Südamerika 1990
Diesmal war Südamerika einfach "dran"! Natürlich hatte ich davon gehört, daß Touristen gerade in Peru ausgeraubt und sogar umgebracht worden waren, auch war ich wie im vergangenen Jahr von einem Kollegen als Katastrophentourist bezeichnet worden, aber wenn man die wenigen Opfer dort mit den Zigtausenden von Verkehrstoten in unseren Ländern, über die niemand spricht, vergleicht, wäre da die Ablehnung einer Fahrt nach Peru etwa nicht eigentlich fast schon paranoid? Und schließlich war ich oft schon vor irgendeiner Fahrt gewarnt worden - und ich war trotzdem gefahren - und es war "vor Ort" dann alles gar nicht mehr so "wild" wie in China im vergangenen Jahr zum Beispiel. Also hin! Die Begegnung mit Menschen, Landschaft und Kultur dort durfte ich mir nicht länger vorenthalten! Wie auch sonst, bat ich in meinem Reisebüro (Flugexpreß, Köln), mir Verbindungen herauszusuchen, bei denen der Hinflug möglichst bald nach Ferienbeginn und der Rückflug möglichst knapp vor Ferienende lag - und die auch noch besonders günstig waren. Etwa eine Woche vor Ferienbeginn war dann der gewünschte Flug verfügbar: mit der venezuelanischen Fluglinie Viasa, die auch inzwischen ganz ordentlich geworden sein soll, für 1650 DM ab Frankfurt. Und vom Abflug bis zur Rückkehr hatte ich dann genau sechs Wochen. Auf der Hinfahrt gab es etwa 1 Tag Unterbrechung in Caracas, der Hauptstadt Venezuelas, aber das war mir nur recht, schließlich war ich dort ja auch noch nicht. Ansonsten waren die einzigen Vorbereitungen der Fahrt der Kauf eines Reiseführers (Rainer Lössl, Peru-Bolivien, leider erwischte ich eine drei Jahre alte Ausgabe, weswegen ich über die nur im Ausland zu kaufenden günstigen Flugtickets innerhalb Perus nicht informiert war) und die Besorgung von Dollars (1000 bis 1300 hätten gereicht). Auf Reiseschecks verzichtete ich, damit lag ich auch ganz richtig. Was den Umfangs des Gepäcks betraf, hielt ich mich an die Regel, die ich auch im vergangenen Jahr schon befolgt hatte, daß man in die Dritte Welt nur mit einer Plastiktüte losfährt und alles andere am Zielort kauft (meinen Daunenschlafsack hätte ich doch mitnehmen sollen). Bekanntlich bin ich ja ein Fanatiker von möglichst wenig Gepäck! Lediglich zu einem Koffer und zu meinem altgedienten Seesack entschloß ich mich, beides wollte ich in Lima in einem Hotel lassen, schließlich ist es vorteilhaft, wenn man auf der Heimreise hier beim Zoll nicht auch noch mit nagelneuen Gepäckstücken auftaucht, denen jeder ansieht, daß sie aus einem Land mit günstigen Angeboten von Textilien und nicht zuletzt auch mit Cocaanbau stammen! - Als ich in meinem Führer sah, daß dort zu 7 Impfungen geraten wurde, unterzog ich mich keiner - und auch auf eine Reiseapotheke verzichtete ich, schließlich gibt es ja in jedem Dorf eine Apotheke, die gerade das hat, was notwendig ist und zu erheblich günstigeren Preisen als bei uns. Meine Wohnung wurde wenigstens während eines Teils der Ferien von meiner Leipziger Freundin (der Nachbarin eines verstorbenen Großonkels) versorgt, der ich dankbar war und die froh war, auf diese Weise dem Leipziger Sommersmog zu entrinnen und zu einer zusätzlichen Sommerfrische zu kommen. Zunächst war sie aber recht fassungslos über meine Reisevorbereitungen, alles, woran sie meinte, mich erinnern zu müssen, hielt ich für nicht notwendig. Mein Auto stellte ich auf demselben Parkplatz in Kelsterbach wie im vergangenen Jahr ab - eine Station mit der Bahn vom Flughafen Frankfurt entfernt, auf einem der berühmten "Langzeitgratisparkplätze" - und das war eigentlich in diesem Jahr der einzige gröbere Fehler, aber dazu später!
Caracas/Venezuela Das Flugzeug war tatsächlich recht ordentlich - der Film im Bordkino war allerdings üblicher Kitsch für einen breitestmöglichen Geschmack. In Caracas hatte ich überhaupt keine Schwierigkeiten, billig und bequem vom Flughafen in die etwa 40 min entfernte Stadt zu kommen. Es ist da ja immer das Problem, wohin ich eigentlich in einer fremden Stadt will. Wenn ich ein Taxi nehme, muß ich ja ein Hotel angeben, aber welches? Überlasse ich das dem Taxifahrer oder suche ich aus irgendeinem Führer ein Nobelhotel und/oder bestelle ich von hier aus? In Caracas ist das alles überhaupt kein Problem: Da ist ein Flughafenbus, mit dem man bis zur Endstation in der Stadt fährt (da weiß man wenigstens bei der Weiterfahrt, wo man wieder einsteigen muß), und da sucht man sich dann zu Fuß ein Hotel. Und was ich fand (Rio Bravo, Av. Lecuna), war auch nicht teuer (mit Bad und Toilette), und nett waren die Leute auch noch. Daneben war ein uriges Restaurant, wo ich auch das einzige weiche und dicke Steak während der ganzen Reise aß (incl. Bier für ca 3,50 US$)... Caracas selbst machte auf mich einen sehr amerikanischen Eindruck, die Wolkenkratzer, die Straßenkreuzer, die breiten und noblen Boulevards, aber auch die etwas schmuddligen Straßen etwas abseits. Zur Sonntagsmesse war ich in der (neueren) Kathedrale, danach bummelte ich durch die Altstadt im Kolonialstil und fuhr mit der (neuen) U- Bahn (frz. Herkunft, sehr modern) spazieren.
Lima Beim Weiterflug ärgerte ich mich, daß ich Flughafengebühr (10 $) zahlen mußte - war der Aufenthalt in Caracas nicht im Grunde "nur" durch den eigentlich ungünstigen Anschluß verursacht? Ich kam leider nicht auf die Idee, schon einmal zu protestieren. Und dann ging der Flug nach Lima so spät abends, daß ich auch von meinem schönen Fensterplatz nichts mehr hatte. Bammel hatte ich vor der späten Ankunft in Lima, ich sah mich schon in dunklen Straßen überfallen und ausgeraubt. Und dann wußte ich ja auch wieder nicht genau wohin. Von einem Freund hatte ich den Tip erhalten, das Hotel Sandia in der Jeron Sandia anzusteuern, aber mit dem Taxi vom Flughafen so aufs Geratewohl dorthin? So stellte ich mich dorthin, wo viele Leute warteten, und schließlich kam auch ein Bus, der mir auch die Mitfahrt nicht verweigerte. (Wie ich später feststellte, war das der Flughafenpersonalbus, der um diese Zeit als einziger Bus nur noch verkehrte, aber dem Fahrer war mein Trinkgeld offensichtlich sehr recht und ich war wenigstens schon einmal in der Stadt. Die normalen Busse halten übrigens nicht direkt am Flughafen, sondern etwa 200 m davor außerhalb des eingezäunten Areals, für dessen Befahren die Fahrer auch eine "Flughafentaxe" bezahlen müssen.) Das Anschlußtaxi, das ich bald anhielt, war eine rechte typische Schrottmühle, aber der Fahrer war so nett, daß er mich in der dunklen und gespenstischen Jeron Sandia erst einmal im Auto ließ, um sich beim Hotel zu erkundigen, ob sie noch Platz hätten - und es war dann auch alles klar! Die ersten Schritte in einem fremden Land, über das ich noch dazu eigentlich nur Ungutes gehört hatte, und dann noch bei Nacht, sind halt immer die aufregendsten! Drei Tage blieb ich dann in Lima, sicher zu viel für diese Stadt, die von vielen als nicht sonderlich sympathisch bezeichnet wird, aber schließlich mußte ich mich ja erst einmal einleben. Und die Märkte (fast überall), die Kirchen, einige Museen, der Plaza des Armas (auf den man wie auf den Tiananmenplatz in Peking im vergangenen Jahr nicht durfte) mit der Kathedrale - irgendwie hatte das ja alles für mich auch seinen Flair und lohnte sich im Grunde doch! Lima wurde 1535 von Pizarro gegründet und 1542 Hauptstadt des Vizekönigreichs Peru, das damals außer Brasilien im wesentlichen ganz Südamerika umfaßte. Den Reichtum dieser Stadt und ihrer Bewohner vernichteten besonders Erdbeben der Jahre 1687 und 1746. In ganz Lima, von dem die Altstadt nur ein winziger Teil ist, leben heute etwa 5 Mio Einwohner, viele davon in Elendsvierteln am Rande, die ich allerdings nur bei der Durchfahrt mit Bussen gesehen habe, hineingetraut habe ich mich natürlich nicht. Beeindruckend hier wie auch sonst in Peru und Bolivien sind oft die mit phantastischen Ornamenten gemeißelten Fassaden der Kirchen und die vergoldeten Holzaltäre in den Kirchen, die die ganze Altarwand einnehmen. In der Idee der spanischen Theologie des 16. und 17. Jahrhunderts bilden diese Altäre sozusagen die Kulisse für das heilige Schauspiel, das auf dem Altar in der Messe stattfindet. Auf ein anderes heiliges Schauspiel stieß ich im Inquisitionsmuseum, das in den alten Gebäuden dieser früheren fürchterlichen Institution untergebracht ist. Der Gerichtssaal hat eine der schönsten Barockdecken der Welt (Holz, über 30 000 Teile), aber in den weiteren Räumen hängen dann Bilder von Autodafes (Ketzerverbrennungen), Ankündigungen dieser Autodafes mit den Namen der Verurteilten und der Angabe ihrer Verbrechen (ich erinnere mich an einen Afrikaner, der nur einen Vornamen hatte, verurteilt wegen Bigamie) und dann auch lebensgroße Modelle von Foltersituationen. Da kommen einem natürlich so die entsprechenden Gedanken... Von einem Freund, dem Maler und Bildhauer Wolf Gößler aus Graz, hatte ich einige Adressen erhalten von Österreichern, die ich in Peru besuchen könnte. Warum nicht? Unter den Adressen war auch der Besitzer einer Fleischfabrik in Lima (Firma Braedt), also hin. Bei der Hauptpost half man mir, herauszukriegen, wo die Adresse war, in der großen Stadt überhaupt ein Wunder, daß sich irgend jemand auskannte. Gleich am ersten Tag fuhr ich nachmittags mit einem Linienbus hin, schließlich war ich ja neugierig, wie so eine deutsche Fleischfabrik in Peru aussieht. Da es bei meiner Ankunft schon dunkel war (wegen der Äquatornähe viel früher als bei uns), war alles geschlossen und niemand öffnete auf mein Klingeln. Doch fuhr wenigstens ein Herr in einem Auto auf mich zu und fragte (auf Spanisch), was ich wollte, worauf ich in Deutsch antwortete. Na, der Herr war sozusagen der deutsche Techniker des Unternehmens (Norbert H.), mit dem und mit dessen Frau ich mich gleich anfreundete und wo ich dann auch sozusagen einen Stützpunkt der Reise hatte. (Für Freunde, die auch eine Reise planen und die keinen solchen Stützpunkt haben: Auch die (kleinen) Hotels sind bei der Aufbewahrung von Gepäck und von Wertsachen sehr zuverlässig.) Es war richtig lieb, wie ich mich sehr schnell und unkompliziert in der Familie aufgenommen wurde, ich fühlte mich wie unter alten Freunden. Und das in einer Gegend, wo man eigentlich jedem mißtraut! Die Fabrik liegt in einem Industrieviertel im Osten Limas, alle Fabriken ähneln eigentlich mehr Festungen mit hohen Mauern oder Gittern (und oben bewehrt etwa mit spitzen Eisendornen in allen Richtungen), mit Wachtürmen und Beobachtungserkern, nachts natürlich alles wie früher die Zonengrenze angestrahlt (dieses Licht hier funktioniert durch eigene Generatoren auch immer, selbst wenn in Lima komplett oder viertelweise der Strom abgeschaltet wird!). Obwohl es meistens dunkel war, wenn ich meine neuen Freunde in der Fleischfabrik besuchte, hatte ich in der Gegend eigentlich keine Furcht vor Überfällen, Norbert sagte mir, im allgemeinen würde auch nichts passieren, da die Leute, die hier und in der Nähe wohnten, alle bereits irgendeinen Besitz hätten, daher sozusagen etabliert seien und nicht mehr für eine Beraubung anderer infrage kämen. Gefährlich sind eigentlich nur die Habenichtse (mein Vater meinte ja auch immer, daß Hitler eben deswegen so gefährlich war, weil er ein Habenichts war). Die Fleischfabrik wird beliefert von einer firmeneigenen Rinderzucht in Oxapampa auf der Ostseite der Anden, wohin ich auch noch wollte, und von einer Schweinezucht in der Nähe Limas. Das Fleisch und die Wurst selbst werden in deutscher (oder eben österreichischer) Art produziert und in Lima in zwei eigenen Geschäften oder über Fremdfirmen verkauft. Zur Zeit werde wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage nur ein Drittel von dem, was von der Kapazität her möglich sei, produziert. Die Firma stellt höherwertige Produkte her - und in Notzeiten geben sich die Kunden halt mit minderer Qualität anderer Firmen zufrieden. Mein Freund ist etwa seit zwei Jahren bei der Firma, wohnt auch dort in einer schönen Wohnung (aber was hat man davon, wenn man sozusagen hinter Gittern und dazu noch in einem keinesfalls schönen Industrieviertel leben muß) und ist für das Funktionieren der technischen Anlagen (Elektrizität, Verarbeitungsmaschinen, Kühlanlagen) zuständig. Das Problem der Firma in der derzeitigen schlechten Lage ist, daß kein Geld für nötige Neuinvestitionen da ist und laufend alte Anlagen geflickt werden müssen, die normalerweise längst ausgedient haben. Wenn wir uns unterhielten und das Licht ausging, verschwand Norbert immer, um den hauseigenen Generator anzuwerfen. An der Weise, wie das Licht ausging, konnte er mir erklären, ob eine offizielle Stromabschaltung vorlag oder ob die Hochspannungsleitung zu einem der Wasserkraftwerke jenseits der Anden wieder einmal von Terroristen in die Luft gesprengt worden war (denn dann flackert das Licht erst einige Zeit bis es ganz ausgeht, weil dann ja die zerstörten Kabel sich erst einmal berühren und Funken schlagen...). Die Leitung der Firma und die verantwortlichen Positionen liegen komplett in den Händen von Europäern und Amerikanern, die Indios seien dafür nicht geeignet. Da Problem ist, daß die Indios nicht zuverlässig seien und kein Verantwortungsbewußtein hätten. Vorurteile hin, Vorurteile her, es sei leider so. Wenn ein Arbeiter bei uns in einer solchen Fabrik etwa ab und zu eine Wurst "mitnähme", so mag das vielleicht je nachdem noch im Rahmen einer Toleranzgrenze liegen, die Indios würden aber eine solche Toleranzgrenze nicht kennen, die versorgten immer gleich ihre ganze Verwandtschaft - und das ginge dann eben nicht mehr. Und Verantwortungsbwußtsein sei eben auch bei einer verantwortlichen Arbeit notwendig (dieses Bewußtsein hätten sie übrigens auch nicht im Privatleben, wenn sie etwa zwei Kinder hätten, ließen sie diese und ihre Frau im Stich...). Und wenn ein Indio einmal in unserem Sinne fähig sei, etwa wie der Verkaufsleiter von Volvo, werde er von Terroristen umgebracht, wie während meiner Fahrt durch Peru geschehen. Woran das mit dem mangelnden Verantwortungsbewußtsein liegen mag, ob hier etwa Mentalitätsunterschiede vorliegen, darauf werde ich noch später zu sprechen kommen.
Östlich der Anden Inzwischen hatte ich mich auch informiert (etwa bei der Führerin durch die Dominikanerkirche), welche Gebiete Perus man besser zur Zeit als Tourist nicht bereist, und danach einen Plan für die weiteren Unternehmungen gemacht. Zunächst wollte ich über den berühmten Galera-Paß (Galera heißt wenigstens die höchstgelegene Bahnstation der Erde auf dem Paß, 4780 m, man ist in Peru und Bolivien aber sehr oft in diesen Regionen) nach Oxapampa in einem tropischen Gebiet, das zum Amazonasbecken gehört, um weitere Freunde meines österreichischen Freundes zu besuchen, um dann von dort wieder in nordwestlicher Richtung mich zur Küste durchzufriemeln und schließlich nach Lima zurückzufliegen. Auf einer zweiten Rundtour wollte ich dann bis Cuzco, der alten Hauptstadt des Inkareiches, fliegen (um dabei das Wirkungsgebiet des maoistischen und terroristischen Sendero Luminoso, des Leuchtenden Pfades, zu vermeiden), mich dort dann etwas umsehen und dann über den Titicacasee und der Hauptstadt Boliviens, La Paz, und einem Abstecher nach Chile nach Lima zurückzukehren. Für beide Touren hatte ich gut fünf Wochen, was so gerade ausreichend war. Die erste Rundtour begann ich nicht mit der (obligatorischen?) berühmten Eisenbahnstrecke, nach meinem Führer und auch anderen Informationen hätte ich da wohl im einem überfüllten Zug stehen müssen, außerdem würde ich wohl auch Anschlußprobleme für die Weiterfahrt haben. Und mit einem Bus, für den es schließlich Platzkarten gab, kam man ja auf durchaus vergleichbarer Trasse auch noch höher - und die Eindrücke sollten nach dem Buch genauso grandios sein. Ehrlich, eigentlich hatte ich ja mehr erwartet, im Grunde war es ein normaler Hochgebirgspaß mit eben vielen engen Kurven. Die unterschiedlichen Vegetationszonen schienen mir hier nicht so eindrucksvoll wie später noch auf meiner Fahrt. Eigentlich war die Paßhöhe viel zu schnell da, hinter der Paßhöhe waren dann die Berge unheimlich durchwühlt, in Peru wird vor allem Zink und Blei abgebaut. Ziel meines Busses war zunächst La Merced, eine kleine Stadt in bereits tropischem Gebiet, das heißt also, daß es jede Menge tropischer Früchte gab. Nach Oxapampa, wohin ich ja wollte, gab es wenigstens an meinem Reisetag keine direkte Verbindung, ich mußte in La Merced eine Nacht verbringen. Schlimm war das ja aber auch nicht. Überall sah ich Geschäfte, die Kaffee an- und verkauften. Noch war ich mißtrauisch bei der Hotelsuche, aber mein Mißtrauen war völlig überflüssig, es war alles ganz prima - und extrem billig. Wenn das Hotel in Lima etwa knapp unter 10 DM gekostet hatte (mit Bad und Toilette), kosteten die Hotels während der übrigen Fahrt zumeist noch nicht einmal die Hälfte, oft erheblich weniger, und ein paar Mal sogar weniger als 1 DM! Einmal hatte ich dabei selbst dann noch eigenes Bad und Toilette (allerdings nur mit kaltem Wasser)! Leider hatte ich mein Miniradio vom vergangenen Jahr, mit dem ich "Deutsche Welle" empfangen konnte, wegen der Diebstahlsangst zu Hause gelassen, gerne hätte ich ja jetzt bei dem langen Abenden in der Nähe des Äquators (es wurde schon immer gegen 6 Uhr dunkel) gehört, was zu Hause los ist. Da man sich ja nicht immer nur in eine Kneipe zum Biertrinken setzen kann (allein macht das schon gar keinen Spaß - und was ich mich mit Einheimischen in meinem angelernten Spanisch unterhalten kann, bringt auch nichts), beschloß ich, ins Kino zu gehen - englischer Film mit spanischen Untertiteln, das war doch etwas. Mal sehen, was die sich so hier ansehen und wer so alles ins Kino geht. Bis auf zwei junge Frauen waren die Zuschauer Männer zumeist zwischen 20 und 30 Jahren, alles Indios oder wenigstens so weit indianisch, daß ich keinen Unterschied erkennen konnte. Der Film war - um es ehrlich zu sagen, ein als Problemfilm getarnter Pornofilm. Ein österreichischer Soldat erinnert sich an seine Liebschaften, von denen er nicht loskommt (sie werden laufend eingeblendet), bis ihn dann ein minderjähriges Mädchen "abzulenken" versucht. Wie die Sache ausgegangen ist, weiß ich nicht, hat mich auch nicht interessiert, da ich den Film nach 20 min verlassen habe. Schade, daß ich nicht ganz vorne gesessen habe, damit alle sehen konnten, daß der "Gringo", wie nicht nur die Amerikaner, sondern zunächst erst einmal alle Weißen genannt werden, "geht". (Gringo kommt von "green" "go", das rief man irgendwann in Mexiko im vergangenen Jahrhundert den Amis zu, als sie in ihren grünen Uniformen dort einmarschiert waren.) Nicht, daß ich besonders prüde wäre, aber ich fand, die Handlung des Films war einfach zu primitiv, der Zweck des Films zu billig. Interessant waren für mich eigentlich die Überlegungen, was das für Leute sein müssen, die in solche Filme gehen und die dann bei den kirchlichen Hochfesten aber begeistert (?) an allen möglichen Prozessionen und Wallfahrten teilnehmen. In einem anderen Kino gab es, wie ich später sah, einen Film über den in El Salvador von regierungsnahestehenden Kräften ermordeten Erzbischof Romero. Schon eine merkwürdige Auswahl an Filmen für einen Kinofan von La Merced. Nach Oxapampa ging's auf echten unbefestigten Gebirgsstraßen durch die tropische Landschaft. An der Stelle einer Schlammlawine mußten alle Passagiere den Minibus verlassen und ein Stück zu Fuß gehen - ich blieb natürlich erst einmal in der Lawine mit einem Fuß stecken. In der Gegend um Oxapampa hatten sich unter unsäglichen Mühen im letzten Jahrhundert einige Rheinländer und Tiroler angesiedelt, so soll auch heute noch in Pozuzu, noch einmal vier Stunden hinter Oxapampa fast nur deutsch gesprochen werden und man soll sich dort auch von der Art der Häuser her nach Tirol versetzt vorkommen. In Oxapampa erinnert auch noch einiges an die "deutsche Vergangenheit", ich sprach auch mit einem Herrn, dessen Großvater Deutscher war und der auch noch recht gut deutsch konnte. Zwei deutschstämmige Freunde meines Grazer Freundes waren leider nicht da, der eine war in Lima, der andere nach Paraguay weitergezogen, doch etwa 6 km entfernt im "Busch" fand ich die Familie von Rosa und Alfredo, wo mein Freund wohl einige Zeit gewohnt und auch geschnitzt hatte. Die Begegnung mit dieser Familie (dem Aussehen nach eher europäisch, aber der Lebensweise nach wie Indios) war so richtig lustig, ich wurde durch Garten und weitere Umgebung geführt, mir wurde alles gezeigt von den Bananenstauden, den Kaffeestauden, den Maniokpflanzen (Yuka nennt man die hier) bis schließlich zu den Schnitzstudien von Wolf sowohl auf dem Dachboden wie im Garten. Ich erkannte diese stets dem Ausgangsholzstück angepaßten Arbeiten natürlich gleich als die meines Freundes, hier hatte er besonders Skelette modelliert. Sowohl Rosa und Alfredo wie auch die Leute in Oxapampa fragten mich immer wieder, warum denn Wolf "nur immer" Skelette schnitzen würde. Ich wußte das auch nicht. Jedenfalls setzten sich Rosa und Alfredo gleich hin, um Briefe zu schreiben, die ich an Wolf mitnehmen könnte - warum, konnte ich mir denken. Als mich Rosa und Alfredo schließlich zum Bus begleiteten, verkauften sie bei ihrem Krämer 1,7 kg Rohkaffee (wie man mir sagte, ist der Kaffee aus dieser Gegend der beste Kaffee in Peru) für etwa 1 DM - und soviel kostet auch beinahe das Briefporto nach Europa (und in den 1,7 kg Kaffee steckt viel Arbeit, ich hatte mich ein wenig an der Arbeit beteiligt). Hier bei uns gibt es ja sogenannte Dritte-Welt-Läden, die den Kaffee teurer verkaufen, damit die Produzenten mehr verdienen. Eine Lösung ist das aber m.E. für die Dritte Welt auch nicht, eine Lösung könnte nur eine grundsätzliche Erhöhung der Kaffeepreise sein, damit dann alle Produzenten in der Dritten Welt mehr verdienen, denn das hätten eben alle nötig. Als ich dann in einem ganz aus Holz gebauten Hotel ein Zimmer gefunden hatte, erzählte mir der Junge, der mein Hotel managte, irgend etwas davon, daß die Restaurants alle nichts taugten und daß ich besser zu seiner Familie gehen sollte, warum auch nicht? Und dort war es wieder bestens, die Leute schienen recht wohlhabend, auch standen viele Bücher im Bücherschrank, darunter eine mehrbändige Geschichte des 2. Weltkriegs. Und ich war wirklich gleich in der Familie eingegliedert. Einem hübschen Mädchen (Marlene, 25, Englischlehrerin, die als zahlender Gast in der Familie wohnte) mußte ich ihre Deutschlektionen (aus einem uralten Buch fotokopiert, unmöglicher Unfug) auf Tonband sprechen und dann kam auch mit dem Hausherrn das Gespräch auf den tollen Hitler, den wir doch gehabt hätten und wie man ihn verkennen würde... Und wieder waren meine Spanischkünste gefordert! Glücklicherweise hatte ich mir einen der günstigen Spanischkurse, die es kurz vor der Ferien bei Aldi gab, besorgt und noch zu Hause angefangen zu lernen - und genau die Worte aus den ersten Kapiteln konnte ich auch gleich gebrauchen, allerdings paßten die nicht auf diese Themen des Hausherrn! - Am nächsten Morgen war ich zum Frühstück eingeladen, dort ging es dann mit Marlene ein wenig um mich (warum ich unverheiratet sei, ob ich auch eine Peruanerin heiraten würde, worauf ich meinte, daß da aber erst noch einige Briefe gewechselt werden müßten...) und um Religion, ich erlebte auch gerade, wie sie sich mit Mormonen verabredete. Da muß ich auf der Fahrt auch noch Leute für unsere Kirche "retten"! Die Sekten haben ja in Südamerika großen Zulauf, aber nicht, weil sie etwa etwas Besseres bieten als die etablierte katholische Kirche, sondern weil wegen des Priestermangels die Gläubigen nicht recht versorgt sind. Ich bin ja gespannt, ob ein Briefwechsel mit Oxapampa in Gang kommt... Um weiter zu kommen, mußte ich erst einmal zurück bis auf den Hauptkamm, also fast bis Galera. In der Bergarbeiterstadt La Oroya (3700m) war wieder eine Übernachtung fällig - nieseliges Wetter und kalt, und ich atemlos wegen der Höhe! In einem zugigen Häuschen auf dem Dach eines Hotels war noch Platz - und erst lange nach dem Einschlafen wurde mir unter 4 Decken warm. Da hält einen dann nichts, weiter! Über eine Hochebene nach Cerro de Pasco (4300m). Da Sonntag ist, gehe ich in die Kirche, ein langgestreckter Bau, ärmlich aber ordentlich. Vorher hatte ich mir auf dem Markt eine wollene lange Unterhose gekauft, die ich mir anläßlich des Geldwechselns in einem Laden auch gleich anzog. Was hätten wir als Kinder wegen so einer kratzenden Unterhose geschimpft - und was war ich hier froh! Solche Unterhosen sind übrigens in dem kalten Klima der Anden höchst praktisch, dadurch kann man statt der schweren Jeans sich mit leichteren Hosen begnügen, trotzdem kann man sich erforderlichenfalls wärmer anziehen. Nach der Messe fand da auch noch auf dem Hauptplatz (Plaza des Armas, so heißt der immer in Peru) eine Parade statt anläßlich irgendeines Nationalfeiertags. Zuerst wurde eine riesige Fahne in einem Demonstrationszug wie ein Trampolin auf den Platz getragen und gehißt. Und dann gab's die Parade, zu der eine Indiokapelle mehr schräg als schön spielte. Und alles, was irgendwie eine offizielle Institution war, vor allem natürlich die Schulen und das (örtliche) Militär, marschierte zu der Musik im Stechschritt an der Fahne vorbei! Natürlich auch die kleinen Mädchen, deren "Anführerinnen" jeweils statt der Gewehre (?) weiße Stäbe trugen, die sie in einiger Entfernung von der Fahne nach oben und kurz vor der Fahne dann waagerecht zur Fahne reckten. Irre. Nur die Mädchen ab 15/16 machten keinen Stechschritt, die marschierten normal, aber sonst in der gleichen Anordnung natürlich in ihren Schuluniformen (weiße Bluse und grauer oder brauner Rock mit breiten Trägern, die hinten gekreuzt waren, die Mädchen, die Jungen so ähnlich in kurzen bzw. langen Hosen). Die Pullover wurden erst wieder nach der Parade angezogen. Wenn nur die Kälte und der teilweise stärkere Regen nicht gewesen wäre. Immerhin konnte ich hinter einem ärmlichen Indioviertel, alles irgendwie im spanischen Kolonialstil, noch einen Blick auf die riesige tiefe Zinkerzgrube ("Que mineral aqui?" "Zinc!") werfen. Die Weiterfahrt ging dann wieder in wohnlichere Gegend, vergleichbar mit Oxapampa, von dort auch nur durch einen Gebirgszug getrennt, über den aber schlecht zu kommen war. Ich muß sagen, von dem Städtchen (oder besser der Stadt), in die ich jetzt kam, Huanuco, war ich irgendwie begeistert. Sommerlich, schöne Anlage, gepflegter Platz vor der Kathedrale und vor allem originelles und gepflegtes Hotel (Hostal Huanuco, Kolonialstil). Abends erlebte ich noch eine Prozession mit einer hellerleuchteten Christusfigur, der Generator für den Strom wurde hinterhergekarrt und das Motorengeräusch wurde nur wenig durch die begleitende Marschmusik (ich wurde an Spanien und Süditalien erinnert) überdeckt. Es waren wenige Leute, die an dieser Prozession teilnahmen, allerdings nicht nur aber doch vor allem alte. Vor einer Diskothek war längerer Halt, die jungen Leute standen unbeteiligt herum, nicht viel anders, als wenn eine solche Prozession bei uns wäre. Wenigstens kam ich wegen der Prozession spätabends noch in die wunderschön restaurierte Dominikanerkirche hinein. Einem Mitreisenden zuliebe hätte ich vielleicht in Huanuco einen Tag pausiert, so aber nahm ich die nächste Gelegenheit wahr, weiter zu fahren. Und mein Führer stimmte auch, nach seiner Anweisung kam ich zu dem Bus nach La Union (8 Uhr) gerade zurecht. Ich bekam sogar einen Platz ganz vorne für die Aussicht auf die gebirgige Landschaft, selbst die steilsten Berge waren überdeckt mit Feldern. Problematisch für die Umwelt empfand ich, daß es so gut wie keine Bäume gab, Wälder schon gar nicht. Und die Straße war wieder unbefestigt, eng, kurvenreich und oft sehr schlecht. Wo die so überall mit regelrechten großen Bussen herumkurven! Für die 150 km brauchte der Bus 7 1/2 Stunden, wie immer in dieser Gegend war ich der einzige Nichtindio im Bus. Und ich glaube, auch in dem Städtchen La Union war ich der einzige Nichtindio! Hier war wirklich der Hund begraben, selbst im "nobelsten" Hotel lief nichts. Das Essen im zugigen Restaurant war nicht doll, das Bett, in das ich mich um 8 Uhr bei Kerzenlicht flüchtete, wurde auch nicht so recht warm. Trotzdem ließ ich mich nicht davon abhalten, am nächsten Morgen von dem Städtchen in 3100 m Höhe auf eine Hochebene in der Nähe auf 3400 m (eine "Pampa") zu wandern, um sehenswerte Inkaruinen ("Huanuco Viejo") zu entdecken. Und ich war wirklich begeistert: Von dem Weg auf die Höhe durch eine schöne Schlucht, dann über die Pampa mit Gras, Feldern und Einzelhäusern, und schließlich die großzügige Anlage mit für mich den ersten Mauern in der Inkabauweise mit den fugenlos angepaßten Steinen. Und ich war - sicher seit längerer Zeit - einziger Tourist. Da war mir dann auch gleichgültig, daß ich bei der Rückkehr nach La Union feststellen mußte, daß ich an demselben Tag aus dem elenden Nest nicht herauskam, weil der einzige Bus in meine Richtung nur morgens ging. Hätte ich doch wenigstens mein Radio dabeigehabt! Ziel war jetzt die Gegend um Huaraz, dem berühmten Ski- und Bergsteigergebiet, wohin auch von Deutschland und Österreich aus Bergsteiger fahren und das auch sehr gut von Lima zu erreichen ist. Und zunächst wieder einmal ein grandioser Paß (4300m), bei der Abfahrt stoppt der Fahrer plötzlich: Bei den linken Hinterrädern hatten sich die Radmuttern gelöst und der äußere der Zwillingsreifen war schon ein wenig den Abhang hinuntergerollt. Drei der Radmuttern wurden gefunden, drei weitere wurden von anderen Rädern genommen, und schließlich hält ein Rad ja auch mit 6 Muttern statt der von der Industrie (die ja sowieso alles überdimensioniert) vorgesehenen 10 (bis zur nächsten Panne). Zur Mittagspause stoppte der Bus in Chiquian, ich folgte einigen jungen Leuten, es ging in die Markthalle, wo es wie überall in Südamerika Essensstände gab. Eigentlich war auch diese Andenstädtchen im Kolonialstil bezaubernd, eigentlich viel zu schade zum schnellen Weiterfahren! Und dann noch einmal auf die Höhe mit lauter Sechstausendern im Hintergrund, und an einer Kreuzung steigen einige Leute (zumeist Mädchen) und ich bei einigen Häusern in 4080 m Höhe aus, um auf der Straße Lima-Huaraz einen Bus zu stoppen. Der einzige, der kommt, ist ein nobler, der braust durch, schließlich hält ein LKW. Die Mädchen dürfen ins Führerhaus, alle andern auf die Ladefläche. Glücklicherweise läßt mich ein Junge mit unter seine Decke, denn in der Höhe ist's abends ziemlich frisch. Bevor ich in den Touristenort Huaraz will, möchte ich kurz davor unterbrechen und einen Abstecher in östliche Richtung nach Chavin, einem Ort mit einer eher idyllischen Tempelanlage machen, der einer Kultur den Namen gegeben hat, die etwa zwischen 900 v. Chr. bis 600 n.Chr. existierte. Der Ruinenkomplex mit pyramidenförmigem Kultbau (wie ein Schweizer Käse von Gängen durchlöchert) und quadratischen und runden Plätzen (fast wie in griechischen Tempelanlagen) gilt als das älteste Steinbauwerk in Peru. Ähnlich wie Olympia wurde auch hier die Anlage von einer Schlammlawine überdeckt und so bis zur Ausgrabung in den vierziger Jahren konserviert. Doch bevor ich nach Chavin komme, muß ich erst einmal in dem Dörfchen Catac an der Straßenabzweigung übernachten, da der einzige Bus, der noch kommt, keine Plätze mehr hat (Einheimische drängen sich in den Bus und fahren stehend mit, aber 5 Stunden, und dann bei Dunkelheit ohne Aussicht...?) Ich finde auch eine Art Hotel, ein etwa zehnjähriges Mädchen zeigt mir mein Zimmer, das nach einem offenen Innenhof geht, es erklärt mir alles, indem es darauf zeigt, Spanischunterricht! Die Decke der Kammer besteht aus einem Baumwolltuch, von innen wird das Zimmer mit einem handgeschmiedeten Riegel verschlossen. Licht und warmes Wasser bei der Waschgelegenheit und in der Dusche im Hof sind Luxus und daher überflüssig. Aber es geht mit einigen zusätzlichen Decken. Dafür kostet das Zimmer nur etwa 1 DM. Da muß ich doch noch etwas zu meiner Ausrüstung sagen: Da ich ja mit Minimalgepäck reise, bleibt mir auch zwecks Wäscheersparnis nichts anderes übrig als weitestmögliche Hygiene, und die auch in dem nun wirklich kalten Wasser. Da ich mich da aber wenigstens abtrocknen muß und andererseits kein nasses Handtuch einpacken will, sei für die Lösung dieses Problems hier einmal meiner Cousine Katharina gedankt! Sie gab mir nämlich vor 20 Jahren bei einer gemeinsamen Fahrt den guten Tip, grundsätzlich keine Kopfkissen zu benutzen. Dann hat man auch von vornherein keine Probleme mit den unterschiedlichen Kissen und Rollen in den verschiedenen Ländern. Den größeren Vorteil dieses Verfahrens hier in Peru erahnte meine Cousine damals noch gar nicht: Da es in den einfachen Hotels fast nie Handtücher gibt, kann man die Kissenbezüge als Handtücher verwenden! Irgendwann nimmt am anderen Morgen alle diejenigen, die in einem Restaurant auf eine Fahrgelegenheit warten (ich bin der einzige Tourist), ein LKW mit. Die Fracht besteht aus "Bulgur", wie auf den Säcken steht, die als Geschenk aus den USA nicht zum Verkauf zugelassen sind, es wird irgendein Sojaprodukt sein. Der Fahrer fährt wohl zum ersten Mal eine solche Straße, wie ich sie schon langsam kenne, er verziert den ansonsten ziemlich neu aussehenden LKW mit einigen Schrammen. Natürlich geht es wieder in die Regionen über 4000 m, ein abenteuerlicher Tunnel (in ihm ist die Straße noch schlechter als draußen, vor allem riesige Pfützen, schon eher Seen) und dann wieder grandiose Landschaft. Rechts und links gehen in die Felsen immer wieder Stollen, man findet hier sogar Kohle, allerdings wohl bloß für den Hausgebrauch. Nach der Besichtigung der Ruinen besichtige ich das Städtchen Chavin und erfahre, daß der Pfarrer ein Ausländer sein soll, sogar ein Deutscher. Also hin. Doch er, in Wirklichkeit ein Österreicher, ist nicht da, statt dessen treffe ich den Diakon, "Bruder Pedro", einen Belgier, der sich ganz offensichtlich riesig über meinen Besuch freut, und mir alles, was wichtig ist, berichtet. Das größte Problem ist, daß der österreichische Pfarrer von der Terrororganisation Leuchtender Pfad erschossen werden sollte und nur durch beherztes Eingreifen einiger Gemeindemitglieder gerettet wurde, allerdings mußte er den Ort verlassen, den jetzt eben Bruder Pedro betreut. Für die Sonntagsmessen kommen Priester von wo anders. Bruder Pedro frage ich auch nach den Hilfssendungen, die ich da auf dem LKW, mit dem ich kam, gesehen habe. Er ist gar nicht gut darauf zu sprechen. Die Bedenken, die ich aus ökonomischen Gründen habe (damit machen wir ja nur die einheimische Wirtschaft kaputt), sind für ihn Nebensache, er sieht vor allem, daß die meisten Leute, die daran teilhaben, gar nicht wirklich arm sind. Wenn einer eine Herde Schafe hat, ist der arm? Und der bekommt auch seinen Teil von der Hilfssendung. Und dann passiert es immer wieder, daß einer die Ration für seinen angeblich kranken Nachbarn mit abholt, und nachher kommt der Nachbar, der gar nicht krank ist, und bekommt nichts mehr - und der schönste Krach ist da. Und dann ist es auch vorgekommen, daß der Bürgermeister, der die Sachen verteilen sollte, sie lieber an seine Schweine verfüttert hat. Auch der Bischof, ein Amerikaner, habe durch großzügige Spenden seiner Schwester aus Kalifornien, Hilfssendungen besorgt, aber auch hier alles für die Leute eher von Nachteil als von Vorteil. Wir hier in den Industrieländern sollten lieber weniger landwirschaftliche Produkte produzieren und dafür mehr und zu besseren Preisen aus Dritte-Welt-Ländern importieren. Mein Hotel (hübsch) liegt gegenüber der Kirche neben dem Rathaus. Und morgens ist da großer Auftrieb, wie ich erfahre, eine "Massenhochzeit". Das interessiert mich nun wirklich. Also ich erfahre, daß die Regierung besondere Tage eingerichtet hat, an denen für Hochzeiten keine Gebühren entrichtet zu werden brauchen (selbst die geringen Gebühren von Hochzeiten sind für die Indios eben viel Geld). Irgendwie wollen die Behörden offenbar Anreize schaffen, um die Standesregister der Wirklichkeit anzupassen und dafür zu sorgen, daß die Kinder, die so geboren werden, schließlich doch "ehelich" sind. Denn ich erfahre, daß das mit den Ehen hier recht durcheinander läuft, irgendwie scheint das schon zu stimmen, was mein Freund Norbert in Lima dazu sagte. Die 100 Paare, die hier heiraten, sind wohl alles ähnliche Fälle wie die meiner jungen Leute zuhause in Deutschland, erst wurde einmal "probiert". Jedenfalls nutze ich die Gelegenheit und gehe zwischen den Leuten vor dem Rathaus herum, die eifrig Formulare ausfüllen. Während die Herren eigentlich immer wenigstens noch eine kriggelige Unterschrift zustande bringen, nehmen die Frauen ihre vorher aufs Stempelkissen gedrückten Daumen... Und was sagt die Kirche dazu, frage ich Bruder Pedro. Ach da habe man auch einmal solche "Massenhochzeiten" organisiert, sei aber davon inzwischen wieder abgekommen. Den Bus (den einzigen an diesem Tag) lasse ich sausen, schon Pedro zuliebe gehe ich hier noch in die Kirche, schließlich ist ja Sonntag. Und hier bin ich wieder einmal voll integriert! Rechts neben mir die Frau stillt ihr Kind, links neben mir eine andere, vor mir wieder eine... Und beim Friedenskuß umarmen sich alle. Nach der Messe helfe ich Pedro beim Zählen der Kollekte (an diesem Sonntag geht sie als Peterspfennig nach Rom), es ist weniger als 1 US$, obwohl die Kirche ziemlich voll war (peinlich für mich, so viel kann meine Gabe also auch nicht gewesen sein, in dem Ort gab es allerdings tatsächlich Schwierigkeiten mit dem Wechseln. Es gab keine Geldwechseler und in der Bank wußten die Mädchen auch nicht den aktuellen Kurs. So schlug ich einen guten Kurs vor, den sie dann auch akzeptierten...). Um wieder von Chavin weiterzukommen, sprach ich den Fahrer des Busses an, der vor dem Ausgrabungsgelände wartete, der verwies mich auf einen Lehrer, denn es handelte sich um eine organisierte Fahrt, eine Schulfahrt. Natürlich durfte ich mit - und der Lehrer plazierte mich auch gleich zwischen Mädchen (so um die 20) die Englisch konnten. Da kam mir doch alles bekannt vor! Und ich war natürlich mitten in meinem Unterricht! Teresa, Fanny, Mylady, Maribell, Milagros (=Wunder) hießen meine "neuen" Schülerinnen. Ja natürlich, es ist doch unvermeidlich, daß man ausgefragt wird und erzählt, wie das bei uns läuft und es man sich bei uns mit der Religion vorstellt. Und was in Peru so läuft (da läuft religiös noch weniger als bei uns, wenn man von den kultischen Veranstaltungen absieht). Ich hatte den Eindruck, daß die jungen Damen, mit denen ich mich unterhielt, genau dieselben Probleme hatten wie meine Arzthelferinnen oder Industriekaufleute, und daß hier auch genau dasselbe religionspädagogische Konzept erforderlich wäre, von dem ich so träume. Als wir schließlich vor dem Tunnel (derselbe wie auf der Hinfahrt) zur Fotopause hielten, nahm ich eine von den jungen Damen auf die Arme (die waren einfach alle zu klein für ein vernünftiges Foto) - darüber war dann der Busfahrer offensichtlich sauer, er konnte ja schließlich nicht ahnen, womit wir uns die ganze Zeit so intensiv beschäftigt hatten! Jedenfalls verabredeten wir uns in Trujillo, wo sie alle wohnten und wohin ich auch noch wollte. Die Fahrt der jungen Leute war übrigens so organisiert, wie ich auch gern eine Klassenfahrt einmal organisieren möchte: nämlich außer der Busfahrt gar nicht! In Chavin hatte der Lehrer einen leeren Saal im Rathaus organisiert, wo die jungen Leute ihre Schlafsäcke ausbreiteten (manche schliefen lieber im Bus), im nächsten Ort war es ähnlich. Dafür kostete die etwa einwöchige Fahrt dann eben so um die 12 US$. Schade, hier in Deutschland würde so eine originelle Fahrt nie genehmigt werden, obwohl sie unseren verzärtelten jungen Leuten gewiß nicht schaden würde! Was könnte man mit einem solchen Minimalaufwand nicht alles noch viel mehr unternehmen! (Immerhin mache ich Fahrten nach dieser Methode ja schon mit kleineren Gruppen!) In Huaraz war ich wieder in der Zivilisation und fand auch zum erstenmal auf dieser Fahrt nicht auf Anhieb ein Zimmer, wohl vor allem deswegen, weil Wochenende war. (Schließlich bekam ich ein schönes in dem etwas abseits gelegenen Edmund's Inn, dieses Hotel war auch in meinem Führer empfohlen.) Was sollte ich länger als eine Nacht in diesem Berg- und Skitouristenort, also ging's gleich am nächsten Tag - Samstag - weiter in nordwestlicher Richtung zur Küste. Wieder sollte die Fahrt etwa einen Tag dauern - und sie lohnte sich wieder einmal. Zunächst ging es nach Norden in demselben Tal, in dem auch Huaraz liegt. Rechts und links neben der (guten) Straße Wälder und Felder, dahinter die Kulisse der Sechstausender. Die Gegend hier wird nicht umsonst in den Führern mit der Schweiz verglichen. Daß die Schönheit auch ihre tragische Seite hat, bekam ich in Sekundenschnelle vor Augen geführt, als der Bus eine spärlich bewachsene freie Fläche überquerte. Da stand ein monumentaler Doppelbogen mit der Aufschrift "Campo Santo Yungay". 1970 hatte sich bei einem Erdbeben ein Drittel des Huascarangletschers gelöst, und das Städtchen Yungay und die Nachbarortschaft waren von einer riesigen Eis-Fels-Schlamm-Lawine dem Erdboden gleichgemacht worden. 20 000 Menschen sind dort verschüttet, wo ich gerade drüberweg gefahren bin. Welche Wucht hinter der Lawine stand, kann man sich kaum vorstellen, um zu dem Ort zu gelangen, mußte sie erst einmal einen 200 m hohen Berg hinaufrutschen. Nach Caraz im Norden des Santatals (das war der Name des Tals, hier ist es noch viel schöner als in Huaraz), wird das Tal immer enger - bis schließlich im Canon del Pato die nördlichen und die südlichen Kordilleren nur noch durch den reißenden Fluß getrennt sind und die Straße (wieder so eng wie schon frühere Straßen auf meiner Fahrt) zahlreiche Tunnels benötigt. Unser Bus ist (wie auch der Gegenbus) so ungefähr das einzige Fahrzeug auf dieser Straße, es sieht so aus, als ob sie für den nichtkommerziellen Verkehr gesperrt ist. Glücklicherweise sitze ich auf der richtigen (nordöstlichen) Seite des Busses: Ich kann mich gar nicht sattsehen, unten der schäumende Fluß und gleich dahinter bis sozusagen unendlich nach oben die Felswände. Wirklich wildromantisch! Gegen Ende des Tals werden die Felswände in allen möglichen Farben immer mehr durch riesige Geröllhänge abgelöst, durch die oft genug die Straße (die übrigens auf der Trasse einer früheren Eisenbahn angelegt ist) geht. Bei den recht primitiven Dörfern am Ende des Tals zur Küste, das hier recht fruchtbar zu sein scheint, fallen mir die vielen Fernsehantennen über den Dächern auf. Dank eines Wasserkraftwerkes, an dem ich im Santatal vorbeigekommen bin, gibt es hier Elektrizität - und die bringt dann eben zunächst einmal den zweifelhaften Fortschritt des Fernsehens. Der Anschluß in der Küstenstadt Cimbote, der Endstation meines Busses, klappt, wie er nicht besser klappen könnte: Ich steige an dem Haltepunkt meines Busses an der Ausfallstraße (hier bin ich auch zum erstenmal auf der Panamerikana, also der Straße, die an der Ostküste ganz Amerikas von Alaska bis nach Feuerland entlang führt) in einen Linienbus ins Zentrum (die Tarife dieser Busse sind für stets nur Pfennige), der "Schaffner" (also der, der das Geld kassiert) zeigt mir etwa die Gegend, wo meine nächste Verbindung zu finden ist, und die Leute, die ich dort dann weiter frage, zeigen hektisch auf einen (feudaleren) Reisebus, der schon angefahren ist, dessen Tür jedoch noch offen ist. Noch nicht einmal zum Geldtauschen hatte ich Zeit. Ach ja, darüber muß ich auch etwas sagen. Geld tauscht man in Peru nicht auf der Bank, auch im allgemeinen nicht bei einem Geldwechselgeschäft, sondern am Markt oder sonstwo auf der Straße. An ihrem Taschenrechner und den dicken Geldbündeln in der Hand erkennt man die fliegenden Geldwechsler, falls sie einen nicht direkt ansprechen: "Cambio Dollares?" Ja, es war richtig, daß ich nur bare Dollar auf die Fahrt mitgenommen hatte und die Geldgeschäfte auf der Straße sind auch offiziell erlaubt. Denn bei der Inflationsphase, die ich erlebte, ging es im Grunde nur so, daß man täglich nur das tauschte, was man auch bald verbrauchte. Um einen Begriff von der Inflation in Peru während meiner Fahrt dort zu haben, kurz zwei Zahlen: Als ich in Peru ankam, bekam ich für einen Dollar 60 000 Intis, als ich nach sechs Wochen abfuhr, gab es 140 000 Intis (und der Inti hatte vor einigen Jahren den "Sol" abgelöst, der auch so zerrüttet war wie der Inti jetzt). Und inzwischen ist das so weitergegangen... Die Menschen hoffen, daß es mit ihrem neuen Präsidenten Fujimori besser wird. Vorerst wird es jedoch erst einmal noch schlimmer, wie ich, jetzt Mitte August aus den Nachrichten erfahre. Mein Ziel von Cimbote aus ist Moro, wo ich den österreichischen Pfarrer besuchen will, dessen Adresse ich wie auch die des Geistlichen im Nachbarort Jimbe von meinem Grazer Freund erhalten hatte. Mich interessieren natürlich auch immer Informationen, die möglicherweise meine unmittelbaren eigenen Eindrücke in ein anderes Licht rücken. Und da muß ich die Gelegenheit, die sich bietet, nutzen, vor allem, wenn sie sozusagen auf dem Wege liegt... Nachdem ich dem Pfarrer, Father Pablo Fink, gesagt habe, wieso ich gerade ihn aufsuche, gibt er mir auch gleich das Gästezimmer auf dem Dach neben seiner Wohnung und den Schlafsälen von etwa 40 Jungen, die, um in Moro zur Schule gehen zu können, hier wohnen müssen, weil ihre Familien zu weit im Gebirge leben. Father Pablo nimmt sich auch gleich Zeit, um sich mit mir zu unterhalten. Natürlich fühle ich mich ein wenig in der blöden Situation dessen, der da für ein paar Tage in ein fremdes Land kommt und sich gleich ein vollgültiges Urteil über alles leistet... Aber soll ich deswegen gleich von vornherein auf jeden Versuch einer Urteilsfindung verzichten? Mein Gastgeber kommt von ganz allein auf die Probleme zu sprechen, die es in seiner Gemeinde und überhaupt in Peru gibt. Er führt die Schwierigkeiten auf Mentalitätsunterschiede zurück. Nachdem ich mich einige Tage nach diesem Gespräch dann in Trujillo noch einmal für einen ganzen Nachmittag mit "meinen" Mädchen getroffen und mich unterhalten habe, sehe ich das mit dem Mentalitätsunterschied nicht mehr so bedeutend, ich meine zu erkennen, daß die Menschen dort in Peru (und auch sonst in Südamerika) halt etwa anders auf die Verfallserscheinungen unserer christlichen Religion reagieren, aber durchaus innerhalb des Spektrums, das auch bei uns zu erkennen ist. Die Hinführung der Menschen zu erfüllten Beziehungen zu Partnerschaft und Familie liegt nämlich ganz offensichtlich genauso im Argen wie bei uns. Neue Freunde unterwegs, die auch in anderen Ländern Süd- und Mittelamerikas waren, erzählten mir etwa, daß in Costa Rica 70 % aller Frauen, die ihr erstes Kind bekommen, erst einmal ledig sind. Und es ist ja auch keineswegs so, daß sie mit dem Vater ihres Kindes später zusammen bleiben, im Gegenteil. In Peru dürfte das alles nicht anders sein. Meines Erachtens haben wir überall auf der Welt diese ganz vordringlichen "irdischen" Fragen stets zu sehr nur im Hinblick auf unser Verhältnis zu Gott (oder zu Göttern!) gesehen und viel zu wenig in ihrer zwischenmenschlichen Dynamik. Die Folgen dieser Fehlentwicklung sind bei uns in den sogenannten Industrieländern wohl eher, daß wir uns in unsere Arbeit als wichtigstem Lebensinhalt hineinsteigern und dann weiter in einem mehr oder weniger hemmungslosen Konsum zu verdrängen versuchen, was uns eigentlich im Leben fehlt. Die Menschen in den armen Ländern dagegen verfallen in gewisse Lethargie und hoffen auf Wunder oder auf ein besseres Jenseits. Nicht umsonst ist das bedeutendste Fest in Peru das des "Senor de los Milagros" (des "Herrn der Wunder") Mitte Oktober, wo wohl zwei Millionen Limaner in violetten Gewändern (manche auch mit Dornenkronen) herumlaufen und eben bei Jesus gerade die Wunder am bedeutendsten finden, was sie ja nicht sind. Na, gut oder nicht. Am Sonntag bin ich dann nach dem Kirchbesuch (Moro soll wohl die schönste Kirche der ganzen Gegend haben, das leicht surrealistische Kruzifix an der Altarwand, das mein Feund Wolf geschaffen hat, wird von der Gemeinde als "Christus in der notleidenden Dritten Welt" gedeutet) nach Jimbe zu dem anderen Österreichischen Geistlichen, Dr. Lukesch, gefahren, und in ihm kam ich mit einem Anthropologen in ein für mich sehr informatives Gespräch: Dr. Lukesch hatte vor seiner Tätigkeit hier in Peru einige Jahre im Amazonasgebiet bei einem Stamm gelebt, der zuvor noch mit keinem Europäer in Kontakt gekommen war. Das Interessante an diesem Stamm war die vollständig eigene Kultur gegenüber allen anderen Nachbarstämmen und das bei einer Bevölkerungsszahl, die sich seit Menschengedenken etwa bei 70 Menschen stabilisiert hat (durch alle möglichen Methoden der Empfängnisverhütung etwa). Über die Forschungen sind in Graz entsprechende Bücher erschienen. Wieder in Moro zurück, sagten mir die beiden Ordensschwestern, die neben dem Pfarrhaus in einem Haus unter anderem auch einige Mädchen versorgen, daß sie mich auch zum Besuch einiger Familien mitgenommen hätten. Sie erzählten mir, daß das Problem der Familien sei, daß die Mädchen nicht konsequent die Schule besuchen könnten, weil sie immer wieder zuhause arbeiten müßten. Deswegen würden sie öfter das Klassenziel nicht erreichen und sitzen bleiben. So wären sie dann mit 14 noch in der vierten oder fünften Klasse. Und darunter litte wieder ihr Selbstbewußtsein und sie wären deswegen anfällig für die Schöntuerei der Jungen mit ihnen und für die entsprechenden Affären. (Aha, das sind also Mädchen, die irgendwann einmal mit einem Mann zusammenleben und derentwegen dann der Staat ab und zu eine matrimonio massimo arrangiert - wenn's gut geht. Und wenn's nicht gut geht, dann sind das die Frauen, die in die Städte abwandern...) Sicher weiß ich aber noch nicht alles. Es gibt also genug für ein nächstes Mal! Doch weiter! Am Montag per Anhalter auf der Ladefläche einer Camionetta (also ein PKW mit Ladefläche) nach Cimbote, von dort mit Linientaxi bis Trujillo (wann und womit man fährt, erfährt man eigentlich immer wo), wo ich mir gleich die Ruinen Chan Chan, der Hauptstadt des Chimu-Reiches ansah (höchste Blüte im 13. und 14. Jahrhundert, schließlich erobert von den Inkas, indem sie der Stadt regelrecht das Wasser abgegraben haben). Chan Chan war zu seiner Zeit die größte Stadt in ganz Südamerika - und komplett aus Lehm gebaut, der mit dem Saft des großblättrigen Feigenkaktus (Opuntia), bei dem aus einem Blatt immer mehrere Blätter sprießen und den wir auch vom Mittelmeergebiet her kennen, besonders haltbar gemacht wurde. Oben liefen die Mauern spitz zu, damit ihnen der Regen, der etwa alle fünf Jahren hier sintflutartig fällt, nicht so viel ausmachen konnte. "Oskar", ein Fremdenführer, führte mich durch den bedeutendsten Teil der Ruinen, nachdem ich schon allein durch die Ruinen der sogenannten Ciudelas, der rechteckigen Stadtteile mit einer Kantenlänge von 200 bis 400 m, gegangen war. Wie bei anderen Völkern der Küste stand auch hier der Mondkult im Vordergrund, außerdem spielte der Wasserkult eine wichtige Rolle (bei den Völkern im Gebirge spielte dagegen der Sonnenkult die größere Rolle). Anschließend fuhr ich mit dem städtischen Linienbus weiter in das Fischerdorf Huanchaco (auch touristisch angehaucht), wo ich am Strand des Pazifiks entlangspazierte. Die berühmten "Caballitos de Tortora" (zu deutsch "Schilfpferdchen") konnte ich nur am Strand aufrecht stehend sehen und nicht in Benutzung, wie die Fischer auf ihnen im Meer regelrecht "reiten" und dabei die Fische fangen. Und abends fuhr ich dann zu Teresa, einem der Mädchen aus dem Bus von Chavin. Ich war doch zu neugierig, wie eine Lehrersfamilie in Peru wohnt (ihr Vater, eben ein Lehrer, war vor einigen Jahren allerdings gestorben). Sie war nicht zu Hause und da die Unterhaltung mit ihren Geschwistern (vor allem älteren, zumeist verheiratete Schwestern) auf Spanisch nicht so recht fluppte, war ich froh, als ich auf dem Radio die Deutsche Welle hereinbekam und ich wieder wußte, was in Europa los war. Als Teresa schließlich kam, tranken wir noch meinen mitgebrachten Wein mit der ganzen anwesenden Familie und meine neue Freundin erzählte mir, daß sie ihre Familie über unser ganzes Gespräch im Bus informiert hatte! Nach der Schule am nächsten Tag trafen wir uns wieder (sie hatte zwei ihrer Freundinnen mitgebracht - alle in Schuluniform) - und die jungen Damen führten mich zuerst in zwei Pinakotheken (Gemäldesammlungen der Klöster der Hauptkirchen) mit interessanten Bildern aus der Vergangenheit der Klöster, aus vielen Bildern atmete eine geradezu erschreckend arrogante Selbstherrlichkeit sowohl der Klöster als auch unseres ganzen Glaubens. Natürlich lud ich die jungen Damen in ein Lokal ihrer Wahl zum Essen ein, sie führten mich in ein "Chifa", also in ein chinesisches Restaurant mit durch Vorhänge abgeteilten Kabinen, irgendwie war das für mich alles zu lustig! Die ganzen Spesen betrugen keine DM 10,-! Am Nachmittag fuhren wir dann zusammen zu weiteren Ruinen aus der Chimu-Kultur, vor allem zur Huaca del Dragon, einer Kultanlage in der Form eines Pyramidenstumpfes mit jeder Menge phantastischer Ornamente. Und dann war da noch ein Privatmuseum unter einer Tankstelle (Museo Cassinelli), das man nach meinem Führer nicht auslassen durfte, da es in ihm eine einmalige Sammlung kostbarer Mochica- und Chimu-Stücke gab. In den Kulturen West-Südamerikas wurden nämlich als Grabbeigaben vasenähnliche Gefäße den Toten mitgegeben, auf denen alle möglichen Gegenstände und Situationen modelliert waren, so Tiere, Pflanzen, Götter, Szenen aus Haus und Arbeit. Besonders auffällig für uns sind die Darstellungen aus dem Sexualleben vor allem der Mochica-Kultur - da gab es offenbar nichts, was es nicht gibt! Ich wurde etwas an die Szenen an den indischen Tempeln erinnert, nur war alles hier anders als dort absolut häßlich, unästhetisch, fies, abstoßend dargestellt. Nie sehen sich die Personen auf diesen Gefäßen an und der Gesichtsausdruck ist stets blöde und primitiv. Als die Mädchen erfuhren, daß der Eintritt in Dollar zu entrichten sei, wollten sie mich nicht mit dieser Ausgabe belasten, ich merkte wohl, daß sie lieber das Geld für etwas anderes hätten! Nur Teresa kam mit - und natürlich ging, als wir unten waren, auch noch das Licht aus, worüber wir uns sehr amüsierten! Wir überlegten, ob wir nicht zwei Kopien von solchen Vasen, die ich bei der Tempelanlage zuvor gekauft hatte, gegen Originale hier austauschen sollten oder da war doch noch etwas, aber das hier in dem Keller steckte uns nun doch keinesfalls an! Jedenfalls habe ich meinen angehenden Fremdenführerinnen zur Hausaufgabe gegeben, sich ein bestimmtes Buch zu besorgen (auszuleihen), in dem die merkwürdigen Plastiken interpretiert werden, und mir das Ergebnis mitzuteilen. Ich schätze ja, daß der Grund der Plastiken ursprünglich einmal kultisch war, daß das ganze später aber vulgarisiert wurde, so etwa, wie der Alkohol-, Drogen und Nikotingenuß ursprünglich irgendeiner Gottesverehrung diente, später dann aber nur noch zur platten Triebbefriedigung gebraucht wurde. Ich bin ja gespannt, ob und wie die jungen Damen ihre Hausaufgabe lösen! Am nächsten Tag (mein Hotel war diesmal so nobel, daß jeden Morgen unter der Tür die neueste Wirtschaftszeitung durchgeschoben wurde) ging's dann mit dem Linientaxi nach Chiclayo, der nördlichsten Station meiner Reise. Zunächst war ich einziger Passagier, die etwa dreistündige Fahrt machte das Taxi, um in Trujillo gedruckte Zeitungen nach Chiclayo zu bringen. Da das Auto in einer Polizeikontrolle aufgefallen war, fuhr mein Fahrer auf der Strecke gleich beim "TÜV" vorbei. Der Plakettenverkäufer kam aus seinem Büro gar nicht erst heraus, die Plakette kostete etwa 75 Pf und damit war der TÜV für das Jahr 1990 erledigt! Und die "Panamericana" war hier teilweise so mit Schlaglöchern übersät, daß der Fahrer statt auf der Straße durch die Wüste nebenbei fuhr. Ja, auf der Westseite der Anden ist zumeist mehr oder weniger ausgedehnte Wüste, da es hier je nach der Entfernung vom Äquator ganz selten oder nie regnet. Wasser kommt in dieses Gebiet nur durch Flüsse, die von der Ostseite der Anden kommen, da sich dort alle Wolken aus dem Amazonasgebie ausregnen. Vom Humboldtstrom des Pazifiks vor der Küste Chiles, Perus und Equadors kommt sozusagen nur ein wenig Dampf, sonst aber gar nichts. Chiclayo reizte mich deswegen, weil in der Nähe inmitten von Zuckerrohrfeldern vor einigen Jahren ein Grab entdeckt wurde, das nur mit der Entdeckung des Tut-ench-Amun-Grabes vergleichbar ist. Und nachdem ich im Frühjahr schon in Ägypten war, war jetzt natürlich das hier fällig. In meinem Führer stand davon noch nichts, aber ich fand dennoch in die Richtung des Grabes, von der Straße aus war es dann noch ein schöner Spaziergang durch die Zuckerrohrfelder. Schön war, daß für die Besichtigung - besonders die von Einzeltouristen - noch nicht alles so perfekt durchorganisiert war, und zum Glück halten sich ja in Peru die Preise in Grenzen, auch wenn sich einem allein ein Führer widmet. Was mir der Führer, offenbar jemand, der auch unmittelbar an den Ausgrabungen beteiligt war, auf Spanisch erzählte, verstand ich auch so ungefähr. Die Ausgrabungen in dem Gebiet hier finden sozusagen im Wettlauf mit Huaqueros (von "Huaqua" = Grab) statt, und glücklicherweise war man bei einem ganz bedeutenden Grab, eben dem des "Senor Sipan" den Huaqueros zuvorgekommen. Zuerst wurden mir ausgeplünderte und auch weniger bedeutende Gräber gezeigt und dann schließlich das des Senor Sipan, dessen Originalausstattung zur Zeit in Mainz restauriert wird, jedoch alles in Kopie am ursprünglichen Platz zu sehen ist. Mit in dem Grab fand man noch die Überreste von 4 geopferten Frauen zwischen 20 und 30 Jahren jeweils auf der Kopf- und Fußseite, zwei geopferten Männern zwischen 30 und 40 rechts und links, und zwei Lamas und einem Hund unter den Menschen. (Die Kopie des) Senior Sipan selbst liegt in prächtiger Prunkkleidung in der Mitte. Nach dieser bedeutenden Sehenswürdigkeit fuhr ich von Ciclayo aus noch in das nahe Städtchen Lambayeque (es gibt auch eine Kultur mit diesem Namen), wo der Deutsche Hans Heinrich Brüning zu Beginn dieses Jahrhunderts ein Museum über die peruanischen Kulturen initiiert hat, das wirklich sehenswert ist. Nur - es war wegen Geldmangels geschlossen. Doch wie das so in Peru ist, heißt das nicht, daß man auch wirklich nicht hinein kann. Man muß erst einmal nur den Hintereingang finden und dann Geduld haben. Der Direktor des Museums war nämlich zur Zeit in Lima, um für weitere Subventionen zu bitten. Zuständig für Sondergenehmigungen war in der Zwischenzeit seine Frau - und ich bekam meine Genehmigung, schließlich bin ich ja nicht irgendwer! Ein Junge schloß mir dann nach 45 min endlich die Türen zum Tresorraum auf, wo wirklich sehenswerte Goldfunde lagen, dann führte er mich auch durch das übrige Museum. Sicher war das Museum nicht so reichhaltig wie das Goldmuseum, das ich am folgenden Tag in Lima besuchte, dafür übersichtlicher und besser beschrieben. Schade um die 45 min, die mir bei der Besichtigung wegen der Warterei fehlten, denn ich war etwas in Eile, weil ich den Ausflug nach Lambayeque so auf den Vormittag gelegt hatte, daß ich noch ein Mittagflugzeug nach Lima bekommen konnte - doch Pustekuchen, als ich in Ciclayo am Flughafen war (den man übrigens vom Stadtzentrum auch zu Fuß erreichen kann), war der Flug auf den späten Abend verlegt... So habe ich dann noch gemütlich in einer Chifa gegessen und den bedeutenden sehr umfangreichen Markt von Ciclayo entdeckt. Nur nicht ärgern, zumal ich jetzt hier feststelle, wie schön die Schmucksachen sind, von denen ich dort viel zu wenig gekauft habe und die hier reißende Abnehmer finden würden ("Herr P., haben Sie uns auch was mitgebracht?"). Schon vor dem Flug traf ich Metta, eine Dänin, die auch von so einer Rundtour wie die von mir nach Lima zurückkehrte und die mir von ihrem Hotel "Roma" im Zentrum von Lima so positiv berichtete, daß ich gleich dort blieb, nachdem sie gefragt hatte, ob noch etwas frei war, schließlich war es schon spät. Der Vorteil dieses Hotels war die Lage ziemlich mitten im Zentrum, während mein altes Hotel günstiger zu den Abfahrtsstellen der meisten Busgesellschaften lag. Wie man's macht, ist's wahrscheinlich falsch!
Nach Cuzco und auf die Hochebene der Anden
Freitag, den 6. August, war ich dann wieder in Lima, buchte den Flug nach Cuzco, fand schließlich zum Goldmuseum (mein Führer hatte es richtig beschrieben, aber viele Leute wußten offenbar nichts Genaues über die Lage und hatten mich erst einmal herumgeschickt) und besuchte abends noch meine deutschen Freunde Andrea und Norbert in ihrer Fleischfabrikfestung (dabei verfuhr und verlief ich mich ziemlich gründlich in dunkelster und wildester Gegend), schließlich mußte ich ja auch noch einmal an mein Dollardepot. Das Goldmuseum ist m.E. ein Muß, aber man wird von der Fülle sozusagen erschlagen: ein kulturhistorisches Ausstellungsstück neben dem anderen im "Keller", der größtenteils als Tresorraum ausgebaut ist. Darüber im Erdgeschoß eine riesige Waffensammlung mit Beispielen von so ungefähr allem, womit man mit Pulver und Blei schießen kann. Beim Rundgang traf ich auf einen jungen Bayern, der sich seit einem halben Jahr auf Südamerikatrip befand, der mir schaurige Geschichten über die Gegend am Titicacasee erzählte (aus dem Zug hatte man eine zerstückelte Leiche gesehen) und dem Peru offenbar leid war. In Nazca an der Pazifikküste dann war er so verunsichert, daß er beim kurzen Verlassen des Busses sein Gepäck an irgendeinem Busgestänge angeschlossen hatte. Schöne Aussichten waren das ja. Doch ich hatte mich nun einmal entschlossen, also hin! Meiner Bitte, mich am nächsten Morgen in meinem Hotel zu wecken, da mein Wecker defekt war, war nicht entsprochen worden. Ich mußte nämlich recht früh los, da mein Flugzeug um 7 30 Uhr abflog. Ausgerechnet diesmal wurde ich erst spät wach, und als ich dann kurz nach 7 Uhr loshetzte, wartete der Taxifahrer. Den hatten sie vom Hotel schon bestellt, und da es einer mit einem noblen Taxi war, war die Fahrt auch recht teuer, und Handeln ging jetzt schon gar nicht mehr... Aber ich habe das Flugzeug natürlich noch locker bekommen! Verwundert war ich allerdings wieder wie beim vorigen Inlandsflug, daß ich ohne jede Personen- oder Gepäckkontrolle mit all meiner Habe so einfach ins Flugzeug steigen konnte - und das, wo man fast bei jeder Busfahrt auf dem Boden schon den Reisepaß vorlegen muß. Möglicherweise sind die Terroristen in Peru so arm, daß sie sich nicht einmal ein Flugticket leisten können, um ein Flugzeug zu entführen. Vielleicht ist ihnen das auch zu risikoreich? Der Flug über die Anden war grandios, unter mir Berge mit und ohne Schnee, irgendwo auch gehäuft Seen. In Cuzco war herrlichstes Wetter, etwa wie im Frühsommer bei uns. Hier gab es auch wieder einen ordentlichen Linienbus, in dem mir Mädchen auch gleich erklärten, wie ich mein Gepäck vor der Brust zu tragen hätte, damit ich nicht beraubt würde... Meine Hotelsuche nutzte ich gleich zum Bummel durch die ersten Kirchen und durch die alten Inkastraßen, teilweise haben die Häuser, Kirchen und Klöster noch dieselben Grundmauern wie die früheren Inkabauten. Die alten Mauern erkennt man ja an dem fugenlos aufeinandergepaßten polygonalen Mauerwerk, oft steht man vor diesen teilweise riesigen Steinen und kann nur staunen. 20-eckige Steine gibt es da - und an keiner Seite paßt ein Stück Papier in die Fugen zu den nächsten Steinen. Wie mögen die das gemacht haben? Merkwürdig, daß die spanischen Chronisten über diese Techniken nichts berichtet haben, obwohl die Spanier sich die Fähigkeiten der Inkabaumeister noch zunutze gemacht haben. Bei meiner Hotelsuche verlasse ich etwas ängstlich das unmittelbare Zentrum, um zum sehr empfohlenen Hotel Huaynapata zu gelangen, wo ich auch für 2 US$ ein sehr hübsches Zimmer bekomme. Die frühere Hauptstadt des Inkareiches Cuzco wird in meinem Führer für die schönste Stadt Perus gehalten, meines Erachtens ist ihr Nachteil, daß die Viertel des wirklichen Lebens und der Touristen im Grunde getrennt sind. Da ist nach der völligen Umgestaltung durch die spanischen Eroberer (oder besser Zerstörung) der wunderschöne Plaza des Armas mit der prächtigen Kathedrale, der Jesuitenkirche und den zweistöckigen Häusern mit den Arkaden, in der Nähe dann die anderen sehenswerten Kirchen, Klöster und Paläste - und dann ganz woanders die europäisch anmutenden Wohnviertel und wieder woanders die Viertel der Indios. Eine Drehscheibe, wo sich wenigstens einmal alles vermengt, war für mich nicht zu erkennen. So suchte ich dann abends den Flair, den ich vermißte und ging dorthin, wo die meisten Indios waren, vorbei an der Franziskanerkirche, der La-Merced-Kirche (wo meine Sonntagvorabendmesse 15 min dauerte), der Santa-Clara-Kirche, schließlich zu einem großen Markt vorbei am San-Pedro-Bahnhof, wo die Züge zu der berühmten Ruinenstadt Machu Picchu abfahren, die nie von den Spaniern, sondern erst 1911 von dem Amerikaner Hiram Bingham wiederentdeckt wurde. Ja, und da geschah es! Da wurde ich doch tatsächlich angefallen! Nicht gerade mitten auf dem Markt, aber doch durchaus noch zwischen Händlern und Passanten! Fünf oder sechs junge Männer hatten sich von hinten an mich herangeschlichen und mich schließlich angesprungen. Zwei hielten mir die Arme fest, einer versuchte, mir die Kehle zuzudrücken (nicht zu fest, denn schließlich konnte er mich ja hier sozusagen mitten auf dem Markt nun doch nicht umbringen) und zwei versuchten, von vorne an mich heranzukommen. Da es schon abends und daher nicht nur dunkel, sondern auch kalt war, hatte ich mich warm angezogen, dicke Winterjacke (in Lima für 10 US$ gekauft), Pullover, meine wollenen Unterhosen aus Cerro de Pasco, und erst darunter meine Tasche mit meinem Geld. Was sollte das also, da ich sozusagen hochgehoben wurde, strampelte ich wie wild mit meinen freien Beinen, und schreien konnte ich doch auch noch! Und die umstehenden Leute erbarmten sich meiner und rannten auf uns zu - und da ließen mich die Typen los und rannten in Richtung Dunkelheit. Irgend jemand hatte mir erzählt, daß die Indioräuber allesamt feige sind, ja also, was tut man mit feigen Leuten? Ganz klar - bluffen! Und so rannte ich den Typen natürlich hinterher, obwohl ich wußte, daß ich nach 10 m sowieso aufgeben wollte). Da rannten auch die anderen Leute mit - und siehe, meine Räuber blieben kurz stehen und sahen sich mit angstverzerrten Gesichtern nach mir um, ich glaube, die dachten, daß ich gleich meine Pi 38 aus der Hosentasche holte und daß sie allesamt geliefert seien. Irgendwie war das alles schon recht merkwürdig. Einer meiner "Retter" zückte einen Ausweis und stellte sich als Polizist in Zivil vor. Ich mußte dann in einen Krämerladen kommen und wurde dort beschimpft, warum ich auch so allein in dieses einsame Viertel käme. Ich solle doch wenigstens jetzt mit dem Taxi in mein Hotel fahren (was sollte ich doch jetzt dort, schließlich suchte ich ja ein Restaurant zum Abendessen!). Irgendwann beschloß der Polizist, mich in sicherere Gefilde zu geleiten, er lud einen Trommelrevolver und ließ mich etwa 10 m vor sich sozusagen als Köder für eine Gangsterjagd gehen - wenn wieder "ladrones" (Räuber) kämen, dann säßen sie wohl in der Falle! Glücklicherweise kamen keine und ich kam heil wieder in mein Touristenviertel. Meine Meinung zu dem Vorfall: Wenn es sich sicher bei dem Überfall auch nicht um eine touristische Einlage handelte, so hatte ich doch Glück, daß meine Räuber offensichtliche Amateure waren, denn Profis wären wohl anders vorgegangen. Und die Lehre aus diesem Vorfall? Man muß nicht, wie ich schon am Anfang schrieb, vor lauter Angst paranoid werden und sich gar nicht mehr aus dem Hotel trauen. Es reicht wohl, einige Sicherheitsregeln zu befolgen: Möglichst nicht allein gehen, Gegenden vermeiden, in deren unmittelbarer Nähe wild aussehende Grundstücke sind, wo es wahrscheinlich keine konkreten Eigentümer gibt (da wohnen dann eben die "gefährlichen" Habenichtse), nicht in diesem berühmten schlendernden Touristengang herumzubummeln, nichts besonders Wertvolles oder Auffälliges an sich zu haben. Gegen die ersten drei Regeln hatte ich mit Sicherheit verstoßen, und das war eben zu viel. In meinem Hotel hatte ich ein junges Schweizer Paar (Beatrix und Markus, die so ziemlich am Ende ihres einjährigen Süd- und Mittelamerikatrips waren) kurz kennengelernt. Sie hatten mir gesagt, daß sie am nächsten Tag eine organisierte Tour zu einigen Ruinenorten mit einem Minibus für 3 US$ gebucht hätten. Warum sollte ich da nicht mitfahren, schließlich wollte ich sowieso auch diese Tour machen. Und so fand auch ich mich zur Abfahrt neben der Kathedrale ein - und es sollte ein sehr schöner Sonntag werden ("So ein Tag, so wunderschön wie heute...") - nicht nur wegen des Sieges der deutschen Mannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft, von dem ich während der Tour erfuhr und der mich schließlich - obwohl absolut fußballuninteressiert - eine Runde Bier für den ganzen Minibus kostete. Mir ging es ja sowieso nur darum, eine Gelegenheit zu finden, bei den günstigen Preisen dort in Peru einmal einen ausgeben zu können! Das war einmal ein Tagesausflug, der wirklich klappte. Reiseleiterin und Busfahrerin in einem war Luisa, die leider alles nur in Spanisch erklärte. Ziele waren die Ruinen von Pisac, von Ollanta (auch Ollantaytambo, aber das sagen die Indios nicht) und schließlich der Sonntagsmarkt von Chinchero. Wie auch Machu Picchu liegen die Reste von Pisac und Ollanta mehr oder weniger hoch über dem Urubambatal, das zum Amazonasbecken hin ausläuft. Die Orte sind gleichzeitig Festung, Kultstätte, aber auch Ackerbauzentrum mit den berühmten Terrassenfeldern, deren Bewässerung auch heute noch funktionieren würde, wenn man sie nur "reaktivieren" wollte. Besonders schön auf einem Felsrücken 300 m oberhalb des Tals liegt Pisac, daher von dort auch wundervolle Aussicht. Und wir hatten auch Zeit, uns alles so richtig gemütlich anzusehen - auch wußte Luisa ein schönes Gartenrestaurant, wo auch gleich die beiden Schweizer, eine Holländerin mit ihrem brasilianischen Freund und ich eine gemütliche Tischrunde hatten. Auf dem Indiomarkt von Chinchero kaufte ich einen dieser wunderschönen Alpacapullover, wie mir später eine Dame sagte, sind die geometrischen Muster alle in Originalalpacafarben, d.h. es wurde Wolle von verschiedenfarbigen Tieren verwendet. Und alles für keine 5 US$. (In Cuzco hatte mir nach meinem Überfall eine Geschäftsfrau die Überfälle von Räubern und auch von Terroristen beklagt, dadurch würden letzten Endes die Touristen verschreckt, die nicht mehr kämen und so sei man froh, überhaupt noch etwas zu verkaufen.) Und obwohl einige zunächst keine Zeit für "meine" "Siegesfeier" hatten, kamen schließlich doch alle, wir waren so außer denen vom Mittagstisch noch 2 Mexikaner, 2 Italienerinnen und außer der Reiseleiterin noch 1 Peruanerin. Und alles für 5 US$ - ich rechne immer in US$, denn mit den Intis wechselte ja stets der Kurs. Schließlich kam ich auch dazu, mir Cuzco genauer anzusehen: unwahrscheinlich großzügige und großartige Klöster und Kirchen vor allem. In einer Tresorkammer vom Kreuzgang des La-Merced-Klosters steht eine goldene Monstranz, die über 1 m hoch ist, 22 kg wiegt und mit über 1500 Diamanten, 600 Perlen und weiteren unzähligen Halbedelsteinen verziert ist. Der Hochaltar (eine nicht sonderlich phantasievolle Säulenkonstruktion) der Kathedrale ist aus massivem Silber, und die Kirchen und Klöster sind voller Gemälde, oft von hoher Qualität. Cuzco ist in der Kunst bekannt durch die sogenannte Cuzco-Schule, in der sich die Einflüsse der europäischen Malerei mit indianischen Elementen vermengten. Und dann gibt es in unmittelbarer Umgebung von Cuzco auch noch großartige Befestigungsanlagen aus der Inkazeit, so die Festung Sacsayhuaman mit drei Mauerringen (alles aus diesem polygonalen Mauerwerk) und Kultstätte. Ungeklärt und rätselhaft ist auch hier der Transport der riesigen Steine, deren größter über 9 m lang ist und um die 350 Tonnen wiegen dürfte. Und dann sind diese Steine auch noch aus Granit und Porphyr. In Kenko, einem ausgesprochenen Kultort aus der Inkazeit mit einem riesigen zerklüfteten Felsklotz (überall waren offenbar Nischen und Stellplätze für Opfergaben) wurde ich an indische Kultstätten erinnert, auch stand da so ein Felsklotz, der wie ein indischer Lingam (Phallus) aussah. Die Götterverehrung läuft sicher auch ohne gegenseitige Beeinflussung in der ganzen Welt nach vergleichbarem Schema ab. Und dann endlich Machu Picchu! In den "Kreisen", in denen ich in Peru verkehrte, war es schon fast verpönt, den noblen Touristenzug zu nehmen, der für unverhältnismäßig viel Geld täglich nach M.P. (so wird Machu Picchu oft abgekürzt) fährt, zu nehmen. Und für den normalen Zug gibt es wohl auch Touristenfahrkarten, aber die bekommt man irgendwie schlecht oder nur auf abenteuerliche Weise. Also fuhr ich, wie auch andere, mit Linienbus und Camionetta wieder nach Ollanta, wo ich ja schon einmal mit dem Minibus war, und nahm von dort den Zug nach M.P., d.h. ich stieg eine Station vorher aus, weil dort die Hotels für die Normaltouristen waren. Nach M.P. kann man nur mit der Eisenbahn gelangen, das Urubambatal ist hier teilweise so eng, daß neben dem Fluß nur noch die Eisenbahntrasse Platz hat. Da es keine Straße gibt, ist die Folge, daß in Aqua Calientes, das ist der Ort vor M.P. (so genannt wegen der heißen Quellen, die es in der Nähe gibt) alle Restaurants und Hotels unmittelbar neben den Gleisen liegen, man meint, alles findet auf dem Bahnsteig statt! Besonders netten Kontakt hatte ich da am ersten Abend mit einem Psychologen aus San Diego in Kalifornien und seiner Lebensgefährtin (?) und am zweiten Abend wieder mit einem Schweizer, seiner Schwester und seiner aus Peru stammenden Frau, dann kamen dazu noch eine peruanische Fremdenführerin und ein Mexikaner. Doch zuerst zu M.P.! Mittwoch, 11.8. ist es inzwischen. Und es regnet! So ein Mist, hier in diesem engen Tal gleich neben der Eisenbahn wollte ich eigentlich keine Zeit verplempern! Schließlich läßt der Regen nach und ein junger Japaner geht los, ich mit ihm, an einem Verkaufsstand verkauft mir eine Frau einen äußerst primitiven Regenschutz. Zuerst geht es auf und neben den Gleisen zur Bahnstation von M.P., dann den Berg hoch. Mein neuer japanischer Freund summt die ganze Zeit irgendeine Melodie aus Wagners Götterdämmerung, er fühlt sich hier an die Stimmung in diesen Opern versetzt. Und es ist tatsächlich so: Hohe, steile, nebel- und wolkenverhangene Berge, und alles dicht bewachsen, soweit nicht Felspartien frei liegen. Die Anlage von M.P. liegt etwa 300 m über dem Talgrund. Von unten kann man sie nicht erkennen, von oben sieht man jedoch alles, was im Tal passiert. Schon vor den Spaniern war mit dem Bau begonnen worden, M.P. war sozusagen einer der Hauptorte der Region um Cuzco. Nach der Eroberung Perus durch die Spanier zerstörten die Indios die Zufahrtswege so gründlich, daß die Spanier, die wohl von der Stadt wußten, aber die genaue Lage nicht kannten, keinen Weg fanden. Den Bewohnern von M.P. gelang es sogar, spanische Patrouillen erfolgreich zu überfallen, auch sind spanische Söldner zu den Indios übergelaufen. Trotzdem ist es unverständlich und rätselhaft, wieso gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Inkas - ganz offensichtlich ohne jede wirkliche äußerliche Notwendigkeit - die Stadt aufgegeben haben und dann im Amazonasdschungel sozusagen versickert sind. Diese Fragen waren auch die Thematik der Bahnsteiggespräche mit der oben erwähnten Gruppe. Die peruanische Reiseführerin erklärte anschaulich, daß die Ursache der Aufgabe der Stadt offensichtlich im Kultisch-Religiösen lag. Man habe in den Gräbern im Grunde nur die Skelette alter Frauen gefunden und in einigen Häusern Kultgegenstände, die in anderen vergleichbaren Städten nicht in einunddenselben Häusern, sondern in verschiedenen weit auseinanderliegenden Tempeln gefunden wurden. Daraus konstruiert man heute, daß die Einwohner (vielleicht getrieben von der Furcht, doch noch entdeckt zu werden oder verschreckt durch ihre Priester, die ihnen irgendein Unglück prophezeiten) tatsächlich neue Wohnplätze im Amazonasurwald suchten und einige Frauen zurückließen, die weiter die Götter mit Opfern versorgten. Schließlich wurden die Frauen alt und gebrechlich und konnten nicht mehr zu den Tempeln der verschiedenen Götter gelangen, sondern verrichteten die Zeremonien gleich in ihren Häusern. M.E. kommt ganz sicher zu der "Verzagtheit" der alten Inkas, sich nicht realitätsgerecht gegen die spanischen Eroberer zu wehren (irgendwie ist es immer möglich, sich zu wehren, wenn man nur will, auch lassen sich selbst Feuerwaffen "nacherfinden", wenn man erst einmal eine Anregung hat, und die Inkas hatten ja mehr als nur Anregungen, wenn sogar Söldner zu ihnen übergelaufen waren), eine ausgesprochene Lethargie hinzu, nachdem ihre Führungsspitze beseitigt worden war. Ganz anders als bei uns in Europa fehlte bei den Inkas jegliches Gefühl für die Bedeutung und die Würde des Individuums. Alles Individuelle war komplett ausgerottet. Man sagt, daß sich im ganzen Inkareich sozusagen noch nicht einmal ein Blatt bewegte, ohne daß davon der Inka (also der Priester-Gott-König) wußte oder es sogar veranlaßt hatte. Wer da aus der Reihe tanzte, wurde unbarmherzig ausgemerzt. Bei uns im westlichen Abendland dagegen hatte das "Aus-der-Reihe-Tanzen" doch eine ganz andere Tradition. Hier hätten sich in einer vergleichbaren Situation immer Leute gefunden, die "weitergemacht" hätten, selbst wenn die Führungsspitze ausgeschaltet war. Dazu kommt die kulturelle und politische Aufsplitterung des Abendlands, die ganz anders schöpferische Entwicklungen fördert als eine völlige Gleichschalterei. (Wir kennen dasselbe Problem von China: Von dorther kommen zwar die bedeutenden Erfindungen wie Schießpulver und Kompaß, "richtig" eingesetzt wurden diese Dinge aber erst hier im Abendland. Und die berühmte Mauer schirmte ja nicht nur von Feinden, sondern auch von Anregungen von außen ab.) - Und das alles bewegte mich natürlich bei der Wanderung durch die Ruinen... (Anmerkung im Jahr 2003: Inzwischen will man herausgefunden haben, daß Machu Picchu bereits längst vor den Spaniern verlassen wurde - dadurch wird alles allerdings nicht weniger rätselhaft!) Der alte Zugang übers Gebirge (Inkaweg), den man in 3 bis 4 Tagen zu Fuß erwandern kann, hätte mich eigentlich gereizt, doch mir fehlte sowohl die Zeit, mein eigener Schlafsack und die letzte Motivation, um über die hohen Pässe (bis zu 4100 m Höhe) zu kraxeln. Erst 1942 wurde dieser Weg wiederentdeckt. Um ein wenig einen Eindruck von ihm zu bekommen, beschloß ich ihn bis zur Ortschaft Winay Wayna zurückzugehen, um dann von dort ins Tal abzusteigen und den Abendzug nach Aqua Calientes zu treffen. Also, der Weg war großartig, vor allem natürlich die Ausblicke oft ziemlich senkrecht ins Tal einige hundert Meter tiefer. An der Ortschaft Winay Wayna gibt es eine weitere Ruinenanlage mit Terrassen, ebenfalls von den Spaniern unentdeckt, auf die man nach einer Wegbiegung unvermittelt einen Blick von oben hat - und alles mitten im tropischen Bergwald. Doch als ich ins Tal wollte, sagte man mir, daß der Weg gesperrt sei. Wegen des dichten Urwalds konnte ich nicht "querbeet" zu diesem Weg ins Tal, auch fand ich keinen "Schleichweg", obwohl ich danach Ausschau hielt, schließlich darf man ja irgendwelche Verbote in Südamerika nicht so ernst nehmen. Doch daß ich hier nichts fand und den beschwerlichen langen Rückweg auf mich nahm (gegen Ende war es völlig dunkel und ich stolperte den steilen Berg zur Bahnstation hinunter und dann auch auf den Gleisen entlang, zu allem Pech waren beim Bahnhof von M.P. auch noch alle Lichter ausgegangen, so daß der letzte Lichtschein auf die Berge fehlte), war mein Glück! Ich erfuhr nämlich erst hinterher, daß "mein" Talweg wegen der Sicherheit des Wasserkraftwerks gesperrt war und die Soldaten, die das Wasserkraftwerk bewachen, die Anweisung haben, ohne Vorwarnung zu schießen... Auch in Aqua Calientes war alles dunkel, in meinem Hotel, in unserem Restaurant, wie gut, daß ich in meinem Gepäck wenigstens Streichhölzer und einen Kerzenstummel hatte! Die Rückfahrt von Aqua Calientes nach Cuzco verlief ganz unproblematisch mit der Bahn, hier gab es auch ohne weiteres Fahrkarten zu einem akzeptablen Touristenpreis. Im Zug "unterhielt" ich mich auch sehr nett mit der mir gegenübersitzenden Dame, und schon wieder sollte ich jemanden besuchen! (Das tat ich dann auch abends, schließlich war ich neugierig, außerdem hatte sie erzählt, daß sie einen Sohn hätte, der Architekt sei und der Englisch spreche. Doch der wohnte mit seiner Familie nicht bei ihr, so bekam ich dann mit Händen und Füßen heraus, daß sie einen Großhandel für Fadennudeln und Ähnliches hatte. Auch nutzte ich die Gelegenheit, wieder einmal Deutsche Welle zu hören.) Da in meinem Führer die Weiterfahrt zum Titicacasee mit der Bahn empfohlen war und nicht mit dem Bus über die "Alto-Plano-Pisten", hatte ich mir eine Fahrkarte besorgt, an Touristen wird nur 1. Klasse ausgegeben, der ganze Tag bis zum späten Abend für ungefähr 6 US$. Eigentlich hätte ich wieder ein paar Mal unterbrechen müssen, aber dann wäre ich ja nie weiter gekommen. Auf der Paßhöhe (La Raya, 4313 m) sah ich mir einmal unseren Zug genauer an, die offenbar nicht gewarteten rumänischen Waggons (gerade 10 Jahre alt) sahen aus, als wenn sie aus unserer Kriegszeit stammten, kein Wunder bei den Gleisen, die so verzogen sind, daß der Zug schon bei 60 km/h so richtig schön hin und herschaukelt), die kanadische Diesellok sah noch schlimmer aus, vor allem pustete sie auch dicke Qualmwolken in den Himmel. Und als ich gerade an der Lokomotive war, forderten mich der Lokführer und sein Begleiter auf, doch auf die Lokomotive zu steigen und anschließend auch dort mitzufahren. Ich mußte mich auch auf den Lokführersessel setzen als der Zug den Berg ohne Antrieb hinab rollte. Und ich bekam auch erklärt, welche Hebel wozu sind. Natürlich klemmte ich ein Trinkgeld irgendwohin, sicher war das auch Sinn der Aktion, selbst wenn es abgelehnt wurde. Denn die Gehälter sind wirklich nicht doll, selbst wenn man die niedrigen Lebenshaltungskosten berücksichtigt. In Cuzco hatte mir ein Schwede erzählt, daß Postbeamte etwa 40 US$ im Monat verdienen, und bei Bahnbeamten wird's nicht besser sein. Leider wollte aus meinem Waggon kein anderer Tourist meinem Hinweis folgen, daß sich die Lokführer freuen würden, wenn jemand käme, ich glaube, die hatten alle Angst, ihr Gepäck allein zu lassen, denn gerade über diese Strecke hier wird viel über die Klauerei erzählt. Gefährlich ist es aber doch wohl nur, wenn es dunkel wird, im Zug (programmgemäß!) das Licht ausgeht und die Leute schläfrig sind. Als ich von meinem Erlebnis anderen deutschen (Pauschal- )Touristen aus anderen Waggons später erzählte, waren die richtig traurig, für die wäre das etwas gewesen. Die Landschaft war übrigens während dieser Fahrt recht eintönig: Grasbewachsene Hochebene (Pampa) mit vielen Lamas oder Alpacas, ich erkenne da keinen Unterschied, dahinter schnee- und gletscherbedeckte Berge. Schön, die vielen Händler, die laufend durch den Zug kommen. Von einer Frau habe ich eine Pendelwaage aus Messing gekauft mit handgemachten Gewichten, jetzt habe ich endlich die wirklich genaue Briefwaage, die ich schon immer gesucht habe! Puno am Titicacasee war dann wirklich frisch, was bei der Höhe auch nicht verwunderlich ist: 3800 m. Mein Zimmer in dem Hotel gleich gegenüber dem Bahnhof ging wieder zum Hof, am Morgen waren alle Wasserlachen draußen gefroren... Obwohl die Fahrt mit dem Boot zu den Uros, der Ureinwohnern auf den sogenannten Schilfinseln ziemlich deprimierend sein sollte (weil touristisch verkommen), wollte ich diese Fahrt doch nicht auslassen, bevor ich weiterzog. Daher ging ich zu Fuß zum Hafen, und da ich mich ein wenig verlaufen hatte, kam ich nun wirklich an der "Kehrseite" der Häuser von Puno vorbei, erstaunlich daß der Titicacasee wirklich sonst so sauber ist. Da kein Boot mit anderen Einzeltouristen ging, schloß ich mich einer deutschen Reisegruppe an. Da gab es jetzt für diese Fahrt noch einen zusätzlichen peruanischen Reiseführer, und da dieser beobachtet hatte, daß ich nicht zu der Gruppe gehörte, wollte er jetzt von mir für den die Fahrt 8 US$ kassieren, also einen Preis, für den man fast schon ein ganzes Boot mieten konnte. Da ist es gut, wenn man eine Ahnung hat, was sonst so eine Fahrt kostet und auch kleine Dollarbeträge bei sich hat, denn er war auch sofort mit weniger einverstanden, fragte mich sogar, ob ich die Nachmittagsfahrt der Gruppe auch mitmachen wollte. Aber da drängte mich ja die Weiterfahrt. Den Ausflug zu den Uros fand ich jedenfalls informativ und längst nicht so deprimierend, wie erwartet. Die Bewohner leben auf Inseln, die aus Schilf sind oder wenigstens mit Schilf aufgebaut sind, daher kommt man sich auch beinahe wie auf einer dicken Matratze vor. Überhaupt spielt das Schilf, das an den flachen Stellen des Titicacasees in Ufernähe wächst, die absolute Rolle bei diesen Inselbewohnern, sie bauen damit ihre Häuser und ihre Boote, und sie essen auch bestimmte Teile davon. Na, wir kamen wie die typischen Touristen an, wurden schon von den Frauen und Kindern erwartet, die vor uns ihre Stickereien und Schilfflechtereien ausgebreitet hatten. Da war auch ein wackliger Aussichtsturm, für dessen Betreten wenige Pfennige von einem Jungen kassiert wurden. Ich hatte mir das alles schlimmer vorgestellt, was ich erlebte, war m.E. durchaus in Ordnung. Immerhin gibt der Tourismus den Frauen die Möglichkeit, sich etwas zu verdienen, ohne Haus und Kinder zu vernachlässigen. Männer waren keine zu sehen, sie waren wohl beim Fischen, beim Verkauf der Fische oder bei der Arbeit in Puno, oder eben bei der Fahrerei mit den Transportbooten. Denn statt der Schilfboote werden heute natürlich zumeist größere Holzschiffe mit Motoren verwendet. Ich glaube, hier muß ich einmal einige Bemerkungen zur Frauenarbeit, die ich so beobachtet habe, machen. Auf den Uros-Inseln haben die Frauen ja für das, was sie da an Heimarbeit herstellen, noch zu vielleicht angemessenen Preisen Käufer. Aber sonst? Die von den Frauen hergestellten wunderschönen Wollsachen werden doch regelrecht verschleudert. Wenn ich da bedenke, daß eine Schubkarre, die in einem Geschäft in Cuzco wirklich nach "Do-it-yourself" aussah, über 50 US$ verlangt wurden (eine viel schönere und bessere kostet bei uns im Baumarktsonderangebot dasselbe in DM und das, wo wir so um das 50-fache verdienen), dann frage ich mich, warum man statt der wenig ergiebigen Strickarbeit den Frauen in den Missionsschulen nicht etwa Metallarbeit beibringt. Denn diese Arbeit ist auch nicht schwerer als die Arbeiten, die die Frauen sonst verrichten, und bringt aber erheblich mehr, was die Frauen auch unbedingt brauchen, weil auf ihnen doch sehr oft die Last der Versorgung der Familie ruht. Zudem wären pfiffige Frauen vielleicht auch ein Ansporn für die Männer. Auch darüber kann man lange reden. In Puno zurück bekam ich auch von den Leuten, die ich nach dem Bus in Richtung bolivianische Grenze fragte, mit, wann und wo er ging und ich hatte noch Zeit, ein wenig durch den Markt und die Straßen des Städtchens zu bummeln. Besonders fielen mir auf dem Markt die riesigen Plastiksäcke mit Cocablättern auf. Keine Angst, diese Blätter werden (nach meiner Information) hier zu absolut harmlosem Tee verwendet, wie er in dieser Höhe (und in tieferen Regionen wohl auch bei Herzkrankheiten?) durchaus gesundheitsfördernd ist (ich kann noch einige Blätter im Bedarfsfall abgeben!). Und dieser Tee hat mit dem anderen Endprodukt Kokain, das ja bei uns bekannter ist, wohl genausoviel zu tun wie die Mohnbrötchen mit dem Heroin oder die Rosinenbrötchen mit dem Schnaps, nämlich im Grunde sozusagen gar nichts. Denn selbst, wenn die Indios Cocablätter kauen, nehmen sie noch dazu die Asche von der Quinua-Pflanze (die das alte Allroundnahrumgsmittel der Indios ist), damit die Blätter ihre Wirkung durch das Alkaloid, das in dieser Asche ist, entfalten. Wirklich, auch beim Cocatee muß man wieder einmal nicht paranoid werden! (In Bolivien gibt es übrigens eine Coca-Zahnpasta, da gilt dasselbe, auch die kann ich meinen Gästen zu Verfügung stellen!) Bei einer Indiofrau kaufte ich neue handgestrickte Wollsocken für ca. 80 Pf, da meine in Lima gekauften restlos durchgelaufen waren, diese ließ ich der Frau gleich da, ich schätze, daß sie repariert und erneut verkauft werden. Bei der Weiterfahrt wunderte ich mich über die vielen Kühe, die oft bis zum Bauch im etwa 12 Grad kalten Wasser des Titicacasees standen und dort Tang oder Schilf weideten. Trotz der ungewissen Weiterfahrtsmöglichkeit unterbrach ich in dem Städtchen Juli, weil dort einige ganz wunderbare Kirchen sein sollten. Leider kam ich nur in die San-Pedro-Kirche, und in die auch nur, weil da gerade der Küster (?) davor stand, der mir eine Führung gewährte, von der ich begeistert war. Die sehr alte Kirche mit wunderbaren Bildern ist wunderschön restauriert. Der Altar ist aus getriebenen Silber, und so ganz nebenbei machte mein Führer ein nur provisorisch verschlossenes Türchen über dem Altartisch auf und wies auf den (klassizistischen) Tabernakel: massives Gold.
Copacobana, La Paz und Yungas in Bolivien. Mit der Weiterfahrt hatte ich meine Probleme: Wegen Benzinmangels fuhr sozusagen gar nichts, schließlich wurde ich doch noch aus meiner Warterei in der Kälte erlöst, aus einem Minibus stieg jemand aus und da gab es für mich einen Platz bis zum peruanischen Grenzstädtchen Yunguyo. In dem einzigen Hotel wollte der Hoteltyp für zwei Decken einen weiteren Zimmerpreis (90 Pf) haben, lachend protestierend erhielt er einen Teil - und er war zufrieden. Ich weiß nicht, wie man bei der Kälte mit zwei Decken auskommen soll. Am nächsten Morgen nahm mich ein Servicetaxi zur Grenze mit - und dort mußte ich erst einmal warten, da die Grenzposten um 8 Uhr aufmachten. Wegen der Zeitverschiebung von 1 Stunde war es dann in Bolivien schon 9 Uhr. Mit einigen Österreichern, die die Grenzen in umgekehrter Richtung passierten, amüsierte ich mich über die peruanischen Zollkontrollen, erst kurz vor Öffnen der Büros kam jemand und nahm Kontrollen vor, davor lief alles reibungslos auch so (ich hatte vor meinem Hotel vorher beobachtet, wie 2 Geldwechsler ihre Stände aufgebaut hatten, damit auch sofort eingekauft werden konnte). Im bolivianischen Grenzbüro standen als einzige Utensilien zwei Schreibmaschinen mit eingespannten Blättern: eine für die Einreisenden, eine für die Ausreisenden. Ich inspizierte natürlich gleich beide Listen, es waren auch neue Freunde von mir in den letzten Tagen dabei. Nach Copacabana (das hier ist der berühmte Wallfahrtsort, wo im vergangenen Jahr auch der Papst war) nahm mich ein VW- Käfer mit peruanischem Kennzeichen mit, der Fahrer stellte sich als Polizist aus Lima vor, und, da Sonntag war, ging ich in C. erst einmal in die wegen des Papstbesuchs frisch restaurierte Kirche. Der Franziskanerpater, der die Messe hielt, predigte mit nicht zu überhörendem amerikanischen Akzent, daß die Eltern die besten Katecheten ihrer Kinder sein sollten und wies auch darauf hin, daß es nach der Messe eine Führung durch das angeschlossene Museum gäbe. Also hin! Der (jugendliche) Führer zeigte und erklärte die Votivgaben, die dankbare Pilger der Madonnenstatue, die der Anziehungspunkt dieses Wallfahrtsortes ist, geschenkt hatten. Und dann zeigte er uns einen Kasten, in dem bestickte weiße Kleider aufbewahrt werden: Dreimal jährlich erhalte die Madonna davon ein neues Kleid, das Pilger gestiftet hätten - und er hob ein Kleid hoch und erklärte, daß inzwischen so viele Kleider gestiftet seien, daß dieses hochgehobene Kleid jetzt im Jahr 2010 dran sei... Und da fuhr ich ein junges Paar auf Deutsch an, sie sollten sich doch ihr Lachen für später verkneifen, aber die Situation war für uns Europäer wirklich zu komisch. Wie öfter bei meiner Fahrt, dachte ich auch hier, daß ich, wenn das hier katholisch ist, doch wohl mehr protestantisch bin... Doch es kam noch stärker! Mit den beiden, die ich da angesprochen hatte und die tatsächlich Deutsche (aus Weiden in der Oberpfalz) waren, stieg ich auf den Kalvarienberg auf der anderen Seite des Städtchens. Auf halber Höhe war ein Sattel mit wunderbarer Aussicht auf den Titicacasee. Auf diesem Sattel standen 10 rechteckige steinerne Tischchen (in Reih und Glied, also ganz offensichtlich völlig offiziell aufgebaut). Neben einem der Tischchen stand ein nicht mehr ganz junges Paar (er etwa Mitte 40, sie Mitte 30), er hatte ein Kruzifix mit einem durch offensichtlich häufiges Benutzen blank abgegriffenen Jesus in der Hand. Auf dem Tischchen (Altar?) stand ein Weihrauchgefäß und eine Flasche Bier. Eine andere Flasche Bier hatte ein dritter Mann mit einer typischen Indiozipfelmütze in der Hand und bespritzte damit das Paar und die Erde vor dem Paar, dann schwenkte er auch das Weihrauchgefäß - ich hatte von solchen (Schamanenen-)Riten mit christlicher Symbolik schon gehört, aber hier an einem Wallfahrtsort? Und auf dem Gipfel neben der Kreuzigungsgruppe gab es Stände, an denen alles Mögliche in Miniaturform verkauft wurde: Personenautos, LKW's, einfache und luxuriöse Häuschen, Bündel verkleinerter Dollar- und Bolivianoscheine, kleine Reisepässe, Flugscheine, Kreditkarten, dann auch Konservendosen, Zigarettenschachteln - das alles konnte man sich hier kaufen, und meine Bayern erklärten mir auch wozu, sie hatten beobachtet, wie der Pater in der Kirche nach der Messe diese Dinge bei Pilgern segnete, offensichtlich damit sie das auch in der Wirklichkeit dadurch erhielten... Ich meine allerdings, daß wir hier "im christlichen Abendland" keinen Grund haben, über den sicher heidnischen Einfluß aufs Christentum in Südamerika die Nase zu rümpfen. Wer hat mit der heidnischen Verfremdung der christlichen Botschaft denn angefangen? Sind nicht unsere Mythologie mehr oder weniger ägyptisch, Philosophie und Theologie griechisch, Priestertum und Kirchenorganisation römisch und Volksfrömmigkeit germanisch? Was eigentlich ist bei uns wirklich noch im Sinne des jüdischen Rabbis Jesus? Für die Fahrt nach La Paz gab es wieder einen bequemen Linienbus, den wir Passagiere lediglich zur Überfahrt über eine Titicacaseeenge verlassen mußten; auf einer gesonderten Fähre, die im wesentlichen aus einem viereckigen Kasten, kaum größer als der Bus, bestand, wurde der Bus hinübergeschaukelt. Daß es während der ganzen Fahrt wieder einmal wunderbare Aussichten gab, ist inzwischen so selbstverständlich, daß ich es eigentlich gar nicht mehr zu erwähnen brauche. Bei der Einfahrt nach La Paz gab unser Bus inmitten eines dichten Wochenendrückreiseverkehrs seinen Geist auf, wie andere Passagiere setzte auch ich mich in einen der zahlreichen Minibusse ab. Das Hotel Universo im Indioviertel hatten mir meine beiden Schweizer Freunde aus Cuzco empfohlen, die ich zufällig auch noch in Copacabana getroffen hatte. Es war auch ganz gut, mit der Chefin unterhielt ich mich über ihre Reisen nach Europa, in die Karibik, nach Amerika - schon interessant, was man sich trotz der Hotelpreise von nur 3 US$ pro Bett alles machen kann! Beim abendlichen Bummel durch La Paz stieg meine ohnehin schon gute Stimmung: Mich begeisterte alles immer mehr! Auf den dunklen Straßen war irres Treiben, ganz offensichtlich wurde schon der Vorabend eines (National- ?)Feiertags gefeiert. Da war auch ein (politischer) Umzug, etwa nach der Art der 1. Maidemonstrationen, wie wir sie aus der DDR her kennen. Ich bedauerte die Mädchen in ihren kurzen Röckchen, immerhin war es ja abends und recht frisch. Am besten war die Gruppe der städtischen Milchversorgung am Schluß: In deren Mitte muhte über Lautsprecher eine Pappmachekuh auf einem Wagen und zum Gaudi der Leute wurden einige Tüten mit Milch (?) in die Menge geworfen. Auf dem Platz vor der Franziskanerkirche (wieder mit einer der wundervollen Fassaden mit indianisch geprägter Steinmetzarbeit) war richtiger Volksfestmarkt mit allen möglichen Eß- und Trinkspezialitäten. Bei so einer Art Punsch konnte ich nicht widerstehen und überwand jede Angst vor Bazillen, das mußte ich einfach probieren! Und schnell kam ich auch mit drei bereits angeheiterten Typen ins Gespräch, wir stellten uns gegenseitig vor als Lucky Luciano, Simon Bolivar, Diego Maradonna und Klaus - Barbie, Verzeihung, aber auf den war ich gekommen, weil der in Copacobana, wo ich ja war, lange Zeit die erste Geige gespielt hatte und wirklich bei jedermann hier auch unter seinem richtigen Namen bekannt war... Am nächsten Tag, dem eigentlichen Nationalfeiertag, wollte ich eigentlich den ganzen Trubel umgehen und erst einmal nur die Museen und Kirchen besuchen. Doch die Altstadt war vollgestopft mit in Reih und Glied wartenden Soldaten in Paradeuniformen (rote Jacken, weiße Hosen und Helmen, die durch weiße Haarbüschel verdeckt waren) und mit alten Karabinern. Noch merkte ich gar nichts... Neugierig wurde ich eigentlich erst, als ich vor der Kathedrale (ein prunkvoller, monumentaler Bau von der Jahrhundertwende) jede Menge Menschen warten sah. Immerhin kam ich durch die wartenden Menschen hindurch in die Kathedrale und da sogar ganz nach vorne, ein Konzertchor sang, das war doch etwas für mich! Eigentlich hätte ich sogar in einer der Bänke, an denen "Embajadores" (also "Botschafter") stand, Platz nehmen können, aber ich war wieder einmal nicht danach angezogen. Ich fragte mich, ob wohl die Botschafter der Sowjetunion, Chinas oder auch der ja noch existierenden DDR auch hier waren, erkennen konnte ich nichts. Die Messe wurde offenbar vom Erzbischof von La Paz zelebriert, gegen Ende betete er abwechselnd mit der versammelten Gemeinde das Te Deum. Und am Schluß sang der Chor irgend etwas auf die Melodie "Freude schöner Götterfunken" - Götterfunken in einer Kirche, na ja, mich wunderte hier schon längst nichts mehr. Und dann kamen acht Offiziere in diesen typischen grüngrauen Volksarmeeuniformen (ich jedenfalls sah da keinen Unterschied) und trugen die Statue der Madonna auf dem silbernen Podest, wie sie die ganze Zeit neben dem Altar gestanden hatte, vor die Kathedrale und dann auch weiter um den Platz vor der Kathedrale und um das erste Karree. Leider kam ich nicht richtig zum Fotografieren, da ich auf der "falschen" Seite stand, denn da marschierten doch nicht nur fromme indianische Beter, da ging doch das diplomatische Korps mit, da waren doch Soldaten im Stechschritt... Aber ich hatte nichts verpaßt, denn als die Madonna schließlich vor die Kathedrale gestellt wurde, ging's erst richtig los: Alle Teilstreitkräfte (auch die Marine, die am Titicacasee stationiert ist, weil Bolivien ja keinen Zugang zum Meer hat) defilierten an der Madonna vorbei in klassischstem Stechschritt (und das bei 3800 m Höhe!), in den alten preußischen Uniformen (erst jetzt fielen sie mir als solche auf!) und die Musikkapellen spielten mit irrem Schmackes - ich traute zuerst nicht meinen Ohren - Märsche wie "Alte Kameraden", "Preußischer Präsentiermarsch"... Ich stand genau gegenüber der Madonna vor der Kathedrale - und links neben der Madonna die Regierung und rechts von ihr die Bischöfe und der Päpstliche Nuntius und je zackiger der Stechschritt, je mehr klatschten die Bischöfe Beifall! Ich hatte zwar schon von solchen Paraden auf den Anden gehört, aber daß ich zum Festtag der Stadtpatronin von La Paz, der "Virgen des Carmen" so eine Parade "life" mitbekommen könnte, war mir vorher überhaupt nicht in den Sinn gekommen! Nachmittags fuhr ich dann mit einem Linienbus ins "Mondtal", so genannt wegen der mondähnlichen bizarren Landschaft. Im Bus sprach mich ein Herr an, der meinte, daß sein Chef auch ein Deutscher sei, der "Abendrot(h)" hieße. Als ich meinte, daß dieser Name ja jüdisch klinge, stimmte mir der Herr zu und meinte: "Si, mas juif que aleman" - mehr jüdisch als deutsch..., leider reichte mein Spanisch nicht aus, um das zu hinterfragen (ob ich es überhaupt richtig wiedergegeben habe?)... Wenn auch nicht die Zeit reichte, in die berühmte Silberstadt Potosi weiter südlich zu kommen, so wollte ich mir die Fahrt in die Yungas, also in das Amazonastiefland, östlich von La Paz entgehen lassen. Ich hatte wieder einmal Schwierigkeit, die Abfahrtsstelle der Busse im Stadtteil Miraflores (ich nahm schließlich einen der Minibusse) zu finden, obwohl einige Linienbusse (B, K u.a) direkt daran vorbeifuhren. Im Bus in die Yungas (nach Coroico) bekam ich natürlich - wieder war ich einziger Tourist - einen schönen Aussichtsplatz - und die Fahrt war wirklich wieder einmal grandios. Zuerst ging es auf einen Paß in 4650 m Höhe, und dann hinunter bis auf 12?? m Höhe, teilweise auf Wegen, die in senkrechte Felswände gehauen sind, immer unbefestigt und schließlich durch immer tropischer werdende Vegetation. Erst spät begriff ich, warum die Fahrer an den Ausweichstellen immer links am Gegenverkehr (oft riesige LKW's!) vorbeifuhren: Da konnten die Fahrer besser kalkulieren, ob sie noch genügend Platz zum Rand hatten, denn da ging's oft gleich mehrere hundert Meter senkrecht bis ziemlich senkrecht abwärts... (Ich zählte auch insgesamt 11 Kreuze am Straßenrand, teilweise in Grüppchen.) Da mein Bus nicht direkt nach Coroico ging und ich versehentlich zu weit gefahren war, kam ich in den Genuß einer kleinen (3-stündigen) Wanderung queerbeet über die offensichtlich brandgerodeten und mit Bananen und Zitrusfrüchten bepflanzten, teilweise aber auch wieder wild zugewachsenen Hänge. Das Städtchen Coroico war wieder einmal ein Gedicht, auf der Hotelsuche interviewte ich einen Tischler, der kunstvoll Kaffeeschälmaschinen in Kleinserie herstellte, nach Preis und Arbeitszeit für eine solche Maschine (um die 55 DM und etwa 2 Tage). Wir kamen natürlich auch auf die Löhne in Deutschland zu sprechen. Bei solchen Gesprächen sage ich dann übrigens auch gleich immer, was bei uns die Mieten, das Benzin, die Arbeitsstunde für Autoreparaturen, die Essen im Restaurant kosten. Mein Hotel gleich neben dem Dorfplatz hatte sogar Swimmingpool (recht frisch, zumal es inzwischen auch kühl geworden war), vor allem eine phantastische Aussicht. Wie ich hörte, waren in einem anderen Hotel viele Franzosen, die hier in der Gegend schlicht und einfach unorganisierte Ferien machen. Die Franzosen haben es offenbar anders als wir Deutschen heraus, für ihre Ferien in irgendein "Billigland" zu fliegen, um dann dort die relativ teuren Anreisekosten mit den günstigen Aufenthaltskosten zu kompensieren, und dabei gleichzeitig in den Genuß des Flairs eines anderen Landes zu kommen. Irgendwie ist mir das von den Ferien mit meinen Eltern her bekannt, als sie mit uns in "unerschlossene" Gegenden Österreichs und Südtirols fuhren, als meine Schwester und ich Kinder waren. Und nicht nur für uns "reichere" Leute ist dieses Verfahren ja sinnvoll, es profitieren davon schließlich auch die weniger entwickelten Regionen. Die Rückfahrt nach La Paz wollte zuerst gar nicht klappen: Es regnete und für den einzigen fahrplanmäßigen Bus an dem betreffenden Tag frühmorgens gab es keine Tickets mehr, als ich schließlich buchen wollte (in meinem Hotel war ich nicht richtig informiert worden). Also dann wieder einmal per Gelegenheitsmitnahme! Und irgendwie klappte es nach einigen Stunden Warterei wirklich, die allerdings nicht langweilig waren, weil ich wieder einmal nette Gesprächspartner hatte. In La Paz traf ich dann in meinem Hotel wieder einmal Beatrix und Markus aus Cuzco bzw. Copacabana, die ich dann auch gleich in ein Sinfoniekonzert im Opernhaus von La Paz einlud, das ich auf einem Plakat entdeckt hatte. Für 1 DM oberster Rang, das muß man doch erlebt haben! Die Haydnsinfonie (Nr. 103) am Anfang klang eher wie von einem Schulorchester gespielt, die anschließende Mozartarie aus La Clemencia de Tito fiel aus (wir verstanden nicht, warum), die Cinco Canciones negras von X. Montsalvagate (Alt) waren eindrucksvoll - beim letzten Lied warf die Solistin Alma Mora ihre Stola weg und präsentierte ihr Dekollete, aber am besten war schließlich die "Rapsodia in Blue" von "Gershwin" (schreibt man das auf Spanisch so?), das lag dem Orchester (ich zählte mindestens 8 Europäer, während man sonst auf den Straßen kaum europäisch aussehende Menschen sieht) offensichtlich am meisten. Leider stand in dem wohl um die Jahrhundertwende stammenden Opernhaus keine Oper auf dem Programm, wie gerne hätte ich in 3800 m Höhe auch so etwas erlebt!
Abstecher nach Nordchile. Da ich nicht gerne dieselbe Strecke, die ich schon einmal gefahren bin, zurückfahre und da sich die Möglichkeit bot, mit einem Abstecher nach Chile wieder nach Südperu zu gelangen, nahm ich natürlich diese Variante wahr. Zweimal in der Woche gab es da eine Art Nobel-Schienenbus, der allerdings mit 49 US$ ziemlich teuer war, doch da war noch - ebenfalls zweimal in der Woche - ein normaler Bus, der zwar 19 Stunden bis zur nördlichsten Stadt Chiles (Arica) brauchte, dafür aber eine interessante Fahrt versprach und nur knapp die Hälfte kostete. Da der Schienenbus ohnehin ausgebucht war (ich hätte sonst versucht, eine günstigeres Ticket bis zur Grenze zu bekommen und dann mit chilenischem Geld neu zu bezahlen - geht aber nicht, wie ich später erfahren habe), blieb mir eh nur die Wahl des Busses. Die Bolivianer, die das Ticket buchten, bekamen in der Busagentur erst einmal eine Bescheinigung, mit der sie dann zum chilenischen Konsulat gehen mußten, wir Europäer hatten keine Schwierigkeiten und bekamen das Ticket sofort. Auch später sah ich, daß zwischen Bolivien und Chile durchaus keine "normalen" Beziehungen sind, auf der Fahrt bis zur Grenze mußten in einem Städtchen alle Passagiere einzeln in den Wachraum einer Kaserne zur Identitätsfeststellung treten, und dann sah ich auf der weitläufigen Paßhöhe von ca. 4700 m (der bolivianische Grenzoffizier und der chilenische Grenzbeamte machten unterschiedliche Angaben) doch tatsächlich abgesperrte Areale mit der Aufschrift "Vorsicht Minen". Die Busfahrt (in einem Mercedesgeländebus, das läßt dann immer schon einiges ahnen) ging schon um 5 30 Uhr ziemlich pünktlich los, zuerst ging es in Richtung Süden (auf der Hauptstraße nach Potosi usw.), dann sozusagen wieder einmal querbeet über Feldwege über die menschenleere Hochebene. Mein Nachbar, ein junger Chilene, war so nett und ließ mich gleich mit unter seinen Schlafsack kriechen, sowohl zu Beginn der Fahrt wie gegen Ende wurde es ziemlich kalt. Jetzt wußte ich auch, warum der Typ in meinem Hotel bei meinem Aufbruch erst einmal in meinem Zimmer nachschaute, ob auch noch alle Decken da waren, offenbar haben die da ihre Erfahrungen, weil sicher in manchen Führern steht, daß man sich für die Fahrt mit einer Decke versorgen soll! Auf der Fahrt sahen wir im wesentlichen während des ganzen Vormittags vor uns den Gipfel des Sajama (6420 m), des höchsten Berges Boliviens, und einiger anderer Berge an oder in der Nähe der bolivianisch-chilenischen Grenze, zwischen denen wir am frühen Nachmittag auch hindurch fuhren. Den Stopp bei der Militärkontrolle nutzte ich mit einigen anderen Passagieren aus, um die Fresken in einer wunderschönen Kolonialkirche zu besichtigen, die, wie eine Inschrift sagte, mit (west-)deutscher Hilfe restauriert worden waren. In ihrer Direktheit waren die Fresken sozusagen atemberaubend: Jüngstes Gericht in der Kirche und Sündenfall und Arche Noah (hier besonders die Panik der Ertrinkenden!) in der Taufkapelle. Beim Sajama kurz vor der Grenze stiegen zwei Bayern mit jeder Menge Ausrüstung aus, die die Grenzberge besteigen wollten. Sowohl die bolivianische und insbesondere die chilenische Grenzabfertigung dauerten so lange, daß es schon fast dunkel (und wieder kalt) war, als wir schließlich weiterfuhren. Schade, ich hätte doch gerne "etwas" von Chile gesehen. Wenigstens sah ich am Straßenrand Straßenbaumaschinen und schließlich hin und wieder auch Leitplanken (so etwas hatte ich weder in Peru noch in Bolivien trotz schlechtester Straßen nicht gesehen), und nach etwa 40 km war die Straße auch einwandfrei geteert. Schon verwunderlich, daß auf bolivianischer Seite einer der wichtigsten Zugänge zum Meer in wirklich schlechtem Zustand ist, während seinerseits das mehr oder weniger verfeindete Chile seinen Teil des Zugangs gut in Schuß hält. Wie wenig allerdings der "arme Bruder aus den Anden" bei den unteren Behörden in Chile gilt, konnte man merken, als unser Bus bei einem Straßenposten offenbar wegen irgendwelcher Belanglosigkeiten endlos lange angehalten wurde. Das chilenische Städtchen Arica machte auf mich - abgesehen von den Häusern im spanischen Kolonialstil - fast den Eindruck eines französischen Städtchens am Atlantik, jedenfalls wirkte das Treiben auf den Straßen eher europäisch oder nordamerikanisch. Die Kirche auf dem Hauptplatz ist von Eiffel konstruiert (dem vom Eiffelturm!) und komplett aus hellblau bemaltem Gußstahl in gotischen Formen. Auf der das Städtchen beherrschenden Felsnase gab es ein Museum zur Erinnerung an den für Chile siegreichen Krieg gegen Peru und Bolivien vor hundert Jahren, dem sogenannten Salpeterkrieg, bei dem es um die Ausbeutung der Salpetervorkommen in der Atacamawüste in der Nähe ging. Die Ursache des Salpeters, die ihn produzierenden Pelikane (wohl schon immer) sah ich in jeder Menge vor dem Fischmarkt und vor dem Fischrestaurant am Hafen, das mir von einem Taxifahrer empfohlen wurde, der mir auch mit Handschlag zum Gewinn der Fußballweltmeisterschaft gratulierte. Die Pelikane, die ansonsten im Tiefflug über die Wellen gleiten und den Schaumkronen geschickt ausweichen, betteln hier um die Fischabfälle, während ich in dem noblen Fischrestaurant die Gelegenheit wahrnahm, eine hervorragende Fischsuppe (die Terrine war so vollgepackt, daß die Suppenflüssigkeit nur die Zwischenräume zwischen den Fischen und Muscheln ausfüllte) zu essen und eine halbe Flasche eines vorzüglichen Weins zu trinken. Und alles für ca. 5 US$. Öfter in der Stadt fielen mir Frauen auf, die irgendwelche Lebensmittel neu verpackten, so zum Beispiel Trockenpilze. Vor dem Bahnhof (ich wollte mit dem Zug und nicht mit einem Linientaxi zur ersten Stadt nach Chile Tacna fahren) dann wurden vor allem Säcke mit Mehl teilweise umgefüllt, wobei ich auch den Frauen half. Grund für diesen "Schmuggel", dessen Zeuge ich hier wurde, ist letztlich die verfehlte Bodenreform in Peru und die erheblich gesündere wirtschaftliche Situation in Chile. Bei früheren sozialistischen Experimenten in Peru wurde nämlich der Großgrundbesitz enteignet und an die Indios verteilt. Durch mangelnde Motivation bauen die Indios jedoch nur noch so viel an, wie sie selbst brauchen - und jetzt gibt es Mangel an Getreide, während man früher noch exportieren konnte. Und da der Staat wegen Devisenmangels zu wenig importiert (zu meiner Zeit gab es oft Schlangen vor Bäckereien wegen Brotmangels), wird jetzt sogar Mehl geschmuggelt. Na, meine Leser kennen ja schon längst meine Einstellung zum Sozialismus in den verschiedenen Varianten, es bestand auch nie und nirgends ein Grund, sie zu ändern! Bei der Fahrkartenkontrolle mußten alle Passagiere ihre Papiere abgeben, ich bekam im Zug als einziger meinen Paß vom chilenischen Grenzbeamten direkt überreicht und wurde auch mit Handschlag verabschiedet. Der Einreisestempel im Paß war übrigens so winzig und so undeutlich und mit keiner Aufenthaltsdauer versehen, daß ich vermute, daß die Behörden nicht viel dagegen haben, wenn Europäer die Ausreise "vergessen".
An der Küste zwischen Chile und Lima. In Tacna hatte ich zum zweiten Mal während der ganzen Fahrt Probleme, ein Zimmer zu finden, aber letztlich ist das ja stets nur eine Frage, was man auszugeben bereit ist. Ich fand das Städtchen sehr hübsch (bis 1929 war es chilenisch), konnte von der in meinem Führer angekündigten Räuberhöhle nichts bemerken und wurde sogar von den Eigentümern eines Bazarladens zu einem Geburtstagsessen eingeladen und kaum losgelassen. Blödsinnigerweise liegt der vornehme Busbahnhof so weit außerhalb der Stadt, daß man ihn nur mit dem Taxi erreichen kann und sozusagen aufs Geratewohl hinfahren muß, weil das Ticketbesorgen zu viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Ziel auf dem Weg nach Lima waren noch die alte wundervolle Kolonialstadt Arequipa in 2360 m Höhe und das Städtchen Nazca in der Nähe der Küste, das von Dänikens Recherchen über die angeblichen Landeplätze außerirdischer Besucher der Erde her bekannt ist. Mein Bus hatte unterwegs wieder einmal Probleme. Zuerst vermutete ich eine Finte, denn irgendwann hatten drei Militärs hinten im Bus die Bockerei des Motors offensichtlich satt und stiegen mitten in gebirgiger Wüste ohne Strauch und Baum aus, um einen anderen Bus anzuhalten. Ich dachte, daß man in diesem Grenzgebiet hier so natürlich am besten ungeliebte Beobachter los wird, zumal der Bus danach deutlich schneller fuhr. Aber dann war der Bus offensichtlich doch so defekt, daß wir in einen zufällig entgegenkommenden Bus der gleichen Gesellschaft umstiegen und mit ihm weiterfuhren. Und mit dem hatten wir dann auch eine Reifenpanne: Einer der hinteren Zwillingsreifen war geplatzt, was den Fahrer nicht hinderte, es bei einer Werkstatt erst einmal mit einer Reparatur zu versuchen bevor er schließlich einen restlos abgefahrenen Reifen hervorholte und aufmontierte. Mehrere Pannen bei ein und derselben Gesellschaft (Hernanos Flores) sind im allgemeinen nicht zufällig, sondern beruhen auf Wartungsmängeln! In Arequipa ist man berauscht von dem großartigen Hauptplatz, dessen eine Seite die ausgiebige Front der eher mächtigen als schönen Kathedrale einnimmt, die diesmal quer zum Platz steht. Natürlich gibt es auch hier wieder einige wundervolle Kolonialkirchen und Kolonialpaläste, faszinierend und weltberühmt, weil einzigartig ist jedoch das Santa-Catalina-Kloster, dessen Bau 1579 begonnen wurde, das 1970 zu einem großen Teil der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde und das die ganze Zeit bis dahin quasi verborgen geblieben war. Nur wenige richtige Gemeinschaftsanlagen gibt es in diesem Nonnenkloster, eine davon ist heute eine richtige Galerie mit Gemälden aus den Beständen des Klosters. Die Nonnen selbst lebten in kleinen Häuschen, die aus wenigen Zimmern und einer kleinen Küche und/oder einem Höfchen mit Kochstelle bestehen. Toiletten gibt es nicht, die Nonnen benutzten wohl bis in die jüngste Zeit Nachttöpfe, die sie in einen der Abflußgräben ausleerten. Dafür gab es aber ein Gemeinschaftsbad, das mich an den Hauptraum in einem türkischen Bad erinnerte. In das Kloster, in dem bis zu 450 Nonnen und 200 Dienstmädchen lebten, durften früher keine Außenstehenden und schon gar keine Männer hinein, Kontakt mit der Außenwelt war nur über vergitterte Maueröffnungen im Besuchsraum und Drehtüren mit Fächern für die Lebensmittelversorgung neben der Hauptküche möglich. Nachdem ich in der einen Nacht in meinem im Führer empfohlenen Hotel "Bolivar" in einem alten Kolonialhaus ruhig geschlafen hatte, wachte ich in der zweiten Nacht von Panzerfahrlärm - so dachte ich wenigstens - , der nicht enden wollte, auf. Fand hier im Grenzgebiet der Aufmarsch zu einem erneuten Krieg statt? Das mochten ja unheimliche Mengen Panzer sein, die da durch die Straßen rasselten, wie das alles dröhnte... Verwundert war ich eigentlich nur, daß das Ende des Gedröhnes ziemlich abrupt war und nicht langsam entschwand, wie es einer abziehenden Panzerkolonne entsprochen hätte, na ja, ich war ja wohl im Halbschlaf... Vorsichtig fragte ich dann am Morgen - ich war doch erleichtert, als sich alle Leute normal und nicht von Kriegsangst beeindruckt zeigten - nach der Ursache des Lärms. "Ach", meinte der Hoteltyp, im Nachbargebäude sei eine Zeitungsdruckerei! Ob ich beim nächsten Mal wieder in dieses Hotel gehe? In der Augustinerkirche hatte ich dagegen ein wirklich wunderschönes Erlebnis: Da die Sakristei nach meinem Führer sehenswert war, ging ich hinein, blieb jedoch am Eingang stehen, da in dem Raum mit einer schön gemeißelten Kuppel gerade die Taufe eines etwa 7-jährigen Mädchens im weißen Kleid stattfand. Der alte Pater redete ziemlich furchterregend auf das Kind ein und erzählte etwas von der Erbsünde, von der das Kind jetzt befreit würde. Na, ich war ja nicht gefragt! Am Ende der liturgischen Handlung sah die "Taufgesellschaft" zu mir hin, also ging ich hin und gratulierte auch dem Mädchen. Natürlich mußte ich auch aufs Gruppenfoto. Und dann gab mir eine der Damen (die Patin?) 10 000 Intis, vielleicht 13 Pfennig und meinte, daß ich das Geld unbedingt annehmen müsse, denn das sei so Tradition! Statt in diesem Land beraubt zu werden, was ich eher erwartet hatte, wurde ich sogar noch beschenkt! Und von dem Kind erhielt ich noch ein rosarotes Faltblatt mit der Mitteilung ihrer Taufe, Adriana Lourdes hieß sie - und ich verduftete rasch, bevor ich auch noch eingeladen wurde! Und dann traf ich wieder einige meiner neuen Freunde: diesmal die Schweizer von Aqua Calientes, mit denen ich mich über die Lethargie der Inkas bei der Eroberung durch die Spanier unterhalten hatte. Diesmal diskutierten wir ausgiebig über Religion... Mir gefiel Arequipa übrigens viel besser als Cuzco, nicht nur Klima und Landschaft sind hier angenehmer, vor allem gibt es hier auch keine so direkte Trennung zwischen Touristenzone und "Alltagsgebiet". Dienstagmittags ging's dann mit einer (besseren?) Busgesellschaft (Sudamericano) nach Nazca, doch auch hier gab's mehrstündige Verspätung wegen irgendwelcher Bauarbeiten, jedenfalls ging es einige Zeit auf kurvenreichen Straßen mit grandiosen Ausblicken am Pazifik entlang. Als wir gegen Mitternacht ankamen, bugsierte mich ein Hotelangestellter sozusagen in sein ordentliches 1-Dollar-Youth-Hostel gleich am Bushaltepunkt. Früh fuhr ich dann mit einem Bus mit der Aufschrift "Aeropuerto" zum Flughafen, da der Flug über die "Linien", wie die überdimensionalen Zeichnungen der Nazca-Indianer (100 v.Chr. bis 800 n.Chr.) im Wüstensand genannt werden, sehr gerühmt wird. Irgendwie kam ich nicht zu dem Flug (zuerst war alles ausgebucht, dann war es aber doch nicht so schlimm) und fuhr statt dessen am Nachmittag mit einem Wiener zu einem 10 m hohen Aussichtsturm, den die Erforscherin der Linien, die Deutsche Maria Reiche, auf ihre Kosten errichten ließ. Die Umrisse riesiger Tiere, Vögel und Fische, aber auch geometrischer Figuren sind da kaum 20 cm tief im Wüstensand eingegraben und haben sich bis heute erhalten, da sie weder durch Wind noch durch Regen zerstört wurden. Im Nobelhotel von Nazca hielt in Vertretung der Erforscherin der Linien ihre Schwester, eine pensionierte Medizinerin, einen Vortrag mit anschließender Diskussion. Also, die Ideen von Däniken sind auf alle Fälle reine Phantasie, mit dem Wiener war ich auch aus dem Taxi ausgestiegen und ein wenig in die Wüste gegangen, also als Landeplatz für irgend welche Flugkörper war dieser Boden wirklich nicht geeignet. Es wird sich wohl um kultische Zeichen gehandelt haben, die auch im Zusammenhang mit irgendeiner Astronomie oder Astrologie standen. Irgendwie war der Abend mit dieser alten Dame für mich der eindrucksvolle Abschluß meiner Fahrt schlechthin! Mit dem Wiener und einem sehr netten holländischen Ehepaar zogen wir dann noch in ein Restaurant, ein weiterer Abschluß! Eigentlich sollte der Bus nach Lima um Mitternacht gehen, doch da gab es wieder Verspätung. Ich durfte in meinem Zimmer vom Vortag bleiben bis zur Busankunft - und wurde auch noch geweckt, und alles ganz locker lediglich über Trinkgeld! Um 2 Uhr ging's schließlich los - und um 8 Uhr morgens war schon wieder eine Panne, offenbar eine so gründliche, daß der Fahrer schließlich die Reparatur aufgab. Und ich gab auch auf und stoppte als einziger einen anderen Bus, der 2 US$ kostete, für meine Mitpassagiere ein so großer Betrag, daß sie es vorzogen zu warten, wohl selbst wenn es noch so lange dauerte. Aber für mich war ja der letzte Tag angebrochen und ich hatte noch so viel zu erledigen. Obwohl ich mich schon während der ganzen Fahrt mit Mitbringseln (Pullover, Alpakadecke und -fellteppich usw.) eingedeckt hatte, war ich jetzt froh, ein Hotel im Zentrum in der Nähe des Marktes zu haben. Für eine Nachbarin besorgte ich noch u.a. einige dieser wunderschönen handgearbeiteten Ohrringe aus Alpaka (diesmal ist das Neusilber gemeint). Erst hier in Deutschland merkte ich leider, was für tolle Sachen ich da vor mir hatte - und wieviel mehr ich eigentlich hätte mitbringen sollen. Na, ich fahre sicher wieder hin (eine Aufforderung aus Trujillo ist schon gekommen!)... Den Weg zu meinen Freunden in der Fleischfabrik fand ich diesmal auch schnell, immer wehmütiger wurde mir der Abschied. Am Morgen der Abfahrt (mein Flugzeug ging um 8 30 Uhr) trickste ich diesmal die Leute vom Hotel aus und besorgte mir selbst ein Taxi, indem ich auf die Straße ging und eins anhielt und den Preis vereinbarte (diesmal nur 3 US$). Der Taxifahrer fragte mich nach den Sprachen an, die ich spreche. Na, ich meinte Englisch wohl recht gut, Französisch zum Verständigen, Italienisch zur Not - und da meinte er: "Und Spanisch doch wohl auch!" Na, Dankeschön für das letzte Kompliment - irre, wenn das, was ich spreche, Spanisch sein soll!!! In Caracas hatte ich mehr als 4 Stunden Aufenthalt und verließ den Flughafen, wodurch ich bei der Rückkehr tatsächlich wieder Flughafentaxe von 500 Bolivar bezahlen mußte - unverschämt! Dafür war ich noch schnell mit den Bussen herumgefahren, die auf der Straße ca. 100 m vor dem Flughafengebäude vorbeifuhren, und hatte noch schnell ein Bad in der Karibik genommen. Natürlich vergaß ich auch nicht den Karibik-Rum und entwickelte in Anlehnung an die mehlschmuggelnden Frauen zwischen Chile und Peru ein Verfahren, mehr als eine Flasche Rum (Kostenpunkt 1 US$) mitzunehmen: Im Flugzeug gibt es doch Wein in kleinen Fläschchen zu den Mahlzeiten. Diese Fläschchen trinkt man aus und füllt Rum aus den Originalflaschen in sie um - auf diese Weise hat man angebrochene Flaschen, die ja beim Zoll nicht zählen! Und da sich "angebrochene" Flaschen zum Verschenken nicht eignen, gibt es für meine Besucher außer peruanischem Hochlandtee und bolivianischer Kräuterzahnpasta auch noch echten Karibik-Rum! Ich freue mich schon auf den Besuch! Leider brachte der Abschluß der Fahrt noch einen gehörigen Dämpfer. Trotz aller Warnungen war ich in Südamerika zwar einmal angefallen, aber nicht im geringsten beraubt worden. Oft war ich sogar eingeladen und beschenkt worden, ein paar Mal hatte man mir auch Sachen nachgetragen, die ich verloren oder liegengelassen hatte. So richtig kräftig beraubt wurde ich erst hier in Deutschland! Ich hatte doch meinen Passat in Kelsterbach in der Nähe des Flughafens stehen gelassen auf genau demselben Parkplatz wie im vergangenen Jahr. Und im vergangenen Jahr hatte ich mir auch die Schilder angesehen, damit ich ja nicht in irgendeinem Park- oder Halteverbot stand. Na, und in diesem Jahr hatte ich mir halt die Schilder nicht wieder angesehen - und das war mein Fehler. Denn seit dem vergangenen Jahr hatten sich die Schilder geändert, jetzt war auf "meinem" Parkplatz nur das Halten mit Parkscheibe erlaubt... So war mein Wagen abgeschleppt worden, "sichergestellt" worden - und da fielen pro Tag jetzt 7 DM Standgebühren an plus Versicherung und Steuer... Ein wenig konnte ich noch herunterhandeln mit dem Hinweis, daß ich das Auto am liebsten stehen lassen würde, weil die Kosten den Zeitwert des Wagens überstiegen, aber knapp 400 DM hat mich der Spaß gekostet. Schade, für das Geld hätte ich meinen Mädchen klassenweise die schönsten peruanischen Ohrringe schenken können - natürlich ausschließlich als Motivation zum Religionsunterricht! Ja, wo wir bei den Kosten sind, diese wieder zum Ende. Vielleicht empfinden manche meiner Leser es unangenehm, wenn ich jetzt hier und auch zwischendurch oft auf Kosten hinweise. Aber ich habe den Eindruck, daß es nicht nur die Angst vor Überfällen ist, warum viele Leute nicht auch einmal etwas Ungewöhnliches unternehmen, sie haben auch Angst vor den Kosten. Und wenn ich auf die hinweise, so soll das ganz konkret heißen, daß man davor keine Bedenken zu haben braucht. Wegen der Inflation in Peru, die Preise zuckelten immer dem höheren Umtauschkurs hinterher, waren die Kosten sehr günstig - zusätzlich zum Flug kam ich auf noch einmal 1000 US$ inklusive der beiden innerperuanischen Flüge und der Mitbringsel. Wenn ich diesmal weniger Karten geschrieben habe als sonst, so liegt das ganz einfach daran, daß es in Peru gegen Ende meiner Fahrt keine Briefmarken mehr gab, alle Post lief nur noch über Frankiermaschine. Doch ich finde, daß auf Urlaubskarten nun einmal Briefmarken gehören! (Im Zusammenhang mit der Inflation mußte der jeweilige Portobetrag mit vielen Briefmarken "zusammengeklebt" werden - und da kam die Briefmarkendruckerei offenbar nicht mehr nach.) Und die Krankheiten? Magenkrank war ich nur einmal, etwa zehn Tage nach Beginn der Fahrt in La Union, obwohl ich alles gegessen und getrunken habe, was mir sinnvoll erschien. Seit zwei Jahren vermeide ich auf allen Fahrten in die Dritte Welt vor allem Milchprodukte (es sei, etwas ist aus Kondensmilch oder Milchpulver), und das würde ich auch anderen Reisenden in diese Länder empfehlen, da es mir bestens bekommt. Mit der Höhe hatte ich wenigstens zu Beginn meine Probleme, ich habe oft ganz schön gekeucht! Wenn ich nachts nicht schlafen konnte, weil mein ganzer Organismus durcheinander war, habe ich 25 oder 30 Kniebeugen gemacht, ich war dann zwar völlig erschöpft, aber das half. Wegen der Kälte hatte ich natürlich auch meine Probleme vor allem mit dem Hals, was lag näher als mir einen Alpacaschal zu kaufen, den ich dann auch nachts getragen habe. Ich hatte das Gefühl, auch das half. Ich weiß nicht, ob tatsächlich zur Zeit von einer Fahrt nach Peru abzuraten ist, grundsätzlich kann ich sie empfehlen. Und ich möchte gern noch einmal von Peru über Chile und Bolivien nach Argentinien fahren. Eine Kartenskizze habe ich diesem Bericht nicht beigefügt, da wegen der fehlenden äußeren Gliederung des Gebietes der Fahrt darauf ohnehin nicht viel zu erkennen wäre.
Dieser Reisebericht gehört zu den Reisen der Website www.basisreligion.de !
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