CINDERELLA-KOMPLEX (Basislexikon: kompetent-kritisch-konstruktiv)

CINDERELLA-KOMPLEX. Wie Cinderella warten die Frauen noch immer auf ein äußeres Ereignis, das ihr Leben grundsätzlich verändert. Die Amerikanerin Colette Dowling beschreibt in ihrem gleichnamigen Buch (Fischer Taschenbuch Nr. 1280 / 1984) "die heimliche Angst der Frauen vor der Unabhängigkeit" und beklagt, daß "Tausende und Abertausende von Frauen" "auf eine bestimmte Weise erzogen" werden und damit nie in der Lage sind, sich der Realität zu stellen, daß sie als Erwachsene allein für sich verantwortlich sind: "Wir bekennen uns vielleicht mit Worten zu dieser Idee, aber innerlich akzeptieren wir sie nicht. Alles in unserer Erziehung sprach davon, daß wir Teil eines anderen Menschen sein würden - daß uns das eheliche Glück bis zum Tod beschützen, stärken und aufrechterhalten würde." (S. 9)

Trotz aller modernen Gleichberechtigung neigen Frauen immer noch zum Rückzug, wenn sie die Möglichkeit haben, vorwärts zu gehen.

Der Grund ist, "weil Frauen nicht daran gewöhnt sind, sich der Furcht zu stellen und sie zu überwinden. "Wir werden ermutigt, allem aus dem Weg zu gehen, das uns erschreckt. Man hat uns von klein auf gelehrt, nur Dinge zu tun, bei denen wir uns sicher und wohl fühlen. Ja, man hat uns nicht auf die Freiheit vorbereitet, sondern auf das absolute Gegenteil - die Abhängigkeit."

"Die Wurzel des Problems liegt in der Kindheit. In der Kindheit waren wir sicher, für alles wurde gesorgt, und wir konnten uns darauf verlassen, daß Mutter und Vater da waren, wann immer wir sie brauchten. In den Nächten gab es keine Alpträume, keine Schlaflosigkeit oder die quälende, zwanghafte Litanei all dessen, was wir tagsüber falsch gemacht haben oder vielleicht hätten besser machen können. Wir legten uns abends ins Bett und lauschten dem Wind, der durch die Bäume strich, bis wir einschliefen. Heute weiß ich, daß zwischen unserem weiblichen Hang zur Häuslichkeit und diesen angenehmen Träumen von der Kindheit, die an der Schwelle des Unterbewußtseins zu liegen scheinen, eine Verbindung besteht. Es hat etwas mit Abhängigkeit zu tun: Es ist das Bedürfnis, sich auf jemanden zu stützen - ein Bedürfnis, ernährt, umsorgt und vor Schaden bewahrt zu werden, das in die Kindheit zurückreicht. Dieses Verlangen begleitet uns in das Erwachsensein und fordert ebenso energisch Erfüllung wie das Bedürfnis nach Unabhängigkeit. Der Drang zur Abhängigkeit ist für Männer und Frauen in gewissem Maß normal. Aber wie wir sehen werden, sind Frauen seit ihrer Kindheit dazu ermutigt worden, in geradezu ungesunder Weise abhängig zu werden. Jede Frau, die sich nichts vormacht, weiß, daß sie nie dazu erzogen wurde, sich mit der Idee anzufreunden, für sich zu sorgen, auf sich selbst gestellt zu sein und sich zu behaupten. Sie hat höchstens das Spiel der Unabhängigkeit gespielt und dabei innerlich die Jungen (und später die Männer) beneidet, weil ihre Unabhängigkeit so natürlich zu sein schien.

Nicht die Natur schenkt Männern diese Unabhängigkeit, sei wird durch Training erworben.

Von Geburt an werden Männer auf die Unabhängigkeit vorbereitet. Und ebenso systematisch wird Frauen beigebracht, daß sie etwas anderes erwarten können: Sie werden eines Tages auf irgendeine Weise gerettet.

Das ist das Märchen, die Botschaft, die wir mit der Muttermilch eingesogen haben. Vielleicht wagen wir uns eine Zeitlang allein in die Welt. Wir studieren, arbeiten, reisen. Vielleicht verdienen wir sogar gut. Aber bei alldem haben wir im Innern das Gefühl, daß dies nur ein vorübergehender Zustand ist. Du mußt nur durchhalten, heißt es in dem Kindermärchen, und eines Tages kommt ein Mann und befreit dich aus der Angst, für immer allein zu leben. (Der Junge lernt: Niemand rettet dich, wenn du es nicht selbst tust.") (S. 11f.)

Dowling kommt dann darauf zu sprechen, daß sie sich und alle anderen lange "mit einer raffinierten Art der Pseudounabhängigkeit getäuscht" hatte - "eine Fassade, an der ich jahrelang gebaut hatte, um den <beängstigenden> Wunsch, versorgt werden, zu verbergen. Die Maskerade war so überzeugend, daß ich vielleicht ein Leben lang daran geglaubt hätte...."

Und etwas später schreibt sie: "Wir wurden erwachsen - das war es: Sinnlich, intelligent und mit einem Schliff, den nur das Leben in Manhattan bringt, aber in Wirklichkeit blieben wir pubertierende Mädchen, denen der Spinat in den Zahnklammern hing. Wir hatten keine Männer, keine Ehemänner zu Hause, und das enthüllte, wer wir wirklich waren: verängstigte, verunsicherte, geistig und psychisch erstaunlich unterentwickelte Frauen. Wir freuten uns, dem Käfig entflohen zu sein, aber innerlich schreckten wir vor der neuen Freiheit zurück, unser Leben selbst meistern zu können. Vor uns lagen nur dunkle unsicher Pfade, die in einen Dschungel führten." (S. 33)

Warum Frauen erheblich seltener als Männer in Spitzenpositionen gelangen: Bei Frauen ist zwischen IQ und Leistung keine Beziehung!

"An der Oberfläche scheint das Problem für Männer und Frauen gleichermaßen zu bestehen: Nur wenigen gelingt es, in Spitzenpositionen zu gelangen. Aber im Fall der Frauen sieht die Sache anders aus. Untersuchungen haben übereinstimmend gezeigt, daß der Intelligenzquotient bei Männern in relativ enger Beziehung zu den Leistungen steht; bei Frauen hingegen besteht zwischen IQ und Leistung keine Beziehung. Diese schockierende Diskrepanz wurde durch die Stanford-Untersuchung über hochbegabte Kinder enthüllt. Man wählte mehr als sechshundert Kinder mit einem IQ von über 135 (repräsentativ für das begabteste eine Prozent der Gesamtbevölkerung) aus kalifornischen Schulen aus und verfolgte ihre Entwicklung bis ins Erwachsenenleben. Die Frauen, deren Kindheits-IQ im gleichen Bereich wie der der Männer gelegen hatte, arbeiteten durchweg in unbedeutenden Stellungen. Zwei Drittel der Frauen mit dem Geniewert von 170 oder mehr waren Hausfrauen oder Büroangestellte."(S. 41)

Kommentar von basisreligion: Frauen pflegen in unseren Kulturen leider eine ganz wichtige Phase des Lebens zu überspringen, nämlich die der Ästhetik und der bewußten Unschuld - und das rächt sich eben.

Zwar sind in der Bildung Mädchen inzwischen derart bevorzugt, daß es hin und wieder schon Förderprogramme für Jungen gibt. Doch Männer können die Benachteiligung ihrer Geschlechtsgenossen gelassen sehen: Auf Dauer behalten sie doch die Oberhand - zumindest im öffentlichen Leben. Und die Mädchen werden zu den berühmten grauen Mäuschen, die fleißig an allen Fronten des Lebens arbeiten, doch die Männer sahnen sozusagen den Rahm ab.

Nicht nur als Berufsschulreligionslehrer, sondern auch als Vater einer (Adoptiv-)Tochter, macht man sich so seine Gedanken, warum das alles so ist.

Allgemein akzeptiert ist, daß Mädchen und Frauen sich besonders gut entwickeln, wenn ihr Hintergrund geordnete und für sie zufriedenstellende persönliche Verhältnisse sind. Das wird auch durch die heutige Resilienzforschung bestätigt. Als besonders verhängnisvoll erscheint daher der in unseren Kulturen übliche wenig organische private Lebensweg der Frauen mit den berühmten Brüchen, die die Frauen wohl nur deswegen verkraften, weil das Leben eben weiter gehen muß. Man stelle sich die Situation eines Mädchens im Zusammenhang mit dem Gespräch 2 (es ist das "Gespräch", in dem der Jungfrauenknacker Tips gibt, wie man eine Jungfrau "erobert" und "knackt"): Da ist ein Mädchen vor ihrer Erziehung her zu schissig für Gott-weiß-für-welche Harmlosigkeiten wie eine unbefangene Nacktheit, verpaßt deswegen auch die für ihre Leben bedeutende Phase der bewußten Unschuld und der  Ästhetik - und dann passiert ihm so etwas... Wenigstens gut, daß es sich nicht auch noch den Strick nimmt, doch die Sache muß natürlich aufgearbeitet werden. Was wäre, wenn eine solche Aufarbeitung nicht sein müßte, und eine Frau die Energie, die sie dafür braucht, woanders einsetzen könnte?

Und diese Situation der Überrumplung ist doch die in allen unseren Kulturen: Mädchen werden immer noch so leibfeindlich und in Ängsten erzogen, daß sie unfähig werden, mit ihrem Körper und damit auch mit ihrem ganzen Leben normal umzugehen. Ich kann als Lehrer ein Lied von den Verweigerungen von Mädchen gegenüber der Nacktheit singen, und welche Rationalisierungen sie alle dabei auf Lager haben! Dabei ist hier ein wahnsinniger Bedarf da, wie gerne würden Mädchen sich in unbefangener Weise - und völlig unschuldig - produzieren, doch zuerst dürfen sie nicht und nachher fügen sie sich und machen aus ihrer (Sexual-)Scham zuerst eine Moral (und zwar die im Sinn von Sittsamkeit!) und schließlich sogar eine Art Sinn des Lebens für sich. Doch sie brennen innerlich sozusagen nach einem Ventil. 

Und da unsere Gesellschaften ihnen das Harmlose verweigert und ihren daher dafür auch keine Strategien vor allem der Menschenkenntnis mit gibt, wie sie ihre Natur leben können, sucht diese sich sozusagen mit brachialer Gewalt ihren Weg - und wenn es über einen radikalen Befreiungsschlag ist. Wichtig ist allein, daß dieser Befreiungsschlag innerhalb der von der Gesellschaft akzeptierten Moral (natürlich wieder der im Sinn von Sittsamkeit!) passiert - und wenn es die ist "Wenn man liebt, dann darf man!“:

-     In Japan nutzen die jungen Mädchen beispielsweise die Gelegenheit des westlichen Weihnachtsfestes, ohne moralische Verwerflichkeit ihr erstes Abenteuer zu erleben.

-         In Thailand fiebern die braven Landmädchen ihrem Beruf als Prostituierte entgegen - der auf einmal auch von Seiten der Gesellschaft und der Eltern moralisch unbedenklich erscheint.

-         Und bei uns und in Amerika gehört "das" nun einmal zu dem "einen Freund haben" und "erwachsen zu sein" dazu - und "wenn man liebt, dann darf man ja".

Daß die jungen Leute dabei gegen jede wirkliche Moral verstoßen und in eine neue Abhängigkeit kommen, überblicken sie nicht und wird ihnen auch in unserer Gesellschaft - natürlich - nicht bewußt gemacht!

Ein Indiz für diese These von der verpaßten Unschuld dürfte die heutige Mode der Schamrasur sein, wird da nicht wenigstens das Aussehen nachgeholt, wenn schon nicht die Tatsache als solche zurückgebracht werden kann?

Was wäre, wenn gerade die jungen Damen auf die Phase der Ästhetik hin erzogen würden, wenn man ihnen dafür die entsprechenden Strategien mitgäbe und damit auch die Menschenkenntnis, das alles sinnvoll zu gestalten? Es geht ja nicht nur um solche Gandhi-Begegnungen, auch in anderen Bereichen würde sich vermutlich eine ganz andere Lockerheit und Offenheit und vor allem Fähigkeit, das Leben in die eigene Hand zu nehmen und zu meistern, einstellen!

Ob dann auch noch Cinderella-Komplex eine derartige Volksseuche wäre wie heute (auch bei uns!)? Ich wage das zu bezweifeln.

 (Wörterbuch von basisreligion und basisdrama) Computer-Übersetzung des Buchs HONESTY AND FUN WITH THE MORALITY ins Englische unter English