Apulien 1995

 

Herbstferienfahrt mit Auto, Bahn und Klapprad

 

Warum wieder Apulien, also der Absatz des italienischen Stiefels? Nun, erstens ist es eine wunderschöne Gegend im Süden und dann habe ich doch im vergangenen Jahr erfahren, wie ich sie bequem und günstig mit einer Kombination aus Auto und Bahn und Klapprad erreichen und bereisen kann. Zunächst ging's also per Auto bis an die schweizerisch-italienische Grenze nach Chiasso, dort ließ ich mein Auto stehen und nahm - diesmal -  nach einem Umsteigen in Mailand den Nachtzug nach Lecce in Apulien. Der kostete pro Strecke für die etwa 1000 km ganze 80 DM (in Italien irre Preisdegression mit zunehmender Entfernung), und ich war morgens am Ziel und konnte also gleichzeitig fahren und schlafen. Schön wäre es natürlich gewesen, wenn einige nette Mitreisende mitgekommen wären, vielleicht zwei oder drei, dann hätten wir ein Abteil für uns besetzen können und wären nicht von anderen gestört worden... Doch es müßten auch die geeigneten sein, die die ganzen Umstände mitmachen, und das hatte diesmal nicht geklappt. Die Fahrkarte sollte man übrigens nicht erst in Italien kaufen, denn dann ist es eine internationale Fahrkarte, die zwei Monate gültig ist, die also in gewisser Weise als Netzkarte benutzt werden kann und die außerdem in Italien in den IC-Zügen ohne weiteren Zuschlag gültig ist, was für das kurze Stück Chiasso-Mailand wichtig ist, denn da gibt es kaum "ordinäre" Züge.

Erstes Ziel war der Samstagabend und der Sonntagvormittag bei meinen jungen Freunden B. und M. in Thun in der Schweiz, die ich als jung verheiratetes Paar bei meiner ersten Fahrt nach Peru in Cuzco kennengelernt hatte. Ich finde, beide sind ein ganz reizendes Paar (so Mitte bis Ende zwanzig), inzwischen mit zwei Kindern, und ich hätte es gern gehabt, wenn einige meiner jungen Leute, die mir nahe stehen, eine solche junge Familie kennengelernt hätten. Es geht also offensichtlich auch mit "festen Bindungen".

Am Sonntagvormittag fuhren wir alle per Rad in der hübschen Stadt am Zipfel des Thuner Sees herum und ich begleitete die junge Frau schließlich, weil sie noch zwei der in der Stadt aufgestellte Münz- Photoautomaten kontrollierte und wartete. Sie erhält dabei ein hübsches Zubrot, so rosig sind junge Leute in der Schweiz auch nicht gebettet. Und ich habe mich mit ihr auch dabei über eher Privates unterhalten, also manche Unkompliziertheit war in ihrem Leben genauso, wie es mein Erziehungsziel für meine Schüler ist, und sie deutete beste Erfahrungen und Ergebnisse an. Nach Chiasso fuhr ich dann über den eindrucksvollen Grimsehl- und den Nufenenpaß, auch Erlebnisse. Für Apulien hatte ich mir diesmal eine Umrundung des äußersten Stiefelabsatzes per Faltfahrrad und Zelt und Schlafsack vorgenommen - wieder so eine Zigeunerfahrt wie im vergangenen Jahr. Im nachherein gesehen würde ich dieselbe Fahrt allerdings so nicht mehr machen, denn die äußerste Spitze war einerseits recht beschwerlich und dabei gab es keinen sonderlichen Effekt. Ab Otranto südlich ist die Straße sowohl immer recht weit vom Meer entfernt oder andererseits weit oberhalb des Meeres und dann sind da immer überall Ferienvillen im Winterschlaf. An die Südspitze kommt man auch nicht richtig heran, denn die ist militärisches Sperrgebiet und westlich ist die Halbinsel dann zwar flacher, doch ist dort zumeist Felsküste, die zwar nicht sonderlich hoch ist, doch auch kaum zum Badevergnügen einlädt, abgesehen von einer Sandbucht, an der ich jedoch vorbeifuhr. Auch dort sind viele Ferienhäuser, wenn auch nicht so romantisch gelegen und schön wie an der Ostküste. Immerhin habe ich auch einiges kulturell Sehenswertes gesehen, vor allem den normannischen Dom von Otranto (Betonung auf der ersten Silbe) mit einem herrlichen Mosaikfußboden aus dem 12. Jahrhundert und eine kleine Kirche in Casarsano, die ich auf einem Abstecher ins Landesinnere fand, mit eher entzückenden Mosaiken in gewagten Farbkompositionen aus dem 5. Jahrhundert.

Interessant der Unterschied dieser Mosaiken: Die späteren eher heils- oder "alltags"-geschichtsbezogen, die älteren mit einem geheimnisvollen Konzept von Gott und Schöpfung aus Ornamenten und Tierdarstellungen, der Kustode erklärte sie mir sehr nett, er sprach immer vom "concetto".

Eindrucksvoll waren dann noch für mich die schöne Barockstadt Lecce mit den vielen Kirchen, die Stadt Gallipoli teilweise auf einer Insel mit dem Dom mit riesigen Ölgemälden in venezianischer Malerei. Zweimal gab es Darstellungen des Martyriums der heiligen Agatha, wie ihr die Brüste abgeschnitten werden. Auf einem der Bilder hält der Henker eine Brust am "Zipfelchen" in die Höhe und begutachtet sie... Besonders eindrucksvoll bei den Dorfkirchen unterwegs sind immer die Barockfassaden aus dem ockerfarbenen ortsüblichen Kalkstein, der auch heute noch in riesigen Steinbrüchen abgebaut wird. Ansonsten sind die Kirchen eher gewaltige düstere Kästen.

Meine Zeltplätze gingen so. Richtig toll war der erste in einem kleinen Wäldchen an einer Steilküste bei Torre del Orso, gleich gegenüber dem Postkartenmotiv der zwei Schwestern-Felsen im Meer, von dem es sogar gar nicht weit zu einem herrlichen Sandstrand war - und alles zumindest jetzt in der Jahreszeit ganz einsam. Wenn ich so morgens in einer herrlichen Gegend aufwache, die Sonne durch die Zweige schimmert, kein Mensch zu sehen und zu erahnen ist, nur die Vögel zwitschern und die Brandung vom Meer her rauscht, der südliche Wald durftet und ich dann in der warmen Morgensonne frühstücke, dann ist das schon für mich zumindest die Vorform von himmlischem und trotzdem irdischem Rausch...  Gestört hat lediglich der Unrat, der noch von den Picknickausflügen im Sommer und sicher auch von früher zurückgeblieben war. Da ein leerer Container an einer Art Stichstraße am Waldrand stand, habe ich wenigstens um mich herum etwas aufgeräumt, schließlich bedeutete das dann eine sinnvolle Bewegung - und ich komme doch sicher einmal wieder. Bisweilen standen die mit Unrat gepackten Plastiktüten herum (die ja irgendwann auseinanderfallen), und ich brauchte sie nur aufzunehmen und wegzutragen... Manche Stellen sahen hinterher jedenfalls schon ganz manierlich aus, so daß alles noch schöner war... Und es hat mir dann dort so gut gefallen, daß ich die letzte Nacht von Lecce aus noch einmal hinfuhr, um dann erst am Samstagnachmittag gegen 15 Uhr wieder zum Zug nach Lecce (ab 18 39 Uhr, an Mailand 7 10 Uhr am nächsten Morgen) zurückzufahren.

Ein Problem habe ich in Italien lediglich mit dem Essen in Restaurants, so meine ich wenigstens. Ich habe es einmal versucht, doch hatte die Wirtin mir ein komplettes Menü aufgezählt, das mit 27 DM sicher auch nicht zu teuer war, doch dann hätte ich die schöne Mittagszeit in dieser Zeit der kürzeren Tage im Restaurant gesessen, und abends war ich ja sowieso immer "in der Landschaft". Ich kann mir nicht vorstellen, daß alle (italienischen) Gäste, die mir teilweise nach eher normalen Handwerkern und Fischern aussahen, solch ein ausgiebiges Essen bestellten, ob ich einfach falsch frage (ob ich nach "Pranzo" fragen muß?)? So habe ich eben abends immer auf meinem Gaskartuschenkocher gegrillt...

Ich würde wieder hinfahren, vielleicht mit den jungen Leuten, die in diesem Jahr aus offensichtlich plausiblen Gründen nicht konnten? Geeignet wäre eine Tour Lecce - Wäldchen an der Küste - Otranto - Muro Leccese - Casarano - Gallipoli - Nardo - Galatina - Soleto - Wäldchen - Lecce. Diese Strecke dürfte dann um 180 km lang sein, meine jetzige Strecke war so mindestens 270 km, die "90-mehr-km" waren eher die gebirgigen Strecken. Für sechs Tage sind jedenfalls 180 km auch für weniger Geübte machbar. -  Ein Tip zum Geldumtauschen: Hier in meinem Dorf bekam ich 100000 Lire für 95 DM, in Lecce auf dem Postamt (das ist der einzige Ort auf dem Stiefelabsatz, wo das geht) bekam ich bei der Abhebung von meinem Postsparbuch 100000 Lire für 90 DM, es hat nur sehr lange gedauert, die haben so etwas wohl noch nie gemacht...

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