VIETNAM 1997 - Osterfahrt mit einem Kollegen nach Vietnam, Singapur und ein wenig Malaysia

 

Nun sitzen wir also hier fest in Singapur und ich beginne, meinen Reisebericht zu schreiben: Die Fluglotsen in Indien streiken, unser Flug am Freitagabend um 23 30 Uhr, mit dem wir am Samstag gegen 9 Uhr in Brüssel hätten sein sollen, wurde kurz vor dem Start abgesagt und die Passagiere wurden in unwahrscheinlicher Konzeptlosigkeit sich selbst überlassen, wohl um die 400 allein von unserem Flug. Denn schließlich betrifft ja ein Fluglotsenstreik in Indien die Verbindungen nach allen europäischen Ländern... Da nun die Hotels alle ausgebucht sind, wie ich auch aus einem Anruf an "unser" Hotel "Strand" von der Hinflugunterbrechung entnehmen konnte, habe ich gegen 2 Uhr meine chinesischen Freunde hier angerufen und sie gebeten, uns aufzunehmen - nach dem alten Motto "ihr freut euch doch, daß wir immer noch nicht weg sind und jetzt nachts auch noch zu euch kommen wollen..." Ich habe allerdings gleich gesagt, daß es länger dauern könnte und daß sie erst einmal wieder ins Bett gehen sollten, weil es sicher um diese Zeit nicht für alle Gestrandeten genügend Taxis gibt, was dann auch so war, nachts gegen 3 Uhr eine lange Schlange vor den Taxis. Wenigstens wurden wir absolut ohne Formalitäten durch die singapurischen Grenzkontrollen gelassen, lediglich ein Stempel.

Ja, und so liege ich gerade geweckt von Baulärm auf der Straße und Gehämmere in den Wohnungen um uns herum auf einem Doppelbett in einem der typischen Singapurer Wohnsilos und bin gespannt, ob wir noch pünktlich in die Schule kommen. Immerhin wurde ja schon angedeutet, daß man daran denke, uns in Hotels nach Malaysia auszuquartieren, falls es auch in den nächsten Tagen keine Rückflugmöglichkeit gebe...  Wenigstens habe ich ja jetzt einen Zeugen, wie das immer so mit meinen Verspätungen abläuft, daß das wirklich immer nur reine höhere Gewalt ist. Das muß hier doch einmal gesagt werden! Denn wir hatten die Rückfahrt nun wirklich rechtzeitig angefangen, Donnerstag ab Hanoi, Freitagmittag ab Saigon nach Singapur, um dann eben abends weiter nach Europa zu fliegen.

 

Doch jetzt zu der Fahrt von Anfang an.

Schon vor längerer Zeit hatte mich mein Kollege V. angesprochen, der sowohl in meiner Lehrersegelcrew ist als auch an meinen Pyromanengartenparties "Über jedes und über jeden" (nein, so ist es nun wieder auch nicht!) teilnimmt, ob wir nicht einmal zusammen nach Vietnam fahren könnten. Nun, in diesen Osterferien war es also soweit. Geplant und gebucht haben wir dann schließlich einen Flug mit den Singapore Airlines ab Brüssel nach Singapur und von dort nach einer Woche Aufenthalt nach Ho-Chi-Minh-Stadt, wie Saigon heute heißt. An Ort und Stelle haben wir allerdings festgestellt, daß anders als bei dem umgetauften Chemnitz der alte Name Saigon allerdings fast ausschließlich verwendet wird, sogar auf den Poststempeln - zumindest bei denen bei "poste restante". Ich sah auch Touristenbusse mit der großen Aufschrift "Saigon-Travels" und dann ganz klein drunter "Ho-Chi-Minh-City". Und die Leute reden, so weit ich es mitbekommen habe, nur von Saigon. Also alles nicht so dogmatisch. Auch nicht dogmatisch scheint mir die Einstellung der Vietnamesen zu ihrem landes-üblichen religiösen Glauben zu sein oder was dort so Glauben ist. Wie ich erfuhr, gab es für den traditionellen Götterkult nie eine Unterbrechung. Auf einer Tagestour von Hanoi aus haben wir die Parfümpagode besucht, allerdings handelt es sich um einige Pagoden und schließlich um eine Höhle auf einem "heiligen Berg" mit wohl uralter Götterverehrung - und alles, was bei diesem Bezirk sozialistisch-atheistisch war, war die Gewinnbeteiligung des Staates. Da schipperten wir also schließlich nach über zweistündiger Busfahrt mit einem Boot, das von zwei Frauen gepaddelt wurde, etwa 75 Minuten in herrlicher Landschaft (so aus den Reisfeldern herausragende Felskuppen) durch flache Kanäle, um den Tempelberg zu besteigen. Der Eintritt betrug für uns Touristen 8 U.S.$, und dann kamen noch einmal 1,60 $ hinzu für die Frauen, die ihr Geld allerdings noch mit vielen anderen teilen müssen. Die Einheimischen bezahlen 1,70 $, wovon die Frauen ca 30 C erhalten. Ein eher pragmatischer Umgang mit der Religion. Von dieser Kultstätte war ich übrigens unheimlich fasziniert, weil in einem Taltempel geschminkte ältere Nonnen (?) in bunten Gewändern sangen und tanzähnliche Schritte machten und "oben" im hinteren Teil der Höhle die Götterfiguren sozusagen wie die Schüler einer Bankreihe vor mir aufgereiht waren, jeweils vor sich ein Tisch mit Opfergaben von der Obstschale bis zur Coca-Cola-Flasche und dem Mac Donalds-Hamburger (das haben allerdings nur andere gesehen) und daneben der Priester, der die Opfergaben annahm und neu verteilte und irgendwelche "Bescheinigungen" ausstellte, und davor die ganzen Kultobjektverkaufsstände, das schien mir nicht nur wie vor 5000 Jahren sondern wie vor 20 000 Jahren. Fahrt in die Vergangenheit wie in einer Zeitmaschine, phantastisch. V. hat mich mit meinem Interesse für religiöse Dinge allerdings nicht verstanden. Für ihn ist das sinnloses Brimborium, und damit hat es sich, kein Thema, allenfalls Folklore. Für mich ist es dagegen ein Weg, in die Seele der Menschen zu blicken. Und wenn man da wirklich etwas ändern will, dann muß man nicht nur wissen, sondern auch fühlen, wie Menschen denken - so à la "verdeckter Ermittler". Fasziniert war ich daher auch in Hanoi von der Altstadtstraße bei unserem Hotel um die Ecke mit den Geschäften mit religiösen Kultausstattungen, als da sind Hausaltäre (rote Kästchen etwa - die Preise fangen bei 50 DM an), rote Fahnen mit wohl frommen Aufschriften in chinesischen Schriftzeichen (die Götter und Geister verstehen immer nur die alten Sprachen und Schriften) und in bunten Farben blinkende Wandteller vor allem mit Hakenkreuzen. Eigentlich wollte ich so etwas ja als Anschauungsmaterial für unseren neuen Religionslehreraum in der Schule mitbringen. Was soll das etwa mit den großen Ideen von geistig-sittlicher Vervollkommnung des Menschen im Buddhismus, das steht doch alles nur in den Büchern, entscheidend ist noch immer, was unten bei den Menschen ankommt, und das ist das hier in den Pagoden mit ihren Räucherstäbchen und dem ganzen Klimbim oder das hier in dieser Straße. Ich muß wohl - aus mehreren Gründen - noch einmal nach Vietnam fahren. 

Und mit "unserer" Kirche scheint's auch zu gehen. Nach der kommunistischen Machtübernahme wurden wohl alle Kirchen geschlossen, doch sah ich keine zweckentfremdete Kirchen wie etwa in St. Petersburg, ja, bei meiner Sonntagmesse in der Kathedrale (?) von Hue hatte ich den Eindruck von regem religiösen Leben, auch sonst konnten wir vor allem in der Gegend südlich von Hanoi viele zum Teil sehr große Kirchen in den Ortschaften sehen, offensichtlich gerade restaurierte, welche, die gerade restauriert wurden und auch eine, von der nur die Außenmauern und der Turm standen, und die offensichtlich noch auf die Restaurierung wartete.

Daß der Umgang mit der Thematik Religion/kommunistischer Staat nicht nur auf kommunistischer Seite pragmatisch ist, sondern auch auf "unserer", entdeckte ich, als wir am Ende der Tage in Vietnam noch schnell das Ho-Chi-Minh-Mausoleum besucht hatten. Dort waren Schaukästen aufgestellt mit Bildern von Delegationen, die der Mumie des toten Ideologen und Menschenverächters (anders kann ich ihn nach dieser Reise nicht mehr bezeichnen) einen Besuch abgestattet hatten. Dort gab es dann auch ein Bild mit einer vatikanischen Delegation, die in Schwarz und Violett hinter Soldaten herschritt, die im Stechschritt einen Kranz trugen. C'est la vie. Allerdings darf man hier wieder auch nicht so schwarzweiß malen, schließlich hängt ja von solchen Gesten ab, ob der katholische Kult in Vietnam möglich ist oder nicht.

 

Doch jetzt wirklich der Reihe nach!

Über einen belgischen Freund hatte mein Kollege Flugkarten mit Singapur-Airlines, eine der besten der Welt, angeblich noch besser als Lufthansa, für ca 1600 DM besorgt und zwar nach Saigon und mit einem gut fünftägigem Aufenthalt in Singapur. Diesen würden wir dann für zwei Nächte in Singapur nutzen und dann für zwei Nächte irgendwo in Malaysia, ich schlug die alte portugiesisch-holländisch- englische Stadt Malakka vor, wohin wir dann auch per Linienbus fuhren. Wie angekündigt wurden wir in Singapur von Heng am Flughafen abgeholt, dem Mann einer meiner "Freundinnen" von der Chinareise 1989. Ich hatte die Frau - damals ein Mädchen von 18 Jahren - in einem Zirkus in Kanton kennengelernt und hatte dann mit ihr und einer Freundin auf einem Rummelplatz alle Geräte durchprobiert. Und ob- wohl das Mädchen kaum Englisch konnte, hatten wir Kontakt gehalten, und eines Tages bekam ich dann Post aus Singapur, wohin sie geheiratet hatte. Ihr Mann wunderte sich schon, wie aus einer einstündigen Begegnung eine freundschaftliche Verbindung entstehen konnte, die jetzt sogar zu einem Besuch führte.

Zwar hatte ich geschrieben, daß ich mir lieber das Hotel selbst suchen wollte (das Problem ist, daß V. Klimaanlage braucht, während ich bekanntlich Klimaanlagen hasse, ich fahre doch nicht mit viel Energieaufwand aus einem kalten Land in ein warmes Land, um mich dann zu kühlen), doch ließen sich Heng und seine Frau Yang Mei nicht davon abbringen, uns in das "Strandhotel" (das hieß nur so, Strand war da keiner) einzuquartieren, also in eins der Hotels, wie es sie auch sonst überall gibt. Sehr schön war, daß Heng gleich mit uns eine Stadtführung machte, er hatte sogar Eintrittskarten für die beiden Museen (Historisches Museum und Kunstmuseum) in der Nähe besorgt. Das erstere kannte ich nach meiner Erinnerung bereits, das zweite war im ehemaligen Gebäude der katholischen St. Josephs-Schule raffiniert untergebracht. Interessant war für mich dann der Besuch einer Art Singapurer Disneyland, wo allerhand chinesische Mythologie bunt dargestellt war - zu einem großen Teil sind die Singapurer ja Chinesen. Und hier fand ich auch etwas, was ich von meiner Fahrt zur Akademie für Sozialwissenschaften in Schanghai kannte: So ein Höllenkabinett mit Darstellungen von der grausigen Bestrafung der Bösen. Doch während in Shanghai alles völlig naturalistisch war und man etwa bei den ehebrecherischen Frauen alles bis zum kleinsten Körperhaar genau sehen konnte, war das hier doch alles weniger naturalistisch und prüder, also in Singapur sind selbst die Sünder bei ihrer Bestrafung in der Hölle noch "ausreichend-züchtig" bekleidet...

Deswegen kam ich übrigens auch mit einem Taxifahrer ins Gespräch, der allerdings von sich aus (!) damit anfing. Er meinte, daß solche "Verhüllung" eben notwendig sei, weil sonst die jungen Leute auf alle möglichen Gedanken kämen und auch alles nachmachen wollten. Ich zweifelte den Sinn dennoch an, weil ich doch selbst die Erfahrung gemacht hätte, daß die leichte Verfügbarkeit längst nicht zu einer Handlung führen müsse, so hätte ich in Afghanistan feinstes Marihuana für 1,60 DM die 20 g in den Händen gehabt und dennoch weder gekauft noch geraucht. Oder auch in Holland gebe es so etwas, doch das interessiere mich persönlich überhaupt nicht. Die wahre Emanzipation sei doch, die Verfügbarkeit zu haben und dennoch "nein" zu sagen. Er wich dann darauf hinaus, daß die Ostasiaten da eben konservativer seien. Worauf ich ihn auf die Situation in Thailand hinwies, wie dort die Prostitution doch so blühe. Ja, die Thailänder seien eben die schwarzen Schafe und die Ausnahme. Worauf ich dann wieder entgegnete, daß die sich selbst sehr wohl für moralisch und konservativ hielten, weil doch die Nacktheit verboten sei. Na ja, mir macht es eben Spaß, mich anzulegen vor allem mit Leuten, die sich so sicher und perfekt vorkommen und auch noch andere belehren wollen.

 

Ja, Singapur ist schon sauber, nicht nur auf den Straßen, sondern auch im Fernsehen und im Internet. Die Satelliten sind so ausgerichtet, daß in Singapur keine "anzüglichen" Bilder empfangen werden können, auch ist das Internet so angelegt, daß "so etwas" nicht über die Grenzen kommt. Mit einem Belgier unterhielt ich mich kurz auf dem Heimflug darüber, er konnte auch nicht glauben, daß das alles so perfekt ist und ohne Heuchelei abgeht. Denn es funktioniert ja auf die Dauer doch nur die Moral, die auf wirklicher Emanzipation gründet. Und so finden sich in den Geschäften auch Kondome und Vibratoren und es gibt Reklame zur Aids-Verhütung. (Ich weiß, die Kondome sind zur Geburtenkontrolle der Singapurischen Ehepaare, die Vibratoren für die Gesichtsmassage und die Aids-Plakate für die promiskuitiven Touristen...) Ärgerlich ist, wie in dieser heißen Stadt sogar das Bier besteuert wird: Im Laden ist die Büchse nicht unter 3 DM zu haben, also beim nächsten Mal das Gepäck bis zum Gewichtslimit mit Bier auffüllen! Wir Touristen werden ohnehin nicht kontrolliert - doch wer am Flughafen im Duty-Free-Shop Bier kaufen will für 1,85 DM die Dose im Sonderangebot, der muß seine Bordkarte vorlegen und mit der gibt's das Bier frühestens zwei Stunden vor dem Abflug! Da ist es eben schon gut, wenn man sich schon hier bei Aldi eingedeckt hat.

Auf der anderen Seite beeindruckend, wie die so klotzen und etwa ganze Stadtteile aus der Erde stampfen. Wir fuhren so durch ein Neubauviertel mit unzähligen Kränen über den Betonbergen: 60 000 Wohnungen für 100 000 Menschen (da müssen aber ganz schön viele Singles drunter sein – inzwischen, am 31.10.00, lese ich in der WELT, dass dies tatsächlich eine Sorge des Ministerpräsidenten Goh Chok Tong ist und dass die größte Bank Singapurs in Zukunft ihre Angestallten statt 5 ½ nur noch 5 Tage arbeiten lassen will, damit sie mehr Zeit für die Partnerwahl und für´s Kinderkriegen haben...) in einer Baumaßnahme. Allerdings sehen die Ergebnisse doch besser aus als etwa die Kasernen in Berlin-Marzahn. Was die Wohnungen hier kosten und wie sie aussehen, erfuhren wir bei unseren Freunden. 100 qm etwa 190 000 DM, allerdings könnte er die Wohnung gleich für erheblich mehr als das Doppelte weiterverkaufen, doch er hat erst einmal eine fünfjährige Bindung an die von der Stadt gebaute Wohnung. Also, groß und luftig war die ja. Merkwürdig fanden wir, daß unseren Freunden erst nach dem Einzug die Fliesen nicht gefielen, die dann mitsamt Estrich per Bohrhammer herausgebrochen wurden (einem Nachbar fiel das noch später ein, das waren also die Bohrhammergeräusche, die mich dann später wecken sollten.)

Immerhin ist das Essen für uns in Singapur immer noch billig und lecker, leider kamen wir nicht gleich darauf, daß man statt zu Mac Donalds in eines der Geschäftszentren (à la Schweizer Ladenstadt) geht, wo dann irgendwo auch ein Food-Markt ist. Da werden dann in Imbißweise die vielfältigsten Speisen vor allem aus den verschiedenen asiatischen Ländern gekocht und jeder kann sich aussuchen, was und wo er will, und sich dann an die gemeinsamen Tische zum Essen setzen. Immerhin kam ich bei Mac Donalds mit einigen Schüler(inne)n in Schuluniform ins Gespräch, die dort Pause machten. Wie konnte es anders sein: Sie waren auf einer von Methodisten geführten Schule und da war gerade Religionsunterricht, und da sie eben katholisch oder moslemisch waren, hatten sie sich abgemeldet. Natürlich fragte ich meine kleinen katholischen Gesprächspartner, was denn da bei den Methodisten so anders sei. Und sie meinten, daß die nicht die Maria verehren würden, worauf ich mir nicht verkneifen konnte, zu sagen, daß ich in Deutschland auch katholischen Unterricht gebe und daß die Maria da schon längst keine Rolle mehr spiele. Ja, wie kann man da Grenzen aufbauen, wo eigentlich gar keine mehr sind?

Vor dem feudalen Raffelshotel kam ich dann noch mit Japanern, Tochter und Mutter, ins Gespräch. Die verbrachten auf der Heimreise von Neuseeland, wo die Tochter irgendeinen Au-pair-Aufenthalt hatte, wenigstens eine Nacht für knapp 1000 DM in diesem Hotel, nach dem Motto, daß man auch einmal so etwas machen müßte. Also, ich würde stattdessen sparen und mit meine Zähne richten lassen, wenn ich solche extrem krummen wie das Mädchen hätte...

Malakka erreichten wir am Dienstag über die Mittagszeit in vier Stunden per Linienbus. Jede der beiden Nächte dort verbrachten wir übrigens in einem anderen Hotel, denn erstens gab es im ersten Hotel Mücken, die mein Kollege auch noch besonders anzog, und dann entpuppte sich das zunächst so ruhig gelegene Zimmer als wahre Lärmhölle, denn darunter war ein Straßenlokal, das erst abends aufmachte und wo offensichtlich bis in die Morgenstunden gebechert wurde - auch hier in Malaysia ist das Bier übrigens sehr teuer (also, ich würde da immer selbst brauen, ob das nicht auch manche machen?).

Viel ist von der Kolonialpracht nicht mehr übrig geblieben, auf dem "Burgberg" steht die Ruine der portugiesischen St.-Pauls-Kirche, dann gibt es hier noch ein paar lebende christliche Kirchen in diesem ansonsten moslemischen Land, besonders schön ist der fürstliche Holzpalast, der heute Museum ist. Im Gegensatz zu Singapur ist das Zentrum, die alten Chinatown, vom Bauboom völlig verschont geblieben, wundervoll, empfehlenswert. Dazwischen auch ein großer chinesischer Tempel, in dem gerade unheimlicher Festbetrieb war, mit Pilgerbussen waren die engen Straßen ringsherum verstopft. In einem anderen kleineren Tempel erklärte uns der Tempeldiener bereitwillig die Götter der drei Altäre (einer fürs Geschäft, einer für die Gesundheit, einer für die Fruchtbarkeit) und wir konnten auch beobachten, wie ein junger Mann - vielleicht vor einem Vorstellungsgespräch -  erst einmal sein Rauchopfer plus Spende darbrachte. Solche Tempelerlebnisse haben natürlich längst meine Sicht des Christentums beeinflußt: Alles, was ich so woanders entdecke, halte ich von vornherein in unserem Glauben für heidnisch und kämpfe dagegen an und arbeite an einem anderen Ansatz... Den Ansatz, daß eben "vieles" in anderen Religionen auf die bessere christliche hinweise, kann ich nicht akzeptieren. Leider haben meine Schüler eben nicht solche Tempelerlebnisse und können mich oft nicht verstehen. Besonders lustig ist immer wieder, was die Gläubigen da in Kultöfen oder riesigen Rauchgefäßen alles verbrennen, damit es zu den Göttern gelangt, hier offensichtlich Gebetstexte, in Vietnam dann eher grün kopierte Dollarnoten (ich sah nur 100-Dollar- Scheine) und vereinzelt auch Kopien von vietnamesischem Geld (Dong). Ich erinnere mich, daß ich in Bangkok einmal bei einer Beerdigungsfeier einen Pappmachemercedes sah, jetzt weiß ich, zu was der gut war. Der wurde anschließend gewiß verbrannt, damit der liebe Verstorbene im Jenseits mit einem Mercedes herumfahren kann. Eigentlich wäre solcher Glaube ja ein Grund zu wechseln, doch mir sagt Mercedes sowieso nichts, ich bin mit meinem Passat zufrieden. 

Ansonsten scheinen mir Malakka wie auch die malaysischen Städte für einen längeren Aufenthalt eher ungeeignet, irgendwie gibt es da keine interessante Kultur. Es geht nur um ultramoderne Einkaufszentren. Einen richtigen Strand fanden wir in Malakka auch mit unseren in Chinatown geliehenen Fahrrädern nicht, und das tolle neue riesige Hotel in der Nähe des Meeres war zwar sehr schön, doch war die Umgebung (noch) nicht einladend. Na, viele brauchen ja ohnehin nur die Wärme und den Swimmingpool.

(Grün-)Donnerstag ging's dann zurück nach Singapur und am (Kar-)Freitag nach Saigon. Also, da muß man sich erst einmal zurechtfinden, Ostasien total! Mit einem Taxi ließen wir uns vom Flughafen zu einem Hotel der Wahl des Fahrers fahren, doch da wir getrennte Zimmer hatten und mein Zimmer an einem überdachten Lichtschacht lag, um den herum es vor anderen Klimaanlagen gewaltig rauschte, zog ich nach einer Nacht in ein in meinem Führer empfohlenes kleines Familienhotel (Guesthouse 72) um, wo ich mich auch sehr wohl fühlte.

 

Der erste Eindruck von Saigon: Alles voller kleiner Motorräder und dazwischen einige Autos und Fahrräder. Und jeder bewegt sich eher draufgängerisch in dem Gewimmel, so wie es gerade sinnvoll scheint. So nimmt man sich die Vorfahrt bisweilen einfach, indem man sich in die dicksten Phalanxen einfach hineinstürzt! Also, ich war da natürlich in meinem Element, wir hatten uns ja Fahrräder gemietet, doch V. kam einmal nicht nach -  und ich fand ihn erst nach dem Ausflug wieder in seinem Hotelzimmer - vor seinen Klassenarbeiten, die er sich mitgebracht hatte.

Leider wurden uns gleich am Samstag die Fahrräder gestohlen, die wir an die katholische Kathedrale aus der Kolonialzeit in der Nähe der Hauptpost - ebenfalls aus französischer Zeit - angelehnt hatten. Natürlich hätten wir sie zur Aufbewahrung geben sollen, wir waren ja gewarnt, doch wer ahnt schon, daß das mit der Klauerei so schnell geht. Natürlich waren wir sauer, denn unser Verleiher hatte gewiß keine Versicherung und so war zumindest der Pfand ("deposit") von je 50 US$ futsch. Vorsichtshalber fuhren wir erst einmal mit zwei Rikschas herum, um uns zu erkundigen, was neue und gebrauchte Fahrräder so kosten (so um die 45 US$), damit wir bei der Verhandlung dann besser vorbereitet waren. Natürlich machte der Verleiher dann weit höhere Kosten geltend, wir sollten noch 35 US$ zuzahlen, was wir natürlich erst einmal ablehnten und uns verzogen. Da in der Nachbarschaft unserer Unterkünfte ein Polizeirevier war (nordvietnamesische Besatzer?), schlug V. vor, daß wir uns erst einmal dort erkundigten. Uns wurde auch gleich ein Anzeigeformular vorgelegt, auf dem ich dann den Vorgang beschrieb, und ein junges Mädchen, die gut Englisch konnte, wurde zur Vermittlung geholt. Schließlich kam auch unser Verleiher, dem offensichtlich unsere Aktivität nun wieder auch nicht schmeckte. Das Mädchen - man hielt offensichtlich zu uns - fragte uns, worauf wir hinauswollten. Und als wir sagten, daß es uns um ein Gentelmanagreement ginge, daß der Verleiher sich mit unserem deposit zufrieden geben sollte, war sie sichtlich über unsere Großzügigkeit erstaunt und der Verleiher gab sich dann auch zufrieden und der Fall war zuende. Schade nur um die schönen hundert Dollar - und das, wo der Dollar jetzt so hoch steht... (Rein zufällig saßen wir einige Tage später in einer "Bia"-Kneipe mit offenem Bier - die schreiben Bier so wie es unsere Arzthelferinnen tun würden, wenn man sie nur ließe - neben dem Verleiher, also nach seinem Blick war der uns nicht mehr gram, daß wir da mit der Besatzungsmacht zusammengearbeitet hatten. Ob dieses offene Bier - in 1-Liter-Plastikflaschen abgefüllt - übrigens nicht doch Ochsengalle wie früher im Ossiland ist, weiß ich nicht, doch schmeckte es apart und Kopfschmerzen bekamen wir auch nicht, wenigstens nicht von den Mengen, die wir tranken.) Leider verpaßte ich wegen dieses ganzen Trubels meine Ostermesse. Schade. 

Ja, die nordvietnamesichen Besatzer werden offensichtlich immer noch als solche empfunden. Bei einer der beiden organisierten Busfahrten ins Mekongdelta kamen wir an der ehemaligen amerikanischen Airbase vorbei und wurden deutlich darauf hingewiesen, daß die sich die Nordvietnamesen unter den Nagel gerissen hätten und da ihre Häuser gebaut hätten, daß hier also überall Nordvietnamesen wohnten. Der eine Führer erzählte uns auch, daß er vor etwa sieben Jahren als boatpeople geflüchtet sei und sechs Jahre in einem Lager in Malaysia verbracht habe, bis er dann im Zuge des Rückführungsprogramms wieder nach Vietnam zurückgekehrt sei. Der Grund für die Flucht war, weil er in seinem Dorf von der (nordvietnamesischen) Polizei unerträglich schikaniert worden sei, doch das sei jetzt vorbei, die alten Polizisten gebe es dort nicht mehr. Ja, das Leben sei im Süden jetzt etwa wieder wie vor 30 Jahren, wie vor dem Krieg und der Machtergreifung. Die alten Betonköpfe würden halt eben so langsam aussterben...

Die beiden Busfahrten - organisiert von einem der Reisebüros bei uns in der Gegend - waren einerseits informativ im Hinblick auf den Krieg, andererseits auch im Hinblick auf Natur und Leben. Bisweilen wurden wir auf kleine Boote verladen und es ging dann auch durch wunderschöne Flußarme zwischen Palmen und anderen Bäumen hindurch, vorbei an waschenden Frauen, bisweilen ging's auch zu Fuß, schließlich sollten wir ja einen Eindruck bekommen. Ziele waren etwa ein Floating-Market, also ein Flußmarkt, wohin sowohl Käufer wie auch Verkäufer mit ihren Booten kamen - und zwar nicht so, daß wie in Bangkok fast nur Touristenboote da waren, hier waren wir die einzigen Touristen. Ein anderes Ziel war eine kleine Reisnudelfabrik, eigentlich museal, doch die Familie lebte wirklich von den auf archaische Weise hergestellten Naßnudeln, die gleich immer auf dem Markt verkauft wurden.

Natürlich ging's auch zu ehemaligen Vietkongstabsanlagen "im Busch" und -Stellungen vor Ort. Da übernahm dann die Führung eine Art "Scout" (vielleicht auch ein nordvietnamesischer Soldat?). So hatte man für die Touristen Modelle der verschiedenen "Pionierschweinereien" aufgebaut, von denen ich bisher nur gehört hatte, als da sind Fallgruben mit langen Nägeln, Wippen mit Nägeln usw. Während wir durch den Wald gingen, knallte es ab und zu unmittelbar neben uns, denn wir liefen immer wieder in fast unsichtbare Stolperdrähte hinein, die im Ernstfall scharfe Gewehre ausgelöst hätten. Und dann fragte uns der Führer, wer wohl da, wo wir gerade stünden, das Loch unter uns entdeckte, in dem sich ein Vietkong verbergen könnte. Wir fanden es nicht, schließlich scharrte der Scout es unter den Blättern hervor: wirklich winzig, kaum größer als 20 mal 40 cm. Ich ließ mich auch einmal hinunter und wäre beinahe sowohl mit Hüfte wie mit Schultern steckengeblieben. Also, wir "Westeners" sind wirklich nicht für so einen Krieg geeignet. Das Schwemmland des Deltas ist ja hervorragend für alle möglichen Tunnelbauten geeignet, insgesamt soll es 250 km Tunnel gegeben haben, in denen sich die aus dem Norden eingesickerten Vietkong tagsüber verbargen. Die grausigen Ereignisse von My Lai lassen vermuten, daß die Bevölkerung teils freiwillig, teils jedoch sicher auch dazu gezwungen, bei diesem m. E. für die Amerikaner aussichtslosen Kampf mitmachte. Denn einerseits ist es sehr schlecht, wenn man gegen einen unsichtbaren Gegner kämpfen muß, andererseits kannte die nordvietnamesische Führung ("Ho-Chi-Minh") keine Hemmungen, beliebige Mengen ihrer jungen Männer in die Erdlöcher zu stecken und alle Verluste sofort wieder auszugleichen.  Es ist vielleicht leicht gesagt, doch ich verstehe immer noch nicht, daß sich die Amerikaner da so wenig politische Phantasie einfallen ließen. Hätten sie nicht wenigstens einigen der mit solchem Partisanenkampf erfahrenen deutschen "Nazigenerale" eine Chance geben sollen, ihre Wendung zum Guten zu beweisen, und sie als Berater einsetzen können? Immerhin hätte man doch den eigenen Kräften gegenüber kritisch sein müssen, hatten nicht schon die Franzosen in Dien Bien Phu verloren?  Ob man nicht ein Evakuierungsprogramm für den Notfall hätte ausarbeiten können und die wirklich dem Westen verbundenen südvietnamesischen Soldaten und Bürger auf der Kambodscha vorgelagerten ca 60 km langen vietnamesischen Insel Phu Quoc hätte bringen können, um dort dann so eine Art vietnamesisches Singapur oder Hongkong einzurichten? Dann hätte man doch auch einen Platz für die vielen Flüchtlinge gehabt, denn mit denen war ja zu rechnen.

Ein weiteres Ziel der Fahrten in die Umgebung von Saigon war das Hauptheiligtum der in den zwanziger Jahren entstandenen typischen vietnamesischen Cadoai-Sekte in Tay Ninh, wo wir dann mit zahllosen anderen Touristenbusladungen an einem Mittagsgottesdienst teilnahmen. Die Sekte ist ein Mischmasch der alten vietnamesischen Religionen mit dem Christentum und mit Einflüssen bis hin zu Shakespeare und Lenin und Victor Hugo. Es geht darum, dem Zyklus der Wiedergeburten zu ent­kommen. Seancen u.ä. spielen eine große Rolle. Da der Kult eines höchsten Wesens (in bunten Kirchen) und mönchisches Leben zum Kern gehören, können m. E. Lebensfragen immer nur allgemein und zweitrangig sein. Deswegen scheint diese Sekte eben eine typische Religion und daher von vornherein für mich kein Ausweg aus unserer heutigen religiösen Misere zu sein.

Eine sehr liebe und entzückende Begegnung hatten wir übrigens gleich am ersten Tag in Saigon, als wir auf das andere Ufer des Saigonflusses mit unseren (noch nicht geklauten) Rädern übergesetzt waren. Nachdem wir zuerst mit einem etwa achtjährigen Mädchen in Kontakt kamen, kam dann ein 15jähriges Mädchen auf uns zu. Und die war so begeistert, mit uns englisch reden zu können, daß sie uns gleich ihre frühere Schule mit Kirche (sie selbst war allerdings nicht katholisch) zeigte und uns auch mit nach Hause nahm, das heißt sie dirigierte mich, während sie hinten auf meinem Gepäckträger saß. Sie erzählte, daß ihre Schwester hätte zuhause bleiben müssen, weil für sie nicht genug Geld für die Schule da gewesen sei, doch daß sie jetzt das in sie gesetzte Vertrauen zu erfüllen versuche und Zweitbeste in ihrer Klasse sei. Und sie werde alles dransetzen, Beste zu werden. Dabei war sie so kindlich-charmant, daß ich sie in den Arm nahm und meinte, daß ich mir so eine Tochter wünschte. Also, da hatte ich etwas gesagt, so schnell habe ich noch nie eine Beziehung aufgebaut und schon gar nicht so eine! Jedenfalls hat schon die erste Korrespondenz stattgefunden. Ich bin gespannt, wie das weitergeht. Eigentlich eine gute Gelegenheit. Sagen mir nicht immer wieder Leute, daß ich mir doch eigene Kinder anschaffen solle, mit denen ich dann das alles besser machen könnte, was ich sonst so kritisiere? Der Vater war übrigens südvietnamesischer Soldat und war (leicht?) verwundet und die Familie hat in dem Plastik- und Pappkartonviertel immerhin schon ein festes Haus mit 1 1/2 Etagen und der Vater hat ein Motorrad und der Briefträger bringt auch die Post hin... Ich möchte einmal wissen, ob die Leute in Vietnam eine ähnliche Einstellung zu ihren Töchtern haben wie viele arme Leute in Thailand, daß sie sie ohne viel nachzufragen demjenigen geben, der entsprechendes Geld auf den Tisch legt, ob ich's herauskriege? Es wäre jedenfalls schade um das Mädchen, wenn es seinen Ehrgeiz nicht entfalten könnte und noch Schlimmeres erleben müßte. 

 

Am Donnerstag, 3.4., ging's dann per Flugzeug nach Hue, der alten Kaiserstadt. Diesmal suchte ich gleich von vornherein ein in meinem Alternativführer empfohlenes Hotel, eigentlich paßt es ja gut, wenn man zu zweit ist, dann kann einer in einem Restaurant sitzen und aufs Gepäck aufpassen, während der andere das Hotel sucht. Und ich fand auch ein schönes gleich neben Stadttor und Graben der Verbotenen Stadt. Und ich hatte schönen Ausblick auf der einen Seite auf Häuserdächer und auf den Parfümfluß, auf der anderen Seite auf die - leider bei amerikanischen Angriffen weitgehend zerstörte - Verbotene Stadt, die Anfang des vorigen Jahrhunderts der in Peking nachgebildet wurde. Leider wurde ich am nächsten Morgen - wie auch an den folgenden Morgen - noch bei Dunkelheit (also vor 5 Uhr) unsanft geweckt: Da tönte doch aus einem Lautsprecher an einem Mast Musik und ein Sprecher und eine Sprecherin verlasen stundenlang (mindestens zwei Stunden) irgend etwas. Wie ich hörte, war das die "Voice of Vietnam". Sozialistische Manipulationsinformation. Ich erzählte den Leuten, daß wir unter Hitler so etwas Ähnliches hatten, daß es da ein Radio für nur einen Sender gegeben hätte. Immerhin konnte man den damals noch abdrehen, hier vergrault man damit auch noch die Touristen, noch nicht mal am Sonntag war Ruhe.

Wie ich später feststellte, gab es auch in Hanoi die "Voice of Vietnam", allerdings störte sie mich da nicht, irgendwie wurde da nur die Straße beschallt. Und bei meiner Frühstücksnudel­suppe (immer wieder lecker!) machte mir das dann nichts aus.

Einen Tag in der alten Kaisersstadt nutzten wir, um uns die Überreste der Verbotenen Stadt anzusehen, sie war im Krieg zerstört worden, weil sich Vietkong dort versteckt hatten. Geholfen hat's im Endeffekt auch nichts. Daß die alliierten Militärs nicht aus der Bombardierung deutscher Städte gelernt hatten, daß mit der Zerstörung von Kulturerbe nicht der Widerstand des Gegners zu brechen ist, daß jedoch vieles Schöne unwiederbringlich verloren ist. Erhalten ist die Bibliothek, dann einige alte Tempelgebäude, und hier und da wird auch etwas wieder aufgebaut. Schade. Am späten Nachmittag fuhren wir mit den Rädern zu einem der Kaisergräber, das allerdings schon geschlossen war. Dabei fuhren wir an Stapeln mit riesigen Wasserrohren vorbei, die auch teilweise schon eingebuddelt wurden. Auf französisch stand da drauf "Pont-à-Mousson", also eine kleinere nordfranzösische Stadt zwischen Nancy und Metz, und dann "Wasserversorgung Hue" – so viel ich weiß, ist Pont-à-Mousson ein Stahlwerk in Nordfrankreich, irgendwelche Wirtschaftsbeziehungen scheinen mit der früheren Kolonialmacht also noch zu funktionieren.

Besser als per Rad machten wir dann am zweiten Hue-Tag für 3 US$ eine der organisierten Bootstouren auf dem Parfümfluß zu einigen dieser berühmten Kaisergräber, enthalten in dem Preis waren sowohl der Führer (bei uns allerdings eher ein Wegweiser zu den dann noch im Gelände verstreuten Anlagen) und ein sehr nett im Boot für uns acht Teilnehmer aufgetischtes Essen, die Eintritte (jeweils 5 US$) mußten wir allerdings selbst zahlen.

Bei den Gräbern wurde ich sehr an Ägypten, und zwar an die Scheinarchitekturpaläste für die toten Pharaonen in der Gegend von Sakkara erinnert. Nur haben die toten Herrscher noch eine Zeitlang vor ihrem Tode tatsächlich hier gelebt. Schon merkwürdig diese Verbindung von Tod und dem mit der idyllischen Unterhaltung von Konkubinen auf gewiß vielfältige Weise garnierten Lebensabend (die Kaiserin durfte vielleicht zugucken) - und das noch im letzten Jahrhundert.

Als ganz besonderen Freund hatte ich den zweijährigen Jungen des Schuhhändlers gegenüber unserem Hotel gewonnen. Als ich das erste Mal vor dem Kind stand, breitete es spontan seine Ärmchen aus - und wollte hochgehoben werden. Und ich wurde ihn dann kaum noch los, nur in die Arme der Mutter ließ er sich abgeben. Wenn ich kam und er war irgendwo tief im Laden und er mich sah, dann lief er gleich auf mich zu - und wieder dasselbe. Selbst der Vater, der mir von der Vorliebe des Kleinen für Westeners berichtete, war offensichtlich sprachlos über das Verhalten seines Söhnchens. Immer wieder fallen wir natürlich mit unserer Körperbehaarung auf, an der Brust und an Armen und Beinen. Bei den Vietnamesen ist das alles glatt. (Allerdings glaube ich, daß ich mit meinem offenen Hemd für die Vietnamesen unschicklich war, doch mir war einfach zu heiß, das Unterhemd hatte ich schon längst weggelassen...)

 

Die Weiterfahrt von Hue nach Hanoi gestaltete sich sehr pannenreich. Eigentlich wollten wir ja für 48 $ (Touristenpreis) mit dem Zug fahren, um auch dieses Verkehrsmittel einmal zu erleben. Doch am Bahnhof sagte man uns, daß es zum anvisierten Termin (Samstagabend) keine Tickets für den Liegewagen mehr gebe, sondern erst am Sonntagabend. Ein Junge, der sich als Agent eines Reiseunternehmers vorstellte, bot uns Plätze in einem nicht klimatisierten Bus zu unserem Termin für 17 $ an, die wir dann nahmen. Und ganz ordentlich wurden wir auch pünktlich mit zwei Motorrädern vom Hotel abgeholt und zur Ausfallstraße gebracht. Doch der Bus, der dann für uns hielt, war ein Bus für "local people", wir waren die einzigen Westeners, und bald nach der Abfahrt mußten wir über im Gang liegende Reissäcke auf die Gangsitze der hinteren Reihen klettern, in denen jeweils sechs Sitze nebeneinander eingebaut waren. Schließlich sind die Vietnamesen ja dünner... Hätte ich mir doch wie in Indien erst einmal die Busse der Gesellschaft angesehen, mit der wir fahren wollten. Doch das hier war ja noch nicht einmal Indien!

Nach etwa dreißig Kilometer kam der erste Stop und wir nah­men die Gelegenheit wahr, mit unserem Gepäck (das meiste hatten wir ohnehin in Saigon gelassen) den Bus zu verlassen und per Anhalter mit einem LKW aus alter IFA-Produktion nach Hue zurückzufahren. Denn 800 km in diesem Bus, unvorstellbar. Nachdem wir wieder unser Hotelzimmer belegt hatten, fuhren wir gleich zum Reiseunternehmer, um uns zu beschweren. Und der tat schließlich so, als ob der Verkauf der Buskarten wohl im Namen seines Reisebüros geschehen war, daß er jedoch von dem, was uns da widerfahren sei, keine Ahnung hätte. Das seien offensichtlich die Machenschaften seiner Untergebenen. In unserem Beisein telefonierte er mit einem der Motorradfahrer, die angeblich erst abgefahren seien, als sie dem Busfahrer, mit dem sie sonst nichts zu tun hatten, Geld für unsere Beförderung gegeben hätten, nachdem wir offenbar zufrieden gestellt waren. Daß wir dann doch ausgestiegen seien, war offensichtlich nicht vorgesehen und er meinte, daß er Geld verloren hätte, indem er uns für einen garantiert guten Bus für den nächsten Tag nach Zuzahlung von 5 $ eine neue Karte ausstellte, er würde bei der Abfahrt des Busses auch dabei sein. Doch da war er natürlich nicht (vielleicht wurden wir deswegen direkt vom Hotel abgeholt) und der einzige Vorteil dieses Minibusses war, daß wir nicht ganz so eng saßen und daß wir nur Westeners waren, also weniger Furcht haben mußten, daß wir beklaut wur­den. Ansonsten war die Fahrt eine reine Katastrophe, V., der vorne saß, hatte den (einzigen) Fahrer einmal aufgefordert, anzuhalten und zu schlafen, weil er offensichtlich schon im Fahren einschlief. Das alles ließ darauf schließen, daß auch die erste Fahrt mit dem "local" Bus durchaus vom Chef geplant war, immerhin kostete die Beförderung eines Passagiers im "local people bus" um die 9 $, während "das Reisebüro" 17 kassiert hat­te. Ja, wären wir doch wenigstens mit der Bahn gefahren, selbst wenn das mehr als doppelt so teuer gewesen wäre und zwei, drei Stunden länger gedauert hätte. Für die nächste Reise also: Nicht im Hotel buchen und nicht von einem Agenten ansprechen lassen, sondern in ein Reisebüro gehen, in dem man sich die Busse ansehen kann, und darauf achten, daß die Tickets auf nummerierte Plätze hinweisen.

In dem Minibus hatten wir einen 22-jährigen Vietnamesen mit seinem deutschen Adoptivvater, der jetzt Bürgermeister in Sim­mern ist, wiedergetroffen, den wir schon am Mittag davor am Strand etwa 13 km außerhalb Hues getroffen hatten. Den Jungen hatten seine vietnamesischen Eltern vor 11 Jahren zusammen mit seiner kleinen Schwester auf gut Glück mit einem Flüchtlingsboot aufs Meer geschickt, nach dem Motto, entweder Tod oder etwas Besseres als die aussichtslose Misere in diesem vom kommunistischen Norden "befreite" und jetzt kolonialisierte Land. Und viele hatten dabei ja den Tod gefunden. Unser Junge hatte mit seiner Schwester Glück, sie wurden von dem deutschen Hilfsschiff aufgenommen, das damals im chinesischen Meer kreuzte. Und er wurde dann eben adoptiert und machte jetzt mit seinem zweiten Vater eine Fahrt durch seine alte Heimat. Seine Blutseltern sind inzwischen auch in Deutschland. Wie ich Vater und Sohn so harmonisch zusammen sah, meinte ich, daß es so scheint, als ob diese Adoption gelungen sei, nein, nein, verbesserte mich der Vater, es scheint nicht nur so, es ist auch so. Da träumte ich dann natürlich wieder einmal von mei­ner kleinen "Tochter" aus Saigon...

 

Ernüchternd war die Einfahrt nach Hanoi - eine überfüllte schlechte Straße und rechts und links armselige Häuser auf Sockeln oder Stelzen in den nassen Reisfeldern. Doch oft wurde dazwischen offensichtlich Besseres und Schöneres gebaut, interessant auf welch schmalen Streifen im allgemeinen. Das scheint vietnamesische Spezialität zu sein, die Häuser sind gerade so breit wie die vorderen nun wirklich nicht breiten Zimmer.

Und anders als in Südamerika (besonders in Bolivien und in Peru war mir das aufgefallen), wo oft ganze Stadtviertel ein einziger Markt zu sein scheinen, wird hier weniger gehandelt, son­dern produziert. Irgendwie stellen alle irgend etwas her, die Vietnamesen müssen ein ungemein geschicktes und fleißiges Volk sein. Wenn die Fahrräder mit 45 US$ zu teuer sind, dann arbeiten da wohl einige Werkstätten zusammen und stellen wel­che für vielleicht 30 $ her. Ich habe gesehen, wie da wo rohe Fahrradgabeln lagen und wie woanders Fahrradräder neu mit Speichen bestückt wurden, was alles nach Serienfertigung aussah. Und dann in den Läden der Touristengegend die wunderba­ren Kopien von europäischen Malern wie Monet, van Gogh, Renoir oder die wunderschönen Segelschiffmodelle aus Tropenholz mit vollen Segeln! Da konnten wir nicht widerstehen! So haben wir denn jetzt auch einige Beutekunst.

Das alte Hanoi selbst liegt in einer Ecke des Roten Flusses (von dem allerdings wegen eines hohen Deichs normalerweise nichts zu sehen ist), dem "Westsee" und dem Hoan-Kiem-See, heute eher ein innerstädtischer Parksee. Es war die Hauptstadt von Französisch-Vietnam und sieht auch noch etwas französisch aus. Wir wurden aus unserem Bus am Rande des Hoan-Kiem-Sees ausgeladen und liefen sozusagen automatisch in die malerische Altstadt mit den engen Straßen, die nach Berufsgruppen unterteilt waren, in einer der Straßen waren wie gesagt die Kultausstattungsgeschäfte, in einer anderen die Grabtafelmacher, wo ich gleich eine neue Grabplatte für meine 1958 verstorbene Großmutter machen ließ - sehr zur Verwunderung meines Kollegen, dem ich vorgeworfen hatte, viel zu viel sinn-loses Gepäck von zuhause mitgenommen zu haben, und der jetzt konterte, was ich so alles zusammenkaufen würde. Doch der Unterschied war ja, daß ich mit kaum etwas mehr als dem, was ich auf dem Leib trug, losgeflogen war, um eben frei zu sein für meinen Kaufrausch in einem exotischen Land, in dem ich damit dann auch die Wirtschaft ankurbeln konnte...

Eigentlich wollten wir ja an die Halongbucht, sozusagen das Wahrzeichen Nordvietnams, eine Bucht mit unzähligen unmit­telbar aus dem Wasser aufsteigenden Felskuppen. Doch hätte die Fahrt, wie wir sie auch gemacht hätten, zwei Tage gedauert. Und die hatten wir wegen der Verzögerung mit dem Bus eben nicht, oder wir hätten auf die Parfümpagode, die uns mehrfach sehr empfohlen war, verzichten müssen. In dem unter Travellern weltweit berühmten Queenscafé erkundigten wir uns, wie wir das mit der Halongbucht machen sollten, und da sagte man uns dann (was uns auch schon andere Leute gesagt hatten), daß wir statt der Halongbucht eine Tagesfahrt nach Hou Lu machen sollten, das zwar im Landesinnern liege, das jedoch ähnlich ein­drucksvoll sei. Also machten wir das - und ich kann sagen, daß ich so etwas noch nie gesehen habe. Wie bei der Parfümpagode einen Tag später ruderten uns Frauen in ganz kleinen aus Bambusgeflecht bestehenden und mit Harz (?) abgedichteten Booten durch Reisfelder in die Felskuppenlandschaft, die dann in Rich­tung Landesinnere immer kompakter wurde. Und hier ging es dreimal durch ganz flache Tunnel oder besser Höhlen unter Bergriegeln hindurch, so daß wir schließlich in allseits geschlossenen riesigen Sälen - oder eben Tälern - waren. Und dabei waren wir relativ allein.

Da in der Nähe unseres Hotels das Wasserpuppentheater war, eine vietnamesische Spezialität, die heute allerdings eher für Touristen lebendig gehalten wird, gingen wir auch noch dorthin. Die Bühne besteht aus einem Wasserbecken, in dem sich die Gestänge für die Bedienung der Puppen befinden. Zu vietname­sischer Musik (life, sehr schön) werden dann zahlreiche Sketche aus Alltag und Mythologie vorgeführt. Entzückend fand ich den Sketch, wo zwei Bauern Reis pflanzen, die Bäuerin Wasser schöpft und in hohem Bogen verspritzt und zwei Bauern mit Büffeln pflügen - alles im Rhythmus der Musik. Doch auf einmal gehen die Büffel durch und es ist völliges Durcheinander und dann bekommen die Bauern die Sache wieder in den Griff und es geht wieder friedlich zu wie am Anfang. 

 

An unserem letzten - allerdings nur halben - Tag, stand dann auch noch das Ho-Chi-Minh-Mausoleum auf dem Plan. Nachdem ich nun schon die "Fronleichname" in Peking und in Moskau gesehen hatte, fehlte nur nun doch noch dieser hier. Es ist ja nicht die Leiche selbst, doch die Umgebung, wie wird etwa alles bewacht, was sind das für Leute, die da hingehen. Wir "Auslän­der" mußten nicht nur unser Gepäck und vor allem unsere Foto­sachen abgeben, sondern auch Eintritt lösen. Zwar protestierte ich lautstark, daß ich diesen Gewalttäter nicht noch mit meinem Geld belohnen wollte, doch nachdem ich den Eintrittskarten­verkäufern meine Abneigung deutlich gemacht hatte (sie sollen schließlich nicht den Eindruck bekommen, daß alle Touristen Kultpilger sind), siegte die Neugier und ich zahlte die 60 Pfg. Schließlich habe ich einen Vorteil: Sollte ich einmal doch in offizieller Delegation nach Hanoi reisen (so wie die Vatikanleu­te) und an so einem Leichenbesuch teilnehmen sollen, dann kann ich wenigstens mit der Begründung ablehnen, daß ich da schon einmal war.

Anders als andere Touristen reihten wir uns brav in die lange Schlange der Wartenden ein, vor allem Schulkinder und offen­sichtlich Leute vom Land. Einer meiner Schüler in Düren, ein Schuhverkäufer, hatte mir einmal gesagt, daß man auf die Schuhe der Leute sehen müsse, um mehr von ihnen zu erfahren. Daran dachte ich jetzt, als ich die erbärmlichen gelben Plastiksandalen der Leute sah. Wie war doch die Geschichte, als einstens Breschniew über den Roten Platz ging und einen Bauern entdeckte, der nur einen Schuh trug. Er sprach ihn an und bedauerte ihn, weil er einen Schuh verloren hatte. Nein, nein, meinte der Bauer, er hätte einen gefunden...

Na ja, wie sieht so eine Mumie schon aus, überall Wachsoldaten und Videoaugen. Beinahe wäre es mir schon längst hinter dem Ausgang schlecht ergangen. Als ich da eine Gruppe fotografie­render Franzosen sah, die offenbar schon ihr vorher abgegebe­nes Gepäck abgeholt hatten, etwas frech auch meine Minox aus meiner Brusttasche holte und fotografierte, kam ein Wachsoldat auf mich zu und fragte mich, ob ich den Apparat mit im Mauso­leum gehabt hätte. Als dann noch ein vietnamesischer Fotograf hinzukam (ein Spitzel?), der das gar nicht lustig fand, wurde mir doch etwas mulmig. Offenbar trauen die uns zu, daß wir - wenn wir schon so einen kleinen Apparat haben - auch noch durch die Brusttaschenknopflöcher fotografieren (was bei dieser Minox ganz offensichtlich nun wirklich nicht geht).

Auf dem Gelände waren dann noch die Residenz Ho Chi Mins und ein Revolutionsmuseum mit speziellen Ausstellungsräumen für verschiedene Revolutionen. Hinter dem Mausoleum und der Residenz waren Souvenirverkaufsräume für Touristen u. a. mit diesen typischen vietnamesischen Lackarbeiten, mit denen auch Bilder gearbeitet werden können. Das einzige Bild von Ho Chi Minh da war ein billiger Druck über der Tür, ansonsten gab es fünf Jesusbilder und drei Marienbilder. Und das Geld mit den Bildern von Ho Chi Minh drauf nahmen sie das auch nicht, son­dern nur das mit den Bildern der amerikanischen Präsidenten.

Natürlich habe ich mich auch mit meinem Kollegen bisweilen über die politische Situation gefetzt. Während ich schon immer ein "Springerknecht" war, der eher auf amerikanischer und süd­vietnamesischer Seite stand und den angeblichen Bürgerkrieg für einen von Nordvietnam initiierten ideologischen Erobe­rungskrieg hielt und meine Meinung auch dokumentierte, indem ich damals die Studenten-WELT-Abonnements auf der Hoch­schule St. Georgen mit großem Erfolg einführte, war er auf der Seite der 68er, die damals "Ho Ho Ho Chi Minh" skandierten. Nein, nein, das hier und auch das mit der Trostlosigkeit der Menschen, daß sie sich oder ihre Kinder dem Meer anvertrauten in der vagen Hoffnung, eine Rettung zu finden, habe er alles nicht so gewollt, ihm sei es um Frieden gegangen. Na ja, wohl um den Frieden eines Friedhofs. Aber die Sache war ja wirklich ver­fahren, einig waren wir uns, daß die Amerikaner Nordvietnam eher hätten mit Hamburgern und Coca Cola statt mit Agent Orange (dem Entlaubungsmittel) bombardieren sollen, daß das vielleicht einen besseren Effekt gehabt hätte. Doch das Vertrau­en, daß letztlich der Sozialismus doch untergeht, hatte man damals eben noch nicht.

Ich glaube übrigens nicht, daß es bei den damaligen Demonstrationen wirklich um Vietnam und um die Nöte der Menschen dort gegangen war, dazu wußten die meisten ja viel zu wenig, um was es wirklich ging und vor allem vom real existierenden Sozialismus. Für mich sind solche kaum rationalen Demonstrationen - so wie auch die heute gegen die Atomkraft (keiner dieser Demonstranten lebt ja nur in einer Holzhütte bei Holzfeuer und wäscht sich im kalten Regenwasser) - zumeist nur ein Ausdruck, daß irgend etwas sonst im Leben nicht stimmt, das sich dann auf diese Weise Luft macht. Und auch etwas anderes habe ich gemerkt. Man muß doch das, was eigene Einstellung ist, schriftlich festhalten, ansonsten wird hinterher genau das Gegenteil draus von dem, was man einmal gesagt hat. Ein englischer Hörspielproduzent hatte mir während des Ausflugs zu den Kaisergräbern in Hue für meinen Unterricht (und natürlich auch für Dispute) die dominikanische Methode (nach dem Orden der Dominikaner) empfohlen: Sich vom Gesprächspartner die eigene Anschauung mit dessen eigenen Worten wiederholen zu lassen und selbst die Anschauung des anderen zu wiederholen. Ja, das wäre etwas...

Immerhin setzt sich ja mein Kollege mit den Folgen dessen, was damals propagiert und dann auch gelaufen ist, auseinander, viele kümmert ja heute gar nicht mehr ihr Geskandiere von gestern. Der Unterschied war eigentlich nur, daß ihn das, wie etwa die miserablen Busfahrten, total nervte, während ich das als sozialistische oder spätsozialistische Folklore empfand und eher ertrug. Man ist ja vorbereitet und macht sich keine Illusionen. Ähnlich hatte sich auch der Bürgermeister von Simmern geäußert, als einige der Reisenden über den miserablen Bus stöhnten und schimpften.

Aufschlußreich war eine Unterhaltung im Literaturtempel (es gibt also tatsächlich Konfuziustempel, man kann aus allem eine Religion machen, und wenn sie die Bildung verehrt, ist das sicher ein löbliches Unterfangen, wenn die Bildungsgläubigkeit natürlich auch wieder ihre katastrophalen Folgen hat) mit der Frau des Hanoier Sekretärs der (sozialdemokratischen) Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Aufgabe ihres Mannes sei etwa, deutsche Delegationen zu organisieren, die die Vietnamesen beim Aufbau einer moderneren Wirtschaft berieten. So sei gerade eine Delegation vom (sozialdemokratischen) Justizministerium NRW da. Sind das nun vielleicht die wahren Idealisten unter den 68ern, die doch noch - wenn auch auf Spesenrechnung an den Steuerzahler - die Scherben, für die sie damals skandiert haben, aufzupolieren versuchen, um sich zu rechtfertigen, daß sie damals doch so falsch nicht gedacht hatten?

 

Auf dem Rückflug nach Saigon mit Vietnam Airlines waren in unserem Airbus unter all den westlichen Touristen und einigen Ostasiaten auch einige Offiziere. Ich konnte mir nicht verkneifen, zu V. zu sagen, daß das die nordvietnamesischen Besatzer seien, die jetzt wieder an die Front flögen. Oh, da schaute mich einer dieser Typen an, als ob er alles verstanden hätte, ob der nicht noch zu Zeiten des Ossi-Regimes auf deutsch ausgebildet war, wie man den Klassenfeind bekämpft?

In Saigon gab es dann wieder die obligatorischen Abschiedsritualien mit Frisörbesuch (interessant wie auf dem Platz neben mir der Frisör mit Spezialbesteck und einer Art Grubenlampe auf dem Kopf dem Kunden die Ohren ausräumte und ihm die Ergebnisse auf den Arm schmierte, ich ließ es beim Kopfeinrecken bleiben) und Einpacken unserer Mitbringsel: Einen Renoir und einen Bazille für mich und einen Kandinsky und einen Monet für V. und je ein Segelschiffmodell "Potosi" für jeden von uns. Die Sachen waren einfach zu schön und wir hatten unser Gepäckgewicht noch nicht erreicht, irgend etwas mußten wir da doch noch einpacken - ohne Handgepäck insgesamt dann knapp 52 kg, also offensichtlich noch innerhalb Toleranzgrenze.

Den Rest der Fahrt habe ich bereits zu Anfang erzählt und es ist dann auch alles gut gegangen, Sonntag gegen 6 Uhr sind wir nach einer einstündigen Zwischenlandung in Rom wieder in Brüssel gelandet. Mein Auto stand noch auf meinem „umsonstenen“ Stammparkplatz und irgendwann habe ich auch die Zeitumstellung verkraftet. Und die zwanzigstündige Verspätung war ja schließlich auch irgendwie eingeplant.

Im Sommer werde ich voraussichtlich wieder in Europa bleiben. Ich habe auch schon eine telefonische "Anmeldung" aus St. Petersburg: Nein, nein, sie wird mich arbeiten lassen, doch meine letztlich konservative Art des Umgangs mit ihr (wie soll man das ausdrücken?) und zu reisen, scheint eben doch nicht so falsch zu sein und auch junge Leute von heute anzusprechen - zumindest wenn sie sich näher damit beschäftigen. Ähnliche Zustimmung habe ich auch schon anderweitig gehört. Warum sollte ich also nicht einmal eine verantwortlichere Bindung anstreben, wenn sie sich ergibt? Ich weiß, für manche wäre es eine unheimliche Provokation, wenn sie auch noch gelingt...

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