Karneval in Paris 1985

mit einer Gruppe Schülerinnen

Irgendwo wurde ich in der Handelsschulklasse HO 6 (Handelsschule – Oberstufe), einer reinen Mädchenklasse, angestiftet, mit einigen von den jungen Damen über Karneval nach Paris zu fahren. Was ich zuerst für einen Scherz hielt (das wird ja doch nichts), wurde schließlich ernst: Ein harter Kern bildete sich, Alice, Angelika, Anja, Edith, Elke, Nanni und Andrea aus der Parallelklasse waren mit von der Partie. In mein Auto, das wäre die günstigste Lösung gewesen, passten nicht alle rein, doch fand sich beim Stadtjugendring ein Ford-Transit für 9 Personen, der dann leider doch nicht ganz ausgelastet war und für den pro Kilometer 30 Pfennig zu zahlen waren. Eine andere Möglichkeit gab es allerdings nicht.

Am Tag nach Weiberfastnacht war Elternsprechtag, da hätten wir schon losfahren können, weil da niemand zu mir kam, doch das weiß man ja nicht vorher. So ging´s also Samstagfrüh los. Ich hatte ein kleines Programm gemacht und den Mädchen gegeben, sicher ist sicher, dann wissen wenigsten alle so ungefähr, was läuft. Alle waren um 8.00 Uhr pünktlich da, Gepäck in Grenzen, ich hatte jede Menge Cola und Limo und auch etwas Bier in Dosen besorgt – auch hier: man weiß ja nie! Abfahrt, alles klappte. Bald wechselte ich mich mit Edith ab, der einzigen, die über 18 war und auch einen Führerschein (nicht dabei) hatte. Da ich mit ihrem Fahrstil sehr zufrieden war (!), sorgte ich, daß wir mindestens 50 : 50  fuhren, Erholung für beide! Gegen 13.00 Uhr vor Paris, nach einer verpassten Abzweigung beim Place de la Republique fanden wir dann doch schnell unser „Grand Hotel“ Arts & Metiers in der Rue Borda 4 (Paris 75003), das ich als ein günstiges und zentrales ausgemacht hatte (heute, im Jahr 2000) gibt es das wohl nicht mehr so, vor allem nicht mehr zu den Preisen, so würde ich versuchen, Zimmer bei Formule 1 zu bekommen).

Bald nach der Ankunft die erste Stadtrundfahrt. Ziel Arc de Triomphe. Die Mädchen sind begeistert vom Fahrverhalten der Pariser – es sieht so aus, als ob jeder fährt, wie er Lust hat. Ich poche auf das Recht des Stärkeren (etwas übertrieben!) und komme auch zurecht... Am Arc de Triomphe unser erster Triumph: mein Schreiben, daß ich Lehrer bin (un professeur et sept èlèves“), zieht, wir kommen alle umsonst hoch! Herrliche Aussicht – nur Häuser usw. Dann zum Eiffelturm. Hier keine Ermäßigung. Da der Lift sehr teuer ist (13 DM), gehen wir für 7 FF bis zur zweiten Plattform, wo es allerdings so zieht, daß die, die noch zur zweiten Plattform mitkommen wollen, schleunigst umkehren. Ein Schweizer Lehrer (so ein Stiller-Typ, wie mir schien), hatte sich zum Sparen uns angeschlossen, ich sah ihn noch kurz beim Cola-Trinken im Restaurant, obwohl er angeblich kein Geld hatte...  Er war wohl eben nur sparsam, das hätte er aber auch sagen können.... („Heute“ kostet der Fußaufstieg etwas mehr, dafür kann man von der zweiten Plattform aus günstig zur Spitze fahren, insgesamt kommt man für weniger bis ganz oben als „damals“, allerdings gibt es wie schon immer dabei Wartezeiten.)

 Danach bummeln wir an der Seine entlang, wo wir jede Menge Blätter alter Bücher und schließlich sogar komplette Bücher finden, billiger geht’s nicht mehr. Über den  Pont des Invalides wieder auf das andere Seine-Ufer. Noch kurz in den Palais de la Decouverte, so eine Art Deutsches Museum, wo wir bis zum Rausschmiß wegen Schließung noch einige Experimente an elektrischen Geräten durchführen – und einige zu den Toiletten strömen. Dann wieder zu unserem Auto über die Champs Elysees. Bei Renault in einer Ausstellung wärmen wir uns auf. Leider ist es nämlich inzwischen schon dunkel und relativ kalt geworden.

Mit unserem Bus geht´s dann erst einmal zum Hotel zurück (für eine kleine Stärkung und um etwas zum Anziehen zu holen) und dann in Richtung Mont Matre. Dort zunächst in die Sacre Coeur-Kirche – die ja üblicherweise bis weit in die Nacht geöffnet hat – wegen der Ewigen Anbetung. Nanni und Angelika bleiben zunächst draußen – wegen des Kerzen- und Weihrauchdufts. Elke, Anja und Alice gehen ganz nach vorne und bemerken einen schlafenden Penner und eine in religiöse Verzückung geratene Frau („der hat Jesus offenbar gerade einen Witz erzählt“). Von draußen herrlicher Blick über das nächtliche Paris und Abstieg zum Place Pigalle, der jetzt auch aufgewacht ist. Also, die Bilder vor den Pornoschuppen waren schon sehr offenherzig, nach den Bildern führen die da Dauergeschlechtsverkehr vor. Die Mädchen sind so geschockt, daß sie sich nicht einmal dazu bereden ließen, die Fotos der Moulin-Rouge-Show anzusehen, um Anregung für die Gestaltung des nächsten Tags der Offenen Tür in unserer Schule zu erhalten (!). Ironie verstehen die jungen Leute ja üblicherweise ohnehin nicht. Bei der Heimfahrt durch eine enge Straße warnte irgendwer mich: Da vorne ist es aber eng! Ich: Das sieht nur von weitem so aus! Kurz darauf: Krach, es war doch zu eng! (Glücklicherweise ist es bei mir nur ein Blinklicht für 45,00 DM und bei dem, der die Straße blockierte, waren ganz eindeutig „an der Stelle“ schon andere Trophäen, zumindest habe ich nichts schlimmer gemacht...

Am nächsten Morgen – Sonntag – sind pünktlich alle beim Frühstück. Ich packe die Reste ein, man weiß nie, wozu sie noch gut sind. Zunächst fahren wir zum Louvre. Ich interessiere mich natürlich besonders für die assyrische Abteilung, von wegen der Darstellungen, die auf die Fruchtbarkeitskulte hinweisen, gegen die in der Bibel angegangen wird. Wie auch im Pergamon-Museum in Berlin gibt es auch hier tolle Reliefs dazu, eins in Ost-Berlin ist allerdings noch beeindruckender. Einigen zeige ich noch die Mona Lisa – dann ist Zeit zum Treffen für die, die noch mit in die Kirche wollen. Angelika und Nanni sind mit von der Partie – also auf zur „Madelaine“, der Kirche, die im Stil eines griechischen Tempels gebaut ist und in der um 11.00 Uhr eine besonders gestaltete Messe sein soll. Wie ich lese, gibt es eine Messe von M. Haydn, hätte ich nie gemerkt, klingt hier alles so französisch. Beim Friedenskuß wird richtig geküßt – und wie! – Dann wieder zum Louvre und von dort aus zu Notre Dame. Hier wieder unheimlicher Betrieb. Vor der Kirche ein Maler, der hübsche Tuschezeichnungen günstig verkauft – ich erstehe gleich zwei, sicher ist sicher – und als ich gleich nachher mit Andrea auf dem Turm bin, stelle ich fest, daß ich Glück hatte: Er ist auch nicht mehr zu sehen. Ja, nur Andrea kam mit hinauf, den anderen waren die Treppen inzwischen schon zuviel. Dann zum Pantheon, dem Ruhmestempel der Franzosen. Die Kassiererin nimmt es sehr genau, sie läßt sich von allen die Ausweise zeigen (und jeder hat seinen Ausweis dabei!) – Edith als über 18-jährige muß voll bezahlen! Hinterher taucht die Frage auf, ob sich diese Besichtigung gelohnt hat, ich meine aber ja, schon wegen des Gesamteindrucks. Dann weiter zu den „Katakomben“ – in unterirdischen Steinbrüchen hat man hier die Gebeine gestapelt, die man bei der Auflassung der verschiedenen Friedhöfe in Paris vor etwa 200 Jahren gefunden hat. Sehr eindrucksvoll. Zwischen den Gebeinen Schilder mit Aufschriften der Friedhöfe und Schilder mit Sprüchen vom Tod, so auch der Spruch vom Aschermittwoch: „Memento homo, quia pulvis es...“ – „Gedenke o Mensch, daß du Staub bist und zu Staub zurückkehrst“. Als wir auftauchen, wissen wir zunächst gar nicht, wo wir sind. Dann weiter zum Invalidendom, schließlich ist das Grab Napoleons ein „Muß“.

Natürlich muß für die jungen Damen auch eine Discothek auf dem Programm stehen, doch woher sollen wir wissen, welche da gerade in der Nähe und „in“ ist? Als wir irgendwo in einer Schlange vor einer Ampel stehen, kommt da gerade ein junger Mann vorbei, vielleicht ein Student, und ich gebe vom Fahrersitz aus Anweisung, die Tür aufzureißen und dem jungen Mann zu signalisieren, dass er ein Stück mitfahren kann. Natürlich kommt der gerne mit – und so fragen wir ihn nach der geeigneten Disco. Er empfiehlt die „Skala“ beim Louvre - also heute Abend Discothek. Beim Sohn der Hotelwirtin fragte ich nach der genauen Metrostation („Pyramides“) und gebe jedem Mädchen zwei U-Bahn-Karten (wenn man 10er Blocks kauft, spart man 40 %). Im Hotelfoyer überlege ich, was ich machen soll den Abend – doch ich komme zu nichts – gerade als die Mädchen fort sind, sagt mir der Sohn der Wirtin, daß am Sonntag die Diskotheken erst um 22.30 Uhr aufmachen. Also hin, die Mädchen abfangen und umdisponieren. Nein, sie wollen doch die Nacht in der Disko verbringen. Da es keine Schulfahrt ist, gilt, daß der jungen Leute Wille ihr Himmelreich ist. Wir fahren noch alle zusammen ins Quartier Latin, essen etwas in einem Lokal und dann liefere ich die Mädchen wieder an der Disko ab. Mit dem Sohn der Wirtin gehe ich noch ein Bier trinken. Um 1 Uhr nervt mich mein Begleiter (er hatte sich ganz offensichtlich ein wenig in Alice verguckt) und so wird auch mir mulmig – was ist mit den Mädchen – wir müssen nachsehen! Also hin! Am Eingang reges Treiben – bei der ersten Kontrolle komme ich durch. Bei der Kassiererin gibt’s Probleme – für Mädchen ist Eintritt frei  (außer Fr./Sa.), Männer müssen 80 FF (27,00 DM) zahlen. Ich soll auch zahlen. Schließlich will mich der Afrikaner an der letzten Türe ganz raus befördern. Ich werde energisch: „Je suis le professeur – meine Schülerinnen sind drinnen, einige unter 18...“ worauf schließlich er nachgibt „aber nur einer“. Also ich bin drin – ich treffe zwei, und die anderen sind auch alle gleich da, ja, sie wollen bis morgens bleiben. Also gut. Sie kommen noch kurz mit zum Auto, schließlich kostet ein Getränk in der Disko 15,00 DM – und im Auto gibt’s ja auch etwas! – Beunruhigt gehe ich schlafen. Um 5 Uhr wache ich auf – schnell sehen, ob die Schlüssel noch am Brett sind. – Ja, sie hängen noch. Ich also auf den Wagen und hin. Die Disko durchgekämmt. Diesmal ohne Probleme wegen des Eintritts – aber keines von den Mädchen ist mehr da. Zurück zum Hotel! So gut fand ich die Strecke noch nie. Auch hier keiner, aber ein Auto mit 4 Jungen, die schon auf die Mädchen warten. Ich zur Metro – nichts. Da wird mir doch flaumig ... Inzwischen ist es 6.00 Uhr. Ich wandle zwischen nächster Metrostation (Arts et Metiers) und dem Hotel – da, schließlich 6.10 Uhr entdecke ich sie – alle zusammen, gottlob! Die meisten gehen auch gleich nach oben – bis auf zwei – ja, die Jungen! Damit es schneller geht, helfe ich übersetzen...

Am nächsten Morgen – Rosenmontag, irgendwo soll auch hier etwas los sein, ich bemerke aber nichts - bin ich der einzige beim Frühstück und wandere dann allein (Nachricht am Schlüsselbrett hinterlassend) durchs Marais (Judenviertel, auch heute gibt’s hier noch Juden) ins Quartier Latin. Dort St. Sulpice, riesige Rennaissance-Kirche, die Fassade ist der Londoner St. Pauls Cathedral nachgebildet, innen große Fresken von Delacroix. Dann Palais Cluny, mit schöner mittelalterlicher Kunst. Auf einer Bank im Museum überfällt mich doch ein wenig der Schlaf – das Museum ist voller Menschen, aber mich kennt ja niemand und hier ist es schön warm. Dann wieder über die Seine. Dazwischen habe ich mal im Hotel angerufen und mit Nanni gesprochen – alles in Ordnung – und gegessen. Das Menü war gut und günstig (12,00 DM), aber beim Wein hat man zugeschlagen (ich verstand „von unserem“ und stimmte zu, was der Ober bringen wollte): 1/3 l Kreta-Wein für 7,00 DM – na, er war wenigstens gut, aber wer trinkt schon zu Mittag ein Drittel Liter?

Vorbei am Centre Pompidou, jenem riesigen Kulturbau in Marais ganz aus Glas und Stahl, zum Hotel. Ich treffe Angelika und Nanni und da ich nicht weiß, wann die anderen wiederkommen, möchte ich selbst noch etwas unternehmen. Im Hauptraum der Oper gibt es laut Plan nichts, aber in einem weiteren Raum ein Ballett. Also hin mit der Metro, mal versuchen, ob ich eine Karte bekomme. Vor der Oper eine riesige Schlange. Ich frage irgend jemanden: es gibt eine Generalprobe von Doktor Faustus, eine ganz moderne Sache von Jakob Böhmer (o.a.). Ich stelle mich mit an und frage noch einmal genauer – da fragt man mich, ob ich überhaupt eine Karte habe – und bekomme eine Karte geschenkt (sogar für 2) – damit lande ich zwar auf dem obersten Rang, immerhin ein 30,00 DM Platz (die Karten sind zwar gratis, doch ich schätze, es ist schwer, dranzukommen). Das Stück ist eine moderne Philosophie über Faust – Faust vor Papst Leo X, Faust in Tibet, Faust vor wilder Rock-Musik. Schließlich begeht Faust auch noch Selbstmord, ich finde das ganze, besonders nach der Pause, etwas langatmig, so daß ich doch etwas einschlafe... Doch es hat sich gelohnt, vor allem auch wegen des tollen Opernhauses, das Deckengemälde ist ja von Chagall. – In der Metro sehe ich noch, wie eine Horde Jungen einen Feuerlöscher herausreißt und damit Unfug treibt, was niemanden stört. – Im Hotel sind alle da, am nächsten Morgen frühstücken wir wieder zusammen. Danach gemeinsam in Richtung Centre Pompidou (leider dienstags geschlossen), ich schicke die Mädchen zu Metro-Station Les Halles, die zu einem riesigen unterirdischen Geschäftszentrum ausgebaut sind (in der Buchhandlung sitzen die Menschen auf dem Fußboden und lesen in den Büchern). Ich selbst gehe noch einmal ins Marais bis zum Denkmal für die ermordeten Juden und esse irgendwo einen koscheren Imbiß. Kurz vor 2 treffen wir uns beim Hotel – alle da und ab! Leider hat ein Flohmarkt, den wir auf der Hinfahrt sahen, zu, so geht’s weiter. Kurz vor der Grenze kaufe ich noch Lebensmittel, damit ich die nächsten Tage französisch essen kann (so Kuddeln – „Fleck“ in Gelee). Unterwegs informieren wir die Eltern von der Ankunft – wir werden erwartet. Die Eltern von Alice bescheren mich sogar mit einer Flasche echtem Champagner „Martin-Laurent“ in liebevoller karnevalistischer Aufmachung – ich erkenne erst, was ich bekommen habe, auf meinem Bau bei näherem Hinsehen – eine schöne Erinnerung. Das war´s also!

Und was war der Höhepunkt? Natürlich wohl die Diskothek „Skala“ – die Mädchen haben ja noch mehr Eindrucksvolles erlebt als ich bei meinem kurzen Besuch: Lasershow, Video in allen Räumen, auch ließ ein Mädchen ihren Aerobicdress fallen....(aber die war von der Disko!). – Ich werde gedrängt, bald wieder nach Paris zu fahren, vielleicht Pfingsten? Edith meinte, dann müsse ich aber mit in die Skala kommen!

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