London 1997
Die "Wahrheit über die Beerdigung von Lady Di" am 6. September.
Die Fahrt war geplant, meine Freunde hatten sich vorbereitet und gefreut: die frühere Schülerin Rosi und meine "Campingplatzfreundinnen" aus dem Märkischen Kreis Anja und die Tochter Hannah (das Mädchen <11> war ja mit mir am Strand); ich hatte mich mit ihr und der Familie so gut verstanden, daß wir über eine solche Fahrt "mit den beiden Frauen" schon damals geredet hatten. Und so fand sie dann auch statt, obwohl an dem vorgesehenen Termin das traurige Ereignis der Beerdigung von Lady Di sein würde und wir vermutlich ein ziemlich anderes Programm als das übliche haben würden. Immerhin hatte ich noch ein Fährticket bekommen - es waren sogar noch Plätze frei, diesmal für den Katamaran von Sally Lines zwischen Dünkirchen und Ramsgate, eine Art Zwei- "Kufen"-Schiff, das wie wahnsinnig über den Kanal braust und die Strecke in knapp 90 Minuten schafft gegenüber der 150 Minuten mit einem normalen Schiff und das bei einem Dreitagepreis für Auto und bis zu 5 Passagieren von DM 135. Bei der Abfahrt um 20 00 Uhr würden wir also noch zum Abendessen in meinem indischen Quartier sein. Und es klappte auch alles, pünktliche Abfahrt in Blatzheim, erfolgreiche Stauumgehung Brüssel (ich fahre freitags immer frei nach Gefühl quer durch Brüssel, weil der Ring um Brüssel da völlig zu ist), pünktliche Ankunft in Dünkirchen. Trotz des ungewöhnlich starken Verkehrs zu dieser Zeit und einiger Sperren im Zentrum von London (wir hielten noch am St. James Palast an, überall Blumen) kamen wir schon so früh in unserem Quartier an, daß wir noch ein absolut feudales und leckeres indisches Abendessen bekamen - und so gegen Mitternacht verzogen wir uns in unser "Apartment", nicht ohne dann noch unsere Flasche Cotes de Bourg leerzutrinken - jede Partie unserer Gruppe hatte ihr eigenes Zimmer (zwar alles renovierungsbedürftig, aber wie heißt's: Einem geschenkten Gaul...)! Am nächsten Morgen, Samstag, schlug ich vor, die leeren Straßen zu nutzen und erst einmal per Auto den indischen Carraramarmortempel (aber bearbeitet in Indien) in Neasden in der Nähe anzusehen, den meine diesmaligen Gäste ja noch nicht kannten. Danach könnten wir ja ins Zentrum fahren, das letzte Stück dann mit den Klapprädern, die ich von hier mitgenommen hatte, um noch etwas von den Trauerfeierlichkeiten mitzubekommen. Und wirklich, im Tempel war alles leer, immerhin sahen wir, wie den Gottheiten aus einem verdeckten Essenswagen das Mittagessen zubereitet und hingebracht wurde (der Tempel hat dafür eine eigene Küche, während des Essens waren dann die Türen zu den Kapellen mit den Götterstatuen jedoch verschlossen). Und dann ins Zentrum - Ziel war Marble Arch, also die Ecke des Hyde Parks, wo die Oxford Street beginnt. Auch hier standen die Menschen, die auf den Trauerzug warteten. Durch eine von der Polizei offengelassene Lücke gelangten wir unbehelligt von den doch sehr gedeckt bis schwarz gekleideten Wartenden und den zahllosen Bobbies zwischen die Reihen der Trauergemeinde - ich vorneweg und hinter mir die drei Frauen, denen ja nichts anderes übrig blieb... So mittendrin... Kein Auto, kein Fußgänger, lediglich wir... Eine Ehrenrunde um Marble Arch hielt ich's aus und nahm die erste Lücke wahr, um hineinzufahren und die Räder an ein Gitter zu schließen. Auch "meine Frauen" waren froh über mein Ausscheren! Immerhin sah man uns ja (hoffentlich) nicht an, daß wir Deutsche waren... Durch eine Unterführung kamen wir dann auf eine Insel, wo die Reihen dünner waren und wir daher "alles" sehen würden. Doch da war fast nichts... Nach etwa 10 oder 15 Minuten kam schon der Konvoi und brauste vorbei, und zwar so schnell, daß ich es zunächst gar nicht recht mitbekommen hatte. Ein paar Leute klatschten und dann tat sich zunächst lange gar nichts. Wir hatten den Eindruck, daß es das noch gar nicht gewesen war. Erst nach 10 oder 15 Minuten oder auch noch mehr lösten sich so langsam die Reihen der Wartenden auf und zwar eher ratlos. Mit zwei (englischen) Mädchen kam ich ins Gespräch, die über die Karte vom Trauerweg gebeugt waren und mich fragten, wo wir überhaupt sind - sie waren gegen 5 Uhr früh von Manchester abgefahren. Der Vorteil unserer Räder war, daß wir recht schnell um den Hyde Park herum zum Kensingtonpalast kamen. Dort waren dann die Meere von Blumen (oder besser von Papier und Zellophan), wie wir sie von den Bildern aus den Zeitungen her kannten. Nicht nur vor dem Palast selbst, auch am Außengitter und um alle Bäume herum lagen die Blumen, bisweilen hingen sie auch an den Bäumen und Briefe und Karten und Bilder und ganze Alben mit Grüßen etwa von Schulkindern dazwischen. Ja, Lady Di, "the Queen of the hearts", würde jetzt in den Armen von Jesus sein, es war schon ergreifend, was sich die trauernden Briten alles ausdachten. Was die Menschen so zu der Verstorbenen hinzog, entschlüsselte sich mir in einem Blatt, das in einer Plastikhülle an einem Baum hing (ich erinnere mich nur noch ungefähr): Du hast geträumt und gehofft und warst glücklich - wie wir, du hast geliebt - wie wir, du bist enttäuscht worden - wie wir, du hast gelitten - wir wir, du hast eine neue Liebe gefunden - wie wir, schade, daß das dann alles durch ein tragisches Schicksal so abrupt endete. Und ich glaube, da wurde auch ihre Rebellion gegen den Hof erwähnt und ihr Herz für die Armen und Notleidenden. Ja, sie war eine "von uns", die genau wir wir träumte und litt und sich nicht so einfach damit abfand, was ihr da so alles widerfuhr, und das machte sie den Menschen so nahe, jetzt würde sie eben "bei Gott" oder "bei Jesus" für uns alle fürsprechen. Sagen mir nicht immer wieder meine Schülerinnen, daß es doch "normal" sei, daß etwa die erste Liebe schließlich in einer Enttäuschung endet? Und meine Erfahrung ist doch, daß ich kaum verstanden werde, wenn ich immer wieder darauf poche, daß das bei einem anderen Verständnis von Liebe und Moral nicht so sein müßte. Lady Di steht ihnen eben - wenigstens zur Zeit - in ihrer Kurzsichtigkeit und in ihrer vordergründigen und oberflächlichen Lebenskonzeption und mit der sich sozusagen daraus zwangsweise ergebenden Folge des Scheiterns doch näher. In der WELT steht, daß ein Psychologe meinte, daß der Kult zu ihrer Ehre alle Züge einer Heiligenverehrung trägt. Genau zu diesem Schluß kamen wir auch, ich denke sogar, sie ist eine Art "Madonna", und Rosi meint, daß sich ein solcher Blumenrausch wohl von nun an alle Jahre wiederholen wird. Faszinierend für mich als Theologe zu erleben, wie eine neue Religion entsteht... Weitere Ziele waren dann der Buckinghampalast und die nach der Trauerfeier überhaupt geschlossene Westminster Abbey (überall dasselbe, Blumen und Menschen) und schließlich Trafalgar Square. Dort waren die Tauben richtig aufdringlich, der Grund war wohl, daß selbst die Futterverkäufer heute trauerten und kein Futter verkauften. In der English National Opera bekam ich dann für den obersten Balkon in der hintersten Reihe für Tosca Karten für Pfd 2,50, also um die DM 7,50 (wohl aus irgend einem Grund ein ermäßigter Preis). Da mußten wir doch hingehen! Und es begann auch stilvoll stehend mit Gedenkminute - es waren wohl drei - und der Hymne "God save the Queen". Die Oper selbst war phantastisch und ich habe den Eindruck, daß sie selbst unserem "Kind" so gefiel, daß sie sich auch fortan für "so etwas" interessieren könnte. Wie geplant kamen wir dann am Sonntagmorgen um 9 Uhr los, bei der Vorbeifahrt an St. Paul's Cathedral ein kurzer Blick hinein, ein kurzer Blick auf Tower und Tower Bridge (sie war gesperrt) und dann durch den Blackwell Tunnel in Richtung Ramsgate. Da wir schließlich noch genügend Zeit hatten, konnten wir sogar noch den kleinen Umweg über Canterbury machen. Inzwischen kostet die Kathedrale hier auch Pfd. 2,50 Eintritt, also DM 7,50. Da nun Sonntag war, fiel das mit dem Eintritt flach, doch wir wurden von zwei "Türwächtern" eindringlich gefragt, ob wir wirklich zum Gottesdienst hineinwollten (dabei war noch eine halbe Stunde Zeit). Na ja, wir "entschieden" uns dann drinnen, doch lieber gleich wieder zu gehen und den Gottesdienst nicht zu stören, denn die Zeit würde wegen unserer Fähre nicht ausreichen... Nach der Überfahrt spazierten wir noch in Dünkirchen zwischen den Franzosen ein wenig am Strand entlang - und waren dann etwa um 19 30 Uhr in Blatzheim. Meine beiden Sauerlandgefährten dürften dann wohl gegen 22 00 in Altena gewesen sein. Trotz des traurigen Tages in London - eine wunderschöne und harmonische Fahrt. Es bestehen keine Probleme, das Mädchen mir für die Herbstferien anzuvertrauen...und ich finde es schön, etwas alternative Ideen von Natur und Kultur einem Kind nahe bringen zu können, die in ein Gesamtkonzept passen - und daß das von den Eltern auch so gesehen wird. (Website basisreligion mit basislexikon, basisdrama, basisgesprächen, basisreisen) |