Herbst 1999 nach Österreich und Kalabrien

 

Wieder nach Italien! Und da die Ferien diesmal zwei Wochen sind, konnten wir den Weg bis nach Italien ja etwas ausdehnen, um auch noch in Deutschland und in Österreich etwas anzuschauen, zumal Trinh ja ein Referat übers Rokoko machen soll. Und da haben wir ja ohnehin das Auto – so können wir das also verbinden.

Wie ich allerdings unterwegs feststellte, stießen wir auf soviel Rokoko auch wieder nicht, na, macht nichts, man kann ja auch daran sehen, was Rokoko eben nicht ist. Immerhin konnte ich die Fahrt ja so legen, daß wir Dinge sahen, die auch ich selbst noch nicht kannte.

So ging die Fahrt also über Weltenburg (Asambau) im Donaubruch (das berühmte Altarensemble im Chor mit dem hl. Georg wird leider gerade restauriert, immerhin gab es ein gelungenes Bild davon davor), zur Abwechslung von der Kunst zur Befreiungshalle Kehlheim in der Nähe (finde ich weit sympathischer als das schaurige Völkerschlachtdenkmal in Leipzig), nach Niederaltteich, Osterhofen (auch ein wundervoller Asambau), Aldersbach und nach Passau. Im Dom sprach uns ein Herr Waldbauer an, der uns aufgrund seiner Privatoffenbarungen die Bibel neu interpretierte, er begann damit, uns zu erklären, was die Kreuzesinschrift INRI wirklich hieße und dann, daß nach seiner Meinung die Essener griechisch beeinflußte Juden waren usw. Als ich ihm sagte, daß er seine Sachen doch fürs Internet aufarbeiten sollte, da hätte er doch ein Forum, allerdings müßte er alles ein wenig ordnen, und daß ich mich schließlich auch auf Privatoffenbarungen berufen könnte, da wurde er grantig. So geht´s eben nicht mit neuen Ideen – Trinh hatte ihren Spaß und es wurde in geflügeltes Wort auf der Fahrt “der Herr hat mir gesagt...” (Inzwischen habe ich ein meterlanges Fax von ihm erhalten – er geht mit keinem Wort auf mein Schreiben und auf meine speziell für ihn ausgesuchte Anlagen ein...) Aber nicht nur Kirchen haben wir uns angesehen, bei einer grandiosen Holzkonstruktionshalle hielten wir an, mit dem Bauherrn kamen wir über die lieben Nachbarn ins Gespräch – und er erzählte, daß er einmal sogar von seinem eigenen Bruder angezeigt wurde.

In Österreich ging´s dann über Schlägl (Kloster) nach Leopoldschlag unmittelbar an der böhmischen Grenze, wo wir mit unseren Eltern 1957 zwei Wochen in Vollpension (für 5,60 DM) waren. Ich wollte mal nachschauen, wie das heute aussieht und sie so das Erinnerungsvermögen ist – ich habe nichts wiedererkannt, doch, wir waren doch in dem richtigen Ort... Während Trinh in der Kirche Latein lernte (irgendwo mußte sie ja bleiben), machte ich eine kleine Spritztour nach Böhmen – Tanken, Post einwerfen, Bier kaufen, heute geht das ja schnell... Daher also die tschechischen Briefmarken auf den Briefen mit dem Sommerbericht. Dann über Weitra (hübsches altes Städtchen – erinnert an Böhmen) nach Zwettl (gotische Abteikirche mit gelungenem barocken Altar). Wir übernachteten bei einem Bauern für 42 DM, leider weckte uns morgens die Bimmelei der Dorfkapelle), weiter nach Melk (da war ich noch nie drinnen, wenigstens sind Kirche und Kloster jetzt renoviert) und über Mariazell (wo meine Eltern auf Hochzeitsreise waren, eine schöne Wallfahrtskirche) in Richtung Villach. Davor stiegen wir noch zur Burg Hochosterwitz hinauf, eine Burg, die so gut gelegen und befestigt war, daß sie nie erobert wurde.

Hier gab´s auch die zweite Autopanne, das Auspuffrohr war entzwei gebrochen, die erste Panne hatten wir hinter Kehlheim, da tauchte derselbe Fehler wie in Spanien auf, die Reparatur (angeblich verdreckte Spritleitung) war also doch nicht gelungen. In Kehlheim reparierte die Sache ein ADAC-Mensch (es war Sonntag), er hatte schnell den wirklichen Fehler festgestellt: ein Anschlußdrähtchen für die Dieseleinspritzpumpe war korridiert und steckte nur noch so in der Anschlußöse. Und mit dem defekten Auspuff hier kamen wir noch bis ins Italienische, wo in Tarvis (wir sprechen und schreiben das natürlich immer noch in deutsch) in der Fiatwerkstatt das gebrochene Rohr mit einem Innenrohr geschient und geschweißt wurde – für gerade 30 DM inklusive Trinkgeld. Ich hatte mal gehört, daß auch Österreicher zur Autoreparatur nach Italien fahren, konnte jetzt allerdings keine entdecken.

Die Bahnfahrkarten (jeweils DM 210) hatten wir in Österreich gekauft – leider konnte ich für Trinh nicht die 30 % Jugendrabatt in Anspruch nehmen, weil das seit zwei Monaten nur mit Paß geht und T. ihren Paß nicht dabei hatte (den Rabatt gibt´s bis zum 26. Lebensjahr). Immerhin hatten wir jedoch Schülerausweis und Bescheinigung der Schule mitgebracht – und der österreichische Polizist, der uns beim Grenzübergang kontrollierte, war auch damit zufrieden. Trinh amüsierte sich darüber immer wieder, daß hier das reichte...

Mein weiterer Reiseplan klappte wieder, wenn auch zunächst etwas holprig: Von Tarvis (bis Udine per Bus) nach Venedig (dort Spaziergang bis zum Markusdom, auf dem Rückweg Rialtobrücke, Frari- und Sto. Paolokirche, ach ja, auf dem Hinweg waren wir noch in einer Adenauerausstellung anläßlich 50 Jahre BRDeutschland im Palazzo der deutsch-italiensichen Gesellschaft und bei einer Bitte um eine richtige Fotoposition trat sie auf eine glitschige Stufe <da half auch mein aufgeregtes Halt-Halt nicht mehr!> und wäre beinahe im Wasser gelandet – so war nur ihre Hose völlig verschmiert) und von dort mit dem Nachtzug nach Reggio Calabria. Dort dann Umrundung der Spitze des Stiefels mit Bahn und Klapprädern bis nach Tarent oder Bari. Und von dort wieder zurück bis nach Venedig und Tarvis. Während wir hier in Österreich und Deutschland eher meinen Passatkombi als Schlafauto benutzen konnten (das geht sehr gut), würden wir da unten zelten – und auch das ging hervorragend, zumal es sehr sommerlich war. Eigentlich war ich mir unsicher, ob Kalabrien ein so tolles Ziel ist, doch diese Gegend fehlte mir noch. Der Vorteil gegenüber Sizilien ist, daß der Zug doch einige Stunden weniger fuhr und daß wir daher schon morgens dort sein konnten, während etwa nach Palermo und Syrakus der Zug viel länger braucht – und mit der üblichen Verspätung ist dann ein ganzer Tag verloren. So konnten wir nach der Ankunft in Reggio gleich ins Archäologische Museums in Reggio (das ist das mit den berühmten Bronzehelden, die man da bei Riace an der ionischen Küste im Meer gefunden hatte – wir konnten sie mit den Breker-Helden hier bei uns in der Nähe in Nörvenich vergleichen). Mit der Wahl unserer Feriengegend war ich mir auch zunächst weiter ungewiß, denn bei der Weiterfahrt mit der Bahn sah man zuerst einmal neben der Bahn nur Straßen und Häuser, und sehr einladend war das nicht. Doch es wurde wirklich schöner. Erster Halt war ziemlich an der Südspitze, wir radelten von Melito los zwei Stationen weiter. In Condofuri suchten wir einen Zeltplatz in einem Olivenhain, doch eine Frau schickte uns an den Strand, sie fuhr sogar vor uns her, denn da sei es wunderschön – und eine funktionierende Dusche gebe es da auch noch – Trinkwasser. Ja es war wirklich schön, wenn die Bahn nicht so sehr in der Nähe gewesen wäre. Glücklicherweise war Nacht von Samstag auf Sonntag, deshalb gab es nur wenige Züge  – in den folgenden Nächten würde viel mehr los sein, so entnahm ich aus dem Fahrplan. Also weiter – per Bahn. Es wurde dann zur Gewohnheit, daß wir uns abends einen Platz suchten, das Zelt am nächsten Tag mit Gepäck stehen ließen (es klaut sowieso niemand), ein Programm machten – möglichst per Bus irgendwohin ins Gebirge fuhren und dann mit den mitgenommenen Rädern den Berg wieder ins Tal radelten. Erster Ausflug auf diese Weise war von Locri zur großartigen byzantinischen (im Plyglott-Führer stand normannisch) Kathedrale von Gerace – auch schönes Städtchen (wir hatten allerdings den Bus verpaßt, so nahm uns ein Herr mit Frau (?) und Mutter in seinem Normal-PKW mit, der uns sogar seine Luftaufnahmepostkarten schenkte), zweiter Ausflug war von Monasterace nach Stilo (reizende kleine byzantinische Kirche – und ich bestieg auch noch den Berg dahinter mit normannischem Kastell), dritter Ausflug von Crotone an die dort vorspringende Küste zum Kap Colonna mit der letzten Säule des Tempel der Hera Lacinia der antiken Stadt, wo Hannibal seine Memoiren schrieb und von der er dann nach seinem Feldzug nach Karthago zurückkehrte (wie mir Leute erzählten, die gerade dort waren). Eigentlich war´s hier sehr schön, doch ich fand morgens kein “Alimentari”, so mußte ich zum Brotkaufen um die 10 km bis nach Crotone zurück... Immerhin war in dieser Zeit Trinh ungestört, was bei unserem nächsten Ziel, dem vierten Ausflugsstützpunkt, Metapont, nicht so war. Als ich da morgens weg war, waren da bei ihr jede Menge Spanner, drei Arbeiter, die dabei irgendwelche Arbeiten auf der schönen Strandpromenade vergaßen, und drei Fischer, die ihre Fischerei wohl vom Boot am Strand aus durchführten... Dabei war sie doch ganz züchtig, wie sie mir erzählte, sie machte sie nur ihre Morgengymnastik – und war einfach nur da... Das antike Metapont muß ja eine sehr fromme Stadt gewesen sein, jedenfalls nach den Tempelresten zu urteilen...

Da es von Tarent keinen durchgehenden Zug nach Venedig gab, also von Bari. Wir hatten auch noch Zeit für die Kirche des heiligen Nikolaus (wunderschön frisch restauriert, die Fassade war noch verhängt) und für einen Imbiß bei einem Tripastand (Tripa sind die Kutteln, in Ostpreußen heißen sie Fleck) hinter dem Chor an der Uferstraße. Die in Öl gebackenen Polentakuchen, die es auch dort gab, mochte  Trinh nicht, weil sie langweilig schmeckten und das Öl alt war, ich merkte das alles natürlich wieder einmal nicht.

Ach ja, über was unterhielten wir uns so die ganze Zeit? Trinh war sehr, sehr munter. Meine Rechnung geht auch hier auf – ich bekomme wirklich mit, was in Vietnam in den Köpfen junger Menschen ist. Und ich kenne auch jetzt die Inhalte aller “Opern”, oder was sie eben so darunter versteht. Bisweilen ist das recht derbe “Volkspädagogik”. So ist etwa der Inhalt einer “Oper”, daß ein Bursche, den es irgendwie nach Amerika verschlagen hatte und der nach Hause nach Vietnam zurückkehrt, dort seine Mutter bittet, ihm eine Prostituierte zu besorgen. Die Mutter hatte ihm allerdings schon längst ein liebes Mädchen für die Heirat “besorgt”, doch das will er nicht, ohne es überhaupt gesehen zu haben. Da hecken die beiden Frauen einen Plan aus. Das Mädchen verkleidet sich als Prostituierte und macht den Jungen an... Bei ihrem “Geschäft” ist sie nun nicht nur äußerst wild, sondern sie klaut ihm auch alle seine Papiere usw. Kleinlaut kehrt er zu seiner Mutter zurück, und als er da so zerzaust und erbärmlich dasteht, erscheint das Mädchen – nunmehr seriös – und gibt ihm alles zurück und es kommt zum Happyend.

Auf die Rückfahrt wieder Venedig, wir nahmen Schiffstageskarten für die Vaporetti (so heißen doch die “Wasserbusse”? - jeweils DM 18,--), die wir allerdings nicht richtig ausnutzten, weil Trinh irgendwie die Schnauze voll hatte und weiter wollte. Immerhin waren wir noch bei St. Gregorio auf der Insel vor dem Dogenpalast, in der byzantinischen Kirche S. Giorgio, in der S. Giovanni e Paolo-Kirch (Dominikaner). Und wir sind auch ein wenig außen um die Stadt geschippert.

Ein paar Stunden unterbrachen wir dann noch in Udine. Vielleicht nicht nur, um die hübsche Stadt zu besuchen, sondern auch, um zu Abend zu essen. Aber daraus wurde nichts, irgendwie scheint es doch zu stimmen, was ich meine, daß es in Italien nicht möglich ist, so schnell und einfach zu essen wie etwa bei uns oder auch in Frankreich. In Italien ißt man eben bei Muttern zu Hause oder – wenn auswärts – ganz groß. Bestätigt wird diese meine Meinung auch, daß in Udine bei Mc. Donalds alles voll war (Big-Mac-Mahlzeit um die 9 DM), während sonst in den wenigen Lokalen, die wir sahen, ziemliche bis gähnende Leere herrschte.

Ach ja, irgendwo und irgendwann interessierten sich immer wieder Leute für unsere Klappräder und dann waren sie offensichtlich auch neugierig, wie wir zusammen gehörten. Ich erzählte in solchen Fällen immer, daß Trinh meine “filia adoptiva” sei, “ja, ganz ohne eigene Frau, ich hätte diese Phase einfach übersprungen, in Deutschland ginge das unter Umständen”, worauf einer der beiden Bahnbeamten, mit denen wir auf dem Bahnhof von Udine in Kontakt kamen, aus vollem Herzen (und offensichtlich auch ein wenig neidisch?) meinte, “ja das sei vernünftig...”

Unser Auto fanden wir wieder bestens vor, die erste Etappe der Heimfahrt ging bis Biberach (alte Freunde besuchen, die ich von einer Besteigung des Olymps vor 27 Jahren her kenne), für Trinh von dort noch Fahrt zur herrlichen Dorfkirche von Steinhausen und auf dem Heimweg die Klosterkirche von Wiblingen, irgendwie finde ich auch diesen letzten großen barocken Sakralbau, der schon ins Klassizistische geht, vornehm und phantastisch. (Ich glaube, die Bibliothek dort muß ich auch wieder einmal besuchen.) Dank eines Staus vor Stuttgart waren wir erst nach ½ 10 wieder in Blatzheim.

Das wär´s....  Ob ich wieder einmal nach Kalabrien fahre? Ja vielleicht. Aber vermutlich nicht von Tarvis aus, das ist zu umständlich und dauert zu lange. Ein Ziel in Kalabrien wäre ein kleines Dorf, von der mir die Dame in Kap Colonna erzählte, wo die Einwohner in den leerstehenden Häusern Kurden aufgenommen haben, mit denen sie ganz wunderbar zurecht kommen. Jetzt gebe es dort wieder einen Schuster, einen Bäcker...

Trinh ist noch etwas mitgenommen von der Fahrt. Sie leidet auch darunter, daß sie in ihrer Klasse nicht ankommt. Sie hat eben andere ethische Vorstellungen (eine totale Provokation für die Kameraden und besonders für die Kameradinnen) und will auch etwas lernen. Sie wird sich durchbeißen. Heute, 20.10., brachte sie ein “gut” in Englisch an.

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