Meine
Meinung dazu: Es könnte mit diesem Jesus
durchaus einmal dieselbe Kreuzigung wie in
anderen Religionen tatsächlich geschehen
sein. Und warum also nicht so eine
Kreuzigungsgeschichte, die immerhin
realistisch ist und die dann mit Sicherheit
auch noch über Jahrzehnte im Bewusstsein
vieler Menschen lebendig war? Denn es
handelte sich doch um einen offensichtlichen
Justizmord an einem beliebten Menschen, der
auch noch als besonders gerecht und
fürsorglich insbesondere für Frauen
empfunden wurde? Für Gegner des echten
Jesus, die die Erinnerung an das Anliegen
des wirklichen Jesus auslöschen wollten, lag
es also nun nahe, aus dieser
Kreuzigungsgeschichte eine
Opfertodgeschichte zu machen, wie sie in der
damaligen Zeit von den üblichen Göttermythen
her bekannt war, und somit ihren Sinn ins
Nebulöse zu verlegen. Und dann war es kein
weiter Weg, auch noch all diese wundersamen
Geschichten, die man sonst noch aus den
diversen Mythologien kannte (und auch noch
weitere realistisch klingende Geschichten,
etwa auch solche aus der Buddhamythologie)
um diese Opfertodgeschichte herum zu
konstruieren. Anders als etwa bei Dionysos
(und anderen) dürfte die Kreuzigung also bei
Jesus wahr sein, nur alle diese
wundersamen Geschichten und manche andere
Geschichten sind es eben nicht.
Doch falls
ich hier falsch liege und die Kreuzigung
also auch bei Jesus nicht geschehen ist, so
ist das m.E. nicht unbedingt der Untergang
unserer Religion. Denn das Engagement Jesu
zur Befreiung und Aufwertung der Frau und
für die echte Monogamie hat auch seinen
Sinn, wenn er dafür nicht am Kreuz gestorben
wäre. Und einen solchen Einsatz für die
Frauen bei gleichzeitigem Durchblick über
die oft sogar ausgesprochen hinterhältigen
kriminellen Machenschaften gegen Frauen in
einer Gesellschaft wie bei Jesus habe ich
sonst nirgends gefunden (auch nicht bei
anderen Religionsstiftern wie Moses, Buddha
und Mohammed), und ich denke, dieser Einsatz
stimmt auf alle Fälle.
Vergleichsweise hat auch das Engagement
gegen die Sklaverei des Quäkers William
Wilberforce (1759-1833) einen Sinn und gilt
auch heute noch als großartig human – ohne
dass Wilberforce wegen seines Engagements
einen Martyrertod starb. Damit ein Mensch
bedeutend von der Humanität her ist, braucht
es nun wirklich keinen Märtyrertod.
Doch hier die Absätze zur Kreuzigung von
Göttern bzw. von Göttersöhnen aus dem Buch
"Der gefälschte Glaube" von Karlheinz
Deschner" 1988/1991 ab S. 48:
"Gekreuzigte Götter sind Prometheus,
Lykurgos, Marsyas, Dionysos. Die
Dionysosgemeinden haben, wie feststeht,
schon vor der christlichen Zeitrechnung
ihren Gott über einem Altartisch mit
Weingefäßen am Kreuz verehrt. Nach dem
Theologen Hermann Raschke ist die Kreuzigung
Jesu nur eine Entwicklungsform der
Kreuzigung des Dionysos. Mögen aber auch
andere Traditionen eingewirkt haben, darf
man doch mit Raschke resümieren: »Dionysos,
der auf dem Esel reitet« – der Esel ist bei
Dionysos, wie später beim biblischen Jesus,
das Tier des Friedens –, »Dionysos zu Schiff
und als der Herr des Meeres, Dionysos und
die trockenen Feigen, Dionysos und der
Weinstock, die Verspottung und das Leiden
des Dionysos, Dionysos, dessen Fleisch
gegessen und dessen Blut getrunken wird, ja
der bacchische Orpheus am Kreuze – es bedarf
nur dieser flüchtigen Hinweise, um zu
erkennen, daß der evangelische Mythenbestand
(Anm.: „der Mythenbestand der Evangelien“)
von Dionysosmotiven durchsetzt ist.«
(Hermann Raschke „Das Christusmysterium“,
1954, (154) 95, 97 ff., 218 f)
Zum Teil bis in geringste Einzelheiten
wiederholt sich beim Tod Jesu, was schon
beim Tod der heidnischen Gottheiten
geschehen. So wurde Bei Marduk, die
meistgeschätzte Gottheit Babylons, die als
Weltschöpfer, Gott der Weisheit, der
Heilkunst, des Beschwörungswesens galt, als
vom Vater gesandter Erlöser, Erwecker der
Toten, Herr aller Herren und der gute Hirte,
gefangengenommen, verhört, zum Tod
verurteilt, gegeißelt, mit einem Verbrecher
hingerichtet, während ein anderer Verbrecher
freikam - und eine Frau wischte das Herzblut
des Gottes ab, das aus einer Speerwunde
quoll. (vgl. Brückner …) Beim Tod Cäsars –
das athenische Volk hat ihn als Heiland
gepriesen, das römische allgemein geglaubt,
daß er zum Himmel aufgefahren und Gott
geworden sei – verhüllte sich die Sonne,
eine Finsternis trat ein, die Erde barst,
und Gestorbene kehrten zur Oberwelt zurück.
(Trede 98; Vergil, Georgica 1, 463 ff) –
Herakles, schon um 500 v. Chr. als
Gottessohn und Mittler für die Menschen, zur
Zeit Jesu aber als Weltheiland verehrt, wird
schließlich für seine Taten vom göttlichen
Vater erhöht und befiehlt diesem scheidend
seinen Geist: »Nimm meinen Geist, ich bitte
dich, zu den Sternen auf ... Siehe, mein
Vater ruft mich und öffnet den Himmel. Ich
komme, Vater, ich komme.« Im Lukasevangelium
heißt es später: »Da rief Jesus mit lauter
Stimme die Worte aus: >Vater, in deine
Hände befehle ich meinen Geist !<« (Lk
23, 46)
Noch
bemerkenswerter sind die Übereinstimmungen
zwischen der Heraklesreligion und dem
Johannesevangelium.
Während in
den drei älteren Evangelien der
Lieblingsjünger unterm Kreuz fehlt – ebenso
die Mutter Jesu; schauen doch hier die
Frauen »von ferne« zu: Lukas schreibt sogar:
»Alle [!] seine Bekannten aber standen von
ferne« – (Mk 14, 40 f; Mt 27, 55f; Lk
23,49), stehen im Widerspruch hierzu im
Johannesevangelium Jesu Mutter und der
Lieblingsjünger beim Kreuz: wie bei
Herakles' Tod dessen Mutter und
Lieblingsjünger anwesend waren! Wie der
erhöhte Herakles ruft: »... klage nicht,
Mutter ... ich gehe nunmehr in den Himmel
ein«, so sagt dann der auferstandene
johanneische Christus: »Frau, warum weinst
du? ... Ich fahre auf zu meinem Vater.«
(Joh. 20, 15 ff). Wie Herakles mit dem Wort
stirbt: »Es ist vollbracht«, so der
johanneische Christus. (Joh 19,30 usw.). Wie
Herakles ja auch den Namen »Logos« schon vor
dem johanneischen Christus führte. Und hieß
es in der Heraklesreligion: »Denn nicht um
zu schaden oder zu strafen, sondern um zu
retten, ist der Logos da«, heißt es im
Johannesevangelium: »Denn nicht hat Gott
seinen Sohn in die Welt gesandt, um die Welt
zu richten, sondern damit die Welt durch ihn
gerettet werde.« (C. Schneider 1954 Bd. 1,
142) Und wie der am Tod des Herakles
Schuldige sich vor Reue und Entsetzen
erhängt, so erhängt sich schließlich Judas,
den die ältesten christlichen Schriften
freilich gleich dreimal umkommen lassen,
wobei jede Variante die andere ausschließt.
(vgl. Deschner <1962> 120 ff).
Auch die berühmte biblische Geschichte vom
leeren Grab - »Offen steht das Grab«, höhnt
Goethe. »Welch herrlich Wunder, der Herr ist
/ Auferstanden! Wer's glaubt! Schelmen, ihr
trugt ihn ja weg.« - konnte man schon vorher
in dem weitverbreiteten griechischen Roman
Chaireas und Kallirhoe von Chariton lesen.
Dort eilte nämlich, im dritten Buch,
Chaireas am frühen Morgen zum Grab von
Kallirhoe.
Er ist voller Verzweiflung, aber siehe, der
Stein ist weggewälzt, der Eingang frei. Vor
Schreck wagt Chaireas das Grab nicht zu
betreten. Andere eilen auf das Gerücht
herzu, auch sie voller Furcht, bis endlich
einer hineingeht., das Wunder bemerkt: Der
Tote ist fort, das Grab ist leer. Nun tritt
auch Chaireas hinein und findet das
Unglaubliche bestätigt. (Nach Carl Schneider
„Geistesgeschichte des antiken
Christentums“, 1954, Bd. 1, 73 ff, und
Richard Reitzenstein „Hellenistische
Wundererzählungen“ 1906, 94 Anm. 3)".