Mondbaden (Basislexikon: kritisch-kompetent-konstruktiv)
Mehr Lust ohne Penetration!

Aus dem  ICON-Magazin (aus dem Springer-Verlag), Dezember 2021 – die ro­ten Stellen sind von mir gefärbt. Bitte unbedingt den Kommentar am Ende beachten!


Die Lustberaterin Betony Vernon, fast zwei Meter groß, natürlich rothaarig, hat Sex als erhaben­e Kunst etabliert, als sublime Erotik. Dagmar von Taube traf Betony Vernon  in Rom.

„Ich nenne es Mondbaden“

Ihre rosafarbene Visitenkarte ist gerade mal so groß wie ein Daumennagel. Dara­uf steht, gedruckt in Violett, nur eine E-Mail-Adresse. „Eden" hieß ein Pa­riser By-appointment-only-Salon der gebürtig­en Amerikanerin, die weltweit Frauen und Männer in Liebeskunst unterrichtet. An diesem Nachmittag hat Betony Ver­non, gekleidet in fleischfarbenes Kalbs­led­er, im Salon der Villa ei­ner aris­tokra­tischen Freundin in Rom Platz ge­nom­men. „Lassen Sie mich zu­erst eines klar­stellen", sagt die 53-Jährige, „ich bin we­der eine 5-Sterne-Es­cort-Lady noch eine De-luxe-Domina, die ihre Kunden gegen Bezahlung aus­peitscht. Meinen Körper darf man nur außerhalb meiner Arbeits­zeit berühren, und das nur nach meiner ausdrücklichen Genehmi­gung." Wie sie den Beruf nennt, den sie ausübt? „Lustberaterin und Desig­ne­rin von eroti­schen High-End-Spielzeugen."

Ms Vernon, Sie haben ein 330 Seiten dickes Buch über die Lust geschrieben, Titel: „ The Boudoir Bible". Gewidmet ist es Ihren Eltern. Was verdanken Sie ihnen? Nicht viel mehr, als dass sie offenbar Sex miteinander hatten und mich auf diesem Planeten ausgesetzt haben. Mein Vater war Hubschrauber­pilot. Er hatte keine Lust, mich zu erziehen, und meiner Mutter war es nicht erlaubt. Mit der Widmung im Buch danke ich den beiden für ihre Abwesenheit. Dass sie ihre Aufgaben als Eltern nicht wahrnahmen, gab mir die Freiheit, der Mensch zu werden, der in mir angelegt war.

Ihre Eltern haben sich in den Siebzigerjahren scheiden lassen. Die Umstände sollen dramatisch gewesen sein. Meine aus Großbritannien stammende Mut­ter wollte ihr Leben der Kunst und dem Vergnügen widmen. Es gab immer mehrere Männer gleichzeitig in ihrem Leben, auch farbige Männer, und das in einem ultrakonservativen Bundes­staat wie Virginia. Als mein Vater sie aus dem Haus warf, lebte sie in einem Heim für obdachlose Frauen, die von ihren Männern verstoßen oder verprü­gelt worden waren. Den Umgang mit ihren vier Kindern hatte ein rassistischer und frauenfeindlicher Richter ihr untersagt. Ich war vier, als mein Vater das al­leinige Sorgerecht bekam. Meine Mutter durfte uns nur einmal im Jahr sehen. Erst mit 16 hatte ich regelmäßig Kontakt zu ihr.

Mit 15 zogen Sie bei Ihrem Vater aus, fuhren mit einem Greyhound-Bus nach New York und lebten dort als Punkgirl und Gelegenheitsmodel. Nachdem ich meine Sachen gepackt hatte, hinterließ ich meinem Vater einen Brief, in dem ich ihm dafür dankte, dass er mir zu meiner Unabhängigkeit ver­helfen hat. Daraufhin brach er jeglichen Kontakt ab. Wir sprachen nie wieder ein Wort miteinander. Nach ein paar Jahren horte ich, sein Leben liege in Scherben. Er musste Privatinsolvenz anmelden und lebte bis zu seinem Tod als verarmter Eremit auf einem kleinen Segelboot.

Waren Sie auf seiner Beerdigung? Nein, für mich war er eigentlich schon lan­ge vorher tot.

Haben Sie je überlegt, Kinder zu haben? Nein, auch von meinen drei Schwes­tern ist nur eine Mutter geworden. Ich habe meine Eileiter entfernen lassen, um mich vom Kreuz einer ungewollten Schwangerschaft zu befreien.

Wann begann Ihre sexuelle Biografie? Mit Ende 15. Weil ich nicht erzogen worden war, hatte ich keine Scham, wenn es um meinen Körper und Sex ging. Ich trug Korsett und Strapse und habe früh bei Orgien mitgemacht. Mit meinen punkig roten Haaren und meinem großen Busen war ich ein Blick­fang. Ich trug jeden Tag Make-up und kleidete mich wie eine von Vivienne Westwood ausstaffierte Sexpuppe. Es dauerte zwei Stunden, mich zurechtzu­machen. Damals habe ich die Bedeutung se­xualisierter Objekte begriffen. So­bald ich ein Korsett trug, bewegte ich mich anders und wurde mit anderen Au­gen betrachtet. Dieser Kitzel hat mich bis heute nicht losgelassen.

Wann kamen Sie mit Sexualtechniken wie Bandage und Spanking in Berüh­rung? Mit 16 lernte ich erstmals einen Mann kennen, der mich nicht penetrie­ren wollte. Meine Lust war seine Lust. Das traf einen Nerv bei mir. Ich spürte erst­mals, wie viel Lust es bereitet, die Kontrolle abzugeben und von jeman­dem dominiert zu werden, der etwas vom Körper einer Frau versteht.

Nach einem Studium der Kunstgeschichte in Virginia zogen Sie mit 20 nach Italien und studierten in Mailand Industriedesign. Was brachte Sie auf die Idee, erotischen Schmuck und Sexspielzeuge aus Silber und Gold zu entwer­fen? Warum sollte eine Frau billig und unästhetisch aussehende Plastikgegenstän­de in ihren Körper einfuhren? Im Grunde habe ich Spielzeuge für mich selbst entwickelt. Ich war bei jedem neuen Prototyp die Testperson. Der Erfolg kam so schnell, dass ich mit 21 meine eigene Firma hatte und später Schmuck für Modefirmen wie Valentine, Missoni, Gianfranco Ferré, Alexander Wang und Fornasetti entwarf. Im Jahr 2000 stellten Sie Ihre „Boudoir Box "vor, einen schwarzen Lederkof­fer mit 21 handgefertigten Erotikspielzeugen, die auf die Vorlieben des Käu­fers abgestimmt werden können. Der Preis betrug anfangs 75.000 Büro, heu­te 150. 000 Euro. Die Wartezeit beträgt ein Jahr. Boutiquen und Kaufhäuser wie Barneys in New York waren zu prüde, um die Box zu ver­kaufen. Deshalb wurde ich zu einer Handelsreisenden, die zu Pri­vatkunden nach London, New York, Los Angeles, Tokio und Moskau flog. Viele Käufer meiner Box lassen sich von mir persönlich in ihren Gebrauch einweisen. Ob Mann oder Frau, schwul oder lesbisch, Bondage oder Span­king: Der Inhalt der Box kann personalisiert werden. Einige Teile sind auch einzeln zu kaufen.

Wie reagiert das Sicherheitspersonal an den Flughäfen, wenn Ihr Gepäck durchleuchtet wird? Darüber könnte ich ein Buch schreiben. Die Box lost je­des Mal einen Alarm aus, woraufhin ich aufgefordert werde, sie zu öffnen. Ich bitte dann, den Inhalt in einem nicht einsehbaren Raum vorzeigen zu dürfen, aber das macht das Misstrauen nur noch größer. Am Ende stehen jedes Mal ein halbes Dutzend Uniformierte neugierig um die Box herum.

2004 eröffneten Sie zuerst in London, dann in Paris einen By-appoint­ment-only-Salon mit dem Namen „Eden". Was geschah dort? Ich unterrichtete Gruppen ganze Nachmittags lang in Theorie und Praxis von Sex inklusive der Geschichte der Unterdrückung weiblicher Lust. Die Kirche hielt den weibli­chen Orgasmus für etwas Schmutziges und Verwerfliches. Erst mit der sexu­ellen Revolution in den Sechziger Jahren begannen die Frauen, ihr Vergnü­gen auszuleben. Plötzlich hatte man verstanden, dass die Klitoris das wich­tigste Sexualorgan der Frau ist und nur einem Zweck dient: uns einen Orgas­mus nach dem anderen zu schenken.

Sexualtherapeutinnen gibt es wie Sand am Meer. Was unterscheidet Sie von denen? Statt in wolkigen Abstraktionen zu reden, zeige ich Menschen in Übungen, wie sie sich Lust verschaffen können. Wenn mir eine Frau sagt, sie habe kei­ne Orgasmen, frage ich, ob sie einen Vibrator oder Diletto hat. Sie würden sich wundern, wie viele Frauen es immer noch schmutzig oder pein­lich fin­den, mit einem Vibrator oder Diletto zum Orgasmus zu kommen. Tabus die­ser Art in Köpfen aufzulösen, kann mehrere Sitzungen erfordern.

Zum Verständnis: Was ist ein Diletto? So nenne ich einen Dildo, abgeleitet vom italienischen Verb „dilettare": sich erfreuen, an etwas ergötzen. Wenn ich beim Sex mit einem Mann einen Di­letto hervorhole, sagen viele: „Ich habe einen Penis. Wozu soll dann dieses Ding gut sein?" Ich antworte: „Ich brau­che einen Diletto, weil ich die ganze Nacht kommen will. Wenn ich mich dabei auf deinen Penis verlasse, dauert die Nacht bloß 20 Minuten, und in diesen 20 Minuten werden wir keine Türen zu neuen Erfahrungen öffnen."

Welches Thema ist bei Ihrer Kundschaft am stärksten tabuisiert? Analsex. Den empfinden viele Frauen immer noch als eklig oder abartig. Ich frage dann, wie diese Prägungen in ihren Köpfen entstanden sind, und kläre dar­über auf, dass es nur eine Möglichkeit gibt, die Prostata eines Mannes di­rekt zu stimulieren: über den Anus. Viele Frauen wissen nicht, dass ein Mann da­durch einen Orgasmus haben kann, der nichts mit dem zu tun hat, den er durch die Stimulierung seines Penis erlebt.

Wie gehen Sie mit Neukunden um? Ich schicke ihnen einen Fragebogen zu, um die Erwartungen abschätzen zu können. Ich frage nach unausgelebten Wünschen und Fantasien und mache mir ein Bild der sexuellen Disposition. Oft habe ich es mit Paaren zu tun, die sagen: „Wir sind seit 25 Jahren zu­sammen und lieben uns noch immer, aber das sexuelle Feuer zwischen uns ist schon lange erloschen." Mit diesen Paa­ren mache ich praktische Übungen oder ich bringe meine Boudoir Box mit. Es ist aber in jeder Sekunde klar, dass ich an den Übungen nicht selber teilneh­me. Mein Eröffhungssatz lautet: „I'm untouchable."

Gibt es Kunden, die diese Regel im Sexrausch verletzen? Nein, als Vorsichts­maßnahme sind Alkohol und Drogen bei meinen Sessions verboten. Einige meiner Kundinnen sind Opfer traumatischer Erlebnisse. Wer missbraucht wird, verlässt seinen Körper, um die Seele zu schützen. Oft bleibt das Körper­empfinden dauerhaft gestört. Sobald es wieder zum Sex kommt, sucht das Gehirn instinktiv nach einem Schild „Notausgang". Ich brin­ge diesen Frauen in Übungen bei, ihren Körper wieder zu akzeptieren und lie­ben zu lernen. Da­bei hilft es, dass ich ausgebildete Hypnotherapeutin bin.

Wie alt sind Ihre jüngsten Kunden? 14. Ich therapiere nicht selten junge Frau­en. Ebenso habe ich mit jungen Männern gearbeitet, die im wirklichen Leben keine Erektion kriegen, weil sie seit Jahren nur noch wie Suchtkranke zu Por­nofilmen masturbieren. Wenn sie Sex mit einem echten Menschen haben wollen, schaffen sie es nicht, die rea­le Welt von ihren Pornofantasien zu tren­nen - und versagen. Eine Kundin er­zählte mir unlängst, ihre 14-jährige Toch­ter wolle sich die äußeren Schamlip­pen wegoperieren lassen, weil ihr Freund sie entsetzt angeschaut habe. Die Erklärung war, dass der Junge bislang eine Vulva nur in Pornofilmen gesehen hatte, wo meist Frauen mit wegoperierten Schamlippen gezeigt werden, um den Eindruck von Jugend zu erzeugen. Auch das ist ein Grund, warum Kinder keine Pornos gucken sollten. Das sind die schlechtesten Lehrer, die man sich vorstellen kann.

Haben Sie mehr weibliche oder männliche Kunden? Und wie verhält es sich mit der LGBTQ-Community? 80 Prozent meiner Kundschaft sind Frauen über 40, die beschlossen haben, die Verantwortung für ihre Lust in die eigenen Hän­de zu nehmen. Viele wol­len, dass ich ihnen helfe, ihren G-Punkt zu fin­den.

Was mögen Sie an Spanking? Abgesehen davon, dass dabei Nerven stimu­liert werden, geht es um Psycho­logie. Wenn ich zu einem Mann sage: „Beug dich über die Couch, ich will dir den Po versohlen", kommt es zu einer Macht­verschiebung. Eine Person ver­langt Gehorsam als Teil des Spiels, und die andere muss Kontrolle abgeben. Das kann beiden einen Wahnsinnskick ge­ben. Kennen Sie E. L.James?

Die Autorin von „Shades of Grey"? Ja, bevor sie Romane schrieb, war sie eine Schülerin von mir und sah meine Boudoir Box. Bis dahin hatte sie, glau­be ich, keine Ahnung, dass viele Frauen von Dominanz-Szenarien starker er­regt werden als durch Penetration.

Was machen Männer beim Sex falsch? Sie begreifen nicht, dass sie Sex ler­nen müssen wie Motorradfahren oder Fußballspielen. Dass es geborene Liebhaber gibt, ist ein Mythos, den sich eit­le Männer ausgedacht haben. Ein Kardinalfehler vieler Männer ist ihre phallo­zentrische Sicht auf Sex. Wichtiger sind für uns Frauen Spiel, Verfüh­rung und Offenheit für Experimente. Ohne Expertise geht beim Sex wenig. Keine Frau möchte von einem Mann gefes­selt werden, der glaubt, in einem Cowboyfilm mitzuspielen, und dann sein Lasso schwingt. Ich sage Ihnen aus Erfahrung: Bondage (Anm.: „Fesselung“) mit Amateuren ist lebensgefährlich. Viele Män­ner prakti­zieren im­mer noch Schnellsex, der zwischen drei und 15 Minuten dauert. Ich plädiere für drei, vier Stunden Ritual-Sex. Es ist ein Mythos, dass nur sponta­ner Sex guter Sex sei. Zeremonien helfen, denn es dauert, bis sich die Apo­theke des Körpers öffnet und er seine natürlichen Liebesdrogen wie Endor­phin aus­schüttet. Warum nicht zwischendurch der Partnerin die Zehen lut­schen? Zun­ge und Finger können ewig.

Es heißt, Sie können Männern beibringen, multiorgasmisch wie Frauen zu sein. Ja, es erfordert allerdings eine Menge Hausaufgaben. Männer müssen ler­nen, ihren Orgasmusreflex von ihrem Ejakulationsreflex zu trennen. Ohne Training ist das nicht zu schaffen. Es geht darum, die Konditionierung des Wett-Onanierens in der Jugend zu durchbrechen. Diese Prägung hält bei vie­len Männern ein Leben lang.

Was ist das Hauptproblem von Frauen beim Sex? Sich sofort zu verlieben - statt sich selbst zu lieben. Das Bild, das wir von un­serem Körper im Kopf ha­ben, entscheidet über das Maß unserer Lust. Frauen stehen vor dem Spiegel und kritisieren sich selbst. Kennen Sie Männer, die das machen?

Wie lernt man, gnädig auf sich zu blicken, was ist der Trick? Ich nenne es Mondbaden: nackt Zeit zu verbringen und den Körper atmen, fühlen zu las­sen. Die Haut ist unser größtes Organ, aber wir bedecken sie die meiste Zeit. Je­der sollte einen großen Spiegel zu Hause haben. Wenn Ihnen etwas an dem, was Sie sehen, nicht gefällt, fangen Sie an, es zu ändern, so­fern es möglich ist. Andernfalls lernen Sie, es zu akzeptieren und zu lieben. Und las­sen Sie die Selbstkritik. Negatives Denken erzeugt nur Frust und ne­gatives Handeln. Statt zu jammern, dass Sie sich zu dick fühlen, konnten Sie sich auch motivie­rend, positiv sagen: „Ich freue mich darüber, dass ich ge­sund bin, und könnte, um mich noch wohler zu fühlen, vielleicht ein paar Kilo ab­nehmen."

Wer sind Ihre Lieblingskunden? Eltern, deren Kinder die Schulreife erlangt haben, und die sich eingestehen, dass über die Sorge um das Wohlergehen ihrer Kinder ihr Sexleben einge­schlafen ist. Diese Paare schauen sich mit dem Wissen an, dass es keinen perfekteren Partner für sie gibt als den Men­schen, der neben ihnen sitzt. Gleichzeitig wissen sie, dass Begehren der Klebstoff für Beziehungen ist. Also wollen sie etwas für sich tun.

Mit welchen Anliegen wenden sich Menschen noch an Sie? Themen sind: Die Angst vor Nahe und Intimität oder dem Versagen. Viele trauen sich nicht, über ihre erotischen Fantasien zu sprechen, oder wissen nicht mal im Ansatz vom sexuellen Potenzial ihres Körpers. Man glaubt gar nicht, wie unaufgeklärt viele sind. Andere leiden an „skin hunger", weil sie zum Beispiel im Lockdown so einsam waren, dass sie sich kaum mehr selbst spüren. Ich empfehle da heiße Bäder. Auch sich selbst zu umarmen und zu streicheln, einfach liebe­voll mit sich zu sein. Die Gefühllosigkeit nimmt über­haupt zu, weil wir in unse­rer digitalen Welt immer mehr abstrakt wahrnehmen, ohne emotionale, tat­sächliche Verbindung.

Was kosten Ihre Dienste? 1000 Euro aufwärts für eine persönliche Sitzung. Online 400 Euro.

Sind Sie liiert? Ja, ich bin vergeben. Mein Partner ist Römer, wir leben in Um­brien. Lange vor ihm war ich sogar einmal verheiratet, mit Barnaba Fornasetti, dem Sohn des berühmten italienischen Künstlers und Innenarchitekten. Wir hatten zwölf sehr glückliche Ehejahre. Als wir beide jung und verliebt waren, war es wild und aufregend. Mit der Zeit aber schien der Altersunterschied zwischen uns im­mer mehr zu wachsen. Er war 18 Jahre älter als ich. Ich wollte raus in die Welt, er nur zu Hause sitzen mit mir.

Warum wird aus einem One-Night-Stand selten eine Beziehung? Die Liebe ist kein Hotelzimmer, in das man einfach ein- und auszieht.

Ist guter Sex nicht bereits Liebe? Absolut. Ein One-Night-Stand kann sich an­fühlen wie Liebe für einen Mo­ment. Sex verbindet uns, eine Beziehung aber fordert viel mehr.

Gehören Liebe und Sex. überhaupt zusammen? Nicht zwingend. Der Schlüs­sel für eine glückliche Beziehung ist aber auch nicht nur in einer Formel zu finden, wie es Partnerinstitute vorrechnen. Ich glaube an die kathartische Kraft mit nur einem Menschen. Sex wird besser, wenn man liebt und vertraut. Ich finde übrigens, dass deutsche Männer sehr charmant sind, sie sind offen, flirtig und erstaunlich verschmust.

Wie kann zwei Menschen ein sexueller Neustart gelingen? Man muss es sinnlich versuchen. Küssen zum Beispiel kommt viel zu selten zum Einsatz. In meiner Schmuckkollektion gibt es einen Ring mit zwei hasel­nussgroßen Ku­geln aus massivem Silber oder Gold. Wenn Sie mit dem sich erwärmenden Metall über den ganzen Körper Ihres Partners fahren, werden Energieflüsse frei, wie man sie noch nie erlebt hat.

Haben Sie jemals einen Orgasmus vorgetäuscht? Nein. Ich glaube auch nicht, dass man das kann. Ein erfahrener Liebhaber bemerkt den Unter­schied. Lie­bemachen ist kein Besuch im Fitnessstudio. Zu hyperventilieren ist weder überzeugend noch zielführend.

Welche Musik empfehlen Sie dabei? Klassik, Soul, Soft Pop, nur keine Songs, deren Texte man auswendig kennt. Das lenkt zu sehr ab. Ich zumin­dest bin dann geneigt, mitzusingen.

Sigmund Freuds These war, es liegen im Geiste mindestens drei Menschen mehr mit im Schlafzimmer. Ein 40-Jähriger offenbarte mir mal, dass er noch Jungfrau sei. Ich sagte zu ihm, dass ich leider nicht mit ihm arbeiten könne, solange er noch bei seiner Mutter lebt. Das Schlafzimmer könnte manchmal mehr erzählen als manche Psycho-Couch. Da tun sich die unterschiedlichst­en Spannungsverhältnisse, auch Schmerz und Missbrauch auf. Ich habe es oft genug gesehen, wir sind eine Gesellschaft von gebrochenen Menschen. Vielleicht erklärt das auch, warum unsere Welt immer mehr auseinanderfällt. Als ich in den Achtzigern aufwuchs, waren wir frei, zu lieben, uns auszu­drücken und zu erkunden. In­zwischen sind wir fast in einer asexuellen Zeit angekommen. Es geht nur noch um politische Korrektheit. Unsere Körper werden immer mehr zu Ersatz­teil lagern, gleichzeitig sourcen wir aus. Die Horrorversion ist eine Gesell­schaft, in der man sich künftig eine Befruchtung ins Haus bestellen kann und die andere Hälfte sitzt wie im Woody-Allen-Film zu Hause und lässt die Or­gasmus-Kugel kreisen.

Kann man zu viel Sex haben? Ja. Ich sehe es an meinen männlichen Freun­den, die früher Pornofilme ge­dreht haben, was zwei, drei Mal Sex am Tag be­deutete. Und all das noch auf Viagra. Die sehen doppelt so alt aus, wie sie sind. Ab fünfzig sollte ein Mann es angehen wie die anderen guten Dinge des Lebens. In Maßen genießen, wie zum Beispiel ein besonderes Menü: einmal die Woche.

Sind Sie eifersüchtig? Nein. Treue ist ein Konstrukt der Kirche. Wissen Sie übrigens, dass es im Va­tikan das größte Erotikmuseum der Welt gibt!

Was raten Sie bei Liebeskummer? Face it, erase it, replace it. Abhaken, was vorbei ist, und was Neues suchen.

KOMMENTAR:

Auf den ersten Blick mag das, was die „Lustberaterin“ Betony Vernon erzählt, ziemlich negativ-sexistisch (um es einmal vorsichtig auszu­drücken) ausse­hen. Doch bei näherem Hinsehen ist offensichtlich, dass sie durchaus Wer­bung für eine Sexualität ohne Penetration (= ohne Eindringen) macht und dass sie auch in der intensiven intimen Beziehung mit nur einem Menschen eine ka­thar­tische Kraft (kathartische Kraft = reinigender Effekt durch das Aus­leben der Gefühle) sieht – dass sie also durch­aus den hohen Wert einer ge­lingenden echten Monogamie im Blickwinkel hat. Ich würde heu­te daher dieses Interview durchaus in meinem Unterricht verwenden – natür­lich auch mit dem Hinweis, dass zu den Kunden der Frau vor allem Erwach­sene gehören, bei denen schon einiges schief gelaufen ist und die „Anregun­gen“ brauchen, die junge unerfahrene Menschen nicht nötig haben.

Leider glich nun mein damaliger Unterricht wohl oft eher einem Vortasten, und so richtig wurde mir erst nach meiner Zeit als aktiver Lehrer klar, dass die Zu­rückhaltung mit Tipps, wie gerade die Mäd­chen es richtig anfangen kön­nen, sehr oft einfach falsch und nicht son­derlich glücklich war. Doch auf die richti­gen Tipps muss „man“ zuerst auch mal kommen! „Man“ hat hier ja auch selbst seine Probleme und ist also ge­hemmt, sich vorzuwagen.

Vor allem mag der Versuch, Mädchen zu einem eher „unverklemmten oder auch offenherzigen“ Umgang mit der Sexualität zu motivieren, auf den ersten Blick als Aufforderung in den Einstieg in die Libertinage verstanden werden, und dass man daher Angst hat, vor den jungen Leuten in einem schlechten Licht da zu stehen. Doch ich bitte zu bedenken, dass ich durchaus auch auf­grund meiner langen pädagogischen Tätigkeit die Erfahrung gemacht habe, dass die üblichen „Abwehr-von-allem-Sexuellen-Tipps“ für „unerfahrene Mäd­chen“ zum Umgang mit dem männlichen Geschlecht einfach nicht funktionie­ren. Das Problem ist ja, dass bei dem heute weitgehend üblichen „Anfang mit der Praxis der Sexualität“ die Mädchen oft gar nicht so genau hinsehen, wer der andere ist, denn der Charakter „des Jeweiligen“ ist ja für sie zunächst auch gar nicht wirklich wichtig – weil es ja erst einmal nur darum geht, den „Anfang“ „hinter sich zu haben“. (Das ist dann die Chance der typischen „Don Juans“, die sich in der Psychologie der Mädchen etwas auskennen!) Dagegen dürf­ten sich die Mädchen bei dem „Anfang á la Mondba­den“, den ich inzwischen empfehlen würde, schon viel genauer informieren, wer der andere ist und vor allem, ob es auch beim „Mondbaden“ bleibt. Ein Mädchen wird also sein Wis­sen und seine volle Intel­ligenz einsetzen, einen „dafür“ Geeigneten zu finden und dann auch heraus­zubekommen, ob es sich auf „ihn“ verlassen kann, was er also für einen Cha­rakter hat. Von daher dürfte es auch immer beim „Mond­baden“ bleiben und es dürften darüber hinaus dabei sehr oft schon Beziehun­gen zustande kommen, die wirklich gut sind und die sogar „für immer“ halten.

Und ich bitte auch zu bedenken, dass eine solche „Mondbaden-Beziehung“ nicht einfach so holterdiepolter passiert, sondern die ist sozusagen die Frucht eines Konzepts, das lange organisch gereift ist. Wenn ich an die Mädchen denke, mit denen ich so ins Gespräch kam, die offensichtlich ein echtes Inter­esse an der traditionellen Ehemoral hatten (also Eindringen-Sex nur in der Ehe), so traue ich denen zu, dass sie hier schon alles richtig machen.

Und jetzt zu ein paar Details: Zunächst zur Analerotik. Ich denke, hier ist die Lustberaterin nicht konsequent, wenn schon gegen Penetration, dann warum nicht auch gegen diese? Zudem liegt nahe, dass man „dabei“ den anderen nur be­nutzt – weil man sich „dabei“ noch nicht einmal ansehen kann.

Ob Treue ein Konstrukt der Kirche ist? Ich denke nein, denn wenn man eine Beziehung, die eine echte sein soll, vernünftig anfängt, dann gehört die Treue auch zu unserem Menschsein.

Und zum Erotikmuseum im Vatikan: Na und? Der Direktor des Louvre (Paris) hat einmal gesagt, dass die Hälfte des Bestandes des Museums so sexistisch sei, dass er das nicht zeigen kann. Andere Museen haben also auch dassel­be Problem, dass sich im Laufe der Zeit eben alles Mögliche ansammelt. M.P.

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