hat
uns dieselben offenbart. Wer auch nur eins
leugnet, ist nicht mehr katholisch« (mit
Imprimatur). Ja, man behauptet angesichts
der Brotvermehrung Jesu, seiner Heilung des
Blindgeborenen, der Auf erweckung des
Lazarus: »Die Tatsächlichkeit solcher
außerordentlicher Geschehnisse an sich ist
den Menschen zugänglich durch eigene
Beobachtung oder durch die Berichte von
Zeugen ...«