Südamerika 1992

 

Peru - über den Amazonas nach Brasilien (mit Manaus, Belem, San Salvador, Brasilia, Rio, Sao Paulo) – Bolivien (mit Santa Cruz und bei den Mennoniten in der Gegend und Potosi) - Peru

 

Und noch einmal Südamerika! Einerseits hatte ich beim letzten Mal (1990) noch längst nicht "alles" gesehen, andererseits waren für meinen inzwischen nach Peru heimgekehrten "Besuch" noch so viele "Sachen" nach Peru zu befördern, daß ich mich in diesem Jahr zu einer erneuten Fahrt nach Südamerika entschlossen hatte. Schon seit langem hatte mir ohnehin eine "große Runde" vorgeschwebt, so zwischen Atlantik im Osten und Pazifik im Westen, im Norden entlang des Amazonas und im Süden eventuell über Paraguay und den Norden Argentiniens. Aber das war bei näherem Hinsehen nun doch zu viel und so wählte ich schließlich im Süden eine Variante über Südbolivien aus. Wegen meiner zahlreichen Flüge mußte ich mich diesmal hier in meinem Reisebüro schon ziemlich festlegen, um zu vermeiden, daß ich auf den für mich entscheidenden Strecken schließlich nur in die leere Luft gucken würde.

Als Ausgangspunkt bot sich wie vor zwei Jahren die peruanische Hauptstadt Lima an, zumal ich dorthin ja das Gepäck bringen wollte. Von dort gab es ja sichere Flugverbindungen in den peruanischen Teil des Amazonasgebietes, wie es dann allerdings nach Brasilien ging, konnte ich nur vage aus meinem Reiseführer "South America on a shoestring" (=Schnürsenkel") entnehmen, doch es würde schon gehen. Für meine Flüge in Brasilien bot sich der "Brasilpass" an, ein Ticket mit fünf Flügen nach freier Wahl inner-halb von drei Wochen für 440 US$. Auf Anraten "meiner" Beraterin in "meinem" Reisebüro "Flugexpreß" in Köln wählte ich den Paß der Fluglinie VASP, denn diese Linie hatte für mich die meisten Vorteile (vor allem war eine Einreise mit einer brasilianischen Gesellschaft nach Brasilien nicht erforderlich) und schließlich konnte ich am Ende meines Brasilientrips mit dieser Gesellschaft auch im Süden zur bolivianischen Grenze fliegen. Von der bolivianischen Seite gab es am 15.8. noch freie Plätze über den Dschungel in den Süden Boliviens, wo ich vor allem die alte Silber-stadt Potosi in über 4000 m Höhe und den berüchigten Silberberg oberhalb der Stadt sehen wollte, dessen Minen aus der Zeit der Sklaverei noch heute in Betrieb sind. Und diese Minen kann man heute mit privaten Führern sogar besichtigen. Von Potosi konnte ich dann nach La Paz und von dort wie vor zwei Jahren wieder nach Lima zurückkehren. Im Reisebüro bekam ich noch einen langen Computerausdruck mit all den Flugverbindungen, die für mich geplant, gebucht und reserviert waren. Wenn das nur alles klappte!

Und es klappte tatsächlich so vieles nicht, daß ich mich noch immer wundere, daß ich am Ende pünktlich zurückgekommen bin! Vor allem mit den Flügen war es wie verhext. Wenn ich pünktlich war, fielen die Flüge (fast immer - natürlich) aus, weil es irgendwo vorher entweder zu stark geregnet hatte, weil irgendwo gestreikt wurde oder wegen eines Triebwerkdefekts. Wehe aber, wenn ich einmal zu spät oder zu knapp kam, weil ich vielleicht die Anfahrtszeit falsch verstanden hatte (also etwa "dos" (2) statt "doze" (12), eine falsche Auskunft erhalten oder ganz einfach die Anfahrt zu knapp kalkuliert hatte! Denn dann war das Flugzeug mit schöner Regelmäßigkeit weg - und das nächste ging dann immer erst ein paar Tage später... Am schlimmsten wäre es beinahe beim Rückflug gewesen, da war ich trotz hundertprozentiger Konfirmierung überhaupt nicht im Computer - und alles war ausgebucht! Doch von Anfang an!

Das Malheur begann schon bei der Zwischenlandung in Caracas in Venezuela. Mein etwa 15-jähriges "Nebenfräulein" auf dem Flug von Frankfurt nach Caracas hatte mir empfohlen, einen Abstecher in die deutsche Kolonie "Colonia Tovar" in der Nähe von Caracas zu machen. Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts leben in dieser Kolonie Deutsche aus dem Gebiet des Kaiserstuhls ganz wie "früher", die auch noch weitgehend ihren alten heimatlichen badischen Dialekt sprechen. Das Mädchen wohne selbst dort und die Kolonie sei nur etwa eine Stunde vom Flugplatz entfernt. Na ja, sie war wohl weiter entfernt, jedenfalls brauchte ich so viel Zeit, daß ich schließlich so spät am Flugplatz war, daß man mich nicht mehr in "mein" Flugzeug hineinließ. Immerhin konnte ich von der Kolonie vorher etwas sehen, daß es mir richtig leid tat, nicht länger dort bleiben zu können, richtig "Klein Deutschland"! Meine kleine Informantin hatte ich in ihrem Elternhaus, dem Cafe Muschstall, leider nicht angetroffen, doch auch ohne sie wurde ich ganz lieb als Gast und nicht als Kunde bewirtet. Zwar mußte ich wegen  einer Verspätung eine weitere Nacht (eine hatte ich schon auf Kosten der Fluggesellschaft in dem 5-Sterne-Hotel "Meli Caribe" verbracht) in Caracas verbringen, doch am nächsten Morgen half man mir, mit der ersten möglichen Verbindung nach Lima zu fliegen. Trotz meines Billigtickets wurde ich auf die kolumbianische Gesellschaft Avianca umgebucht. Und was mich da verwunderte, war, daß ab Bogota das Flugzeug proppenvoll war, offenbar alles wohlhabende Peruaner, die ihr Wochenende fern von allem Terrorismus in Peru besser Kolumbien verbracht hatten. Die, die Geld haben, können halt immer irgendwie flüchten. Die Wirksamkeit der peruanischen Terroristen, des Leuchtenden Pfades, bekam ich selbst in Peru unmittelbar mit, weil an meinem Abflugstag nach Iquitos, der peruanischen Stadt am Amazonas, der Verkehr sozusagen lahm gelegt war. Offenbar hatten die Terroristen gedroht, an diesem Tag irgendwelche Busse, deren Fahrer sich nicht an den von ihnen ausgerufenen Streik hielten, zu zerbomben. Es war schon gespenstisch, als morgens kaum Verkehr war und überall vor den Häusern Menschen tuschelnd zusammen standen. Immerhin fand sich dann doch noch für mich ein Taxi. Ziel in Lima war ja das Haus meiner Freundin Marlene. Was soll ich über diese meine Begegnung berichten? Meine Leser kennen mich ja und auch meine Ansichten über derartige Beziehungen. Nun gut, unter diesen Gesichtspunkten konnten wir beide einen gemeinsamen Versuch in Deutschland und schließlich auch die Fahrt nach Ostasien im vergangenen Jahr wagen. Doch es stellte sich heraus, daß Marlene hier in Deutschland nicht warm wurde, irgendwie hatte sie wohl etwas anderes erwartet. Und ich glaube, unser "Verhaltenskonzept" zahlte sich aus, wir konnten die Sache "in beiderseitigem Einvernehmen" auslaufen lassen. Daher hatte ich auch kein Problem, sie in ihrem Elternhaus zu besuchen, und ich kann sagen, daß ich mich dort wohlfühlte und auch den Eindruck hatte, willkommen zu sein. Das Haus liegt etwa 12 km nördlich des Stadtzentrums am Rande eines relativ bürgerlichen Viertels und ist recht schnell und einfach zu erreichen. Während die Häuser in den meisten Vororten Limas eher wie Baustellen aussehen (aus den Häusern ragen überall die Baueisen heraus, man wartet offenbar auf bessere Zeiten, um aufzustocken), ist das Haus meiner Freunde zwar recht einfach, doch es sieht wenigstens einigermaßen fertig aus. Der pensionierte Vater renovierte gerade das Badezimmer nach deutschem Standard. Ach ja, Marlene hat noch eine etwas jüngere Schwester, die Krankenschwester ist. Sie betreute bei meinem ersten Besuch einen alten Herrn im wohlhabenderen Vorort Miraflores, bei der Rückkehr von meiner Tour war sie allerdings arbeitslos, weil sie den alten Herrn "gesund gepflegt" hatte. Sie möchte auch nach Deutschland kommen und hier arbeiten, vielleicht kommt sie besser zurecht als ihre Schwester. Wir werden sehen, was sich machen läßt.

Anders als in Lima am pazifischen Humboldtstrom, wo es eher unfreundlich war, herrscht in Iquitos, dem ersten Ziel meiner Rundreise, tropisches Klima. Und auch sonst ist Iquitos angenehmer, von Terrorismus ist nichts zu spüren. Mein erster Weg führt mich zum Markt, nicht nur wegen eines leckeren Amazonasfischabendessens, sondern ich hatte auch in der Zeitschrift "Natur und Medizin" von Veronika Carstens von den natürlichen Heilmitteln aus dem Amazonasurwald gelesen. Leider ist nicht alles, was ich gekauft hatte, auch in Lima bei meinen Freunden angekommen, immerhin habe ich jedoch jetzt einen Vorrat an "Katzenkralle" (gegen Krebs) und an "Sangre de Grado" (zur Wundbehandlung). Clavo Huasca (gegen Rheuma), Chuchuhuasi (Nervenstärkung) und Tahuari-Rinde für einen Kollegen (Diabetes) sind leider verloren gegangen. Mit dem, was ich habe, helfe ich gern, wo es nötig ist! Mit dem örtlichen Trekkingspezialisten "Moises" habe ich auch einen Dreitagetrip in den Urwald unternommen und dabei vom Verhandlungsgeschick eines weiteren Teilnehmers aus Trossingen/Wtmbg. profitiert, der als Reisebürolehrling den Preis für den Trip auf 80 $ heruntergehandelt hatte. Zunächst ging es mit einem Außenbordmotorboot einige Kilometer den Amazonas hinunter zu einer "Lodge" auf Pfählen wie bei allen Häusern in der Gegend. Moises führte uns, drei Deutsche, zwei Franzosen und einige Südamerikaner, durch den recht lichten Urwald. An einem Baum schlug er mit seiner Machete in ein Nest einer bestimmten Sorte von Baumameisen, in die er dann hineinlangte und einige davon auf seiner Haut zerrieb - als "repellente", gegen Insektenstiche. Ich nahm die Gelegenheit einer solchen Immunisierung natürlich gleich wahr und machte es Moises nach, das war dann auch die einzige Immunisierung im Zusammenhang mit meiner Reise. Moises erklärte uns die verschiedenen Bäume und Pflanzen, vor allem solche, die für ein Überleben im Urwald wichtig sind. Die erste Nacht verbrachten wir in der Lodge, die zweite in Hängematten unter Moskitonetzen in einem (offenen) Bauernhaus inmitten einer Großfamilie. Leider war es mir nachts doch recht kalt, was wohl normal ist, vor allem wenn man so ohne Decken in freier Luft pendelt und die Temperatur doch unter 20 Grad beträgt. Ansonsten hätte ich in der Hängematte recht gut geschlafen.

Natürlich bin ich auch einmal kurz in einem Amazonasseitenarm geschwommen, Piranhas oder ähnliches Problemgetier habe ich keins dabei bemerkt. Iquitos war für mich ja eigentlich nur Zwischenstation auf dem Weg nach Brasilien, und ich hatte damit gerechnet, die 250 km bis dorthin auf einem gemütlich dahin tuckernden Amazonasdampfer verbringen müssen. Doch - und das war in meinen Führern gar nicht vermerkt - es gibt dreimal pro Woche für 50US$ ein Schnellboot, ein Motorkatamaran, der die Strecke in etwa zehn Stunden schafft. In der Eile hatte ich bei der Abfahrt morgens früh nicht für Verpflegung gesorgt - und den (wahrscheinlich schon vor längerer Zeit) gebratenen Amazonasfisch, den ich von einer Frau in einem Einbaum während eines kurzen Halts gekauft hatte, vertrug ich leider nicht so recht. Immerhin konnte ich während der Fahrt zweimal kurz die sogenannten "Amazonasdelphine" beim Springen beobachten, das waren dann auch die einzigen wildlebenden Tiere außer einigen schwarzen Affen bei der Urwaldwanderung vorher und zahlreichen Vicunhas (eine Wildlamaart) später bei meiner Andenüberquerung, die ich während der ganzen Fahrt sah. Im Grenzgebiet am Amazonas berühren sich nicht nur Peru und Brasilien, sondern auch noch Kolumbien. Da es die günstigsten und vielleicht auch einzig passablen Hotels in der kolumbianischen Amazonasstadt Leticia gibt, kam ich auch zu einigen Nächtigungen in Kolumbien. Witzig fand ich, daß ich wohl am peruanischen Grenzposten einen Ausreisestempel erhielt, jedoch weder bei einer ersten kurzen Passage durch Brasilien, noch in Kolumbien entsprechende Stempel. Solche Stempel gibt es hier nicht an der Grenze, sondern beim städtischen Einreisebüro oder am Flughafen beim Weiterflug.

Man befindet sich im Grenzgebiet also sozusagen unerfaßt im Niemandsland, eine gute Adresse, wenn man einmal von der Bildfläche dieser Erde verschwinden will oder muß! Den nächsten Weiterflug von der brasilianischen Seite (Tabatinga) nach Manaus im Inneren Brasiliens verpaßte ich leider und mußte zwei weitere Tage warten und mich meiner Reiselektüre hingeben (ich hatte mir diesmal die "Satanischen Verse" eingepackt). Hier war der Ort, wo ich "dos" und "doze" nicht auseinandergehalten hatte...

Richtig für mich begann Brasilien dann in Manaus, der berühmten Stadt am Amazonas, die gegen Ende des letzten Jahrhunderts so vom Gummiboom oder besser Kautschukboom profitierte, daß dort sogar ein berühmtes Opernhaus gebaut wurde, für das so gut wie alles aus Europa herangeschafft wurde. Die Deckenmalerei wurde komplett in Frankreich vorgefertigt, man erkennt als Grundmotiv den Eiffelturm, von unten her betrachtet. Erst als ein Engländer um die Jahrhundertwende in zwei ausgestopften Krokodilen einige Tausend Kautschuksamen aus Brasilien herausgeschmuggelt hatte und die Engländer in Malaysien und Ceylon mit dem Kautschukanbau begannen, sank der Stern von Manaus. Nach einem Zwischenaufschwung während des Zweiten Weltkriegs scheint es jetzt endgültig aufwärts zu gehen, denn seit 1967 ist Manaus Freihandelszone. Und so war auch das Opernhaus frisch renoviert, und mit einigen meiner neuen Freunde von unterwegs (darunter auch ein junger Zahnarzt, der in Kolumbien und Brasilien einige Monate für eine karitative Organisation sozusagen umsonst armen Leute die Zähne reparierte) gingen wir auch zu einem Konzert populärer Musik. Schade, daß es nicht irgendeine Oper gab! Lohnenswert sind in Manaus noch die den Pariser "Les Halles" nachgebauten Markthallen und da besonders die typischen Marktrestaurants in einem pavillonartigen Gebäude an der Amazonasseite. Vor allem hat es hier auch immer phantastisch geschmeckt - und hier sowieso nur Amazonasfisch! Piranhas sah ich übrigens nur hier - auf den Fischtheken in den Markthallen, geschickt zubereitet sollen sie vielleicht sogar genießbar sein.

Nach Manaus war meine nächste Station Belem im Amazonasdelta, die Stadt selbst liegt an der Mündung eines anderen Flusses, des Tocantis. Vergeblich fuhr dort mehrere Male recht früh morgens zum Flugplatz, um weiterzukommen, immer war etwas anderes, warum es nicht klappte. Die Altstadt von Belem mit den sicher ehemals sehr hübschen Kolonialhäusern (Azulejofassaden, schmiedeeiserne Balkons) verfällt leider. Gefallen hat mir daher mehr der botanische Garten etwas außerhalb mit zahlreichen Amazonastieren und der Markt "Ver O Peso" ("wahres Gewicht") an der Flußmündung - wieder mit jeder Menge Eßgelegenheiten, hier allerdings im üblichen "Marktlook" und nicht so malerisch wie in Manaus. Da mir die handgemachten Sandalen auf einem kleinen Ledermarkt in der Nähe meines Hotels so gut gefielen, kaufte ich gleich zwei Paar. Wer weiß, wo ich solche wieder einmal bekomme! Leider verlor ich in Belem so viel Zeit, daß ich mein weiteres Programm kürzen mußte und sowohl Recife wie Fortalezza ausließ. Eigentlich wollte ich in der Nähe von Recife noch ein Städtchen besuchen, in dem sich ein "Projekt" befindet, für das in der Gemeinde eines Religionslehrerkollegen gespendet wird. Schade, daß ich damit nicht mehr von dem tatsächlichen heutigen religiösen Leben in Brasilien mitbekommen habe. Immerhin, in den Buchhandlungen waren die Bücher des ehemaligen Franziskanerpaters Leonardo Boff nicht zu übersehen, aber da gab es genauso neuere Taschenbuchausgaben von ganz anderer Seite, etwa von Wilhelm Reich. Ansonsten machte das, was ich sah, eher einen konservativen Eindruck. Bei einer Vorstadtkirche in Belem unterbrach ich eine meiner vergeblichen Busfahrten vom und zum Flughafen, weil da gerade sonntäglicher Gottesdienst war. Die Kirche war voller junger Leute, vor allem von Kindern, und es fand gerade so eine "Bewegungsmesse" statt, also so mit Händeklatschen usw. Na ja, m.E. sieht so etwas immer nach etwas krampfiger Aufpolierung aus, worunter sich in Wirklichkeit nur selten etwas erwähnenswertes Neues verbirgt.

Die Sekten (ich bitte mir zu verzeihen, wenn ich diese etwas arrogante Bezeichnung verwende...) scheinen in Brasilien noch konservativer zu sein, in Belo Horizonte später kam ich an einer überfüllten Kirche vorbei "Igrejia de los Milagros" (oder so ähnlich), "Kirche der Wunder", da wird Kirche offenbar nur noch auf einen Wundergesellschaft reduziert. Wenigstens gelang mir in Belem, mein Flugticket statt nach Recife auf Salvador umzuschreiben zu lassen. Ursprünglich hatte ich nämlich vor, nur bis Recife zu fliegen und von dort 800 km nach Salvador per Bus zu fahren, um mit den fünf Tickets meines Flugpasses hinzukommen. Einen durchgehenden Flug nach Salvador (ca. 1700 km) bekam ich nicht, so flog ich ziemlich eine ganze Nacht mit Umsteigen in Rio (ca. 3700 km), leider verschlief ich den Anflug auf Rio und saß beim Abflug wohl auf der falschen Seite, daß ich (noch) fast nichts von Rio sah.

Salvador im Bundesstaat Bahia war mir wiederholt empfohlen worden, weil es eine einerseits eine sehr typische Kolonialstadt ist, andererseits auch recht gut erhalten ist. Die Altstadt liegt auf einem Bergrücken wenige hundert Meter abseits vom Meer und ist heute weitgehend von "Schwarzen" bewohnt. Leider sind die Bewohner sehr arm und greifen daher bisweilen auf nicht legitime Erwerbsquellen zurück. Daher wird abgeraten, die Nebenstraßen der Altstadt zu betreten, vor allem nicht bei Dunkelheit. Bedeutendste Sehenswürdigkeiten von Salvador sind die Kirchen, besonders die Kirche St. Francisco mit den herrlichen vergoldeten Altären und die Kathedrale. Die mächtige Fassade der Kathedrale ist aus portugiesischem Marmor, der während der Kolonialzeit als Ballast der ansonsten leer aus Portugal zurückkehrenden Segelschiffe gedient hatte. Man hat hier einen Anhaltspunkt für die Warenströme, die damals aus der Neuen Welt in Richtung Europa geflossen waren. Bekannt ist Salvador für ein anderes Erbe aus der Kolonialzeit: das Kondomblé. Hierbei handelt es sich um die eigentümliche Verschmelzung vom christlichen (katholischen) Kult der portugiesischen Kolonialherren mit der Mythologie der afrikanischen Sklaven. Überall wird man von angeblichen Studenten angesprochen, die einen für etwa 20 $ zu einer solchen Veranstaltung führen wollen. Mit Alejandro, einem Fotografen aus Madrid, ließ ich mich schließlich auf eine solche "Sache" ein, nicht ohne mehrfach zu betonen, daß ich kein Interesse an einem Touristenspektakel hätte. Na ja, es stellte sich heraus, daß es doch eher eine Vorstellung für Touristen war, doch ich war auch ganz froh, bei noch mehr Authentizität hätte ich mich wohl gefürchtet. Das Kondomblé begann mit mehreren Vaterunsern vor einer Christusstatue inmitten anderer Kultfiguren. Und dann tanzten sich einige ältere Frauen in abenteuerlichen Kostümen zu afrikanischer Musik in Trance. Irgendetwas muß wohl schief gelaufen sein, die Kultleiterin war irgendwie sauer, weil nicht die rechte Stimmung aufkam. Auch ich habe natürlich nichts verspürt, was sicher an meinem inneren Nichtwollen lag. Solche Mythen liegen mir irgendwie nicht. Allerdings war ich längst nicht der erste, der vorzeitig auf die Straße flüchtete, doch war ich der erste, der einen kleinen Laden in der Nähe entdeckte, wo es eisgekühltes Bier gab...

Obwohl ich viel Negatives über Brasilia, die vor etwa 30 Jahren in der Savanne aus dem Boden gestampfte Hauptstadt gehört hatte, wollte ich sie doch nicht auslassen. Schon beim Landeanflug konnte ich sehr gut das Grundmuster erkennen, ein stilisiertes Flugzeug. Im "Cockpit" und im "Rumpf" sind Regierungs- und andere öffentliche Gebäude und in den "Tragflächen" die Wohnblocks. Mit Hilfe meines Führers ("interconnections reisefieber") fand ich in der Nähe der Nahtstelle Rumpf-Tragfläche die ganz liebe kleine Pension "Helena". Besonders das Mittagessen hier war eine wahre Pracht - für etwa 2 $ bekam man ein Stück Fleisch auf einem Teller und konnte sich dann so viele sonstige leckere Zutaten aus großen Schüsseln holen wie man wollte. Besonders beliebt schien dieser Ort bei jungen Arbeitern aus der Umgebung zu sein, gegen die war ich wirklich sehr bescheiden. Für die Besichtigung von Brasilia hatte ich genau 24 Stunden eingeplant, die Zeit zwischen "denselben" Flugzeugen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Wie in meinen Büchern empfohlen, nahm ich an einer Bustour teil, wie sich herausstellte als einziger Nichtargentinier unter lauter Argentiniern. Merkwürdig bei der Rundtour fand ich, daß die meisten Bewohner in Wohnblocks wohnen, bei den ausreichenden Platzverhältnissen in der ansonsten leeren und ziemlich wertlosen Savanne hätte man doch vor allem Einfamilienhäuser erwartet. Es war ja alles in der Bauzeit, als man noch nicht ans Energiesparen dachte, sowieso auf Autoverkehr zugeschnitten. Im ganzen mutet heute alles schon nicht mehr ganz so futuristisch an, vielleicht habe ich auch schon zu viele noch modernere Stadtgebiete und Bauten gesehen. Eindrucksvoll fand ich die Kirche "Don Bosco" gleich in der Nähe meiner Pension mit quadratischem Grundriß und herrlichen tiefblauen leicht gotisierenden Fenstern. Der Architekt dieser Kirche war wohl gläubig, die sonstigen Kirchen stammen zumeist vom Reißbrett des Stadtarchitekten Niemeyer, eines erklärten Atheisten. Alles in allem bereute ich den Abstecher nach Brasilia nicht, vor allem war Brasilia so ziemlich die einzige der größeren Städte, die ich in Brasilien besuchte, wo ich keine Angst vor Räubern hatte, die armen Menschen wohnen dort alle zu weit weg...

Auf dem Weg nach Rio de Janeiro wollte ich wenigstens noch einen vollen Tag in dem in allen Führern empfohlenen Städtchen Ouro Preto verbringen, sozusagen dem brasilianischen Rothenburg". Dazu hatte ich bis "Belo Horizonte", einer der größten Städte Brasiliens, einen Flug gebucht, und von dort ging's dann per Autobus.

Und ich muß sagen, Ouro Preto ("Schwarzes Gold"), eine alte Bergbaustadt, lohnte sich wirklich! Teilweise sehr steile Straßen (Kopfsteinpflaster) mit hübschen alten "Reihenhäuschen" und ein wunderschöner Markplatz mit Regierungsgebäude und Bergakademie. Mein Hotel "Pilao" lag auch an diesem Platz, auf den ich von meinem Fenster blicken konnte. Und überall wundervolle Barockkirchen mit teilweise phantastischen Deckengemälden. Der portugiesische Kolonialbarock macht im übrigen auf mich einen lieblicheren oder sogar verspielteren Eindruck als der spanische, es sieht so aus, als ob in ihm schon so manches infrage gestellt wird, also vielleicht sogar die Aufklärung vorweggenommen wird. Und da Samstag war, fand ich sogar eine Kirche mit Vorabendmesse - die zehneckige Kirche "Nuestra Senora do Pilar" mit ganz prachtvoller Barockausstattung, und in der Messe wurde von einem jugendlichen Chor sehr engagiert gesungen. Ouro Preto scheint übrigens ein Ort mit ausgeprägtem (brasilianischen) Tourismus zu sein - und zufällig kam ich auch mit einer Abiturientin aus Düren ins Gespräch!

Im Anschluß an Messe und Abendessen in einem hübschen Restaurant, in dem mich am Vortag die (schwarze) Bedienung aufkgeklärt hatte, daß ich doch das billigere Essen nehmen sollte als das von mir anvisierte, weil das doch "genausogut" sei, ging's dann per Nachtbus nach Rio de Janeiro. Dort fand ich auch gleich das in meinem Buch empfohlene “Hotel Turistico" gegenüber der U-Bahn-Station "Gloria". Aus lauter Furcht vor Räubern gab ich dem Chef meine Wertsachentasche ab in der Erwartung, daß ein Safe existierte. Doch dem war nicht so, er schloß meine Sachen so weg - und hinterher stellte ich fest, daß ein Hundertdollarschein fehlte... Mit den sonstigen Räubern in Rio hatte ich weniger Pech, einfach, weil ich nichts dabei hatte.

Denn bei meinem Bummel durch die ziemlich leeren sonntäglichen Straßen stürzten in der Nähe der Oper (der Pariser nachgebaut) drei junge Schwarze auf mich zu, von denen einer mir völlig unerwartet in die rechte Hosentasche griff. Immerhin konnte ich ihn noch mit heftigen Verwünschungen ganz kräftig in den Allerwertesten treten. In Zukunft war ich dann vorsichtiger - wenn ich schon aus der Ferne sah, daß "solche Typen" mir den Weg abzuschneiden versuchten, blieb ich schon stehen oder wechselte zumindest die Straßenseite. Auch rief ich schon von weitem, daß sie verduften sollten, und ging so, daß ich im Rücken eine Wand hatte. Wenn man bedenkt, so etwas zwischen modernsten Hochhäusern... Nach einem Blick in die volle prächtige Klosterkirche St. Bento (Sonntag!) flüchtete ich gleich wieder, da war mein Gottesdienst am Vorabend doch erfreulicher. Abgesehen von den Kirchen erinnerte mich Rio irgendwie an New York, doch das lag vor allem daran, daß ich erst einmal im Geschäftsviertel herumbummelte. Natürlich war ich auch (mit der Zahnradbahn) auf dem Corcovado mit der Christusstatue. Der Blick von dort (710 m Höhe) ist phantastisch, und obwohl irgendwo unter mir immer Wolken waren, konnte ich doch noch genug sehen.

Den Zuckerhut kann man nur mit Seilbahnen erreichen, ich schenkte ihn mir, denn er war stets in Wolken gehüllt, also hätte ich doch nichts sehen können. Wenigstens habe ich versucht, ihn zu umrunden, auf der südlichen Seite ist auch ein schöner Spazierweg zwischen wilder naturbelassener Küste und Berg, doch ganz herum kam ich nicht. Am Copacabanastrand habe ich mich natürlich auch einmal in die Wellen gestürzt. Allerdings war es schon abends und von den berühmten Badenixen, die ihre Zeit damit verplempern, wie sie zehn Quadratzentimeter Stoff so auf ihrem Körper verteilen, so daß noch irgendetwas verdeckt wird, war nichts zu sehen. Ich habe mir auch keine der Sambaschulen angesehen, die sonst wohl auf dem Programm für Touristen stehen. So wie beim Kondomblé habe ich auch hier gemischte Gefühle, ob nicht in gewisser Weise durch den Karneval, zu dessen Vorbereitung ja die Sambaschulen mit ihren laufend neuen und phantastischen Tänzen und Paraden gehören, die armen Menschen in Rio so in Bann gezogen sind, daß sie von einer wirklichen Bekämpfung ihres Elends abgehalten werden? Man kann darüber lange diskutieren und auch darüber, was es bedeutet, daß viele weiße Männer von Rio wohl eine der attraktiven Mulattinnen "nebenher" zur Freundin haben, jedoch für die Ehe sich eine "Weiße" suchen. Ob das nicht auch eine Art der Ausbeutung ist, die das Selbstwertgefühl der Unterprivilegierten blockiert? Mir geht da Puccinis Oper "Madame Butterfly" nicht so recht aus dem Sinn. Richtig ist das jedenfalls nicht - und die Vertröstung der Menschen in unserer Kirche auf die Gnade und Vergebung Gottes dürfte da auch nicht viel helfen. Eine Kollegin fragte mich nach meinem Eindruck zu den Mädchen "da unten". Man hörte hier doch, daß die ihre "Abenteuer" eigentlich sehr "locker" nähmen. Also ich kann das aus meiner Sicht so nicht bestätigen. In Belem hatte ich einmal auf einer belebten Straße ein Mädchen um eine Straßenauskunft angesprochen, und das zwar keinesfalls hässliche, doch recht unscheinbare Mädchen nahm die Gelegenheit wahr, mit mir zu flirten ("wie Blücher an der Katzbach"). Immerhin, gegen ein Glas Orangensaft im nächsten Straßencafé mit ihr war ja nichts einzuwenden. In unserer holprigen Unterhaltung fragte ich sie nach ihrem Beruf usw. Und sie erzählte mir, daß sie 19 Jahre alt sei, einen fünfjährigen Sohn habe und als Wäscherin arbeite, ihr damaliger Freund sei (natürlich) abgehauen. Sie drängte mich förmlich, mit mir in mein Hotel zu gehen, und erzählte irgendetwas von "Fotos"; sie tat mir irgendwie leid, aber was sollte ich machen. Irgend welche Deutsche schienen sich auch über sie in recht häßlicher Weise lustig gemacht zu haben, sie hatten ihr irgendeinen Unfug beigebracht, was sie mit "I love you" übersetzte. Also, nach "locker" klang das alles nicht. Vielleicht sehe ich das alles auch etwas eng?

Um zum Thema Karneval Mißverständnisse zu vermeiden: Ich bin nicht gegen Karneval und möchte ihn schon gar nicht abgeschafft sehen, doch könnte ich mir vorstellen, daß er bei einem geänderten Bewußtsein vielleicht doch menschlicher aussehen könnte. In mir sträubt sich einfach etwas dagegen, mir mit gutem Gewissen (fast) ausgezogene Mädchen anzusehen (selbst wenn sie noch so gut aussehen), bei denen ich nicht wüßte, über was Vernünftiges ich reden sollte, falls zu so etwas einmal Gelegenheit wäre - weil der Umgang da von vornherein auf reine Fleischbeschau reduziert ist.

Sao Paulo, mein letztes Hauptziel in Brasilien, ist von Rio etwa sechs Stunden mit dem Bus entfernt. Die empfohlene Küstenstrecke zu nehmen, erübrigte sich, denn da gab es nur Nachtbusse. Gleich bei der Ankunft in S.P. hätte ich beinahe das Pech gehabt, daß mir mein Rucksack geklaut worden wäre. Ich hatte zwar in meinem Führer von dem Trick gelesen, daß einem Schmutz auf den Rücken geworfen wird, durch den man dann so abgelenkt wird, daß ganz unversehens das Gepäck weg ist. Nun, das mit dem Schmutz passierte mir auch (ich sah ihn allerdings nicht und hatte nur etwas gespürt) und ich war zunächst auch wachsam. Doch die Typen sind hartnäckig und so versuchte ich dann doch einmal näher hinzusehen - und da wäre es beinahe auch schon geschehen: Ein etwa zwanzigjähriger Typ war mit meinem Rucksack in den Händen mitten im Gewühl schon etwa fünf Meter weg. Zum Glück war ich ohne Rucksack allerdings schneller als er "mit", und so stellte er ihn gleich wieder (auch noch sanft) auf die Straße. Zwei Deutsche machten mir später, als ich ihnen von meiner "Rückeroberung" erzählte, Vorwürfe wegen meines Leichtsinns, denn man sollte solche Leute besser mit dem Gepäck laufen lassen, weil die in vielen Fällen keine Bedenken hätten, gleich zu schießen. Aber daran dachte ich in meiner Situation nicht. Es wäre ja auch wirklich schade gewesen, wenn ich mein Gepäck los geworden wäre, schade vor allem wegen der all der schönen Mitbringsel, die ich bis dahin ja schon "gesammelt" hatte. Um meine Dias hätte ich mich allerdings nicht erst jetzt mehr zu sorgen brauchen, denn beim Landeanflug auf Brasilia hatte ich bereits festgestellt, daß mein Fotoapparat, eine Minox, nicht richtig funktionierte - und das auch schon seit längerer Zeit. Ich hatte mich zwar zunächst damit getröstet, daß ich den Apparat in Rio oder Sao Paulo wohl reparieren lassen könnte, und ich fand schließlich in S.P. auch eine Werkstatt, in der ein netter Herr zwei Tage daran leider vergeblich herumbastelte. Mit dem Verschluß war er zwar hingekommen, doch dann funktionierte die Zeit- und Blendenautomatik nicht mehr. Ja, und dann dachte ich, daß sich für die letzten zwei Wochen auch nicht mehr der Kauf eines neuen Apparates lohnte - ich dachte es wenigstens... Immerhin sind - nach Entwicklung der Dias - einige doch etwas geworden! Sao Paulo ist zwar eine riesige Stadt mit über 15 Millionen Einwohnern, doch irgendwie mit Flair. Mein Hotel ("San Sebastiao") war in der Nähe des "Praca da República", also mitten im Zentrum. Anders als in Rio gibt es hier keine bedeutenden Kirchen, S.P. ist eben eine Industrie- und Geschäftsstadt. Und so bummelte ich auch durch die Geschäftsstraßen und ging in Buchhandlungen und Antiquariate. In einem Antiquariat fand ich zwar auch deutsche Bücher, doch nichts sah nach der Hinterlassenschaft intellektueller deutscher Auswanderer aus. Interessant war die deutschsprachige Wochenzeitung "Deutsche Zeitung", wenigstens erfuhr ich da etwas Zusammenhängendes über die Olympischen Spiele, die Informationen über meinen Minikurzwellenempfänger waren doch sehr bruchstückhaft. Von einem deutschen Auswanderer hörte ich auch etwas über die miese politische und wirtschaftliche Lage in Brasilien. Er beteiligte sich gerade bei einer Unterschriftensammlung gegen ein "Bodenspekulationsgesetz". So ein Gesetz klinge ja gut, doch sei so etwas gegen Marktgesetze und laufe nur auf Sozialismus "durch die Hintertür" hinaus. Außerdem sehe erfahrungsgemäß ja bei solchen Gesetzen die Praxis ja doch immer nur so aus, daß "hinten herum" doch die "richtigen" Preise gezahlt werden und noch zusätzlich die zuständigen Beamten bestochen werden müßten. Ich persönlich bekam allerdings von der derzeitigen katastrophalen wirtschaftlichen Lage in Brasilien sozusagen nichts mit, zumal ich ja nicht wußte, wie der "Normalzustand" aussieht. Immerhin erfuhr ich in englischer Übersetzung eine makabre "Geschichte" über den Präsidenten Collor, über den ja z.Zt. auch bei uns laufend berichtet wird: "Also, Collor läßt eine Meinungsumfrage durchführen, um zu hören, was die Leute von ihm halten. Als nach sechs Monaten immer noch kein Bericht vorliegt, läßt er die Meinungsforscher antanzen. Die drucksen herum und wollen nicht mit der Sprache heraus. Doch auf energisches Drängen Collors sagen sie, da gebe es eine gute und eine schlechte Nachricht. Nun gut, zuerst also die gute: Die Leute meinen, daß - wenn Kollor noch ein Jahr an der Regierung sein würde - dann die Versorgung so schlecht sei, sie wohl alle "shit" essen müßten. Collor ist entsetzt, wenn das die gute Nachricht sei, wie lautete dann erst die schlechte? - Die Leute meinen, daß es nicht für alle reiche..." Ein Besuch bei einem ermländischen Pater (Arnoldo Bracki) in S.P., von dem ein Brief im Ermländerbrief abgedruckt war, kam trotz meiner Anmeldung nicht zustande, er war offenbar gerade in Deutschland.

So bummelte ich halt durch den recht bürgerlichen den Vorort, in dem das (Kloster-)Gebäude war, und ich sah mir auch einen Supermarkt (eine französische Kette, die ich allerdings nicht kannte) an: Einen solch großen Laden hatte ich bis dahin noch nie gesehen! Die Größe kam weniger durch die Vielfalt des Angebotes zustande, sondern weil das, das da war, es immer in großer Stückzahl gab. Über den Kassen standen Nummern - es gab über 90, wovon knapp 80 in Betrieb waren, und Boten liefen dazwischen auf Rollschuhen herum. -  Das Kunstmuseum S.P. besuchte ich natürlich auch mit herrlichen Bildern der europäischen Malerei in der oberen Etage, in der unteren gab es gerade eine Ausstellung über Joseph Beuys. Und am Abend vor meinem Abflug, meinem letzten Abend in Brasilien, hatte ich auch noch das Glück, im sehenswerten Opernhaus eine Aufführung von Mozarts Don Giovanni zu erleben. Soviel ich mich erinnere, war sie noch moderner als alles, was ich bisher hier gesehen hatte, fast ohne Requisiten und etwas verfremdet. Der "Steinerne Gast" fuhr im Rollstuhl herum, Rollstühle scheinen heute in Opern öfter vorzukommen. Leider dauerte die Aufführung bis nach Mitternacht, schade, daß sich Mozart nicht kürzer fassen konnte...

Für die Fahrt zum Flugplatz fand ich sogar den günstigen "Insiderbus", der regelmäßig zwischen Flughafen und U- Bahnhof "Bresser" verkehrt und der in keinem Reiseführer erwähnt ist und von dem man auch im Hotel nichts wußte. Eigentlich sollte mein Flugzeug ja bis zum Grenzstädtchen Corumba fliegen, doch bei der Zwischenlandung in Campo Grande stellte sich heraus, daß an einem der beiden Triebwerke zwei Schrauben locker waren, die man nicht so schnell reparieren konnte. Zwei deutsche Industrielle, die zu einem Wochenendtrip ins Pantanal (leider hatte ich keine Zeit mehr, dieses herrliche verhältnismäßig unberührte einzigartige tropische Überschwemmungsgebiet zu besuchen) unterwegs waren, meinten auch, daß sie beim Abflug in S.P. schon gemerkt hätten, daß unsere Boeing nicht mehr richtig Schub bekommen hatte... Jedenfalls war erforderlich, aus der Stadt einen Schlosser zu holen, der die ausgeschlagenen Schraubenlöcher aufbohrte und dann neue Schrauben einsetzte. Doch selbst wenn dies gelänge, würde nicht mehr Zeit sein, noch nach Corumba zu fliegen, weil es dann schon dunkel war und der Flugplatz dort keine Flugplatzbefeuerung zur Orientierung hatte. Da hatte ich's wieder einmal, wenn ich schon alles richtig gemacht hatte! Die beiden Deutschen (der eine war der Vorstandsvorsitzende der Elektronikfirma Hartmann & Braun) nahmen zusammen mit einem brasilianischen Ehepaar ein Kleinflugzeug für die Weiterreise, ich nahm den nächsten Überlandbus. Schade, daß ich die 500-km-Pistenfahrt nur in der Nacht erlebte, irgendetwas vom Pantanal hätte ich ja gern gesehen (da soll es beispielsweise jede Menge Krokodile geben). Doch ich mußte weiter, weil ich ja für den nächsten Tag (15.8.) auf der bolivianischen Seite einen Flug reserviert hatte, und auf die Bahn wollte ich keinesfalls umsteigen. Da bis zur Abfahrt des Busses in Campo Grande noch Zeit war, bummelte ich ein letztes Mal in einer brasilianischen Stadt und entdeckte dabei in einem Supermarkt einen tollen 4,5-l-Dampfdrucktopf für knapp 10 US$. Der Deckel dieses Topfes ist oval, d.h. man muß den Deckel um 90o versetzt in den Topf einführen und ihn dann wieder in die richtige Lage bringen. Und dann paßt er genau, somit wird erreicht, daß der Deckel beim Kochen von innen gegen den Rand gepreßt wird. Einfach genial! Da konnte ich nicht widerstehen, da mußte ich 10 weitere Dollars wechseln, so einen Topf mußte ich einfach haben und schließlich nimmt so ein Topf ja im Gepäck nicht viel Platz weg, denn man kann ihn ja voll packen... Und noch etwas habe ich in Brasilien außer den typischen brasilianischen Souvenirs gekauft! Die Duschen in den Hotels hatten stets für uns ungewöhnliche Duschköpfe, da wurde doch tatsächlich das Wasser jeweils unmittelbar in  Duschköpfen selbst elektrisch aufgeheizt, und wie ich beim Auseinanderschrauben eines solchen Duschkopfs in einem Geschäft feststellte, ist die Heizwendel immer direkt vom Duschwasser umgeben! Der Duschende steht also über das (eigentlich leitende) Wasser im Grunde immer unter Strom (und unter stärkeren als dem, den man beim Pinkeln auf einen Viehweidezaun spüren soll), der Strom wird allerdings durch den "Nulleiter" im Duschkopf sozusagen "neutralisiert". So etwas mußte ich hier meinen Elektrikerfreunden zeigen, die ich nach meiner Rückkehr allesamt in hellste Aufregung versetzte, als ich ihnen erklärte, ich hätte da im Keller noch eine Dusche ohne warmes Wasser für meine Gäste... Lediglich mein indischer Physikkollege war von der Idee angetan, immerhin konnte man so mit 4,4 kW duschen, während ein normaler Durchlauferhitzer 22 kW braucht. Auch dieses "technische Souvenirs" war für um die 10 US$ fast geschenkt! Was die armen Länder bei solchen Preisen nicht alles nach Europa exportieren könnte, doch wir hier schotten uns ja ab - und gewiß nicht nur wegen strengerer Sicherheitsvorschriften für Elektrogeräte.

Im Grenzgebiet hatte ich Probleme, aus Brasilien einen Ausreisestempel zu bekommen, denn an der Grenze gab es wieder einmal keinen (nur am Busbahnhof, und der machte erst um 8 Uhr auf). Das bolivianische Flugzeug sollte kurz vor 10 Uhr abfliegen, und so peste ich mit zwei Bolivianern zuerst in einem brasilianischen und dann in einem bolivianischen Taxi u. a. mit einer gut verpackten Windschutzscheibe im Gepäck durchs Grenzgebiet. Wir kamen rechtzeitig an und erfuhren, daß unser Flugzeug drei Stunden Verspätung hatte. Es war übrigens eine ziemlich betagte Fokker- Propellermaschine, und ich saß gleich auf einem Fensterplatz neben einem Propeller. Also, bei Propellermaschinen ist das "Fluggefühl" schon eindrucksvoller als bei den Düsenmaschinen, einerseits sieht man mehr von der Gegend unter sich, weil solch ein Flugzeug langsamer aufsteigt, andererseits merkt man auch jedes Luftloch!

Erstes Ziel in Bolivien war Santa Cruz im Amazonasbecken. Es ist eine lebendige und aufstrebende ehemalige Kolonialstadt mit etwa 300 000 Einwohnern im Einzugsgebiet des Amazonas. So gibt es auch Kirchen aus der Kolonialzeit, am gepflegten Hauptplatz Plaza 24 de Septembre die allerdings neuere Kathedrale mit Backsteinfassade. Im Museum neben der Sakristei hatte der Ortsbischof unter anderem seine ganzen Orden und Medaillen ausgestellt, auch zeigte das letzte Bild der Bischöfe von Santa Cruz wohl ihn selbst mit einigen Orden auf seinem bischöflichen Ornat. Zufällig stellte ich fest, daß sich einige Glasdeckel der Vitrinen abheben ließen, ich habe aber trotzdem nichts mitgehen lassen, obwohl ich unbeobachtet war. In meinem Reiseführer las ich, daß in der Umgebung von Santa Cruz viele japanische Bauern siedeln. Von ihnen bemerkte ich nichts, jedoch sah ich schon in meinem Hotel (langgestreckter Innenhof mit Zimmern auf beiden Seiten) zahlreiche deutsch aussehende Leute, die an meinem Raum vorbeihuschten. Die Männer hatten alle Latzhosen, Stiefel und Strohhüte im Texasstil, die Frauen weite bestickte Röcke in dunklen Farben, zierliche Schuhe und Strohhüte mit Schleifen und Kopf- und dunkle Halstücher, die Mädchen darunter weiße Halstücher. Natürlich unterhielt ich mich erst einmal mit anderen Gästen meines Hotels über diese offensichtlich deutschen Bauern, die so, wie sie gingen, aussahen, als ob sie üblicherweise nur auf Pferden sitzen. Schließlich sprach ich einen von ihnen auf der Straße an, daß er doch sicher auch deutsch spreche. Natürlich, aber was für einen Dialekt! Mit etwas Mühe verstand ich, daß es sich natürlich um Mennoniten handelte, die aus Mexiko hierher übergesiedelt waren und eine Kolonie in der Nähe von Santa Cruz und eine auf halbem Weg nach Brasilien bewohnten. Ursprünglich kämen sie aus Kanada und davor aus Rußland, aber das sei schon lange her, wann ihre Vorfahren aus Deutschland nach Rußland gegangen seien, wüßte er nicht. Die Siedlungen in Kanada und in Mexiko hätten sie nicht aufgegeben, sondern ihren dortigen Besitz an die jeweils zurückgebliebenen Mennoniten verkauft und hier in Bolivien eben neu kolonisiert. Das Land sei ihnen von der Regierung zu Verfügung gestellt worden und sie bauten alles Mögliche an, vor allem Soja und Mais. Das Land sei zwar sehr fruchtbar, doch sie brauchten riesige Mengen Insektizide, ansonsten werde alles kahlgefressen. Der Verkaufserlös für Soja, das über den chilenischen Hafen Arica nach Deutschland geliefert werde, sei schlecht, und irgendwie sei es schon schade, daß die Sojabohnen in den Industriestaaten an Schweine verfüttert würden, denn der Nährwert von 1 kg Soja entspreche dem Nährwert von 3 kg Schweinefleisch. Da wußte ich doch schon einmal etwas! Zur weiteren Information: Die Mennoniten (benannt nach dem niederländischen Wiedertäufer Menno Simons, 1496 - 1561) sind eine protestantische Freikirche. Manchen meiner Leser werden sie vielleicht eher bekannt sein aus dem Film "Der einzige Zeuge" unter dem Namen "Amish-People". Dieser Hinweis kam von meinen Schülern, ich selbst kenne den Film nicht. Durch Jahrhunderte lange Verfolgung haben sich die Mennoniten über die ganze Welt verbreitet, insgesamt gibt es heute etwa 500 000 Mitglieder. Das Glaubensverständnis ist sehr calvinistisch-puritanisch, im Alltag zeigt sich das durch die Einfachheit der Lebensführung, außerdem lehnen die Mennoniten jede Gewalt und alle Eidesleistungen ab, daher verweigern sie auch den Militärdienst. Also, das war ja etwas, was mich interessierte! Da mein Flugzeug nach Sucre, der früheren Hauptstadt Boliviens, wegen Streiks des dortigen Bodenpersonals ausgefallen war, hatte ich zwei Tage Zeit und beschloß, für einen Nachmittag einen Ausflug in die nächstgelegene Kolonie zu machen. Irgendetwas würde ich schon sehen. Nach einigem Suchen fand ich auch den Abfahrtsplatz des Busses in die Kolonie östlich des Marktes "Los Pozos". Auf meine Erkundigungen beim Einsteigen antwortete mir ein junger Mennonit, daß die Fahrt in die Kolonie drei Stunden dauere und eine Rückkehr abends nach Santa Cruz auch nicht mehr möglich sei. Es gebe auch kein Hotel in der Kolonie, doch ich könnte bei seiner Familie wohnen. Also kaufte ich mir bei einem fliegenden Händler noch schnell eine Zahnbürste und fuhr mit!

Nach zwei Stunden Fahrt auf unbefestigter Straße begann die Mennonitenkolonie, man konnte es an dem Beginn systematischer Landwirtschaft und an den gepflegten Häusern in eher holländischem Stil erkennen. Mein neuer Freund, Abraham Woll, erzählte mir, daß nicht viele Besucher nach Riva Palacio (ich glaube, der Name ist richtig) kämen. Zur Zeit seien wohl zwei Franzosen da, im vorigen Jahr konnte er sich an zwei Israelis erinnern. Das Gebiet der Kolonie sei etwa 50 qkm groß, es gebe etwa 6000 Einwohner, sechs Kirchen (die wie Scheunen aussehen) mit 12 Predigern und 30 Schulen. Der Hof seiner Eltern habe an der Straße 125 m und auf jeder Seite der Straße 2000 m. Sie hätten Milchwirtschaft mit 20 Milchkühen (pro Kuh ca 14 Liter am Tag) und insgesamt etwa 100 Kühen. Elektrischen Strom gebe es nicht, obwohl die E-Werke in Santa Cruz Leitungen legen wollten, die Gemeinschaft hätte den Stromanschluß nicht genehmigt, um zu vermeiden, daß die Gemeindemitglieder hochmütig würden. Auch seien Autos verboten, ja selbst Fahrräder, und Trecker seien nur erlaubt mit Eisenreifen. Ansonsten Pferdefuhrwerke - und ich sah sie, schon Kinder kutschierten damit herum, ganz lieb, wie beispielsweise in einer Kutsche drei Kinder in ihren aparten Kostümen hinter ihrem Pferd herzuckelten. Bei meinen Gastgebern wurde ich herzlich empfangen, ich fühlte mich irgendwie wie zuhause! Das Haus besteht im Wesentlichen aus einer großen Stube, an der einen Seite das Zimmer der Tochter, dann das Zimmer, in dem ich schlafen sollte und das Bad mit gemauerter und gekachelter Badewanne und fließendem Wasser, an der anderen Seite das Zimmer der Eltern. Abraham ist verheiratet und wohnt mit seiner Frau in einem ähnlichen Haus gleich daneben. Ich bin dann auch dabei, wie die Kühe (mit der Hand) gemolken werden, die Milch wird in einer genossenschaftlichen Molkerei verarbeitet. Vor dem Abendessen (Milch mit Cornflakes und selbstgebackenes Brot mit selbstgeschlagener Butter) sehe ich mir noch schnell eine Schule an, die mir auch vom Lehrer erklärt wird, der in der Schule wohnt und auch eine kleine Landwirtschaft hat. Die Jungen gehen 7 Jahre zur Schule, die Mädchen 6 Jahre. Das Tafelbild ist in altdeutscher Schreibschrift geschrieben, unter dem Lehrerpult liegen Aufgabenblätter ("Holzrechnung", Flächenberechnungen) in (deutscher) Frakturschrift. Ich bin etwas erinnert an die Vorstellungen der Nazis bei der Eroberung Polens, daß es ausreichend für die Polen sei, Grundkenntnisse zu haben und mit den Zahlen bis 100 rechnen zu können... Unter den Schülerpulten (eigentlich lange Bänke durch die halbe Klasse für die Jungen und etwas kürzere auf der anderen Seite des Ganges für die Mädchen) liegen vor allem jeweils eine dicke Lutherbibel vom Stuttgarter Bibelwerk, ein (mennonitischer) Katechismus und ein Gesangbuch. Immerhin kenne ich beim flüchtigen Durchblättern zwei Lieder, aber nur, weil ich Ermländer bin: "Jesus lebt, mit ihm auch ich..." und "Geist vom Vater und vom Sohne...". Es ist schon merkwürdig, die Schriftsprache ist Hochdeutsch, doch der Dialekt ist so ungewöhnlich, daß ich mich bisweilen nur sehr schwer verständigen kann, oft sogar nur mit spanischen Brocken. Mit meinen Gastgebern kann ich immerhin auch Englisch sprechen, da sie vorher in Mexiko in der Nähe der amerikanischen Grenze waren, mit dem Lehrer hier in der Schule ist die Verständigung jedoch nur sehr holprig, so daß ich bald abziehe.

Die Schulbildung wird übrigens für alle Mennoniten als ausreichend angesehen, auch für die "leitenden" Berufe. Wer Prediger werden soll, wird gewählt, den Beruf des Lehrers etwa und den des Zahnarztes kann man selbst wählen und man hat sich dann jeweils selbst um das notwendige "Mehrwissen" zu kümmern, etwa indem man einem "Vorgänger" bei der Arbeit zusieht. Mit dem Zahnarzt der Kolonie kam ich zufällig bei der Rückfahrt nach Santa Cruz ins Gespräch. Er sei jetzt 68 Jahre alt und verarzte die Leute seit seinem 18. Lebensjahr. Im Laufe seines Lebens habe er wohl etwa 200 000 Zähne gezogen, zunächst in Mittelamerika von Mennoniten und auch anderen Patienten, vor allem Mestizen mit sehr schlechten Zähnen, dann hier in Bolivien. Er plombiere auch Zähne und arbeite dabei mit einem elektrischen Bohrer, der von einem Benzingenerator Strom erhält, doch er habe für den Notfall auch einen Bohrer mit Fußwippbetrieb. Wurzelbehandlung mache er nicht. Immerhin, alle Achtung, denn seine "Kunden" scheinen ja irgendwie zufrieden zu sein, sonst hätte er ja wohl nicht so viel zu tun. Natürlich berichtete ich gerade von diesem Zahnarzt nach meiner Rückkehr hier der Ärztin, die an unserer Schule unterrichtet, und die sah die Sache gar nicht so positiv, denn allzu viele Zahnsachen seien eben nicht einfach Routine, für die meisten brauche man doch eine umfangreiche Ausbildung. Selbst die meisten Zahnärzte hier hätten beispielsweise eine zu geringe medizinische Qualifikation. Wenn ich bedenke, wann mir der letzte Zahn gezogen wurde, frage ich mich, wann Zähneziehen überhaupt noch notwendig ist, kann man das nicht anders machen?

Ja, und was ist nun meine Meinung zu der Verwirklichung dieser eher alttestamentlichen Utopie? Im Grunde geht es mir ja auch um eine Utopie, um eine Verwirklichung biblischer Ideen hier und jetzt. Das Verbot des elektrischen Stroms kann ich ja noch irgendwie verstehen, denn dadurch ist abends irgendwann einmal wirklich Arbeitsruhe, denn ohne Strom läuft eben nichts richtig. Außerdem werden so Fernsehen und Video verhindert, was wohl auch in Amerika zur Zeit nur zu oft kein Schaden ist. Aber keine Fahrräder und keine Traktoren mit Gummireifen? Und die kärgliche Bildung? Nichts gegen Bolivianer, aber müssen sich deutsche Menschen von Bolivianern grundsätzlich etwas vormachen lassen, wenn es um kompliziertere Zusammenhänge geht? Und der Verzicht auf Teilnahme am politischen Leben? Ob das im Sinn eines recht verstandenen christlichen Glaubens ist? Ich kann mir das nicht so recht vorstellen. Bedenklich und noch nicht einmal den Grundideen des Alten Testaments entsprechend (oder nur solchen pervertierten, gegen die selbst Jesus offensichtlich angegangen ist) fand ich die Einstellung gegenüber den Frauen. Wenn sich Frauen (oder Mädchen) beispielsweise an unseren Gesprächen beteiligen wollten, wurden sie stets abgedrängt, "das verstünden sie sowieso nicht". Und es gibt auch keine Dorfmusik, keine Feste, keine (weltlichen) Gemeinschaftsfeiern. Gehört nicht auch das zu unserem Menschsein? Muß so etwas gleich alles verwerflich sein? Vielleicht war ich auch zu kurz in der Kolonie, vielleicht bin ich auch voreingenommen - mich reizt es ja, noch einmal hinzufahren und dann ein paar Tage länger. Sowohl meine neuen Freunde als auch der Zahnarzt haben mich quasi eingeladen.

Schade, daß die Verwirklichungen einer anderen Utopie in dieser Gegend Mittelsüdamerikas nicht mehr existieren und man nicht mehr "am lebendigen Modell" vergleichen kann. Ich denke an die Indianerreduktionen der Jesuiten. Irgendwo in Südbolivien soll es wenigstens eine sehr gut restaurierte Museumsanlage geben. Ich glaube, ich muß wirklich noch einmal "hin"!

Irgendwie war mir wohl bei meinem vergeblichen Besuch am Flughafen zwei Tage zuvor falsch gesagt worden, daß der Abflug stets zur selben Zeit sei - und so war wieder einmal ein Flugzeug weg. Da ich aber weiter nach Sucre wollte, sah ich mich am Busbahnhof nach einem Bus um - und buchte gleich bei der ersten Gesellschaft, die am späten Nachmittag dieses Ziel anbot. Das war mein Fehler... Ich hätte warten sollen, und den ersten "ordentlichen" Bus nehmen sollen, der tatsächlich fuhr. Denn mein Bus hatte nicht nur fast vier Stunden Verspätung, er machte auch nicht den besten Eindruck und war auch noch zwei Stunden langsamer als in meinem Buch angegeben: 20 Stunden Fahrzeit gegenüber 35 Minuten mit dem Flugzeug!

So hatte ich von der wunderschönen alten Stadt Sucre nur noch einen Abend und einen Vormittag. Schade, immerhin traf ich in meinem Hotel einige nette junge Leute aus Süddeutschland, mit denen ich wenigstens die Kathedrale am Hauptplatz und die Franziskanerkirche (letztere ich allein) besuchte. Die interessantesten Kirchen waren ohnehin geschlossen.

Für mein letztes neues Ziel, die alte Silberbergbaustadt Potosi in über 4000 m Höhe wollte ich mir auf alle Fälle zwei Tage Zeit lassen, zuviel hatte ich von dieser Stadt schon gehört und gelesen, vor allem über die Münze (die "Moneda") und den Silberberg. Und Kirchen würde es ja auch noch geben. Was mir als erstes auffiel, war, daß es in Potosi sehr kalt war, so lag im Hof des Hotels, in dem ich mit den anderen Deutschen aus Sucre untergekommen war, festgetretener Schnee. Irgendjemand erzählte mir später, daß es nachts gerade um die -13o kalt sei - und die Zimmer des Hotels gingen unmittelbar auf den Hof. Immerhin gab es genügend Decken, doch wie wird man unter (schweren) Decken warm? Dafür war es tagsüber bisweilen so angenehm, daß ich im Hemd herumlaufen konnte. Sinnvollerweise hatte ich meine Reiseroute so gewählt, daß ich zuerst durch die warmen Gegenden kam und gegen Ende durch die kalten, so fing ich mit wenig Gepäck an und kaufte mit zunehmender Kälte immer mehr Klamotten, die ich ja auch später hier in Deutschland brauchen konnte: Pullover aus Alpacawolle und Lederjacken sind ja in Bolivien günstig. (Man kann es natürlich auch umgekehrt machen, man nimmt von hier "ältere" Sachen mit und verschenkt sie, wenn man sie nicht mehr braucht.) Bei meinem Bummel am ersten Abend hatte ich gleich zweifach Glück: Zunächst bekam ich einige "Übungsstunden" für die Prozessionen zum Bartholomäusfest eine Woche später mit. Überall auf den Straßen Musik mit Tanzgruppen - und jede Gruppe mit ihrem eigenen Tanzschritt. Am faszinierendsten für mich war eine sehr große Gruppe etwa 15-jähriger Mädchen in den typischen spanischen weiten Röcken. Mein Gott, wie die (alle wohl so um die 1,50 m groß, offensichtlich reinrassig-indio) da im Flamencoschritt (?) da ihre Figuren tanzten, nebeneinander, hintereinander in mehreren Reihen, in Schlangenlinien - und die von Autos freigemachte Straße herauf und herunter mit einer Intensität und Hingabe, und alles in über 4000 m Höhe - einfach phantastisch! Was offensichtlich in uns Menschen doch so alles an ekstatischem und ästhetischem Potential steckt...!

Und dann sprach mich auch noch ein Touristenführer an, der sich als der in meinem Reiseführer empfohlene Führer für die privaten Gruben im "Silberberg" vorstellte. Er korrigierte zwar später seine "Identität", doch wir alle, d.h. die zwei französischen Schweizer und ich, die er zu seiner Führung aufgegabelt hatte, waren mit ihm sehr zufrieden. "Roberto" war ehemaliger Minenarbeiter ("minero") und hatte sich nach Feierabend Englisch beigebracht, um Führer zu werden und damit zu einer weniger anstrengenden und besser bezahlten Arbeit zu kommen. Der Berg ist einzigartig in der Gegend, außer Gold gibt oder gab es wenigstens so ungefähr alle Metalle und reichlich, früher vor allem Silber, heute ist das Silber weitgehend erschöpft und es geht mehr um Zinn und Zink. Während der Kolonialzeit wurde soviel Silber abgebaut, daß man damit hätte eine Brücke von Südamerika nach Spanien bauen können. Arbeiter waren vor allem indianische und afrikanische Sklaven, die der Einfachheit halber gleich in den Gruben versorgt wurden und oft monatelang nicht aus den Gruben herauskamen. Und wenn sie schließlich wieder einmal das Tageslicht erblickten, waren sie wenigstens lange Zeit fast blind, weil sie unter Tage nur Kerzenlicht gewohnt waren. Insgesamt sind etwa 6 bis 8 Millionen Sklaven in den Gruben umgekommen. Inzwischen gibt es natürlich keine Sklaven mehr, doch einem großen Teil der heutigen Arbeiter geht es oft nicht viel besser, vor allem denjenigen, die nicht in den staatlichen Gruben arbeiten. Denn es gibt drei Arten von Gruben: 1. staatliche mit geregeltem Lohn, mit Versicherung und Rentenanspruch, dann 2. genossenschaftliche und schließlich 3. private Gruben.

Letztere organisieren ihre Arbeit völlig selbständig, sie leben ausschließlich von dem, was sie aus "ihrem" Stollen herausholen und verkaufen. Und sie sorgen auch für ihre Arbeitsmittel, für ihre Versorgung und für ihre Rente später selbst. Man kann sich vorstellen, daß das, was dabei für sie bei den heutigen niedrigen Weltmarktpreisen für Zinn und Zink herausspringt, nur zu oft mehr als erbärmlich ist. Die Arbeiter in den genossenschaftlichen Gruben, und in eine solche führte uns Roberto, geben 20 % ihres Erlöses an die Genossenschaften, die davon Gemeinschaftsaufgaben finanzieren. Bevor wir am oberen Ende von Potosi einen der offenen LKWs zum Transport von Mineros bestiegen (bezahlt wird bei einem Halt auf freier Strecke, wo es nichts bringt, ohne Bezahlung abzuhauen), deckten wir uns erst einmal an den Verkaufsständen in der Gegend da oben mit einigen "Geschenken" für die Kumpel ein, die wir bei ihrer Arbeit besuchen wollten. Und da gab es nicht nur Kokablätter und die dazugehörenden Komponenten, damit das Kokain auch seine Wirkung entfaltet, sondern auch alles, was für den Abbau von Erzen nun einmal nötig ist. Erst beim späteren Gespräch mit einem Mädchen aus Chemnitz wurde mir klar, was es da noch alles ohne jede Beschränkung und ohne Vorlage von irgendwelchen Dokumenten zu kaufen gab, nämlich im Grunde alles das, was auch Terroristen gebrauchen können: Stangendynamit in verschiedenen Qualitäten und Preisen (von 28 Pf bis 48 Pf), Lunte am laufenden Meter, Zündkapseln, damit das Dynamit gezündet werden kann, Nitroglyzerin in Granulatform. In meinem Führer stand nichts von alledem, doch warum sollen meine Leser nicht darüber informiert werden, wo man so etwas kaufen kann, schließlich nehme ich doch nicht an, daß auch potentielle Terroristen meine Berichte lesen! Niemanden hätte es gestört, wenn ich von alledem etwas mitgebracht hätte, wenigstens weiß ich jetzt, wo ich das Material herbekomme, wenn ich einmal Veranlassung haben sollte, meine Schule in die Luft zu sprengen! In einem der Schuppen vor dem Eingang zu "unserer" Grube fanden sich immerhin für mich eine alte Trainingshose, ein Hemd und ein Paar alter Turnschuhe, aus denen ich allerdings erst einmal den Zement herauskratzen mußte. Und natürlich ein Schutzhelm, der mir bei den nur zu oft sehr niedrigen und schon weitgehend eingestürzten Gängen wirklich gute Dienste leisten sollte. Jeder bekam noch eine museumsreife Karbidlampe und dann stiegen wir los. Über dem Eingang aus spanischer Zeit war alles vollgekleckst mit inzwischen vertrocknetem Blut von den Lamas, die bei Festen der Mineros geschlachtet werden und deren verspritztes Blut Glück bringen soll. Im Hauptgang erkennen wir dann deutlich die gemauerten Bögen aus der Sklavenzeit, doch sehr oft sind sie zusammengebrochen und durch Holzkonstruktionen ersetzt. Doch auch die sind an vielen Stellen "geknickt" und wir müssen vorsichtig darunter herkriechen. Zwischen den Schienen für die Loren (alles per Handbetrieb, allerdings weder mit Frauen- noch mit Kinderarbeit, das alles ist inzwischen verboten) steht bisweilen Wasser, oder besser ziemlich starke Schwefelsäure, und Roberto empfiehlt mir, möglichst bald meine Strümpfe zu waschen, weil sie naß geworden sind und zerfressen werden könnten. Da es Samstag ist, arbeitet nur etwa die halbe Belegschaft, und so wirkt der Stollen ziemlich verlassen. Doch dann sitzt in einem Seitengang ein Minero, der Steine zerschlägt und sie genau untersucht. Möglicherweise geht es ihm heute gar nicht um Erz, sondern erst einmal um "Spuren", die Hinweise geben, ob es sich lohnt, weiter zu suchen. Und dann wird es immer wärmer und uns kommen zwei etwa 20-jährige Jungen mit schweren Ledersäcken auf dem Rücken entgegen: jeweils so um die 40 kg Erz, das in Loren gekippt und schließlich nach draußen gefahren wird. Die Jungen sind auf den Märkten in der näheren und weiteren Umgebung angeheuerte Bauernburschen, die erst einmal als Träger arbeiten und dabei um die 40 Pf pro Stunde verdienen. Wie alle Mineros haben sie eine "dicke Backe": Kokablätter mit den entsprechenden Ingredienzien. Ach ja, wir "mußten" auf Anweisung von Roberto auch so etwas nehmen, damit wir fit für die anstrengende Tour seien. Die einzige Wirkung, die ich verspürte, war, daß ich den ganzen Tag keinen Hunger hatte und die folgende Nacht trotz der Höhe sehr gut geschlafen habe. Die Leute da oben können nicht verstehen, warum unsere Leute hier so etwas als Rauschmittel nehmen. Ehrlich, ich

auch nicht. Wohl am Ende des Stollens, in den wir eingedrungen sind, treffen wir dann auf den "Chefminero", der gerade Sprenglöcher mit Hammer und Meißel in den Fels schlägt. Drei Löcher schafft er pro Tag im Handbetrieb, er arbeitet auch samstags, um das Geld zu verdienen, weil er Kinder hat, "die es einmal besser haben sollen". Maschinen gibt es nur in den staatlichen Gruben. Eigentlich habe ich jetzt genug, doch ich folge doch noch weiter zu einer riesigen Höhle, die ich auf etwa mindestens 50 x 50 x 50 m schätze.

Hier war einmal eine besonders ergiebige Silberader, alles wurde von den früheren Sklaven gefördert. Heute wird hier Abraum abgekippt. Und dann kommen wir am "Tio", dem Dämon der Grube vorbei. Das ist eine Puppe, die als zuständig für Glück oder Unglück der Mineros gesehen wird. Und dafür bringt man ihr auch Opfer dar, zumindest steckt man ihr auch eine brennende Ziragette in den Mund. Roberto erzählt uns aber noch mehr. Seine Großmutter hätte ihm erzählt, daß der Teufel ihr leibhaftig begegnet sei, als sie als 15-jähriges Mädchen unter Tage gearbeitet habe. Er würde ihr reiche Fundstätten zeigen, wenn sie mit ihm schliefe. Klar, daß sie sich nicht darauf eingelassen hatte (sonst hätte sie das wohl auch nicht ihrem Enkel erzählt). Und der Grubenteufel hat noch heute mit so etwas zu tun, junge Mineros kämen an bestimmten Tagen mit ihren Freundinnen zu dem Kultbild und machten ihm zu Ehren "orgies" - na, viel hat sich in der Menschheit nicht geändert. Immer neue Gründe für die immer gleichen Sachen! Ob das nicht auch ein Indiz ist, daß das Christentum sehr oft nur eine Tünche ist?

Nach der Grubenführung beeilte ich mich, zur Moneda zu kommen, um noch dort die Nachmittagsführung (14 Uhr) mitzubekommen. Denn die kunsthistorisch bedeutendste Sache von Potosi ist eben diese Moneda, die "Münze". Bis in dieses Jahrhundert wurden hier auf Münzpressen vor allem Silbermünzen geprägt, die wegen ihrer Reinheit weltweit den besten Ruf hatten. Nicht nur alle Maschinen - sowohl "antike" aus der Sklavenzeit wie auch modernere aus der Zeit vor der Schließung in diesem Jahrhundert - sind erhalten, sondern der Verwaltungstrakt ist heute eine bedeutende Bildergalerie. Auffallend sind die Bilder von einer "Schutzmantelmadonna".

Da es zu spanischer Zeit verboten war, die alten (Berg-)Götter zu verehren, stellte man einfach die Madonna in Form eines Berges dar, also mit einem riesigen Schutzmantel... Übrigens: die Pferde, die die alten Maschinen antrieben, kamen aus Argentinien. Da sie durch den langen Anmarsch, durch die schwere Arbeit und durch die Höhe zu stark "ausgebeutet" wurden, hatten sie nur eine Lebensdauer "hier oben" von drei bis sieben Wochen. Und viel anders hatte man ja die Sklaven wohl auch nicht behandelt.

Die Kirchen und Klöster von Potosi wollte ich mir für den Sonntag aufsparen, doch war - wie auch schon in Sucre - fast alles geschlossen. Ähnliche Klöster hatte ich ja schon vor zwei Jahren in Peru gesehen, trotzdem schade. Wenigstens in die Dominikanerkirche kam ich hinein, und da war in einer Nebenkapelle auch gleich eine mit wunderschöner Musik begleitete Messe. Im Anschluß kam ich auch mit dem Pater, der die Messe gelesen hatte, ins Gespräch. Und diesmal hatte ich tatsächlich einen Landsmann "erwischt": er war nicht nur Deutscher, sondern sogar Ermländer, also aus derselben katholischen Gegend in Ostpreußen, aus der auch mein Vater stammte und die ich auch als meine eigentliche Heimat betrachte. Wir hielten uns allerdings nicht bei irgendwelchen nostalgischen Erinnerungen auf, sondern es ging in der knappen Stunde, die ich bei ihm war, um die für mich interessanten aktuellen Dinge. Zunächst zeigte er mir mit berechtigtem Stolz die Kirche. Pater Canisius Friedrich O.P., so heißt er, ist freiwillig nach Potosi gegangen, damit er dort nicht nur die Dominikanerkirchgemeinde betreuen soll, sondern auch dafür sorgt, daß die Kirche, die schon fast zerfiel, restauriert wird. Und diese Aufgabe ist sozusagen seine Leidenschaft, die Kirche ist jetzt schon eine der schönsten Kirchen, die ich während meiner Reise betreten habe. Die Schwierigkeit besteht nicht nur darin, daß er das Ursprüngliche erforscht und wiederherstellen läßt, sondern vieles gestaltet sich heute auch komplizierter als beim Bau der Kirche vor etwa 300 Jahren. So gibt es heute anders als früher einen sehr starken unterirdischen Wasserdruck, der eine aufwendige Drainage erforderlich macht. Zu den technischen und künstlerischen Problemen kommt aber auch noch das Problem der Geldbeschaffung. Und auch da ist er sozusagen auf sich allein gestellt - ca. 500 000 US $ wird wohl die Restaurierung schließlich kosten. Pater Canisius "bettelt", wo er etwas bekommen kann, wenn er in Deutschland ist, fährt er sogar in seinem Dominikanerhabit per Anhalter, um Geld für seine Kirche zu sparen. - Es stellt sich natürlich die Frage, ob so eine derartig aufwendige und schon "pingelige" Restaurierung überhaupt notwendig ist, ob man nicht mit dem Geld etwas "Dringenderes" machen könnte. Man kann zu dem unmittelbaren Anlaß, daß in dieser Kirche nämlich der letzte der drei hervorragenden Glaubenszeugen Südamerikas begraben liegt, dessen Heiligsprechung noch nicht geschehen ist und die nun eingeleitet werden soll, stehen wie man will, doch ist die Wiederherstellung einer solchen wunderbaren Kirche nicht auch "notwendig"? Legen wir unsere Spendengelder nicht besser an, wenn damit Arbeitsleistungen bezahlt werden, die ja auch einen anstoßenden Effekt haben, statt wenn das Geld einfach verschenkt wird? Und schöne Kirchen können ja auch den dort lebenden Menschen Selbstbewußtsein geben und Touristen anziehen, die dann weiteres Geld bringen...  Und da ist auch noch ein Kinderheim, für das sich Pater Canisius verantwortlich fühlt, und wo ab und zu auch einmal ein paar Tische oder Stühle gebraucht werden! Jedenfalls gebe ich schon einmal das Konto an, wenn jemand etwas für die Kirche oder für das Kinderheim spenden möchte: Apostolischer Visitator der Ermländer, Münster, PGA Hannover, Konto 112488-308, BLZ 25010030, "für Pater Canisius, Bolivien"). Ich glaube, es gibt auch Spendenqittungen. (Für die "Insider": Pater Canisius stammt aus Schulen Kreis Heilsberg. Sein Eltern stammen aus der Nähe von Mehlsack, sein Vater aus Rosengarth und seine Mutter aus Peterswalde. Die Anschrift heute ist Casilla 176, Potosi/Bolivien.)

Nach der Nachtbusfahrt nach La Paz bin ich wieder auf dem Pfad meiner Reise vor zwei Jahren und ich wohnte auch im selben Hotel (Universo) zwischen Busbahnhof und Zentrum. Da es aus irgend welchen Gründen wieder keine Bahnfahrkarten nach Arica in Nordchile gibt, nehme ich auch denselben Bus wie vor zwei Jahren. An der chilenischen Grenze unterhalte ich mich vor einer großen Tafel mit Verhaltensmaßregeln zur Vermeidung der Colera (auch in Deutsch) mit einem renzer über den "Fall Honecker". Wir sind uns einig, daß er eben doch "nur" ein Satrap einer ausländischen Macht war und sich darin von den Naziverbrechern unterscheidet. Wenigstens ist diesmal der Bus so früh, daß ich noch "etwas" von Chile sehe. Etwa eine Stunde ab Grenze geht's noch auf unbefestigter Straße, danach auf erstklassiger Asphaltstraße bis ins Tal. Leitplanken, Ausschilderung, Markierungen, die Straße könnte bei uns nicht besser sein.

Arica ist ist auch diesmal ein schöner Schlußakzent meiner Fahrt, wenn ich allein an den Bummel an der Pazifikküste mit einem kurzen Bad in einer Art "Badewanne" zwischen den Felsen denke - und an das leckere und mächtige Fischessen (u.a. mit Kartoffelsalat) in den Markthallen. Leider sind bei meiner Abfahrt in der Mittagszeit mit dem "Collectivo" (Linientaxi) zum Flughafen von Tacna in Peru wider Erwarten alle Geschäfte zu, wie gern hätte ich einige Liter chilenischen Weins meinen Freunden nach Lima mitgebracht -  denn der ist nicht nur besser, sondern auch um ein Mehrfaches billiger als der peruanische Wein. Im Collectivo, einem alten amerikanischen Straßenkreuzer, geht's übrigens recht lustig zu: Während ich bei meiner Bahnfahrt nach Tacna vor zwei Jahren das "Schmuggeln"

von Mehl und Trockenpilzen beobachten konnte, werden jetzt Textilien illegal nach Peru eingeführt. Und das ganze Taxi ist daran beteiligt! Eine 37-jährige Frau, Antonia..., wie ich aus der Passagierliste entnehme, hatte einen riesigen in Tücher eingewickelten Packen mit allem Möglichen zu verstauen. Stapelweise läßt der Fahrer billige (chinesische) Frotteehandtücher und anderes hinter dem Armaturenbrett und sonstwo verschwinden, und ich selbst "übernehme" auch einiges. Nach der Grenze zähle ich vor, was ich unter meinem Hemd und in den verschiedenen Taschen verstaut hatte: fünf Handtücher und zwölf Damenschlüpfer. Und ich erzähle, wie ich mich einmal an der innerberliner Grenze komplett ausziehen mußte, hier kommt immerhin das wohl nicht infrage.

Anders als vor zwei Jahren fliege ich diesmal auch von Tacna nach Lima, schade, daß ich allerdings dabei nichts von der grandiosen Küste "unten" sehe. Trotz der eingangs erwähnten Panne mit der Reservierung komme ich schließlich von Lima doch noch nach Europa, vor dem Abflug nach der Zwischenlandung in Caracas erlebe ich allerdings erst noch einmal bange drei Stunden erlebt, ob es überhaupt klappt: Totales Chaos und alles war überfüllt! Schließlich bekomme ich einen Platz unter den Rauchern, was in der Nacht bisweilen sehr lästig ist. Beim Überflug über die Bretagne entdecke ich morgens dann den Mont St. Michèl und den Platz, wo wir an Pfingsten gezeltet hatten - phantastisch! Dem Zoll in Frankfurt gebe ich meine Alpacapullover und anderes im Wert von DM 250 an, DM 6,70 Zoll muß ich dafür bezahlen. Mein Auto finde ich heil und ohne Strafmandat vor und "natürlich" fahre ich nicht auf direktem Weg nach Blatzheim, denn schließlich ist ja erst Sonnabend, sondern über Heidelberg, Saarbrücken, Trier... In Trier besuche ich eine liebe Freundin meines Vaters aus der alten ermländischen Heimat Frau Dora P. - und sie erzählt mir von ihrem Briefwechsel vor ganz kurzer Zeit mit Pater Canisius aus Potosí!

Das war's also! Und wie immer - was hat's gekostet? Der Flug war diesmal ziemlich teuer - knapp 2000 DM (mit der venezuelanischen Gesellschaft VIASA). Und dann kamen noch die Flüge innerhalb Südamerikas, etwas mehr als 1000 DM. Die sonstigen Kosten dürften so um die 1500 US$ betragen haben, also etwa 2200 DM inklusive der Souvenirs. Ich glaube, für das, was ich gesehen und erlebt habe, war das doch so ungefähr die unterste Grenze, was man für eine Reise nach Südamerika rechnen muß.

Und nächstes Jahr? Ich weiß es noch nicht. Gern würde ich ja auch wieder einmal etwas ganz anderes machen, vielleicht sogar Europa?

In den Herbstferien soll es erst einmal mit meinem Auto und drei meiner jungen Freunde nach St. Petersburg gehen. Die Karten für die Fähren in Skandinavien habe ich schon, nur mit der Einreise nach Rußland ist das immer noch nicht so einfach. Wir werden ja sehen, ob es klappt!                   

(Website basisreligion mit basislexikon, basisdrama, basisgesprächen, basisreisen)