"Götterkreuzigungen" bzw. "Kreuzigung Jesu": Auch für mich ist dies ein sehr heikler Punkt, bin ich doch davon überzeugt, dass es die Kreuzigung Jesu tatsächlich gegeben hat. Nicht zuletzt ist sie unter Theologen allgemeiner Konsens – und vor allem von Anfang der Kirchengeschichte an. Doch auch sie wird heute von manchen Theologen und natürlich auch von Gegnern unseres Glaubens bezweifelt, vor allem auch, weil sie in anderen alten Religionen vorkommt und daher eine Art Plagiat sein könnte – und immer mit ähnlichem Sinn und in ähnlichem Zusammenhang.

Meine Meinung dazu: Es könnte mit diesem Jesus durchaus einmal dieselbe Kreuzigung wie in anderen Religionen tatsächlich geschehen sein. Und warum also nicht so eine Kreuzigungsgeschichte, die immerhin realistisch ist und die dann mit Sicherheit auch noch über Jahrzehnte im Bewusstsein vieler Menschen lebendig war? Denn es handelte sich doch um einen offensichtlichen Justizmord an einem beliebten Menschen, der auch noch als besonders gerecht und fürsorglich insbesondere für Frauen empfunden wurde? Für Gegner des echten Jesus, die die Erinnerung an das Anliegen des wirklichen Jesus auslöschen wollten, lag es also nun nahe, aus dieser Kreuzigungsgeschichte eine Opfertodgeschichte zu machen, wie sie in der damaligen Zeit von den üblichen Göttermythen her bekannt war, und somit ihren Sinn ins Nebulöse zu verlegen. Und dann war es kein weiter Weg, auch noch all diese wundersamen Geschichten, die man sonst noch aus den diversen Mythologien kannte (und auch noch weitere realistisch klingende Geschichten, etwa auch solche aus der Buddhamythologie) um diese Opfertodgeschichte herum zu konstruieren. Anders als etwa bei Dionysos (und anderen) dürfte die Kreuzigung also bei Jesus wahr sein, nur alle diese wundersamen Geschichten und manche andere Geschichten sind es eben nicht.

Doch falls ich hier falsch liege und die Kreuzigung also auch bei Jesus nicht geschehen ist, so ist das m.E. nicht unbedingt der Untergang unserer Religion. Denn das Engagement Jesu zur Befreiung und Aufwertung der Frau und für die echte Monogamie hat auch seinen Sinn, wenn er dafür nicht am Kreuz gestorben wäre. Und einen solchen Einsatz für die Frauen bei gleichzeitigem Durchblick über die oft sogar ausgesprochen hinterhältigen kriminellen Machenschaften gegen Frauen in einer Gesellschaft wie bei Jesus habe ich sonst nirgends gefunden (auch nicht bei anderen Religionsstiftern wie Moses, Buddha und Mohammed), und ich denke, dieser Einsatz stimmt auf alle Fälle. Vergleichsweise hat auch das Engagement gegen die Sklaverei des Quäkers William Wilberforce (1759-1833) einen Sinn und gilt auch heute noch als großartig human – ohne dass Wilberforce wegen seines Engagements einen Martyrertod starb. Damit ein Mensch bedeutend von der Humanität her ist, braucht es nun wirklich keinen Märtyrertod.

Doch hier die Absätze zur Kreuzigung von Göttern bzw. von Göttersöhnen aus dem Buch "Der gefälschte Glaube" von Karlheinz Deschner" 1988/1991 ab S. 48: 
"Gekreuzigte Götter sind Prometheus, Lykurgos, Marsyas, Dionysos. Die Dionysosgemeinden haben, wie feststeht, schon vor der christlichen Zeitrechnung ihren Gott über einem Altartisch mit Weingefäßen am Kreuz verehrt. Nach dem Theologen Hermann Raschke ist die Kreuzigung Jesu nur eine Entwicklungsform der Kreuzigung des Dionysos. Mögen aber auch andere Traditionen eingewirkt haben, darf man doch mit Raschke resümieren: »Dionysos, der auf dem Esel reitet« – der Esel ist bei Dionysos, wie später beim biblischen Jesus, das Tier des Friedens –, »Dionysos zu Schiff und als der Herr des Meeres, Dionysos und die trockenen Feigen, Dionysos und der Weinstock, die Verspottung und das Leiden des Dionysos, Dionysos, dessen Fleisch gegessen und dessen Blut getrunken wird, ja der bacchische Orpheus am Kreuze – es bedarf nur dieser flüchtigen Hinweise, um zu erkennen, daß der evangelische Mythenbestand (Anm.: „der Mythenbestand der Evangelien“) von Dionysosmotiven durchsetzt ist.« (Hermann Raschke „Das Christusmysterium“, 1954, (154) 95, 97 ff., 218 f)
Zum Teil bis in geringste Einzelheiten wiederholt sich beim Tod Jesu, was schon beim Tod der heidnischen Gottheiten geschehen. So wurde Bei Marduk, die meistgeschätzte Gottheit Babylons, die als Weltschöpfer, Gott der Weisheit, der Heilkunst, des Beschwörungswesens galt, als vom Vater gesandter Erlöser, Erwecker der Toten, Herr aller Herren und der gute Hirte, gefangengenommen, verhört, zum Tod verurteilt, gegeißelt, mit einem Verbrecher hingerichtet, während ein anderer Verbrecher freikam - und eine Frau wischte das Herzblut des Gottes ab, das aus einer Speerwunde quoll. (vgl. Brückner …) Beim Tod Cäsars – das athenische Volk hat ihn als Heiland gepriesen, das römische allgemein geglaubt, daß er zum Himmel aufgefahren und Gott geworden sei – verhüllte sich die Sonne, eine Finsternis trat ein, die Erde barst, und Gestorbene kehrten zur Oberwelt zurück. (Trede 98; Vergil, Georgica 1, 463 ff) – Herakles, schon um 500 v. Chr. als Gottessohn und Mittler für die Menschen, zur Zeit Jesu aber als Weltheiland verehrt, wird schließlich für seine Taten vom göttlichen Vater erhöht und befiehlt diesem scheidend seinen Geist: »Nimm meinen Geist, ich bitte dich, zu den Sternen auf ... Siehe, mein Vater ruft mich und öffnet den Himmel. Ich komme, Vater, ich komme.« Im Lukasevangelium heißt es später: »Da rief Jesus mit lauter Stimme die Worte aus: >Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist !<« (Lk 23, 46)

Noch bemerkenswerter sind die Übereinstimmungen zwischen der Heraklesreligion und dem Johannesevangelium.

Während in den drei älteren Evangelien der Lieblingsjünger unterm Kreuz fehlt – ebenso die Mutter Jesu; schauen doch hier die Frauen »von ferne« zu: Lukas schreibt sogar: »Alle [!] seine Bekannten aber standen von ferne« – (Mk 14, 40 f; Mt 27, 55f; Lk 23,49), stehen im Widerspruch hierzu im Johannesevangelium Jesu Mutter und der Lieblingsjünger beim Kreuz: wie bei Herakles' Tod dessen Mutter und Lieblingsjünger anwesend waren! Wie der erhöhte Herakles ruft: »... klage nicht, Mutter ... ich gehe nunmehr in den Himmel ein«, so sagt dann der auferstandene johanneische Christus: »Frau, warum weinst du? ... Ich fahre auf zu meinem Vater.« (Joh. 20, 15 ff). Wie Herakles mit dem Wort stirbt: »Es ist vollbracht«, so der johanneische Christus. (Joh 19,30 usw.). Wie Herakles ja auch den Namen »Logos« schon vor dem johanneischen Christus führte. Und hieß es in der Heraklesreligion: »Denn nicht um zu schaden oder zu strafen, sondern um zu retten, ist der Logos da«, heißt es im Johannesevangelium: »Denn nicht hat Gott seinen Sohn in die Welt gesandt, um die Welt zu richten, sondern damit die Welt durch ihn gerettet werde.« (C. Schneider 1954 Bd. 1, 142) Und wie der am Tod des Herakles Schuldige sich vor Reue und Entsetzen erhängt, so erhängt sich schließlich Judas, den die ältesten christlichen Schriften freilich gleich dreimal umkommen lassen, wobei jede Variante die andere ausschließt. (vgl. Deschner <1962> 120 ff).

Auch die berühmte biblische Geschichte vom leeren Grab - »Offen steht das Grab«, höhnt Goethe. »Welch herrlich Wunder, der Herr ist / Auferstanden! Wer's glaubt! Schelmen, ihr trugt ihn ja weg.« - konnte man schon vorher in dem weitverbreiteten griechischen Roman Chaireas und Kallirhoe von Chariton lesen. Dort eilte nämlich, im dritten Buch, Chaireas am frühen Morgen zum Grab von Kallirhoe.
Er ist voller Verzweiflung, aber siehe, der Stein ist weggewälzt, der Eingang frei. Vor Schreck wagt Chaireas das Grab nicht zu betreten. Andere eilen auf das Gerücht herzu, auch sie voller Furcht, bis endlich einer hineingeht., das Wunder bemerkt: Der Tote ist fort, das Grab ist leer. Nun tritt auch Chaireas hinein und findet das Unglaubliche bestätigt. (Nach Carl Schneider „Geistesgeschichte des antiken Christentums“, 1954, Bd. 1, 73 ff, und Richard Reitzenstein „Hellenistische Wundererzählungen“ 1906, 94 Anm. 3)".
 

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