Südamerika Sommer 1995  -   Vor allem Bolivien.

 

Ja, da war wohl ein wichtiger persönlicher Anlaß für die diesjährige Ferienfahrt nach Peru und Bolivien, doch ich hatte schon vorgesorgt, daß es noch andere Anlässe gab, falls sich der erste Anlaß doch nicht so erfüllte, wie ich dachte. Und mit meinen Vorsorgemaßnahmen hatte ich gut getan, die anderen Ziele wurden dann tatsächlich die wichtigeren... Und das waren dann ein Besuch bei meinen mennonitischen Freunden in der Umgebung von Santa Cruz und ein paar richtige Urlaubstage in Coroico am Rand des Amazonasbeckens, beides in Bolivien, und in Arica in Nordchile am Meer, wozu ich mir dann auch meinen Minicomputer zur Arbeit mitgenommen hatte. Denn so erreiche ich es, daß ich nicht an einem Stück lange hintereinander an der Arbeit sitze, weil mir dann die größeren Pausen zum Überdenken fehlen.

In meiner Abwesenheit benutzte das russische Mädchen, das vor zwei Jahren mit in Indien war, meine Wohnung als Standquartier. Und daß sie da mit zwei anderen Mädchen, mit denen ich sie bekannt gemacht hatte, zu meinen Ehren eine multikulturelle Hexenparty feierte, von der ich sogar Post erhielt, hat mich einigermaßen mit meiner persönlichen Panne versöhnt.

Wie es so ist, kamen die Damen erst mit der Addition ihrer Lebensalter in meine Gegend bzw. dann sogar darüber. Doch was soll's, ist es nicht auch ein Ziel, anderen zu mehr Lebensqualität zu verhelfen? Muß man immer selbst etwas ganz Direktes davon haben? Und manchmal denke ich, daß solches Ziel ohne wirklichen eigenen Nutzen sogar noch schwieriger zu erreichen ist als eines mit eigenem Nutzen. Die Planung dieser Fahrt begann erst um die Osterferien herum.

Und das war, gelinde gesagt, schon ein wenig zu spät. Denn ich bekam keinen der günstigen Flüge nach Südamerika mehr, alles ausgebucht, allenfalls Warteliste. Beim Himmelfahrtstrip (?) nach London fragte ich dann dort in einem Reisebüro nach, und zunächst gab es auch da nichts. Ich war auch schon wieder draußen und drehte wieder um, weil mir noch die Variante über U.S.A. einfiel, und siehe, da gab es noch genau einen Platz für mich, ab London über New York und Miami. Da die problematischen Flüge die von und nach Lima waren, konnte ich eine Teilstrecke des Hinflugs auch so verlegen, daß ich vier Tage in New York Zwischenstop machen konnte, um meinen Freund und entfernten angeheirateten Cousin Günther C. in Albany zu besuchen.

Für die Fahrt nach London nahm ich meinen Wagen, den ich allerdings in Calais stehen ließ, daß ich dort eine Mitfahrgelegenheit nach London fand. Ganz lieb bekam ich auch bei  meinem indischen Freund im Norden Londons Unterkunft (dem mit dem Restaurant).

Gleich bei der Ankunft in New York hatte ich ein letztlich hübsches Erlebnis: Vom J.F.Kennedy-Airport gibt's ein Gratisshuttle zur nächsten U-Bahn-Station, von der es dann mit einem für diese lange Strecke extrem günstigen Einheitspreis von 1,25 $ mit der Metro nach Manhattan geht. Das Wechselgeld sah ich mir erst später genauer an - die (schwarze) Ticketverkäuferin (sicher auch nicht auf Rosen gebettet) hatte lediglich einen einzigen Dollar Touristenaufschlag für die lange Fahrt hinzugerechnet!

Der Norden des Staates New York

Albany selbst, die Hauptstadt des Staates New York, ist eigentlich eine schöne alte amerikanische Stadt. Regierungsgebäude, ältere Kirchen, alte und neue Universitätsgebäude, Museen, etwas merkwürdig finde ich nur, daß die eigentlich einmalige Lage am offensichtlich recht sauberen schiffbaren Hudsonfluß städtebaulich kein bischen ausgenutzt ist. Zu allem Überfluß gibt es zwischen Stadt und Fluß auch noch eine ziemlich neue Autobahn.

Meine Freunde hatten ein verlängertes Wochenende mit mir vorbereitet, wir waren am wunderschönen Georgesee und dann noch beim Ticonderoga-Fort aus dem Kolonialkrieg zwischen England und Frankreich, das dann auch im Unabhängigkeitskrieg eine Rolle spielte. Ganz lieb waren die Parade- und Schießvorführungen von einer ganz braven jugendlichen Truppe. Die Nacht verbrachten wir im Victorian-Village-Motel ganz feudal, daneben fanden Günther und ich durch Zufall das Marcella-Sembrich-Opernmuseum mit Studio und wunderbarem Park am See. Alles sehr eindrucksvoll, die Sängerin M.S. (1858 - 1953) steht sogar in meinem Neuen Herder, sie hatte auf Anraten Liszts Gesang studiert. 

Auf der Fahrt zum Flughafen Newark hatte ich in N.Y. noch Zeit für ein wenig Geschäftsbummel um den Port Authority Busbahnhof herum, ich meine, die Dinge sind dort günstiger als bei uns. Zwischenlandung mit Umsteigen war dann in Miami schon bei Dunkelheit, eindrucksvoll der Blick von oben auf die erleuchtete Stadt. Nur erkennen tut man nichts...

In Lima kam ich dann um vier Uhr früh an, was sollte ich da tun, also wartete ich erst einmal, bevor ich gegen 7 Uhr mit einem Taxi zu meinem Hotel Roma im Zentrum fuhr. Ich hatte den Eindruck, daß Lima diesmal freundlicher und weniger kriminell aussah als bei meinem Besuch vor drei Jahren. Irgendwie scheint sich die Lage stabilisiert zu haben. Mit dem Collectivo (Sammeltaxi) fuhr ich dann auch zur Familie von Marlene und wurde sehr herzlich empfangen, es war sogar eines der Mädchenzimmer für mich hergerichtet worden, weil Marlene angerufen hatte. Doch ich zog das Hotel in der Stadt vor, weil die Fahrt mit dem ganzen Gepäck in den Vorort doch zu aufwendig und umständlich gewesen wäre. Da Hauptziel Bolivien war, sah ich mich auch gleich nach einem Weiterflug um, am sinnvollsten war's peruanisch-inländisch bis zum Titicacasee nach Juliaca, von wo ich mit verschiedenen Collectivos u. a. nach La Paz teilweise am See entlang weiterfahren konnte. In einem geländegängigen Microbus saß ich inmitten handeltreibender Indiofrauen (von Peru nach Bolivien), und da auf den Sitzen kein Platz für den Gringo mehr war, saß ich viel bequemer auf ihren Deckenpaketen. Bevor der Bus los ging, gab's zwischen dem Fahrer und dem Frauen wegen mir eine ganz liebe Diskussion, sie sorgten sich offensichtlich um mein Wohl. Um ein Dorf wurden wir wegen eines Festes umgeleitet, wie gerne wäre ich dabei gewesen!

Bolivien - La Paz

La Paz ist irgendwie eine grandiose Stadt. Die Straße (oder besser der Weg) von der peruanischen Grenze führt am Flugplatz vorbei, der auf der etwa 4000 m hohen Anden-Hochebene liegt. Und dann geht's fast wie in einen riesigen Krater 500 m und mehr hinunter, dessen Ränder teilweise und dessen Boden total mit Häusern bedeckt sind. Vier Nächte war ich zunächst einmal in La Paz, faszinierend besonders das Leben und Treiben auf den Indiomärkten. So richtig fielen mir zum erstenmal die Dinge auf dem Hexenmarkt auf, jede Menge Lamaembryos, die als Glücksbringer unter den Fundamenten von Neubauten eingegraben werden, und dann vor allem "mesas" (=Tische), das sind Platten mit allerlei Zaubermitteln und -gegenständen, die auch bei den verschiedenen Anlässen gebraucht werden. Also, der Kirche ist es offensichtlich überhaupt nicht gelungen, den vorchristlichen Aberglauben auszulöschen, und es bringt auch nichts, den Aberglauben christlich zu färben, denn sie macht da wohl eifrig mit. Wie schon bei meinem früheren Besuch der Kirche der Virgen in Copacabana am Titicacasee, sah ich auch diesmal um die Kirche der Virgen von Urcupina bei Cochabamba später jede Menge Verkaufsstände mit kleinen Autos, kleinen Häusern, Minireisepässen, riesigen Stapeln von Spielgelddollarnoten usw., die die Leute kauften, um sie dann in der Sakristei der Kirche mit viel Weihwasser segnen zu lassen. In Urcupina machte das noch nicht einmal ein Pater, sondern ganz offensichtlich ein Laie - und zwar so routiniert, wie ich es auch in den Götzentempeln in Indien beobachtet habe. Und dann habe ich auch noch eine Besonderheit in den Kirchen besser verstanden als früher: Die Heiligenfiguren in den zahlreichen Altären tragen immer farbenprächtige Stoffgewänder. Grund für diese Gewänder ist, daß vor der Christianisierung die Mumien der verehrten verstorbenen und vergöttlichten Inkafürsten auch mit Stoffgewändern in den Nischen der Tempel standen. Und so wurde dieser Brauch leicht abgewandelt übernommen, doch die Heiligen ersetzen jetzt sozusagen die Funktion der Inkagötter. Damit sie auch wirklich unterschieden werden können, steht jeweils auf großen Schildern unter den Figuren der christliche Heiligenname. Und ich finde, das alles kann so nicht akzeptiert werden, das muß auch nicht so sein. Zwar hat mir die Frau meines Freundes in Albany geraten, nicht über meine religiösen Philosophien zu diskutieren, doch es passierte einfach automatisch. Einmal klopfte sogar der Manager meines Hotels Torino im Zentrum von La Paz an meine Tür, er wollte mit mir durch die wunderschönen Arkaden des Baues aus der Kolonialzeit spazieren und über vieles diskutieren. Ich meine, festgestellt zu haben, daß viele Menschen den ganzen Aberglaubenkult längst leid sind, doch sie sehen keine Möglichkeit, ihre christliche Religion vernünftig anders zu sehen und auch zu leben.

Der wohl eher indianische Manager fragte mich dann auch noch, ob ich wisse, wo die Juden geblieben seien, die 1492 aus Spanien vertrieben wurden. Als ich meinte, auf dem Balkan und in Italien, fragte er mich weiter, ob ich wisse, welches die wichtigsten Kräfte bei der Eroberung Südamerikas gewesen seien. Darauf gab er sich selbst die Antwort, daß das nämlich die spanische Krone, Rom und die Sefarden (also die Juden) gewesen seien. Von Columbus wußte ich es, daß er aus einer bekehrten jüdischen Familie stammte, doch von Pizarro und Cortez, die er dann noch nannte, wußte ich es nicht. Wer meiner Leser kann mir da weiterhelfen?

Über den Altiplano zum Rand des "Amazonasbeckens"

Wie vor fünf Jahren fuhr ich schließlich mit einem Collectivo über die atemberaubende Gebirgsstrecke über 2 1/2 tausend Meter abwärts nach Coroico, dem malerischen Städtchen am Rand des Amazonasbeckens. Schon im Bus sprach mich eine deutsche Dame an ("Sigrid"), die vor zwölf Jahren hierher ausgewandert war und die ein kleines Hotel "Sonne und Mond" ("Sol y Luna") etwa zwanzig Minuten außerhalb des Städtchens führte. Da im Hotel während ihrer Abwesenheit alles ausgebucht war, bekam ich Quartier in ihrem Gästezimmer beziehungsweise in ihrer Bibliothek, alles nur durch Vorhänge von ihren Privaträumen getrennt. Da kam ich natürlich nicht sonderlich zu meiner Arbeit, schließlich fand ich in da Bücher, wie ich sie sonst weniger kenne, ich würde sagen "alternativ", und es gab auch über vieles zu reden. In ihrem etwas verwunschenen halbtropischen Garten ging das wunderbar bis auf die vielen winzigkleinen Mücken, die ich schließlich nur an ihrer Wirkung merkte (elendes Jucken). Ich hatte den Eindruck, daß sie als Ex-Protestantin mit dem südamerikanischen Katholizismus relativ gut zurecht kommt, sie sieht ihn nicht so grundsätzlich wie ich sondern eher als kulturelle Kraft. Ihren eigenen Bruch mit dem Glauben führt sie darauf zurück, als sie als junges Mädchen hier in Deutschland oder Österreich Kindergottesdienste unvorbereitet gestaltete und verwirrt war, wie die Kinder alles glaubten, was sie da so zusammenspann. Wenn das die anderen auch so machen? Das war natürlich wieder eine Bestätigung für mich, daß wir im Glauben schon etwas ausrichten könnten, wenn wir ein wirklich gutes Konzept hätten, warum sollte das dann nicht erst recht angenommen werden? Mit ihren eher indianischen Nachbarn und vor allem Nachbarinnen kommt sie sehr gut hin, sie erzählte, wie sie ihnen so mit Rat und Tat beiseite steht, daß sie sogar aufgefordert wurde, einmal bei einem Tanzauftritt der Frauen in prächtiger Kostümierung mitzumachen. Von allen Problemen ist sie allerdings auch in Südamerika nicht befreit: Mit einem deutschen Nachbarn, der "hinter und neben ihr" das ganze Gelände aufgekauft hat, liegt sie vor Gericht, denn der will mit falschen Zeugen und Richterbestechung ihr wunderschönes Grundstück mit einer Straße zerschneiden und verschandeln und nimmt sich auch sonst alle Rechte in typischer Machomanier gegen eine alleinstehende Frau heraus.

Mit anderen Nachbarn und mit Freunden hatte ich sehr anregende Gespräche, ein deutscher Konditor beklagte sich über die israelischen Touristen, die stets in Scharen anrückten und dann Sonderpreise für ihren Kaffee und Kuchen haben wollten und schließlich alle auf einmal bezahlten, wobei in dem Wirrwarr dann immer zwei es vergessen würden. Einmal hatten sie so viele Meckereien und Sonderwünsche, daß ihm schließlich herausrutschte, daß der Ofen noch an sei. Mit den jüdischen Südamerikanern gebe es dagegen überhaupt keine Probleme, die seien wirklich in Ordnung und sehr zuvorkommend. Interessant war, was ein anderer Freund berichtete.

Von irgendeiner Entwicklungshilfeorganisation in Deutschland gab es da ein Projekt, daß die Bolivianer doch eine eigene Fabrik haben könnten, um ihren eigenen Kaffee zu gefriertrocknen. Doch die entsprechende europäische Apparatefabrik würde sich weigern zu liefern. Auch über eine Scheinfirma in Polen hätte es nicht geklappt, als der Hersteller merkte, daß das Zielland schließlich Bolivien sein sollte. Bolivien ist gut als billiger Rohstofflieferant in jeglicher Hinsicht, doch die Fertigprodukte sollen sie gefälligst woanders kaufen. Und so sieht es auch aus, aus bolivianischer Produktion stammen auf den Märkten lediglich solche Sachen wie Coca-Teebeutel, Coca-Zahnpasta, elektrische Kochplatten (natürlich mit freiliegender Wendel), Metallkästchen mit Löchern und Stromanschluß, die drinnen offene Stromwendeln haben und - zu Tauchsiederzwecken - ins Wasser zu legen sind und ähnlicher billiger Kleinkram.

Bei den Mennoniten in Bolivien - ich verstehe als einziger die Predigt richtig!

Zu meinem nächsten Ziel Santa Cruz hätte ich zwar auch durch das Amazonasrandgebiet per Bus in sicher dreißig oder mehr Stunden gelangen können und ich hatte das auch schon in Erwägung gezogen, doch nach Beratung mit anderen Touristen zog ich es vor, nach La Paz zurückzufahren, um von dort zu fliegen. Und da erfuhr ich, daß der Rückflug nach Santa Cruz um die 152 $ kosten würde, ein 5-Flüge-Billet jedoch nur 150 $.

Natürlich nahm ich dann das zum Spazierenfliegen und entschied mich im Reisebüro schnell für Flüge zum bolivianischen Trinidad, einer Kolonialstadt weiter nördlich im Amazonasbecken, und nach Cochabamba, einer Stadt auf einem Absatz am Amazonasbecken in 2400 m Höhe. Den letzten Flug nahm ich nicht mehr wahr, hätte ich das mit dem Ticket früher gewußt, wäre ich vielleicht an die argentinische Grenze geflogen und hätte einen Abstecher zu Marlenes Schwester in Buenos Aires gemacht. Gerade erhalte ich von ihr einen Brief, daß sie sich über einen Besuch gefreut hätte.

Also per Flugzeug nach Santa Cruz. Gen Osten geht es halbwegs um den 6447 m hohen vergletscherten Illimani-Berg herum, ein grandioser Ausblick. Nach einer Nacht in Santa Cruz, einer viel internationaleren Stadt als La Paz, setze ich mich dann in den Bus zu meinem mennonitischen Freund A., bei dem ich mich vor sechs Wochen noch schnell angemeldet hatte. Auf meinen Reisebericht von vor fünf Jahren hin hatte er mir ja geschrieben, daß ich einmal länger als eine Nacht kommen sollte, um alles besser zu verstehen. Während der Fahrt erfahre ich jedoch, daß er von "Riva Palacio", wohin ich jetzt fahre, in eine ganz andere Richtung, nämlich nach "Manitoba", umgezogen ist, daß er dort neu siedelt und daß er seine alte Wirtschaft verkauft hat (die Mennoniten brauchen dasselbe Wort Wirtschaft, wie ich es aus unserem ostpreußischen Ermland kenne). Also zurück nach Santa Cruz und morgen dann dorthin, denke ich. Im letzten Restaurant vor dem Mennonitengebiet frage ich, ob sie ein Zimmer haben, nein, und zurückfahren kann ich an dem Abend auch nicht mehr. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, daß mich schon jemand aufnehmen wird so wie beim letzten Mal. Mir fällt der Zahnarzt ein, mit dem ich mich damals lange im Bus unterhalten hatte. Doch so weit fährt der Bus nicht. Ein Bauer erklärt sich bereit, mich mit seiner Kutsche zu ihm zu fahren... Und durch das alles komme ich mit den Bauern im Bus ins Gespräch. Ich zeige mich etwas verunsichert, weil ich nicht verstehe, wie hier der Primär-Trockenwald ratzekahl abgeholzt wird, warum man nicht wenigstens größere Streifen stehen lasse. Darin könnten sich dann etwa die Nutzinsekten halten, die nachts in die Felder wandern könnten, um die Schadinsekten aufzufressen. Dadurch könnte man doch viele Insektizide sparen und würde vor allem der Umwelt einen Dienst erweisen. Diese Probleme hatten meine Gesprächspartner offensichtlich noch nicht so gesehen, doch sie bestätigten mir, daß sie vor dem Abholzen (und Verbrennen) nicht gewußt hätten, wie sehr der Wind hier manchmal wehe und die karge Krume wegtrage, sie würden daher jetzt sogar Hecken pflanzen. Ein Problem scheint mir allerdings jetzt die Auswahl der Gehölze für solche Hecken zu sein, der favorisierte ortsfremde Eukalyptusbaum etwa gilt bei uns nicht als vorteilhaft, weil der den Boden zerstört und durch sein Gift (?) das Unterholz verhindert, was dann wiederum alles nachteilig für die Tierwelt ist. Jedoch gibt es auch eine andere favorisierte Baumart. Zu alledem sei das Land unter dem Urwald für die Feldwirtschaft ohnehin zu mager, so daß es besser für Weidewirtschaft tauge. Und das war dann unser Thema.

Zum Glück interessiere ich mich etwas für Landwirtschaft und höre auch morgens den Landfunk, so konnte ich dann einigermaßen Rede und Antwort stehen. Ein Bauer erzählte mir, daß er 21 Kühe habe, die pro Tag etwa 120 Liter brächten. Da wegen des Elektrizitätsverbots unter den Mennoniten mit der Hand gemolken werde, benötigten sie dafür etwa fünf Stunden, also fünf Leute je eine Stunde. Hier erfuhr ich dann, daß Bauern bei uns in Europa mit derselben Anzahl Kühe zwischen 320 und 375 Liter hätten und daß eine Person mit dem Melken per Maschine zweimal am Tag nur je eine Stunde beschäftigt sei. Auch hätten die Kühe ganz offensichtlich das Melken per Maschine lieber, ob sie dadurch mehr Milch gäben, hätte sie allerdings nicht festgestellt, sagte mir eine flämische Bäuerin.

Sie meinte jedoch, daß die Kühe Musik liebten, dann würden sie zum Zaun kommen, um näher zu sein und auch mehr Milch geben. Eine bergische Bäuerin sagte mir, daß es auch Melkmaschinen mit Dieselantrieb gebe, wäre das nicht etwas für die Mennoniten? Natürlich ist auch alles eine Frage des Futters, als am günstigsten hätte sich inzwischen die Kafferhirse (oder Negerhirse oder sorgho) aus Afrika erwiesen, die ich dann später mit dem Zahnarzt aus einem alten Brockhaus identifizierte, wie ich bei mir zuhause im Neuen Herder sehe, heißt sie heute ohne rassistischen abfälligen Touch Mohrenhirse. Und über die Besamung unterhielten wir uns auch, die Flämin sagte, daß das hier über die Genossenschaft umgerechnet pro Kuh mit einigen Wiederholungen bis zum "Erfolg" 25 DM ( 1 $ = ungefähr 1,48 DM) kostete, die deutsche Bäuerin erzählte, daß sie so zwischen 30 und 500 DM pro Kuh bezahlten, allerdings seien die teuersten Samen auch nicht immer die geeignetsten. So wie ich den Eindruck hatte, gönnen die Mennoniten ihren Kühen noch immer die natürliche Methode.

Kurz kehrte ich in das Haus meines "Kutschers" ein, wo die Kinder nach einiger Schüchternheit schnell Idee und Prinzip meines Minitonbandgeräts begriffen und schließlich gemeinsam ein Weihnachtsgedicht aufsagten. Der Zahnarzt half mir später, das Gedicht so ungefähr zu verstehen... Ja, und bei ihm fuhr ich dann gegen 10 Uhr in völliger Dunkelheit vor. Die Fahrt unter dem sternenklaren Südhimmel war ein besonderes Erlebnis, einmal kamen wir an zwei Gruppen junger Menschen am Wegrand vorbei, Jungen und Mädchen fein säuberlich getrennt, schade, daß ich meinen Fotoapparat mit Blitz nicht schußbereit hatte!

Natürlich bekam ich beim Zahnarzt mein Bett und am nächsten Tag war er ganz für mich da. Da es keinen allgemeinen Strom gibt, besitzt mein Gastgeber einen größeren Generator für seinen Marterstuhl. Ich ließ ihn auch einmal in meinen Mund gucken, und er meinte, daß er das ungefähr genauso machen würde. Ich glaube es ihm, doch immerhin hat er ja nie richtig studiert. Ansonsten hat er eine Landwirtschaft wie jeder Mennonit und zwar wie viele in dieser Gegend Viehwirtschaft.

Ganz romantisch war, wie die Kühe abends von allein von der Weide zurückkehrten und wie eine Kuh erst im Nachtgatter ihr Kälbchen vermißte und ganz herzzerreißend brüllte. Also wurde das Tor wieder aufgemacht und die Kuh lief zielstrebig auf die Weide zurück. Durch mein Fernglas konnten wir erkennen, daß das Kälbchen bei einem anderen Kälbchen und dessen Mutter geblieben war, ob unsere Mutter geschimpft hatte, war nicht auszumachen, jedenfalls trödelten die Nachzügler dann ganz langsam zurück. Ganz unmechanisiert sind de Menonniten um Santa Cruz herum trotz ihres technikverachtenden Glaubens nun doch nicht. Immerhin haben sie Traktoren, weitere Kraftfahrzeuge und auch Fahrräder lehnen sie ab. Und damit die Traktoren nicht doch noch wenigstens halbwegs als Autos benutzt werden können, sind die Gummireifen mit den dicken Profilen durch Eisenreifen ersetzt, und damit diese greifen, sind darauf etwa 20 x 8 cm hohe Schaufeln aufgeschweißt. Ganz klar, daß bei solchen Monstern keine vernünftigen Straßen sinnvoll sind, denn irgendwann einmal muß schließlich jeder Traktor auf einer Straße fahren und eine richtig gebaute Straße würde dann ja erbarmungslos zerstört werden. Also gibt es im Mennonitengebiet nur schmalere und breitere Feldwege und die Busse und Pferdegespanne fahren auf besonderen festgefahrenen Streifen. Die Traktoren dienen über eine Welle dann auch als Antrieb für alle möglichen landwirtschaftlichen Maschinen wie Schrotmühlen für Mais.

Zur Technikfeindlichkeit der Mennoniten erzählten mir meine amerikanischen Freunde hier, dß es da in U.S.A. noch ganz andere Mennoniten gäbe, die sogar Traktoren ablehnten. Doch diese negative Einstellung zur Technik hätte es nicht schon immer gegeben. Als die Mennoniten in Amerika angefangen hätten, seien sie die fortschrittlichsten Technikanwender ihrer Zeit gewesen, alles bei ihnen wäre nach den Gesichtspunkten Rationalität und Praxistauglichkeit gelaufen. Doch seien sie eben wie im Glauben dabei stehen geblieben. Ich hoffe, daß es mir meine mennonitischen Freunde, die ja auch Kopien dieses Berichtes erhalten, nicht übel nehmen, wenn ich in solcher Grundsätzlichkeit einen gewissen Dogmatismus erkenne.

Und solche Starrheit hat auch immer negative Folgen. Nicht nur, daß es bisweilen schwer sei, die jungen Menschen von manchen mennonitischen Glaubens- und Alltagstraditionen zu überzeugen, schließlich bleibt ihnen ja nicht verborgen, was die moderne Zeit alles bietet, sondern auch aus Gründen der Umwelterhaltung etwa. Ich fragte zum Beispiel meinen Freund in Manitoba, den ich dann nach weiterer sechsstündiger Busreise von Santa Cruz aus einige Tage später fand, warum dort der Primärwald so großflächig und bis auf relativ geringe Streifen gerodet würde, warum man nicht wirklich ordentliche Waldflächen zwischen den Bauernwirtschaften stehen ließe. Ich wies dabei auf die Jagdleidenschaft des Adels in unserer europäischen Vergangenheit hin, der wir unsere ausgedehnten Wälder hier zu verdanken hätten, über die wir heute absolut froh seien. Nicht zuletzt tragen diese Wälder zur Erhaltung des Klimas und zum ausgeglichenen Wasserhaushalt bei und beugen der Versteppung vor. Und man könnte ja auch noch selbst in den Wäldern jagen, es gibt da eine Hirschart und wohl auch Tapire. Mein Freund erklärte mir darauf, daß dann aber die Wege zwischen den Nachbarn weiter seien und man wolle doch mehr Kontakt haben. Diese Logik läßt sich meines Erachtens schon gar nicht vom Glauben her begründen: Da nehmen also fromme Leute die Zerstörung der Schöpfung Gottes in Kauf, bloß weil sie sich weigern, Fahrzeuge zu benutzen oder sich Telefon anzuschaffen, mit denen sie größere Entfernungen überbrücken könnten. Merkwürdig fand ich auch, daß der eindrucksvolle Primärwald ziemlich stur gerodet wird, könnte man nicht besonders schöne Bäume an den Wegrändern stehen lassen und vor allem um die Häuser herum? Doch werden die Wegränder ja immer durch die komischen Traktoren zerstört. Immerhin soll in Manitoba nicht mehr so ratzekahl gerodet werden wie in den früheren Siedlungen, es bleiben jetzt schon Waldstreifen stehen. Wie das dann im Endeffekt aussieht, konnte ich nicht so recht beurteilen, denn die Rodungen waren noch im vollen Gange. Doch meine ich, bei den bolivianischen Rodungen festgestellt zu haben, daß die Streifen erheblich breiter waren, das waren dann auch mehr als nur Waldreste.

Wir hier in Europa dürfen uns allerdings auch nicht zu sehr entrüsten, schließlich wird ja die weitaus größere Umweltzerstörung in den nördlichen Industrieländern verschuldet, und auch ich trage durch meine Herumfliegerei allein in diesem Sommer wohl mehr dazu bei als die Rodung von ein paar Hektar.

Das Problem ist eben, was sich mit einfachen Mitteln machen ließe und was am Ende sogar noch unmittelbare Vorteile an Ort und Stelle bringt. Problematisch ist etwa, daß meine mennonitischen Freunde fast nur Rohprodukte produzieren, die auf dem Weltmarkt einem starken Preisverfall ausgesetzt sind. Fertigprodukte wie eine vernünftige Salami und guter Camembert eventuell unter einem geeigneten Markennamen mit gleichbleibender Qualität würden auf Dauer bei weniger Bodenverbrauch gewiß höheren Ertrag bringen. Doch dazu brauchte man Produktions- und Verpackungsmaschinen (also vor allem elektrischen Strom) und fortschrittlichere Ausbildung der jungen Menschen, was alles der mennonitischen Dogmatik widerspricht.

Doch das Hauptanliegen war ja der Besuch meiner Freunde von vor drei Jahren. Sowohl Vater und Sohn sind dabei, neue eigene Wirtschaften aufzubauen und wie ich höre, haben sie jetzt schon teilweise den dreifachen Ertrag wie auf dem alten Land. Noch ist längst nicht alles fertig, doch stehen bereits die Wohngebäude komplett. Scheune und Geräteschuppen werden jetzt immer unmittelbar daran angebaut, offensichtlich ist damit die Stabilisierung des großen Dachs günstiger. Da die Wasserversorgung ein Problem ist, denn es gibt wasserführende Schichten erst in 250 m Tiefe, wird in der Regenzeit das Wasser gesammelt und in Zisternen gespeichert. Und das Wasser, das fehlt, wird vorerst kubikmeterweise bei einem Bauern der Nachbarschaft gekauft, der schon einen Brunnen hat.

Meinen Aufenthalt in Manitoba hatte ich so eingerichtet, daß ich auch an einem Sonntag dort war, um einmal bei einem mennonitischen Gottesdienst dabei zu sein. Ja, und das war wirklich ein beeindruckendes Erlebnis gerade für mich als Theologe. Als wir mit der Kutsche etwas verspätet vor der Schule vorfuhren, die augenblicklich noch als Notkirche dient, glaubte ich zuerst, in China zu sein, denn der Gesang klang wie der in einem Kloster buddhistischer Mönche dort. In der Kirche versuchte ich dann, die Lieder im deutschen Gesangbuch meines Nachbarn zu verfolgen: zwecklos. Es wurde zwar offensichtlich deutsch gesungen und die Texte waren auch deutsch, doch ich konnte beim besten Willen kein einziges der geschriebenen Worte heraushören. Und ich hatte auch den Eindruck, daß die Melodien, für die es keine Noten gab, sehr kompliziert waren, nicht zuletzt mag das der Grund gewesen sein, warum nur die älteren Gemeindemitglieder in den vorderen Reihen und der Gemeindevorstand, der davor saß mit Gesicht zum Volk, mitsangen, während die jüngeren Leute in den hinteren Reihen alle ziemlich still waren. Männer und Frauen sind natürlich getrennt, sie haben sogar separate Eingänge. Beim oberflächlichen Blättern in dem Gesangbuch (natürlich zuhause), das in Pennsylvania gedruckt war, fand ich übrigens zwölf Lieder, die ich auch kannte, zwei davon von meiner heimatlichen ermländisch-ostpreußischen Tradition her. Mein Freund erzählte mir nach dem Gottesdienst, daß ihn ein Nachbar gefragt hätte, ob "der Mann" denn überhaupt verstünde, was da gepredigt wurde, worauf er geantwortet hätte: "Besser als wir!" Und so war es dann wohl auch. Die Predigt wurde in ziemlich gutem Hochdeutsch gehalten, und alle 15 Minuten erklärte der Prediger in zwei Sätzen auf Platt, was er gesagt hatte. Ich war also der einzige, der die Sprache der Predigt selbst sprach und sie daher auch voll und ganz verstand! Immerhin konnte ich so selbst erleben, daß es irgendwann auch einmal für jemanden einen unproblematischen Vorteil gibt, wenn Tradition zum Dogma wird. Der Hintergrund des Inhalts der Predigt war eine sehr sehr konservative und wohl eher kalvinistische Theologie um Sünde und Glauben. Mir ist noch der Satz in Erinnerung, daß der Mensch drei Hauptfeinde habe, den Satan, die Welt und das eigene Fleisch und Blut. Allerdings meinte selbst mein Freund A., daß der Prediger neu sei, ganz üblich sei eine solche konservative Predigt normalerweise nun doch nicht. Jedenfalls interessierten sich er wie auch der Zahnarzt für mein früheres Buch und meine sonstigen Recherchen über eine alternative Theologie und deren Umsetzung in die Praxis - ich habe beiden mit dem mündlichen Hinweis "auf eigene Gefahr" von meinem Material einige Kopien zugeschickt. Ich meine selbst bei meinen mennonitischen Freunden zu erkennen, daß ihnen zumindest das sacrificium intellectus unseres traditionellen Glaubens gleichwelcher Denomination aufgefallen ist, das eigentlich "heiligem Geist" widerspricht, um es einmal so auszudrücken. Natürlich heißt das längst nicht, daß sie mit meinen Recherchen auch einverstanden sein dürften. Wir werden sehen.

Etwas verwirrt war ich unmittelbar nach dem Gottesdienst. Ich hatte erwartet, daß jetzt ein netter mennonitischer Klönschnack stattfand wie etwa in Bayern oder Österreich, wenn die Bauern von ihren abseits gelegenen Höfen ins Dorf zum Gottesdienst kommen, doch Fehlanzeige! Geradezu hektisch stürzten alle zu den etwa fünfzig Pferdekutschen und brausten auch gleich los. Kaum kam ich dazu, mit einem Bauern, den ich vom Bus her kannte und mit dem ich mich gut unterhalten hatte, ein paar Grußworte zu wechseln.

Irgendwie scheint also auch diese christliche Utopie ihre Schattenseiten zu haben. Leider gibt es zum Vergleich nichts Konkretes mehr von einer vielleicht gelungeneren Realisierung christlicher Utopie, die in genau dieser Gegend Südamerikas vor etwa 400 bis 200 Jahren versucht wurde: den jesuitischen Indianerreduktionen. Das waren christlich-sozialistische Gemeinschaftssiedlungen, in denen das dringlichste Ideal des modernen Sozialismus verwirklicht gewesen sein soll, daß nämlich niemand Eigentum an der Arbeitskraft eines anderen hatte. Bekanntlich war das Ende dieser Reduktionen ja nicht ein Mißerfolg aus innen heraus, sondern weil sie zu gut funktionierten und weil ihnen daher sozusagen von oben her ein gewaltsames Ende gesetzt wurde.

Eigentlich hatte ich mir vorgestellt, Anregungen zu finden, wie ein idealeres Christentum für uns heute aussehen soll, doch so einfach ist das eben alles nicht. Wenn ich etwa an das Volksbegehren denke, was da gerade läuft, so kann ich jetzt noch weniger den Vorstellungen zum Priesteramt folgen, einerseits bin ich mir unsicher, ob das Priestertum in seiner heutigen Form überhaupt von Jesus so gedacht wurde, andererseits scheint mir die Lösung der Mennoniten, ein Kollegium von Ältestem mit der Leitung der Gemeinde zu betrauen, auch keine Garantie für die Verwirklichung des Anliegens Jesu zu sein.

Gewiß kein Touristenort in Bolivien: Trinidad.

Von Santa Cruz flog ich dann also nach Trinidad weiter nördlich in der Amazonasregion. Mit dem Bus wäre diese Strecke sicher gar nicht gefahren, denn die Straßen dorthin sollen laut verschiedener Auskunft alle schlecht und schon gar nicht richtig ausgebaut sein. Angekommen am Flughafen von Trinidad konnte ich mir den in meinem Reiseführer empfohlenen 15 minütigen-Fußweg in die Stadt sparen, weil da Motorradtaxis standen, die um eine Mark herum kosteten. Das war in dem schwülen Amazonasbecken doch eine patente Idee, und zum Glück hatte ich ja mein Hauptgepäck in Lima und in La Paz gelassen und nur meinen Rucksack dabei. Auf die Idee, einen Abstecher nach Trinidad zu machen, war ich übrigens vor allem gekommen, weil in dem Hotel "Sol y Luna" in Coroico Gäste aus Deutschland waren, deren Tochter dort etwa ein Jahr zum Schüleraustausch war. Sie hatte erzählt, daß sie es bei ihrer Gastfamilie nur etwa drei Monate ausgehalten habe, wohl vor allem, weil die Leute ihr alle möglichen Vorschriften machten, wie etwa, unmögliche Miniröcke anzuziehen. Sie sei dann zum Dienstmädchen ins "Armenviertel" gezogen und habe quasi in einer Hütte mit festgestampften Lehm als Fußboden gelebt. Ganz lieb war, wie se bisweilen von "bei uns in Trinidad" sprach. Als ich so durch Trinidad fuhr und ging, dachte ich "alle Achtung für das Mädchen, es hier so lange auszuhalten". Der Hauptplatz mit gepflegtem Park und Kirche ist ganz hübsch, die Häuser zum größten Teil im Kolonialstil mit Arkaden davor und offensichtlich auch dahinter und je weiter vom Zentrum entfernt umso ungepflegter, doch ist alles eher dörflich. Wenn ich so durch die Eingänge in die Häuser hineinsah, gab es da offensichtlich manche hübsche Gärten. Mein Hotel Yacuma war in dem Alternativführer empfohlen, die Zimmer um einen Hof herum, die Fenster ohne Glas nur mit Fliegengitter, eben typisch. Mein Kurzwellenradio hatte ich einmal außerhalb meines Zimmers vergessen, als ich es einige Stunden später suchte, war es bei der Rezeption, Ehrlichkeit ist hier noch üblich und es gibt so wenige Touristen, daß man gar nicht auf die Idee kommt, sie als Ausbeutungsobjekt zu sehen.

Letztes neue Ziel für mich war dann Cochabamba. Die Stadt macht einen lebhaften, wohlhabenden und gepflegten Eindruck, nicht zuletzt dürfte ja wohl auch das Klima in 2400 m Höhe das ganze Jahr über angenehm sein. Leider war dort gerade das große Fest der Virgen von Urcupina ganz in der Nähe vorbei, da habe ich wohl etwas verpaßt, schade. Der Staatspräsident von Bolivien soll ja selbst im Fernsehen erklärt haben, daß er sein Regierungsprogramm mit der Virgen von Urcupina durchgesprochen habe, daß es also gut sein müsse. Der in meinem Führer empfohlene Palacio de Portales des Zinnbarons Simon Patino ist heute ein Museum und sieht vor allem von außen sehr repräsentativ aus (ich meine, mich zu erinnern, neoklassizistisch), innen fand ich die Architektur und das Stilgemisch etwas spießig. Ein Raum war etwa im Stil der Alhambra von Granada ausgestattet, na ja. U.S.-Amerikanische Teilnehmer der Führung fanden alles jedoch gut. Bei der Führung lernte ich auch einen jungen Österreicher kennen, der hier für einige Wochen einen Spanischintensivkurs mit Privatlehrerin machte, hier ist so etwas erschwinglich, fünf bis acht Dollar kostet die Privatstunde. Ich unterhielt mich hinterher noch lange mit dieser Lehrerin, ich bin gespannt, ob und wie sie mir auf meine (englischen) theologischen Ausarbeitungen antwortet, die sie haben wollte. Jedenfalls habe ich ihre Adresse und kann sie denen weitergeben, die auch in Südamerika Spanisch in Privatkursen lernen und die das privat arrangieren wollen.

Zurück an den Pazifik über den Altiplano.

Leider war bei meinem Abschieds-Stopover am vorletzten Ferienwochenende in La Paz der Filatelia-Schalter der Post geschlossen, so daß ich die meisten Empfänger meiner Ferienpost weder mit einer Lächelnder-Papst-Briefmarke noch mit einer Gedenkmarke mit fliegender Friendenstaube vor Schwarz-Rot-Gold zur deutschen Wiedervereinigung ("La Union de Alemania por la Paz Mundial" = "Die Vereinigung Deutschlands für den Frieden der Welt") beglücken konnte, die es dort gab. Da hatte ich dann auch nicht mehr viel Lust, überhaupt zu schreiben. Auf dem letzten Höhepunkt der Reise, der Fahrt mit dem Schienenbus über die Hochebene hinunter nach Arica in Nordchile, erzählte mir mein Nachbar, daß es sogar eine bolivianische Marke gebe mit "Hitler und dem Frieden", doch ich schätze, daß ich das Tempus falsch verstanden habe, daß es eine solche Marke (nur eben vor langer Zeit) gab.

Ja, diese Fahrt im Schienenbus war wirklich ein großartiges Erlebnis. Bei meinen bisherigen Fahrten von La Paz nach Arica hatte ich nie ein Billet ergattert und mußte immer mit dem zwar erheblich billigeren jedoch noch länger fahrenden Bus fahren. Die Fahrt in dem 1967 aus Essen gelieferten Schienenbus geht wohl über eine der großartigsten Eisenbahnstrecken der Welt durch eine weitgehend regenlose völlig einsame Mondlandschaft, besonders eindrucksvoll ist die Umrundung eines riesigen tief eingeschnittenen Tals. Das Tempo ist wohl vor allem wegen des offenkundig schlechten Zustands der Schienen und mehr noch der Schwellen mehr als gemächlich (zwischen 30 und 60 km/h), einmal hielt der Waggon sogar, damit der Koch von einem durch künstliche Versprühung von Wasser (vielleicht jungfräulichem?) erzeugten riesigen Schneeberg Schnee für seine Kühlkiste holen konnte. Natürlich war ich mit einigen anderen Fahrgästen auch schnell zu einem "Fototermin" hingelaufen. Die Kontrolle bei der Einreise nach Chile war etwas witzig. Zwar mußte alles Gepäck, auch das auf dem Waggondach verstaute, vorgeführt werden, was dann auch von zwei Zöllnern hintereinander auf Tier- und Frischpflanzenprodukte (also auf meine Cocateebeutel hatten sie es nicht abgesehen) genauestens untersucht wurde (beim Auspacken in Deutschland bemerkte ich, was ich von Sojamehlprodukten bis hin zu Rasseln aus Schafsklauen eigentlich alles dabei hatte und was nicht entdeckt worden war, obwohl ganz sicher ertastet). Doch war vor allem in dem Durcheinander gar nicht mehr zu erkennen, welche Gepäckstücke bereits untersucht waren und welche noch nicht. Vielleicht gäbe es da Arbeitsbeschaffung für ehemalige DDR-Zöllner, die würden das sicher effektiver organisieren und auch wirklich etwas finden!

Von Arica aus nahm ich dann noch ein letztes Mal mit einer Bustour Abschied von den Anden, immerhin konnten die Fahrgäste öfter aussteigen und die besonderen Kakteen und übrigen Pflanzen sehen. Zufällig kreuzte auch ein Andenhirsch (eines der Wahrzeichen von Chile, natürlich heißt er nicht so) unsere Straße. Wir haben dabei auch Abstecher gemacht in ein Dorf mit einer alten Kolonialkirche und in ein hübsches Städtchen, das bekannt ist für das besondere Rosmarin (oder Basilikum), das hier angebaut wird. Das Wasser zur Bewässerung der Felder und zur Versorgung der Einwohner kommt vom Andenkamm, denn auch hier gibt es keinen Regen.

Wieder wie schon einmal früher bin ich dann mit einem Sammeltaxi über die Grenze nach Peru gefahren und habe mich am Flughafen von Tacna, der peruanischen Grenzstadt, absetzen lassen. Im Flugzeug nach Lima machte ich dann zum erstenmal in meinem Leben ein Bingospiel mit, natürlich habe ich nichts gewonnen.

In Lima mußte ich noch einen Teil meines Gepäcks in dem Hotel abholen, in dem ich vier Wochen zuvor übernachtet hatte. Und ich hatte auch noch einige Stunden Zeit für einen Bummel und für letzte Einkäufe. Es sah so aus, daß alles klar war, vor allem auch mit dem Rückflug, so dachte ich wenigstens und ich war schließlich auch gute 90 Minuten vorher am Abfertigungsschalter, wo ich mich der wartenden Schlange anschloß. Doch als ich dann als einer der letzten an der Reihe beim Einchecken war, sah die Dame von meiner United Airline in den Computer und zuckte mit den Schultern - sorry, überbucht, ich käme nicht mehr mit... Zuerst glaubte ich, falsch verstanden zu haben, dann wurde die Dame konkreter. Oh je, schon wieder, nein, das darf doch nicht sein, so spät war ich doch gar nicht am Flugplatz gewesen, doch ich würde jetzt nicht mehr am Sonntagmorgen in London ankommen, sondern erst am Montag, dem ersten Schultag, was also jetzt, und das schon wieder... Es half nichts, es ging einfach nicht. Wenigstens erbarmte sich dann Carlos, der männliche Einchecker unter dem Personal, meiner und wir sahen in den Computer, wie sich der Schaden mindern ließe und wie ich doch noch wenigstens am Montag von einem kontinentalen Flugplatz irgendwann einmal zum Dienst käme. Eine direkte Maschine der Airline von Lima nach Europa gab es ja nicht, alles ging über Miami und einen weiteren amerikanischen Flughafen, doch gab es da noch einen Platz in einer Maschine nach Brüssel. Mein Auto stand zwar nicht dort, doch das zu holen war ja jetzt nicht wichtig und mit dem Zug könnte ich noch irgendwann am Vormittag in Düren sein. Zur Entschädigung stellte mir Carlos dann gleich Gutscheine über 800 $ aus, die ich innerhalb eines Jahres bei der Airline verwenden muß. Ich muß also wohl Weihnachten nach U.S.A. fliegen, denn nur dorthin gehen die Flüge dieser Airline von hier aus, und dann wurde ich mit einem richtig normalen Taxi (nicht mit einem dieser Schrott-VW-Käfer-Taxis ohne Kotflügel und ohne Stoßstangen <etwas übertrieben, es fehlt nicht immer gleich alles Überflüssige>, wie ich sie sonst in Lima benutze) ins Lima-Sheraton verfrachtet, wo ich ein Zimmer im elften Stock (Nr. 1111) mit herrlichem Blick auf Lima bekam.

Leider hatte ich mir vielleicht beim letzten Fischessen in dem Fischerkooperativefischrestaurant im Fischereihafen von Arica oder sonstwo eine Infektion geholt (vielleicht war das der Grund, warum ich mich beim Einchecken auf dem Flugplatz abdrängen ließ) und konnte meine Menüs gar nicht ausnutzen. Der Typ beim Auschecken beim Hotel war über meinen niedrigen Verzehr etwas verwirrt, schade, denn das, was ich gegessen hatte, schmeckte schon gut.

Stopover in Washington mit Besuch von einigen der interessanten Museen.

Beim zweiten Anlauf fand ich dann auch einen Platz im Flugzeug, am Sonntag war ich gegen sechs Uhr früh in Miami, und da es regnete, nahm ich nicht das für mich vorgesehene, sondern gleich das nächste Flugzeug nach Washington. Vielleicht könnte ich da bis zu meinem Abflug nach Brüssel noch in eines der berühmten Museen im Stadtzentrum gehen? Mein Gepäck mußte allerdings immer bei mir sein, einerseits mußte ich es in Miami persönlich durch den Zoll bringen, andererseits eröffnete mir die Stewardess, daß wir in Washington-National-Airport ankämen und daß mein Flugzeug in Washington-Dulles-International abfliege, und da das Gepäck immer in derselben Maschine mitfliegen müsse wie der Passagier und es keine automatische Transportmöglichkeit für das Gepäck von einem zum anderen Washingtoner Flughafen gebe, müsse ich eben sehen, wie ich mit meinem Gepäck dort zurechtkäme. Dabei hatte ich mir doch so schön vorgestellt, daß ich das Gepäck in Washington los war. Doch die Stewardess setzte sich im Flugzeug ganz lieb neben mich und wir überlegten gemeinsam, wie ich das mit meinem Museumsbesuch und dem Gepäck am sinnvollsten machen könnte. Schließlich nahm ich das Gepäck in die Stadt mit (zum Glück hatte ich ja in Albany eine exzellente Zweiradgepäckkarre gekauft), gab es im Cloakroom des Natural Science Museum ab und fuhr am Ende meiner Besichtigungstour dann mit Metro und Dulles-Flughafen-Shuttlebus zum Dulles Airport. Wenn die Dame beim Cloak Room gewußt hätte, was ich alles an Coca-Zahnpasta und Coca-Teebeuteln da in meinem Gepäck hatte (denn Drogenhunde spüren auch so etwas auf, obwohl diese Rohprodukte mit Kokain genauso viel zu tun haben wie Weintrauben mit Cognac).

Die Naturwissenschaftsmuseen in den U.S.A. sind immer wieder schön zu durchstreifen, ein nicht unwesentlicher Grund für sie ist sicher auch das Bemühen aufgeklärter Kreise in Amerika, gegen den biblischen Fundamentalismus mit dem Glauben an Schöpfungsgeschichte usw. anzugehen. Was gibt es doch für überflüssige Streitereien und damit verbundene unnötige Reibungsverluste bloß wegen einer total unsinnigen Wörtlichnahme der Bibel! (Gerade habe ich solch einen Trouble mit einer Zeugin Jehovas, einem ansonsten außerordentlich lieben und aufgeschlossenen Mädchen.) Dann war auch noch ein flotter Rundgang im berühmten Kunstmuseum in der Nähe drin und schließlich gab es da ja auch noch überall Hinweise auf das Holocaust-Museum. Doch den Hauptteil kann man nur in einer Führung besichtigen, zwar umsonst wie alle (?) Washingtoner Museen, doch eben nur mit Eintrittskarte für einen bestimmten Termin. Ich hätte also gleich beim Verlassen der Metro mir eine Karte besorgen sollen, so bekam ich wegen des großen Andrangs erst eine für 15 30 Uhr - und ich mußte schon um 15 00 Uhr zum Flughafen abfahren. Wenigstens konnte ich einige Nebenausstellungen besuchen, etwa eine, die das Leben eines jüdischen Jungen anschaulich nachzeichnete von seinem Alltagsleben in einem deutschen Städtchen über die Verfrachtung ins Getto bis hin zum KZ. Die Aufschriften in den Räumen, durch die man hindurchgehen und in denen man ausdrücklich alles anfassen konnte, waren allerdings alle in English. In einem Computerbildungsraum sah ich in einen der Computer und entdeckte das Programm, in dem Monat für Monat beschrieben wurde, was so immer mit den Juden in Deutschland geschah.

Immerhin war da auch die vergebliche Fahrt des Auswandererschiffs nach Kuba beschrieben und vermerkt, daß zwar alle alliierten Mächte gegen die Judenpolitik der Nazis protestierten, doch daß sie sich alle - eingeschlossen die U.S.A. - weigerten, Juden aufzunehmen. Und auch der letzte Teil des Heimflugs verlief dann planmäßig. Allerdings gelang es mir nicht, einen meiner Kollegen anzurufen, um ihm mitzuteilen, daß er mich am ersten Tag für die ersten Stunden (in denen ich sowieso nichts zu tun habe) entschuldigen solle, entweder kam ich mit dem amerikanischen Telefonsystem nicht zurecht (da gibt immer eine Stimme alle möglichen Anweisungen, verwirrend war auch für mich die Möglichkeit zu telefonieren, daß der Angerufene bezahlt) oder bei meinem Kollegen war besetzt. Am Morgen in Brüssel ging mir das dann so ähnlich, so daß ich sehr lange brauchte, bis ich schließlich unsere Sekretärin an der Leitung hatte. Und dann kam ich auch nicht gleich drauf, daß es ab Brüssel-Flughafen eine Bahnverbindung gibt und so verpaßte ich vermutlich den ersten der im Zweistundentakt nach Deutschland fahrenden Züge. Von Aachen erkundigte ich mich jedenfalls telefonisch bei meinem pensionierten Kollegen Klaus M., der in der Nähe der Schule wohnt, ob er zuhause sei und ich mit dem Taxi vorfahren könnte, um mein Gepäck abzustellen. Schließlich wäre es ja doch eine ungehörige Provokation, mit allem Urlaubsgepäck und mit ein paar Stunden Verspätung mit dem Taxi sozusagen gleich vom Flughafen vorzufahren.

Das war's dann also, mein Auto holte ich eine Woche später in Calais ab und in der letzten Konferenz vor Weihnachten werde ich wohl wieder einmal im kreise meiner Kollegen meine Entschädigung für die Verspätung mit Champagner begießen.

Und der Erfolg der Reise? Ich werde es schließlich auch aus dem Briefwechsel heraus erkennen, der sich vielleicht aus dieser Reise ergibt oder der durch sie intensiviert wird. Und für meine ökonomisch reisenden Leser habe ich einen absoluten Geheimtip entdeckt, zu Gratisflügen zu kommen: Beim Einchecken immer wieder andere vorlassen, vielleicht klappt's, daß sie dann selbst zu den letzten zählen, für die kein Platz mehr in der Maschine ist, weil sie überbucht ist. Und dann gibt es Gutscheine bis zu 800 $ für den nächsten Flug und zunächst einmal einen Gratisaufenthalt in einem Vielsternehotel bis zum Abflug des Ersatzflugzeugs. Ein Flug in der Businessclass ist manchmal auch noch drin (zumindest bei einer der Ersatzvarianten wurde der mir angeboten). Doch für solche Aktionen empfiehlt es sich, den planmäßigen Flug ein wenig früher anzusetzen! Meine Wohnung fand ich zu meiner Zufriedenheit vor, also die junge Dame, die sie als Stammquartier hatte, kann wiederkommen. Und sie hat sich auch schon für die nächsten Ferien angemeldet, und eine zweite Anmeldung habe ich auch schon. Ob's klappt, weiß ich noch nicht, doch es wird dann wieder einmal Europa werden - wo es vielleicht doch am schönsten ist!

Wie immer gibt es auch von diesem Bericht nur eine Ausführung, ich schreibe also nicht für einige meiner Leser etwas, was die anderen nicht lesen dürfen. Ich bitte daher um Verzeihung, wenn ich bisweilen etwas direkt war, und ich würde mich freuen, wenn es deswegen - etwa mit meinen mennonitischen Freunden - zu einer Diskussion käme!

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