BÖHMEN 1998

 

Fahrt über die Karnevalstage

Wohin über die Karnevalstage - immerhin ja fünf freie Tage? Paris und London kann man ja an kürzeren "Unterrichtspausen" machen, also diesmal etwas Weiteres: Da ich am Ende der Weihnachtsferien auch durch Böhmen gekommen war und einen Prospekt von Westböhmen sah und den Eindruck hatte, daß dort alles noch günstig ist (warum soll man nicht Aufbauhilfe leisten?), also diese Gegend. Natürlich mit meinem alten Passat (der mit dem alten Chassis und der tollen Austauschmaschine, die so um die 6 l Diesel braucht) und mit einer kleinen Gruppe...

Abfahrt Freitag später Vormittag. Vor Würzburg Stau, den wir versuchen, quer durch Würzburg zu umgehen und uns dabei motivieren lassen, wenigstens die im Krieg unversehrt erhaltene Wallfahrtskirche "Käppele" anzuschauen. Irgendwann geht dabei der Auspuff kaputt. Besseres, als daß das auf einer Fahrt in die "Länder der günstigen Reparaturen" geschieht, kann mir ja gar nicht passieren (die Reparatur sollte dann auch nur 20 DM kosten...). Vom Winter her wußte ich noch ein Quartier, 30 km hinter Karlsbad in Lubenz bei "Jana", einer Pension am Straßenrand (aber keine von denen mit den "roten Laternen", von denen es auch viele gibt) - und wir bekommen auch noch ein Zimmer. Jetzt weiß ich auch die Ortsnamen auf deutsch, denn ich hatte noch in Bayreuth eine Karte gekauft, in der alle Namen zweisprachig sind - ich brachte dann meinen Gefährten bei, daß man etwa C-H-E-B buchstabiert, das aber dann "Eger" ausspricht, auf solche Praxis hatten mich vor Jahren meine siebenbürgischen Freunde aufmerksam gemacht, als die deutschen Namen auch in Siebenbürgen offiziell abgeschafft wurden. 

Am Samstag dann eine Rundfahrt Saaz (in der Shellkarte mit 2 Sternen angegeben) - Laun - Kaaden - Karlsbad. Eine irre Enttäuschung ist Saaz, denn die Altstadt ist tot und die heutigen Bewohner wohnen in Plattenbauten drumherum. So ist das also, wenn die eigentlichen Bewohner vertrieben sind und die neuen "Besatzer" keine Beziehung zu den alten Gemäuern haben. (Es wurden ja um die 2 1/2 Millionen Sudetendeutsche brutal vertrieben - und es waren gar nicht genügend Tschechen da, um das entleerte Land aufzufüllen.) Am alten Markt (eigentlich ein wunderschöner Platz) gibt es wenigstens ein Hotel mit einem Restaurant im Keller im Hundertwasserstil, und wir genieren uns fast, als wir die Rechnung für das schöne Essen sehen: um die 2,80 DM pro Person inkl. Getränk. Schöner ist dann Laun, immerhin können wir ein wenig in die Kirche sehen, ein absolut spätgotisches Gewölbe mit den in Böhmen teilweise durchbrochenen Rippen und ein wunderschöner unbemalter Barockaltar, auch die Stadt lebt. Hier wohnten vielleicht schon immer einige Tschechen. Wir treffen einen jungen "Dortmunder" (das betont er mehrmals) "mit total sächsischem Akzent und hübscher junger tschechischer Frau und Kind", der uns vor einem Immobiliengeschäft erzählt, wie er in Dortmund um die 6000 DM im Monat verdient und damit hier schon einige Immobilien gekauft habe, dank seiner Frau könne er das ja problemlos. 

Auch Kaaden scheint lebendiger, na ja, inzwischen ist ja auch Samstagnachmittag. In Karlsbad habe ich ein lustiges Erlebnis: Als wir schon recht spät (um 8 Uhr) in eine Straße am Egerfluß entlang fahren, kommt uns ein Polizeiauto entgegen. Ich ahne schon, was los ist, und stoppe schon längst bevor ich angehalten werde. Was soll's, ich bin in eine Straße nur für Fußgänger hineingefahren - 1000 Kronen soll das als Strafe kosten, um die 54 DM, so ein Mist. Also fange ich an zu labern von wegen Karnevalsflüchtlinge und Großzügigkeit bei uns im Rheinland usw. Der Polizist läßt sich alle meine Papiere zeigen und meint dann, daß ich mir aussuchen könnte, was ich freiwillig zahlen wollte... Und ich sollte mich auch mit meinem "Finanzminister" besprechen... Ich habe dann 200 gesagt (11 DM), und das war's dann auch, und ich habe dann auch noch 2 Quittungen á 100 Kronen bekommen...(100 hätten's also auch getan). Es gibt immer etwas Neues, man lernt nie aus...

Am Sonntag dann weiter gen Süden. In Chiesch ist wenigstens ein Teil der imposanten Kirchenfassade renoviert, in die Kirche kommen wir hier wie auch zumeist sonst natürlich nicht hinein, die Tschechen halten ja wohl auch nicht viel von Religion. Auf dem Friedhof noch viele Grabsteine mit deutschen Aufschriften, auch noch aus jüngerer Zeit. Eine Ecke ist ganz "deutsch", in einer Reihe sind alte deutsche Grabsteine aufgestellt und daneben dann große neue Gedenksteine mit den Namen der in den letzten Kriegsjahren und offensichtlich auch bei der Vertreibung (und vielleicht auch nach der Vertreibung) verstorbenen "Ureinwohner". Ob das nicht auch eine Idee für den Umgang mit "unseren Toten" in der ermländischen Heimat wäre? Eine Frau weist uns auf immer noch andere Gräber hin.

Hübsch dann Rabenstein im Osten des "Tepler Hochlands", wir machen eine wunderschöne kleine Wanderung durch das romantische bergige Waldgebiet. In Manetin ist ein Schloß mit einem Restaurant, davor treffen wir Sachsen, die meinen, "nichts Besonderes, man könne es jedoch essen" - uns hat unser Cordon bleu auf böhmische Art jedoch bestens geschmeckt. Dann Konstantinsbad mitten im Wald, eigentlich nur die Kuranlagen - wer Ruhe braucht: hierhin! Es gibt einen Brunnen, der angeblich gegen alles hilft und die 3- Wochen-Kur kostet so zwischen 1600 und 2100 DM (auch tageweise) mit allem inklusive, Begleiter weniger als die Hälfte. (Noch) Eine Idee!

In Pilsen finden wir dann neben dem Marktplatz eine kleine Pension - zufällig ist die Besitzerin da - ich bekomme gleich die Schlüssel für Haus und Zimmer - und weg ist die Dame wieder. Ein volles Erlebnis ist abends im entzückenden Opernhaus im typischen Opernhausstil der Jahrhundertwende die Janacekoper: Katja Kabanowa. Wir verstehen zwar nichts, kommen doch so ungefähr klar, außerdem sind die Sänger und die Musik phantastisch: Katja kommt mit ihrer Schwiegermutter nicht klar und wird von ihrem Mann auch nicht unterstützt. So sucht sie Trost bei einem anderen... Sie kommt in Konflikt mit Familie und Gesellschaft (dabei geht die Schwiegermutter selbst fremd...) und so geht sie schließlich in die Wolga. Wie sagte Gina: Die Leute mögen mich ja wegen meiner "Einseitigkeit" beargwöhnen, doch die Oper ist natürlich wieder Wasser auf meine Mühlen. Ja, immer dasselbe, daher gebe ich auch nicht auf. (Leider war das Opernhaus längst nicht ausverkauft - bei uns wäre es vermutlich noch leerer.) Nach der Oper sehen wir im leichten Nieselregen im Park neben der Oper ein hübsches Mädchen stehen. Ich denke (außer der Hörweite des Mädchens) laut nach, was die wohl hier im Regen steht. Gina meinte dann, daß sie sich vermutlich "Geld verdienen"  wolle - eine Studentin, die sich ihr Taschengeld oder Studium finanziert? Schrecklich. Schön dann bei "Salzmann", dem typischen berühmten Pilsener-Urquell-Lokal, wie die letzten Gäste leicht angeheitert gemeinsam singen...

Am (Rosen-)Montag zuerst Besteigung des Turms der (Bartholomäus-)Kirche auf dem Marktplatz mit etwas durch den Dunst getrübten ansonsten eindrucksvollem Rundblick. Weiterfahrt in Richtung Budweis, das wir allerdings nicht erreichen: zu knapp ist die Zeit. Die Reiseroute: Blatna (Bummel zu einem Schloß in sumpfigem Park), Pisek (lebendige Goldgräberstadt - wirklich! In dem Flüßchen Olawa gibt es Gold!), Strakonitz (Johanniterburg oder -schloß), Klattau (wunderbarer bergiger Marktplatz mit großartigem Ensemble von Rathaus und Jesuitenkirche zwischen alten Bürgerhäusern an einer der oberen Ecken). Übernachtung dann in Tschernoschin in einer kleinen Pension (es gibt überall Schilder, die auf so etwas hinweisen) bei einem älteren Ehepaar, der Mann ist offensichtlich Deutscher. Da es in dem recht großen Dorf (wir haben den Eindruch, auch weitgehend tot) kein Lokal gibt, essen wir Mitgebrachtes...

Auf der Rückfahrt dann zunächst das Prämonstratenserstift Tepl, eine riesige, natürlich weitgehend verkommene Anlage. Die Tschechen machten in ihrem Religions- und Kulturhaß auch hier (fast) ganze Sache: Die Mönche des damals 850 Jahre alten Stifts, dem eigentlich die ganze Gegend gehörte) wurden 1950 vertrieben und teilweise auch eingekerkert, das Land enteignet, die Klostergebäude wurden zur Kaserne, und Kirche und Bibliothek zum Museum. Die Dame, die nur uns führte, erzählte, daß Kirche und Kloster zurückgegeben seien (also nix mit Marienbad, wie ich meinte, gelesen zu haben) und daß die paar Mönche, die es jetzt wieder gebe, Schwierigkeiten hätten, das verwahrloste Gelände wieder in Ordnung zu bringen. Geldquellen seien die Eintrittsgebühren (im Sommer wohl ganz gut) und das Hotel, für das man aber einen Kredit aufgenommen habe. Die Kirche -  romanisch, barockisiert - ist herrlich, die Bibliothek (Jahrhundertwende) vor allem interessant, letzte der großen Klosterbibliotheken? Die Bücher, zu einem großen Teil deutsche, sind in den (nationalen?) Leihverkehr eingebunden. Da es noch früh war, haben wir lediglich eine Suppe gegessen, bedient von einer jungen Kellnerin in Mini mit hübschen Beinen... (die Miniwelle scheint die Tschechei erreicht zu haben, warum aber gerade im Winter, hängt wohl mit der Hitze der jungen Damen zusammen).

Auf dem Weg zur Grenze dann noch Einkauf bei "Plus- Tschechien" (besonders Pilsener Urquell und Lebensmittel für die nächsten Tage) und in Eger Holzspielzeug für Danielito (den Sohn von Marlene) und Gänse- und Entenbratenessen zwischen lauter anderen Deutschen. Nach der Grenze noch kurzer Besuch der ehemaligen Klosterkirche Waldsassen - für einen Besuch der hier nun wirklich berühmten Barockbibliothek war nun leider wirklich die Zeit zu knapp. 

Gegen 21 30 Uhr waren wir dann wieder hier. Eine schöne Fahrt - auch das Ziel war nach Meinung meiner Reisegefährten richtig. Was ich im Sommer mache, hängt davon ab, wer zu mir kommt...

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